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© Piper Verlag GmbH, München 2019
Covergestaltung: Guter Punkt, München
Coverabbildung: Uwe Jarling
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Als die Druckwelle mich erfasst und quer über die Straße schleudert, drängt sich mir der Gedanke auf, dass ich das diesmal womöglich nicht überlebe. Gut, die langen Finger habe ich gemacht, aber mit den Schüssen habe ich nichts zu tun. Irgendwie finde ich das ungerecht.
Ein heißer Atem scheint mir den Nacken verbrennen zu wollen, für einen Moment dreht sich die Welt um mich, als ich herumgewirbelt und hart gegen den Stand auf der anderen Straßenseite geschleudert werde.
Hastig rappele ich mich auf. Theran, dieses alte verbissene Arschloch, nimmt Anstoß daran, dass ich gegen seinen Stand geprallt bin, und hilft mir mit auserwählten Flüchen auf den Weg, indem er seinen übergroßen Stiefel mit Schwung in meinem Hinterteil deponiert und mich auf diese Weise direkt zwischen die Räder eines Lasters schleudert.
Viel Platz oder Zeit lässt mir das nicht, die Hinterräder kommen schnell näher, und ich bin den Göttern dankbar dafür, dass Mendez mir vor einigen Monaten diesen Trick gezeigt hat, der mir erlaubt, den Wartungsdeckel zum Logistikschacht so schnell aufspringen zu lassen, dass ich mich mit einem Hechtsprung in die Tiefe retten kann, während über mir die Hinterräder des Lasters bereits über den Wartungsdeckel rollen. Die Wucht lässt ihn so schnell zuschnappen, dass der Saum meines linken Hosenbeins zwischen Schachtrand und Deckel eingeklemmt wird.
Ich trage, wie die meisten Plebs hier in Eltyr, einen Overall aus Cattosyn. Irgendwo im weiten Universum muss es eine Fabrik geben, die diese Overalls in Massen herstellt, die in die Millionen gehen. Es gibt sie in allen möglichen Varianten und Farben, von maßgeschneidert, mit eingebauten Assistenz- und Survival-Systemen, bis billig, genannt Basic, in Grau, form- und farblos und mit nur acht Taschen.
Ist es notwendig zu erwähnen, dass mein Overall die Basic-Variante ist?
Wenn man acht Credits besitzt, kann man einen dieser Overalls aus einem Spender ziehen, für vier weitere Credits gibt es noch die Bordschuhe dazu, Basisgrau in Basisgrau, farblich elegant und modisch auf den Overall abgestimmt. Doch ein Cattosyn-Overall, ob nun teuer oder billig, besteht, wie der Name schon sagt, aus Cattosyn – und das Zeug ist so gut wie unverwüstlich. Wasserfest, atmungsaktiv, selbstreinigend, feuerhemmend und vor allem: reißfest.
Letztere Eigenschaft rettet mir den Arsch: eingeklemmt zwischen Rand und Deckel des Wartungsschachts bremst der Overall meinen Fall gerade lange genug, dass ich die Steighilfen in der zementierten Schachtwand zu packen kriege.
Ich bin kopfüber in den Schacht gehechtet; vor die Wahl gestellt, mich entweder irgendwie in den Schacht zu retten oder von Rädern zerquetscht zu werden, war die Entscheidung nicht schwierig gewesen. Doch jetzt habe ich das Problem, dass die Schwerkraft immer siegt und der Rest meines Körpers noch immer fällt … was bedeutet, dass ich wie ein Pendel herumschwinge und mit ganzer Länge gegen die Schachtwand pralle.
Und dann kommen noch die Steighilfen zu meinen Problemen hinzu, die Steighilfen, die mich als einziges davor bewahren können, in den Schacht zu stürzen. Obwohl ich versuche, mich noch im Fallen abzuwenden, gräbt sich eine dieser Steighilfen unterhalb meiner linken Brust in meine Seite, eine andere erwische ich mit meiner linken Hüfte und die letzte mit meinem rechten Knie.
Der Aufprall treibt mir die Luft aus den Lungen, der Schmerz lässt mich bunte Lichter sehen, und irgendwo im Hintergrund erinnere ich mich an die Nacht vor vier oder fünf Monaten, als Mendez mir den Codeburst-Trick gezeigt hat.
Diese Dinge besitzen komplizierte biometrische Schlösser, deren Zweck es ist, Unbefugte wie mich oder Mendez von den Logistiktunneln fernzuhalten.
Die ganze Prozedur des Schlossöffnens braucht gut und gerne drei Minuten. Wartungstechniker sind faul, und es ist umständlich. Irgendwann fand wohl jemand heraus, dass, wenn man sein PulsPad auf die linke hintere Kante des Deckels legt und einen Codeburst sendet, der Magnetverschluss des Wartungsdeckels so schnell aufspringt, dass, sollte man dabei zufällig auf dem Deckel stehen, einfach hinwegkatapultiert wird. Man kann sich leicht die Knochen dabei brechen, aber was soll man anderes erwarten, wenn man sämtliche Sicherheitseinrichtungen mit einem kurzen Puls umgeht?
Ich bin Mendez jetzt dankbar, sonst wäre der Deckel nie schnell genug aufgesprungen, doch ich erinnere mich mit Grausen daran, wie Mendez und ich einen Stein in den offenen Schacht fallen ließen und dann zählten.
Wir hörten unseren Stein, wie er ab und zu gegen die Schachtwand prallte, aber irgendwann hörten wir ihn nicht mehr.
Es mit Steinen auszuprobieren ist das eine – selbst im freien Fall herauszufinden, wie tief der Schacht nun wirklich ist, das andere.
Ich habe nichts gegen etwas Abenteuer einzuwenden, und ich denke mir wenig dabei, an noch so winzigen Vorsprüngen Hauswände emporzuklettern, doch der Gedanke an den möglichen Freiflug in den Schacht hinab gibt mir irgendwie die Kraft, nicht ohnmächtig zu werden und mich trotz der übel stechenden Schmerzen in meinem rechten Knie festzuhalten. Der Stoff bleibt wenigstens lange genug zwischen Deckel und Schachtrand klemmen, bis ich meinen linken Fuß auf eine der Steighilfen setzen kann.
Damit kann ich mich jetzt zwingen, mit der linken Hand die Steighilfe loszulassen und mühsam meinen Gürtel zu öffnen. Der Gürtel ist zu groß für mich, ich habe mir schon vor Wochen vorgenommen, ihn zu kürzen, doch jetzt bin ich meiner eigenen Faulheit dankbar: Denn er ist gerade lang genug, um ihn durch eine der Steighilfen zu ziehen.
Erst als ich das leise Klicken höre, mit dem sich der Gürtel schließt, erlaube ich mir, erleichtert aufzuatmen. Was sich als Fehler erweist, da meine geschundene Rippe sich mit einem derart stechenden Schmerz meldet, dass ich davon erneut beinahe ohnmächtig werde.
Unter Schmerzen finde ich heraus, wie weit ich einatmen kann, bevor meine Rippe protestiert. Viel geht nicht, doch langsam und vorsichtig wie eine alte Frau finde ich eine Position auf der endlosen Reihe von Steighilfen, in der ich atmen kann und nicht Gefahr laufe, bei der kleinsten Bewegung in die unermessliche Tiefe zu stürzen.
