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Für meinen Partner Romeo
ISBN 978-3-492-99211-4
© Piper Verlag GmbH, München 2018
Covergestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
Covermotiv: plainpicture/Carrie Marie Burr
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
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Cover & Impressum
Vorwort
Einleitung
Die Kritik: Väter haben Defizite, Mütter sind überlastet
Väter und Mütter in der öffentlichen Diskussion
Wunderbar oder ungenügend?
Neokonservative Vorstellungen und kulturelle Widersprüche
Männer, Frauen und ihre Vorurteile
Wer Väter sind und welche Rolle die Partnerin spielt
Funktionen und Rollen
Wege zum Superdaddy
Neue Konzepte: Ein erweiterter Blick auf Väter
Was Väter tun und wie sie ihre Partnerin entlasten
Keine Zeit?
Familie und Haushalt
Beruf und Betrieb
Das Vereinbarkeitsdilemma
Wie Väter wirken und von Müttern beeinflusst werden
Vätereinflüsse: Die feinen Unterschiede
Die überschätzte Präsenz der Väter
Die Partnerin als Herzstück
Neue Väter brauchen neue Mütter!
Den Blick auf Väter und Mütter verändern
Neue Weichenstellungen auch für Mütter
Familienpolitik muss auch Männerpolitik werden
Eine aktivere Stimme der Väter
Die Lebensspanne neu organisieren
Anmerkungen
Literatur
Am Morgen müssen sie früh weg, am Abend kommen sie spät nach Hause. Sind sie endlich da, sollen sie im Haushalt mithelfen und den Kindern eine Gutenachtgeschichte erzählen oder bei den Hausaufgaben zum Dreisatzrechnen helfen. Tatsächlich hat sich bei den Männern in den letzten Jahren vieles geändert: Sie investieren deutlich mehr Zeit in Familie und Kinder und mit oft hohem Engagement. Trotzdem ist der Standardvorwurf, oft aus weiblichem Munde, immer noch weitgehend derselbe: Männer sind das faule Geschlecht. Sie tun zu wenig im Haushalt, und wenn das Kind einmal krank ist, sind es die berufstätigen Mütter, welche zu Hause bleiben müssen.
Die ungenügende familiäre Präsenz der Väter wird gern herangezogen, um die Schwierigkeiten der Mütter mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie aufzuzeigen und ihre mangelnden Aufstiegschancen zu beklagen. Solche Statements sind grundsätzlich richtig. Aber sie blenden die große Bandbreite der Aufgaben, welche Väter durchschnittlich leisten, nahezu vollständig aus. Bei der Frage, ob Männer gute Väter sind – was auch immer darunter verstanden wird –, kommt es weniger darauf an, wie viele Stunden sie mit ihrem Nachwuchs verbringen und wie präsent sie im täglichen Familienalltag sind. Entscheidender ist, welche Beziehung sie zu ihrem Nachwuchs aufbauen, welche Verantwortung sie in Familie und Partnerschaft übernehmen – nicht nur nach der Geburt, sondern auch längerfristig. Dabei sind die Partnerinnen oft das Zünglein an der Waage, inwiefern sie den Männern im familiären Bereich Eigenständigkeit zugestehen und auch ermöglichen. Frauen sind keinesfalls lediglich die überlasteten Opfer, so wie sie immer wieder dargestellt werden, sondern ebenso die Schaltstellen, wenn es um das Familienmanagement geht.
Warum nehmen wir dies nicht verstärkt zur Kenntnis, und weshalb gelten Frauen beinahe als unantastbar? Warum setzen wir so sehr auf das Stereotyp der väterlichen Präsenz als quasi einziges Qualitätsmerkmal? Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil sich die Forschung jahrelang darauf eingeschossen hat und eine Studie nach der anderen feststellt, dass Frauen im Haushalt und bei der Fürsorge für die Kinder nach wie vor mehr leisten. Diese Asymmetrie zulasten des weiblichen Geschlechts ist zwar eine empirische Tatsache, aber nicht in allen Bereichen der Haus- und Familienarbeit, sondern vor allem partiell. Trotzdem gilt sie fast als unantastbare Wahrheit. Nun gibt es jedoch neue Vaterschaftskonzepte, die den Blick auf Männer ausweiten und ihn nicht nur auf ihre Anwesenheit und die traditionell sichtbaren Familienleistungen konzentrieren, sondern auch Kategorien definieren, welche zwar nicht direkt sicht- und messbar sind, aber trotzdem als Fürsorge- und Haushaltsarbeit anerkannt werden.
