INHALT

Vorwort

Einleitung

Warum und wohin?

Jetzt? Jetzt! Gegen alle Widerstände

So geht´s

Was willst du machen: Das Wetter

Das ideale Rad?

Alles, was du brauchst

Ausrüstung im Detail

Das Lagerleben

Im Winter unterwegs

Plan B

LIEBE ARTGENOSSEN,

ist es nicht ein wunderbares Privileg, dieser Veranstaltung, die sich »Leben« nennt, beiwohnen zu dürfen? Und zu allem Überfluss sind wir nicht nur Zuschauer, sondern höchstpersönlich betroffen und befugt, unser Leben zu gestalten und zu genießen. Mit etwas Glück haben wir ein gutes halbes Dutzend Jahre Zeit, und diese Zeit will genutzt sein! Viel zu viele, so finde ich, suchen ihr Heil in ödem Gleichmaß. Gewiss: Nicht jeder Arbeitsalltag garantiert lebenslang Hochspannung. Umso wichtiger erscheint mir, wenigstens die Freizeit nicht nur medial aufbereitet vor Bildschirmen, sondern aus erster Hand im wahren Leben zu verbringen. Manch einer verlässt sich auf die Logik der Konsumgesellschaft und meint, nur kostspielige Reisen, etwa zum Schneeschaufeln in die Antarktis oder zum Zahnarztbesuch nach Mauretanien garantierten erstklassigen Erlebniswert. Lasst euch von mir versichern: Diese Annahme ist falsch. Einprägsame Erlebnisse, wunderbare Einsichten verspricht auch ein Spaziergang »um den Pudding«, wie meine Oma zu sagen pflegte. Und Abenteuer sind keine Frage des Geldes, sondern der Einstellung. Abenteuer erlebt, wer sich auf sie einlässt, wer sich nicht hinter Mauern oder im Innern einer Karosserie versteckt, sondern die Nacht unter freiem Himmel und die Fahrt dorthin auf einem Drahtesel verbringt. Das Fahrrad, so finde ich, ist die beste Erfindung, die der Mensch bisher zuwege gebracht hat, besser noch als Nasenhaarschneider und Klettverschluss. Der Autor dieses Buches, so meine ich behaupten zu dürfen, sieht dies nicht nur genauso, sondern er ist zudem ausgewiesener Fachmann in allen Fragen rund um Zweirad, Zelt und auch zeltlosem Freizeitspaß.

Ich wünsche mir, dass dieses Buch viele Leser findet. Wer den Anregungen dieses Werkes folgt, wird eventuell ein glücklicherer Mensch und schont zudem die Umwelt. Beides liegt nicht zuletzt auch in meinem Interesse.

Herzlichen Dank für Eure Aufmerksamkeit und viel Spaß beim Lesen.

Wigald Boning

EINLEITUNG

Ein Abenteuer fängt immer da an, wo ich offen bin für Unvorhersehbares, wo der Plan zurücktritt, wo spontanes Handeln notwendig wird. Je weniger Verbindungen ich dabei zur Zivilisation und zum Alltag habe, desto besser. Unser Leben ist viel zu oft zu abgesteckt, zu durchgeplant, zu langweilig. Wir wollen heraus aus unserem Kokon – nicht für immer, aber immer mal wieder. Das ist die Idee hinter dem Microadventure: Dem durchgetakteten Alltag mit seinen Verpflichtungen etwas entgegen zu stellen, bei dem wir uns selbst einmal ganz direkt spüren können. Ungefiltert, intensiv, vielleicht auch ein bisschen kalt und dreckig, sicher nicht immer fotogen. Aber mit echten Gefühlen aus eigenen Erlebnissen. Damit der Aufbruch ins Abenteuer kein Leichtsinn ist, braucht es ein Minimum an Planung. Das schließt sich nicht aus. Es ist wie bei der Improvisation im Jazz: die steht nicht auf dem Blatt, die ist nicht durchgeplant. Aber der Raum dafür, der ist vorbereitet. So ähnlich macht es der Bike-Abenteurer auch: Er schafft sich zeitlich, räumlich, mental und emotional genug Raum. Und dann geht die Reise los.

