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Braumeister: Ein Maibock ist ein helles Starkbier, das wo untergärig ist und vom April bis in den Juni hinein getrunken wird.

Jäger: Ein Maibock ist ein junger Rehbock, den wo ich im Mai schieß.

Braumeister: Depp.

Jäger: Selber Depp.

Braumeister: Prost.

Jäger: Prost.

Zum Anstechen eines Romans benötigen Sie einen Schlegel aus Holz, Zapfzeug, ein Luftventil aus Messing, eine Spritzschutzmanschette aus Gummi und einen Ganterbock.

Hans-Jörg Strangel, Braumeister

O’ZAPFT IS

Dass eine Leiche in einem Nadelstreifenanzug hinter dem Linienboot eines bayerischen Bergsees hergezogen wird, ist kein Ding der Unmöglichkeit. Jedoch ist ein derartiger Vorgang aus mathematischer Sicht höchst unwahrscheinlich.

Unwahrscheinlicher sogar noch als jene schon fast märchenhaft anmutende Vorstellung, dass einmal eine Bayerin Bundeskanzlerin werden könnte.

Wahrscheinlicher aber, als dass eines Tages beim Starkbieranstich am Münchner Nockherberg alkoholfreies Starkbier ausgeschenkt werden wird. Eine derartige Katastrophe werden wir auch in tausend Jahren – also dann, wenn man aufgrund der sich anbahnenden chinesischen Dominanz auf der Welt Schweinsbraten mit Stäbchen wird essen müssen – nicht erleben.

Man kann daher festhalten, dass die statistische Wahrscheinlichkeit von Nadelstreifenleichen hinter Linienbooten auf bayerischen Bergseen in etwa zwischen jener des bayerischen Bundeskanzlertums und jener des alkoholfreien Starkbiers liegt. Dies könnte nun Wellnessgefühle in Ihrem Astralkörper auslösen. Aber halt – entspannen Sie sich nicht zu früh! Es ist gerade das Frivole am Freistaat Bayern, dass hier Dinge geschehen, die anderswo undenkbar wären (zum Beispiel auch, dass man ein Lebensmittel namens Leberkäs herstellt, das alles enthält, nur keine Leber und keinen Käse).

Es gibt für Sie daher überhaupt keinen Grund, sich Wellnessgefühlen hinzugeben: Die so schreckliche wie aus statistischer Sicht unwahrscheinliche Geschichte, um die es nun geht, ist Verbrechen für Verbrechen nämlich tatsächlich genau so passiert; und deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich Sie Ihnen mit der Präzision einer bayerischen Bierzapfanlage einschenke – pardon: erzähle. O’zapft is!

Ein bayerischer Knast ist kein Whirlpool.

Rudi Tausendfreund, Gefängnisinsasse JVA Landsberg am Lech

EINS

Mittwoch

Tag 1

Alles fing damit an, dass die frisch vermählte Fiorella Franke ihrem Mann Thorsten ein »Ich liebe dich, Thorsti« ins Ohr hauchte. Viele Menschen, insbesondere bayerische Männer, würden, spräche man sie als »Thorsti« an, unweigerlich die Nase rümpfen und sich für einen Selbstverteidigungskurs bei der Volkshochschule anmelden – aber gut: Dieser »Thorsti« Franke stammte aus Leipzig, und in dieser prachtvoll-emanzipierten Stadt, in der Richard Wagner das Licht der Welt erblickte und Johann Sebastian Bach das Zeitliche segnete, ist es wohl üblich, sich einander direkt nach der Hochzeit solcherlei Zärtlichkeiten zuzuflüstern. Zumal, wenn sie von temperamentvollen und tollkühn blondierten Florentinerinnen in die ostdeutsche Ohrmuschel geatmet werden. Thorsten Franke entfuhr auf das Liebeshauchen seiner Gattin hin ein leises, freudiges Kichern. Die bayerische Sommersonne aber schien trotz dieser anrührenden Leipziger Zärtlichkeit unverdrossen weiter, und zwar mit einer Energie, die gefühlt mittels Solartechnik mehrere Atomkraftwerke zu ersetzen in der Lage gewesen wäre. Hinter den beiden Turteltauben lag die Bootsanlegestelle der östlichen Seegemeinde T., vor ihnen die Große Rundfahrt über den See, welche als Nächstes in der südlichen Seegemeinde R. Station machen würde.

[Man entschuldige mir die Verschleierung der Tatortnamen; aber es handelt sich hier um den staubtrockenen Bericht zu einem wahren und dazu noch hochkomplexen Kriminalfall, in den mindestens zwei mafiaähnliche Organisationen – in Bayern nennt man sie »Trachtenvereine« – verwickelt sind. Die Verschleierung dient meinem und Ihrem Schutz, denn durch Ihr Weiterlesen machen Sie sich natürlich unweigerlich zu Komplizen, stehen mithin einbeinig im Gefängnis. Überlegen Sie es sich also gut, denn: Ein bayerischer Knast ist kein Whirlpool!]

