Michael Sachweh

WETTERKUNDE FÜR
WASSERSPORTLER

Inhalt

1.Elemente des Wetters

Grundbegriffe, Messung und Darstellung

1.1Atmosphäre und Luftdruck

1.2Sonnenstrahlung und Temperatur

1.3Wind

1.4Luftfeuchtigkeit

1.5Dunst und Nebel

1.6Wolken und Niederschläge

1.7Optische Erscheinungen

2.Entstehung und Ablauf des Wetters

Luftzirkulation, Hochs und Tiefs, Wetterlagen in Europa

2.1Die großen Windsysteme der Erde

2.2Hochs und Tiefs der mittleren Breiten

2.3Großwetterlagen Europas

2.4Winde und Wetter im Mittelmeer

2.5Der Wind an Küsten und auf Seen

3.Gefahrenwetterlagen

Entstehung und Ablauf

3.1Stürme

3.2Böenwetter

3.3Gewitter

3.4Wasserhosen

3.5Nebel

4.Wetter vorhersehen

Wissen zu Wetter und Klima für die Navigation nutzen

4.1Wetter beobachten und richtig reagieren

4.2Wettervorhersagen in Medien

4.3Klimadaten nutzen

5.Der Seegang

Der Zustand der See

5.1Begriffe

5.2Wetter und Seegang

5.3Seegangsskala

6.Maritim-meteorologische Informationsquellen

Internet, Software und Apps für Wassersportler

6.1Allgemein

6.2Revierwetter im Internet

6.3Software und Apps

Stichwortverzeichnis

1.Elemente des Wetters

1.1Atmosphäre und Luftdruck

Ohne Atmosphäre kein Leben

Die Atmosphäre – von altgriechisch ἀτμός (atmós, dt. „Dampf“) und σφαῖρα (sfaira, dt. „Kugel“) ist die Gashülle unserer Erde. Ohne sie gäbe es kein Leben auf diesem Planeten. Zum einen, weil ihre Ozonschicht den tödlichen, harten Anteil an der solaren Ultraviolettstrahlung herausfiltert. Zum anderen, weil ihre Gase dafür sorgen, dass auf der Erde anstatt lebensfeindlicher –18 °C eine Durchschnittstemperatur von +15 °C herrscht. Das wird als (natürlicher) Treibhauseffekt bezeichnet. Ohne die Erdatmosphäre und die Sonneneinstrahlung bliebe der Menschheit auch eine der schönsten Sportarten, der Wassersport, vorenthalten. Die gemäßigten Temperaturen ermöglichen den Aggregatzustand des Wassers in flüssiger Form, und damit auch Seen und Meere. Und wie später noch ausgeführt wird, führt die Kugelgestalt der Erde zu einer unterschiedlichen, von der Breitenlage abhängigen Erwärmungskraft der Sonne. Dies wiederum bewirkt Luftdruckunterschiede. Die Luftdruckunterschiede sind die Ursache des Windes, der das Wasser bewegt, unsere Segel füllt und ihnen Antrieb verleiht (ab S. 16).

Die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre

Die Luft der Erde setzt sich aus verschiedenen Gasen zusammen. 99,9 % dieses Gasgemischs nehmen Stickstoff (78 %), Sauerstoff (21 %) und das Edelgas Argon (0,9 %) ein. Die restlichen 0,1 % teilen sich eine Reihe von Spurengasen unter sich auf – zu ihnen gehören zum einen die klimarelevanten Elemente Ozon und Kohlendioxid. Zum anderen der Wasserdampf, der in all seinen drei Aggregatzuständen nicht nur maßgeblich unser Klima, sondern auch den täglichen Wetterablauf mitgestaltet.

Der Wasserdampf beeinflusst wesentlich den Wärme- und Energiehaushalt der Atmosphäre. Er verwandelt sich in Wolken, Nebel und Niederschläge und ist damit auch ein Faktor der Sonnenscheinbedingungen und der Erwärmung auf der Erde. Die unterschiedlichen Temperaturverhältnisse auf der Erde steuern die großräumigen Luftmassentransporte, die besonders in den mittleren Breiten für den lebhaften Wetterwechsel verantwortlich zeichnen.

Der vertikale Aufbau der Atmosphäre

Die Atmosphäre ist dank der großen Anziehungskraft des Erdkörpers ein fester Bestandteil unseres Planeten. Die Erdanziehung verleiht der Atmosphäre ein Gewicht, welches der Luftdruck ist. Aufgrund der geringen Molekülmasse am Oberrand der Atmosphäre und der dort sehr geringen Gravitationskraft ist ihr Übergang in den interplanetaren Raum nur schwer zu bestimmen. Er findet quasi fließend in Höhen von 500 bis 800 km statt.

Der höchste Druck der Atmosphäre wird an der Erdoberfläche gemessen. Er nimmt von der Erde aus mit der Höhe ungleichmäßig, also nicht linear, ab. Der vertikale Druckgradient beläuft sich in den untersten Luftschichten auf rund 1 Hektopascal pro 8 Höhenmeter, und ist damit viel größer als weiter oben in der Atmosphäre. Bereits in 5500 m Höhe wird etwa die Hälfte der atmosphärischen Gesamtmasse angetroffen, das heißt, dass hier der Luftdruck nur noch 50 % des am Boden gemessenen Drucks beträgt.

Stockwerke der Atmosphäre.

Der vertikale Temperaturgradient dagegen ist sehr unterschiedlich. Er ist die Grundlage für die Einteilung der Atmosphäre in sogenannte „Stockwerke“.

