Nr. 2703

 

Tod im All

 

Sichu Dorksteiger träumt vom großen Sterben – und Perry Rhodan kämpft ums Überleben

 

Bernd Perplies

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Kommentar

Leserkontaktseite

Risszeichnung Kleinstkorvetten der JANUS-Klasse

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

 

Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine aufregende, wechselvolle Geschichte erlebt: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – haben nicht nur seit Jahrtausenden die eigene Galaxis erkundet, sie sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen – und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das nach alter Zeitrechnung dem Anfang des sechsten Jahrtausends entspricht, gehört die Erde zur Liga Freier Terraner. Tausende von Sonnensystemen, auf deren Welten Menschen siedeln, haben sich zu diesem Sternenstaat zusammengeschlossen.

Doch ausgerechnet der Mond, der nächste Himmelskörper, ist den Terranern fremd geworden. Seit einigen Jahren hat er sich in ein abweisendes Feld gehüllt, seine Oberfläche ist merkwürdig verunstaltet. Wer zu ihm vordringen möchte, riskiert sein Leben.

Perry Rhodan weiß, dass die neuen Herrscher des Mondes, die Onryonen, eine Bedrohung für die Erde darstellen. Seine ersten Nachforschungen auf dem Mond bestätigen diese Befürchtungen. Nur knapp entkommt er seinen Häschern, aber ihn erwartet der TOD IM ALL ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Unsterbliche sieht dem Tod ins Gesicht.

Viccor Bughassidow – Der Multimilliardär sieht sich einer furchtbaren Gefahr ausgesetzt.

Farye Sepheroa – Die Pilotin schert sich nicht um genetische Verwicklungen.

Sichu Dorksteiger – Die Chefwissenschaftlerin der LFT lässt sich auf ein gefährliches Experiment ein.

1.

23. Juni 1514 NGZ

21.50 Uhr

Universität von Terrania

 

Die holografischen Anzeigen umgaben Sichu Dorksteiger wie eine Schar neugieriger Kinder, die sich eine gute Geschichte von ihr erhofften. Doch es war Sichu, die sich eine Geschichte anschaute und anhörte – immer wieder und aus allen erdenklichen Perspektiven.

Und es war keine gute.

Genau genommen handelte es sich um eine Tragödie. Vor vier Tagen, am 19. Juni, war eine komplette Hilfsflotte der LFT, 77 Schiffe an der Zahl, aus heiterem Himmel unmittelbar über Terra ausgelöscht worden.

Sichu richtete den Blick der bernsteinfarbenen Augen auf die Flottenliste: die GIOVANNI CABOTO, ein 1800-Meter-Raumer der SATURN-Klasse, unter dem Befehl von Oberst Bennelong Eoura, die GEORGES MELIES, auf der Helme Landa, ein Bekannter von ihr, gedient hatte, die beiden LFT-BOXEN-Raumer HILDEGARD VON BINGEN und PANTAM NURHERERE – Lazarett-Schiffe! Von ihnen waren nicht mehr als ein 100.000 Kilometer durchmessendes Trümmerfeld draußen im All geblieben.

Die atorische Chefwissenschaftlerin mit dem langen silbernen Haar, das ihr, von einigen verzierten Ringen mit Mühe gebändigt, wie eine Flut über die linke Schulter fiel, brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass die smaragdgrünen Punkte in ihrer Iris in Bewegung waren. Der Anblick der Trümmer war einfach grauenvoll, eine Katastrophe, die sie auch nach der hundertsten Durchsicht der Bilddokumente noch aufwühlte.

Vielleicht war der Tod von Helme Landa schuld daran, dass Sichu sich wie eine Besessene in die Aufgabe gestürzt hatte, die Vorgänge an der Grenze des Solsystems zu rekonstruieren und zu begreifen. Einen Teil von ihr faszinierte sicher auch die hyperphysikalische Unerhörtheit der Tat selbst. Wahrscheinlich war der Grund aber vor allem der, dass ihr ein selbstgerechtes Regime, das rücksichtslos Leben opferte, um seine eigene Position zu untermauern, alles andere als fremd war.