Thorsten Franke wollte seiner vollbusigen italienischen Eroberung just eine Zärtlichkeit erwidern, da kreischte die Sechsundzwanzigjährige schrill auf. Sofort riss der Gatte – übrigens gewandet in ein klassisches, rot-weiß kariertes Tischdeckenhemd, welches man drei Tage nach der Hochzeit in einem jener sogenannten Trachtenläden, die es an dem See zuhauf gab, erstanden hatte – den Kopf herum. Natürlich wacht ein frisch verheirateter Mann über das Glück seiner Braut wie der Bock über seine Rehe. Und man darf hier nichts beschönigen: Fiorella Frankes Schrei klang nach Angst, Gefahr und Tod. Nun lassen sich Leipziger in aller Regel von wenig, wenn nicht sogar von gar nichts umhauen. Doch was Thorsten Franke in diesem entscheidenden Moment erblickte, ließ auch ihm sofort das Blut in den Adern stocken: Mit einem Abstand von etwa vier Metern trieb hinter dem Linienboot, das wenige Minuten zuvor zur Großen Rundfahrt abgelegt hatte, ein menschlicher Körper. Dieser schwamm mit den Füßen voraus hinter dem Schiff her. Was war da los?

Als Thorsten Franke die Augen zusammenkniff, um genauer zu sehen, erkannte er, dass der leblose Körper von einem Strick gezogen wurde, welcher am Schiff befestigt sein musste. Der Anblick des Nadelstreifenanzugmannes hatte etwas Geisterhaftes und war genau das Gegenteil von dem, was man sich erhofft, wenn man nach der Vermählung seine Flitterwochen in einem bayerischen Naturparadies genießen will. Eine schöne Frau aus der Stadt Michelangelos möchte eine Woche nach ihrer Hochzeit keine Leiche im Wasser entdecken, nicht einmal, wenn sie einen Leipziger geheiratet hat. Als frisch verheiratete Frau träumt man von enthusiastischen Küssen in blühenden Bergwiesen, von händchenhaltenden Wanderungen vorbei an einsamen Almen, und von Begegnungen mit ehrlichen Landmenschen, die das Herz am rechten Fleck tragen und deren Gesichter graue Alm-Öhi-Bärte zieren, die bis zum Knie hängen.

Und jetzt das!

Sofort nachdem Fiorella Franke – geborene Bocca di Leone, was zu Deutsch »Löwenmäulchen« heißt, für den vorliegenden Fall aber höchstwahrscheinlich keinerlei Bedeutung hat – den Schrei ausgestoßen hatte, fiel die kleingewachsene Toskanerin in Ohnmacht, und Thorsten Franke begann, verliebt wie er war, mit einer intensiven Mund-zu-Mund-Beatmung. Doch auch die Mitpassagiere, welche sich zeitgleich im hinteren Teil des Boots aufgehalten hatten, blieben nicht untätig. Aufgescheuchten Hühnern gleich eilten sie herbei – neben den eher unauffälligen Einheimischen waren dies insbesondere ein Pärchen aus Massachusetts, eine Witwe aus Altötting mit ihrer pubertierenden Tochter, ein schwäbischer Fensterunternehmer namens Achleitner, vier Damen mit aufgepumpten Lippen, ein Tennistrainer aus Bochum mit Kondomen in der linken Tasche seiner weißen Tennishose und ein russischer Oligarch. Da Thorsten Franke bei seiner Mund-zu-Mund-Beatmung keinen Wechsel der Beatmungsperson akzeptierte, wandte sich die Aufmerksamkeit sogleich wieder der Ursache der Ohnmacht zu: dem leblosen Körper im Nadelstreifenanzug!

»Anhalte! Anhalte! Da isch einer über Bord gange«, rief sogleich der Schwabe Achleitner, der schon seit Monaten Stammgast am See war. Angeblich zwecks Burnout-Prophylaxe, tatsächlich aber war er auf Frauenjagd. Sein Ruf wurde von den anderen Mitreisenden aufgegriffen, und so dauerte es höchstens eine gute Minute, bis Kapitän Tom Strobl das Linienboot gestoppt hatte und nach achtern kam, um die Katastrophe zu begutachten.

»Ja, sauber«, brummte der Schiffer mit der den Bewohnern jenes paradiesischen Bergtals angeborenen, für alle Auswärtigen unerklärlichen Grantigkeit.

