ALEXANDER LOMBARDI · SANDRA BINDER

Die 4 vom See

Die verborgene Gruft
und das Ende aller Tränen

ISBN 978-3-417-22936-3 (E-Book)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

© 2019 SCM Verlag in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Die Bibelverse sind folgender Ausgabe entnommen:

Inhalt

Die vier vom See – das sind …

Primum Capitulum: Ein Junge verliert seine Heimat

Kapitel 1: Der Fahrraddieb

Kapitel 2: Familie Reihmann bekommt Besuch

Kapitel 3: Zu Hause und unterwegs

Kapitel 4: Ein unerwarteter Gast

Kapitel 5: Der Diebstahl

Secundum Capitulum: Publius

Tertium Capitulum: Benjamins neue Familie

Kapitel 6: Eine Suche mit überraschendem Ende

Kapitel 7: Geheimnisvolle Fundstücke

Quartum Capitulum: Eine Träne an der Wand

Kapitel 8: Unter Verdacht

Kapitel 9: Manches will man gar nicht wissen

Quintum Capitulum: Marcus Ben Benjamin

Kapitel 10: Streit zwischen Freunden

Kapitel 11: Allein

Das Versteck der Diebe

Kapitel 13: Vieles klärt sich auf

Sextum Capitulum: Et absterget Deus

Epilog: Die vier vom See

Die 4 vom See – das sind …

Antonia Reihmann

Alter: 12

Hobbys: Klettern, Archäologie

Beste Freundin: Emma

Lieblingsort: Antonia hängt am liebsten im „alten Heinrich“ ab oder sitzt auf dem Burgturm und guckt auf den Starnberger See. Außerdem klettert sie auf jeden Berg, der ihr in die Quere kommt.

Lieblingsessen: Wiener Schnitzel mit Pommes

Besondere Kennzeichen: Trägt immer Jeans und Sneaker. Hat Diabetes.

Emma Weiß

Alter: 12

Hobbys: Reiten, Biologie

Beste Freundin: Antonia

Lieblingsbeschäftigung: auf ihrem Pferd „Firestorm“ reiten, mit ihren Freunden abhängen, Lesen, Träumen und in ihrem Labor forschen

Besondere Kennzeichen: Emma ist Vegetarierin. Sie trägt eine Brille und geht ohne Pferdeschwanz nicht aus dem Haus.

Franky Giuliani

Alter: 12

Hobbys: Computer, Zocken, Kochen

Bester Freund: Jaron

Lieblingsessen: Pizza und Döner

Besondere Kennzeichen: Franky trägt am liebsten Jogginghosen. Auf seine Baseballkappe würde er niemals verzichten. Außerdem hat er immer das neueste Smartphone.

Jaron Rahn

Alter: 12

Hobbys: Kung-Fu

Bester Freund: Franky

Lieblingsbeschäftigung: mit seinen Freunden zusammen sein, in Flugzeugbüchern stöbern, Flugzeugmodelle bauen

Lieblingsessen: Currywurst mit Pommes

Besondere Kennzeichen: Hat immer perfekt gestylte Haare.

Primum Capitulum

Ein Junge verliert seine Heimat

Vor 1883 Jahren in Jerusalem

Das Hämmern war kein Traum. Benjamin öffnete die Augen. Um ihn war es Nacht, doch er konnte hören, dass Fäuste gegen die Eingangstür polterten, und dann noch mehr: Kinder schrien, Männer brüllten, Pferdehufe donnerten die kleine Gasse vor dem Haus hinunter. Nun huschte ein Lichtschein über die Wände der kleinen Kammer. Benjamin richtete sich auf und setzte sich auf die Bettkante.

Es war ungewöhnlich, dass der Elfjährige eine eigene Schlafkammer hatte. Die meisten seiner Freunde im Handwerkerviertel von Jerusalem teilten sich einen Raum mit mehreren Geschwistern oder auch mit ihren Eltern. Benjamin wusste längst, dass er es als einziges Kind einer angesehenen Familie besser hatte als viele andere. Doch jetzt war es ihm unheimlich, so alleine zu sein.

Gehetzte Schritte hallten, dann flog die Tür zu seiner Kammer auf. Im Halbdunkeln erkannte Benjamin die Silhouette seines Vaters, hinter der Feuerschein die Treppe hinaufflackerte.

Der schlanke Mann stemmte eine Hand gegen den Türrahmen und blieb stehen. Benjamin hörte ihn keuchen. Dann bemerkte er, dass sein Vater etwas in der Hand hielt.

Schnell löste sich Jakob vom Türrahmen, mit zwei Schritten war er am Bett seines Sohnes.

Der Elfjährige stand auf, sein Herz pochte gegen seine Brust.

»Benjamin!« Die Stimme des Vaters hatte einen harten, metallischen Klang, den Benjamin noch nie gehört hatte. Jakob, der immer so besonnen war, der immer wusste, was zu tun war, hatte offenbar Angst. Todesangst.

Das Hämmern gegen die Eingangstür des Hauses wich nun Axtschlägen.

»Steh auf, du musst auf der Stelle hier weg. Sie kommen.«

Benjamin verstand kein Wort. Weg? Warum? Und wohin?

