Fintan Kindler

Die Uhren: Ein Abriß der Geschichte der Zeitmessung

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2022
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066113490

Inhaltsverzeichnis


Vorwort.
Inhaltsübersicht.
Illustrationsverzeichnis.
I. Die Zeitmesser der alten Völker.
II. Uhren und Zeitmessung bis zum 12. Jahrhundert.
III. Anfänge und Entwicklung der Räder- und Gewichtuhren.
IV. Die Erfindung der Pendeluhr.
V. Weitere Entwicklung der Uhren im 18. und 19. Jahrhundert.
1. Die Pendeluhren im allgemeinen.
2. Die Kompensation.
3. Die elektrischen Uhren.
4. Fortschritte in der Herstellung von Taschenuhren.
5. Die Chronometer.
6. Leistung, Nutzen, Auswahl und Behandlung einer Uhr.
VI. Die fabrikmäßige Herstellung der Uhren.
1. Die Uhrenindustrie in der Schweiz.
2. Die Schwarzwälder Uhrenfabrikation.
3. Die Uhrenindustrie in den übrigen Ländern.
Fußnoten

Vorwort.

Inhaltsverzeichnis

Die folgenden Ausführungen erheben keinen Anspruch darauf, eine vollständige Geschichte der Uhren zu liefern, eine solche würde viele Bände füllen; es sollen vielmehr nur die Hauptmomente in der Entwicklung der Zeitmessung kurz angedeutet werden. Ebensowenig will das Büchlein etwa „eine Lücke ausfüllen, einem dringenden Bedürfnis abhelfen,” denn es gibt zahlreiche Werke, die unsern Gegenstand behandeln. Sie sind aber meist sehr umfangreich, und infolge dessen teuer, aus beiden Gründen also nicht für jedermann. Und doch sind es gerade die Uhren, welche von jeher mit Recht das Interesse des gebildeten Menschen erregt haben, denn auf wenige Gegenstände des täglichen Gebrauches ist so viel Scharfsinn, Fleiß und Mühe verwendet worden, als auf unsere Zeitmesser. Dieses Interesse hat auch bis heute nicht ab- sondern eher zugenommen, weil die modernen Verkehrs- und Erwerbsverhältnisse den Menschen immer mehr von einem richtigen Zeitmaß abhängig machen, ohne daß wir uns für gewöhnlich dessen bewußt wären. Klar wird uns diese Abhängigkeit meist nur im unangenehmen Falle des „zu spät” kommens. Auch ist es immer anregend, den Werdegang einer Kunst, und um eine solche handelt es sich hier, zu verfolgen und sich ein klares Bild zu machen vom Streben früherer Zeiten, wie von den Erfolgen der Gegenwart. Aus diesen und ähnlichen Erwägungen ist das vorliegende Schriftchen hervorgegangen.

Die Verlagshandlung hat keine Kosten gescheut, das Büchlein möglichst reich auszustatten, wofür derselben hier besonders gedankt sei.

Stift Einsiedeln, i. d. Schweiz.

Der Verfasser.


Inhaltsübersicht.

Inhaltsverzeichnis
I. Die Zeitmesser der alten Völker.
II. Uhren und Zeitmessung bis zum 12. Jahrhundert.
III. Anfänge und Entwicklung der Räder- und Gewichtuhren.
IV. Die Pendeluhr. Erfindungsgeschichte derselben.
V. Weitere Entwicklung der Uhren im 18. und 19. Jahrhundert.
1. Die Pendeluhren im allgemeinen.
2. Die Kompensation.
3. Die elektrischen Uhren.
4. Fortschritte in der Herstellung von Taschenuhren.
5. Die Chronometer.
6. Leistung, Nutzen, Auswahl und Behandlung einer Uhr.
VI. Die fabrikmäßige Herstellung der Uhren.
1. Die Uhrenindustrie in der Schweiz.
2. Die Schwarzwälder Uhr.
3. Die Uhrenindustrie in den übrigen Ländern.

Illustrationsverzeichnis.