»Den müsset Se rausziehe«, forderte der Schwabe Achleitner gschaftelhuberisch, »vielleicht läbt är noch«, und riss den Kapitän ungeduldig am Hemd. Mit dem Satz »Was hier an Bord passiert, entscheide immer noch ich, du Gelbfüßler« und einer ruckartigen Bewegung seines muskulösen Oberkörpers befreite sich Tom Strobl von der schwäbischen Zecke. Der dicke Fensterunternehmer strauchelte, fiel und landete direkt neben dem Schoß des äußerst engagiert zu Werke gehenden Ersthelfers Thorsten Franke. Doch sofort war Achleitner wieder im Besitz seiner Orientierung und konstatierte trocken und mit Blick auf den schönen italienischen Kopf, an dem sich Frankes Lippen festgesaugt hatten: »Des isch jetzt fei koi Mund-zu-Mund-Beatmung mehr, sondern regelrechtes Geknutsche.«

»Wir sind frisch verheiratet, Sie Schwabe!«, lautete zutreffend die einzig mögliche Antwort, und sie verließ derart testosteronangereichert den Mund dieses »Thorsti«, dass der Fensterunternehmer sogleich verstummte. Brünftige Böcke und brünftige Männer sind in etwa gleich gefährlich.

Zum Glück für die junge Ehe verfehlte die Erste Hilfe ihre Wirkung nicht: Schon nach Minuten flüsterte Fiorella Franke mit zauberhaftem italienischem Akzent: »Thorsti, du küsst wie ein junger Gott.« Dabei lächelte sie ihren Retter verträumt an.

»Wir fahren jetzt weiter zum nächsten Halt und ziehen den dann raus. Da ist eh nichts mehr zu retten«, brummte Tom Strobl. Der Satz war mehr eine Handlungsanweisung an sich selbst als eine Unterrichtung der Passagiere. Er ging mit dem breiten Gang des Bergschiffers zurück zur Brücke, ließ das Linienboot wieder anfahren, und wenige Minuten später legte es beim Strandbad der Gemeinde R. an. Bereits auf der Fahrt dorthin hatte Strobl die in der westlichen Seegemeinde B. ansässige Polizeidienststelle verständigt. Deren Ermittlerteam, bestehend aus dem bärtigen Inspektionschef Kurt Nonnenmacher, dem jungen und in Frauendingen unerfahrenen Sepp Kastner und der für bayerische Verhältnisse viel zu schnell denkenden und handelnden Rheinländerin Anne Loop, hatte sich auch sofort auf den Weg gemacht – nachdem Kurt Nonnenmacher die obligatorische Dose Reis ausgelöffelt hatte, welche ihm seine fürsorgliche Gattin Helga jeden Morgen mitgab, um den nervösen Magen in Schach zu halten. Anne, deren Äußeres viele im Tal an eine gewisse Hollywood-Schauspielerin und Superfrau-Adoptivmutti erinnerte, hätte ihren Chef gerne zu höherem Tempo angestachelt, aber Kurt Nonnenmacher hatte nur geraunzt, dass der Strobl gesagt habe, dass die Leiche ohnehin tot sei und seine, also Nonnenmachers Magenproblematik in diesem Fall definitiv Vorrang genieße, auch wegen der Krankenkasse.

Als die Polizisten die Anlegestelle erreichten, war an der beliebtesten Uferpromenade des Millionärssees noch nicht viel los. Lediglich ein Sanitätsfahrzeug und ein gutes Dutzend staunender Schaulustiger standen am Anlegesteg. Mit großen, wenig filigranen Schritten pflügte sich Kurt Nonnenmacher einen Weg durch die aus Flipflop-Teenagern, Pradataschen-Tanten, Bequemschuh-Graujacken und Goldkettchen-Society-Ladys bestehende Herde. Anne und Sepp Kastner folgten ihm mit ernstem Blick und angehaltenem Atem, denn es stand eine mörderische Parfümmixtur in der Luft.

Der Mann im Nadelstreifenanzug ruhte bereits auf den Planken, der Sanitäter schüttelte mit den Worten »Der ist tot wie eine Weißwurscht um Mitternacht« den Kopf, und Nonnenmachers Blick fiel auf einen gut fünfzigjährigen, kurzhaarigen Mann mit Fotoapparat im Anschlag, in dessen linkem Mundwinkel ein Zigarillo qualmte. Nonnenmachers Gesichtszüge verfinsterten sich zu einem Ausdruck, aus dem die reine Mordlust sprach.