Doch sein Vater ignorierte diese unausgesprochenen Fragen.

»Die Soldaten brechen gleich die Tür auf. Und dann werden sie jeden mitnehmen, den sie hier im Haus finden. Ich komme schon klar, aber du musst fliehen, du bist der letzte Levit. Einer von uns muss das hier in Sicherheit bringen!« Er streckte seine Hand aus.

Nun erst sah Benjamin, was sein Vater da so fest umklammert hielt: Es war eine goldene Schale in der Größe einer Melone.

Benjamin riss die Augen auf. »Aus dem Tempel?«, stieß er hervor.

Sein Vater nickte.

»Aber wie …? Haben die Römer nicht alles geraubt?« Benjamin kannte den Tempel nur als Ruine, nicht weit entfernt von seinem Elternhaus. Sein Großvater hatte dort als Priester gedient.

»Das spielt jetzt keine Rolle.« Sein Vater griff ihn am Arm. »Schnell, komm mit!«

Er drehte sich um und eilte aus der Kammer. Fremde Stimmen drangen aus dem Erdgeschoss zu ihnen herauf. Benjamin folgte seinem Vater zu der Leiter, die auf das flache Dach ihres Hauses führte.

Oben schaute er sich um und schnappte nach Luft: Überall in den Gassen wimmelte es von römischen Soldaten. Der Nachthimmel leuchtete: Jerusalem brannte. Entsetzt schlug Benjamin die Hände vors Gesicht und schluchzte auf. »Was passiert hier, Vater?«

Jakob packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. »Die Römer vertreiben uns alle aus der Stadt. Benjamin, es ist Zeit. Hier, tu die Schale in den Beutel.« Er reichte ihm einen Sack. »Darin ist Geld. Verlass die Stadt, so schnell du kannst. Geh zu Publius, dem römischen Zenturio, der uns schon so oft heimlich besucht hat.«

Benjamin runzelte die Stirn. Er konnte sich gut an Publius erinnern: groß gewachsen, soldatisch kurz geschnittene Haare nach Art der Römer, eine Narbe auf der Stirn. Fester Händedruck und dröhnendes Lachen.

Dass sein Vater eine Freundschaft mit einem der römischen Besatzer pflegte, hatte in der Nachbarschaft immer wieder zu gehässigen Kommentaren geführt. Benjamin wusste nur zu genau, was seine Freunde darüber dachten. Stumm stopfte er die Schale in den Sack.

Jakob sah Benjamin eindringlich an. »Publius wird dir helfen, das weiß ich. Er ist ein Jünger unseres Rabbis. Die zehnte Legion hat nach dem Aufstand die Stadt verlassen und lagert nun irgendwo Richtung Westen. Publius wurde letzte Woche zum Wachdienst eingeteilt. Er hat immer die dritte Wache am südlichen Zaun des Lagers.

Schleich dich dorthin und versuche, ihn zu treffen. Wenn du ihn nicht siehst, versteck dich. Und dann versuch es jede Nacht wieder. Sprich mit Publius allein. Jetzt musst du los. Lauf, so schnell du kannst!«

Rasch richtete Jakob sich auf und hielt seine Hände über den Kopf seines Sohnes, eine Segensgeste, die Benjamin vertraut war, seit er denken konnte.

In diesem Moment begriff er, dass nun etwas endete. Sein Vater segnete ihn zum letzten Mal. Tränen schossen ihm in die Augen, er umfasste seinen Vater mit beiden Armen und drückte sein Gesicht an dessen Brust.

»Geh, mein Sohn. Der Segen unseres Messias Jeschua und die Liebe deiner Eltern werden immer bei dir sein.« Sanft löste Jakob Benjamins Arme und zog ihn zum Dachrand, wo eine Leiter in die Dunkelheit führte. »Geh!«, flüsterte er. »Schau nicht zurück.«

Benjamin kletterte über den Rand des Daches und stellte sich auf die erste Stufe.

In diesem Moment erschien ein Kopf in der Luke, durch die sie gekommen waren. Dann hievte sich ein römischer Legionär in voller Bewaffnung aufs Dach.

Benjamins Vater fuhr herum.

»Na, da ist ja noch eine dieser Ratten!«, grölte der Soldat.

Benjamin duckte sich hinter den Dachrand; er wagte nicht, sich zu rühren.

Jakob fiel auf die Knie und rief: »Habt Gnade, wir haben mit dem Aufstand nichts zu tun. Wir sind Christen, wir gehören nicht zu Bar Kochba!«

»Ihr Juden seid alle gleich! Wisst nicht, wie gut es unser Kaiser mit euch meint.« Nun ging der Römer drohend auf Jakob zu. Seine Rüstung klirrte bei jedem Schritt.

Jakob senkte den Kopf.

Langsam zog der Soldat sein Kurzschwert aus der Scheide, hielt es Jakob unters Kinn und hob dessen Kopf an. Für einen Moment starrten sich beide an, ohne zu sprechen.