Jede Generation hält sich für das Maß aller Dinge. Dies gilt auch für meine Generation. Doch es waren gerade diese neuen Vaterschaftskonzepte, die mich vor gut zehn Jahren im Zusammenhang mit meiner eigenen Biografie nachdenklich gemacht haben. Nach und nach dämmerte mir, wie eng mein Blickwinkel als junge Mutter auf die Vaterpflichten meines Partners gewesen war. Vieles drehte sich bei uns immer und immer wieder nur um die eine Frage: Was gehört zu Haus- und Familienarbeit, und wer macht mehr als der andere? Dabei stritten wir uns regelmäßig, weil ich seine Arbeiten wie Steuererklärung ausfüllen, Versicherungen abschließen und unter Kontrolle halten, Kleinreparaturen im Haus ausführen oder das Auto in die Werkstatt bringen, damit der Sohn zum Fußballmatch gefahren werden konnte, überhaupt nicht als männlichen Anteil von Haus- und Familienarbeit deklariert haben wollte. Ich fand, er sei einfach ein Workaholic, der zu Hause zu wenig präsent war, und ich das Opfer. Dabei hatte ich verdrängt, dass unser Arrangement ja ein Ergebnis gemeinsamer Aushandlungen war: dass er zuerst in seine Karriere investiert, unsere junge Familie finanziell versorgt und ich dann nachholen kann, wenn die Kinder etwas größer sind. Doch in den insgesamt acht Jahren, in denen ich ausschließlich Hausfrau und Mutter war, begleitete mich die Angst fast täglich – so wie es vielen jüngeren Frauen auch heute noch geht –, ich könnte den Anschluss ans Berufsleben verpassen. Und gleichzeitig litt ich auch an der gesellschaftlichen Doppelmoral, die immer noch wirkmächtig ist: Wenn mein Partner die Betreuung der Kinder übernahm, was für mich selbstverständlich war, wurde er immer als Superpapa hochgejubelt und als Ausnahmeerscheinung bewundert. Ich lernte damals, dass man Frauen und Männer an sehr unterschiedlichen Standards misst, wenn sie gelobt oder getadelt werden. Dies hat sich bis heute nur in Nuancen verändert.
Aus der Beschäftigung mit meiner persönlichen Biografie und der Väterforschung ist eine empirische Auseinandersetzung mit der Thematik entstanden. Doch der Anfang war mühsam. Obwohl ich mir ein sorgfältiges theoretisches Fundament zugrunde gelegt und dieses in verschiedenen Seminaren mit meinen Studierenden vertieft hatte – zuerst an der Universität Fribourg, dann in Wien und München –, merkte ich schnell, dass ich mit den herkömmlichen Untersuchungen wenig anfangen konnte. Erstens fehlten Studien, welche die Männer selbst und ihre eigene Sicht auf ihre familiären Aufgaben und Leistungen thematisierten und dabei auf die Rolle der Partnerin Bezug nahmen. Zweitens stand ich von Anfang an der etablierten wissenschaftlichen Sicht kritisch gegenüber, wonach nur präsente Männer gute und damit neue Väter sein könnten. Weil ich vorerst aber keine alternative Sichtweise präsentieren oder entsprechend argumentieren konnte, fühlte ich mich oft hilflos und unwissend. Je mehr ich mich jedoch mit den Studierenden und Doktoranden ins Thema vertiefte, desto stärker konnte ich die Komplexität und Widersprüchlichkeit nicht nur verstehen, sondern auch eine eigene Denkweise entwickeln.
