Nora Imlau engagiert sich seit Jahren an der Seite von Eltern, Hebammen und Ärzten für selbstbestimmte Geburten. Sie ist Ressortleiterin bei der Zeitschrift »Eltern« und Autorin mehrerer Bücher. Mit ihrer Familie lebt sie in Leipzig.
Kerstin Pukall ist Pionierin der Geburtsfotografie in Deutschland. Ihre Bilder von Geburten, Schwangeren, Babys und jungen Familien sind in verschiedenen Magazinen, Sachbüchern, Fotoausstellungen und internationalen Organisationen zu sehen.
»Es wird nicht nur das Kind durch die Mutter geboren, sondern auch die Mutter durch das Kind.«
Gertrud von le Fort
Vorwort
Geburten berühren unser tiefstes Inneres
❁ Teil 1
VORBEREITENDas Geheimnis der Geburt
Birth Matters – Warum unsere Geburten so wichtig sind
Geburt verstehen – Was passiert da eigentlich genau?
Die Geburtshelfer: Hebammen, Ärzte, Partner und Doulas
❁ Teil 2
ERLEBEN10 Wege, ein Kind zur Welt zu bringen
Besondere Geburten
❁ Teil 3
VERARBEITENWie Mütter an ihrer Erfahrung wachsen
Gefühle nach der Geburt
Der Körper nach der Geburt
Wenn die Geburt anders lief als erhofft
Ein Appell zum Schluss
Nachwort von Dr. Herbert Renz-Polster
Buchtipps
Vorwort
Wo und wie wir unsere Kinder zur Welt bringen, was wir dabei erleben und erfahren, wie wir uns dabei behandelt und begleitet fühlen – diese Erfahrungen tragen wir von nun an ein Leben lang in uns, ob mit Stolz oder mit Schmerz, mit Trauer oder Dankbarkeit, mit Freude oder Leid. Ein Kind zu gebären ist eine Grenzerfahrung: Ein Erlebnis, bei dem wir über uns selbst hinauswachsen, an dem wir aber auch beinahe zerbrechen können.
Mein Herzensanliegen ist es, Frauen dabei zu unterstützen, die Geburt zu erleben, die sie sich für sich und ihr Kind wünschen – und dabei offen zu bleiben für die unerwarteten Wendungen, die das Leben manchmal nimmt. Mir ist es wichtig, dass jede Schwangere weiß, welche Optionen ihr offenstehen – damit sie sich frei für die Geburt entscheiden kann, die sich für sie richtig anfühlt. Doch auch für Mütter, die bereits geboren haben, ist dieses Buch geschrieben: Gerade weil ich weiß, wie prägend Geburtserfahrungen sein können, ist mir auch sehr bewusst, wie wichtig es ist, so eine Geburt gut zu verarbeiten – vor allem, wenn sie nicht so verlief wie erhofft.
Dieses Buch richtet sich deshalb an alle Frauen: diejenigen, die noch nie geboren haben, deren erste Geburt aber vielleicht kurz bevorsteht. Jene, die bereits eine Geburt erlebt haben und nun verstehen und verarbeiten wollen, was da mit ihnen geschah. Und auch die Frauen, die bereits Geburtserfahrung haben und nun ein weiteres Kind erwarten, dessen Geburt vielleicht ganz ähnlich, womöglich aber auch ganz anders verlaufen soll als die vorige.
All diese Frauen möchte ich einladen, mehr über das Geheimnis der Geburt zu erfahren, sich der vielfältigen Wahlmöglichkeiten für Schwangere und Gebärende bewusst zu werden und sich jede Menge hilfreicher Tipps und kreativer Anregungen sowohl für die Vorbereitung als auch für die Nachlese ihrer ganz individuellen Geburtserfahrung zu holen.