Die Troposphäre nimmt rund 80 % der Atmosphärenmasse ein, ihre Obergrenze heißt Tropopause. In dieser Schicht der Atmosphäre nimmt die Temperatur mit der Höhe für gewöhnlich ab, da die Umwandlung der solaren Strahlungsenergie in Wärme hauptsächlich am Erdboden stattfindet. Aufgrund der mit der Wärme zunehmenden Expansion der Luftmoleküle hat Warmluft einen größeren Platzbedarf als Kaltluft. So reicht die Troposphäre über den Polen nur bis in 7–8 km Höhe, in den Tropen dagegen ist die Troposphäre 16–18 km hoch.

In dieser untersten Atmosphärenschicht spielen sich alle wesentlichen Wettervorgänge ab. Denn nur hier ist genug Wasserdampf für Wolken und Niederschläge vorhanden, und im Zusammenwirken mit der vertikalen Temperaturabnahme, die das für unser Wetter wichtige Auf- und Absinken von Luftmassen begünstigt, vollzieht sich hier das wechselhafte Wettergeschehen auf der Erde. So nennt man die Troposphäre auch die Wettersphäre unseres Planeten.

Das nächsthöhere Atmosphärenstockwerk wird Stratosphäre genannt. Sie ist durch eine zunehmende Temperatur mit der Höhe gekennzeichnet. Dafür ist die hohe Konzentration von Ozon, vor allem in 25–50 km Höhe, verantwortlich. Das Ozon schützt uns vor dem lebensgefährlichen Anteil der UV-Strahlung, indem es diese Strahlung absorbiert und sich dadurch erwärmt. Gemäß der Nomenklatur wird die Obergrenze der Stratosphäre Stratopause genannt.

Oberhalb der Stratopause befindet sich die Mesosphäre. Mit zunehmender Entfernung von der aufgeheizten Ozonschicht nimmt die Temperatur in diesen Höhen wieder ab.

Die äußerste Schicht unserer Atmosphäre ist die Thermosphäre. Dort steigt die Temperatur wieder an, auf über 100 °C, in ihrem obersten Bereich sogar über 1000 °C. Verursacht wird die starke Aufheizung durch die Röntgenstrahlung und die ungefilterte, extreme UV-Strahlung der Sonne. In dieser größtenteils ionisierten Luftschicht findet die Reflexion der Rundfunkwellen statt, was Ausstrahlungen über große Distanzen hinweg möglich macht. Meteore beginnen in diesen Höhen ihre Leuchtspur. Elektrisch geladene solare Teilchen kollidieren in großer Zahl und Intensität über den Polarregionen mit den irdischen Stickstoff- und Sauerstoffatomen und lösen Polarlichter aus.

Der Luftdruck in Meereshöhe

Die Masse der Atmosphäre ist gegeben durch die Summe ihrer Moleküle. Sie übt einen Druck aus, der von der Molekülmasse und der Temperatur abhängt. In Meereshöhe beträgt der Luftdruck 1013 hPa (Hektopascal). Dieser Wert gilt für eine Standardatmosphäre mit 15 °C in Erdbodennähe und ist raumzeitlich gemittelt über die ganze Erde. Das Auf und Ab des Luftdrucks, wie wir es tagtäglich erleben, und auch die regionalen Luftdruckunterschiede, wie sie in den Wetterkarten zum Ausdruck kommen, sind das Ergebnis unterschiedlicher Temperatur- und Windverhältnisse in der Atmosphäre. Diese verdichten die Molekülmassen oder dünnen sie aus – was sich in den wechselhaften Luftdruckbedingungen äußert (S. 56).

Der Luftdruck ist für den Wassersportler das Schlüsselelement in der Atmosphäre. Luftdruckunterschiede bringen die Luft in Bewegung, sie erzeugen den Wind und lassen über ihn je nach Temperatur- und Feuchtebedingungen Wolken entstehen und vergehen.

Die konventionelle Messung des Luftdrucks erfolgt mit dem Barometer. Es gibt verschiedene Verfahren. Ihr Messprinzip basiert auf dem Vergleich Vakuum vs. Normaldruck. Die Differenz lässt sich anhand von Flüssigkeitssäulen oder einer Verformung von Druckdosen, die auf ein Zeigerwerk übertragen wird, auf Skalen anzeigen.

Die Einheit der Druckmessung ist das Pascal. Gemäß der typischen Druckwerte wird der Luftdruck im 100-fachen der Einheit, in Hektopasacal (hPa), angegeben.

Barografen sind Barometer, die den Luftdruck auf einem mit einer Skala versehenen Registrierungsstreifen, der sich auf einer rotierenden Trommel befindet, auftragen. Die kontinuierliche Aufzeichnung des Drucks führt zu einer Linie auf dem Registrierungsstreifen, dem sogenannten Barogramm. Da für die Beurteilung der Wetterentwicklung die zeitliche Änderung des Luftdrucks, die Luftdrucktendenz, weitaus wichtiger ist als der einzelne am Barometer abgelesene Wert, sind Barografen für den Wassersportler das Mittel der Wahl, um die künftige Wetterentwicklung einschätzen zu können (S. 135, 139).

Barograf.

An den amtlichen Wetterstationen zählt der Luftdruck zu den Standardmessgrößen. Aus dem räumlichen Muster der Luftdruckwerte erstellen die Wetterdienste die Wetterkarten zu bestimmten Messterminen (meist 0, 6, 12 und 18 Uhr Weltzeit). Im einfachsten Fall (automatisch erstellte Luftdruckkarten) enthalten diese als Overlay über eine geografische Karte subkontinentalen Maßstabs (zum Beispiel Europa mit angrenzendem Nordatlantik) Linien gleichen Luftdrucks (Isobaren), reduziert auf die Meereshöhe und im 5- oder 4-hPa-Abstand, sowie Markierungen des regional höchsten („H“) und tiefsten Luftdrucks („T“).