Vor Jahrzehnten war sie eine Soldatin, eine glühende Dienerin der Frequenz-Monarchie gewesen. Deren Machtanspruch war ein absoluter gewesen. Erst die Auslöschung eines ganzen Planeten – nur zum Zweck eines Experiments – hatte Sichu aufgerüttelt und sie dazu gebracht, ihr Lebensbild gründlich zu überdenken.

Ganz so weit waren die Onryonen, die sich wie Parasiten unter dem Technogeflecht auf Luna festgesetzt hatten, nicht gegangen. Aber ihr Vergehen war nur graduell geringer. Er sei ein Bevollmächtigter des Atopischen Tribunals hatte Shekval Genneryc behauptet, der einzige Onryone, der bislang mit ihnen Kontakt aufgenommen hatte. Das Tribunal habe unzweideutige Hinweise darauf, dass der von Oberst Eoura geführte Verband in die Kampfhandlungen im Ghatamyz-Sektor eingreifen werde. Das jedoch sei verboten.

Begründungen hierfür hatte er keine geliefert. Stattdessen hatte eine Flotte aus 30 Schiffen, die den Repulsor-Wall um den Mond durchflogen und im Mondorbit Stellung bezogen hatten, einfach das Feuer eröffnet, als Eoura das Verbot missachtete und in den Linearraum wechselte.

Sichu presste die Lippen zusammen. An dieser Stelle wurde die Sache wirklich hässlich. Ihr Blick wanderte zu dem Standbild und den Analysedaten zu ihrer Linken. Das Bild zeigte einen Teil des gewölbten Rumpfs von Gennerycs Schiff, einem 2100-Meter-Riesen, der sich als Raumvater HOOTRI identifiziert hatte. Aus mehreren verborgenen Abschussrampen waren Miniaturflugkörper gerast. Auch die anderen onryonischen Schiffe hatten ohne weitere Warnung gefeuert. Insgesamt 299 hatte die LFT-Wachflotte gezählt.

Neben den Analysedaten schwebte eine holografische Projektion der Geschosse. Es handelte sich um 30 Meter lange Torpedos mit einem kugelförmig verdickten Ende, in dem eine Ladung von enormer Sprengkraft stecken musste. Viele Informationen hatte sie nicht zu diesen Waffen. Dafür war alles zu schnell gegangen.

Sichu zögerte, unschlüssig, ob sie die Aufzeichnungen ein weiteres Mal ansehen sollte. Dann aktivierte sie den Trivid-Abspieler. Sofort erwachten die Standbilder um sie zum Leben. Energieblitze zuckten lautlos durchs All. Die LFT-Wachflotte unter dem Befehl von Oberst Evrem Valsolda feuerte aus allen Rohren, um die Torpedos abzufangen. Lautlose Explosionen blühten in der Schwärze auf. Eine Aufzeichnung der Ortungsstation des Flaggschiffs ELAS KOROM-KHAN zählte mit: 100 ... 120 ... 150 ... 180 ... 198 ... 203.

Dann verschwanden die übrigen 96 Torpedos im Linearraum. Und keine Minute später dann die Hiobsbotschaft: Die entkommenen Torpedos hatten alle 77 Schiffe des Ghatamyz-Verbands erwischt. 77 Schiffe waren zerstört worden, darunter Kolosse wie die GIOVANNI CABOTO und die beiden LFT-BOXEN.

Im Linearraum!

Bislang hatte der Linearraum als sicherer Rückzugsort gegolten. Natürlich war durchaus bekannt, dass es Möglichkeiten der Beeinflussung gab. Aber ein gezieltes Beschießen von Schiffen, die etwa nach einer Raumschlacht in den Linearflug gingen, hatte es noch nicht gegeben. Wer es in den Linearraum schaffte, hatte es geschafft – so lautete bis vor wenigen Tagen die militärische Devise. Es sei denn, jemand folgte ihm bis zum Wiedereintritt ins Standarduniversum. Aber das war eine ganz andere Geschichte.

Sichu fröstelte noch immer, als sie an die wenigen Sekunden vor vier Tagen zurückdachte, binnen deren sich die Katastrophe ereignet hatte. Der Linearraum war nicht mehr sicher, zumindest nicht in der Umgebung von Terra.