Weil Geburten nicht nur sehr individuelle, sondern auch ganz persönliche Erfahrungen sind, will ich schließlich noch einen kleinen Einblick in meine eigene Geburtsgeschichte geben, vor deren Hintergrund ich dieses Buch geschrieben habe: Ich bin bereits Mutter zweier wunderbarer Töchter, und während ich diese Zeilen schreibe, wächst in mir unser drittes Baby heran. Das heißt, ich blicke bereits auf zwei ganz unterschiedliche Geburten zurück und meiner dritten Geburt mit Spannung entgegen.
Meine beiden ersten Kinder habe ich zu Hause zur Welt gebracht, mit Begleitung einer erfahrenen Hebamme, die mich einfühlsam, geduldig und kompetent durch die Wehen lotste. Für mich waren diese beiden Geburten trotz aller Anstrengung und aller Schmerzen wunderschöne Erfahrungen, an die ich mich gerne zurückerinnere. Deshalb wünsche ich mir sehr, auch unser drittes Baby zu Hause zur Welt zu bringen.
Dass ich selbst aufgrund meiner persönlichen guten Erfahrungen ein echter Hausgeburts-Fan bin, bedeutet jedoch nicht, dass ich deshalb die Hausgeburt für die optimale Geburt für jede Frau halte. Im Gegenteil: Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass jede Schwangere ihr Kind da zur Welt bringen sollte, wo sie sich am sichersten fühlt. Das mag in meinem Fall unser Schlafzimmer sein, für andere Frauen ist dieser Ort das Geburtshaus oder der Hebammenkreißsaal des örtlichen Krankenhauses oder die Uniklinik mit angeschlossener Neonatologie. Wichtig ist mir einzig und allein, dass Frauen die Wahl haben – und dass sie es sich wert sind, eine Wahl zu treffen, die nicht nur für ihr Kind, sondern auch für sie selbst gut ist.
Denn bei einer Geburt geht es nie nur darum, ein Baby irgendwie heil aus dem Bauch zu bekommen, sondern immer auch um die Gefühle von uns Frauen. Mutter zu werden ist jedes Mal wieder ein ganz besonderer Moment im Leben – sorgen wir dafür, dass es ein schöner wird!
Ihre
❁ Teil 1
Das Geheimnis der Geburt
»Es ist nicht egal, wie wir geboren werden« – vor dreißig Jahren war dieser Satz des französischen Frauenarztes Michel Odent eine echte Provokation. Denn in der gesamten industrialisierten Welt hatte sich zu diesem Zeitpunkt eine Geburtshilfe durchgesetzt, die nur ein Ziel kannte: Hauptsache, Mutter und Kind überleben. Unter welchen Umständen, schien nebensächlich. Eine Geburt sollte schließlich nicht schön sein, sondern vor allem sicher. Oder?
Seither hat sich viel getan: Die »Geburt ohne Gewalt«, die der Gynäkologe Frédérik Leboyer in den 1970er Jahren in einem viel gelesenen, emotionalen Plädoyer forderte, hielt in mehr und mehr Kreißsäle Einzug. Partner durften nun zur Geburt mitkommen. Schwangere Frauen bekamen zusehends individuelle Hebammenunterstützung statt Rasur, Einlauf, Lachgas und Dammschnitt. Neugeborene wurden unmittelbar nach der Geburt nicht mehr auf den Po geklapst, damit sie besser atmeten, sondern kamen stattdessen gleich zu Mama auf die Brust.