Ich denke, dass ich mehr Glück gehabt habe als Verstand.
Jetzt, da ich hier in absoluter Dunkelheit in einem Schacht hänge, der sich scheinbar unendlich in die Tiefe erstreckt, bin ich sicher, dass ich soeben einen Anfall von geistiger Umnachtung erlitten haben muss.
Genzo hat darauf bestanden, dass ich gesteigerte Reflexe erhalte. Er nannte es unabdingbar für unseren Beruf. »Du weißt nicht«, sagte er mir damals mit diesem intensiven Blick, den er immer aufgesetzt hat, wenn er mir eine wichtige Weisheit des Lebens vermitteln wollte, »wann es dir den Arsch retten wird!«
Danke, Genzo. Jetzt weiß ich es. Heute. Aber ich setze es auf die Liste der Dinge, die ich garantiert nie wieder machen will.
Also gut. Wider Erwarten bin ich weder von einem Laster überfahren worden, noch habe ich den Freiflug in den Schacht angetreten. Dass ich noch lebe, kommt etwas unerwartet, aber ich will mich nicht beschweren.
Doch was jetzt?
Absolute Dunkelheit
Eltyr ist eine alte Stadt. Einmal habe ich einen Touristenführer gehört, der seiner Gruppe stolz davon berichtet hat, es gäbe Hinweise darauf, dass Eltyr zur Zeit der ersten Diaspora gegründet worden wäre. Das würde bedeuten, dass die Stadt fast fünfhundert Standard-Jahre alt sein müsste. So stolz, wie er davon berichtet hatte, hätte man leicht glauben können, dies wäre alleine sein Verdienst.
Möglicherweise stimmt die Geschichte sogar. Ich erinnere mich daran, wie Mendez’ Vater uns in einem dieser seltenen Momente, als er relativ nüchtern gewesen ist, erzählt hat, dass es im Untergrund der Stadt Dutzende von Schichten alter Bauwerke gibt. Angeblich sind ganze Stadtviertel und Straßenzüge im Lauf der Jahre durch ganz unterschiedliche Katastrophen verschüttet worden. Es gibt auch Gebiete, die einfach überbaut wurden, und es soll da unten sogar noch ganze Straßenzüge und Häuser geben, die aussehen, als wären ihre Bewohner nur kurz weggegangen.
Mindestens zweimal ist Karstein aus dem Orbit bombardiert worden. Vor zwei Jahren ist es mir gelungen, mich in eine Schulklasse zu mischen und mich so in das Historische Museum einzuschleichen. Eine meiner Charakterschwächen ist eine gewisse Neugierde, welche mich dazu verführt hat, mir die Aufzeichnung des ersten Bombardements anzusehen.
Die alte Aufzeichnung war nur knapp unter dreißig Sekunden lang, und der Anblick dessen, was passiert, wenn man kinetische Impaktwaffen auf eine Welt fallen lässt, hat mich noch lange in meinen Albträumen verfolgt.
Orbitale Bombardements, Brände, Erdbeben, andere Katastrophen, Eltyr hat sie alle überlebt. Der Hauptgrund dafür ist der Raumaufzug, der vierzig Kilometer vom Stadtzentrum entfernt im Hardenbergmassiv verankert ist. Ein Gebirge, das man von jedem hohen Haus in der Stadt aus sehen kann.
Der Berg ist so hoch, dass selbst im heißesten Sommer der Schnee auf seinem Gipfel nicht schmilzt. An einem klaren Tag kann man das feine Band sehen, das von der Zentralstation aus bis in den Himmel reicht.
Irgendwo hoch über unseren Köpfen, in neunzig Kilometer Höhe, findet dieses feine Band einen Ankerpunkt in einem Klotz aus Ferrozem, der eine Kantenlänge von zweihundert und elf Metern besitzt. Wie die Stadt selbst hat der Raumaufzug alle Katastrophen überstanden.
Ich besitze nicht die beste Bildung, doch ich weiß, dass es im gesamten Sektor nur drei weitere Planeten mit einem Raumaufzug gibt. Ich weiß auch, dass heute niemand mehr auch nur die geringste Ahnung hat, wie man das Material herstellt, aus dem das Band besteht. Ich habe es selbst einmal mit eigenen Augen gesehen. Vierundvierzig Meter breit, zwei Zentimeter dick, so schwarz, dass selbst ein Punktlaser keinen Lichtpunkt hinterlässt.
Soviel ich weiß, wurde die Orbitalstation schon dutzendfach zerstört und wieder und wieder neu aufgebaut. Andere Planeten haben Raumstationen, die kleinen Monden gleichen, doch ein Raumaufzug erlaubt es, große Mengen von Waren leicht, günstig und vor allem sicher in den Orbit zu bringen.
Solange es den Raumaufzug gibt, gibt es auch den Markt.
Es gibt eine Redewendung. Was es nicht in Eltyr gibt, gibt es nirgendwo. Es ist etwas Wahres dran. Es gibt auch ein anderes Sprichwort. Wo es einen Markt gibt, gibt es Diebe. Genzo nannte es ein Naturgesetz. Nicht alles, was Genzo so erzählte, sollte man glauben, doch zumindest hier hatte er wohl recht, denn Genzo war einer dieser Diebe und wusste also, wovon er sprach.
Genzo war es irgendwie gelungen, unabhängig zu bleiben. Er war ein Geist gewesen, einer dieser Leute, die imstande sind, unbemerkt die meisten Sicherheitssysteme zu durchdringen und nach angemessener Umverteilung fremden Eigentums ungesehen zu entkommen.
Sein – und damit auch später mein – Spezialgebiet waren die Hotels. Auf dem Markt von Eltyr drängen sich, ob tags, ob nachts, Tausende von Menschen. Nicht jeder dieser Menschen liest die Broschüren, die vor Dieben warnen.
Genzo fand diese Broschüren immer zum Lachen, seiner Meinung nach saßen die größten Diebe in den Geschäften am Markt und besaßen eine Lizenz zum Stehlen.
Vor allem in den Banken.
Obwohl er mich auch dazu ausgebildet hat, im Vorbeigehen unbedarfte Ziele um ihre Credsticks oder Beutel zu erleichtern, war in seinen Augen Taschendiebstahl das Dümmste, was man tun konnte.
Jeder weiß, dass es auf dem Markt Taschendiebe gibt. Die Marktsicherheit auch. Früher oder später finden sie jeden. Sie bekommen Prämien dafür. Wird ein Dieb erwischt, geht es meist nicht gut aus.
Es kommt zudem darauf an, wer einen erwischt.
Hat man das Pech, der Konzernsicherheit in die Arme zu laufen, deren Leute zumeist in Zivil herumlaufen und nicht so leicht zu erkennen sind wie die Marktsicherheit mit ihren Uniformen, machen sie meistens kurzen Prozess mit einem.
Der Konzern drückt eine Geldstrafe ab, zur Beseitigung des Körpers, nehme ich an, und das war es dann.
Erwischt einen die Marktsicherheit und leistet man keinen Widerstand, hat man gute Chancen zu überleben. Man wird gechipt und darf dann ein paar Jahre als Lohnsklave seine Schulden gegenüber der Gesellschaft abarbeiten. Man kann die armen Kerle an ihrem halbsenilen Lächeln erkennen und daran, dass sie mit ebendiesem Lächeln ohne aufzubegehren all die Scheißjobs erledigen, für die ein Robo zu teuer ist.