Dann kniff der Soldat die Augen zusammen und zischte: »Dein Nachbar war ziemlich gesprächig. Was er wusste, hat mich doch aufhorchen lassen. Er erzählt, dass dein Vater im Tempel gearbeitet hat. Und dass ihr euch bedient hättet, bevor wir dort endlich aufgeräumt haben. Er sagt, du versteckst Tempelschätze.«

Benjamin ließ fast den Sack fallen.

»Das ist nicht wahr«, stammelte Jakob und wich dem Blick des Römers aus.

»Nein?« Der Soldat packte ihn am Gewand, zerrte ihn auf die Füße und hielt ihm die Klinge an die Kehle.

Da schrie Benjamin laut auf.

Der Römer fuhr herum und sah den Jungen auf der Leiter. Augenblicklich stieß er Jakob so heftig von sich, dass dieser mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug und reglos liegen blieb.

Benjamin starrte seinen Vater an, dann den Soldaten. Der Römer kam auf ihn zu.

Für den Bruchteil einer Sekunde noch beobachtete Benjamin seinen Vater. Dieser lag ganz still auf dem Dach, seine Augen waren geschlossen. Da löste sich der Junge aus seiner Starre und rutschte die Leiter hinunter, den Sack fest umklammert. Unten sprang er auf den Boden, packte die Leiter und riss sie um.

In diesem Moment schaute der Soldat über den Dachrand, zornig flackerte sein Gesicht im Licht der brennenden Häuser ringsum. Benjamin wandte sich ab, warf den Sack über die Schulter und rannte los. Hinter ihm verschwand das Gebrüll des Legionärs in den Rauchschwaden.

Benjamin kannte den Weg zum Stadttor im Schlaf. Fast jeden Tag hatte er den Esel zu dem kleinen Gemüsegarten vor der Stadt getrieben, wo sein Vater Hirse und Oliven anbaute. Seit dem Tod seiner Mutter hatte Benjamin kräftig mit anpacken müssen.

In dieser Nacht erkannte er sein Viertel jedoch kaum wieder: In den meisten Straßen standen Häuser in Flammen, überall marschierten Soldaten durch die Gassen und trieben Familien aus den Gebäuden. Manche warfen die Möbel und Besitztümer der Einwohner aus den Fenstern. Frauen, Männer und Kinder drängten sich in den Gassen und drückten das wenige, das sie in der Eile hatten zusammenraffen können, an sich. Babys weinten, Kinder schrien, es herrschte ein unglaubliches Chaos.

Benjamin duckte sich in die Menge, presste den Sack mit der Schale an sich und senkte den Kopf. Verstohlen schaute er sich immer wieder nach dem Soldaten vom Dach um. War es möglich, dass er ihm folgte?

Soldaten sah er viele, doch keiner sah so aus wie der Mann, der ihm gerade sein Zuhause genommen hatte.

Irgendwann strömte die Menge der Menschen an einer kleinen Seitengasse vorbei, die Benjamin gut kannte. Er löste sich aus dem Pulk und rannte davon.

Später hätte er nicht mehr sagen können, wie genau er in dieser Nacht aus dem Viertel und durch das Stadttor entkommen war. Aber als er aufhörte zu rennen, sah er in der Ebene vor sich das Lager der Legio Fretensis.

Eine Weile stand Benjamin einfach nur da. Den Lärm der Schlacht hörte er hier nur noch aus der Ferne; hier draußen schien alles zu schlafen, so wie immer.

Aber in Wirklichkeit war nichts so wie immer. Zu seiner Rechten konnte Benjamin die Straße sehen, die von Jerusalem in Richtung Jericho führte. Ein Strom von Menschen drang aus dem Stadttor – Menschen, die wussten, dass sie nie zurückkehren würden. Ihre Häuser brannten, ihre Stadt war zerstört. Wohin würden sie gehen?

Benjamin senkte den Kopf. Er war einer von ihnen. Wohin sollte er gehen? Seine Mutter war tot, sein Vater wahrscheinlich auch, die Verwandten auf der Flucht.

Ausgerechnet ein Römer sollte nun seine Rettung sein? Benjamin dachte an die Worte seines Vaters: »Er ist ein Jünger unseres Rabbis. Er wird dir helfen.«

Wenn Publius Christ war, dann würde er ihm vielleicht wirklich helfen. Dessen Kameraden aber sicher nicht, die würden Benjamin seinen Besitz abnehmen und ihn davonjagen. Publius allein zu treffen würde nicht einfach sein.

Benjamin sank auf dem staubigen Boden des Hügels in die Knie. »Jeschua«, flüsterte er, »auch wenn du weißt, was mich nun erwartet – ich weiß es nicht. Auch wenn du allmächtig bist – ich zittere. Mein Vater gab mir deinen Segen. Es waren vielleicht die letzten Worte, die ich je von ihm hören werde. Auf diesen Segen berufe ich mich, Herr. Ich verlasse mich darauf, dass du dieses Versprechen einlösen wirst.«

Als das erste Licht des Morgens am Horizont schimmerte, stand Benjamin auf. Immer noch strömten die Einwohner von Jerusalem aus der Stadt. Es wurde Zeit. Benjamin nahm den Sack mit der Schale und ging den Hügel hinunter.

