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Cover

Band 9 – Rhodans Hoffnung

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Band 10 – Im Licht der Wega

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Band 11 – Schlacht um Ferrol

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Band 12 – Tod unter fremder Sonne

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Band 13 – Schatten über Ferrol

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Band 14 – Die Giganten von Pigell

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Prolog

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Epilog

Band 15 – Schritt in die Zukunft

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Band 16 – Finale für Ferrol

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Prolog

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Erstes Zwischenspiel

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Zweites Zwischenspiel

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Drittes Zwischenspiel

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Epilog

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Band 9

 

Rhodans Hoffnung

 

von Frank Borsch

 

 

 

Sommer 2036: Terrania ist ein Zukunftstraum, der Millionen von Menschen fasziniert. Diese Vision entsteht mitten in der Wüste Gobi, fern von den Zentren der Zivilisation. Roboter der außerirdischen Arkoniden erbauen eine Stadt, die einmal das Zentrum einer geeinten Menschheit werden soll.

In der Zwischenzeit steht die Erde am Rand eines globalen Atomkrieges. In einigen Ländern mehren sich die politischen Unruhen, während andere Staaten hektisch aufrüsten. Will Perry Rhodan den Frieden sichern, muss er sich in den Besitz aller arkonidischen Technologie bringen, die es auf der Erde gibt – er tritt gegen das amerikanische Militär an.

Alles verändert sich, als ein Notruf die Erde erreicht: Im System der blauen Sonne Wega tobt ein Krieg, quasi in direkter kosmischer Nachbarschaft. Rhodan und eine Gruppe von Begleitern starten zum ersten interstellaren Flug der Menschheit ...

1.

25. Juli 2036

Perry Rhodan

 

Im Westen, im Licht der ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, reckte sich die Skyline Manhattans dem Himmel entgegen. Dichter schwarzer Rauch stieg zwischen den Türmen der Wolkenkratzer auf, hüllte den Freedom Tower fast vollständig ein. Nur noch die Spitze mit der riesigen amerikanischen Flagge ragte hervor.

»Geoff! Sehen Sie nur! Manhattan brennt!«

Jenny Luwalski, die in den letzten fünfzehn Stunden neben Rhodan gesessen hatte und ihn nur unter seinem Decknamen kannte, legte die Hand auf seinen Unterarm und drückte fest zu.

Perry Rhodan unterdrückte den Impuls, ihre Hand wegzuschieben. Die junge Frau konnte nicht ahnen, wie wenig ihm ihre Geste behagte. Ihr Griff rieb die Kunsthaut, die seine Hände und Arme bedeckte, gegen seine eigene Haut. Es brannte.

Rhodan beugte sich vor, um durch das kleine Bullaugenfenster zu sehen, während überall in dem in die Jahre gekommenen Boeing Dreamliner Menschen aufgeregt zu flüstern begannen. Die Maschine war voll besetzt. Aber nicht wie in gewöhnlichen Zeiten von Touristen und Geschäftsleuten, sondern von in Übersee lebenden Amerikanern, die zurück nach Hause zu ihren Familien, ihren Freunden eilten, um nach dem Rechten zu sehen.

Wie die quirlige Mittzwanzigerin Jenny, die mit achtzehn vor ihren strenggläubigen Eltern und ihrer Mega-Kirche davongelaufen war, um schließlich in Quatar zu einer Modedesignerin zu avancieren, nach deren Look sich die halbe islamische Welt verzehrte.

Wie er selbst. Vorgeblich. Sein Pass wies Perry Rhodan als Geoff Seymour aus. Ende 30, Tiefbauingenieur aus Upstate New York. Als Gastarbeiter am Golf und nun hektisch aufgebrochen, um nach seiner daheimgebliebenen Frau und seinem dreijährigen Sohn zu sehen.

Der Dreamliner schwenkte zur Landung ein, passierte Manhattan so dicht, dass die Skyline zum Greifen nahe schien. Das Rattern von Maschinengewehren übertönte das gleichförmige Brummen der Triebwerke, gefolgt von einem dumpfen Knall. Eine neue Wolke aus Rauch und Trümmern wallte auf, schickte sich an, das United Nations Building zu verschlucken.

»Großer Gott!«, flüsterte Jenny. »Das ist wie damals, nicht?«

Rhodan antwortete nicht. Ihm wurde schwindlig. Das dort war nicht die neue Welt, die er erschaffen wollte. Das Brennen breitete sich von seinem Unterarm in die Hand aus, bis in die Fingerspitzen. Es hatte nichts zu bedeuten, sagte er sich. Eine Nebenwirkung, mehr nicht. Die zweite Haut hielt Belastung stand, hatte man ihm versichert.

Jenny ließ seinen Unterarm los, griff nach seiner Schulter. »Geoff, alles in Ordnung?«, fragte sie. »Soll ich eine Stewardess rufen?«

Rhodan holte tief Luft, legte seine Hand auf die Jennys und drückte sie. Sie nahm sie in ihre und erwiderte die Geste. Der Druck linderte das Brennen. »Danke!«, sagte er. »Es geht schon wieder. Es ist nur ...«

»Sie brauchen nicht weiterzusprechen, Geoff«, tröstete ihn Jenny. »Mir geht es genauso. Aber, Geoff, das wird wieder! Wir schaffen das! Wie damals. Wir werden diesen Terroristen Rhodan zur Strecke bringen! Ihn und seine gesamte Bande in der Gobi!«

»Ja, das werden wir«, bekräftigte Rhodan leise.

Auf dem Display in der Rückenlehne vor ihm erschien der Kopf einer Stewardess. »Hoch verehrte Damen und Herren, wir landen in wenigen Minuten. Quatar-Southwest ersucht Sie höflichst, die Gurte anzulegen.«

Rhodan machte seine Hand aus dem Griff Jenny Luwalskis los und folgte der Aufforderung.

 

Soldaten der Nationalgarde hatten den Terminal besetzt, standen in Paaren an den Gates. Jenny erleichterte die Anwesenheit der Bewaffneten. »Sehen Sie, Geoff?«, sagte sie auf dem Weg zur Gepäckausgabe. »Unsere Regierung hat alles im Griff!«

Rhodan nickte höflich und behielt seine Gedanken für sich. Der Terminal war überfüllt. Überall saßen Menschen, oft ganze Familien. Sie wirkten, als campierten sie im Flughafengebäude. Die Snack-Automaten waren leer, die Fast-Food-Outlets waren geschlossen, die Laufbänder standen still. Es stank, wenn sie die Toiletten passierten. Die Luft war heiß und stickig. Die Klimaanlage musste ausgefallen sein, oder man hatte sie abgeschaltet, um das überstrapazierte Stromnetz vor dem Zusammenbruch zu bewahren.

Zu Rhodans Überraschung war das Gepäck bereits ausgeladen, als sie die Ausgabe erreichten. Er half Jenny, den übergroßen mit arabischen Schriftzeichen übersäten Koffer vom Band und auf einen Gepäck-Trolley zu wuchten. Dann nahm er seinen Rollenkoffer, ein abgenutztes graues Etwas. Ehemalige chinesische Geheimdienstler, die auf die Seite Terras übergelaufen waren, hatten den Koffer für Rhodan gepackt. Jedes einzelne Stück war sorgfältig ausgesucht, trug zum stimmigen Porträt eines überhastet aufgebrochenen, besorgten Familienvaters bei.