Angeblich hinterlässt es keine bleibenden Schäden, gechipt zu werden. Ich kenne ein oder zwei, die gechipt worden sind und ihre Zeit abgearbeitet haben, und sie sind kaum wiederzuerkennen. Neue gesetzestreue Bürger von Eltyr.
Genzo hielt nichts davon, gechipt zu werden. Er sah sich als Künstler. Ich höre ihn noch in meiner Erinnerung sagen: »Jeder glaubt, dass die Hurerei das älteste Gewerbe des Universums ist. Pah! In Wahrheit sind es die Schwindler, die Betrüger. Denk drüber nach, es ergibt Sinn, schließlich werden Weiber vor allem dann zu Huren, wenn man sie vorher um ihre Unschuld betrogen hat!«
Man kann Genzo vieles vorwerfen, aber nicht, dass er jemals eine gute Meinung vom anderen Geschlecht gehabt hätte.
»Merk dir, Sax, niemand betrügt so gut wie eine Frau. Sie lächelt dich an, hält in einer Hand deine Eier, während sie dir mit der anderen Hand den Credstick aus der Tasche zieht!«
Manchmal frage ich mich, ob er jemals verstanden hat, dass ich ein Mädchen bin und irgendwann erwachsen werden könnte.
Ich bin etwa zwei Jahre alt gewesen, als er mich gefunden hat; ich bin bis zu seinem Tod bei ihm geblieben, und in all diesen Jahren hat es dafür nicht das geringste Anzeichen gegeben.
Verdammt, ich vermisse den alten Gauner immer noch. Hätte ich auf ihn gehört, wäre mir die Hand nicht ausgerutscht, als ich an dem fetten alten Mann mit seiner Operettenuniform vorbeiging. Aber die Versuchung war zu groß gewesen. Er hat seine Brieftasche in der Hand gehabt, irgendetwas daraus seiner wie eine Handelsprinzessin gekleideten Begleitung gezeigt und steckte seine Brieftasche gerade wieder ein.
Irgendwie ist sie in meiner Hand gelandet, ich meine, wer verwendet heutzutage noch Brieftaschen? Jeder Depp kann sie einem stehlen. Klar sind sie gechipt, doch wen stört das, wenn man sie so leicht abschirmen kann?
Ich glaube noch nicht einmal, dass er bemerkt hat, was geschehen ist. Viel Zeit dazu hat er jedenfalls nicht gehabt, denn kaum hatte ich seine Brieftasche in der Hand, traf ihn auch schon die erste Kugel.
So gut kenne ich mich nicht mit diesen Dingen aus, aber ich weiß genug, um zu erkennen, dass es sich um eine großkalibrige Waffe gehandelt haben muss, mit der jemand aus einer höheren Position über große Entfernung geschossen hat.
Zwei Schüsse, einen für den Händler, einen für die Prinzessin. Beides Kopfschüsse. Leicht daran zu erkennen, weil zum einen Köpfe normalerweise nicht wie Melonen platzen und zum anderen beide Kugeln jeweils noch drei oder vier weitere Passanten durchschlagen haben, um dann beim Aufprall auf den Boden zu explodieren.
Man kann nicht erwarten, dass die Marktsicherheit auf solche Feinheiten achtet. Ihre erste Wahl ist es, bei solchen Vorkommnissen Schallgranaten zu werfen, anschließend das einzusammeln, was betäubt auf den Boden fällt, und dann erst Fragen zu stellen.
Schallgranaten senden Schallwellen in einer Frequenz und Stärke aus, dass es einem so übel wird, dass man am liebsten sterben möchte, während man gleichzeitig von einer namenlosen Angst erfasst wird, in der man kaum klar denken kann.
Gut, hier und da stirbt mal jemand, aber es ist das beliebteste Spielzeug der Marktsicherheit.
Irgendwie finde ich es fair. Wir versuchen zu entkommen, sie versuchen, uns zu erwischen. Doch die Explosionen hinter mir, von denen mich die letzte in Therans Stand geschleudert hat, haben mit Schallgranaten nicht das Geringste zu tun.
Wie gesagt, ich kenne mich mit so etwas nicht aus, doch anhand der Hitze, die ich in meinem Nacken gespürt habe, würde ich auf Plasmagranaten tippen.
Gut ein halbes Dutzend davon.
Jemand hat sich sehr viel Mühe gegeben, den fetten alten Mann in seiner tollen Uniform umzubringen. Die Plasmagranaten halte ich zwar für ein wenig übertrieben, aber sie haben verlässlich sichergestellt, dass von ihm und seiner Begleitung nichts übrig geblieben ist. Genauso wenig wie von allem anderen, was sich in einem Umkreis von fünf Metern um die beiden herum befunden hat.
Nichts, bis auf seine altmodische Brieftasche, die sich jetzt in der Innentasche meines Overalls befindet. Die Innentasche, die mit einer Kupferfolie ausgestattet ist, die jedes Chip-Signal unterbindet. Ich weiß es besser, als die Brieftasche auch nur anzufassen, bevor ich mich nicht in einem abgeschirmten Raum befinde.
Außerdem habe ich gerade andere Probleme.
Hauptsächlich dieses rote Licht von dem Biometrieschloss an der Wartungsklappe über mir. Es teilt mir mit, dass die Wartungsklappe geschlossen und verriegelt ist. Niemand, wenigstens hat das Mendez gesagt, verriegelt Wartungsklappen.
Es ist viel zu umständlich, eine verriegelte Klappe zu öffnen. Nicht nur, dass man einen Chip und einen Retinascan dafür braucht, man muss sich zudem noch ins Logistiksystem einklinken und dann das Öffnungsprotokoll ausführen.
Ich befürchte, es hat etwas damit zu tun, dass der Laster über die Klappe gefahren ist.
Ich bin kein Systemrunner. Ich kenne ein paar Tricks und Kniffe, die Genzo für lebenswichtig hielt, aber unsere gesamte Ausrüstung befand sich im Hotelzimmer, als Genzo seinen Herzanfall bekam. Stirbt ein Gast in einem Hotel, werden seine gebuchten Räume automatisch versiegelt, bis die Konzernsicherheit sie freigibt. Ich nehme an, sie haben nur einen kurzen Blick auf unsere Ausrüstung werfen müssen, um zu erkennen, dass es sich bei Graf Montesar und seiner Nichte mit größter Wahrscheinlichkeit nicht um den Grafen Montesar und seine Nichte gehandelt hat.
Das Ungerechte daran ist, dass der falsche Graf ein paar Minuten vorher den größten Schwindel seines langen Lebens abgezogen hatte. Fast neun Millionen Credits für sechs Wochen perfekte Arbeit. Uns war es gelungen, einem Mandarin eine Jacht zu verkaufen, die uns nicht gehörte. Genzo hatte den Credstick wahrscheinlich noch in der Hand, als sein Herz ihm und mir einen Streich spielte.
Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie alt Genzo gewesen ist. Meiner Meinung nach hatte er sein zweites Jahrhundert schon lange hinter sich gelassen. Irgendwo haben auch die besten Naniten ihre Grenzen.