Das Lager der zehnten Legion war eine richtige Stadt, fast so groß wie Jerusalem selbst. Etwa 5000 Soldaten hausten in den hastig errichteten Zelten. Über hundert Pferde, eine Menge Vieh und Kriegsgerät lagerten innerhalb der Palisade. In anderen Nächten hätte Benjamin das Rufen von Männern hören können, das Wiehern der Pferde und das Klirren von Waffen.

Doch an diesem frühen Morgen war das Lager fast leer: Die meisten Soldaten waren in der Stadt. Sie raubten und plünderten und zerstörten, was von Jerusalem noch übrig war. Ob Publius wirklich zurückgeblieben war, wie Jakob gesagt hatte?

Benjamin ging zügig weiter. Er musste sich beeilen, denn die dritte Wache würde bald zu Ende sein. Als er nur noch etwa hundert Schritte vom Lagertor entfernt war, wandte er sich nach links und marschierte parallel zum Zaun weiter. Noch war es fast dunkel und die Wachen am Tor würden ihn hoffentlich nicht sehen können.

Nachdem er die Ecke der Palisade erreicht hatte, versuchte er, etwas näher heranzugelangen. Dabei duckte er sich immer wieder hinter Felsbrocken und niedrige Büsche.

Wenig später konnte er zwei Gestalten erkennen: Es waren die beiden Soldaten, die auf dieser Seite Wache hielten. Sie gingen in entgegengesetzter Richtung am Zaun entlang. Sobald sie das Ende der Palisade erreicht hatten, drehten sie wieder um und trafen sich in der Mitte.

Benjamin kauerte sich hinter einen großen Felsblock, als einer der Soldaten in seine Richtung kam. Immer lauter stapften die Schritte, bis der Mann nah genug war, dass Benjamin sein Gesicht unter dem Helm sehen konnte. Es war nicht Publius.

Enttäuscht lehnte der Junge seine Stirn an den Felsen. Aber nur kurz, denn eine Chance hatte er noch. Er beobachtete, wie der Soldat die Ecke des Zauns erreichte, umdrehte und auf dem gleichen Weg zurückging. Sein Kamerad kam ihm entgegen, und nachdem sie sich in der Mitte getroffen hatten, näherte sich nun der andere Soldat dem Versteck des Jungen.

Wieder strengte Benjamin seine Augen an und versuchte, das Gesicht des Mannes zu erkennen. Der Römer schenkte seiner Umgebung mehr Aufmerksamkeit als sein Kollege, er sah sich beständig um. Doch er merkte glücklicherweise nicht, wer sich ganz in seiner Nähe aufhielt.

Als er für einen Moment genau in Benjamins Richtung blickte, konnte dieser einwandfrei erkennen, dass es nicht Publius war.

Der Junge wandte sich ab, lehnte sich mit dem Rücken an den Felsen und rutschte nach unten. Dann sackte er langsam zur Seite, bis er auf dem staubigen Boden lag. Disteln und Gestrüpp stachen durch sein dünnes Gewand, doch er war zu erschöpft, um sich einen bequemeren Schlafplatz zu suchen.

Er merkte, wie kalt der Morgen war. Aber dagegen konnte er nichts tun. Benjamin schloss die Augen.

Kapitel 1

Der Fahrraddieb

Am Starnberger See, Sommer 2018

»Da ist er«, flüsterte Antonia und boxte Franky an die Schulter.

»Aua!«, schrie er.

»Pssst!«, zischten Antonia und Emma gleichzeitig und knufften ihn noch einmal.

Diesmal unterdrückte Franky jedoch seinen Schrei – schließlich waren sie auf einer wichtigen Mission.

Die drei Freunde kauerten schon einige Stunden im Gebüsch vor dem Geschwister-Scholl-Gymnasium und beobachteten die Fahrräder, die dort abgestellt waren. Denn heute musste es hier passieren, Franky war sich ganz sicher gewesen.

Seit Monaten verschwanden immer wieder Fahrräder vor Schulen oder anderen Gebäuden in der Umgebung. Und als Emmas nagelneues Mountainbike ebenfalls geklaut worden war, hatten die drei beschlossen, den Dieben auf die Spur zu kommen.

Deshalb lagen sie nun an diesem letzten Tag der Sommerferien auf der Lauer – und schienen Glück zu haben.

Der dunkelblaue Kastenwagen hielt direkt vor den Fahrradständern. Ein Mann stieg aus. Er hatte sich eine rote Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen, über seine breite Brust spannte sich ein T-Shirt, auf dem ein Logo mit einem Hammer abgebildet war. Er schaute sich um und musterte für einen Moment den Busch, unter dem die drei Freunde kauerten.

Schnell duckten sie sich noch tiefer ins Laub.

Es war kein Zufall, dass sie genau heute vor dieser Schule warteten: Daran war Franky schuld. Er war ein richtiger Computer-Nerd und hatte Ort und Datum jedes Diebstahls sorgfältig dokumentiert. Dann hatte er ein kleines Programm geschrieben, das ihm das Muster errechnete, nach dem der Dieb vorging.