Doch eins hat sich nicht verändert: Wie die Mutter die Geburt erlebt, ob sie sich dabei unterstützt oder alleingelassen, gestärkt oder geschwächt fühlt, wird heute noch oft als Nebensache betrachtet. »Hauptsache gesund«, bekommen Frauen nach schwierigen Geburten zu hören, als sei das das Einzige, was zählt: Mutter und Kind gesund, alles gut. Dabei wissen wir heute: Die Geburten der eigenen Kinder gehören zu den prägendsten Erfahrungen im Leben einer Frau. Der Schmerz und die Kraft, die Angst und die Zuversicht, die Unterstützung und die Einsamkeit, die wir in diesen Stunden und Minuten spüren, graben sich tief in unsere Seele ein. Nie sind wir verletzlicher als in diesem Moment, in dem wir die Kontrolle über unseren Körper zu verlieren scheinen. Nie sind wir offener als in einer Zeit, in der wir uns im wahrsten Wortsinn bis zu den Grenzen des Erträglichen hin öffnen müssen, um einem anderen Menschen das Leben zu schenken. Und nie sind wir empfänglicher für Botschaften über uns selbst als an der Schwelle des Mutterseins: So stark kann ich sein, so schwach darf ich sein – diese Selbsterkenntnisse aus der Zeit der Geburt bestimmen unsere allerersten Gefühle als Mutter, als Frau, die ein Kind geboren hat.
Von Ina May Gaskin, der US-amerikanischen Pionierin einer frauenfreundlichen Geburtshilfe, ist der berühmte Satz überliefert, dass man Qualität in der Geburtshilfe stets daran erkennen kann, ob sich die Gebärende wie eine Göttin fühlt. Tut sie das nicht, wird sie nicht richtig behandelt. Stellt sich die Frage: Wie fühlen sich Frauen bei uns unter der Geburt? Hier eine kleine Auswahl an Antworten junger Mütter:
»Ich habe mich stark wie eine Löwin gefühlt, als könnte ich alles schaffen!«
»Ich kam mir vor wie ein dummes Schulmädchen, das ohne Hilfe der Ärzte gar nichts gebacken kriegt.«
»Ich habe mich wie eine Kriegerin gefühlt: mutig und zu allem bereit!«
»Ich fühlte mich total elend und alleingelassen, wie ein ausgesetztes Waisenkind.«
»Nach meinem Kaiserschnitt fühle ich mich wie eine Versagerin, die nicht einmal geschafft hat, ihr Kind aus eigener Kraft zur Welt zu bringen.«
»Ich fühlte mich wie ein Marathonläufer, der kurz vorm Ziel aufgeben will – und es dann mit letzter Kraft doch noch über die Zielgerade schafft!«
Diese Aussagen zeigen: Frauen erleben ihre Geburten nicht nur extrem unterschiedlich – ihr Geburtserleben prägt auch ihr Selbstbild. Empfinden sie sich als Kriegerin, Löwin oder Marathonläuferin, schwingt in diesen Beschreibungen Stärke und Ausdauer, Kraft und Selbstbewusstsein mit. Erleben sich Frauen hingegen bereits an der Schwelle zum Muttersein als Versagerinnen, empfinden sie die Geburt ihres Kindes als einen Moment der Schwäche und des Scheiterns, der Enttäuschung und des Ausgeliefertseins, so wirken auch diese Erfahrungen in ihnen nach und machen es ihnen schwerer, ihre neue Rolle als Mutter mit einem positiven Selbstbild zu verknüpfen.
Wünschen wir uns starke, selbstbewusste Mütter, müssen wir also bereits an diesem frühen Punkt ansetzen und die Bedingungen für gute, stärkende Geburten schaffen, aus der Frauen körperlich und seelisch möglichst unverletzt hervorgehen. Denn es ist nicht nur nicht egal, wie wir geboren werden. Es ist auch nicht egal, wie wir gebären. Jede Geburt bringt auch eine veränderte Frau zur Welt.
Was für eine Geburt wünschen sich Frauen? Verschiedene internationale Studien zeigen: Der Großteil aller Schwangeren wünscht sich eine normale, natürliche Geburt – auch wenn in der medialen Berichterstattung über den Trend zum Wunschkaiserschnitt häufig ein anderes Bild gezeichnet wird. So gaben etwa 96,3 Prozent aller schwangeren Frauen in einer Untersuchung der Universität Osnabrück an, auf eine natürliche Geburt zu hoffen, nur 3,3 Prozent wünschten sich einen Kaiserschnitt. Das heißt, heutige Schwangere sind sich keineswegs zu fein zum Pressen, wie ihnen immer wieder unterstellt wird, im Gegenteil: Der Wunsch nach einer natürlichen Geburt ist groß – und die Enttäuschung, wenn die Geburt anders lief als erhofft, dementsprechend verbreitet.