Rhodan und Jenny reihten sich in die Schlange vor der Einreisekontrolle ein. Er war froh, die junge Frau bei sich zu haben, auch wenn sie ihn auf der Stelle den Behörden ausgeliefert hätte, wenn sie seine wahre Identität erkannt hätte. Doch Jenny bedeutete Unterhaltung. Und Unterhaltung bedeutete Ablenkung. Vom Brennen seiner Haut, von seinem Puls, der unangemessen schnell pochte. Vom Anblick des brennenden Manhattan. Von dem, was vor ihm lag.

»Holt Ihre Familie Sie ab, Geoff?«, fragte Jenny.

Rhodan schüttelte den Kopf. »Meine Frau wollte es. Aber es war mir zu riskant. Drei Stunden Fahrt in der gegenwärtigen Lage ...«

»Sie haben recht. Aber meine Eltern haben sich nicht abhalten lassen. Wenn Sie wollen, können wir Sie ein Stück mitnehmen.«

»Danke. Das ist sehr aufmerksam von Ihnen, Jenny. Aber ich habe bereits arrangiert, dass man mich abholt.«

Jenny war an der Reihe. Sie passierte den Körperscanner, ohne dass er einen Alarm ausgelöst hätte. Am Schalter schenkte sie dem Beamten, einem übergewichtigen Schwarzen, ein strahlendes Lächeln und hatte die Kontrolle innerhalb von Augenblicken passiert.

Dann war Rhodan an der Reihe. Sein Puls machte einen Satz.

»Bitte legen Sie Ihr Gepäck auf das Band, Sir«, trug ihm eine Beamtin auf, eine Latina mittleren Alters. »Anschließend darf ich Sie bitten, in den Scanner zu treten. Die Füße bitte auf die Markierung, die Arme heben Sie bitte leicht an.« Die Beamtin hob die Arme auf halbe Höhe. Unter den Achseln kamen große Schweißflecken zum Vorschein.

Rhodan hob den Koffer auf das Band, trat auf die Markierung und hoffte, dass der Beamtin das Zittern entging, das ihn erfasst hatte. Ein Vorhang senkte sich über ihn. Rhodan mutete es an wie eine gnädige Geste. Er holte tief Luft, zwang sich, langsam zu atmen, um seinen pochenden Puls zu beruhigen. Er hörte ein Surren, spürte einen Luftzug, als Scannerarme auf und ab fuhren. Dann hob sich der Vorhang wieder.

Die Beamtin beugte sich über ihr Tablet. Die Augen der Latina verengten sich, als sie das Display ablas. Dann wischte sie mit den Fingern darüber.

»Ist etwas?«, fragte Rhodan und ärgerte sich über sich selbst, noch bevor er die Frage ausgesprochen hatte. Er wollte, er durfte keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Die Beamtin antwortete nicht, hantierte weiter an ihrem Tablet.

Das Brennen in Rhodans rechtem Arm flammte erneut auf, wanderte die Schulter hinauf und sprang auf den linken Arm über. Er presste die Zähne aufeinander, versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

Endlich blickte die Beamtin auf. Sie lächelte entschuldigend. »Entschuldigen Sie, Sir. Ein Fehler in der Datenbankabfrage. Sie können passieren.«

»Danke!«

Rhodan nahm seinen Koffer und ging an den Schalter. Er hatte die erste Hürde genommen. Sein Puls beruhigte sich etwas. Das Brennen auf seiner Haut ließ nach.

»Ihre Papiere, Sir!«, forderte ihn der Beamte auf. Er trug eine Brille. Sein Job gab wohl nicht genug her, um sich eine Augenbehandlung zu leisten. Rhodan reichte ihm den gefälschten Ausweis. Mercant hatte das Dokument für ihn besorgt.

Der Beamte hielt den Ausweis auf die Prüffläche. Einen Augenblick später leuchtete sie grün auf.

Die zweite Hürde war genommen.

»Bitte legen Sie die rechte Hand auf die markierte Fläche vor Ihnen, Sir!«

Die letzte, entscheidende Hürde.

Rhodan streckte den Arm aus und legte die Hand auf die Prüffläche. Die Haut brannte bis in die Fingerspitzen. Es war ein unsichtbarer Brand. Die zweite Haut, die Rhodans Hand bedeckte, wirkte natürlich.

Sie war natürlich.

Rhodan spürte einen Stich in der Kuppe des Mittelfingers, als der Prüfautomat ein winziges Stück Haut entfernte, um die DNS mit der Datenbank von Homeland Security zu vergleichen. Die Suche würde ins Leere laufen – das hatten ihm zumindest Mercant und die anderen ehemaligen Geheimdienstleute versichert. Die DNS, die der Automat abgeschabt hatte, war nicht die Rhodans. Dr. Frank Haggard, der geniale Nobelpreisträger für Medizin, der zusammen mit Crest und Eric Manoli sicher nach Terrania zurückgekehrt war, hatte innerhalb kürzester Zeit ein Verfahren ausgetüftelt, Homeland Security zu überlisten. Mit einer menschlichen Haut, die über Rhodans Händen und Armen gewachsen war. Das Verfahren stand erst am Anfang. Haggard war zuversichtlich, dass es ihm bald gelingen würde, weit größere Flächen, vielleicht sogar den Körper eines Menschen, abzudecken. Doch für den Augenblick würden die Hände genügen.

Hoffte Rhodan.

Seine Hoffnung wurde nicht enttäuscht.

Der Beamte beäugte das Ergebnis der Datenbankabfrage auf einem in den Schalter eingelassenen Display und quittierte es mit einem Fingerdruck.

Die letzte Hürde war genommen.

»Ich danke Ihnen, Sir.« Der Beamte reichte ihm den Ausweis zurück. »Willkommen zu Hause!«

 

Jenny Luwalski wartete an der automatischen Tür auf ihn, die zum Empfangsbereich führte. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Geoff!« Sie umarmte ihn. »Und machen Sie sich nicht zu viele Sorgen. Alles wird gut! Ich spüre es – und glauben Sie mir, auf meinen Bauch ist Verlass!«

Jenny stemmte sich gegen den schwer beladenen Trolley und schob ihn durch die Tür. Hunderte von Menschen drängten sich im Empfangsbereich, sahen jedem Neuankömmling erwartungsvoll entgegen. Jemand in der Menge schrie schrill auf. Jenny erwiderte den Ruf, und wenige Augenblicke später versuchte die junge Frau, die beiden Eltern, vor denen sie vor Jahren geflohen war, gleichzeitig zu umarmen. Sie schluchzte haltlos.

Rhodan blieb vor der Tür stehen, sah sich um. Überall hoben Menschen selbst gemachte Schilder in die Höhe, um ihre Angehörigen zu begrüßen. Wo war ...? Im zweiten Anlauf sah er das Schild, das er suchte. Es war klein, kaum DIN-A4-groß, und zeigte ein Firmenlogo: »BSC Airport Shuttle Services«. Ein kleiner Mann in einer ausgewaschenen Firmenuniform hielt es hoch. Rhodan näherte sich ihm. Und zögerte. Der Mann hatte volles schwarzes Haar und eine breite Nase, die das ganze Gesicht bestimmte.