Inhaltsverzeichnis
Seite
Fig. 1. Antike Sonnenuhr 6
2. Wasseruhr von P. Athanas Kircher 14
3. Sanduhr aus dem 16. Jahrhundert 15
4. Oeluhr 20
5. Aelteste Hemmung (Waagunruhe) 28
6. Waageuhr 30
7. Alte Räderuhr 31
8. Uhr von Dover Castle aus dem Jahr 1348 35
9. Uhr von Lyon 38
10. Uhr von 1392. Germanisches Museum Nürnberg 41
11. Uhrmacherwerkstätte im 16. Jahrhundert nach Stradanus 45
12. Zeitglockenturm in Bern 48
13. Kalenderzifferblatt der Uhr am Zeitglockenturm in Bern 49
14. Automatengruppe der Uhr am Zeitglockenturm in Bern 50
15. Zifferblatt der Uhr in Solothurn 53
16. Straßburgeruhr 57
17. Federhaus, Schnecke und Kette 71
18. Alte Tischuhr von 1504 72
19. Inneres derselben 73
20. Taschenuhr aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts 78
21. Zylindrische Taschenuhr aus der Zeit Peter Henleins 79
22. Französische Taschenuhren aus der Zeit der Valois 80
23. Totenkopfuhr 81
24. Jost Bürgi 86
25. Galilei 89
26. Pendeluhr Galileis 92
27. Galileische Hemmung 93
28. Christiaan Huygens 96
29. Pendeluhr von Huygens 102
30. Pendelaufhängung 105
31. Aeußeres einer Huygensʼschen Uhr 105
32. Entstehung einer Cykloide 110
33. Halbcykloide 111
34. Hemmung von Clement 115
35. Graham 116
36. Graham-Anker 117
37. Stiftehemmung 118
38. Mannhardtʼsche Uhr 119
39. Riesterʼs Hemmung, Vorderansicht 123
40. „ „ Seitenansicht 124
41. „ Astronomische Uhr unter Glas 126
42. Rostpendel 127
43. Quecksilberpendel 129
44. Nickelstahlpendel 130
45. Einfachste elektrische Uhr 132
46. Schematische Kontaktvorrichtung 133
47. Vorderansicht einer Uhr von Hipp 134
48. Seitenansicht „ „ „ „ 135
49. Kontaktvorrichtung von Hipp 136
50. } System Magneta 137 u. 138
51.
52. Pneumatische Uhr 140
53. a. b. Zwei Taschenuhren mit Automaten 141 u. 142
54. Ringuhr c. 1780 143
55. Kleine Uhr von 1680 143
56. Uhr von Beaumarchais und Genferuhr 143
57. Zylinderhemmung, vergrößert 146
58. Wirkungsweise der Zylinderhemmung 146
59. Schweizer Ankerhemmung 147
60. Kompensationsunruhe 148
61. Chronometer 155
62. Chronometerhemmung 156
63. La Chaux-de-Fonds 166
64. Breguet 168
65. Aelteste Holzräderuhr von 1613 175

I.
Die Zeitmesser der alten Völker.

Inhaltsverzeichnis

Die Worte der Genesis: „Es wurde Abend und es wurde Morgen, ein Tag”, geben uns einen Fingerzeig über das zuerst angewandte Zeitmaß: den scheinbaren Umlauf der Sonne. Nach ihrem Auf- und Untergang berechnete der Mensch die Tage, ohne jedoch damit vorläufig ein eigentliches, genaues Zeitmaß zu haben. Mond und Sterne wurden ebenfalls schon in den ersten Zeiten beobachtet, um auf das „Wie spät ist es?” eine Antwort geben zu können. Der Wechsel des Mondes führte allmählich zum Begriff „Monat”; Sommer und Winter mit je sechs solchen Wechseln bildeten das Jahr.

Die fortschreitende Kultur verlangte aber bald eine genauere Messung; diese finden wir im Begriff „Mittag”. Sein Ursprung ist wohl bei den Chaldäern, Babyloniern und Aegyptern zu suchen; die westlichen Völker, so z.B. die Römer, überkamen ihn erst ziemlich spät von den Griechen. Ein öffentlicher Diener der Konsuln mußte diesen Mittag ausrufen, sobald er von der Kurie aus die Sonne zwischen den Rostren und dem Gesandtenpalast stehen sah. In den zwölf Tafeln findet sich auch zuerst die Bezeichnung „ante meridiem” vormittags; man brauchte aber bei den Römern mit Vorliebe, wie aus vielen Stellen der antiken Texte hervorgeht, den Ausdruck „hora sexta” (sechste Stunde).[1]

Uebrigens mochte schon von Anfang an der Magen die Stelle einer ersten Tageseinteilung vertreten, wie denn auch nach Aulus Gellius[2] Plautus in einer verloren gegangenen Komödie einen Schmarotzer sagen läßt: „Daß die Götter den verdammen, der zuerst die Stunden erfand und deshalb diese erste Sonnenuhr setzte, die mir Armen stückweise den Tag verkürzt. Als Knabe war der Bauch meine Sonnenuhr, unter allen die beste und richtigste. Ueberall mahnte diese zum Essen, außer wo nichts zu essen war; jetzt aber wird auch was da ist, nicht gegessen, wenn es der Sonne nicht gefällt” u.s.w. — Das Kriegswesen der Römer brachte bald auch die Einteilung der Nacht in sog. Vigilien, vier an der Zahl[3].