Es gibt Wetterkarten-Varianten, die nur halbautomatisch erstellt und dann durch einen Meteorologen vollendet werden. Diese „Bodenanalysekarten“ zeigen durch spezielle Signaturen die Lage von Luftmassengrenzen, die als Tiefausläufer (Fronten) meist mit ausgedehnten Wolkensystemen und Schlechtwetter verbunden sind.

Bodenwetterkarte.

Die professionellste Version dieser Analysekarten zeigt zusätzlich zur Frontenanalyse alle Mess- und Beobachtungswerte der amtlichen Wetterstationen in codierter Form (Luftdruck und seine zeitliche Veränderung, Wetterereignisse wie zum Beispiel Regen, Temperatur, Wind, Luftfeuchte und Bewölkung). Diese bilden für den Meteorologen zusammen mit Fernerkundungsdaten (Satelliten- und Niederschlagsradarbilder) ein wesentliches Fundament seiner Wetteranalyse.

Aufgrund dieser Analysen und sogenannter numerischer Computermodelle werden Wetterprognosen erstellt. Ein wichtiges Produkt dieser Prognosen sind für bestimmte Termine prognostizierte Bodenwetterkarten. Es sind Isobarenkarten mit Markierungen der Hoch- und Tiefzentren, oft zeigen sie auch die voraussichtliche Lage der Fronten. Manche von ihnen kommen dem Medieninteresse entgegen und verleihen den für das Wetter in Mitteleuropa maßgeblichen Druckgebilden Vornamen. So wie man an den Isolinien einer Wanderkarte die Verteilung von Berg und Tal ablesen kann, lassen die Wetterkarten auf einen Blick die sogenannte Großwetterlage, also die Verteilung von Hochdruckgebieten (kurz Hochs; Fachbegriff: Antizyklonen) und Tiefdruckgebieten (kurz Tiefs; Fachbegriff: Zyklonen) erkennen. In Hochdruckgebieten sinkt die Luft ab, erwärmt sich und trocknet aus – deshalb sind Hochs für gewöhnlich mit Schönwetter verbunden. In Tiefdruckgebieten und an ihren Fronten kühlt sich die aufsteigende Luft ab, reichert sich mit Feuchtigkeit an und neigt zur Wolkenbildung – aus diesem Grund herrscht oft Schlechtwetter, wo sich Tiefs und ihre Ausläufer befinden. Über den Wind, seine Stärke und Richtung geben die Isobaren Aufschluss.

Mit Erfahrung und gegebenenfalls unter Hinzuziehung weiterer Wetterkarten zu anderen Analyseterminen sowie Fernerkundungsdaten lassen sich aus Wetterkarten viele Informationen über großräumige Luftmassentransporte, Wetter und Winde sowie die Bewegung von Hochs und Tiefs samt ihrer Fronten entnehmen. Zum Verständnis der Wetterentwicklung im eigenen Revier wurde dem Wassersportler früher oft das Zeichnen von Wetterkarten auf der Grundlage von Seewetterberichten und Bodenwetterkartenvordrucken (S. 159) empfohlen. Heutzutage ist diese Prozedur nicht mehr nötig. Seglern, Surfern und Motorbootfahrern stehen via Internet, Apps und Software eine Fülle von aktuellen Revierwetterprognosen zur Verfügung, deren praktischer Wert weit über dem der reinen Wetterkarteninterpretation liegt (S. 176-183).

1.2Sonnenstrahlung und Temperatur

Wie beschrieben ist die Atmosphäre das Medium, in dem sich das Wettergeschehen abspielt. Die Antriebskraft dafür kommt aus einer externen Quelle. Es ist die Sonne, die der Erdatmosphäre sowie den Land- und Wassermassen Energie in Form elektromagnetischer Strahlung zuführt. Die irdische Lufthülle mit ihren Wolken ist nur in sehr geringem Maße in der Lage, solare Energie in Wärme umzuwandeln. Die wesentliche Umwandlung in Wärmeenergie findet erst am Grund der Atmosphäre statt – dort, wo die Strahlung auf die Erdoberfläche trifft (Land, Wasser). Damit wird auch klar, warum die Atmosphäre in Meereshöhe in der Regel am wärmsten ist und die Temperatur mit zunehmender Höhe abnimmt.

Bei kaum einer anderen Freizeitaktivität ist der Mensch durch die von Segeln, Bootskörper und Wasseroberfläche ausgehende Strahlungsreflexion einer solch intensiven Sonneneinstrahlung ausgesetzt wie beim Wassersport.