Der Mann hob die buschigen Augenbrauen, als er sein Zögern bemerkte, und ging auf ihn zu. »Geoff Seymour?«

»Ja.«

Der Mann blieb vor ihm stehen. »Ich bin der Fahrer, den Sie bestellt haben.«

Rhodan musterte den Mann. Sein Blick blieb an den Augen hängen. Sie waren grau, nicht blau, wie sie es eigentlich sein sollten, aber genau dieses Faktum bestätigte, dass er den Richtigen vor sich hatte. Sein Gegenüber war getarnt wie er selbst.

»Allan?«, fragte er.

»Genau. Allan Mercowitz. Zu Ihren Diensten, Sir!« Der Mann, der tatsächlich Allan D. Mercant hieß, zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Kommen Sie, Sir! Darf ich Ihnen Ihr Gepäck abnehmen?«

Allan Mercant führte Rhodan zu dem für Taxis und Shuttle-Dienste reservierten Parkplatz. Ein beiger Mini-Van mit dem Logo von BSC stand etwas abseits. Die Morgensonne hing inzwischen schräg am Himmel. Ein klarer Tag, aber Rhodan konnte sich nicht helfen. Es roch verbrannt.

Mercant entging es nicht. »Sie täuschen sich nicht, Sir. Es riecht verbrannt.«

Der kleine Mann setzte sich ans Steuer des Mini-Vans, Rhodan auf den Beifahrerplatz. Mercant fuhr los. Der Verkehr auf dem Gelände des Flughafens war dicht, aber als sie auf die Interstate nach Norden einbogen, nahm er rasch ab. Immer wieder passierten sie langsam fahrende Armeekonvois. Panzer auf Tiefladern, gepanzerte Fahrzeuge und – zu Rhodans Überraschung – von Zeit zu Zeit gewöhnliche Pick-up-Trucks, auf deren Ladeflächen man schwere Maschinengewehre verankert hatte.

»Die Verzweiflung auf Regierungsseite nimmt zu«, bemerkte Mercant. »Präsident Drummond hat vor drei Stunden den Ausnahmezustand ausgerufen. In den meisten Großstädten sind Unruhen ausgebrochen.«

»Was ist mit Manhattan?«

»Schwer zu sagen. Ich bekomme keine Nachrichten herein. Das Netz ist tot.«

»Was vermuten Sie?«

»Es wird gekämpft. Es gibt viele Leute, die noch eine Rechnung mit Wall Street offen haben.«

Mercant bremste ab, als vor ihnen ein Checkpoint auftauchte. Der ehemalige Geheimdienstler fuhr langsam an die Sperre. Ein Polizist, er trug Körperpanzer, richtete einen Scanner auf das Nummernschild und winkte den Mini-Van durch.

Mercant beschleunigte. »Wie war Ihr Flug?«

»Ich habe mehr über zeitgemäßes Modedesign und das Nachtleben in Doha erfahren, als ich je zu hoffen gewagt habe.« Rhodan zuckte die Achseln. »Ansonsten viel angespannte Langeweile. Der Flug wurde mehrmals umgeleitet.«

»Die Regierung hat Teile des Luftraums sperren müssen. Über Los Angeles sind drei Verkehrsflugzeuge heruntergeholt worden, nachdem Aufständische ein Depot mit schultergestützten Boden-Luft-Raketen gestürmt haben.«

»Was?« Rhodan ruckte hoch. »Wozu das?«

»Keine Ahnung. Aber die Welt ist voller Verrückter. Und in Zeiten wie diesen kriechen sie aus ihren Löchern. Zeit, dass das hier bald vorbei ist.«

»Was ist mit den anderen?«

»Anne Sloane ist bereits im Stützpunkt und befindet sich in den Händen des Meisters. John Marshall und Sid González sollten in diesem Moment in Newark eintreffen ...« Mercant wischte über den Pod, den er am Armaturenbrett befestigt hatte. »Ich sehe, ihr Flug ist verfrüht eingetroffen. Sie haben eben die Einreisekontrollen passiert. Meine Leute haben Kontakt mit ihnen. Sie sind auf dem Weg.«

»Gut.« Rhodan war aufrichtig erleichtert. John Marshall hatte er in den letzten Tagen rasch als ruhig und zuverlässig schätzen gelernt. Sid dagegen ... Buchstäblich Tausende von Menschen standen in der Schuld des Jungen. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte die vom chinesischen Geheimdienst unter dem Energieschirm in der Gobi platzierte Atombombe zahllose Leben gekostet. Aber Sid hatte die Explosion selbst nur mit nackter Not überlebt – und das hitzige Temperament des Jungen war unberechenbar. Dennoch brauchten sie Sid. Der Junge allein war es, der aus ihrem aberwitzigen Plan einen verwegenen machte.

»Was ist mit Thora?«, fragte Rhodan.

Thora da Zoltral, die Arkonidin, war der zweite wunde Punkt ihres Plans. Sie musste sich als Menschen ausgeben, die Sicherheitskontrollen passieren, musste vorgeben, eine gewöhnliche Amerikanerin zu sein, die in der Stunde der Not nach Hause eilte.

Konnte es Thora gelingen?

Und: Konnten sie Thora vertrauen?

Rhodan hoffte es. Es musste so sein. Rhodan und seine Kameraden, all jene Menschen, die sich der Idee von Terra, dem Traum einer geeinten Menschheit, verschrieben hatten, Thora und ihr arkonidischer Mentor Crest da Zoltral – sie alle saßen im selben Boot. Sie würden die Menschheit einen und zu den Sternen vorstoßen – oder sie gingen gemeinsam unter ...

Die Menschen brauchten Thora. Und Thora brauchte die Menschen, brauchte Rhodan. Doch die Arkonidin, das hatte Rhodan schon mehr als einmal erfahren müssen, hatte ihren eigenen Kopf.

Doch genau diesen Kopf brauchten sie. Ohne Thora war ihr Plan unmöglich.

Mercant wischte über den Pod, rief Flugdaten ab. »Thoras Flug nach Albany ist pünktlich. Vier meiner besten Leute holen sie ab.«

»Bestens.« Rhodan lehnte sich zurück. Etwas von der Anspannung fiel von ihm ab. Die erste Hürde war geschafft. Ihr Team hatte unerkannt die Vereinigten Staaten erreicht.

Die beiden Männer schwiegen. Rhodan nutzte die Gelegenheit, sich Allan Mercant genauer anzusehen. Mercant war in Nevada Fields stationiert gewesen, als er mit der STARDUST zum Mond aufgebrochen war. Ein in die Jahre gekommener Agent des Ministeriums für Homeland Security. Einer von vielen, ein Gesicht unter Zehntausenden im Raumfahrtzentrum der NASA. Mercant hatte die Seiten gewechselt, noch bevor überhaupt klar war, dass es eine Seite gab, auf die man hatte wechseln können. Man sagte ihm ein unheimlich anmutendes Gespür für die Zukunft nach.

»Waren Sie am 11. September 2001 in New York, Rhodan?«, brach Mercant die Stille.