Als weiteres Mittel der Zeitbestimmung diente auch schon früher der Haushahn. Die Römer führten ihn mit sich auf ihren Kriegszügen, daher war er dem Mars geweiht. Weil er zweimal kräht, das erstemal um Mitternacht, dann vor Tagesanbruch, so ließ sich mit dieser Uhr allenfalls auskommen, so lange keine große Genauigkeit erforderlich war, wie ja auch jetzt noch der Hahn bei den Landleuten vielfach als Wecker dient. Uebrigens blieb dieses streitbare Tier noch lange Begleiter der Heere; so führten in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Burgunder bei der Belagerung von Calais unter Philipp dem Guten viele Hähne mit sich, damit sie ihnen die Mitternacht und den Beginn der Dämmerung anzeigten. Zum gleichen Zwecke nahmen auch die Seefahrer Hähne mit sich[4].

Viel leichter aber und genauer läßt sich irgend eine Tageszeit aus der Länge des Schattens, d.h. aus der Sonnenhöhe bestimmen. So finden wir auch tatsächlich in den ältesten Nachrichten neben den später zu erwähnenden Wasseruhren Sonnenuhren genannt. Sonnen- und Wasseruhren sind also die ältesten Zeitmesser.

Die Erfindung der Sonnenuhr liegt vollständig im Dunkeln; vielleicht benutzten die Aegypter die Obelisken als Sonnenzeiger, vielleicht ist sie babylonischen Ursprungs. Gewöhnlich wird als ihr Erfinder der Chaldäer Berosus (ca. 600 v. Chr.) genannt,[5] der seine Heimat verlassend, auf der Insel Kos, gegenüber Milet, eine Schule errichtete und so die Kenntnis der Sonnenuhr den Griechen vermittelt hätte.[6]

Ursprünglich diente ein Stab oder eine Säule als Sonnenzeiger (Gnomon), auch der menschliche Körper wurde dazu benützt. Eine der ältesten Sonnenuhren, die erwähnt wird, ist jene des Königs Achaz (4.Könige 20, 9–11; Is. 38, 8.), welche für den Gebrauch des Hofes bestimmt war; nach und nach kamen auch auf die öffentlichen Plätze der Städte Sonnenuhren. Von derartigen Uhren haben uns die alten Schriftsteller viele Nachrichten überliefert. So läßt z.B. Aristophanes in den „Ecclesiazusen” die Praxagora, eine Schwärmerin für Frauenemanzipation, ihrem Manne auf die Frage, wer denn unter dem neuen Regiment das Feld bestellen müsse, antworten: „Die Sklaven. Du aber hast nichts zu besorgen, als gebadet und gesalbt zum Essen zu kommen, wenn das Stoicheion (der Schattenzeiger) 10 Fuß mißt.” Der Erklärer sagt dazu, daß man damals die Tageszeit, zu der man sich zum Essen bestellte, durch die Länge des Schattens angab. Ebenso hat uns Athenäus ein Fragment des Menander aufbewahrt, worin ein Schmarotzer geschildert wird, dem das Ungeschick widerfährt, morgens beim Aufstehen den hellen Mondschein für die Nachmittagssonne anzusehen; eiligst mißt er den Schatten, und da er ihn länger als 12 Fuß findet, so läuft er aus Leibeskräften, um — bei Tagesanbruch an dem Orte anzukommen, wohin er auf den Abend geladen ist. — Der Komiker Eubulos (Athen. I, 8.) läßt den Philokrates den Schatten, statt vor Sonnenuntergang, nach Sonnenaufgang messen; dieser mißt 22 Fuß. Er ist aber auf 20 Fuß zum Mahle bestellt, und entschuldigt sich mit Geschäften, die ihn zurückgehalten hätten.[7]

Der Schatten wurde ursprünglich durch Abschreiten, Fuß vor Fuß, gemessen, nachdem man sich vorher genau die Stelle merkte, wo der Schatten des Kopfes war. Salmasius bemerkt hiezu, daß die Ungleichheit des Schattens bei verschiedener Körperlänge sich durch das Fußmaß zum guten Teile wieder ausgleiche, indem ein konstantes Verhältnis bestehe zwischen der Körperlänge eines Menschen und seiner Fußlänge. Diese Meßmethode findet sich sogar bis ins Mittelalter hinein, so z.B. in der Gnomonik von Schoner, einem im 16. Jahrhundert erschienenen Werke über Sonnenuhren. Später verzeichnete man die Grenzen des Schattens auf dem Boden vor dem Sonnenzeiger, wie dies der Fall war bei dem Obelisken, den Augustus auf dem Marsfelde errichten ließ. Plinius berichtet hierüber:[8] „Den Obelisk auf dem Marsfelde hat der göttliche Augustus auf eine merkwürdige Art nutzbar gemacht: er dient nämlich als Zeiger der Länge des Sonnenschattens und also der Tag- und Nachtlängen. Er ließ nach Verhältnis der Höhe des Obeliskus einen Stein legen (nordwärts) von solcher Länge, daß ihm der Sonnenschatten am kürzesten Tage in der 6. Stunde (zu Mittag) gleich wurde. Auf diesem waren metallene Linien eingelegt, nach welchen man das Ab- und Zunehmen der Schattenlänge wahrnehmen konnte. Was dabei besonders merkwürdig ist und dem erfinderischen Genie des Mathematikers Facundus Novus Ehre macht, ist dieses: Auf die Spitze (des Obelisken) setzt er eine vergoldete Kugel, weil sich der Schatten am Scheitel einer Kugel beisammen hält, während er, von einer Spitze geworfen, sich regellos zerstreut; der menschliche Kopf soll ihn, wie man sagt, auf diese Idee gebracht haben.”