Sie blickte auf die Hände hinab, und erst jetzt fiel ihr auf, dass sie sie unwillkürlich zu beinahe schmerzhaft festen Fäusten geballt hatte. Mühsam zwang sie ihre schlanken grünen Finger wieder auseinander. Die goldenen Fraktalmuster, die ihren ganzen Körper bedeckten und auf den Handrücken ausliefen, schimmerten im kalten Licht des unterirdischen Labors.

Der Raum gehörte zur Universität von Terrania und lag geschützt im 32. Stock unter der Erde. Seit fast vier Tagen hockte sie nun dort – von kurzen Pausen zum Schlafen und Essen unterbrochen – und wühlte sich durch die Unmenge von Daten und Aufzeichnungen, die man ihr als Chefwissenschaftlerin auf Anforderung zur Verfügung gestellt hatte.

Natürlich beschäftigte sich auch das Militär der LFT mit der Katastrophe. Aber selbst wenn die Uniformträger sich einen Stab von Wissenschaftlern zusammengetrommelt hatten, schadete es nicht, wenn Sichu sich ebenfalls mit diesen »Linearraumtorpedos«, wie sie sie kurzerhand getauft hatte, beschäftigte. Schließlich war sie nicht bloß irgendeine Hyperphysikerin, sondern eine der besten, die man auf Terra in diesen Tagen finden konnte.

Bedauerlicherweise hatte auch eine Koryphäe Schwierigkeiten, aus dem wenigen, brauchbaren Datenmaterial sinnvolle Schlüsse zu ziehen. Sichu ließ den Blick über die Grafiken, Tabellen und Kamerabilder schweifen, die sie umgaben. Sie besaß Unmengen an Aufzeichnungen, Analysen der Onryonenraumer, Flugvektoren, Materialeinschätzungen, Flugsteuerungsberechnungen, Geschwindigkeitsmessungen und Sprengkraftextrapolationen der Linearraumtorpedos.

Nur das eine, was zählte, die Frage, wie es den Miniaturflugkörpern gelang, im Linearraum ein Ziel anzuvisieren und zu zerstören, ließ sich mit alldem nicht beantworten. Dazu fehlte ihr ein intakter Torpedo – oder wenigstens die Sensordaten eines der zerstörten Schiffe.

Nur woher nehmen?, dachte Sichu frustriert. Die Hilfsflotte war vollständig vernichtet worden. Obwohl nach wie vor Suchtrupps das gewaltige Trümmerfeld durchstreiften, war bislang so gut wie nichts Verwertbares geborgen worden. Der Grad der Zerstörung hatte etwas Beängstigendes.

Viel schlimmer war, dass von den Tausenden Leben, die an Bord der 77 Schiffe gewesen waren, bloß eines hatte gerettet werden können. Eines! Diese Zahl klang so absurd, dass man sie nicht glauben mochte. Aber tatsächlich hatte genau ein Mann die Katastrophe überlebt: Waffenleitoffizier Tasso Cormac von der HILDEGARD VON BINGEN.

Leider lag der Mann, der trudelnd und ohne Bewusstsein im freien Raum gefunden worden war, im künstlichen Koma, in das die Mediker ihn nach seiner Rettung hatten versetzen müssen. Von ihm bekam Sichu keine neuen Informationen.

Sicher war daher bislang nur dies klar: Dank ihrer Linearraumtorpedos stellten die Schiffe der Onryonen eine ganz neue Dimension von Bedrohung dar. Diese Waffe verlieh ihren Besitzern erschreckende Macht!

Das schienen diese auch zu wissen. Denn obwohl sich Genneryc und seine Flotte unter dem Vergeltungsfeuer der LFT-Wachflotte wieder hinter den Repulsor-Wall zurückgezogen hatten, ließen die Onryonen sowohl Furcht als auch Reue vermissen. Stattdessen hatte sich der Fremdling mit der Selbstherrlichkeit eines unangefochtenen Herrschers an die Bewohner nicht nur der Erde, sondern der ganzen Galaxis gewandt. Noch immer klangen Sichu seine ungeheuerlichen, seine absurden Worte in den Ohren.