Ganz wesentlich dazu beigetragen haben unsere Forschungsstudien, in deren Verlauf wir umfangreiche Väter- und Mütterbefragungen durchführten und die Ergebnisse auf internationalen Tagungen präsentieren konnten. In diesen Zusammenhängen bin ich immer wieder mit Frauen und Männern aus unterschiedlichen Berufsfeldern zusammengekommen, die wie ich ihre eigenen Blickwinkel und Positionen mit denjenigen anderer unter einen Hut bringen wollten. Natürlich gab es dabei auch irritierende Sichtweisen, Missverständnisse und kontroverse Diskurse, manchmal auch mangelnden Respekt vor einer anderen Perspektive. Diesen Respekt habe ich vor allem in den Diskussionen mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gefunden, die – teilweise selbst Mütter und Väter, teilweise auch nicht – viel offenere Meinungen vertraten als etablierte Forscherinnen und Forscher. Diese Erfahrungen stärkten mich in der Überzeugung, dass die Abschottung zwischen den Geschlechtern der Vergangenheit angehört und Männer und Frauen einen neuen Blick aufeinander entwickeln müssen.
Hier setzt mein Buch ein, mit dem ich drei Ziele verfolge. Das erste Ziel ist zu klären, wer Väter sind, was sie tun und wie sie wirken. Zunächst einmal zeige ich auf, dass eine aktive Vaterschaft auf günstige politische und betriebliche Rahmenbedingungen angewiesen ist, diese wiederum aber nur ein Teilchen des gesamten Mosaiks sind. Genauso ist zu berücksichtigen – und dies ist das zweite Ziel des Buches –, dass weder Männer noch Frauen eine je homogene Gruppe darstellen und sich folglich auch Paare massiv voneinander unterscheiden. Sie haben unterschiedliche Präferenzen, Lebensziele und Bewältigungsstrategien. Auf der politischen Ebene dürfte folglich eine Strategie zum Scheitern verurteilt sein, die ausschließlich auf das egalitäre Erwerbsmodell setzt, das heißt auf die Vorstellung, dass Männer absolut gleichberechtigt mit ihren Partnerinnen Berufs- und Familienarbeit teilen. Zwar wäre es schön, wenn die Möglichkeit der egalitären Partnerschaft eine Selbstverständlichkeit würde, aber bitte kein Dogma! Was wir brauchen, ist eine Familien-, Gesellschafts- und Unternehmenspolitik, welche die gesamte Variabilität der Familienmodelle widerspiegelt. Doch welches Familienmodell auch immer gewählt wird, es macht bei der Frage nach den neuen Vätern nur die eine Seite der Medaille aus. Die andere Seite sind die Mütter. Sie spielen eine Schlüsselrolle, weil sie oft die häuslichen Standards bestimmen und die Männer mit ihrem Engagement von ihnen abhängig sind. Wie stark ein Mann in die Familien- und Hausarbeit involviert ist oder wird, ist nicht nur eine Frage seiner Bereitschaft und seines Willens, sondern ebenso eine Frage des Verhaltens der Partnerin. Dies zu begründen ist mein drittes Ziel.
Mit dieser Publikation verfolge ich eine internationale Perspektive auf Väter und Mütter. Die Schweizer Leserschaft wird im Vergleich zu der deutschen und österreichischen Leserschaft schnell feststellen, wie rückständig unsere Väterpolitik ist. Im Oktober dieses Jahres hat der Bundesrat die Volksinitiative für zwanzig Tage Vaterschaftsurlaub abgelehnt. Als Grund wurden die Kosten angegeben, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft beeinträchtigen würden. Am gleichen Tag bewilligte der Bundesrat jedoch eine Milliarde CHF für die Olympischen Winterspiele 2026. Diese Tatsachen werden massive politische Vorstöße nach sich ziehen.