Auf die Temperatur wird später noch näher eingegangen. Abgesehen von der potenziellen Wärmeenergie, die der Sonnenstrahlung innewohnt, ist der ultraviolette Anteil der Strahlung von Bedeutung. Bei kaum einer Freizeitaktivität ist der Mensch in solchem Maße der UV-Strahlung ausgesetzt wie beim Wassersport. Er betreibt seine Aktivität besonders in der Jahreszeit, in der die größte Strahlungsbelastung herrscht. Für das Segeln, Surfen und Motorbootfahren bevorzugen wir ohnehin sonnenscheinreiche Wetterlagen. Und durch die Reflexion des Sonnenlichts auf der Wasseroberfläche und den Segeln bekommt der Wassersportler eine UV-Dosis verpasst, die mehr als das Doppelte der normalen Sonnenstrahlung betragen kann. Auf hinreichenden Sonnenschutz ist deshalb unbedingt zu achten. Dabei sei daran erinnert, dass besonders hohe Temperaturen keinesfalls mit einer besonders hohen UV-Belastung einhergehen. Das Gegenteil ist der Fall: In den klaren Luftmassen polaren Ursprungs existiert weniger Wasserdampf (der einen Teil der Strahlung herausfiltert). Das heißt, gerade wenn der Wassersportler die Wärme der Sonne sucht, weil eine unangenehm kühle Brise weht, ist er einer besonders hohen UV-Belastung ausgesetzt.

Der Einfallswinkel der Strahlen und die Oberflächenart (Erdboden, Wasser) bestimmen ganz wesentlich die Erwärmungskraft der Sonne.

Die Sonnenenergie wird an der Erdoberfläche nicht in gleichem Maße in Wärme umgewandelt. Der Winkel, in dem die Sonnenstrahlen auf die Erdoberflache treffen, und die Beschaffenheit der Erdoberfläche beeinflussen ganz wesentlich die Erwärmungskraft der Sonne.

Die Höhe der Sonne über dem Horizont bestimmt den Einfallswinkel der Strahlen. Hier gilt das physikalische Gesetz nach Lambert: Die Erwärmungsleistung der Sonne ist umso stärker, je steiler der Winkel zwischen Sonnenstrahlen und Oberfläche ist.

Dieses Gesetz zählt zu den wichtigsten in der Meteorologie überhaupt. Mit ihm lässt sich beispielsweise erklären, warum

sich die Luft an Südhängen wie auch am Fuße bergreicher Südküsten besonders stark aufheizt (französischitalienische und türkische Riviera)

die Thermik, und damit die Bildung von Quellwolken bis hin zu lokalen Schauern und Wärmegewittern, über Bergregionen früher einsetzt bzw. intensiver ist als über dem flachen Vorland (erhöhte Gewittergefahr alpiner Seen!)

die Tropen (die sich durch hohe Sonnenstände auszeichnen) das wärmste Klima und die Polargebiete (trotz der langen Sonnenscheindauer im Sommer) das kälteste Klima auf der Erde haben.

Unabhängig vom Einfallswinkel der Sonnenstrahlen am Boden entscheidet der Erdboden durch seine physikalische Beschaffenheit, wie viel Wärme er produziert. Maßgeblich sind die Eigenschaften „spezifische Wärmekapazität“, „Wärmeleitfähigkeit“ und „Albedo“ (das Vermögen eines Körpers, die auftreffende Sonnenstrahlung durch Reflexion wieder zurückzuschicken, bevor sie in Wärme umgewandelt werden kann – sie ist bei hellen Körpern größer als bei dunklen). Körper mit einer geringen Wärmekapazität erwärmen sich rasch und kühlen ebenso rasch wieder ab (wenn die Sonne untergeht). Besitzt ein Körper eine geringe Wärmeleitfähigkeit, wie viele lufthaltige Substanzen, und darüber hinaus auch noch eine geringe Albedo, vermag er sich in der Sonne besonders stark zu erwärmen (zum Beispiel dunkler vulkanischer Sand).

Wasser hat eine große Wärmekapazität. Es verteilt die solare Wärme auf einen größeren Raum. Seine Oberfläche nimmt an Erwärmung und Abkühlung nur in sehr geringem Umfang und zudem verzögert teil. Der Meteorologe spricht von der „thermischen Trägheit“ des Wassers. Wir alle haben das schon vielfach erfahren, etwa wenn wir in der Frühsommerhitze in der Ostsee baden wollten – und vor der unerwarteten Kälte zurückschreckten. Oder im Hochsommer, wenn eine Westwetterlage atlantische Luftmassen ins Revier führt, die uns auch bei längerem Sonnenschein frösteln lassen. Demselben physikalischen Mechanismus verdanken wir im Gegenzug angenehm laue Spätsommer- und Herbstabende auf See oder im Hafen an der Küste, während es auf den Binnenrevieren schon ziemlich frisch wird.

Die spezifische Wärme eines Felsens, vor allem aus Granit oder Kalkgestein, ist dagegen gering. Er erwärmt sich rasch und auch stark unter den Strahlen der Sonne, besonders wenn die schützende Vegetation fehlt und er wie im Falle von Kalkgestein eine geringe Wärmeleitfähigkeit besitzt. Ein Paradebeispiel ist der Karst in Istrien. Wer im Früh- oder Hochsommer von der (verhältnismäßig) kühlen Adria kommend bei wenig Wind auf einem der Kanäle wie dem Limskifjord ins Binnenland vorstößt, erlebt diesen Törn als schweißtreibendes Unterfangen. Die Sonne brennt vom Himmel, die Luft steht förmlich, und schon nach wenigen Windungen des Fjords sind Skipper und Mannschaft kaum mehr empfänglich für die Reize der unberührten Karstlandschaft. Denn hier über dem trockenen Karst liegen die Temperaturen an einem sonnigen Tag oft 5–8 Grad über denen der freien See.

Auf der anderen Seite darf man die großen Temperaturgegensätze zwischen Land und Meer bei Schönwetterlagen nicht hoch genug schätzen. Sie sind der Motor der Land-Seewind-Zirkulation (S. 93-97) – eines regionalen Windsystems, das seine Energie aus genau diesem thermischen Kontrast bezieht und das Segeln und Surfen in den Küstengewässern ermöglicht – während auf See fernab der Küste der Flautenschieber benötigt wird und Windsurfer erst gar nicht aufs Brett steigen.