Antonia und Emma fanden es zwar immer sehr praktisch, wenn er solche Kunststückchen abzog. Aber es nervte sie tierisch, dass der Junge es nicht lassen konnte, mit seinen Fähigkeiten zu prahlen. Für seine aktuelle Recherche hatte er sich in den Ferien mehrere Tage zurückgezogen und dafür mächtigen Ärger mit seinem Vater bekommen.

Wie auch immer, er war sich sicher gewesen, dass das Geschwister-Scholl-Gymnasium der nächste Tatort sein würde. Denn hier fand heute eine Konferenz statt, und die Lehrer kamen zum großen Teil mit schönen, teuren Fahrrädern. Wie es schien, behielt Franky wieder einmal recht. Gegen seine Prahlerei würde das nicht gerade helfen.

Knack! Der Mann war hinter dem Kastenwagen verschwunden und schien das erste Rad loszuschneiden. Eine Kette rasselte aufs Pflaster.

»Und was wollt ihr jetzt machen? Einfach nur rumsitzen und beobachten, wie der noch mehr Fahrräder klaut?«, maulte Antonia.

Emma und Franky schauten sich an: So weit hatten sie tatsächlich nicht gedacht. Ihr Plan war gewesen, die Diebe auf frischer Tat zu ertappen. Aber was tat man, wenn man das geschafft hatte?

Wenn nur das Nummernschild nicht so verdreckt wäre! dachte Antonia. Sonst hätten wir uns wenigstens das Kennzeichen des Wagens merken können.

»Wir können ja die Polizei anrufen«, meinte Emma und schob sich ihre Brille hoch.

»Ja klar, und dann gemütlich zuschauen, wie der Typ mit einem Auto voller Räder abhaut, bevor sie hier ankommt«, zischte Antonia. »Das hätten wir uns früher überlegen müssen.«

»Wir können ihn doch filmen«, flüsterte Franky und zog sein Smartphone aus der Tasche. Nagelneu, wie jedes Jahr kurz nach seinem Geburtstag. Neidisch betrachtete Antonia das glänzende Gerät.

Da es erneut knackte, drehten sich Antonia und ihre Freunde schnell zum Parkplatz um. Dort tauchte der Typ mit dem Hammer-T-Shirt wieder auf, und zwar mit einem ziemlich neu aussehenden Rad. Er öffnete die Heckklappe des Kastenwagens und schob das Rad hinein.

»Ich hab’s!« Antonia setzte sich auf. »Franky, hast du Gewebeband dabei?«

»Äh, ja …?«, erwiderte Franky verdutzt. Er hatte immer eine Rolle in der Tasche – mit dem Zeug konnte er fast alles reparieren.

»Und dein Handy – könntest du das orten?«

»Mein Handy? Wieso denn? Das ist doch hier!« Franky streckte ihr das Teil entgegen. Er stand heute wirklich auf dem Schlauch.

Antonia seufzte. »Ja, orten! Hast du auch dein Tablet dabei und könntest dein Smartphone wiederfinden, wenn du wolltest?«

»Ja klar, kein Problem.«

»Wunderbar! Ich brauche das Klebeband und das Handy«, kommandierte Antonia.

»Bist du verrückt? Was hast du vor?« Franky riss die Augen auf.

»Mann, Franky! Ich kleb das Ding unter das Auto. Dann können wir ihn verfolgen, wenn er abhaut.«

»Voll die coole Idee«, meinte Emma begeistert. »Franky, nun mach schon!«

»Ihr spinnt wohl! Das Ding hat 500 Euro gekostet! Nehmt doch euer eigenes Handy, wenn ihr so einen Schwachsinn plant.«

»Mann, wie soll das gehen?« Antonia verdrehte die Augen. »Ich hab doch nur so ein altes Teil und das von Emma kannst du nicht orten!« Und selbst wenn, dachte Antonia im Stillen. Franky ist schon eher für einen solchen Unsinn zu haben als die vorsichtige Emma. Die würde vor Panik hinter dem Auto herrennen, wenn ihr Smartphone darunterklebte.

Aber Emma war jedenfalls gut darin, Franky zu überzeugen. »Du kriegst es ja wieder. Nun mach schon!«, sagte sie und boxte ihren Kumpel erneut in die Seite.

Franky schnaubte und reichte Antonia widerwillig sein Handy.

»Klebeband«, befahl Antonia.

»Ja, ja, ich hab es gleich!« Franky nahm seinen Rucksack ab, fand die Rolle schwarzes Gewebeband und gab sie ihr.

Antonia streifte sich die Rolle über den Arm, steckte das Handy in die Hosentasche und machte sich bereit, in Richtung des Kastenwagens zu schleichen. Franky und Emma drehten sich auf den Bauch und ließen sie nicht aus den Augen.

Vorsichtig drückte Antonia die Zweige auseinander und lief geduckt bis an den Rand der Büsche. Vor ihr lag nun die asphaltierte Fläche des Parkplatzes.

Der Dieb hatte den blauen Kastenwagen einfach quer vor die Fahrradständer gestellt, sodass man nicht sehen konnte, was dahinter passierte. Auf der Seite des Wagens war irgendwann mal ein Schriftzug angebracht gewesen, der aber inzwischen so verwittert war, dass nur noch ein »U« erkennbar war.