Keine Ahnung, ob es die Götter gibt, doch wenn es ein Paradies für alte Gauner gibt, dann sitzt Genzo jetzt dort mit einem breiten Grinsen und einer dieser fetten stinkenden Zigarren und gibt damit an, dass es ihn erst erwischt hat, nachdem er den Schwindel perfekt über die Bühne brachte.
Was mir jetzt nicht hilft.
Natürlich stemme ich mich gegen die Wartungsklappe. Sie gibt nicht im Geringsten nach. Vielleicht ganz gut, dass es so ist, denn durch den dicken Stahl höre ich entfernt Sirenen und unverständliche Lautsprecherdurchsagen. Wenn das tatsächlich Plasmagranaten waren, hat es wahrscheinlich auch jemanden von der Marktsicherheit erwischt – und dann ist da oben jetzt die Hölle los.
Ich brauche unbedingt einen neuen ID-Chip, denn mit absoluter Sicherheit gehen sie jetzt jedes Chipsignal durch, das sie auf dem Markt haben scannen können.
Aber auch das ist ein Problem für später.
Aktuell weiß ich nicht, wie ich hier wieder herauskomme. Der einzige Weg ist der nach unten, in die unbekannten Tiefen der Logistikschächte. In denen, wenn ich Mendez’ Vater glauben kann, schon öfter Logistiktechniker spurlos verschwunden sind.
Neben den Steighilfen ertasten meine Finger eine Schiene in der Wand. An dieser können sich die Techniker mit ihrem Geschirr einhängen und wie mit einem Fahrstuhl gelassen im Schacht auf- und abgleiten. Gut für sie. Nicht für mich, denn natürlich besitze ich kein solches Geschirr.
Also sind es die Steighilfen.
Mühsam, mit stechenden Schmerzen in meiner Seite und meinem Knie, löse ich meinen Gürtel und mache mich auf den Weg in die Tiefe.
Irgendwann stoße ich auf eine Plattform vor einer Metalltür. Ich erfühle keinerlei erkennbares Schloss an dieser Tür, keinen Griff, kein Tastenfeld, nichts, nur den Spalt, in den ich meine Fingernägel grabe. Natürlich erfolglos. Immerhin ist die Plattform gerade groß genug, dass ich mich dort hinlegen und eine Weile ausruhen kann.
Ich weiß, dass es Menschen gibt, denen Dunkelheit unheimlich ist. Ich gehöre nicht dazu, doch je tiefer ich bis jetzt gestiegen bin, umso mehr verstehe ich, wie das möglich ist.
Die Dunkelheit, die mich auf dieser Plattform umgibt, ist absolut. Als ich fünf Jahre alt war, hat mir Genzo Naniten besorgt. Verbesserte Heilung, Virenschutz, gesteigerte Reflexe, erweiterte Sinne. Bis auf die Reflexe ist es nur die Basisversion gewesen. Es war notwendig, weil die Schule mich sonst nicht aufgenommen hätte, alleine aus Versicherungsgründen setzen sie dort Basisnaniten voraus. Ein paar Jahre später fand er irgendwie die Möglichkeit, an eine Optikaufwertung für mich heranzukommen. Ich weiß bis heute nicht, wie er da rangekommen ist, doch es war diesmal nicht die Basisversion. Restlichtverstärkung, Mikro- und Telesicht und Multiziel-Erfassung schließen das irgendwie aus.
Vielleicht hätte mir das etwas mit ein paar Combat-Chips gebracht, doch im Moment wäre mir Infrarotsicht lieber. Wo es kein Restlicht gibt, hilft auch keine Restlichtverstärkung.
Was ich jetzt erfahre, ist, dass in absoluter Dunkelheit meine Augen darauf bestehen, etwas sehen zu wollen. Farben und Muster, solche Dinge.
Und ja, es ist ein wenig unheimlich.
Ich wollte nur eine kleine Pause machen, doch irgendwie muss ich auf dieser Plattform eingeschlafen sein. Ich weiß nicht, was ich geträumt habe, doch als ich aufwache und es nichts gibt außer dieser Dunkelheit um mich herum, gerate ich für einen kurzen Moment in Panik und weiß nicht, wo ich bin.
Was dazu führt, dass ich nur deshalb nicht von der schmalen Plattform falle, weil ich irgendwie daran gedacht hatte, mich mit meinem Gürtel an ihr festzugurten.
Danach bin ich wach.
So richtig hellwach.
In der linken Beintasche meines Overalls finde ich einen alten Energieriegel. Erdbeergeschmack. Ich habe noch nie in meinem Leben eine Erdbeere gesehen und kenne auch keinen, der je eine gesehen hätte. Wenn es so etwas überhaupt gibt und nicht nur eine Marketing-Idee ist.
Der Geschmack ist mir zu süß, irgendwie zu klebrig, was der Grund ist, weshalb ich den Energieriegel nicht schon lange vorher gegessen habe.
Immer noch zu süß, aber diesmal habe ich Hunger, und es ist mir egal.
Ich klettere weiter in die Tiefe.
Meine Verletzungen heilen nur langsam, und ich quäle mich die Steighilfen abwärts, als wäre ich eine alte Frau. Nach zwei Plattformen und damit zwei weiteren Türen, die ich nicht öffnen kann, finde ich plötzlich unter meinem linken Fuß keine Steighilfe mehr. Und keine Schachtwand.
Und damit, vierzehn Stunden, achtundzwanzig Minuten und vierzehn Sekunden, nachdem ich in den Schacht gehechtet bin, um nicht überfahren zu werden, gerate ich dann doch in Panik, als mir meine Einbildung eine endlose Tiefe unter mir suggeriert, eine gigantische unterirdische Höhle, in deren Decke sich der Schacht befindet, in dem ich mich so verzweifelt an die alten Steighilfen klammere.
Ich versuche irgendetwas zu ertasten, aber da ist nichts. Der Schacht endet in einer schwarzen Leere. Ich wimmere. Weine. Schreie wütend und zugleich verzweifelt. Verfluche die Götter dafür, denn ich glaube nicht, dass ich das verdient habe.
Irgendwann beruhige ich mich. Mit den Naniten erhält man ein Gefühl für Zeit. Keine eingeblendete Anzeige, sondern einfach nur ein Wissen, wie viel Zeit vergeht. Mein hysterischer Anfall hat weniger als dreißig Sekunden angedauert, aber er hatte es in sich. Vor allem hat er mir den Mut geraubt.
Aber es hilft nichts.
Vielleicht, wenn ich wieder hinaufklettere und mit irgendetwas von unten gegen die Wartungsklappe klopfe, hört es jemand und macht mir auf. Oder das Logistiksystem reagiert darauf, wenn jemand unberechtigt die Klappe öffnen will. Es ist der einzige Weg. Also klettere ich wieder nach oben.
Als es abwärts ging, waren die Schmerzen in meinem rechten Knie erträglich gewesen. Jetzt aber, als ich nach oben klettern will, gibt mein Knie schon beim ersten Versuch nach. Der Schmerz ist derart stechend, dass ich nicht schnell genug reagieren kann, zumal ich gerade auch mit den Händen den Griff gewechselt habe. Ich rutsche ab, kann mich eine halbe Sekunde gerade noch so mit einem Finger halten … und stürze in die Tiefe.