»Ich will noch einmal betonen, dass ich zu euch spreche aus meiner von einem der Richter des Atopischen Tribunals verliehenen Vollmacht. Aus derselben Vollmacht heraus verkünde ich hiermit, dass heute der erste Tag sein soll des ersten Jahres des Atopischen Tribunals in der Galaxis Milchstraße. Dies ist ein Grund zu feiern. Die Tage des Unrechts sind vorüber. Die Milchstraße hat unendliche Jahrhunderte des Leids durchlebt und sich damit redlich, sehr redlich, einen Anspruch auf Gerechtigkeit erwirkt. Dies wird nun geschehen, denn es ist höchste Zeit! Als meine erste Amtshandlung untersage ich deswegen ab sofort jegliche Flottenbewegung im Solsystem. Es hat genug Krieg gegeben.

Kommen wir ohne Zeitverschwendung zu meiner zweiten Amtshandlung: Ich fordere hiermit die sofortige Überstellung der Hauptangeklagten an das Tribunal. Es handelt sich dabei namentlich um den Terraner Perry Rhodan sowie um den Arkoniden Gaumarol da Bostich!«

Drei Tage hatte der Onryone den Behörden Zeit gegeben, Rhodan auszuliefern. Danach, so hatte er angedroht, würde er als richterlicher Bevollmächtigter »geeignete Maßnahmen« ergreifen. Was er sich darunter vorstellte, hatte er nicht gesagt.

Das Absurde an der Situation war, dass dieses ominöse Atopische Tribunal Rhodan insbesondere eines Verbrechens anklagte, das er noch gar nicht begangen hatte! Irgendwann in der Zukunft sollte er »die Ekpyrosis von GA-yomaad« auslösen.

Niemand hatte auch nur eine Vorstellung davon, was es damit auf sich haben sollte. Genneryc zufolge handelte es sich um ein Verbrechen, das so schwerwiegend sein würde, dass der Rat der Richter beschlossen habe, ihm zuvorzukommen. Eine Aussicht, die niemanden auf Terra sonderlich glücklich stimmte.

Mittlerweile war die Frist verstrichen. Natürlich war Rhodan nicht übergeben worden. Niemand von den Verantwortlichen auf Terra und in der LFT war bereit, einfach irgendwelchen Forderungen von selbst ernannten Despoten nachzugeben.

Im Kristallimperium und im Neuen Galaktikum überhaupt schien man das ähnlich zu sehen. Sichu hatte keinen genauen Überblick, wie es gegenwärtig im Rest der Milchstraße aussah, aber wenn Imperator Bostich I. an die Onryonen ausgeliefert worden wäre, hätte sie das sicher mitbekommen.

Aber wer sollte Bostich auch ausliefern?, dachte Sichu zynisch. Er ist einer der mächtigsten Männer der Galaxis.

Ein schlimmer Gedanke regte sich einmal mehr in ihrem Kopf – und sie wusste, dass sie nicht die Einzige war, die sich auf Terra derzeit davor fürchtete. Es wird Krieg geben. Wenn uns nicht schnell irgendeine Lösung für dieses Problem einfällt, wird es Krieg geben. Schon wieder.

Rhodan mochte ein Mann sein, der immer erst mal nach anderen Lösungen suchte. Nicht zuletzt, um mehr über das Technogeflecht und die Onryonen herauszubekommen – und damit vielleicht eine Basis für Verständigung zu etablieren –, hatte er sich mit der STARDIVER nach Luna begeben.

Imperator Bostich I. dagegen war jemand, der dazu neigte, auf Herausforderungen mit Härte zu reagieren. Vor gut 250 Jahren hatte der Zellaktivatorträger seine Zeit auf dem Thron als machtloser »Marionettenimperator« der Kristallkamarilla, eines Zirkels arkonidischer Hochadliger bei Hofe, begonnen. Erst Jahrzehnte später war es ihm gelungen, sich von den Königsmachern zu befreien. Seitdem hatte er sich geschworen, sich nie wieder von anderen so demütigen oder kontrollieren zu lassen.