Mein Buch will keine neuen Weisheiten vermitteln und sich auch nicht ins Feld der Kulturkritik oder gar der Ratgeber einreihen. Seine Absicht ist vielmehr, die Herausforderungen, denen sich Männer gegenübergestellt sehen, in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen und dabei aufzuzeigen, dass ihre Leistungen verkannt und unterschätzt und sie als Väter zu oft schuldig gesprochen werden, ohne dass die Rolle der Partnerinnen einbezogen wird. Das Buch ist deshalb einer alternativen Sichtweise auf Männer und Frauen verpflichtet. Nach der langen Phase der Glorifizierung mütterlicher Vereinbarkeitsleistungen braucht es einen differenzierteren und objektiveren Blick auf beide Geschlechter und die Fürsorge- respektive Betreuungsleistungen im Kontext der gesellschaftlichen und familienpolitischen Veränderungen. Hauptadressaten meines Buches sind deshalb Männer und Frauen, Familienväter und -mütter, die sich Gedanken zu ihrer Rolle in Familie, Beruf und Partnerschaft machen, aber auch alle, die sich mit gesellschafts- und familienpolitischen Fragen beschäftigen.
Meinen herzlichen Dank möchte ich denjenigen Kolleginnen und Kollegen sowie Mitarbeitenden aussprechen, die an der langjährigen Entwicklung meiner Gedanken kritisch teilgenommen und mitgeholfen haben, unsere Forschungsprojekte zu entwickeln und durchzuführen. Aber auch allen, die an den Studien mitgewirkt haben, sei herzlich gedankt. Sie haben einen wesentlichen Anteil daran, dass dieses Buch überhaupt entstehen und ich meinen Blick auf die Väter- und Mütterfrage schärfen konnte.
Danken möchte ich ebenso Anne Stadler und Isabella Jaross vom Piper Verlag, welche die Realisierung des Buches unterstützt, tatkräftig begleitet und Korrektur gelesen haben. Ich bin mit ihm ein Abenteuer eingegangen, das ich nicht unternommen hätte, wäre die Alternative, es nicht zu schreiben, attraktiver gewesen. Heute bin ich stolz, mit diesem Projekt die Dimensionen dessen, was die aktuelle Generation von Vätern und Müttern ausmachen soll, in einen neuen und wahrscheinlich bisher kaum reflektierten Zusammenhang gestellt zu haben.
Der größte Dank gilt meinem Partner Walter Stamm. Mit ihm und durch ihn habe ich während unserer langen gemeinsamen Jahre gelernt, dass neue Vaterschaft nur entstehen kann, wenn sich auch Mutterschaft neu definiert. Und ich habe auch gelernt, dass Entwicklung nie isoliert bei sich selbst geschehen kann, sondern immer nur am Du. Familiäre Fürsorge und berufliche Ambition haben für mich auf dieser Basis eine andere Bedeutung bekommen.
Bern und Aarau, im Frühling 2018
Margrit Stamm
Das seit Jahren kaum mehr Geglaubte ist eingetreten: In allen deutschsprachigen Staaten werden wieder mehr Kinder geboren. In der Schweiz waren es im Jahr 2011 gut 80 000 Geburten, in Deutschland 678 000 und in Österreich 78 000. 2016 waren es in der Schweiz fast 87 000 Geburten, in Deutschland 738 000 und in Österreich 84 000. Welches Geheimnis steckt hinter diesem Kindersegen? Ist es ein Verdienst der Familienpolitik, weil heute aufgrund des Elterngeldes (in Deutschland und Österreich) und des ausgebauten familienergänzenden Betreuungssystems nahezu 80 Prozent der Frauen, die ihr erstes Kind bekommen, weiterhin berufstätig bleiben und genauso wie Männer Karriere machen können? Oder ist es vielleicht das neue Ideal der intensiven Mutter- und Vaterschaft, welches uns von Promi-Paaren scheinbar modellhaft vorgelebt wird und auch eine Schwangerschaft attraktiv erscheinen lässt?