Wieder erschien der Mann und zwängte ein weiteres Fahrrad in den Wagen, der nun bald voll sein musste.

Kaum war er verschwunden, rannte Antonia über den Parkplatz und kauerte sich vor die Karosserie. Als sie ein Stück von dem Klebeband abzog, ratschte es laut. Erschrocken blickte sie zu Emma und Franky hinüber, die beide den Atem anhielten.

Doch der Mann hatte offenbar nichts bemerkt; wieder klapperte ein Fahrradschloss auf den Asphalt.

Antonia löste das Klebeband immer weiter von der Rolle, bis sie ein langes Stück in der Hand hielt. Sie versuchte, es abzureißen, aber das Band war zu fest.

»So, das reicht für heute«, hörte sie den Dieb plötzlich zu sich selbst sagen.

Hektisch zerrte sie an dem Klebeband, doch es hatte keinen Zweck. Da steckte sie das Band in den Mund und riss mit den Zähnen daran.

Endlich! Sie hielt ein langes Stück in der Hand. Schnell streifte sie die Rolle wieder über den Arm und griff nach Frankys Handy. Nachdem sie sich rücklings auf den Boden geworfen hatte, spähte sie unters Auto: Der Unterboden war so unglaublich dreckig, dass das Klebeband wohl nie halten würde.

In diesem Moment hörte sie Schritte, dann warf der Dieb sein Werkzeug in den Kastenwagen. Es knallte, Franky und Emma zuckten zusammen, und Antonia dachte für einen Moment, der Fahrzeugboden über ihr würde durchbrechen.

Ihren Freunden stockte der Atem. Gleich würde der Mann zur Fahrertür gehen und Antonia bemerken, die immer noch lang gestreckt auf dem Boden lag, Kopf und Arme unter den Wagen gereckt.

Doch als der Dieb versuchte, die Türflügel des Kofferraums zu schließen, begann er, leise zu fluchen. Er hatte offensichtlich so viele Räder eingeladen, dass die Türen nicht zugingen.

Antonia hatte mittlerweile eine Stelle einigermaßen vom Dreck befreit. Eilig klebte sie das Handy an die Unterseite des Autos – es hielt tatsächlich. Sie hörte ein lautes Rumpeln, dann wurden die Türen zugeschlagen.

Keine Zeit mehr, sich in Sicherheit zu bringen. Antonia blickte sich unter dem Auto um. Sollte sie? Aber ihr blieb wohl nichts anderes übrig: Sie schob sich komplett unter den Wagen.

Emma entfuhr ein Schrei, sie biss sich in die Hand.

»Was macht sie denn da?«, flüsterte Franky. »Die hat doch voll einen an der Waffel!«

Antonias Füße verschwanden keinen Augenblick zu früh. Der Dieb ging zur Fahrertür, ohne Antonia in ihrem Versteck zu bemerken.

Die zweifelte inzwischen an ihrer Entscheidung, es war nämlich recht eng unter dem Auto.

Als der Mann den Motor anließ, begann der ganze Unterboden zu vibrieren. Dreck löste sich und fiel ihr ins Gesicht. Sie drehte den Kopf zur Seite, presste sich so eng an den Boden wie möglich und schloss die Augen.

Emma konnte nicht hinsehen, sie schlug sich die Hände vor das Gesicht. Franky hingegen starrte wie gebannt auf den Kastenwagen.

Der Dieb legte den ersten Gang ein und der Wagen rollte an. Dann gab der Fahrer Gas, der Wagen beschleunigte und fuhr davon. Kurz darauf war das Geräusch des Motors nicht mehr zu hören.

Für einen Moment wagten Emma und Franky nicht, sich zu rühren.

Doch schließlich ließ Emma die Hände sinken und sah auf den Parkplatz. Da lag Antonia. Mitten auf der leeren Fläche, immer noch auf dem Rücken, die Schultern hochgezogen, die Augen fest zugekniffen.

Emma stieß einen Jubelschrei aus, der alle drei aus ihrer Starre löste. Antonia öffnete die Augen und richtete sich auf, Emma und Franky rannten auf sie zu. Lachend fielen sich die drei in die Arme. Emma standen Tränen der Erleichterung in den Augen, während Antonia sich den Dreck aus dem Gesicht wischte.

»Boa, was für ein Vollpfosten, der hat ja nichts mitgekriegt!« Franky schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber dir ist schon klar, wie riskant das war, oder?«

»Nun chillt mal, ist ja alles gut gegangen«, sagte Antonia betont lässig, obwohl ihr das Herz immer noch bis zum Hals schlug. Sie spürte, wie leichte Übelkeit in ihr aufstieg, ihre Hände zitterten. Schnell griff sie in die Tasche, in der sie eine Notration Traubenzucker aufbewahrte, und schob sich ein Stück in den Mund.

Gemeinsam gingen sie zum Rand des Parkplatzes, wo ihre Rucksäcke lagen. »Okay, dann wollen wir mal sehen, wohin der Typ fährt«, sagte Franky, zog seinen Tablet-Computer heraus und öffnete die Ortungs-App.