Sichu lehnte sich in ihrem Kontursitz zurück und rieb sich die Augen. Vielleicht hätte das jemand den Onryonen sagen sollen, bevor sie ihn einen Schwerverbrecher nannten.

Nun jedenfalls waren die Fremden wieder am Zug. Die Augen der Terraner richteten sich sorgenvoll zum Himmel. Jedermann erwartete die von Genneryc angedrohten »geeigneten Maßnahmen«.

Noch war nicht viel geschehen. Die LFT-Wachflotte hatte auf Luna einige Hektik verzeichnet. Möglicherweise war dies Perry Rhodans Treiben auf dem Trabanten geschuldet, der sich dort in einer streng geheimen Mission aufhielt. Vorhin hatte Sichu im SIN-TC den Bericht über einen Schlagabtausch zwischen onryonischen Einheiten und der Flotte gesehen, der aber der Meinung aller Experten nach nicht mehr als ein gegenseitiges Schaulaufen gewesen war, ein Testen der Fähigkeiten und Technologien des Gegners.

Wenn das alles war, wozu Genneryc und seine Leute imstande waren, hatten sie den Mund deutlich zu voll genommen, als sie sich mit Terra, der LFT, ja dem ganzen Galaktikum angelegt hatten. Doch irgendwie bezweifelte Sichu, dass es so leicht werden würde.

Einer der Holoschirme vor ihr blinkte, als eine persönliche Nachricht für sie eintraf. Sie kehrte aus ihren Gedanken zurück und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Anzeige. Die Nachricht stammte von Dr. Lhukas Scalsi, dem Nachrichtenkopf zufolge ein Mediker der Khomo-Serenti-Klinik in Terrania.

»Chefwissenschaftlerin«, begrüßte sie der Arzt, ein jung aussehender Mann von höchstens vierzig Jahren, mit schmalen, blassen Zügen und krausem Haar. »Mir wurde gesagt, dass du informiert werden wolltest, sobald es eine Möglichkeit gäbe, mit Tasso Cormac zu sprechen.«

Der Mediker hielt kurz inne, als müsse er sich seine nächsten Worte erst überlegen. Da es sich um eine Aufzeichnung handelte – Sichu hatte jeden Direktruf blockiert, um während ihrer Arbeit nicht ständig von Leuten gestört zu werden, die etwas von ihr wollten –, antwortete sie nicht, sondern wartete einfach ab, was er noch zu sagen hatte.

»Äh, also, ich wollte nur rasch Bescheid geben, dass Tasso Cormac jetzt in gewissen Grenzen für ein Gespräch bereitsteht«, fuhr der Mediker fort. »Du kannst gern vorbeikommen. Ich werde noch vier Stunden hier im Dienst sein. Ich freue mich auf deinen Besuch.«

Elektrisiert beugte Sichu sich in ihrem Kontursitz nach vorne. »Das ist ja ausnahmsweise mal eine gute Neuigkeit«, sagte sie zu sich selbst. Wie es aussah, war der einzige Überlebende der Katastrophe erwacht!

Ihr war bewusst, dass sie nicht zu viel erwarten durfte. Tasso Cormac war nur ein Mann. Vielleicht hatte er gar nichts mitbekommen. Womöglich aber doch. Er hatte als Waffenleitoffizier auf der HILDEGARD VON BINGEN gedient, und wenn ein Schiff vor seiner Zerstörung Zeit gehabt haben dürfte, Daten zu sammeln, dann eine LFT-BOX.

Es war eine Chance, eine kleine zwar, aber immerhin!

Einen Moment lang war Sichu versucht, Lhukas Scalsi zurückzurufen. Doch stattdessen erhob sie sich mit einem Ruck von ihrem Platz. Warum Zeit verschwenden? Sie würde lieber gleich zur Klinik hinüberfahren und schauen, was sie dort in Erfahrung bringen konnte.

2.

23. Juni 1514 NGZ, 18.35 Uhr

KRUSENSTERN, über Luna

 

»Rhodan! Willkommen an Bord der KRUSENSTERN!«

Mit einem einnehmenden Lächeln betrat Viccor Bughassidow den Raum hinter der Schleusenkammer, durch die Perry Rhodan an Bord des umgebauten Fragmentraumers gekommen war.