Mit Sicherheit sind es nicht lediglich familienpolitische Ziele, die für den Babyboom sorgen. Für das menschliche Verhalten bedeutsamer sind Werte, Symbole und Modelle. Als solche wirken beispielsweise die Paare, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als alltägliche Herausforderung meistern, aber auch diejenigen, die sich ihren Kinderwunsch durch die Reproduktionsmedizin erfüllen lassen. Der wichtigste Faktor für die steigende Geburtenrate dürfte allerdings das neue Mutterideal sein, in den USA »the new momism«[1] genannt. Es besagt, dass sich eine Frau nur dann als ganz fühlen kann, wenn sie Mutter wird. Diesem Ideal streben fast 85 Prozent der jungen Frauen nach, und auch immer mehr Männer lassen sich davon begeistern. Familie liegt bei 77 Prozent im Trend, und 47 Prozent finden sie sogar wichtiger als die Karriere[2].
Noch vor zehn Jahren getrauten sich Männer kaum, partiell aus ihrer Leitungsfunktion auszusteigen, um zu Hause den Nachwuchs zu betreuen. Was hätten denn die Chefs von ihnen gedacht? Heute hat sich das Klima zumindest teilweise gewandelt. Väter können nun manchmal – je nach Arbeitgeber sogar selbstverständlich – das Natürlichste tun, nämlich mehr für ihre Kinder da sein. Dazu beigetragen hat – allerdings nicht in der Schweiz – auch das Elterngeld mit den Vätermonaten.[3] Es hat das Bewusstsein und die symbolische Bedeutung dafür geschaffen, dass Männer am Aufwachsen ihrer Kinder beteiligt sein wollen, sollen und auch können.
Väter werden immer häufiger von Zaungästen zu Beteiligten. Dieser Kulturwandel lässt sich vielerorts beobachten: Männer bereiten sich zusammen mit der Partnerin auf die Geburt des Kindes in Schwangerschaftskursen vor und sind bei den Kontrollen und auch im Gebärsaal dabei. Sie gehen am Montagvormittag mit dem Kind in ein Café, später zum Va-Ki-Turnen, drehen ihre Runden auf den Spielplätzen – nur in den Herren-WCs gibt es noch viel zu selten Wickeltische. Auch in Werbung und Medien sind Männer sichtbarer Teil des Väter-Markts geworden. Neben Interessenverbänden, Internetportalen sowie Männer- und Vätergruppen besteht dieser Markt vor allem aus populären Ratgebern und Zeitschriften, die sich nahezu exklusiv an Väter richten.
Auch ein Blick in wissenschaftliche Studien zeigt, dass sich in den letzten Jahren vieles geändert hat. Männer sind deutlich partnerschaftlicher eingestellt, als dies noch ihre Väter waren, versuchen zwischen Beruf und Familie eine Balance zu finden, sind zugleich auch für die Kinder da und packen im Haushalt zumindest teilweise an – oft als Vollzeit-Berufstätige, die hauptverantwortlich das Geld nach Hause bringen.
Neue Formen des Vaterseins sind nicht etwa deshalb entstanden, weil Männer erkannt haben, dass ihre Bedeutung für die Erziehung des Kindes groß ist. Vielmehr sind sie eine Reaktion auf die Frauenbewegung und ihre Forderung nach Gleichberechtigung sowie auf die veränderten Erwartungshaltungen der Wirtschaft, die angesichts des Fachkräftemangels zunehmend auf qualifizierte weibliche Arbeitskräfte setzt. Mütterliche Berufstätigkeit ist faktisch zur Norm geworden. Frauen müssen nicht mehr begründen, warum sie einen Beruf ausüben, sondern eher, weshalb sie »nur« Hausfrau und Mutter sind.
Männer definieren sich heute anders als jede Generation zuvor. Allerdings sind sie dabei keinesfalls so frei, wie sie immer denken, wenn sie als gute Väter gelten wollen. Der gesellschaftliche Mainstream und seine Ideologien zwingen ihnen mehr oder weniger ausgeprägt auf, welche Standards sie hierfür zu erfüllen haben. Erstens müssen sie dem egalitären Partnerschaftsmodell entsprechen, zweitens nach der Geburt in Elternzeit gehen, und drittens sollen sie dem weiblichen Idealbild der guten Mutter nacheifern. Nur dann gelten sie nicht nur als neue, sondern auch als gute Väter.