Das Rückstreuvermögen für Sonnenstrahlung, die Albedo, wurde oben als ein weiterer Einflussfaktor der Erwärmungskraft der Sonne genannt. Dunkles Gestein erwärmt sich viel stärker als helles. So braucht man sich zum Beispiel nicht zu wundern, wenn man beim Wandern in vulkanischen Bergregionen wie denen der kanarischen Inseln auch in 2000 m noch ins Schwitzen kommt. Auf hellem Sand lässt sich auch bei hoch stehender Sonne barfuß laufen, während dies auf Vulkansand zur Tortur wird. Wer in den Tropen mit einem dunklen Teakholzdeck unterwegs ist, wird Schuhe brauchen, um auf dem heißen Deck laufen zu können.

Die Temperatur wird im angelsächsischen Sprachraum meist in Grad Fahrenheit (°F) angegeben, sonst in Grad Celsius (°C).

Ihre Messung erfolgt nach der konventionellen Methode mittels Flüssigkeitsthermometern (früher Quecksilber, heutzutage oft Ethanol). Die Längenänderung der sich bei Erwärmung ausdehnenden Flüssigkeit wird an einer Skala abgelesen. In neuerer Zeit setzt man zunehmend auch elektronische Sensoren ein. Wichtig bei allen Messungen ist, die wahre Luftwärme zu erfassen. Um eine Verfälschung der Messung durch Wärmeflüsse seitens des Messgeräts selbst und des Bodens auszuschließen, wird im Wetterdienst nach internationaler Vorschrift stets im Schatten und an einem gut belüfteten Standort in 2 m Höhe über Grund gemessen. Das Messgerät darf sich nur minimal erwärmen, was man durch einen weißen Anstrich des Thermometers erreicht.

Konventionelles Thermometer.

Winde und Wetter werden ganz wesentlich durch die Temperaturen mitgestaltet. Sich abkühlende, hinreichend feuchte Luftmassen neigen zu Nebel- und Wolkenbildung. Die großen atmosphärischen Strömungen, die als Transportbänder für Hochs, Tiefs und die unterschiedlichen Luftmassen fungieren, werden durch Temperaturgegensätze angetrieben (S. 49-57). Ein anderes Beispiel ist das angesprochene thermische Windsystem der Land-Seewind-Zirkulation an den Küsten.

Auch vertikale Temperaturgegensätze in der Atmosphäre generieren Winde und Wetter: Nimmt die Temperatur besonders stark mit der Höhe ab, begünstigt diese sogenannte labile Schichtung starke Böen, Schauer und Gewitter. Ausdruck der dabei starken vertikalen Durchmischung der Atmosphäre ist eine exzellente Sicht. Eine geringe Temperaturzunahme mit der Höhe oder gar mildere Luft über kühlerer bodennaher Luft oder über kühlem Wasser (stabile Luftschichtung bzw. Inversions-Wetterlage), schwächt die Luftbewegung und begünstigt bei hinreichender Luftfeuchtigkeit die Bildung von schichtförmigen Wolken sowie Dunst und Nebel.

Typen der thermischen Luftschichtung über See. Strömt wärmere Luft über kühles Wasser (oben), weht der Wind ruhiger, und es wird diesig, evtl. entstehen Schichtwolken oder Nebel.
Kältere Luftmassen über relativ warmem Wasser (unten) machen den Wind böig, und es bilden sich Quellwolken, evtl. auch Schauer.

Wie kalt oder warm wir die Luft empfinden, hängt nicht nur von der Temperatur selbst ab. Ihr Zusammenwirken mit anderen Wetterelementen wie Sonne und Wind bestimmt ganz wesentlich unser Temperaturempfinden.

Gefühlte Temperatur in Abhängigkeit von Wind und Lufttemperatur (Wind in Bft., Temperaturen in °C).

Die menschliche Haut hat für gewöhnlich eine Temperatur von 33 °C, sie ist unser Temperatursensor. Dabei gilt: Bei Lufttemperaturen unter der Hauttemperatur wirkt der Wind abkühlend (Windchill-Effekt).

Schieben sich Wolken vor die Sonne, treffen also keine Sonnenstrahlen auf die Haut, um sie zu erwärmen, empfinden wir das als Abkühlung. Bei Starkwind oder Sturm kommt uns die Luft eisig vor, was bei längerer Andauer auch zermürbend auf die Psyche wirkt. Eine kräftige Sonne bei schwül-warmer Luft und wenig Wind treibt uns dagegen die Schweißperlen auf die Stirn.

So spüren wir auf See schon bald: Die gemessenen Temperaturen sind unter manchen Witterungsbedingungen kein rechtes Maß dafür, wie wir die Wärme der Luft subjektiv wahrnehmen. Aus diesem Grunde haben Experten die sogenannte gefühlte Temperatur, die sich aus dem Zusammenspiel von Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Sonneneinstrahlung und Wind ergibt, berechenbar gemacht.

Bei sommerlichen Hochdrucklagen mit wenig Wind und hoher Luftfeuchtigkeit kann die gefühlte Temperatur 40 Grad und mehr erreichen, obwohl die gemessene Temperatur nur 28 Grad beträgt. In der Ägäis dagegen empfindet der Segler sie bei gleichen Temperatur- und Sonnenscheinbedingungen, aber starken Winden als gerade mal 20 Grad oder noch kälter. Beim Gegenankreuzen sorgen die auf der Haut verdunstenden Gischtspritzer für weitere Abkühlung (Verdunstungskälte). Die gefühlte Kälte und das ausgesprochen sportliche Ölzeug-Segeln unter der Fuchtel des starken Meltemi (S. 80-82) tragen zum Ruf der Ägäis als einem rauen Revier bei.