»Nein. Und selbst wenn, hätte ich nicht viel mitbekommen. Ich war damals zwei. Was ist mit Ihnen?«

»Anfang dreißig. Ich bin ein alter Mann.«

»Sie waren in New York?«

Mercant schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe ferngesehen wie alle anderen. Aber das hat genügt. Am nächsten Tag habe ich mich zur Armee gemeldet.«

»Sie waren Soldat? Das wusste ich nicht.«

»War ich auch nicht.« Mercant machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie haben mich nicht genommen. Zu alt. Wieder nicht.« Er lachte leise. »Ich hatte es mit achtzehn schon einmal versucht. Damals war ich der Armee zu klein gewesen. Nun, es stellte sich heraus, dass Homeland Security nicht so wählerisch ist. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.«

»Sie bereuen Ihre Wahl?«

»Sie bereuen Ihre?«

Die Gegenfrage Mercants traf Rhodan unvorbereitet. Er suchte nach einer Antwort. Der ehemalige Agent winkte ab. »Lassen Sie es gut sein. Die Frage war unfair. Wir sind alle nur Menschen. Wir müssen das tun, was uns unser Gewissen befiehlt.«

Mercant konzentrierte sich auf die Steuerung, als sie einen weiteren Militärkonvoi passierten. Tieflader mit Pionierpanzern. Die überbreiten Fahrzeuge ließen nur einen schmalen Überholstreifen frei. Als der Konvoi hinter ihnen zurückblieb, schälten sich am Horizont die Flanken von bewaldeten Hügeln aus dem Dunst. Die Catskill Mountains. Rhodan hatte dort, in einem Camp an einem See, die Sommer seiner Schulzeit verbracht. Er erinnerte sich, wie er sich in klaren Nächten mit seinem Schlafsack und seiner Matte hinter die Hütte seiner Gruppe geschlichen hatte. Er hatte zu den Sternen sehen wollen. Weshalb, hatte er sich nicht erklären können.

»Wir sind gleich da.«

Mercant setzte den Blinker und verließ die Interstate. Ein Industriegebiet zog sich entlang eines vierspurigen Stripway nach Westen. Es war aufgegeben, ein Opfer der rapiden Deindustrialisierung der vergangenen Jahre. Der Stripway verengte sich auf zwei Fahrbahnen. Sie passierten ein letztes Gebäude, einen ehemaligen Fast-Food-Drive-in. Einige Minuten lang säumten verwilderte Felder die Straße, dann tauchte zur Rechten ein breiter Betonstreifen auf, übersäht mit breiten schwarzen Bremsspuren.

Sie stammten von Flugzeugen.

Ein dreistöckiger Turm, der aus einer Ansammlung windschiefer Hangars ragte, markierte das Flugfeld. Mercant stoppte den Mini-Van ab. Ein nur noch an einer einzigen Befestigung baumelndes Schild verriet Rhodan, wie der Ort hieß: »Vickers Airstrip«. Eines von Tausenden Flugfeldern in den Vereinigten Staaten, denen der Höhenflug des Ölpreises in den letzten Jahren den Garaus gemacht hatte. Die verbliebenen lagen brach, seit Präsident Drummond vor einigen Tagen per Dekret den privaten Flugverkehr bis auf Weiteres untersagt hatte.

»Kommen Sie, Rhodan. Unser Flug wartet!« Mercant stieg aus und ging zu einem der Hangars. Rhodan folgte ihm. Den Koffer Geoff Seymours ließ er zurück. Er würde ihn nicht mehr brauchen.

Mercant stieß eines der Hangartore auf. Es glitt lautlos zur Seite. Jemand musste es kürzlich geschmiert haben.

Rhodan trat an das offene Tor. Im Halbdunkel des Hangars zeichnete sich der Umriss eines Hubschraubers ab. Mercant ging an die Seitenwand, drückte einige Knöpfe. Scheinwerfer leuchteten auf, tauchten den Hangar in grelles Kunstlicht.

Der ehemalige Testpilot Rhodan erkannte den Typ des Hubschraubers augenblicklich. Ein Sikorsky UH-60. Als Black Hawk bis vor einigen Jahren Arbeitspferd der U.S. Air Force. Doch dieser Hubschrauber war kein gewöhnliches Modell. Der Rumpf war dunkelgrün lackiert. Eine doppelte weiße Linie zog sich horizontal entlang des Rumpfs. Die Fläche oberhalb des Cockpits war weiß. Eine amerikanische Flagge zierte die Turbine unterhalb der Rotorblätter. Hinter der Passagierkabine, auf dem Leitwerksträger, stand in großen Buchstaben »United States of America«.

»Marine One, der Hubschrauber des Präsidenten.« Mercant war neben Rhodan getreten. »Eine perfekte Replica – für unsere perfekte Replica des Präsidenten!«

2.

25. Juli 2036

Reginald Bull

 

Fassade!, hatte Reginald Bull seiner Frustration Luft gemacht, bevor Perry Rhodan in das Land aufgebrochen war, das nicht mehr länger ihre Heimat war. Das ist hier alles Fassade. Wir sind Fassade!

Jetzt, da er sich im zentralen Lift dem Dach des Stardust Towers entgegenarbeitete, bestätigten ihn die brennenden Muskeln seiner Oberarme. Er verrichtete primitive Handarbeit – während ihn arkonidische Hightech buchstäblich einhüllte.

Ein Liftschacht reichte vom ersten Stock bis zur Spitze des höchsten Gebäudes von Terrania. Ein Antigravlift ohne Kabinen. Beispiellos auf der Erde und zugleich eine Mutprobe. Ein unsichtbares Energiefeld erzeugte im Schacht Schwerelosigkeit. Vertraute man sich ihm an, schwebte man.

Leider aber nicht mehr. Die Polung, die halbseitig einen leichten Aufwärts- beziehungsweise Abwärtszug bewirken sollte, funktionierte nicht. Weshalb, konnten weder die arkonidischen Bauroboter noch Thora oder Crest erklären. Sie waren sich allerdings einig, dass man sich dem Feld bedenkenlos anvertrauen könne.

Bull vertraute ihnen, zumindest in dieser Hinsicht. Nur: Was nützte es, hilflos in der Luft zu zappeln? Reginald Bull, der Tüftler, hatte schließlich Abhilfe ersonnen. Abschleppseile. Die chinesische Belagerungsarmee hatte Tausende von Fahrzeugen um den Landeplatz der STARDUST herum zurückgelassen, jedes von ihnen mit Abschleppseil ausgerüstet. Bull hatte einen Teil davon einsammeln, miteinander verbinden und an einem Stahlgerüst an der Spitze des Schachts anbringen lassen.

An den Seilen konnte man sich nach oben oder unten ziehen. Mit etwas Übung – und die stellte sich für Bull, der von morgens bis abends im Stardust Tower unterwegs war, unvermeidlich ein – genügte ein gut gezielter Zug, um zwei oder drei Stockwerke zu klettern. Dann hatte der Luftwiderstand den Schwung aufgezehrt.

Bei derzeit 34 Stockwerken – der Turm wuchs täglich um eine weitere Etage – genügten Bull morgens meist elf Züge, um die Höhe zu überwinden. Nachmittags, wenn seine Kräfte zu erlahmen begannen, stieg ihre Zahl auf fünfzehn oder mehr.

An diesem Nachmittag genügten ihm neun.

Die trockene Sommerhitze der Gobi erwartete ihn auf dem Dach. Die Sonne stand hoch am Himmel, brannte auf jedem Flecken ungeschützter Haut. Nachts, wenn die Temperaturen fielen, prickelte sie auf derselben Haut. Es gab geeignetere Orte auf der Erde, um eine Stadt zu gründen. Oder, wie Bull einmal verzweifelt ausgestoßen hatte: »Großer Gott, was haben wir in unserem früheren Leben nur angestellt, dass wir hier am Hintern der Welt landen mussten!«

Doch es war zu spät. Hier war der Ort, an dem sie ihre Träume wahr machen – oder sterben würden.