Aus dieser Stelle geht hervor, daß vor dem Obelisk eine Art Zifferblatt angebracht war, mit Ziffern aus Erz; daß ferner die Spitze desselben mit einer Kugel versehen war, welche den Schatten sammelte, d.h. genauer abgrenzte als die Spitze, und daß endlich diese Messung des Schattens analog war jener, bei welcher als Endpunkt der Kopf des Menschen genommen wurde. — Selbstverständlich gibt aber ein und derselbe Schattenzeiger zu verschiedenen Jahreszeiten auch verschiedene Schattenlängen; man mußte also den Zeiger öfters auswechseln, wenigstens zweimal im Jahre. Leicht ließ sich auch für einen bestimmten Sonnenzeiger der Schatten ein für allemal feststellen durch Kreise, die man konzentrisch zum Gnomon zog, wodurch das Abschreiten wegfiel. Aber auch so war die Zeitbestimmung noch eine sehr rohe, und es trat an Mechaniker und Mathematiker die schwierige Aufgabe heran, eine Sonnenuhr zu konstruieren, welche den zu verschiedenen Zeiten ungleichen Bogen der Sonne in gleiche Teile teilte und so den Schattenweg zu einem getreuen Abbild des Sonnenweges machte. Bald wurden auch Schattentabellen für alle Monate des Jahres angefertigt, woraus man jederzeit eine beliebige Tagesstunde aus der Länge des Schattens berechnen konnte.

Ohne hier auf Einzelheiten in der Konstruktion näher einzugehen, sei nur noch bemerkt, daß Sonnenuhren in Form hohler Halbkugeln im Altertum sehr verbreitet waren. Vitruv (l. IX c. 8) bezeichnet eine solche Uhr als „halbe Hohlkugel viereckig und in einem der Polhöhe entsprechenden Winkel geschnitten.” Es möge hier die Abbildung (Fig. 1) einer antiken Sonnenuhr folgen, mit der Beschreibung, wie Bilfinger sie gibt (l.c. S. 25). „Man denke sich eine ausgehöhlte Halbkugel, genau wagrecht gestellt und mit der Höhlung dem Zenith zugewendet. Im Zentrum sei irgend ein kleiner schattenwerfender Gegenstand, etwa ein Kügelchen (oder wie gewöhnlich ein gegen die Mitte der Höhlung ragender Stift) angebracht. Sobald die Sonne am Horizont erscheint, wird sich auch am Horizont der hohlen Halbkugel, nur an der entgegengesetzten Seite der Schatten des Kügelchens zeigen und dieser wird dann bis zum Untergang der Sonne im Inneren der Hohlkugel genau denselben Kreis beschreiben, den die Sonne am Himmel macht, nur in umgekehrter Richtung. Bezeichnet man im Inneren des Hemicycliums den Weg des Schattens durch eine bleibende Linie und wiederholt dieses an beliebig vielen Tagen, so hat man ebenso viele Tageskurven für die zu entwerfende Uhr gewonnen. Man wird sich aber nach der Gewohnheit der Alten mit drei Schattenkurven, für das Aequinoktium, für den längsten und den kürzesten Tag, begnügen und darf dann nur noch jede dieser Kurven in zwölf gleiche Teile teilen, die Schnittpunkte durch Stundenlinien miteinander verbinden, und im Prinzip ist die Uhr fertig.”

Fig. 1.