Auf der Landkarte blinkte ein Punkt und bewegte sich eine Straße entlang. »Der Punkt zeigt, wo sich das Auto befindet!«, erklärte Franky und deutete mit dem Finger auf den Bildschirm.

»Ach, das hab ich ja gar nicht gewusst«, antwortete Antonia sarkastisch.

»Oh Mann, jetzt hört doch mal auf!« Emma rollte genervt mit den Augen.

Angestrengt starrten die drei nun auf das Tablet: Der Kastenwagen bog rechts ab, hielt kurz an einer Kreuzung, fuhr weiter und bog erneut ab. Nach ein paar Minuten hatte er sich schon einige Kilometer weit entfernt.

»Ich glaube, er fährt in Richtung Wolfratshausen«, sagte Franky schließlich.

Antonia nickte. »Sieht so aus.«

»Hey, jetzt bewegt sich der Punkt nicht mehr!«, stellte Emma plötzlich fest.

Franky zog die Karte mit zwei Fingern größer. »So was. Der hat mitten auf einem Feldweg angehalten, was macht der da?«

»Vielleicht musste er mal aufs Klo?«, überlegte Antonia.

Franky schnaubte. »Ja, sicher! Viel eher hast du Mist gebaut und mein Handy liegt jetzt im Dreck.«

»Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd! Und selbst wenn, dann finden wir es wieder«, entgegnete Antonia, obwohl sie sich dessen nicht so sicher war. Hoffentlich muss ich es ihm nicht ersetzen, dachte sie bei sich. Sonst kann ich mein Taschengeld auf Jahre hinaus vergessen.

»Hey Leute, hört auf zu streiten«, mahnte Emma und deutete auf eine Gruppe von braunen Rechtecken. »Es ist völlig egal, warum der Punkt nicht mehr weiterwandert. Der Feldweg führt sowieso nur zu einem Ort: den alten Wolfratshausener Fabrikhallen. Dort endet er. Der kann mit seinem Auto nirgendwo anders hin.«

»Stimmt. Kein schlechtes Versteck übrigens – in den alten Gebäuden kann man eine Menge unterbringen«, meinte Franky.

»Dann nichts wie hin!«, sagte Antonia.

Franky stopfte das Tablet in seinen Rucksack und die drei rannten zu ihren Fahrrädern, die sie an diesem Morgen hinter einem Busch versteckt hatten. Antonia war wie immer die Schnellste: Bevor Franky sein Rad auch nur aufgehoben hatte, saß sie schon im Sattel und trat in die Pedale.

Emma folgte ihr, und Franky beeilte sich, die beiden einzuholen, bevor sie hinter der Biegung verschwanden. Er stöhnte. Ging das schon wieder los!

»Boah, Leute, echt jetzt. Könnt ihr mal langsamer fahren«, rief er den Mädchen hinterher.

»Streng dich mal ein bisschen an«, rief Antonia über die Schulter. »Du willst doch dein Handy wiederkriegen.«

»Ja, schon, aber wenn ich vorher sterbe, nützt mir das Teil auch nichts mehr«, keuchte er.

Aber es half ihm nichts: Antonia war nicht zu bremsen, in einem Affenzahn sauste sie den Hügel in Richtung Wolfsratshausen hinunter. Emma hielt locker mit, sie war das Tempo ihrer besten Freundin längst gewohnt. Franky beschloss, für den Rest der Fahrt lieber seinen Atem zu sparen, und sagte nichts mehr.

Nach etwa einer halben Stunde lag endlich der Feldweg vor ihnen, der zu den Fabrikhallen führte. Auf dem überwucherten Weg ging es nur noch langsam voran, sodass Franky zu den anderen aufschließen konnte. Frische Reifenspuren zeigten ihnen, dass sie richtig waren.

Kurz darauf mussten sie an einer Schranke anhalten. Privatgelände. Betreten verboten! stand auf dem rostigen Schild, das darangenagelt war.

»Und jetzt?«, fragte Emma ängstlich.

»Was wohl? Von so einem lächerlichen Schild lassen wir uns doch nicht aufhalten«, sagte Antonia.

Franky stieg von seinem Rad. Er schnaufte heftig, sein T-Shirt war völlig durchgeschwitzt, und seine krausen, schwarzen Haare klebten ihm in der Stirn, als hätte er sie mit einer halben Tube Gel eingeschmiert.

»Den Dieb hat das auch nicht aufgehalten«, keuchte er. »Der hat das Schloss einfach geknackt und ist durchgefahren.« Er hob ein altes Vorhängeschloss vom Boden auf, das so rostig war wie die Schranke, und zeigte es den beiden Mädchen.

Dann sah er es sich genauer an. »Er muss dieses Versteck aber schon eine Weile nutzen. Das hier wurde nicht erst heute geknackt, die Schnittfläche ist schon ganz angelaufen.«

»Das war ja auch nicht sein erster Raubzug«, meinte Emma, »wahrscheinlich finden wir auch mein Rad hier. Und das hat er schon vor einer ganzen Weile mitgehen lassen.« Sie stieg ebenfalls ab und trat zu Franky. »Steck das Schloss ein, das ist Beweismaterial. Und dann lass uns weiterfahren, damit wir sehen können, wo der Gangster sein Diebesgut versteckt.«

Damit schob sie ihr Rad um die Schranke herum und die beiden anderen folgten ihr.