Dieses Buch lädt ein zum Aufbruch in neue Freiheiten. Vielleicht darf es (und damit ich) ja auch mit auf den ersten Overnighter. Im Vorgriff darauf entscheide ich mich bei der Ansprache meiner Leserinnen und Leser für das Du. Gemeinsames Abenteuern verbindet. Fürs Abenteuer muss man wirklich nicht in die Ferne schweifen. Einfach rauf aufs Rad und raus in die Natur! Es sind auch in deiner direkten Umgebung noch jede Menge Wegkilometer unbefahren, und an zahllosen Plätzen hat noch kein Biker sein Biwak errichtet. Aber ob der Erste oder nicht: Den Schlafsack auszurollen und im Lichte der letzten Glut einzuschlafen, krönt den Abend. Und nirgends sonst lassen sich die Jahreszeiten so direkt wahrnehmen, wie während einer Nacht im Wald. Los geht’s!

Gunnar Fehlau

WARUM UND WOHIN?

Der Rahmen verwindet sich unter den Tritten. Der Reifen verbeißt sich in den lockeren Boden. Der Puls rast. Nur noch wenige Meter und das Plateau ist erreicht. Ich halte an, wische mir den Schweiß von der Stirn und öffne das Trikot. Einen Moment durchatmen. Langsam geht der Puls runter. Die Sonne steht tief, bald wird sie verschwinden. Ich schaue ins Tal und sehe mein Göttingen. Ich bin nicht lange gefahren, aber dennoch fühle ich mich unglaublich weit entfernt. Alles richtig gemacht! Ein paar Handgriffe noch: Ich rolle Matte und Schlafsack aus, suche Holz und richte meine Feuerstelle ein. Im Tal gehen die Lichter an. Irgendwo dort unten: meine Familie, mein Zuhause, mein Leben. Ich sitze am Feuer und sehe mein »normales« Leben einmal von außen. Habe meinen Alltag, meine Routinen, meine Komfortzone für eine Nacht verlassen, ohne sie jedoch gegen eine andere Routine, eine fremdbestimmte Umgebung einzutauschen. Mein kleines Abenteuer besteht darin, ganz bei mir zu sein. Meine Bikepacking-Tour ist ein Weg zu mir selbst.

Peter Handke schrieb einmal: »An den Orten, zu denen ich gefahren wurde, bin ich nie gewesen.« Zwar glorifizierte er in »Die Abwesenheit« vor allem das Gehen; die Idee lässt sich aber gut aufs Radfahren übertragen. In beiden Fällen ist der Mensch der Motor. Nach dieser Lesart muss der Weg nicht das Ziel sein, gehört zum Ziel aber zwingend dazu – einen Zielbogen gibt es nur, wenn man vorher irgendwo an der Startlinie gestanden hat. Diese Startlinie kann auch eine mentale sein: Der Gedanke »Jetzt fahre ich los!« reicht schon aus, um in den Ich-bin-unterwegs-Modus umzuschalten.

DAS IST BIKEPACKING

Ebenso wie das Backpacking (Rucksackwandern) bedenkt man das Bikepacking sinnvollerweise von der Ausrüstung her. Der Einfluss der Ausrüstung auf das Reisen ist enorm. Der Backpacker will selbstständig mobil sein (auch in schwierigem Gelände) und hält dafür seine Ausrüstung leicht, klein, stabil und zweckmäßig. Wie weit die Ausrüstung dafür verdichtet wird, hängt stark vom gewünschten »Restkomfort« ab. Und von den Witterungsbedingungen.

Das Bikepacking überträgt diese Idee aufs Fahrrad: Mit leichtem Gepäck durchs Gelände kurbeln. Pfadfindertum trifft Mountainbiking. Charakterisierend fürs Bike-packing ist die Abkehr vom klassischen ausladenden Taschen-Sixpack aus Hecktaschen, Fronttaschen, Heckrolle und Lenkertasche mit entsprechenden Trägern. Des Bikepackers Geraffel wird direkt im und am Rahmen, am Lenker und am Sattel verzurrt. Mit einer auf diese Weise sehr schwerpunktgünstig angebrachten Minimalausrüstung lässt sich auch schwieriges Terrain bewältigen. Ein herkömmliches Reiserad (samt Gepäck für eine Langstrecken-Tour) wäre damit überfordert.

 

DAS IST EIN MICROADVENTURE

Ein Abenteuer erleben? Für die meisten Menschen ist dies angesichts einer dicht getakteten Lebensweise im städtischen Raum kaum noch vorstellbar. Das liegt auch daran, dass die Medien uns darauf konditioniert haben, groß zu denken: Wer bei »Abenteuer« gleich Weltumseglung und Achttausender-Besteigung vor Augen hat, verliert das in der Nähe liegende leicht aus dem Blick. Der britische Abenteurer und Autor Alastair Humphreys hat daher den Begriff des »Microadventure« geprägt als etwas, das mit minimalem Aufwand verbunden und auch für ganz normale Menschen mit einem gewöhnlichen Alltag machbar ist.