Die hier abgebildete Sonnenuhr stammt aus der „casa dei capitelli figurati” und wurde von Avellino (Descrizione di una casa Pompeiana. Napoli 1837) veröffentlicht. Die Ziffern und Zeichen des Tierkreises sind nur des bessern Verständnisses halber beigefügt, fehlen also im Original, indem die Alten die Stunden wahrscheinlich abzählten, statt sie abzulesen; nur die Mittagslinie wurde besonders hervorgehoben. Außer dieser Art Uhren kannten die Alten noch viele andere. Bald konstruierte man auch tragbare Sonnenuhren, die man aufhing, vielleicht am Halse, wie später die mechanischen Taschenuhren. Darauf scheint auch eine Stelle bei Athenäus hinzudeuten, wo von einem Geizhals, der einen Oelkrug trägt, gesagt wird: „Er sah so oft nach seinem Oel, daß man glauben konnte, er trage eine Uhr.” Es bezeichnet diese Verallgemeinerung der Uhren einen großen Fortschritt; denn die Sonnenuhren waren nicht bloß kostbare Instrumente, sondern mußten natürlich für gewöhnlich auf freien Plätzen aufgestellt sein; es war somit bei der eigentümlichen Bauart der Alten oft sehr umständlich, zu wissen, wieviel Uhr es sei. Reiche Leute hielten sich einen eigenen Sklaven, welcher ihnen die Zeit anzuzeigen hatte; oft bezahlten auch mehrere miteinander einen Stundenherold zum gleichen Zweck. Ganz reiche Männer erlaubten sich den Luxus einer kostbaren Uhr in ihrer Wohnung, wie z.B. Petronius von Trimalchio, einem zu großem Reichtum gelangten ehemaligen Sklaven berichtet, er habe seinen staunenden Gästen eine solche Uhr vorweisen können.[9]

Als Erbteil der Alten erhielten sich die Sonnenuhren bis weit in die neuere Zeit herein. Im Mittelalter und später wurde die Theorie derselben vielfach ausgebildet und vervollkommnet. Die bedeutendsten Mathematiker und Astronomen beschäftigten sich mit Gnomonik, der Lehre von den Sonnenuhren. Hier mögen bloß die Namen Purbach, Regiomontan, Stabius und besonders Sebastian Münster (1489–1552) genannt sein, von denen der letztere allein drei Werke hierüber verfaßte, weshalb er oft der Vater der Gnomonik heißt.

Einen Fehler aber haben die Sonnenuhren bei aller Vollkommenheit, der sich auch gar nicht beseitigen läßt: sie zeigen bei trübem Wetter und bei Nacht nicht. Es lag nun wohl der Gedanke nahe, beim Anblick z.B. von langsam ausrinnendem Wasser, diese scheinbare Gleichmäßigkeit als Zeitmesser zu benützen, d.h. eine Wasseruhr zu konstruieren. Der klassische Name dieses Instrumentes „Klepshydra” ist vielleicht gerade von dem langsamen, gleichsam „verstohlenen” Ausfließen des Wassers hergenommen.

Wer die Wasseruhren erfunden, läßt sich nicht sagen. Sicher ist, daß die Chaldäer solche verwendeten; Macrobius berichtet nämlich von ihnen, daß sie ein bestimmtes Quantum Wasser in zwölf Teilen teilten, so daß jeder Teil während der Zeit ablaufen sollte, während welcher ein Zeichen des Tierkreises durch den Meridian ging. Aus vielen Gründen konnte aber diese Art der Zeitmessung bei den Alten nicht genau sein, denn abgesehen von der stets ändernden Druckhöhe und folglich veränderlichen Ausflußmenge, war die eigentümliche Stundeneinteilung ein großes Hindernis der Genauigkeit. Die Alten teilten bekanntlich den Tag und die Nacht das ganze Jahr hindurch in zwölf gleiche Teile, so daß die Dauer der Stunden beständig wechselte. Genannter Uebelstand wurde jedoch bald überwunden und die Wasseruhren kamen rasch zu ziemlicher Vollkommenheit. Bilfinger (l.c. S. 8) ist der Ansicht, daß die bekannte Klepshydra der attischen Gerichtssäle nicht ein eigentlicher Zeitmesser im heutigen Sinn gewesen, sondern nur zur rohen Abmessung der zum Sprechen eingeräumten Zeit überhaupt gedient habe. Sie bestand aus einem größeren, auf einem Dreifuß stehenden Gefäß, welches durch eine enge Oeffnung das eingefüllte Wasser in einen darunter stehenden Behälter abgab. Aus verschiedenen Notizen geht hervor, daß Versuche angestellt wurden, wie viele solcher Wassermaße in einem Lichttag Raum fanden, und daß man, weil der kürzeste Tag als Norm angewendet wurde, nie in die Nacht hinein kam. Deshalb werden die Wasseruhren in einem Tacitus zugeschriebenen Werke mit Recht Zügel der Beredsamkeit genannt. Die eigentümlichen Ausdrücke, die sich auf Wasseruhren beziehen, sind dem Leser der alten Klassiker geläufig. So z.B. bei Aeschines: „erstes, zweites etc. Wasser” ebenso „clepshydras clepshydris addere,” wenn der Richter in außerordentlichen Fällen doppelte Zeit bewilligte, oder „aquam sustinere,” das Wasser aufhalten, beim Verlesen von Urkunden, Zeugenverhör u.s.w., bis der Redner wieder weiterfahren konnte. „Hic hæret aqua,” „aqua mihi hæret,” sagte man, wenn etwa durch ein Fäserchen, was leicht vorkam, die Ausflußöffnung verstopft war. Aquam perdere, hieß „in den Tag hinein reden.”