Bull erreichte das Gerüst, an dem die Seile angebracht waren, fasste nach einer Strebe und stieß sich zur Seite ab. Er glitt waagrecht durch die Luft, bis unvermittelt die Schwere der Erde einsetzte und ihn auf das Dach holte. Bull kam mühelos auf. Die Jahre als Testpilot und später als Astronaut hatten ihm einen weit überdurchschnittlichen Gleichgewichtssinn beschert.

Am Rand des Dachs stand ein Mann, links und rechts von einer hüfthohen Wand von Displays eingekreist. Sie zeigten Standbilder, Nachrichten-Streams aus allen Teilen der Erde.

Der Mann wandte Bull den Rücken zu. Er war klein, reichte Bull, der für einen Amerikaner eher klein gewachsen war, kaum über die Brust. Sein dichtes schwarzes Haar war kurz geschoren wie das Bulls. Doch im Gegensatz zu Bull, dessen rote Borsten buchstäblich seine Widerborstigkeit verkörperten, wirkte es bei dem Mann streng. Militärisch.

Und das war etwas, das Bull nicht ausstehen konnte.

»Sie trauern alten Zeiten nach, General?«, fragte der ehemalige Astronaut laut und trat hinter den Mann.

Bai Jun wandte sich langsam um. Der Chinese wirkte, verglichen mit dem stämmigen Bull, dünn und zerbrechlich. Er trug weiter die Uniform der Volksbefreiungsarmee, doch ohne Insignien und Rangabzeichen.

»Der Titel ist überholt, Mr Bull«, antwortete er in akzentfreiem Englisch. Sein Tonfall war beiläufig, als weise er sein Gegenüber auf einen nebensächlichen Aussprachefehler hin.

»Ja? Täusche ich mich, oder lag in Ihrem Blick nicht eine gewisse Sehnsucht?« Bull wies auf den Hügel, der sich in der Nähe der Stadt aus der Ebene aus Sand und Geröll erhob. Linien zogen sich über seine Flanken und den Gipfel, die Reste von Wegen, Schützengräben und Behausungen, die die chinesische Armee dort angelegt hatte. Auf den Befehl Bai Juns, der die in der Gobi gelandete STARDUST belagert hatte. Der alles darangesetzt hatte, Bulls Kopf und die seiner Kameraden dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas auf einem Tablett zu präsentieren.

Der Feldherr Bai Jun hatte auf dem Gipfel sein Zelt aufgeschlagen, um auf die Belagerten hinabzusehen.

»Und was, wenn es so wäre?«, fragte der Chinese. »Was, wenn ich in meinem Herzen Sehnsucht tragen würde? Wäre es ein Verbrechen? Ich habe mich von meiner früheren Existenz gelöst. Aber das ist kein Grund, frühere Entscheidungen zu verteufeln. Wir sind erwachsene Menschen. Jeder von uns hatte ein Vorleben, nicht wahr, Systemadministrator Bull?«

Die Anspielung war offensichtlich. Reginald Bull hatte ein Leben lang den Vereinigten Staaten von Amerika gedient. Aus Überzeugung. Bis sie auf dem Mond auf die Arkoniden gestoßen waren und unvermittelt keine der alten, für unvergänglich erachteten Überzeugungen mehr gegolten hatten. Dem in Technik vernarrten Bull hatte der Anblick des arkonidischen Schiffs die Augen geöffnet. Eine stählerne Kugel von nahezu fünfhundert Metern Durchmesser. Eine stählerne, zwischen den Sternen fliegende Kugel. Unmöglich, aber real. Und Bull war Realist.

»Das ist richtig«, gestand der ehemalige Astronaut. Sein rasender Puls wollte sich nur langsam beruhigen. Der Zorn hielt die Frequenz hoch. »Ich frage mich nur, wie nachhaltig Ihr Gesinnungswechsel ist. Wieso, frage ich mich, sehe ich überall in der Stadt wieder Soldaten? Chinesische Soldaten? Wieso fahren wir mit chinesischen Fahrzeugen, essen aus chinesischen Essgeschirren und graben mit chinesischen Schaufeln?«

»Sie haben Vorurteile?«

»Nein, nur Augen im Kopf. Ich frage mich, ob Ihre Armee nicht doch noch den Kampf um Terrania gewonnen hat.«

»Sie sehen Gespenster.«

»Ja? Wieso haben Ihre Soldaten dann einen Ring um Terrania gebildet? Wieso haben sie Checkpoints an den Pisten eingerichtet?«

»Es sind unsere Soldaten, Mister Bull«, wies ihn Bai Jun zurecht. »Soldaten der Terranischen Union. Aber Ihre Fragen sind leicht zu beantworten: Wir benutzen die chinesische Ausrüstung, weil wir keine andere haben. Und wir bewachen unsere Grenzen, weil wir sonst wehrlos sind. Wir brauchen die Soldaten.«

»Wozu? Mir schien, dass es hier erheblich friedlicher zugeht, seit Terrania nicht mehr von Ihrer Armee eingekreist ist.«

»Für den Augenblick ja.«

Was ging in dem Chinesen vor? Bull, der viel auf sein Einfühlungsvermögen gab, rannte bei Bai Jun gegen eine Wand des Gleichmuts. Kannte dieser Mann keine Gefühle? Bai Jun mutete ihm fremder an als die Arkoniden Crest und Thora.

»Sparen Sie sich Ihren Zynismus«, wies er den ehemaligen General zurecht. »Sie wissen so gut wie ich, dass in diesen Augenblicken etwas Unvorstellbares geschieht: Menschen aus aller Welt brechen aus den alten Bahnen aus.«

»Was ich bereits getan habe«, beschied ihm Bai Jun. »Doch Menschen sind Menschen. Es wäre töricht, die Euphorie der ersten Tage überzubewerten. Die Truppen berichten mir von ersten Spannungen. Meist sind es nur Missverständnisse, die aus kulturellen Prägungen herrühren. Sensibilitäten im Umgang und Ähnliches. Aber wenn wir nicht aufpassen, werden die Spannungen in Streitigkeiten und Konfrontationen umschlagen.«

»Sie unterschätzen die Menschen. Sie sind mit guten Absichten nach Terrania gekommen.« Bull war heiß. Die ehemalige chinesische Armeeuniform, die er trug, zwickte. Sie war zu klein für den kräftigen Amerikaner.

»Daran habe ich keinen Zweifel. Aber wir alle kennen hehre Ideale, nicht? Wir halten an ihnen fest, bis unsere Mägen zu knurren beginnen. Und von diesem Punkt sind wir nicht mehr weit entfernt. Die Vorräte meiner ehemaligen Armee gehen zur Neige. Nachschub ist nur schwer zu bekommen, trotz der Bemühungen Ihres Homer G. Adams. Die Wüste wimmelt von desertierten Soldaten, ideologischen Eiferern und gewöhnlichen Kriminellen. Der Luftraum ist gesperrt, die loyalen Teile der chinesischen Luftwaffe kontrollieren ihn.«

»Und deshalb sperren Sie die Stadt ab?«

»Es muss sein. Wir wissen nicht, wie wir die Mäuler stopfen sollen, die bereits hier sind. Es wäre fahrlässig, noch weitere aufzunehmen. Außerdem müssen wir uns schützen. Nicht jeder hat erkannt, dass eine neue Zeit angebrochen ist. Es gibt auf der Erde noch Millionen Menschen, die an der alten Ordnung festhalten. Alles wird wieder wie früher, wenn es nur Terrania und die Arkoniden nicht mehr gibt, glauben sie. Meine Leute haben bereits zwei Bombenattentate vereitelt.«

Reginald Bull schwieg, blickte über die Wüste. Zwei Staubfahnen erhoben sich am Gipfel des ehemaligen Feldherrnhügels, wanderten rasch über die Flanke bis hinunter zur Ebene. Sie mussten von Fahrzeugen stammen. Bull kniff die Lider zusammen. Motorräder? Er konnte es nicht erkennen. Möglich war buchstäblich alles. Bull hatte in den letzten Tagen die abenteuerlichsten Konstruktionen gesehen. Menschen, die ihre alte Existenz hinter sich gelassen hatten, ihr Haus verkauft, ihre Ersparnisse eingesetzt hatten, um nach Terrania zu gelangen. Sie abzuweisen bedeutete, sie zu verraten. Verrat an ihren Träumen, an ihren Idealen.