Ein wichtiges Merkmal ist der Perspektivwechsel. Er kann bereits darin bestehen, das gewohnte Umfeld in einem neuen Licht zu sehen – z. B. dem des Mondes und der Sterne, denn die Ur-Form des Mini-Abenteuers besteht darin, einfach mal im Garten den Schlafsack auszurollen. Von dort aus sind der Entdeckerfreude keine Grenzen gesetzt. Wenn dann zu einer Radtour in den Sonnenuntergang noch eine Nacht unter freiem Himmel hinzukommt, wird aus dem Bike-Microadventure ein sogenannter Overnighter.

 

DARUM GEHT ES NICHT

Mein Wort des Jahres ist nicht »postfaktisch«, sondern »postkompetitiv«: Rennen und Wettkampf sind vielleicht nicht unbedingt Vergangenheit, aber im Job, in der Familie, mit dem Finanzamt und im Verkehr ist ohnehin ständig Vollgas gefragt, wenn du deinen Teil vom Erfolgskuchen abkriegen und für deine Rechte einstehen willst. Das ist schon anstrengend genug – warum sich zusätzlich noch beim Abenteuern in der Freizeit unter Stress und Erfolgsdruck setzen? Schalte also einen Gang zurück: Pulsmesser und Wattvorgaben können zuhause bleiben, Strava bleibt abgeschaltet, und der bitterernst ausgefahrene Ortsschildsprint oder die Bergauf-Battle mit einem E-Biker fallen aus.

Gleiches gilt übrigens auch für das Biwak: Es muss nicht zum Härtetest wie bei den Spezialeinheiten oder in einer Doku zum Überleben in der Wildnis werden. Martialisches Survival-Getue und apokalyptisches Prepper-Gehabe finden in diesem Buch nicht statt. Wenn du Lust hast, dein Feuer ohne Streichholz zu entfachen, dann tu es – aber auch mit dem Feuerzeug oder sogar einem Grillanzünder kannst du eine tolle Tour haben. Es ist DEIN Abenteuer!

 

DARUM GEHT ES

Es geht um dich.

Es geht um das, was für dich ein Abenteuer ist.

Es geht um das, was in deinem Leben gerade möglich ist.

Es geht um das, was dir neue Wege, neue Erlebnisse, neue Eindrücke und neue Perspektiven ermöglicht.

Es geht um das, was dir Entspannung und Erholung gibt.

Es geht um das, was dich in der Balance hält.

Es geht ums Erlebnis, nicht ums Ergebnis.

Es geht ums Biken, klar.

»Die besten Radtouren sind die, bei denen es nicht ums Radfahren geht«, sagt Josh Kato, der Rekordhalter der Tour Divide. Das heißt nicht, dass man sich nicht vorbereiten, nicht anstrengen, nicht an seine Grenzen gehen sollte. Doch für ein erfolgreiches Rad-Abenteuer brauchst du weder Mentalcoaching noch Trainingsplan. Wenn du dich mit dem Rad auf den Weg machst, kannst du nicht nur ganz leicht aus der Komfortzone herauskommen, sondern dich auch gleich mal von sportlichen Zwängen befreien.

 

WAS IST DEIN ZIEL?

Wo soll es hingehen? Ob man sich diese Frage überhaupt stellen will, ist bereits die erste Entscheidung. So manches Abenteuer hat ein Ziel. Etwa eine Burgruine oder einen besonders schönen Bivy-Spot. Für andere Fahrer liegt der Reiz jedoch gerade in der Ziellosigkeit, darin, neue Wege zu finden und sich zu unbekannten Orten leiten zu lassen. Du kannst dir das nicht vorstellen? Dann hast du dein nächstes Abenteuer gefunden: Gib dir einen Ruck und probiere es aus! Verstehe das Microadventure als willkommene Gelegenheit, dich nicht nur räumlich oder zeitlich aus dem Alltag auszuklinken. Warum zum Beispiel nicht einfach einmal offline-sein? Letztes Posting an der Haustür … nächstes Posting gleicher Ort, andere Zeit: am Morgen danach!