Wie soll aber die natürliche Geburt ablaufen, damit sie als gute Geburt erlebt wird? Auch da haben Schwangere klare Vorstellungen: Sie wünschen sich, dass die Geburt nicht allzu schmerzhaft ist und nicht allzu lange dauert. Außerdem wollen sie sich die gesamte Zeit über sicher und gut begleitet fühlen und sich keine Sorgen um ihre eigene Gesundheit oder die ihres Kindes machen müssen. Fast alle Frauen wünschen sich außerdem, unter der Geburt nicht nur von professionellen Geburtshelfern, sondern auch von mindestens einem vertrauten Menschen begleitet zu werden. Ganz oben auf der Wunschliste dafür steht bei den meisten der eigene Partner, manche wünschen sich aber auch ihre Mutter, ihre Schwester, eine enge Freundin oder eine Doula als Geburtsbegleiterin. Der Wunsch nach liebevoller Begleitung ist es auch, der beide eint, Frauen, die eine natürliche Geburt anstreben, und Frauen, die sich einen Kaiserschnitt wünschen: Sie alle wollen im Moment des Mutterwerdens nicht alleine sein, sondern sich unterstützt und getragen fühlen.
Konkret heißt das: Um eine Geburt als gute Geburt zu erleben, braucht eine werdende Mutter
ein Umfeld, das sie dabei unterstützt, ihr Baby so zur Welt zu bringen, wie sie es sich wünscht
konkrete Hilfe im Umgang mit den Geburtsschmerzen
besondere Unterstützung, wenn die Geburt länger dauert oder kräftezehrender ist als erwartet
liebevolle Begleitung durch vertraute Menschen
das gute Gefühl, in sicheren Händen zu sein und professionell betreut zu werden
Schwangere bekommen immer wieder den Tipp, ganz unvoreingenommen in die Geburt ihres Kindes hineinzugehen und bloß keine Pläne zu machen: Nachher käme ohnehin alles anders! In diesem Rat steckt durchaus ein Funken Wahrheit: Jede Geburt ist eine Wundertüte, niemand weiß im Vorhinein genau, was passieren wird – sich da eine gewisse Beweglichkeit im Kopf und im Herzen zu bewahren, ist sicherlich keine schlechte Idee.
Doch deshalb auf jegliche Planung zu verzichten und einfach darauf zu vertrauen, dass die Geburt schon gut gehen wird, ist zumindest riskant: Schließlich gibt es leider eine Menge Frauen, die verletzt und unglücklich aus der Geburt ihres ersten Kindes herausgehen und sich wünschen, sie hätten sich vorher besser informiert und sich anders vorbereitet. Ihre Erfahrungen sollten Schwangeren keine Angst machen (denn Angst ist niemals ein guter Ratgeber), sie können uns aber durchaus sensibilisieren: dafür, wie wichtig es ist, uns im Vorhinein in Ruhe zu überlegen, was genau uns für die Geburt wichtig ist. Und wie wir jetzt schon dafür sorgen können, es auch zu bekommen. Denn eine Geburt ist nichts, was uns einfach passiert. Eine Geburt ist eine Erfahrung, auf die wir uns vorbereiten und deren Rahmenbedingungen wir gestalten und planen können – um uns dann fallen lassen zu können und darauf zu vertrauen, dass alles gut gehen wird.