Welch kurzsichtiger Blick! Die Forschung belegt zur Genüge, dass solche Standards nur sehr beschränkt Gültigkeit haben. So können auch Vollzeit arbeitende Männer eine engagierte Vaterschaft praktizieren und ihre Kinder positiv beeinflussen. Egalitäre Väter sind nicht automatisch die besseren Väter. Eng damit verbunden ist die Ideologie des Vaterschaftsurlaubs (in der Schweiz) respektive der Elternzeit und Elternkarenz[4] (in Deutschland und Österreich). Diese vor allem in den Medien als Erfolgsstorys postulierten Maßnahmen werden hochgejubelt, doch ist es falsch, sie per se als empirischen Gradmesser für gute Väter zu bezeichnen. Eine solche Optik ist zu eng, weil sie sich fast ausschließlich auf Väter von ganz kleinen Kindern oder von Vorschulkindern konzentriert. Selbstverständlich ist es wichtig, dass ein Vater eine nahe Beziehung zum Neugeborenen aufbauen und sich während der ersten Lebensjahre viel Zeit für den Nachwuchs nehmen kann. Der Familie einen guten gemeinsamen Start zu ermöglichen, ist zu Recht ein familienpolitisch hoch bedeutsames Thema geworden. Erste Forschungsergebnisse hierzu weisen nach, dass das Instrument der Elternzeit mithilft, die traditionellen Rollenverteilungen in der Familie aufzuweichen und auch Männer in ihrer Unabhängigkeit von der Partnerin zu bestärken.
Leider wird die Wirkung von Vätern fast ausschließlich an diesem kurzfristigen Engagement gemessen. Vaterschaft ist jedoch weder eine statische noch eine kurzfristige Angelegenheit. Ob Männer gute Väter sind, zeigt sich erst an ihrem längerfristigen Engagement. Solche früh einsetzenden Maßnahmen sind deshalb nichts anderes als wichtige Türöffner, damit sich Männer stärker einbringen und dadurch eine gute Basis für die nachfolgende Familienarbeit erhalten. Elternzeit ermöglicht eine andere Balance zwischen Berufs- und Familienarbeit für beide Partner und spezifisch den Männern, sich in die familiale Fürsorgearbeit einzuleben. Dies ist jedoch nicht mehr als ein Fundament, um ein guter Vater zu werden.
Schließlich ist auch die Ideologie ein Irrtum, dass nach der gesetzlich verankerten Gleichberechtigung das weibliche und das männliche Geschlecht nun auch biologisch gleichgestellt werden müssen. Väter dürfen nicht am Idealbild der intensiven Mutter gemessen werden und nur dann als gut bezeichnet werden, wenn sie eine ebenso intensive Vaterschaft betreiben. Männer müssen weder weiblicher werden noch in der Fürsorgearbeit den Standards der Partnerin folgen und ihr auch am Wickeltisch keine Konkurrenz machen. Weder brauchen wir eine Bemutterung noch eine Idealisierung von Vaterschaft. Hinreichend gute Väter genügen – genauso wie hinreichend gute Mütter ausreichend sind.[5] Solche Eltern geben ihren Kindern einen weitaus besser bepackten Rucksack fürs Leben mit als Väter und Mütter, die eine intensive Elternschaft betreiben und ihre Sprösslinge überbehüten, verwöhnen und nicht selbstständig werden lassen.
Solche ideologischen Irrtümer sind ursächlich daran beteiligt, dass in der aktuellen Diskussion wichtige Aspekte von Vaterschaft fast vollständig ausgeblendet werden. Neue theoretische Vaterschaftskonzepte führen uns solche Unterlassungen deutlich vor Augen.[6] Vaterschaft umfasst nicht nur die zeitliche Verfügbarkeit, sondern auch viele andere, nicht direkt sichtbare Beiträge. Gemäß diesen neuen Konzepten können sich Väter in der familiären Fürsorgearbeit engagieren, ohne ständig anwesend zu sein.