Zur Ermittlung der gefühlten Temperatur existieren in der Fachwelt mehr oder weniger hochentwickelte Gleichungen. Die einfachste Formel berechnet die Windchilltemperatur. Anspruchsvollere integrieren neben Lufttemperatur und Wind auch die Sonnenscheinbedingungen (abgeleitet aus der Bewölkung) sowie die Luftfeuchtigkeit in die Gleichung.

1.3Wind

Entstehung und Erscheinungsformen des Windes

Schon der griechische Philosoph Anaximander (611–546 v. Chr.) erkannte die Natur des Windes: „Wind ist bewegte Luft“. Was aber setzt die Luft in Bewegung? Es sind letztendlich die Temperaturunterschiede auf der Erde. Sie sind deswegen für die Bewegung der Luft verantwortlich, weil aus ihnen Luftdruckunterschiede resultieren. Diese wiederum treiben die Luftbewegung an. Warme Luft hat ein geringeres spezifisches Gewicht und übt somit am Erdboden einen geringeren Druck aus als kalte. Das Nebeneinander von Kalt- und Warmluft äußert sich in Luftdruckunterschieden (S. 54). Diese setzen die Luft in Bewegung, und zwar vom höheren zum niedrigeren Luftdruck. Durch den Wind versucht die Atmosphäre, diese Unterschiede auszugleichen. Paradebeispiel für diesen thermisch induzierten Wind ist das Land-Seewind-System (S. 93-97, S. 135-136).

Neben diesen rein thermisch ausgelösten, eher kleinräumigen Winden existieren auf der Erde auch noch sehr ausgedehnte Windsysteme. Sie sind letztendlich ebenfalls das Resultat von Temperaturunterschieden, nur vollzieht sich hier alles im großen Maßstab und auf Umwegen. Die Nachbarschaft unterschiedlich temperierter Luftmassen, zum Beispiel zwischen Polar- und Subtropikluft, führt zu einem mit der Höhe zunehmenden (horizontalen) Luftdruckgefälle. Dadurch nimmt der Wind mit der Höhe an solchen Luftmassengrenzen besonders stark zu. In der oberen Troposphäre herrscht dort oft Starkwind oder Sturm, mitunter sogar Orkan. Besonders starke Windzonen ziehen sich als mäandrierende Bänder in mittleren und höheren Breiten über die ganze Erde. Sie heißen Jet-Streams, deutsch Jetstream. In ihrem Bereich vollziehen sich beträchtliche Änderung des Windes in Richtung und Stärke. Diese wirken sich wiederum in der unteren Atmosphäre bis hinunter zum Meeresniveau aus, indem hier je nach Art der Änderung Hochs oder Tiefs entstehen. Zugleich steuern diese Starkwindbänder in der höheren Atmosphäre die Bewegung von Hochs und Tiefs. Näheres zu solchen sogenannten dynamischen Hoch- und Tiefdruckgebieten (zu denen auch „Azorenhoch“ und „Islandtief“ gehören) ab Seite 54. Ob die Windentstehung nun rein thermisch wie beim Land-Seewind-System oder thermisch-dynamisch wie bei den großen Hochs und Tiefs ausgelöst wird: Auf jeden Fall ist die Ursache für die horizontale Luftbewegung ein Luftdruckgefälle auf diesem Niveau. Eine solche Ebene ist zum Beispiel das Meeresniveau. In der Wetterkarte für das Meeresniveau, der Bodenwetterkarte, lässt sich dieses Druckgefälle, auch Druckgradient genannt, anhand der Isobaren auf einen Blick erkennen. Wo die Isolinien nahe beieinander zusammen verlaufen – man spricht in dem Fall von einer engen Isobaren-Scharung – ist der Wind stärker als in Gebieten mit einer weiten Scharung, wo ein geringes Druckgefälle herrscht.

Wer aber glaubt, bequem aus der Bodenkarte die Windstärke ableiten zu können, täuscht sich. Zwar bestimmt das Gefälle die Windstärke, doch über die genaue Umrechnung entscheidet die geografische Breitenlage. Generell gilt: Das gleiche Luftdruckgefälle erzeugt einen umso stärkeren Wind, je niedriger die geografische Breite ist. So mancher Segler, der seinen ersten Blauwasser-Törn in den Subtropen oder Tropen unternahm und glaubte, allein mithilfe von Prognosebodenwetterkarten zurecht zu kommen, ist aufgrund seiner Unkenntnis in Starkwindzonen hineingeraten.

Ein Druckunterschied von 1 hPa auf 111 km (60 Seemeilen, 1 Breitengrad)

ergibt eine Windgeschwindigkeit von

11 kn

......in 60° Breite

12 kn

......in 50° Breite

15 kn

......in 40° Breite

19 kn

......in 30° Breite

28 kn

......in 20° Breite

55 kn

......in 10° Breite

Windstärke in Knoten in Abhängigkeit von Luftdruckgefälle und geografischer Breite (Meeresniveau, geradlinige Isobaren).