»Warum bist jetzt du bittschön vor uns da, Schellinski? Wie kann das sein? Ich hab dir schon hundertmal gesagt, dass der Polizeifunk nicht abgehört wird, zefix!«

»Zufall, Kurt, reiner Zufall, ehrlich«, fränkelte der Mann. Es handelte sich um den Reporter der ansässigen Lokalzeitung. »Ich wollt grad a baar Bassanten fragen, was die von denen neuen Uferstegen halten, da denk ich mir: Was siech ich denn da? Des ist doch a Leich! Und dazu noch im Nadelstreifenanzug! Da denk ich weiter und denk mir: Des ist doch a Mordsschtory für die Zeidung! Bloß deshalb bin ich da, Kurt …«

»Ja, ja … wer’s glaubt, wird selig«, schrie Nonnenmacher wütend. »Diesen Schmarren, von wegen dass du bloß zufällig hier vorbeigekommen bist, glaubt dir doch kein Mensch. Du hast den Polizeifunk abgehört, Brief und Siegel. Und jetzt schleich dich, Schellinski, oder ich lass dich wegen Störung polizeilicher Ermittlungen gemäß Paragraph hundertvierundsechzig StPO festnehmen!«

»Etzad geh, Kurt, ich du den Bolizeifungg wirklich net abhören, und desweideren mach ich doch bloß mein’ Job!«, jammerte der Lokalzeitungsreporter mit heiserer Stimme. Um seinen Kopf hatte sich eine Rauchwolke gebildet.

Nonnenmacher schüttelte den Schädel und murmelte zornig: »Polizei bieselt im Dunkeln« – das war nämlich die Schlagzeile gewesen, mit der Schellinger seinen Bericht über den letzten großen Fall im Tal garniert hatte; darüber hatte er ein Foto des im Wald urinierenden Polizeichefs gesetzt. Diese Hirschkuss-Geschichte war schon über ein Jahr her, aber noch immer sprachen die Leute Nonnenmacher auf seinen beeindruckenden medialen Auftritt als brunzender Ermittler an. Es war zum Evangelischwerden!

Während der Auseinandersetzung des Inspektionschefs mit dem freien Journalisten hatten sich Anne Loop und Sepp Kastner neben dem leblosen Körper niedergekniet. Die Sanitäter hatten sämtliche Wiederbelebungsversuche eingestellt, und der Linienbootskapitän Tom Strobl kämpfte mit den Tränen.

»Was ist passiert?«, fragte Anne den um Fassung ringenden Mann.

»Scheißdreck, der hing hinten am Boot!« Strobl schnäuzte in ein Papiertaschentuch. »Aber jetzt seh ich’s erst: Das ist der Gerry!«

»Gerry? Kennen Sie auch seinen Nachnamen?«, erkundigte sich Anne vorsichtig.

»Ja klar, der Adamo Gerry, also eigentlich Gerold Adamo. Mitglied in unserm Trachtenverein ›Die Wallberger‹.«

»Und wie kam Herr Adamo dahin, also ich meine, wie kann es sein, dass er da hinten am Schiff hängt?« Anne sah den Kapitän aufmerksam an. Er hatte blaue Augen und mochte Mitte dreißig sein.

»Keine Ahnung, der hing halt da. Am Strick, am Schiff … Ich hab den bloß rausgezogen und abgeschnitten. Der Strick hängt noch hinten dran. Ich hab damit nix zum tun.«

Anne warf einen Blick auf den Rest des Seils, das am rechten Fußgelenk des Toten festgebunden war. Es war ein normaler Strick, wie er von Bauern verwendet wurde, um Kälber vom Stall in den Viehanhänger zu führen.

Nun schob sich der russische Oligarch, der mit an Bord gewesen war, nach vorn. Sein Haar war ebenso schwarz wie sein Rollkragenpullover. Am Handgelenk erblickte Anne eine riesige Uhr eines Genfer Herstellers. Das war eines der Erkennungszeichen der Reichen und oft auch Schönen. Kastner wollte sich dem imposanten Mann schon in den Weg stellen, da ergriff jener das Wort: »Errr«, der Oligarch deutete auf Kapitän Tom Strobl, »hätte frrrüher müssen halten an. Errr nicht hat gehalten an, er gefahren weiter. Mann war da lange in Wasser, Captain hätte müssen retten.«

»Sie Russland?«, erkundigte sich Kastner. Er kannte den Akzent, weil der herrliche Bergsee in den vergangenen Jahren immer mehr zum Anziehungspunkt für russische Urlauber geworden war. Was Kastner auch logisch erschien: Warum sollte nicht auch der steppengewohnte Russe, der seinen Durst das ganze Jahr über mit Desinfektionsmittel – genannt Wodka – löschen musste, einmal eine Sehnsucht nach grünen Wiesen und einem vernünftigen Bier verspüren?

»Da«, antwortete der Fremde. Kastner wusste, dass das »Ja« heißen sollte und konnte gerade noch dem Impuls widerstehen, den Millionär zu verbessern. Der Mann wiederholte seine Anschuldigung gegen Strobl, und Anne und Kastner wandten sich wieder dem Kapitän zu.