Eine gute Geburt: Was Schwangere dafür ganz konkret tun können
Ich wünsche mir ... |
Also suche ich mir ... |
... eine natürliche Geburt mit möglichst wenig medizinischen Eingriffen. |
… einen Geburtsort, an dem natürliche Geburten die Regel sind, zum Beispiel ein Geburtshaus oder einen hebammengeleiteten Kreißsaal. |
… unter der Geburt von einer vertrauten Hebamme begleitet zu werden, egal wie lange es dauert. |
... eine Beleghebamme, die mich in die Klinik begleitet, eine Hausgeburtshebamme, mit der ich mein Kind zu Hause bekommen kann, oder ein Team von Geburtshaushebammen, mit denen ich ein enges Vertrauensverhältnis aufbauen kann. |
... keine Angst vor schlimmen Schmerzen haben zu müssen. |
... eine Hebamme, die mir erklärt, was genau man gegen Geburtsschmerzen tun kann. Danach entscheide ich mich, ob ich mich mit den Möglichkeiten natürlicher Schmerzlinderung sicher fühle oder ob ich im Zweifelsfall auf Tropf und PDA zurückgreifen können möchte. |
... mich unter der Geburt nicht alleingelassen zu fühlen. |
... Geburtsbegleiter, auf die ich mich verlassen kann: eine Hebamme, die mich eins zu eins durch die Geburt begleitet. Oder, wenn das in meiner Geburtsklinik nicht möglich ist, eine Doula, die die ganze Zeit bei mir bleibt. |
... keine Angst um mich und mein Baby haben zu müssen. |
... jemanden, mit dem ich vor der Geburt über meine Ängste sprechen kann. So finde ich heraus, welche Sorgen berechtigt sind und wie ich einen Geburtsort finden kann, der meinem Sicherheitsbedürfnis entspricht. |
... dass ich keinen Kaiserschnitt bekomme. |
... einen Geburtsort, an dem die Wahrscheinlichkeit dafür gering ist. Gehe ich zur Geburt in die Klinik, suche ich mir eine mit niedriger Kaiserschnittrate heraus. Weil es aber keine Garantie für eine Geburt ohne Kaiserschnitt-ende geben kann, spreche ich mit meiner Hebamme über meine Ängste und finde einen Weg, mit ihnen umzugehen. |
... einen Kaiserschnitt, der für mich und mein Baby so sanft und schön wie möglich ist. |
... eine Klinik, die auf sanfte Kaiserschnitte (»Kaisergeburten«) spezialisiert ist. Dort führe ich ein Vorgespräch mit den behandelnden Ärzten: Kann der OP-Termin möglichst nahe am Geburtstermin liegen? Kann eventuell der natürliche Wehenbeginn abgewartet werden? Was wird in der Klinik für das Bonding und den Stillerfolg nach einem Kaiserschnitt getan? Nur wenn ich mich in guten Händen fühle, unterschreibe ich die Einwilligung. |
Eigentlich stand alles fest: Es sollte eine natürliche Geburt werden, ohne routinemäßigen Zugang und möglichst ohne Schmerzmittel. Die werdenden Eltern hatten mehr als einmal darüber gesprochen, alles schien geritzt. Und dann setzten die Wehen ein. Und die Erinnerung aus. Wie war das noch mal mit dem Zugang? Ja, nein, später? Und eine PDA, wo sie sich doch so quält? Auf einmal erschien dem werdenden Vater die Idee gar nicht mehr so schlecht …
Fakt ist: Zu kaum einem Zeitpunkt verändern sich einmal gefasste Vorsätze so schnell wie unter der Geburt. Und das ist auch gar nicht schlimm – solange die Änderungswünsche von der gebärenden Frau ausgehen. Doch häufig sind Frauen unter Wehen irgendwann gar nicht mehr in der Lage, ihre Vorstellungen klar zu kommunizieren. Und dann wird’s kompliziert: Wer kann nun sagen, was sie will?