Ein Overnighter erlaubt es dir, auch aus inneren Routinen auszubrechen. Auf spielerische Art und Weise kannst du in einem Schonraum mit Gewohnheiten brechen und Glaubenssätze in Frage stellen. Dann wird es vollends gleichgültig, wohin du fährst, denn das Abenteuer liegt hier im Erleben und in der vollkommenen Gegenwärtigkeit (nach Eckhart Tolle) des Unterwegsseins mit veränderter Geisteshaltung oder neuen Verhaltensweisen. Das bringt dich wirklich weiter. Nicht nur auf dem Trail.

 

VIELE KLEINE ABENTEUER: DAS OVERNIGHTER-KAMASUTRA

Vermutlich ist der Overnighter das bekannteste zeitliche Format: für eine Nacht raus in die Natur. Wer soviel Zeit nicht hat, etwa weil er früh am Morgen auf Dienstreise muss, der macht einen »Novernighter«: radeln, große Pause (vielleicht sogar mit Feuer samt Grillen) und noch am Abend wieder heim. Immer beliebter wird das Coffeeneuring: eine Fahrt mit gepflegter bis zelebrierter Kaffeepause. Die lässt sich zu jeder Tageszeit einschieben. Der Doublenighter wiederum ist schlicht eine (Wochenend-)Tour mit zwei Übernachtungen.

Auch das Fahrzeug, bzw. der Untergrund kann Spielprinzip des Abenteuers sein: Mit dem Fatbike ist anderes möglich als mit dem Rennrad, ein Gravelbike entfaltet woanders seinen Reiz als das B+-MTB.

Sehr reizvoll sind Zufallsformate: Einfach mal falsch abbiegen, um zu sehen, wo die unbekannte Strecke hinführt. Oder an jeder Kreuzung per Würfel entscheiden.

Wer Bekanntes neu entdecken will, der sollte mal die Tageszeiten variieren: Wann bist du zum letzten Mal in den Sonnenaufgang geradelt? Genauso toll ist es, in einer wolkenlosen Vollmondnacht bis zum Morgengrauen zu fahren und dann mit einem Powernap vor dem Frühstück weiterzumachen.

Überhaupt ist es empfehlenswert, »asynchron« zur Mehrheit unterwegs sein. Etwa in Bezug auf die Jahreszeiten: das Biwak am Baggersee im Winter aufschlagen, den Skihang im Sommer hochfahren, oder am Weihnachtsabend, wenn alle Welt nach Hause strömt, zum Zelten aufbrechen.

 

DIE GRETCHENFRAGE: ERGEBNIS ODER ERLEBNIS?

»Rennen« klingen faszinierend und machen es so einfach, sich selbst in der Welt zu verorten: Platz XYZ, hier bin ich! Doch welchen Preis zahlt man fürs Schnellsein? An Zeit, an Geld, an Vor- und Nacharbeit? Was ist der Reiz am »Gewinnen«, welchen Wert hat die Platzierung? Und welchen Sinn haben diese Ergebnistabellen? Will ich mich als Familienvater mit Übergewicht mit einem austrainierten Sportstudenten im Single-Modus vergleichen? Bikepacking, Overnighter und Microadventure passen nicht in Tabellen … also frage dich genau, was du willst und ziehe die richtigen Konsequenzen daraus! Beim Microadventure geht es ums Ankommen (bei sich selbst), nicht darum, vor jemandem (z. B. sich selbst) wegzufahren.

Dennoch sind Microadventure durchaus sportlich und sollen es auch sein. Eines ist aber ist wichtig: Niemals Vollgas fahren! Das kostet Körner, die sollte man sehr bewusst und wenn, dann genussvoll raushauen und nicht einem Affekt opfern oder für falschen Ehrgeiz an einem Hang verschwenden. Der Weg ist doch das Ziel, sagst du? Nicht ganz: Nicht der Weg, sondern der Umweg ist das Ziel. Verliere dich im Moment und gehe auf Entdeckungstour. Mach dich frei vom Leistungsdruck; wähle deshalb Strecken mit Exit-Optionen (Bahnhöfe), führe die Route in Wellen / Blasen, sodass du manche davon schlicht aussparen kannst.

Die Krux ist: Nur wer eine trainierte Fettverbrennung ausgebildet hat, kann auf langen Fahrten reüssieren, und die gibt es nicht geschenkt. Will man also abends am Lagerfeuer nicht vollends entkräftet sein, sind zwei Dinge wichtig: keine Streckenlänge jenseits der eigenen Möglichkeiten unter die Reifen zu nehmen und die Energieversorgung unterwegs solide zu erledigen. Pausen machen Spaß, bringen notwendige Erholung und sind eine gute Gelegenheit für Fotos.