Der spürte die Blicke und stammelte etwas hilflos: »Der war schon tot. Garantiert. Der hat keinen Zucker mehr gemacht, der Gerry. Wenn ich den früher rausgezogen hätt, dann wär er jetzt trotzdem tot.«

»Und wenn er bloß ohnmächtig war?«, fuhr ihn Nonnenmacher scharf an, der just ebenfalls zu der Leiche getreten war. »Dann ist das fei Tötung durch Unterlassen …«

»Das kann später die Rechtsmedizin klären«, fuhr Anne schnell dazwischen. Wie immer ging der gebürtigen Rheinländerin in Bayern alles viel zu langsam. »Was mich viel mehr interessieren würde, ist, wie der Mann an das Schiff gekommen ist. Seit wann hing Herr Adamo denn da hinten?« Sie schaute Strobl ernst, aber nicht unfreundlich an.

Der senkte den Blick und meinte: »Keine Ahnung. Ich hab damit jedenfalls nix zum tun. Ich bin heut früh zum Schiff, hab meine Kontrolle gemacht wie immer, und da war nix, und dann bin ich losgefahren.«

»Wie sieht Ihre Kontrolle denn genau aus?« Anne betrachtete den Toten. Er trug weder Bart noch Haupthaar, und seine Haut wirkte etwas blasser, als man es von lebenden Menschen gewohnt war. Auffällig war, dass der Mann geradezu unversehrt wirkte. Sehr lange konnte er nicht im Wasser gelegen haben, geschweige denn tot sein.

Plötzlich vernahm sie ein hektisches Knipsen.

»Schellinski, wennst du jetzt nicht verschwindest, dann sperr ich dich ein, zefix!«, fluchte Nonnenmacher, trat auf den Lokalreporter zu und verpasste ihm einen groben Schubs. »Dass du es ein für alle Mal kapierst: Es herrscht hier jetzt Nachrichtensperre! Nordkorea! Putin! Hast mich? Wenn du irgendwas von dem schreibst, was du hier siehst, dann wanderst du genauso wie der Dings vom Fußball in Landsberg ein.«

»Des, was ich mach, ist Bressefreiheit, Kurt. Da könnt ihr mir jetzt gar nix andun. Als Perichterstatter bin ich …«

Weiter kam er nicht, denn Nonnenmacher gab ihm noch einen Schubs, sodass er nun mit den Fersen direkt am Rand des Stegs stand.

»Bressefreiheit, Kurt! Weißt was, Schellinski: Fressebrei mach ich aus dir!«, herrschte Nonnenmacher den Reporter an. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Irgendwo weiter weg quakte eine Ente. Die Kirchturmglocke schlug zwölf Uhr fünfzehn. Ich wiederhole mich, aber es lag Mordlust in der Luft.

»Etz hör auf, Kurt, ich fall ja gleich ins Wasser!«

»Du hörst jetzt auf mit der verreckten Knipserei, Schellinski!« Nonnenmacher drückte seinem Kontrahenten den dicken Zeigefinger auf den Brustkorb. Der Finger knackte, der Franke verlor samt teurer Kamera das Gleichgewicht. Da packte Nonnenmacher den schockierten Mann geistesgegenwärtig doch noch am Arm und riss ihn wieder hoch. Schellinskis Blick war starr vor Schreck.

»Lass dir das eine Lektion sein«, brummte Nonnenmacher. Erst dann ließ er von dem Investigativreporter ab.

»Gleich’ Method’ wie bei uns«, stellte der Russe trocken fest, der die Szene interessiert beobachtet hatte. Der feine Stil der bayerischen Polizei war ein weiterer Grund, warum die Menschen aus dem Heimatland so großer Dichter wie Dostojewski und Puschkin den Freistaat Bayern liebten.

»Du, pass fei auf, Burschi!«, fuhr der Inspektionschef jetzt auch den ausländischen Touristen an. »Sonst schick ich dir einmal ein SEK in euren Alibaba-Tempel da hinten!« Er deutete in die Richtung, wo sich ein Russe jüngst eine protzige Villa im orientalischen Stil hatte bauen lassen.

»Wir waren bei der Frage stehen geblieben«, ergriff Anne wieder das Wort, »auf welche Weise Sie heute Morgen das Schiff kontrolliert haben, Herr Strobl.«

»Ganz normal«, erwiderte dieser trotzig.

»Ganz normal«, wiederholte Anne leicht genervt. »Und was heißt das?«

»Rundgang übers Boot, Kontrolle der Seitenwände, natürlich habe ich auch das Heck überprüft, aber da war nix.«

»Aha, dann ist der Tote wahrscheinlich hinterm Schiff hergeschwommen und hat sich eigenhändig daran festgebunden, oder was?«, blaffte Nonnenmacher, der jetzt von Schellinski und dem Russen abgelassen hatte, den Kapitän an.