Um für solche Situationen gewappnet zu sein, raten viele Hebammen werdenden Eltern, in einem ruhigen Moment vor der Geburt aufzuschreiben, was ihnen für die Geburt wichtig ist, und diesen so genannten Geburtsplan in den Mutterpass zu legen. Findet vor der Geburt in der Klinik ein Vorgespräch statt, gibt es auch die Möglichkeit, den Plan in der eigenen Akte hinterlegen zu lassen. Bei der eigentlichen Geburt dient dieser Plan dann als Richtschnur – nicht mehr und nicht weniger. Und das bedeutet: Will die gebärende Frau ihre Meinung ändern, kann sie das jederzeit tun – völlig egal, was im Geburtsplan steht. Sie kann sich aber auch ganz auf die Kraft der Wehen konzentrieren, ohne ständig erklären zu müssen, was sie will und was sie nicht will. Weil sowohl ihr Partner als auch ihre Geburtshelfer das ja nachlesen können. Tritt ein medizinischer Notfall ein, handeln die Hebammen und Ärzte selbstverständlich so, wie sie es für richtig halten. Ein Geburtsplan wird also kein Klinikteam von einem medizinisch notwendigen Dammschnitt abhalten – er kann aber zum Ausdruck bringen, dass die Gebärende ohne medizinische Indikation einen Riss vorzieht.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Einen Geburtsplan zu schreiben gibt Frauen das Gefühl, mehr Kontrolle über ihren Körper und die bevorstehende Geburt zu haben – und allein dieser psychologische Aspekt führt dazu, dass sie später zufriedener mit ihrem Geburtserlebnis sind und mit einer positiveren Selbstwahrnehmung aus der Geburt gehen. Tatsächlich konnten asiatische Wissenschaftler belegen, dass hohe Erwartungen an die Geburt nicht etwa die Fallhöhe für schwangere Frauen erhöhen, sondern die Chancen auf eine gute Geburt: Je klarer Frauen positive Erwartungen an ihre Geburtserfahrung formulieren, desto positiver erleben sie statistisch gesehen die Geburt, während geringere Erwartungen Frauen im Nachhinein eher unzufrieden mit der Geburt sein lassen.
Für die Geburt unseres Kindes habe ich folgende Wünsche:
Bitte bieten Sie mir keine Medikamente zur Schmerzlinderung an. Wenn ich welche wünsche, werde ich von selbst danach fragen.
Ich möchte unter der Geburt jederzeit essen und trinken können.
Mein Mann und meine Doula sollen stets bei mir sein, auch im Fall eines Kaiserschnitts.
Falls es keine medizinische Indikation dafür gibt, möchte ich auf einen Dammschnitt verzichten und lieber einen Dammriss in Kauf nehmen.
Außer meinem Mann, meiner Hebamme und, falls es notwendig sein sollte, meinem Arzt sollen sich keine weiteren Personen im Gebärzimmer aufhalten. Ärzte und Hebammen in Ausbildung, die zu Lernzwecken bei einer Geburt hospitieren möchten, dürfen den Raum nur mit meiner ausdrücklichen Zustimmung betreten, die ich jederzeit widerrufen kann.
Solange es keine medizinischen Einwände gibt, möchte ich mich jederzeit frei bewegen können. Ich erwarte die dafür notwendige Unterstützung wie etwa ein mobiles CTG-Gerät.
Solange keine medizinische Indikation besteht, möchte ich keine medikamentösen oder manuellen wehenfördernden Mittel, ebenso möchte ich auf wehenhemmende Maßnahmen verzichten. Ich möchte keinen routinemäßigen Zugang gelegt bekommen.
Soweit es keine medizinische Indikation dafür gibt, sollte auf das Absaugen des Mund- und Rachenraums unseres Babys verzichtet werden.
Ich möchte die Möglichkeit haben, unser Baby sofort auf den Bauch gelegt zu bekommen.
Durchtrennen Sie nach der Geburt bitte nicht sofort die Nabelschnur, sondern lassen Sie sie erst auspulsieren.
Mindestens in der ersten Stunde möchte ich nicht unnötig von unserem Baby getrennt werden. Soweit möglich, möchten wir in dieser Stunde unser Baby in Ruhe begrüßen können, ohne Störungen durch Fremde oder Untersuchungen.