Ich komme nicht einmal dazu aufzuschreien, bevor ich, aus irgendeinem Grund mit dem linken Ellenbogen zuerst, hart auf dem Boden aufschlage.
Mein Ellenbogen brennt wie Feuer, doch ich lebe.
Viel tiefer als fünf oder sechs Meter kann ich nicht gefallen sein, doch der Betonboden unter mir hat mich nicht geschont.
Ich habe trotzdem unglaubliches Glück gehabt.
Ich erinnere mich jetzt an eine Gelegenheit vor einem halben Jahr, als ich gesehen habe, wie eine junge Frau über ein Geländer gekippt und keine anderthalb Meter tief gefallen ist. Sie hat überlebt, doch ich habe einen der Medics, die sie eingesammelt haben, dabei belauscht, wie er seinem Kollegen ungläubig mitteilte, dass sie sich jeden Knochen dabei gebrochen hat.
Ebenso ungläubig stelle ich fest, dass meine Knochen allesamt noch intakt sind, auch wenn es sich nicht so anfühlt.
Meiner Rippe hat es keine Besserung gebracht.
Wenn man, wie ich, kein Implantat besitzt, müssen Naniten regelmäßig alle fünf bis acht Jahre aufgefrischt werden, und meine sind nun schon über zwölf Jahre alt.
Liegen bleiben hilft auch nicht weiter, also rappele ich mich auf. Immer noch blind wie ein Maulwurf, taste ich meine Umgebung ab. Ich bin in einer etwa zehn Meter durchmessenden Betonröhre gelandet. An der linken Seite finde ich Kabelschächte und eine Metallleiter. Diese führt hinauf zum Wartungsschacht, und als ich am oberen Ende der Leiter herumtaste, finde ich auch links von mir die Steighilfen. Es wäre nur ein kleiner Schritt nach rechts auf die Leiter gewesen.
Ich weiß, dass überall im Schacht Lampen angebracht sind. Wenn ich einen Chip für einen Logistiktechniker besitzen würde, würden diese Lampen automatisch angehen, sobald ich in die Nähe komme.
Kein blindes Tasten, zumal die Schiene für das Schwebegeschirr neben der Leiter entlangläuft. Mit Geschirr schätze ich, dass ein Logistiktechniker keine zehn Minuten braucht, um den Schacht herunterzuschweben und diesen Tunnel zu erreichen.
Irgendwie muss es weitergehen, also taste ich mich an den Wänden entlang.
Dieses Tunnelsegment ist etwa vierhundert Meter lang und an beiden Enden durch jeweils ein großes Metalltor verschlossen. Beide Tore besitzen weder Schlösser noch Riegel oder Griffe. Am Boden des Tunnels bin ich über verrostete Schienen gestolpert. Ich nehme an, die Tore öffnen sich automatisch, wenn ein Zug kommt.
Für einen Zug.
Nicht für mich.
Ich glaube nur, dass hier schon lange kein Zug mehr gefahren ist.
Also sitze ich wie eine Ratte in der Falle.
Irgendwann lasse ich mich an der Wand herunterrutschen. Meine Fantasie geht mit mir durch, ich stelle mir vor, wie man mein ausgetrocknetes Skelett in ein paar Jahrhunderten finden wird und man sich wundert, wer das war und wie sie hierhergekommen ist.
Ich kann den eisigen Hauch des Todes schon förmlich spüren.
Ich spüre ihn tatsächlich.
Einen kühlen Lufthauch.
Mit den Fingern an der Wand gehe ich den Tunnel ab. Und finde einen Riss. Irgendwann ist hier der Betontunnel gebrochen. Der Riss ist fast zu schmal für mich, aber dahinter geht es weiter.
Irgendwie quetsche ich mich durch den Riss und danke den Göttern dafür, dass sie mich nicht mit einer großen Oberweite ausgestattet haben.
Kaum habe ich mich durch den Riss gezwängt und versuche gerade zu ertasten, wo ich mich befinde, gibt der Boden unter meinen Füßen nach, und ich falle zum dritten Mal an diesem Tag. Doch diesmal nicht im freien Fall, sondern eine Art schmalen Spalt hinunter. Er ist unregelmäßig und besitzt lauter Kanten und Ecken, an denen ich schmerzhaft hängen bleibe.
Da der Spalt fast zwanzig Meter tief ist, sollte ich dankbar dafür sein, dass diese Ecken und Kanten meinen Fall bremsen, doch ich bin es nicht, es ist zu schmerzhaft.
Als ich diesmal unten ankomme, gewinne ich eine neue Erkenntnis. Man kann nicht ständig in Todesangst sein, ohne dass man abstumpft. Ich liege nur da, stelle fest, dass ich noch lebe, und anstatt überrascht zu sein, nehme ich es mit dem gleichen Fatalismus hin, mit dem ich jedes andere Ergebnis ebenfalls hingenommen hätte.
Irgendwann ist es genug. Zu viel.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort liege, aber da ich doch noch lebe, versuche ich herauszufinden, ob auch noch alles andere so weit funktioniert, dass ich mich aufrichten kann.
Überall ist Staub in der Luft, zumindest mein Hustenreflex funktioniert noch, was meine Rippe nicht zu schätzen weiß. Ich schwöre, ich höre sie knirschen, und mein ganzer Brustkorb brennt wie Feuer.
Ich bin irgendeinen Schacht oder Spalt in absoluter Dunkelheit etwa zwanzig Meter tief gefallen. Die Götter alleine wissen, wo ich gelandet bin, und ich revidiere meine düstere Vorstellung der Zukunft. Ausgetrocknete Mumie oder nicht, niemand wird mich hier jemals finden!
Götter, denke ich, als ich mich mühsam aufrichte, wobei mein Ellenbogen sich wieder meldet, weil er sich anfühlt, als würde ich ihn in flüssiges Metall tauchen, ist ein bisschen Licht wirklich zu viel verlangt?
Das Licht geht an.
Offenbar muss ich Abbitte leisten, aber ich schwöre, dass dies das erste Mal ist, dass die Götter mir zugehört haben.
Ich blinzele, wische mir Staub, Dreck, Blut und Tränen aus den Augen und schaue mich ungläubig um.
Zuerst verstehe ich nicht, wo ich mich befinde. Es ist ein großer leerer und offener Raum. Das hintere Drittel ist eingestürzt, eine Rampe geht nach oben und unten ab, der Weg nach oben ist durch große Trümmer versperrt. Auf dem Boden sind nummerierte Rechtecke eingezeichnet, und erst als ich ein paar verrostete altmodische Schweber sehe, verstehe ich, was das hier ist.
Ein Parkdeck.
Ich weiß nicht, wie tief ich hier unter der Erde bin, doch ich denke, dass es mindestens zweihundert Meter sein müssen. Also hat Mendez’ Vater die Wahrheit gesagt: Es gibt hier unten verschüttete Gebäude.
Was mich beeindruckt, sind die Lampen.