»Wo war das Schiff, bevor Sie es in Betrieb genommen haben?«, meldete sich nun Kastner zu Wort, ohne auf den unsachlichen Einwurf seines Chefs einzugehen.

»Die Schiffe liegen nachts immer im Bootshaus drüben«, donnerte Nonnenmacher. Er kannte sich aus, weil er nur ein paar Hundert Meter vom Bootssteg der Stadt T. entfernt wohnte.

Hierauf räusperte sich Tom Strobl. »Das war heute Nacht anders.« Sofort fixierten ihn die Blicke der drei Polizisten aufmerksam. »Heute Nacht war das Schiff am Steg. Das war eine Ausnahme. Weil es gestern für den Geburtstag vom Landrat im Einsatz war. Da war ein Fest.«

»Und die Sparkasse hat’s wahrscheinlich bezahlt«, tönte von weiter hinten ein Einheimischer, der sich offensichtlich auskannte.

»Die Sparkasse tut hier nichts zur Sache«, sagte Anne bestimmt. »Könnte es sein, dass im Rahmen dieser Feierlichkeiten jemand ins Wasser gefallen ist und sich im Seil verheddert hat?«

»Sein kann viel«, meinte Nonnenmacher. »Vor allem bei Landräten.«

»Sex im Dienstzimmer«, tönte es wieder von hinten, »Latex, Korruption …«

»Könnten Sie bitte einfach mal die Klappe halten, wir brauchen keine Klugscheißereien aus der zweiten Reihe!« Anne suchte erneut Augenkontakt mit Strobl. »Waren denn die ganze Nacht über Menschen an Bord?«

»Nein. Ich hab die letzte Fahrt gestern gegen zehn gemacht. Dann haben wir angelegt, die haben noch weitergefeiert, und um zwölf war alles rum. Ich hab dann dichtgemacht und bin heim. Auf dem Schiff war da aber niemand mehr, das habe ich überprüft.«

»Und am Steg?«, fragte Kastner linkisch. »War der Adamo auf dem Steg?«

»Der Adamo hatte meines Wissens mit der Feier überhaupt nichts zum tun. Jedenfalls habe ich den gestern da nicht gesehen.« Strobl schnäuzte sich.

»War sonst jemand auf dem Steg, als Sie gegangen sind?« Anne sah Strobl fest an, doch der wich ihr weiterhin aus.

»Am Steg waren schon noch ein paar … äh … Leute.«

»Der Landrat?«, rief der Sprecher von hinten wieder.

Strobl blickte zu Anne, unsicher, ob er diese Frage auch beantworten sollte.

»Der Landrat?«, fragte Anne leise und mit aufmunterndem Nicken.

Der Kapitän zögerte kurz, trat dann zu der Polizistin und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Über Annes Gesicht huschte ein kaum merkliches Schmunzeln.

»Da wird nix geflüstert!«, raunzte Nonnenmacher die beiden an.

Strobl sah Anne noch einmal fragend an, woraufhin diese zu ihrem Chef trat und ihrerseits ihm etwas ins Ohr flüsterte. Hierauf nickte dieser wissend und sagte mit plötzlich wesentlich sanfterer Stimme: »So, so. Und dann sind S’ heimgegangen, oder?«

»Dann bin ich heimgegangen.«

»Und am Schiff hing keiner dran?«, schob Anne schnell hinterher.

»Nein.«

»Dann muss der Adamo da erst nach zwölf hingekommen sein, an das Schiff«, kombinierte Kastner scharfsinnig. »Aber wie?« Er überlegte. »Der Fuß steckt ja in einer Schlaufe, die sich auf Zug verengt. Kann es sein …« Er stockte. »Also, nochmal von vorn: Der Strick war mit dem einen Ende am Schiff angebunden … und das andere Ende lag schlaufenförmig auf dem Steg. Kann es sein, dass heute früh, wie Sie losgefahren sind, dass da der Adamo zufällig auf dem Steg gewesen ist, also zum Beispiel für einen Spaziergang – und dass der dann mit seinem Fuß in die Schlaufe hineingeraten ist und dann von Ihnen mitgerissen wurde? Dass es also eine Art … Unfall gewesen ist?«

Anne und Nonnenmacher schauten Kastner an, als hätte er ein Ei gelegt.

»Bolizei entwickelt dolle Dhesen«, murmelte Schellinger gut vernehmlich, während er mögliche Schlagzeilen in sein Notizbuch kritzelte.