Normalerweise strahlte ein solcher Ort, an dem man sich seines Raumanzugs entledigte, ausgesuchte Nüchternheit aus. In diesem Fall allerdings fühlte sich Rhodan an die Umkleidekabine eines russischen Bades erinnert. Die Türen zu den Alkoven, in denen die Anzüge hingen, wiesen bronzefarbene Verzierungen auf. Und Wände und Decke waren mit weißen Stuckarbeiten geschmückt.

Das Ganze wirkte ein wenig exzentrisch. Aber Rhodan wusste von seinem früheren Besuch an Bord, dass die gesamte Privatyacht des Multimilliardärs und Hobby-Astroarchäologen Bughassidow einen sehr eigenwilligen Stil besaß.

Privatyacht ...

Schon diese Bezeichnung war für den gigantischen Würfel mit 2500 Metern Kantenlänge, auf dessen Oberseite eine überdimensionale Nachbildung der Moskauer Basilius-Kathedrale thronte, recht eigenwillig. Aber Bughassidow hatte Geld, und das nicht zu knapp. Das gestattete ihm gewisse Freiheiten.

»Ich hätte nicht erwartet, dass wir uns so bald wiedersehen«, gestand der Milliardär. »Du siehst mich ziemlich überrascht. Als wir deinen Funkspruch mitten aus einem Kampfgebiet bekamen, dachte ich, ich hätte mich verhört.«

»Ich habe ein paar unerfreuliche Tage auf Luna hinter mir, die in einer ziemlich spektakulären Flucht gipfelten«, antwortete Rhodan lakonisch. Er dachte an den Huckepackritt auf der Außenhülle der PYTUU, ein Erlebnis, das er nicht unbedingt wiederholen wollte.

Erstaunt hob Bughassidow die Augenbrauen. »Luna? Du warst hinter dem Repulsor-Wall?«

Rhodan nickte. »Es handelte sich um eine geheime Operation. Wir wollten uns ein Bild von der Lage dort machen.« Was er dort alles erlebt und erfahren hatte, konnte er noch immer kaum fassen. Luna hatte im Transit aus dem Neuroversum mehr als fünfzig Jahre mehr gebraucht, als im Rest der Galaxis verstrichen waren. Während dieser Zeitspanne trafen die Mondbewohner auf die Onryonen und gerieten schleichend unter deren Joch. Aber nun war der falsche Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen.

»Ich erzähle dir alles später ausführlicher«, sagte Rhodan. »Jedenfalls machen es die Umstände nötig, dass ich mir bei meiner Flucht von Freunden helfen lasse, mit denen meine Feinde nicht rechnen.«

»Du spielst damit zweifellos auf diesen Onryonen Genneryc an.« Bughassidow pickte mit einer beiläufigen Geste eine imaginäre Fluse vom Revers seines legeren silberblauen Salongehrocks.

Es schien ihn wenig zu kümmern, dass er mit Rhodan einen der zwei gegenwärtig meistgesuchten Männer der Galaxis auf seinem Schiff hatte. Hätte er jetzt noch ein Glas Wodka on the Rocks in der Linken gehalten, wäre der Eindruck perfekt gewesen.

»Ja, offensichtlich bist du informiert.«

»Das ließ sich kaum verhindern. Der Sprecher dieser ominösen Atopischen Richter hat sich mithilfe eines Tricks in alle Kommunikationskanäle eingeklinkt. Seine Forderungen, Bostich und dich auszuliefern, waren nicht zu überhören. Und die Warnung, dass die Onryonen es ernst meinen, ist ebenfalls angekommen.« Das Gesicht des Milliardärs verhärtete sich. »Der Abschuss des Ghatamyz-Verbands war ...«

Er rang um Worte. »Er war grauenvoll. Unmenschlich. Tausende von Toten. Wenn das die Vorstellung dieser Scheißkerle von einem erfolgreichen Erstkontakt ist, möchte ich nicht wissen, wie sich das Zusammenleben mit ihnen gestaltet.«