Keine Ahnung, wie alt sie sind, doch gut ein Drittel leuchtet noch. Ich schaue zurück und nach oben, dorthin, wo ich durch den Boden gebrochen bin. Erde, Schutt und Trümmerstücke sind nachgerutscht und versperren mir den Rückweg in den Tunnel. Dieses Parkhaus besitzt keine Fenster, nur offene Seiten. Wohin ich auch sehe, überall versperren Trümmer die Sicht, bis auf … diese eine Seite.
Langsam rappele ich mich auf und schleppe mich zu dem Geländer hin. Ich halte meinen brennenden Ellenbogen mit der einen Hand, mit der anderen, als ob das etwas helfen würde, lehne ich mich gegen das Geländer und verbringe die nächste gefühlte Ewigkeit einfach nur damit, mich ungläubig umzuschauen.
Das Licht hier ist nicht besonders hell, doch es reicht aus, sodass ich ein Stück weit schauen kann. Drei Stockwerke unter mir sehe ich eine Straße liegen, links und rechts von Gebäuden gesäumt. Es stehen noch immer von Flugrost überzogene Bodenfahrzeuge und Schweber auf der Straße, die breiter ist, als ich erwartet habe. Diese Schatten sind Bäume, in regelmäßigen Abständen auf beiden Seiten gepflanzt, die Straße selbst wird von einem breiten Mittelstreifen, in dem ich abgestorbene Büsche erkennen kann, in zwei Teile getrennt.
Ehemalige Grünanlagen. Abgestorben und verdorrt.
Doch irgendetwas kommt mir seltsam vor. Ich meine, abgesehen davon, hier unten eine Straße zu finden.
Der Shuttle
Das ist es! Es ist alles zu gut erhalten!
Eine der Lampen flackert und geht aus. Ich nehme an, die anderen werden ihr folgen, und hier im Parkhaus gibt es für mich nichts. Jeder Knochen schmerzt, meine Rippe bringt mich um, und mein Knie will mein Gewicht nicht halten, dennoch achte ich kaum darauf, ich bin nur begierig darauf, herauszufinden, welche Wunder hier auf mich warten.
Ich fühle mich zerschlagen, und es braucht eine halbe Ewigkeit, bis ich das Parkhaus verlassen habe und die Straße erreiche. Als ich mich ihr nähere, geht eine Straßenlampe an, eine Lampe, wie ich sie zuvor noch nie gesehen habe. Sie sieht organisch gewachsen aus wie ein Baum, dessen Blätter leuchten. Als ich die Staubschicht an einem Blatt abwische, finde ich ein schwarzes, von feinen Linien durchzogenes, matt glänzendes Material.
Solarzellen.
Ich frage mich, wie lange es her ist, dass das Sonnenlicht zum letzten Mal auf diese Zellen geschienen hat. Und ob ich die Batterien irgendwie ausbauen kann, denn ich weiß von keiner, die so lange halten würde.
Ich bleibe neben dem Lampenbaum stehen und schaue mich um. Jetzt wird mir auch klar, was mir zuvor aufgefallen ist. Es liegen keine Trümmer auf der Straße, die Häuser scheinen unversehrt, und noch seltsamer ist es, dass die Höhle, in der ich mich befinde, die Form einer Kugelkalotte besitzt, etwa dreihundert Meter im Durchmesser und achtzig bis neunzig Meter hoch. Das Licht des Baums reicht gerade so aus, um zu erahnen, dass in der Decke über mir Trümmerteile und Lavagestein miteinander verschmolzen sind. Das Parkhaus befindet sich nahe am äußeren Rand und scheint in den geschmolzenen Himmel hineinzuragen.
Es ist nicht schwer zu erkennen, wo sich das Zentrum der Kugelkalotte befinden muss, ich gehe einfach nur die Straße lang. Hinter mir verlischt der Baum, während vor mir der nächste Lampenbaum anfängt zu leuchten, und dann sehe ich, was ich fast schon vermutet habe.
Genzo sah es nicht ein, dass ich sinnlos Zeit mit TriDi oder VR-Sim vergeuden sollte, doch wie jede andere habe ich als Kind mit Begeisterung diese ganzen Serien geschaut. Die meisten kamen mir seltsam unwirklich vor, manche von ihnen sind so alt, dass selbst Historiker nicht sagen können, wann und wo sie aufgenommen worden sind, was davon erfunden oder dokumentarisch ist.
Doch ich erkenne einen Combat Shuttle der Terranischen Hegemonie, wenn ich einen sehe. Er ist nur kleiner, als ich ihn mir vorgestellt habe.
Ich fahre mit der Hand über die glatte Außenhülle des Shuttles, ein Schimmern läuft über den Shuttle, in breiten Bahnen rutscht der Staub von ihm herunter und gibt das Relief des Sterns mit den beiden Blättern preis. Lorbeerblätter, erinnere ich mich. Nicht, dass ich weiß, was eine Lorbeere ist oder ob man sie essen kann.
Oder sollte.
Ich stoße mit den Füßen gegen etwas, schaue hinab, und mein Herz bleibt fast stehen.
Ein Mann in Kampfanzug sitzt dort, gegen die linken Doppelreifen des Fahrgestells gelehnt. Er hat sein Plasmagewehr über beide Knie gelegt, und seine Hände hängen lose über Schaft und Lauf des Gewehrs.
Ich beuge mich tiefer, wische vorsichtig den Staub von dem Visier seines Helms und schaue in ausgetrocknete Augenhöhlen.
Obwohl ich es nicht anders erwartet habe, lässt mich der Anblick zurückweichen, was nur dazu führt, dass ich über einen anderen Mann stolpere. Er liegt auf der Straße, die Beine gekreuzt, die Hände hinter seinem Kopf verschränkt. Als ob er sich gemütlich hingelegt hätte, um eine Weile nachdenklich in den Himmel zu schauen, der hier aus Trümmern und erstarrter Lava besteht.
Er hat Helm und Handschuhe säuberlich neben sich gelegt, vielleicht ist deshalb sein Gesicht nicht erhalten, hier schauen mich nur blanke Knochen an.
Ich blicke nach oben und sehe, dass ich mit meiner Vermutung recht gehabt habe, der Shuttle befindet sich im genauen Zentrum der Höhle. Jedes Kind, das jemals Raumkommando 13 gesehen hat, weiß, dass die Hegemonie die Technik besessen hat, Schutzschilde zu erzeugen. Ich hatte immer meine Zweifel, ob sie wirklich so stark gewesen sind, wie in den alten Serien dargestellt wurde.
Nun, der Schutzschild dieses Shuttles war stark genug gewesen, eine Blase zu bilden, um die gesamte Umgebung in einem Radius von fast dreihundert Metern vor Trümmern zusammenbrechender Häuser und flüssigem Gestein zu schützen.
Ich finde die Kontaktfläche an der Seite des Shuttles, und als ich sie berühre, fängt sie an zu glimmen und zeigt mir ein Hologramm mit zwölf Tasten.
Nun, jetzt ist der Moment gekommen, um herauszufinden, wie wahrheitsgetreu diese alten Serien tatsächlich waren.
Ich gebe 911 ein, den Code für die Notöffnung, die Kontaktfläche glimmt kurz auf, und mit leisem schabendem Geräusch gleitet das Schott der Luftschleuse vor mir zur Seite. Eine kurze Leiter fährt sich aus.
Ich bin tatsächlich nicht mehr überrascht, als auch hier das Licht angeht.