Auch die Aegypter benützten schon Wasseruhren, wie z.B. die Sage vom Kynoskephalos (Hundskopf), von der Horapollo berichtet, beweist. Nach ihr hätte dieses Tier täglich zwölfmal sein Wasser lassen müssen und dabei geschrieen; daher stamme die Zwölfteilung. Deshalb wurde auch häufig auf die Wasseruhren dieser Kynoskephalos gesetzt. Sie gebrauchten die Wasseruhr auch zu astronomischen Zwecken; Ptolemäus tadelt zwar in seinem Almagest die Ungenauigkeit dieser Instrumente, indes sind doch die von den Aegyptern erzielten Resultate erstaunlich genau. Sie berechneten aus der Zeit, während welcher die Sonne ganz über den Horizont heraufsteigt, bezw. durch Vergleichung des Wasserquantums, das hiebei ausfloß, mit dem den ganzen Tag über ausfließenden, den Durchmesser der Sonne zu 28 und zirka 31 Minuten für Sonnennähe und Sonnenferne; neuere Messungen ergaben hiefür 31 bezw. 32 Minuten![10]

Die Babylonier benützten schon 600 v. Chr. Wasseruhren, welche bei Sonnenaufgang gefüllt wurden; sobald sie leer waren, wurde dies durch Herolde in der Stadt bekannt gemacht, was täglich mehrere Male geschah. So konnte also jeder seine Uhr leicht selbst richten.

Plato (427–347 v. Chr.)[11] soll ebenfalls eine Wasseruhr verwendet haben und zwar als Wecker, so daß fälschlich dieser Gelehrte hie und da als deren Erfinder genannt wird. Vitruv gibt im 9. Buch seiner Architektur weitläufigere Nachrichten über die Wasseruhren und deren Konstruktion. Nach ihm wäre der Sohn eines Barbiers, Ktesibius aus Alexandrien (geb. ca. 150, oder nach anderer Angabe 247 v. Chr.), ein mechanisches Genie des Altertums, der Erfinder dieser Uhren. Wie bekannt, wird diesem gleichen Mann auch die Erfindung der Feuerspritze, d.h. der Druckpumpe und der Wasserorgel zugeschrieben.[12]

Die von Vitruv gegebene Beschreibung ist so kompliziert, daß die Uhr des Ktesibius jedenfalls nicht als erste derartige Vorrichtung angesehen werden kann. Sie zeigte nicht bloß die Tagesstunden, sondern auch den Monatstag, den Monat und sogar den Stand der Sonne im Tierkreis. Auch war sie mit einem Räderwerk versehen, und wenn nicht schon Aristoteles (384–322) Räderwerke erwähnte, könnte man Ktesibius für deren Erfinder halten.

Um dem Leser jedoch wenigstens einen Begriff von den Wasseruhren der Alten zu geben, lassen wir hier die Beschreibung Vitruvs folgen.[13] „Zuerst stellte Ktesibius eine Mündung her (im oberen Wassergefäß), indem er sie entweder in einem Stück Gold ausarbeitete, oder mit einem durchbohrten Edelstein versah, denn diese beiden Körper werden weder von dem Hindurchfließen des Wassers angegriffen, noch bildet sich an ihnen Unreinigkeit, welche das Mündungsloch verstopfen könnte. Indem nun das Wasser ganz gleichmäßig durch diese Mündung hindurchfließt, hebt es ein umgestürztes Becken, das von den Technikern „der Kork” oder „die Scheibe” genannt wird, auf welchem ein Stab angebracht ist, der mit gleichen Zähnchen besetzt ist, wie die damit in Verbindung stehende Drehscheibe (Rad), welche Zähne, ineinandergreifend, eine langsame, regelmäßige Drehung und Bewegung verursachen.[14] Andere damit in Verbindung stehende und in derselben Weise gezähnte Drehscheiben, die alle durch ein und dieselbe bewegende Kraft getrieben werden, bewirken durch ihre Drehung die verschiedenen Bewegungen, nach welchen Figuren sich bewegen, Kegelsäulen sich drehen, Kügelchen oder Eier fallen (Schlagwerk!), Blasinstrumente ertönen und andere Nebendinge mehr. Bei diesen Uhrwerken sind die Stunden entweder auf einer Säule oder einem Pfeiler verzeichnet und eine von unten heraufsteigende menschliche Figur zeigt den ganzen Tag über mit einem Stäbchen auf diese hin.”