 

ABENTEUER UM DIE WETTE: SELFSUPPORT-RACES

Es war John Stamstad, der 1999 die »Great Divide Mountain Bike Route« von Roosville / Montana über die kontinentale Wasserscheide der Rocky Mountains bis zur mexikanischen Grenze in Antelope Wells im Einzelzeitfahrmodus in Angriff nahm. Für die 4012 Kilometer benötigte er 18 Tage und fünf Stunden. Weder der Streckenverlauf noch seine Ideen zu dieser Abenteuerfahrt ließen Begleitung durch eine Crew zu. Er wollte sich unterwegs um alle Grundsätzlichkeiten wie Verpflegung und Quartier selbst kümmern sowie allen Unwegsamkeiten und Überraschungen solo trotzen. Diese Fahrt war die Geburtsstunde der modernen Selbstversorger-Rennen, und die Strecke gilt heute unter dem Namen »Tour Divide« ab Banff (Kanada) als die Mutter aller Selfsupport-Races.

Gefahren wird am physischen und psychischen Limit, die Cracks sind täglich über 18 Stunden im Sattel und kommen auf kaum vier Stunden Schlaf. Der Reiz liegt im gelungenen Surfen genau entlang der Leistungsabbruchkante – über viele Tage hinweg. Die meisten dieser Rennen haben einen Kodex, der jede Art vorgeplanter und privater Hilfe ausschließt und komplett auf die Selbstverantwortung und Eigenregie der Fahrer setzt. Meist verlangen die Rennen keine Startgebühr, schütten natürlich auch keine Preise aus. Sie bieten einen minimalen organisatorischen Rahmen (Route, Regeln, Startzeitpunkt) und damit maximalen Raum für persönlichen Abenteuersport. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Selbstversorger-Rennen unterschiedlicher Längen und auf unterschiedlichen Untergründen quer über den Planeten.

 

DER WEG ZUM ABENTEUER: ANREISE

Sich vom eigenen Zuhause aus ins Unbekannte aufzumachen, hat einen besonderen Reiz und ist am einfachsten. Wenn eine Anreise nötig ist, ist es eine häufige Variante, per Bahn oder Shuttle zum Ausgangsort zu fahren und sich von dort aus auf den Heimweg zu machen. Die Mindestdistanz ist dann von Anfang an klar; will man abkürzen, muss man wieder auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen, ein Taxi nehmen oder sich abholen lassen.

Wer komplett in unbekanntem Terrain unterwegs sein will, fährt irgendwohin und dreht eine Runde, die schließlich wieder an den Ausgangsort zurückführt. Das kann ein Bahnhof sein (dort lässt sich auch eine Radtasche und ähnliches im Schließfach bunkern), oder der Stellplatz des Autos, was natürlich die flexiblere Variante ist. Option Nummer drei ist es, mit der Tour zwei Punkte zu verbinden; Hinreise zum Startort und Rückreise ab dem Ziel sind dann wieder ein Fall für die Öffentlichen oder Shuttles.

Um mit der Bahn maximal flexibel zu sein, d. h. auch den ICE nutzen zu können, muss man das Rad komplett verpacken können. Spezielle, superleichte Hüllen (Fahrer-Berlin »Laube« oder Bach »Bike Protection Bag«) lassen sich im Flaschenhalter verstauen und dienen unterwegs als Unterlage für Zelt, Isomatte oder Biwaksack.

Gibt es eine Paketstation am Zielbahnhof, kann man sie nutzen, um Alltagskleidung für die Heimreise vorauszuschicken: vereinfacht die Logistik, verringert allerdings auch die Flexibilität.

JETZT? JETZT! GEGEN ALLE WIDERSTÄNDE …

Die Idee eines richtigen oder gar perfekten Momentes, der sich im Vorfeld ermitteln und planen lässt, ist eine gefährliche Illusion. So wie rote Fäden im Leben meist erst im Rückblick offenbar werden und nicht im Vorhinein als Richtschnur nutzbar sind, so ist auch der richtigen Termin für das erste Microadventure nicht vorher bekannt. Das ist etwa so wie mit dem ersten Kuss, dem ersten Kind oder dem ersten Jobwechsel.