Es war nicht recht.

Und doch hatte Bai Jun recht. Und das, musste sich Bull eingestehen, war vielleicht der eigentliche Kern seiner Wut.

»Mister Bull, ich kann Ihr Unbehagen nachvollziehen. Glauben Sie mir. Aber wir dürfen nicht blind für die Realitäten sein. Darf ich Ihnen eine Kostprobe geben?« Der Chinese machte eine Handbewegung, ohne eine Entgegnung Bulls abzuwarten.

Die Nachrichten-Streams auf den Displays erwachten zum Leben.

Panzer rollten durch die Straßen einer Stadt. Ein Amateur-Feed, mit einer Pod-Kamera aufgenommen. Bull kannte die Stadt nicht, aber sie musste in einer warmen Zone der Erde liegen. Palmen säumten die Straße. Menschen stellten sich den Panzern in den Weg. Sie waren unbewaffnet. Einige hatten aus einem Bettlaken die Flagge der Terranischen Union improvisiert: das Band der Milchstraße auf dunkelblauem Hintergrund. »Hört auf!«, riefen die Menschen. »Wir sind alle Terraner!«

Ein zweites Display zeigte einen offiziellen Stream. »Petersburg«, war auf einem Streifen am unteren Rand zu lesen. Hunderte von Menschen, aneinandergefesselt, wurden abtransportiert. »Verräter an Mutter Russland«, kommentierte ein Sprecher. »Sie werden ihre gerechte Strafe erhalten.«

Ein weiteres Display zeigte Aufnahmen, die von einer Drohne oder einem Hubschrauber stammen mussten. Ein Häusermeer bis an den Horizont, durchschnitten von Autobahnen. Autos, Häuser und Fabriken brannten. Dutzende von Rauchsäulen stiegen auf, der Wind trieb den Qualm zu einer Decke, die die Stadt erstickte. Auf einem Hügel über der Stadt stand ein Gebäudekomplex. Er erinnerte an eine Burg. Sie war schneeweiß. Bull kannte es, das Getty Center über Los Angeles. Er spürte einen Knoten im Magen. Er hatte Freunde in der Stadt.

»Die Bilder gleichen sich«, sagte Bai Jun. »Überall auf der Welt erheben sich die Menschen gegen ihre Regierungen.«

»Und sie werden sich durchsetzen«, fügte Bull hinzu.

»Ich hoffe es. Aber ich warne vor übertriebenem Optimismus. Die Kommunistische Partei hat mein Land für beinahe ein Jahrhundert regiert. Sie wankt im Augenblick, aber noch ist nicht ausgemacht, dass sie stürzt. Terrania ist lediglich ein Brückenkopf. Ein Symbol. Ein potenziell mächtiges Symbol. Aber Symbole allein werden uns auf die Dauer nicht genügen.«

»Und deshalb schicken Sie dieselben Soldaten aus, die noch vor wenigen Tagen alles darangesetzt haben, uns zu fangen oder sogar umzubringen?«

»Wen sonst? Terrania braucht eine Ordnung. Jetzt. Um eine neue Ordnung zu etablieren. Meine Soldaten sind erfahren und eingespielt. Wir können auf robuste Befehlsketten zurückgreifen.«

»Und wenn Ihre ach so zuverlässigen Soldaten beschließen, die Macht an sich zu reißen?«

»Wären wir wehrlos«, gestand der Chinese ohne Zögern ein. »Aber das werden sie nicht. Sie haben ihr Leben lang Gehorsam gelernt. Sie werden folgen, solange wir befehlen. Außerdem frage ich Sie, ob es eine Alternative gibt. Was wollen Sie sonst mit meinen Soldaten anfangen? Sie von der Gründung Terras ausschließen? Oder gar erschießen? Das kann nicht Ihr Ernst sein.«

»Der Gedanke würde mir nicht einmal im Schlaf kommen. Aber ...«

»Aber Sie trauen mir nicht«, vervollständigte Bai Jun den Satz. »Das ist es. Nicht?«

»Offen gestanden: nein.«

»Wieso? Wenn Sie schon meinen Worten nicht glauben, dann sollten meine Taten Sie überzeugen. Ich hatte die Gelegenheit, Sie zu töten. Ich habe die Gelegenheit verstreichen lassen. Ich habe die Seiten gewechselt, den Generalsekretär der Kommunistischen Partei festgenommen.«

»Und wieder freigelassen!«

»Es war das einzig Vernünftige. Was hätten wir mit ihm anfangen sollen? Einen Schauprozess inszenieren?«

»Nein!« War diesem Mann mit nichts beizukommen? Je mehr er auf den Chinesen eindrang, desto ruhiger schien er zu werden. Bull räusperte sich, sein Mund war ausgetrocknet. »Sie sind ein kluger Mann, Bai Jun«, sagte er mit aller Ruhe, die er aufbringen konnte, »ein gerissener Mann. Davon haben wir während der Belagerung mehr als eine Kostprobe erhalten. Und ich muss Ihnen eines lassen: Sie können mit Worten umgehen.«

»Was ist daran falsch?«

»Nichts. Aber was mich eigentlich interessiert, ist nicht, was Sie sagen, sondern was Sie denken. Geben Sie uns Einblick!«

»John Marshall. Der Telepath.« Bai Jun trat einen Schritt zurück. Bull konnte nicht umhin, sich eine gewisse Genugtuung einzugestehen.

»Ja. Sie haben John kennen gelernt. John ist ein Mann, der sehr hohe moralische Ansprüche an sich selbst stellt. Er würde seine Gabe niemals missbrauchen. Sie können ihm vertrauen.«

»Das tue ich. Ohne meine Zusammenarbeit mit Mister Marshall stünde an dieser Stelle keine Stadt, sondern es würde sich eine radioaktiv strahlende Einöde erstrecken. Haben Sie schon vergessen?«

»Nein, natürlich nicht. Aber damals stand Ihr eigenes Leben auf dem Spiel ...«

Bai Juns Augen verengten sich. »Sie verlangen von mir, dass ich mein Innerstes offenlege?«

»Ich bitte Sie darum. Sobald Marshall von seiner gegenwärtigen Mission zurückgekehrt ist.«

»Und was geschieht, wenn ich mich weigere?«

»Ich hoffe, dass Sie ein Einsehen haben. Es steht zu viel auf dem Spiel. Ich muss sicher sein, dass ich Ihnen vertrauen kann.«

Bai Jun wandte sich ab, sah eine Zeit lang schweigend zu dem Hügel, von dem aus er die Belagerung der STARDUST befehligt hatte. Bull drang nicht weiter auf den ehemaligen General ein. Er spürte, dass es nichts genützt hätte.