Die Vaterschaftsdebatte blendet jedoch auch wichtige Rahmenbedingungen aus, so etwa die Einflüsse der Arbeitswelt (z. B. warum vor allem Väter im öffentlichen Dienst oder in bestimmten geografischen Regionen in Elternzeit gehen), die Einflüsse des persönlichen Umfelds (wie sehr Freunde, Nachbarn und Verwandte die Einstellungen und Verhaltensweisen prägen) oder wie Paare das von ihnen gewählte Familienmodell aushandeln (weshalb sie sich für eine bestimmte Rollenaufteilung entscheiden).
Schließlich bleibt die Tatsache weitgehend unberücksichtigt, dass die Realität der Lebensentwürfe heutiger Paare überhaupt nicht mehr mit denen übereinstimmt, welche für die Babyboomer-Generation noch angemessen waren. Eltern kleiner Kinder sind zwar in einer politisch stabilen gesellschaftlichen Sicherheit aufgewachsen, und gerade Frauen haben heute die gleichen Bildungschancen wie Männer, die sie auch in steigendem Umfang nutzen. Trotzdem müssen Paare immer wieder erfahren, dass ihre Lebenswege selbst bei hoher beruflicher Qualifikation von strukturellen Hürden begleitet sind und eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie in einer als sinnvoll erlebten Weise oft nicht möglich ist.[7]
Einerseits verharren unsere familienpolitischen Systeme immer noch in der Situation wie sie vor fünfzig Jahren war, und eine Anpassung an die neue Realität der Lebensentwürfe ist bisher ausgeblieben. Andererseits wird zu viel gejammert und geklagt, am meisten über die familienfeindliche Wirtschaft oder über den Staat, der zu wenig Hilfe bereitstellt. Als ob in den vergangenen Jahren nichts passiert wäre! Es ist somit auch an der Zeit, dass Männer und Frauen den Fokus der Vereinbarkeitsfrage etwas verrücken und sich fragen, inwiefern sie selbst ein Problem hierfür sind.
Um die gleichberechtigte Teilhabe beider Geschlechter im Arbeits- und Familienleben verwirklichen zu können, brauchen wir ein neues Emanzipationsbündnis zwischen Frauen und Männern, zwischen Müttern und Vätern. Männer sollten sich der Veränderung von Männlichkeit stellen, alte Machtansprüche aufgeben und mehr Engagement in der Familie auch tatsächlich verwirklichen wollen. Frauen wiederum sind insofern zu ermutigen, als sie sich nicht nur die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erstreiten müssen, sondern auch auf die eigenen Bedürfnisse hören dürfen. Gleichzeitig sollten sie einen Beitrag dazu leisten, dass sich ihre Partner nicht nur ins Familienleben einpassen, sondern sich auch eigenständig als Väter entwickeln können. Geschlechtergerechtigkeit heißt, dass Männer und Frauen nicht Kopien des anderen Geschlechts werden, sondern in gegenseitiger Bezogenheit eine unabhängige Identität aufbauen.
Aber dies kann nur geleistet werden, wenn wir unseren Blick auf die Aufgaben objektivieren, welche Väter in und neben der Familie für diese erbringen, und auch nach der Rolle fragen, welche ihre Partnerinnen dabei spielen. Beide Geschlechter sind von kulturellen und gesellschaftlichen Widersprüchen betroffen, aus denen sie sich nur schwer befreien können. Deshalb müssen wir uns von den problematischen Seiten der gegenwärtigen Diskussion frei machen, welche unsere Gleichstellungspolitik prägt und Männer andauernd schuldig spricht. Nur so können die einseitigen und mit zu großer Selbstverständlichkeit postulierten Vorstellungen dessen gesprengt werden, was einen guten Vater oder eine gute Mutter ausmachen soll. Man muss somit etwas genauer hinschauen, um die damit verbundenen problematischen Folgen für die Männer selbst, ihre Partnerinnen und die Gesellschaft insgesamt zu erkennen.