Die Luft hier ist trocken und staubig, doch sobald ich den Shuttle betrete, höre ich ein leises Summen, und die Luft fängt an, sich zu bewegen.
Als ich die Pilotin im Cockpit sitzen sehe, bekomme ich fast einen Herzanfall, denn anders als ihre Kameraden draußen vor dem Shuttle sieht sie aus, als schliefe sie nur und bräuchte nur die Augen aufzumachen, um mich zu fragen, was ich mir dabei denke, ungefragt in ihren Shuttle einzudringen.
Doch sie bewegt sich nicht, ist genauso tot wie die beiden anderen Soldaten. Wie ich in dieser Situation auf den Gedanken kommen kann, dass ich sie um ihre langen Wimpern beneide, verstehe ich selbst nicht.
Auch sie trägt einen dieser Kampfanzüge. Was ich nicht erwartet habe, sind die Rangabzeichen eines Generalmajors der Hegemonie. Bisher war mir nicht bekannt, dass Generäle ihre Shuttles selbst geflogen haben.
Elizabeth Cameron steht auf ihrem Namensschild.
Ich weiß schon jetzt, dass ich ihren Namen nie vergessen werde.
Das Cockpit ist voll von mysteriösen Bildschirmen, Schaltfeldern und Anzeigen. Aus den TriDis weiß ich, dass der Pilot zudem noch ein virtuelles Cockpit besaß, doch bis auf ein paar wenige Instrumente verstehe ich nichts von dem, was ich hier sehe.
Leise, vorsichtig, als wollte ich die Pilotin nicht aus Versehen wecken, suche ich den Shuttle ab.
Ich finde das, was ich suche.
Nahrungsrationen. Es ist ein Verfallsdatum aufgedruckt, doch das Datum sagt mir nichts, wir verwenden ein anderes Format als die Hegemonie.
Die halbgeschmolzenen Trümmer und das schwarze Lavagestein sagen mir, wie alt das hier alles ist. Es muss das Orbitalbombardement gewesen sein, das ich im Museum gesehen habe, und das ist angeblich Hunderte von Jahren her. Zwischenzeitlich ist die Stadt über uns ein halbes Dutzend Mal zerstört und wiederaufgebaut worden, doch hier unten ist die Zeit stehen geblieben.
Es ist so still hier unten, man fühlt die Last der Erde über uns und die Zeit, die vergangen ist. Ich fühle mich, als wäre ich in ein Grab eingedrungen.
Wahrscheinlich, weil es genauso ist. Aber auch Grabräuber haben Hunger.
Zumindest diese hier.
Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass die Essensration noch genießbar ist, doch ich folge den aufgedruckten Anweisungen und ziehe an der Lasche in der Ecke. Es zischt, die Deckenfolie wölbt sich auf, und als ich sie dann abziehe, halte ich ein warmes Essen in den Händen. Ich versuche zu entziffern, was auf der Deckelfolie geschrieben steht.
Curryhuhn mit Reis. Immerhin weiß ich, was Hühner sind. Und Reis kenne ich auch.
Wenn die Ration verdorben ist, kann ich es nicht erkennen, riechen tut es jedenfalls nicht so.
Jedenfalls schmeckt es besser als alles andere, an das ich mich erinnere.
Neben der Tür zum Frachtraum finde ich in einer Halterung eine Handlampe. Als ich sie herausziehe, geht sie an, ein klarer starker Kegel aus Licht, das mir leicht gelblich vorkommt.
Ich verlasse den Shuttle und frage mich, wie oder warum sie gestorben sind, denn bei allen dreien habe ich keine mit bloßem Auge erkennbaren Verletzungen gesehen.
Es braucht ein wenig, bis ich es herausfinde.
In den TriDis besitzen die Kampfanzüge auf der Oberfläche des linken Arms ein kleines rundes Segment. Solange die Umgebungsstrahlung ungefährlich ist, ist es weiß. Je stärker die Strahlung ist, umso dunkler wird es. Vielleicht waren diese Serien doch dokumentarisch oder gut recherchiert. Denn ich finde diese Segmente auch an den Anzügen meiner drei toten Soldaten.
Bei allen dreien sind diese Segmente pechschwarz. Der Shuttle hätte abgeschirmt sein sollen, wieso also … sie müssen den Shuttle verlassen haben, bevor die Neutronenbomben gefallen sind.
Ich sehe es fast vor mir. Sie haben den Orbitalangriff überlebt. Vielleicht den Schutzschirm heruntergefahren, als das Gestein um sie herum erkaltet ist. Haben sich vielleicht sogar Hoffnung darauf gemacht, dass sie ihrem Grab entkommen können.
Dann fielen die Neutronenbomben, und selbst die Trümmer und das Gestein, unter dem sie begraben waren, sind nicht dick genug gewesen, um sie vor den Gammastrahlen zu bewahren.
Doch die drei Soldaten sind nicht alleine gestorben.
Überall, wo ich hingehe, finde ich menschliche Überreste, und so wie ich sie vorfinde, müssen sie in Sekundenfrist gestorben sein. Die Generalmajorin und ihre beiden Begleiter in ihren Kampfanzügen hatten nur das Pech, dass die Anzüge sie teilweise schützten, sie hatten lange genug Zeit, um zu verstehen, was geschehen war.
Diese Höhle ist ein Friedhof, doch während ich sie durchstreife, bin ich es, die sich wie ein Geist fühlt.
Was ich finde, bestätigt meine Vermutung. Ich finde Spuren, die darauf hinweisen, dass zwischen dem Orbitalangriff und den Neutronenbomben mehrere Tage vergangen sein mussten. An einer Stelle haben manche der Überlebenden sogar versucht, sich mit einer Baufräse nach oben zu graben. Sie sind fast vierzig Meter weit gekommen, bevor sie von den Neutronenbomben getötet wurden, wo sie standen oder saßen.
Ich klettere in die Fahrerkabine der Fräse und beuge mich mit einer gemurmelten Entschuldigung über die Mumie des Fräsenführers, um den Staub vom Armaturenbrett abzuwischen. Es gibt ein Kontaktschloss, der Chipschlüssel steckt noch, und er steht auf »ON«. Anders als der Shuttle verfügt die Fräse nicht über einen Fusionsreaktor, der Tausende von Jahren Strom liefern kann. Die Energieanzeige, die ich nach einigem Suchen finde, zeigt sechs Ladebänke an, die allesamt leer sind.
Ich nehme an, die Fräse lief nach dem Tod des Fahrzeugführers weiter, bis auch die letzte Zelle aufgebraucht war.
Aus der Idee, mich mit der Fräse einfach aus diesem Grab herauszufräsen, wird wohl nichts.
Ich schaue mich weiter um. Auch wenn ich die Befürchtung habe, dass ich letztendlich das Schicksal meiner drei Soldaten teilen werde, finde ich all dies hier unglaublich faszinierend. Die Welt um dieses Stück Straße ist untergegangen, doch hier ist alles unversehrt geblieben, als wäre die Zeit eingefroren.
Eine Zeit, in der Eltyr ganz anders war, als ich es kenne. Zweihundert Meter über uns erstreckt sich Eltyr über Dutzende Kilometer in alle Richtungen. Auch wenn die Stadt groß ist, muss man lange suchen, um einen Bereich zu finden, der nicht heruntergekommen ist. Abgesehen natürlich vom Regierungsdistrikt und den Konzerngeländen.