Weil aber, wie schon bemerkt, die Tages- und Nachtstunden bei den Alten nicht das ganze Jahr hindurch gleich blieben (Aequinoktialstunden), sondern beständig wechselten, so mußte natürlich auch die Regulierung des Wassers veränderlich sein, ebenso das Zifferblatt. Ersteres wurde nach Vitruv erzielt durch einen massiven Kegel, der in den mit Wasser gefüllten Hohlkegel genau paßte und durch einen Regulierstab höher oder tiefer gestellt werden konnte, wodurch die Oeffnung des Hohlkegels mehr oder weniger frei wurde. Das Zifferblatt war entweder auswechselbar oder es wurde theoretisch für das ganze Jahr konstruiert, indem man die Stunden des längsten und kürzesten Tages auf der Säule in zwei vertikalen Linien anbrachte und durch zur Basis der Säule etwas schräglaufende horizontale Linien mit einander verband. Der Zwischenraum wurde wieder durch die Monatslinien in vertikaler Richtung geteilt. So entstand eine Art Netz, wie bei den Sonnenuhren; durch Einstellen der Stundensäule auf die richtige Zeit ließ sich dann auch eine beliebige Tagesstunde ordentlich genau ablesen.[15]

Auch andere Uhren werden von Vitruv angeführt, sie sind jedoch, bei der dunkeln Ausdrucksweise dieses Schriftstellers, schwierig zu erklären. So z.B. das „horologium anaphoricum,” die Aufzuguhr, mit Gewichten, welche sich aber doch wesentlich von unsern heutigen Räder- und Gewichtuhren unterscheidet.

Von alten indischen Wasseruhren berichtet Schlagintweit (Münchener Sitzungsberichte 1871. 2. S. 128–38). Sie bestehen aus metallenen hohlen Halbkugeln, die unten mit einer feinen Oeffnung versehen sind. Auf Wasser geworfen, füllen sie sich langsam und werden, wenn sie untersinken wollen, geleert und neu aufgesetzt. Ein aus Benares mitgebrachtes Exemplar brauchte bei einem Radius von 7 cm und 6 cm Höhe etwas über eine Stunde, bis es untersank. Die Zeit vom Auflegen bis zum Untersinken der Kugel nannte man Najika; dieselbe hatte wieder ihre Unterabteilungen.

Ob die Alten ihre Wasseruhren regelmäßig, auch nachts benützten, erscheint zweifelhaft, denn einmal finden wir z.B. bei Vitruv nie die Bezeichnung Nachtuhr, sondern nur: „horologium hibernum,” d.h. eine Uhr, welche die Stunden auch bei trübem Wetter angibt; ferner zeigten diese Uhren bloß zwölf Stunden, und endlich war es im Altertum wohl nicht leicht, sich zu jeder Stunde der Nacht Licht zu verschaffen. Bei Sternenhimmel, und das ist in der Heimat der alten Völker doch die Regel, konnte man viel bequemer das schon von Hipparch (ca. 160–125 v. Chr.) erfundene Astrolabium verwenden, welches aus der Höhe eines Gestirns in jedem Augenblick die Zeit anzugeben gestattet.[16] Eine Menge Wasseruhren der verschiedensten Konstruktionen, zum Teil mit Abbildungen, finden sich in C. Schott S.J., Hidraulica pneumatica. Würzbg. 1658.

Fig. 2.

An der Vervollkommnung der Wasseruhren wurde bis ins Mittelalter hinein, ja selbst bis in die neueste Zeit emsig gearbeitet. Es seien hier nur genannt Hero, der Schüler des Ktesibios, der auch eine Art Dampfmaschine erstellte; der Philosoph Boëthius; Galilei; der Abbé Varignon (1654–1722); der schweizerische Gelehrte Johann Bernoulli und dessen Sohn Daniel, der 1725 den Preis der Pariser Akademie im Betrag von 2000 Franken gewann; die Aufgabe hatte gelautet: La perfection des Clepsydres ou des sabliers sur mer.[17] Auch der berühmte P. Athanasius Kircher (1601–1680) beschäftigte sich mit der Konstruktion von allerlei Wasseruhren; er verfertigte für Kaiser Ferdinand III. eine solche mit dem kaiserlichen Doppeladler (Fig. 2). Die Abbildung ist wohl ohne weitere Erklärung verständlich; der Schwimmer zeigt die Stunden; durch eine über die Rolle a (II) gehende Schnur wird ein weiterer Stundenzeiger bewegt. (Vergl. Kircher: Musæum Collegii Romani. Amstelodami 1680. p. 40).

Fig. 3.