Ich möchte stillen und mein Baby innerhalb der ersten Stunde das erste Mal anlegen.
Ohne unsere ausdrückliche Zustimmung bekommt unser Baby kein Wasser, keinen Tee, keine Glukose und keine Milchnahrung.
Unser Baby soll zu keinem Zeitpunkt einen Schnuller bekommen.
Auf das Babybad nach der Geburt möchten wir verzichten.
Bitte geben Sie unserem Baby nur nach Absprache mit uns Vitamin K und/oder Vitamin D. Die Gabe von Silbernitrattropfen und Fluorid lehnen wir ab.
Gebären ist ein Balanceakt: Wir müssen dabei aktiv mitarbeiten und gleichzeitig geschehen lassen, in einer einzigartigen Mischung aus unglaublicher Kraftanstrengungen und völliger Hingabe. In der Geburtsvorbereitung ist das ähnlich: Die besten Chancen auf ein schönes Geburtserlebnis haben nachweislich Frauen, die sich intensiv auf ihre persönliche Traumgeburt vorbereitet haben – und dann locker lassen. Was zunächst nach einem unauflösbaren Widerspruch klingt, lässt sich in der Praxis gar nicht so schwer umsetzen, wie viele Schwangere meinen: Sind die Vorstellungen klar und die Rahmenbedingungen für eine gute Geburt geschaffen, setzt die Entspannung meist ganz von alleine ein – durch das gute Gefühl, jetzt alles getan zu haben, was eine Frau für ihr eigenes gutes Geburtserlebnis tun kann.
Nur selten bricht eine Geburt völlig unerwartet über eine Frau herein. Meist steht vor dem Tag der Tage eine Zeit des schrittweisen Annäherns, in der die Schwangere viel Gelegenheit hat, sich Gedanken zu machen: Wo will ich mein Baby zur Welt bringen, mit welcher Begleitung und auf welche Weise?
Diese Vorbereitungszeit gibt uns Frauen die Chance, wichtige Weichen zu stellen. Doch über eines darf sie nicht hinwegtäuschen: Alle akribische Vorbereitung und alle sorgfältige Planung kann uns nicht davor bewahren, dass eine Geburt eine unerwartete Wendung nimmt. So mag etwa eine geplante Geburt im Geburtshaus oder im hebammengeleiteten Kreißsaal die Wahrscheinlichkeit für einen Kaiserschnitt senken – eine Garantie für eine natürliche Geburt gibt es aber nicht.
Und so kommt es immer wieder vor, dass Frauen plötzlich mit einer ganz anderen Geburtserfahrung klarkommen müssen, als sie sie sich erträumt haben – und sich verzweifelt fragen, wo denn nun ihr Fehler lag. Hätten sie sich noch besser vorbereiten, die Geburt noch besser planen müssen? War die Hebamme nicht die richtige Wahl oder die Geburtsklinik? Oder hätten sie es doch mit einer anderen Atemtechnik versuchen sollen? Selbstvorwürfe wie diese sind die Schattenseite des Bildes von der perfekt planbaren Geburt.
Wenn wir uns nach einer schlimmen Geburtserfahrung selbst zerfleischen, unterliegen wir aber einem gefährlichen Trugschluss: Nur weil wir heute für gute Rahmenbedingungen sorgen können, die unsere Wahrscheinlichkeit auf ein gutes Geburtserlebnis erhöhen, heißt das nicht, dass wir dafür verantwortlich wären oder gar daran schuld sind, wenn eine Geburt anders verläuft als erhofft. Es liegt in der Natur von Geburten, dass sie sich niemals bis ins Letzte planen lassen und dass sie letztlich aller guten Vorbereitung zum Trotz schicksalhafte Ereignisse sind. Wir können uns perfekt vorbereitet haben und trotzdem hinterher enttäuscht werden. Und wir können überhaupt nichts geplant haben und trotzdem eine Traumgeburt erleben.