»Also gut«, sagte Bai Jun schließlich und drehte sich wieder zu Bull. Seine Stimme war leise, entschlossen. »Sie wollen wissen, wie ich ›ticke‹, wie Sie Amerikaner sagen. Sie vertrauen mir nicht – das ist mir vertraut.« Er machte einen Schritt auf Bull zu, reckte den Kopf nach vorne. »Sehen Sie mir ins Gesicht! Was sehen Sie?«

Worauf wollte Bai Jun hinaus? »Einen Menschen«, sagte er vorsichtig.

»Richtig. Einen gewöhnlichen Menschen. Was noch?«

Bull starrte seinem Gegenüber ins Gesicht, versuchte irgendetwas Ungewöhnliches zu erkennen. Eine Narbe vielleicht? Aber da war nichts. »Worauf wollen Sie hinaus, Bai Jun?«

»Wie würden Sie die Form meiner Augen beschreiben?«

»Ich ...«

»Sprechen Sie es nur aus. Hier geht es nicht um politische Korrektheit.«

»Also gut ... geschlitzt?«

»Richtig. Im Vergleich zu Ihren, Mister Bull.« Der ehemalige General blinzelte. »Rufen Sie sich jetzt die Augen meiner Offiziere und Soldaten ins Gedächtnis. Sie haben in den letzten Tagen Hunderte von ihnen gesehen. Fällt Ihnen etwas auf?«

Bull dachte nach. »Sie sind weniger geschlitzt, nicht? Sie könnten beinahe zu einem Europäer gehören.«

Bai Jun nickte.

»Und?« Bull machte eine wegwerfende Handbewegung. »Was hat das schon zu bedeuten?«

»Für mich? Alles. Mein Vater ist Han-Chinese, meine Mutter Uigurin. Es steht in meinem Gesicht geschrieben. Mein Leben lang habe ich zu China gehört, mein Leben lang hat man an meiner Loyalität gezweifelt. Ein Leben lang war meine Loyalität unerschütterlich. Verstehen Sie?« Tränen standen Bai Jun in den Augen.

Bull erkannte, dass sein Gegenüber die Wahrheit sagte. Der Schmerz war aufrichtig. Bulls Wut verflog augenblicklich. »Ich glaube, ja. Ich ...«

Bai Jun griff mit einer Hand in die Brusttasche seiner Uniform und zog einen Streifen Stoff heraus. Er hielt ihn Bull hin. Es war eine amerikanische Flagge, wie er und seine Kameraden von der STARDUST sie bis vor einigen Tagen an ihren Raumanzügen und Uniformen getragen hatten. Herunterhängende Fäden zeigten, dass die Flagge mit Gewalt abgerissen worden war.

»Am Tag, als ich in die Gobi kam«, sagte der ehemalige General, »habe ich diese Flagge gefunden. Dort drüben, auf dem Hügel. Im Sand. Achtlos weggeworfen. Von Perry Rhodan, wie sich rasch herausstellte. Ich habe sie an mich genommen.«

»Um sie kurz darauf vor Perry wieder in den Sand zu werfen!«

»Es war nötig in der Situation. Ich habe die Flagge wieder aufgehoben und behalten. Wollen Sie wissen, warum? Weil sie mir mehr über Sie und Perry Rhodan verrät als alle Geheimdienst-Dossiers. Sie hat mich zum Nachdenken angeregt. Und als der Moment gekommen war, habe ich es Rhodan gleichgetan.« Bai Jun griff ein zweites Mal in die Tasche. Als seine Finger wieder zum Vorschein kamen, hielten sie eine chinesische Flagge. In der Größe der amerikanischen, ebenfalls von einer Uniform gerissen. »Seit diesem Tag trage ich beide Flaggen am Herzen. Damit ich niemals vergesse, welche Irrwege ich einst beschritten habe. Auf dass ich niemals wieder in meinem Leben irren werde.«

»Ich ... ich ...« Bull brach ab. Er hatte diesem Mann unrecht getan. Er war ein Mensch wie er. Mit Gefühlen wie er. Er tat sein Bestes. Wie er. »Bai Jun, ich möchte mich bei Ihnen ...«

»Lassen Sie es gut sein. Sie sind nicht der Erste, der sich in mir getäuscht hätte.« Bai Jun strich die beiden Flaggen glatt und verstaute sie behutsam wieder in der Brusttasche. »Kommen wir zum Geschäft, ja? Was hat Sie zu mir geführt, Mister Bull?«

Der ehemalige General öffnete ihm eine Tür, um das Gesicht zu wahren. Bull schritt durch sie. »Adams«, sagte er. »Ich suche unser Finanzgenie. Man hat mir gesagt, er sei bei Ihnen.«

»Er ist bereits weiter, hinunter in die Stadt.«

»Was will er dort?«

Bai Jun spitzte geheimnisvoll die Lippen. »Oh, nur sich einen Wunsch erfüllen, von dem er nie geglaubt hätte, dass er jemals in Erfüllung gehen könnte ...«

3.

25. Juli 2036

Julian Tifflor

 

Nach sieben Tagen Wüste war es so weit: Terrania lag vor ihnen.

Julian Tifflor überprüfte ihre Position mit einem Blick auf den am Lenker angebrachten Pod. Er musste den Kopf senken und von einem schrägen Winkel darauf sehen. Der Wüstensand hatte das Display milchig gerieben, ließ ihn nur mit Mühe die Anzeige erkennen. Ein Ticker-Band lief am unteren Rand über das Display. »Suche: ›William Tifflor‹. Keine Treffer«, zeigte es an.

Julian wischte das Ticker-Band mit der behandschuhten Hand weg. Er stoppte die schwere Bullet auf einem flachen Abschnitt kurz vor dem Gipfel des Hügels und wartete auf Mildred Orsons.

Die Wüste Gobi bekam ihrer Maschine nicht. Seit dem Vortag lief der Motor nur noch mit gedrosselter Leistung. Aber immerhin, er lief.

Mildred holte ihn ein, und gemeinsam erreichten sie den Gipfel des Hügels.

Sie hielten an.

Zu ihren Füßen, am Rand einer Ebene, die sich am vor Hitze flimmernden Horizont verlor, lag eine Stadt, wie sie es noch nie in der Geschichte der Menschheit gegeben hatte. Eine Stadt, die sich anschickte, die Geschicke der Menschheit unwiderruflich in neue Bahnen zu lenken.

Terrania war eine junge Stadt, keinen Monat alt. Eine kleine, überschaubare Stadt. Ihr Kern war ein Kreis mit einem Durchmesser von ungefähr einem Kilometer. Es war die Fläche, die der Energieschirm der Arkoniden bis vor wenigen Tagen abgedeckt hatte. Er hatte den amerikanischen Astronauten Perry Rhodan und seine Kameraden sowie den Arkoniden Crest da Zoltral vor den Angriffen der chinesischen Armee geschützt.

Dieser Perry Rhodan, der zum Verräter an seinem Land geworden war, hatte Terrania gegründet. Als Tor zu den Sternen, als Hauptstadt einer neuen Menschheit, die die Fesseln ihrer irdischen Herkunft abschütteln sollte. Eine Stadt für Menschen, doch nicht von Menschenhand. Arkonidische Roboter hatten sie errichtet. Die autonomen Maschinen hatten den Sand und das Geröll der Gobi verwandelt.