Außer den bisher behandelten Zeitmessern benützten die Alten auch noch die Sanduhren, deren sich schon Archimedes bedient haben soll. Eine Sanduhr besteht bekanntlich aus zwei in ein Gestell eingesetzten, gleichen konischen Gefäßen, welche mit ihren offenen Spitzen gegen einander gekehrt sind (Fig. 3). Ist z.B. das obere mit feinem Sande gefüllt, so fließt dieser in einer bestimmten Zeit in das untere ab. Durch Umdrehung der Vorrichtung kann das Spiel von neuem beginnen. Die älteste bekannte Abbildung einer solchen Uhr liefert ein antikes Basrelief, die Hochzeit des Peleus und der Thetis vorstellend; unter anderen Figuren sieht man auch Morpheus mit einer Sanduhr in der Linken.[18] Die Größe dieser Uhren wechselt von einem Fuß bis zu wenigen Zoll Höhe, ebenso die Zeit, welche sie zu messen gestatteten; gewöhnlich gingen sie ½ bis eine Stunde. Sie wurden zu jeder Zeit verwendet, im Mittelalter bei Turnieren, bei Schützenfesten etc., selbst als die Räderuhren schon lange erfunden waren. Vielfach nahm man sie, ähnlich wie Messer und Pfriemen, auf Reisen mit. Eine solche Reisesanduhr, die von Erasmus herstammt, wird noch in Basel aufbewahrt; sie wurde in einem blechernen Futteral mitgeführt. In dem notariellen Verzeichnis der Ammerbachschen Sammlung von 1662 findet sich auch diese Uhr, mit dem sonderbaren Titel: „Erasmi bleyern Sanduhrlein von Ebenholz in einem Futter.”[19] Zur Zeit Pascals (1623–1672) wurden Sanduhren auch in der Sorbonne gebraucht, um den Rednern die Zeit zuzumessen (Lettres provinciales, II). Dieser Gebrauch erhielt sich vielerorts noch bis tief in unser Jahrhundert hinein auf Kanzeln, in Gerichtssälen, bei Auktionen u.s.w. Heute findet sich der Gebrauch der Sanduhren noch etwa in der Küche beim Eiersieden, oder im Atelier des Photographen. Auch beim sogenannten „Logen,” um die Geschwindigkeit eines Schiffes zu bestimmen, bedient man sich einer Sanduhr, die gewöhnlich 14 Sekunden läuft. Fig. 3 zeigt eine reich verzierte Sanduhr, französische Arbeit, aus dem 16. Jahrhundert.

Die Genauigkeit der Sanduhr läßt aber noch viel zu wünschen übrig,[20] denn wie man sich leicht überzeugen kann, treten sehr oft Stauungen des Sandes auf, welche natürlich die Richtigkeit der Zeitmessung nachteilig beeinflussen.

Noch im ausgehenden 16. Jahrhundert fanden die Uhrmacher es nicht für unnötig, auf den feinen Uhrsand hinzuweisen, wie der Spruch zeigt, den ein zeitgenössischer Versmacher unter den bekannten Holzschnitt von Jost Amman setzte:

Ich mache die reysenden Vhr/[21]
Gerecht vnd Glatt nach der Mensur/
Von hellem glaß vnd kleim Vhrsant/
Gut/daß sie haben langen bestandt/
Mach auch darzu Hültzen Geheuß/
Dareyn ich sie fleissig beschleuß/
Ferb die gheuß Grün/Graw/rot vnn blaw
Drinn man die Stund vnd vierteil hab.

Viertelstunden konnte man auch an Sanduhren ablesen, wie noch erhaltene Exemplare zeigen; es waren in diesem Falle vier Stück aneinander gereihter Sanduhren. Die erste lief eine Viertelstunde, die zweite eine halbe, die dritte drei viertel, und die vierte eine ganze Stunde. Das Germanische Museum in Nürnberg besitzt eine solche Zusammenstellung.


II.
Uhren und Zeitmessung bis zum 12. Jahrhundert.

Inhaltsverzeichnis

Was Geist und Fleiß des klassischen Altertums geschaffen, ging in den Stürmen der Völkerwanderung zum großen Teil unter; die wenigen Keime, die noch geblieben, fanden eine neue Pflanzstätte in den Klöstern. Dorthin zog sich auf viele Jahrhunderte hinaus Kunst und Wissenschaft zurück, und von da aus verbreiteten sie sich wieder nach und nach in die Welt, um neue Triumphe zu feiern.

Im vorigen Kapitel wurde darauf hingewiesen, wie die drei Zeitmesser der Alten vervollkommnet wurden bis in die neuere Zeit hinein, und zwar sind es während des ersten Jahrtausends fast ausschließlich Geistliche und Mönche, die sich damit beschäftigten. Wohl lebte man damals noch langsamer als jetzt und kannte die Hast des heutigen Erwerbslebens nicht, die Uhr aber diente gleichwohl als ein Regulator des menschlichen Lebens, „zum großen Nutzen des Menschengeistes erfunden,” wie Cassiodor († um 570) sagt.[22]