Weil es den richtigen, den perfekten Moment nicht gibt, kann es allerdings auch kaum einen falschen geben. Der beste Moment ist das Jetzt. Sich frei zu machen von Prägungen der Vergangenheit und von Gedanken an später, ist ein spiritueller Idealzustand – auch wenn diese Befreiung nur temporär ist. Das gilt für den Overnighter wie für’s ganze Leben. Wir können in jedem Moment alles in unserem Leben durch eine Entscheidung ändern; deshalb können wir auch in jedem Moment unseres Lebens entscheiden, jetzt auf unsere erste Bikepacking-Fahrt zu starten. Dass wir dies selten tun, hat viele Gründe. Wenige davon haben auch nach einer genaueren Betrachtung noch Bestand.

 

DAS EIGENE LOSBRECHMOMENT

Vielleicht weißt du noch gar nicht so richtig, ob so ein Microadventure deine Sache ist. Du bist fasziniert von Fotos oder vom Gedanken daran, abends mitten im Wald an einem Lagerfeuer zu sitzen. Und dennoch stoppt dich eine unsichtbare Kraft.

Mach dir das Leben nicht schwer – Freizeitstress ist das Letzte, was der Gedanke an ein kleines Fahrrad-Abenteuer auslösen soll. Lege das Buch einfach mal beiseite; wenn du es jedoch nach wenigen Minuten wieder in der Hand hast, dann lohnt es sich, genauer nachzuforschen, was dich hemmt. Wenn das Buch im Regal Wurzeln schlägt, dann ist das auch okay – es zeigt dir, dass »Rad und raus!« deine Sache erst einmal nicht ist. Eine gute Erkenntnis, die dir sagt, dass zu dieser Zeit in deinem Leben andere Dinge dran sind, die vielleicht auch besser zu dir passen. Du hast keine klare Einstellung dazu? Lies dieses Kapitel zu Ende und leg das Buch dann beiseite … Vielleicht lässt du es demnächst doch noch auf einen Overnighter-Versuch ankommen. Die Chancen werden größer, je mehr du von dem abbaust, was dich am spontanen Aufbrechen hindert. Wenn das Rad fahrbereit im Keller steht und die Ausrüstung vorhanden ist, dann braucht es einfach weniger Schwung, damit du in Gang kommst. Frage dich nicht zu lange, warum du es nicht einfach tust – bereite dich vor und warte auf den Moment, in dem die Rädchen ineinandergreifen. Das eigene Tempo ist nicht nur auf dem Rad wichtig, sondern auch bei der Entscheidung, aufzusteigen.

 

ÄNGSTE

Du kannst Angst als Gefühl mit Unterlassungsaufforderung verstehen. Du kannst Angst aber auch als Aufforderung zum Hinsehen interpretieren. Letzteres ist der Schlüssel, die Angst freizulassen. Angst soll deine Wahrnehmung auf eine konkrete Sache fokussieren, sie nötigt dir vollständige Präsenz ab. Insofern steht immer irgendetwas hinter der Angst. Das Gefühl der Angst will deine Wahrnehmung auf das Thema dahinter lenken. Deshalb könnte man sich bei der Angst auch für diesen Hinweis bedanken, so wie man es im zwischenmenschlichen Miteinander ganz selbstverständlich täte.

Wer sich dem Thema hinter der Angst widmet, wird bemerken, dass damit auch die Angst verschwindet. Freilich gibt es Ängste und Themen, die hartnäckig sind. Und Angst kann sich auch ganz körperlich äußern. Es gilt das alte Motto: »Sagt die Seele zum Körper: Zeig du es ihm, auf mich hört er ja nicht!«

Für mich gehörten die Ängste vor dem ersten Overnighter und heute die Angstblitze bei komischen Geräuschen oder suspekten Schattensilhouetten nachts im Wald bereits zum Abenteuer: eine Entdeckungsreise auf dem ruppigen Trail meines Inneren – mindestens so spannend wie der Trail unter den Reifen! Wer sich seinen Ängsten zuwendet, wird bald unterscheiden können, welche davon eine objektive Grundlage in der Außenwelt haben und welche eher seelischer Ballast sind, der einen daran hindert, zu neuen Ufern aufzubrechen. Ängste helfen einem dabei, riskanten Situationen den eigenen Fähigkeiten angemessen zu begegnen – diese Ängste sind nützlich. Die anderen abzulegen, kann eines der schönsten Erlebnisse beim Microadventure überhaupt sein.

 

KEINE ZEIT?