Als Vektor besitzt der Wind eine zweite Eigenschaft, und zwar seine Richtung. Während Meeresströmungen nach ihrer stromabwärtigen Richtung bezeichnet werden, orientiert sich die Windrichtungsangabe nach der Richtung, aus der der Wind weht. Das ist historisch bedingt und auch sinnvoll – schließlich wollte der Seefahrer früherer Zeiten bei einer Meeresströmung vor allem wissen, in welche Richtung sie sein Schiff trägt. Bei der Luftströmung hingegen interessiert ihre Herkunft und der Weg, den die Luft genommen hat, denn diese beiden Faktoren prägen Temperaturen wie auch Wettercharakter der Luftströmung.

Der Wind weht vom Luftdrucküberschussgebiet (Hoch) zum Luftdruckdefizitgebiet (Tief), angetrieben durch die Kraft des Luftdruckgradienten, der sogenannten Gradientkraft. Mit zunehmendem Gefälle, das heißt je enger die Isobaren in der Wetterkarte zusammenrücken, desto stärker ist der Wind (Gradientwind). Die Bewegung der Luft vollzieht sich nur zu Beginn der Bewegung quer zu den Isobaren, also auf direktem Weg von Hoch zu Tief (ähnlich wie ein Bach am Hang quer zu den Höhenlinien fließt). Schon bald, nach einer bestimmten von der geografischen Breite abhängigen Distanz, wird das Luftteilchen nicht mehr weiter beschleunigt und unterliegt zugleich einer Rechtsablenkung (Nordhalbkugel) bzw. Linksablenkung (Südhalbkugel). Diese ablenkende Kraft beruht auf der Erdrotation und wird Corioliskraft genannt. Sie ist am Äquator gleich null und wächst polwärts an. Zudem zwingt sie eine Luftströmung früher oder später auf eine isobarenparallele Bahn. Das führt dazu, dass Druckunterschiede zwischen Hoch und Tief durch den Wind nicht so rasch ausgeglichen werden können und ist gleichzeitig der Grund für die Langlebigkeit vieler Hochs und Tiefs. In der Nähe von Hoch- und Tiefdruckzentren ist der Weg des Windes bogenförmig, entsprechend dem Verlauf der Isobaren. Die großen, in Satellitenaufnahmen erkennbaren Wolkenspiralen der Tiefs zeichnen diese Bewegung nach. Im Falle bogen- bis kreisförmig verlaufender Isobaren, wie sie typisch sind für das Luftdruckmuster in der Nähe der Hoch- und Tiefzentren, wirkt eine weitere Kraft auf den Gradientwind. Das ist die Fliehkraft (Zentrifugalkraft). Diese wirkt in Tiefdruckgebieten der Druckgradientkraft entgegen, in Hochdruckgebieten hingegen zieht sie mit ihr quasi an einem Strang. Folge ist, dass bei gleichem Druckgefälle der Wind in Hochs stärker weht als in Tiefs. Aus diesem Grunde gelten die Windstärkeangaben auf Seite 17 strenggenommen nur für geradlinige Isobarenverläufe.

Die Luftbewegung im Meeresniveau ergibt sich aus dem Zusammenwirken verschiedener Kräfte. Im Hoch ziehen Gradient- und Fliehkraft „an einem Strang.“ Deshalb ist hier der Wind, gleiches Luftdruckgefälle vorausgesetzt, stärker als im Tief.

Jeder Ostseesegler weiß, welche stramme Brise sich bei einer sonnigen Ostwind-Wetterlage am Rande des Skandinavien-Hochs entwickeln kann, die man der Wetterkarte so gar nicht hat ansehen können.

In den bodennahen Luftschichten, und damit in der Sphäre, in der sich die Segel ihren Wind holen, weht der Wind schwächer als in der höheren Atmosphäre, und er weht hier auch nicht mehr isobarenparallel, sondern mit einem gewissen Winkel aus dem Hoch heraus und in das Tief hinein. Das wird durch die sogenannte Reibungskraft der Erdoberfläche bewirkt. In dieser bodennahen Reibungsschicht, Grundschicht oder auch Grenzschicht der Atmosphäre genannt, findet im Wesentlichen der Luftmassentransport von Hoch zu Tief statt. Das führt dazu, dass Hochs und Tiefs nicht unendlich lang existieren, sondern sich nach einer gewissen Zeit auflösen.

Unter dem Einfluss all dieser Kräfte entsteht die für die unteren Luftschichten typische Luftbewegung: in einer langen spiralförmigen Bahn im Uhrzeigersinn (Nordhemisphäre) aus dem Hoch heraus und gegen den Uhrzeigersinn (Nordhemisphäre) in das Tief hinein.

In der untersten Schicht der Troposphäre, der Reibungsschicht, sorgt die Reibungskraft für einen Luftmassentransport von Hoch zu Tief in spiralförmigen Bahnen.

Auf der Gesetzmäßigkeit dieser Luftbewegung fußt das sogenannte barische Windgesetz. Es lautet in seiner Formulierung für die Nordhalbkugel: „Man drehe den Rücken zum Wind, dann hat man den tiefen Luftdruck links und etwas hinter sich, den hohen Luftdruck rechts und etwas vor sich.”

Da die Reibungskraft über See naturgemäß geringer ist als über (reliefiertem) Land, ist den Druckgebilden, besonders starken Tiefs, über dem Meer eine längere Lebenszeit vergönnt als über Land, wo sie sich relativ rasch abschwächen („auffüllen“).

Der Unterschied in der Reibungskraft zwischen Land und Meer ist auch jedem Segler und Surfer vertraut: Ablandige Winde sind in der Regel schwächer, aber böiger, weht es von See her, ist der Wind stärker, aber stetiger und damit berechenbarer.