Verwandelt wozu?

Es war schwer zu sagen. Julian Tifflor mutete es an, als blicke er auf die ins Vielfache vergrößerte Haut eines Krokodils. Die eng aneinandergeschmiegten Gebäude waren wie Schuppen, erhoben sich zu Hügeln und senkten sich zu Tälern. Als wäre diese Stadt nicht erbaut worden, sondern aus dem Boden der Wüste gewachsen. Ihre Häuser waren unscheinbar, die höchsten schätzte Julian auf zehn, vielleicht ein Dutzend Stockwerke.

Und aus ihrer Mitte wuchs eine Nadel in den Himmel, die Julian Tifflor an eine Rakete erinnerte.

Bereit, zu den Sternen vorzustoßen.

»Genug gestaunt, Herr Raumkadett?«, fragte Mildred spitzbübisch.

Sie liebte es, ihn mit seinen Träumen von den Sternen aufzuziehen. Es hätte ihn ärgern sollen, doch seltsamerweise zog es Julian nur noch mehr zu ihr hin. Mildred war anders als alle anderen Frauen, die er bisher getroffen hatte. Freunde nannten Julian oft einen Frauenhelden. Er bestritt es, doch unbestreitbar war, dass er immer eine Schleppe von Frauen hinter sich herzog, die alles taten, um ihm zu gefallen – und die ihn gleichzeitig unendlich langweilten.

Mit Mildred war es nie langweilig.

»Ich schätze, ja, Milly«, antwortete Julian.

»Pass auf, was du sagst! Du machst mich wütend.« Es gab eines in der Welt, was Mildred Orsons nicht ausstehen konnte: wenn man sie »Milly« nannte.

»Und wennschon?«

»Dann musst du eben sehen, wie du allein klarkommst.« Der Motor ihrer Bullet heulte auf. Julian Tifflor fand sich in eine Staubwolke gehüllt. Als sich der Sand wieder legte und sein Husten nachließ, sah er, dass Mildred bereits auf halber Höhe war. Sie fuhr den direkten Weg, ignorierte die Piste, die in Serpentinen nach Terrania führte. Sie musste vom chinesischen Militär angelegt worden sein.

Julian folgte der Piste. Mildred war die bessere Abfahrerin. Versuchte er, mit ihr gleichzuziehen, handelte er sich lediglich die Chance ein, sich in Sichtweite Terranias das Genick zu brechen.

Kurz vor der Stadt holte er Mildred ein. Kopf an Kopf rasten sie über die Piste, Terrania entgegen. Julian hätte Mildred überholen können, ihr stockender Motor hätte es ihm leicht gemacht. Aber er ließ es sein. Gemeinsam hatten sie die Wüste durchquert, gemeinsam würden sie ihr Ziel erreichen.

Doch der Weg war versperrt. Zwei gepanzerte Fahrzeuge standen links und rechts von der Piste. Zwischen den Fahrzeugen standen Soldaten mit Maschinenpistolen. Einer hob seine Waffe, feuerte eine warnende Salve in die Luft.

Sie bremsten ab, fuhren langsam an die Sperre und hielten an. Sie nahmen die Helme ab. Julian zählte knapp zwei Dutzend Soldaten. Chinesen. Sie trugen Uniformen der Volksbefreiungsarmee, aber ohne Rangabzeichen und nationale Insignien. Stattdessen trugen die Soldaten blaue Armbinden, darüber weiße Punkte verstreut. Julian erkannte darin sofort das Band der Milchstraße. Es war die Flagge der Terranischen Union.

Ein Soldat trat auf sie zu. »Wohin ihr wollt?«, fragte er in unbeholfenem Englisch.

»Wohin wohl?«, antwortete Julian. »Nach Terrania natürlich.«

»Terrania voll ist. Geht!«

»Was sagst du da? Terrania ist frei! Rhodan hat uns gerufen! Er hat alle Menschen der Erde gerufen! Wer seid ihr, dass ihr ...«

»Ich fasse es nicht!«, rief eine Stimme. »Royal Enfield Bullets!« Ein weiterer Mann kam auf sie zu. In ehemaliger Uniform, aber kein Chinese. Er war braun gebrannt, hatte schwarze Haare und dichte Brusthaare, die aus dem lässig aufgeknöpften Hemd quollen. Ein Aufreißer an einem Strand, hätte Julian Tifflor ihn eingeordnet, wenn da nicht das Datenvisier gewesen wäre, das die obere Hälfte seines Gesichts verdeckte.

Der Braungebrannte ging neben der Maschine Tifflors in die Knie, um sie aus nächster Nähe zu betrachten. »Wo habt ihr die her?«

»Ulan-Bator«, antwortete Mildred.

Der Braungebrannte stand auf, ging langsam um die Maschinen herum. Die Sonne glitzerte auf seinem Visier. Julian Tifflor sah sein eigenes Spiegelbild: ein Jungengesicht, trotz des Staubs der Gobi, der seinen Weg in den Helm gefunden hatte und an ihm klebte, trotz des spärlichen Barts, der ihm in den vergangenen Tagen gewachsen war. Die Schutzbrille, die er zusätzlich zum Helm trug, hatte weiße Ränder um seine Augen ausgespart, ließ seine Augen größer wirken, als gehörten sie einer Manga-Figur. Seine Träumer-Augen, wie Mildred sie immer nannte.

»Aus indischen Armeebeständen ausgemustert«, sagte der Braungebrannte mehr zu sich selbst als an Julian und Mildred gerichtet. »Oder erbeutet.« Er streckte eine Hand aus, streichelte über den Tank von Mildreds Maschine, als handele es sich um eine Katze. »Wie lange habt ihr gebraucht?«

»Sieben Tage.«

»Ihr habt Glück gehabt. In der Wüste rennen zurzeit eine Menge Verrückte herum. Nicht alle sind so nett wie die Jungs hier.«

»Die ›netten Jungs‹ haben uns mit einer Salve begrüßt«, warf Mildred ein. Sie mochte es nicht, wenn ihr irgendwer vorschrieb, was sie zu tun oder zu lassen hatte.

»Alte Gewohnheiten. Wird sich geben.« Der Braungebrannte zuckte die Achseln. »Dein Motor will nicht mehr so recht, was?« Er klappte das Visier hoch, um den stotternden Motor von Mildreds Bullet genauer zu beäugen. Sein linkes Auge fehlte. Ein Metallsockel steckte in der Augenhöhle, darin war ein künstlicher Augapfel eingebettet.

»Was ist mit dir passiert?«, fragte Mildred.

»Ach, das Auge ...« Der Braungebrannte sah nicht von dem Motorrad auf, als er es sagte. »Ein chinesischer Soldat hatte den Finger linientreu am Abzug, als der Energieschirm endlich fiel.« Er wischte mit dem Finger über einen Schlauch, befreite ihn von ölverschmiertem Sand. »Aber zum Glück sind die Chinesen gut ausgerüstet. Sie haben Leute mitgebracht, die wissen, wie man ein weggeschossenes Auge ersetzt.« Er schnüffelte an dem Schmutz auf dem Finger und stand auf. »Ist besser als das alte. Reicht bis in das Infrarotspektrum. Und das ist nur chinesische Hightech. Bin gespannt, was ein arkonidisches Auge bringt ...«

»Was wird jetzt aus uns?«, fragte Julian. »Wir ...«