Der Weg führte in weiten Kurven durch ein lichtes Wäldchen. Er war so überwuchert, dass sie das Fahren rasch aufgaben und ihre Räder in den Wagenspuren schoben. Nach einer Weile hielt Franky an.

»Hey, wartet mal!«, rief er. »Hier irgendwo müsste mein Handy liegen.«

Die beiden Mädchen schauten sich um.

»Ja, dann hol es doch«, sagte Antonia und strich ihre langen blonden Haare aus dem Gesicht.

»Du bist lustig.« Franky schüttelte den Kopf. »So eine Handy-Ortung funktioniert nicht auf den Zentimeter genau. Es müsste hier irgendwo in einem Umkreis von zehn Metern liegen.« Er suchte den Boden ab.

»Wie wär’s mit Anrufen?«, fragte Antonia.

Emma zog ihr Handy aus der Tasche und wählte Frankys Nummer.

Prompt ertönte aus einem Grasbüschel am Wegrand die Titelmelodie der Transformers-Filme.

Franky rannte zu der Stelle, zog mit einem lauten »Ha!« sein Gerät hervor und steckte es ein.

Lachend sagte Antonia: »O Mann, wie ein Raubtier!«, und verdrehte die Augen. Doch im Stillen war sie beinahe noch erleichterter als Franky, als das Smartphone wieder sicher in seinem Rucksack lag.

»So, alle wieder glücklich. Und jetzt lasst uns nachsehen, ob der Dieb noch in den Fabrikhallen ist«, befahl sie. »Los, kommt schon.«

Nach etwa einem weiteren Kilometer endete der Wald und vor ihnen erstreckte sich das alte Fabrikgelände. Früher waren hier Dichtungsringe hergestellt worden. Opa Hans, der alte Fischer vom See, hatte ihnen einmal davon erzählt. Die ganze Gegend habe damals nach Gummi gestunken. Trotzdem habe er als Kind immer gerne in dem Wald gespielt und die Arbeiter beobachtet, wenn sie nachmittags von der Arbeit nach Hause geradelt waren.

Doch das war schon lange her; die Hallen waren seit vielen Jahren verlassen.

Ihnen am nächsten sahen sie das alte Pförtnerhaus und ein paar Lagerschuppen. Direkt dahinter ragte die alte Fabrikhalle aus Backstein in die Höhe. Die Farbe blätterte von der graffitibeschmierten Fassade. Teile des Dachstuhls waren eingestürzt und viele Fenster zerbrochen. Der Eingang zur Halle war zugemauert, lediglich eine kleine Holztür hing in verrosteten Angeln.

»Das muss es sein«, sagte Antonia und holte ihr Fernglas aus dem Rucksack.

Emma nickte und rückte sich ihre Brille zurecht, die ihr durch den Schweiß auf der Nase ein bisschen heruntergerutscht war. »Sollten wir jetzt nicht lieber die Polizei anrufen?«, fragte sie etwas ängstlich in die Runde.

»Nein, noch nicht, wir müssen erst sicher sein, dass er die Räder auch wirklich hierhergebracht hat«, antwortete Antonia. Sie nahm ihr Fernglas und beobachtete das Gelände, während Emma und Franky gespannt warteten.

»Nichts. Da rührt sich niemand«, stellte sie kurz darauf fest. »Lasst uns mal hinschleichen und schauen, was in der Halle ist.«

»Auf keinen Fall, ich bin doch nicht verrückt!« Emma schüttelte den Kopf.

»Und ich brauch erst mal Schokolade, ich bin völlig unterzuckert«, fügte Franky hinzu, der sich erst langsam von der wilden Verfolgungsjagd erholte. Er zog seinen Rucksack ab und wühlte darin.

Antonia war es völlig schleierhaft, wie er jetzt an Essen denken konnte. Ich bin die mit Diabetes und du bist unterzuckert?, dachte sie. Das glaubst du doch wohl selbst nicht! Sie stand unter Hochspannung und wollte keine Pause einlegen. »Oh Mann!« Sie schüttelte den Kopf. »Ihr seid mir ja schöne Detektive. Dann wartet hier, ich schau mal nach.«

»Antonia, sei bitte vorsichtig«, flehte Emma.

»Ja, ja, jetzt mach dir mal nicht ins Hemd. Wenn ihr was Verdächtiges seht, ruft ihr wie ein Käuzchen, okay? Dann zieh ich mich zurück.«

Franky starrte sie entgeistert an. »Wie ein Käuzchen? Hast du sie noch alle? Ich hab keine Ahnung, wie so ein Vieh ruft! Echt jetzt, das ist total bescheuert.« Er biss in einen Schokoriegel.

Emma lachte und Antonia seufzte. »Na gut. Würde sowieso nicht funktionieren, mit so viel Schokolade im Mund.«

Franky schnaubte nur und kaute weiter.

»Dann pfeift halt. Kann einer von euch pfeifen?«