Doch hier, in dieser Höhle, sehe ich Häuser, die aussehen, als wären sie neu. Die Fensterscheiben sind zum größten Teil noch ganz, sie sind auch nicht vergittert, die Wände nicht mit Graffiti beschmiert, und es ist alles ordentlich und sauber.
Ich finde einen stehen gebliebenen kleinen Roboter mitten auf dem Bürgersteig, der mit Rollen und rotierenden Bürsten ausgestattet ist. Ich frage mich, wie lange nach der Katastrophe er noch brav die Straße gefegt hat.
So wie es aussieht, ist es zumindest zum Teil zu Plünderungen gekommen. Ich finde Spuren davon, doch die meisten Häuser und Geschäfte sind unberührt. Oft ist es so, dass ich Türen öffne und es aussieht, als wäre die Zeit stehen geblieben, doch wenn ich Gegenstände, Möbel oder die sterblichen Überreste berühre, zerfallen sie meist zu Staub.
Manchmal reicht dafür schon ein Lufthauch.
Was ich nicht verstehe, ist, warum dies für den Shuttle nicht gilt. Die beiden Soldaten außerhalb des Shuttles zeigen die Spuren der Zeit, selbst ihre Kampfrüstungen zerbröckeln unter meinen Fingern, als ich sie an den Straßenrand trage.
Die Pilotin, die Generalmajorin im Cockpit, sieht jedoch so aus, als ob sie nur schlafen würde.
Der Shuttle besitzt eine kleine Kabine mit Küche, Nasszelle und zwei herausklappbaren Betten. Es gibt Strom und Licht, Luft und Wasser und sogar eine kleine Krankenstation mit einer herausklappbaren Koje und einem AutoDoc. Auch etwas, was ich nur aus den TriDis kenne.
Ich sehe keinen Grund, mich hier nicht häuslich einzurichten. Vor allem die kleine Kombüse finde ich clever gemacht und überraschend gemütlich. Es gibt ein kleines Kochfeld, eine Mikrowelle, eine Art Kühlschrank, gerade groß genug für acht dieser Essensrationen, eine Spüle mit Spülmaschine. Diese funktioniert (wenn ich das richtig verstehe) nicht mit Wasser, sondern mit Ultraschall, Mikrowellenstrahlung und einem Gebläse.
Ich werde sie demnächst mal ausprobieren. Der kleine Tisch, gerade nur groß genug für zwei oder drei, wenn sie sich mögen, wird aus der Wand herausgezogen, die drei Stühle zieht man aus dem Boden und klappt sie auf. Wenn Tisch und Stühle ausgeklappt sind, hat niemand sonst mehr Platz.
Über dem Kühlschrank hängen kleine daumennagelgroße Plastikscheiben mit verschiedenen Motiven an der Wand. Eine zeigt einen Schmetterling, eine andere das Bild einer lachenden jungen Frau. Neugierig pflücke ich diese Scheibe von der Wand und stelle fest, dass man auf sie drücken kann wie auf einen Knopf, dazu hätte ich das kleine Ding noch nicht einmal von der Wand nehmen müssen.
Als das Hologramm vor mir entsteht, erschrecke ich ein wenig, es ist lebensgroß, schwebt nicht in der Luft, sondern passgenau auf dem Boden. Es ist die junge Frau, deren Bild ich auf der Scheibe sehe.
Würde sie nicht mit den Beinen in einem der Stühle stehen, hätte ich schwören können, sie wäre echt. Sie ist ein wenig älter als ich, mit feinen Lachfalten in den Augenwinkeln. Sie ist lässig und zugleich elegant gekleidet, die Schnitte sind mir nicht bekannt, doch die Kleidung ist nicht so außergewöhnlich. Wäre sie mir auf der Straße begegnet, wäre sie mir nicht aufgefallen.
Sie schaut mich direkt an und grinst breit.
»Hallo, Thomi«, sagt sie in einem überraschend gut verständlichen Dialekt. »Happy Birthday to you!« Götter, denke ich fasziniert, als sie dieses uralte Lied trällert, ich habe nicht gewusst, dass es so alt ist. »Komm bald nach Hause, Schatz«, fügt sie hinzu und gibt mir einen Luftkuss. »Hab dich lieb.«
Thom Alistair Ritter. Der Name steht auf dem Namensschild des Soldaten, über den ich zuerst gestolpert bin – der, der seinen Helm noch aufhatte und das Gewehr über die Knie gelegt.
Jetzt sitze ich hier in der Kombüse des Shuttles und habe feuchte Augen, als ich die kleine Plastikscheibe wieder genauso an der Wand anbringe, wie ich sie vorgefunden habe.
Mit Thomis mumifizierter Leiche habe ich keine Probleme gehabt. Ich wusste, wie lange er schon tot sein musste, und es hat mich alleine schon deshalb nicht berührt.
Doch jetzt plötzlich ist das anders. Wer auch immer seine Freundin war – oder war sie mehr als das? Sie ist genauso lange tot, doch jetzt weiß ich, wie ihr strahlendes Lächeln aussieht. Ausgesehen hat.
Ich kann mich nicht bremsen. Nacheinander drücke ich auf sämtliche Plastikscheibchen. Sie sind alle ähnlich. Grüße und Botschaften von Freunden und Freundinnen, Eltern und Geschwistern und einmal ein kleines Mädchen in den Armen ihres Vaters, mit feuerroten Haaren und Sommersprossen, die Mummy vermisst und ganz doll lieb hat. Auch ihr Vater trägt eine Uniform: Sie ist weiß, also nichts Militärisches, irgendetwas Technisches, vielleicht für ein Labor.
Das Mädchen sagt nicht, wer ihre Mummy ist; ich nehme an, sie wusste es auch so. Aber das Namensschild auf der Brust des Mannes, halb verdeckt von dem kleinen Mädchen, sodass ich den Vornamen nicht lesen kann, endet auf Cameron.
Die Frau auf dem Pilotensitz. Generalmajor Elizabeth Cameron. Es hätte das Namensschild nicht gebraucht, das kleine Mädchen ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten.
Auf einmal hat das, was hier geschehen ist, für mich eine Unmittelbarkeit bekommen, die mir sämtliche Distanz nimmt. Es ist so viele Jahre her, aber jetzt fühlt es sich für mich so an, als wäre es eben gerade erst geschehen.
Ich erinnere mich an das kurze TriDi von dem Bombardement. Es ist vom Orbit aus aufgenommen worden, man hat die konzentrischen Druckwellen, gefolgt von den Feuerstürmen und der aufbrechenden Erdkruste, gut sehen können.
Die Muster aus kleinen Lichtern, die von diesen Feuerstürmen verschlungen wurden, sind Städte gewesen.
Große Städte wie Eltyr. Ich habe keine Ahnung, wie viele Menschen in Eltyr leben, ich habe mal gehört, dass es um die achtzehn Millionen sein sollen. Wie viele mögen es wohl damals gewesen sein, zur Blütezeit der Hegemonie?
Ich gehe in das Cockpit, suche eine Weile, bis ich den Schalter finde, und schalte die Landescheinwerfer des Shuttles ein.