»Wollts ihr mich jetzt verarschen?« Strobl schaute Kastner aggressiv an. »Wenn da einer am helllichten Vormittag vom Anlegesteg runtergerissen wird, dann merk ich das doch!«

»Und nicht nur Sie«, sprang Anne dem Kapitän bei, der ganz offensichtlich hin und her gerissen war zwischen der Trauer um seinen Trachtenvereinsfreund und der Sorge, in einen Kriminalfall hineingezogen zu werden, mit dem er nichts zu tun haben wollte. »Können Sie denn sagen, wie der Strick mit dem Schiff verbunden ist?«

»Na, vermutlich mit einem Knoten«, kommentierte Nonnenmacher trocken.

»Ich meine, an welcher Stelle des Schiffs. Was ist denn da unten, wo man was festbinden könnte? Die Schraube?«, präzisierte Anne ihre Frage.

»Bolizei Gedankenstrich Schraube logger?«, spielte Schellinger mit leiser Stimme eine neue Schlagzeilenvariante für die morgige Tageszeitung durch. Nonnenmacher grunzte unwirsch, sagte aber nichts.

»Ja, die Schraube«, antwortete Strobl widerwillig.

»Könnte es sein, dass sich ein Strick zufällig in die Schraube gewickelt hat, und das andere Ende lag mit der Schlaufe auf dem Steg …?«, versuchte Kastner noch einmal an seine Unfalltheorie von eben anzuknüpfen, aber der Vorstoß sorgte lediglich für unwilliges Kopfschütteln unter den Anwesenden. Doch da ergriff der gerade noch so bedrückte Strobl die Initiative. »Wissts was? Ich schau schnell nach. Ich hab einen Taucheranzug an Bord.« Ehe jemand etwas erwidern konnte, war der Schiffskapitän an Bord gegangen, hatte seinen Neoprenanzug geholt und vor der versammelten Menschenmenge angezogen. Beim Anblick seines durchtrainierten Oberkörpers gerieten einige Teenagermädchen ins Seufzen, und der Lokalreporter Schellinger glaubte auch ein staunendes »Fit wie der Schweini« gehört zu haben, was er selbstverständlich sofort aufschrieb, denn den Fußballweltmeister, der auf diesen unschönen Spitznamen hörte, kannte zu jener Zeit jeder.

Fünfzehn Minuten später sahen die Ermittler klarer: Der Strick war an einem Stück Stahl unter dem Boot, welches die Fachleute »Ruderrille« nannten, befestigt worden; mithin eine Stelle, die nur tauchend erreicht werden konnte. Und so wie Strobl den Ermittlern die Verknotung beschrieb, war der Strick dort auch garantiert nicht zufällig hingeraten, sondern mit Vorsatz festgebunden worden. Was hatte das zu bedeuten?

Den Anwesenden war klar, dass sich auf diese Frage so schnell keine Antwort finden lassen würde. Man stand vor einem Rätsel. Und war deshalb erleichtert, als kurz darauf der massige Rechtsmediziner Johnny Fritzenkötter die Menge der Schaulustigen vor und auf dem Steg zerteilte. Er erinnerte Anne dabei an eine Dampflok, denn wie immer, wenn Fritzenkötter – übrigens mysteriöserweise wie Schellinger Franke – in Aktion trat, rauchte aus seinem Mundwinkel eine Zigarette. Gab es in den Reihen der Polizei immer weniger Raucher, so glichen die beiden Franken dies mit ihrem Gequalme mühelos aus.

Fritzenkötter grüßte die Ermittler routiniert, kniete nieder, zog sich die Gummihandschuhe über und hielt als Erstes zwei Finger an die Halsschlagader. Dann sagte er: »Der is dod.«

»So, so, da wären wir jetzt nicht draufgekommen«, brummte Nonnenmacher. Anne und Kastner verdrehten die Augen, und von hinten rief der Schwabe: »Was er net sagt: Tot isch die Leich! Und für so ebs zahlt mer Steuern!«

»Halt die Goschen …«, wurde der Nichtbayer von einem Mann im Strickjanker in die Grenzen gewiesen. »… oder schaug, dass d’ heimkommst! Hier handelt die bayerische Behörde. Da ist man staad; vor allem, wenn man so ein Flachland-Tiroler ist wie du, so ein nixiger.«

Fritzenkötter ließ sich durch diesen Zwischenfall nicht aus der Konzentration bringen. Während er die Augen von Adamos Leiche einer kritischen Prüfung unterzog, kniete Nonnenmacher neben dem Arzt nieder und raunte ihm zu: »Johnny, ist ja klar, gell, was Sache ist: Also – es wär gut, wenn’s ein Unfall wär. Weil alles andere wär schlecht.«

Fritzenkötter blickte kurz auf und sah dem Dienststellenleiter ins Gesicht. »Ich kann viel, Kurt, aber zaubern kann ich leider net.«