Die Reibungskraft lässt mit zunehmender Höhe, also zunehmender Entfernung vom Erdboden, nach. Das bedeutet, dass der Wind mit zunehmendem Abstand vom Boden stärker wird, seine Böigkeit nachlässt und er nach rechts dreht. Jetzt wird klar, warum der Zug der niedrigsten Wolken stets ein wenig nach rechts von dem Wind abweicht, der die Segel füllt.

Dieses typische Vertikalprofil des Windes ist exponentiell, also nichtlinear: Die Änderung des Windes mit der Höhe ist in den untersten 20–30 Metern viel markanter als weiter oben.

Bei Schwachwindlagen haben Segler und Windsurfer das Nachsehen. Kitesurfer können mit ihrem Drachen hingegen den Höhenwind anzapfen. Je nach Windrichtung und Wetterlage stehen ihnen dort oben 120–200 % des Windes an der Wasseroberfläche zur Verfügung. So spielt sich vor den Augen des verdutzten Beobachters im Hafen oder am Strand, der ungeduldig auf den Wind wartet, mitunter eine fast gespenstisch wirkende Szenerie ab: Da draußen flitzt ein Kitesurfer über die Wellen, dass es die wahre Freude ist!

Höhenprofil des Windes im unteren Bereich der Reibungschicht.

Die alten Großsegler profitierten in noch viel stärkerem Maße von diesem Windprofil, und zwar durch die Höhe ihrer Segel. Einige Rahsegel fingen den Wind zum Teil über 50 Meter hoch über dem Wasser ein. Bei so mancher Flaute bewegte sich das Schiff wie von Geisterhand geschoben durch das Wasser, weil ihre obersten „Moonraker“- und „Skyscraper“-Segel an den Höhenwind ankoppeln konnten.

Der Wind nimmt in der untersten Luftschicht exponentiell zu. Davon profitierten besonders Kite-Surfer bei wenig Wind.

Messung und Darstellung des Windes

Zur Windmessung existieren Messgeräte, mechanisch oder elektronisch, in verschiedenster Art. In der Segelpraxis durchgesetzt haben sich Schalenkreuzanemometer im Masttopp. Sie sollten wartungsfrei sein und keine korrosionsanfälligen Materialien enthalten. Üblicherweise zeigen sie auf einem Schiff in Fahrt nur den sogenannten scheinbaren Wind an, der sich aus der Addition des wahren Windes (außerhalb des Schiffs) und dem Fahrtwind ergibt. Aufwendigere, sogenannte Systemgeräte errechnen gleich den wahren Wind. Ein Handwindmesser (Schalenkreuz oder Ventimeter) bildet eine sinnvolle Alternative für Surfer und Motorbootfahrer – oder für Segler, die den wahren Wind ermitteln wollen.

Die Windgeschwindigkeit lässt sich in Meter pro Sekunde, Kilometer pro Stunde oder Knoten (Seemeilen pro Stunde) beziffern. Im angelsächsischem Raum ist auch die Angabe in Landmeilen pro Stunde üblich.

Speziell für die Seefahrt wurde der Begriff der Windstärke eingeführt: Anhand des Aussehens der Windsee wird die Windgeschwindigkeit eingeschätzt. Dazu dient eine 13-teilige Skala von Windgeschwindigkeitsintervallen (Beaufortskala). Wer sich die Windgeschwindigkeiten der Stufen genauer anschaut, wird feststellen, dass die Intervalle zu den höheren Stufen immer größer werden. So nimmt die Geschwindigkeit von 1 auf 2 Bft. um 3 Knoten, von 5 auf 6 Bft. um doppelt so viel, nämlich 6 Knoten, zu. Die Präzision der Skala ist also im oberen Bereich geringer als auf den unteren Stufen. Die Erklärung liegt im Aussehen der Meeresoberfläche. Denn die See folgt ihren eigenen Gesetzen. Kleine Windzunahmen haben große Auswirkungen, solange der Wind nicht stark ist: Das Wasser ist erst glatt, dann gekräuselt, später kommen Wellen hinzu. Noch mehr Wind produziert Schaumköpfe, die ihrerseits als nächste Steigerungsform Schaumstreifen erzeugen. Wird dann aber aus der Brise Sturm, modelliert die Natur mit gröberem Werkzeug: Der Schaum überdeckt mehr und mehr die gesamte Wasseroberfläche, die Wellen wachsen an.

Und warum endet die Skala bei Stärke 12, schließlich gibt es ja auch noch höhere Windgeschwindigkeiten? Die Erklärung ist simpel: Das würde einfach keinen Sinn ergeben, denn die fehlende Sicht wird bei Orkan zum limitierenden Faktor. Windkraft und Sogeffekte verleihen dem Schaum im Orkanbereich Flügel, und die Luft ist derart von Gischt erfüllt, dass sich die See dem Blick des Betrachters zu entziehen beginnt.

Schalenkreuzanemometer und Handanemometer.

Beaufortskala.

Bei schwerem Sturm oder Orkan geht die Sicht durch fliegende Gischt stark zurück.

Die Windgeschwindigkeit prägt Windsee und Seegang. Sie bestimmt auch die Größe des Segels. In diesem Zusammenhang ist der Staudruck des Windes ein wichtiger Begriff. Der Druck, den der Wind auf eine senkrecht zu ihm orientierte Fläche ausübt, entspricht der Belastung, der das Segel ausgesetzt ist. Dabei gilt: Der Winddruck auf das Tuch steigt mit wachsender Windgeschwindigkeit immer schneller an, er wächst also progressiv! Präzise ausgedrückt: Der Staudruck wächst mit dem Quadrat der Windgeschwindigkeit.