Geburtserlebnisse sind nicht gerecht verteilt. Manche Frauen kämpfen wieder und wieder für eine schöne Geburt und dürfen sie einfach nicht erleben. Andere haben das Glück, gleich mehrmals hintereinander stark und selbstbestimmt zu gebären. All das sagt nichts darüber aus, ob eine Frau eine gute Mutter sein wird oder nicht, ob sie sich auf die Geburt körperlich und seelisch gut vorbereitet hat, ob sie ihre Traumgeburt wirklich mit jeder Faser ihres Körpers wollte. Geburten können uns stärken und schwächen, über uns hinauswachsen lassen und zu Boden bringen, und was genau davon uns widerfährt, haben wir niemals hundertprozentig in der Hand.
Das ist die schmerzhafte Wahrheit. Doch sie birgt gleichzeitig auch Trost. Denn wenn bei jeder Geburt immer auch der Schicksalsfaktor zum Tragen kommt, bedeutet das auch: Wir können im Vorhinein viel dafür tun, wie wir unsere Geburten erleben, aber was dann passiert, das liegt nicht in unserer Hand. Wir sind nicht dafür verantwortlich, wir können nichts dafür. Und wir sind niemals, wirklich niemals schuld daran, wenn eine Geburt einen anderen Verlauf nahm, als wir ihn uns für uns und unser Baby gewünscht hatten.
Um eine Geburt gut vorbereiten zu können, ist es wichtig, zu verstehen, was bei einer Geburt genau passiert. So können wir erkennen, welche Faktoren zu einer schönen Geburtserfahrung beitragen, welche Rahmenbedingungen dabei helfen und was wir selbst dafür tun können, damit uns das Gebären so leicht wie möglich fällt.
Fangen wir mit einer Überraschung an: Was ganz genau bei einer Geburt passiert, welche genauen Mechanismen alle zusammenwirken, wenn Mutter und Kind gemeinsam jene entscheidenden Zentimeter überwinden, die das Baby auf die Welt bringen – das weiß niemand. Sicher, wir wissen heute so viel über Geburten wie nie zuvor. Aber nicht alles. Auch erfahrene Geburtshelfer erleben deshalb immer wieder Überraschungen. Und so können wir uns zwar schlaumachen über Physiologie und Anatomie einer Geburt, über die Rolle der Psyche sprechen und über jene der Hormone. All das kann uns helfen, uns auf die Geburt vorzubereiten und zu verstehen, was da eigentlich passiert. Es ist wichtig und wertvoll, wenn wir dabei eines im Kopf behalten: dass jede Geburt einzigartig ist und ihr ganz genauer Verlauf ein Geheimnis bleibt – bis wir es selbst lüften.
In der Gebärmutter ist das Baby herangewachsen, nun soll es hinaus in die Welt – das ist die Ausgangslage jeder Geburt. Bis vor etwas mehr als hundert Jahren gab es dafür nur eine Möglichkeit: Das Baby musste durch den Geburtskanal. Heute ist es auch möglich, Babys mittels einer Bauch-Operation auf die Welt zu holen, dem so genannten Kaiserschnitt. In Deutschland kommen heute etwa zwei Drittel aller Babys auf natürlichem Wege, ein Drittel bei Kaiserschnittgeburten zur Welt. Bei den allermeisten dieser Kaiserschnittgeburten handelt es sich nicht um Wunschkaiserschnitte, die die Frauen aus freien Stücken gewählt haben, sondern um Kaiserschnitte, die entweder bereits vor der Geburt aus medizinischen Gründen geplant wurden oder die nach einer begonnenen natürlichen Geburt vorgenommen wurden, weil die Geburt nicht so verlief wie erhofft. Für werdende Mütter heißt das: Es ist wichtig, über beides Bescheid zu wissen – wie eine natürliche Geburt verläuft und was bei einem Kaiserschnitt passiert.