Auf solchen Überlegungen basiert die These, welche ich in diesem Buch diskutieren und in einen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang stellen werde. Sie lautet:
Männer engagieren sich facettenreicher in der Familie, als dies die Gesellschaft wahrnehmen will. Dazu brauchen sie jedoch Partnerinnen, welche ihnen ihre Hand bieten. Obwohl sich Frauen in den letzten Jahrzehnten enorm emanzipiert haben, gilt dies kaum für ihre Mutterrolle. Kriegen sie Nachwuchs, dann fallen sie schnell in alte Rollenmuster zurück und beanspruchen in der Familie die alleinige Bestimmungshoheit. Dies bremst das väterliche Engagement.
Diese These bearbeite ich in fünf Schwerpunkten. Dabei beziehe ich mich immer wieder auf Daten empirischer Studien, auf wissenschaftliche Argumentationen, theoretische Konzepte und historische Positionen. Herzstück sind jedoch unsere beiden Studien »Franz« und »Tarzan«.[8] Zunächst frage ich kritisch, weshalb Väter ein so schwieriges Thema sind und sie immer in Defizitkategorien wahrgenommen werden, während Mütter unhinterfragt als besonders belastet gelten. Dies führt mich dazu zu untersuchen, wie das männliche und das weibliche Geschlecht jeweils in der öffentlichen Diskussion dargestellt werden (erster Schwerpunkt). Sodann beantworte ich im zweiten Schwerpunkt die Frage, welche Rollen den Vätern zugeschrieben werden und welche Bedeutung den Müttern zukommt. Der dritte Schwerpunkt lenkt den Blick auf das, was Männer als Väter tun und in welcher Art und Weise sie ihre Partnerinnen zu Hause entlasten. Wie Väter wirken können und weshalb ihre Partnerinnen dabei das Zünglein an der Waage spielen, ist das Thema des vierten Schwerpunkts. Schließlich ziehe ich im fünften Schwerpunkt ein Fazit mit der Forderung »Neue Väter brauchen neue Mütter!«. Jenseits der bisher üblichen Defizitzuschreibungen oder Idealisierungen zeige ich auf, welche neuen Perspektiven unsere Gesellschaft verfolgen sollte, damit sich beide Geschlechter entwickeln können. Grundlegend ist, dass der Blick auf Männer und Frauen objektiver, um unsichtbare und indirekte Verhaltensbeiträge erweitert wird, und dass die Beurteilung des Engagements beider Geschlechter nicht nur auf die ersten Lebensjahre beschränkt wird, sondern langfristiger erfolgt. Dies bedingt, dass auch die Frauen ihre Weichen neu stellen und zu selbstkritischen Veränderungen in ihrem Verhalten bereit sein müssen.
Damit einher geht, dass Familienpolitik und Väterkampagnen nicht ausschließlich auf ein egalitäres Familienmodell oder auf Teilzeitarbeit setzen, sondern sich für eine Vielfalt von möglichen Alternativen stark machen, welche ihren Ausgang beim Befinden und bei den Perspektiven von Frauen und Männern nehmen. Dies erfordert, dass auch einzelne Männer – nicht interessenvertretende Verbände oder Vereine – sich getrauen, ihre Stimme zu erheben und für ihre eigenen Interessen einzustehen. Aktuell sind sie in dieser Hinsicht noch zu sehr das schweigende Geschlecht.
Weil ich grundsätzlich überzeugt bin, dass es nicht genügt, lediglich neue Väter und neue Mütter einzufordern und ihnen den Weg hierfür zu ebnen, formuliere ich abschließend visionäre Gedanken, wie Paare ihre Vorstellungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf kürzere und auch längere Sicht leben können. Dabei postuliere ich die »Entzerrung der Rushhour« als neue Zeitpolitik, welche die gesamte Lebensspanne in den Blick nimmt. Sie erfordert ein grundsätzliches Umdenken von uns allen.