»Schon klar, ich mein ja bloß: Falls es so eine Fifty-fifty-Sache sein sollte, weißt schon. Dann wär’s gut, wenn es ein Unfall wär, also offiziell, und kein Mord oder Ähnliches. Weil im Mai ist ein Mord eher schlecht. Tourismusmäßig und bürgermeistermäßig und so …« Nonnenmacher sah sich kurz um, ob ihnen auch niemand außer den Kollegen zuhörte. »Auch weil man sonst das Schiff zwecks Spurensicherung ewig nicht einsetzen könnt …«

Ehe Fritzenkötter etwas erwidern konnte, tönte vom Wasser her eine viel zu laute fränkische Stimme, dazu zog Zigarillorauch auf: »Was wird da gemauschelt?« Es war der Lokalreporter, der sich, nachdem ihn Kastner gemeinsam mit den anderen Schaulustigen zurückgedrängt hatte, mithilfe eines Ruderboots dem Steg und damit dem Ort des Geschehens wieder annäherte. »Leude, die Bresse is dabei. Ich hör alles, ich siech alles. Jedes Gemauschel steht morgen im Blatt. Das schwör ich beim Barte des Bropheden.«

»Herr Schellinger, Sie gehen richtig auf die Nerven!«, rief Anne dem Zeitungsfritzen empört zu. »Hier ist ein Mensch gestorben, und Sie gieren nur nach einer Schlagzeile! Das ist wirklich pietätlos!«

»Wennst du jetzt keine Ruh gibst, dann sperr ich jetzt gleich den kompletten Bereich ab, Schellinski«, drohte Kastner.

»Aha, und wie wollts des machen? Mit Bojen vielleicht? Oder wo soll des Absperrband halden im Wasser? Ihr glaubt wohl, ich bin bled – bin ich aber net.«

»Schellinski, du bist eine Schmeißfliege«, raunzte jetzt auch Nonnenmacher den Franken an. »Und wennst du jetzt keine Ruh gibst, dann versenk ich deinen Kahn mit einem Schuss aus der Dienstwaffe.«

Immerhin zeigte diese erschreckende Ansage Wirkung, fortan war von Schellingers Seite nur mehr eifriges Geknipse zu hören, ansonsten verhielt sich die Edelfeder der Lokalpresse still. Das Geknipse fand Anne im Übrigen nicht weniger nervtötend.

Fritzenkötter hatte derweil die Hände des Toten in Augenschein genommen. Die Haut war weißlich und leicht gewellt.

»Und? Was meinen Sie?«, fragte Anne, die nun auch neben Fritzenkötter und Nonnenmacher bei der Leiche kniete.

Doch zu einer Antwort kam der Gerichtsarzt nicht mehr, denn plötzlich hörten die Ermittler eine laute bayerische Stimme, die – gerade so, als fühlte sich der Sprecher als Prophet des Unheils – in gravitätischem Ton sagte: »Mitbürger und Mitbürgerinnen, dies ist ein Zeichen. Denn genau hier an dieser Stelle lebten vor vielen Hundert Jahren Raubritter.«

Anne drehte sich ungläubig um. Weil sie den Sprecher nicht sehen konnte, richtete sie sich auf. Da erblickte sie ihn. Es handelte sich um einen Mann mit langem grauem Bart, Trachtenhut und im alpenländischen Stil geschnitztem Spazierstock. Seine ersten Worte übten eine derart eindrucksvolle Wirkung auf die Anwesenden aus, dass sie zurückwichen und einen Halbkreis bildeten.

Und der Alte fuhr fort: »Genauer gesagt lebten diese Raubritter in einer wilden Burg auf dem Fischerfleck vor dem Ringsee. Die Einheimischen unter Ihnen, verehrte Mitbürger und Mitbürgerinnen, kennen diese Insel. Und es begab sich seinerzeit, dass die Raubritter den Abt des hiesigen Klosters«, der Mann deutete mit einem krummen Finger auf die andere Seeseite hinüber, wo der prachtvolle Klosterbau zu sehen war, »entführten.«

»He, was soll die Scheiße? Was is ’n das für’n Scheißtext für ’nen Tatort?«, rief ein Jugendlicher, der wohl gerade zu den Schaulustigen gestoßen war.

»Das wird doch eh rausgeschnitten!«, erwiderte ein anderer, seine weite Hose hing knapp oberhalb der Knie.

Doch der Alte sprach ungerührt weiter, die Szene hatte etwas Mystisches: »Die Mönche ruderten zu den Raubrittern hinüber, baten die unholden Gesellen um Gnade und boten fünfhundert Goldstücke. Es ergab sich jedoch, dass die Räuber das Doppelte forderten.«

»Halt die Fresse!«, rief derselbe Jugendliche nun.

»Halt lieber einmal du deine Goschen«, wies der Mann im Strickjanker, der vorhin bereits den aufmüpfigen Schwaben in die Schranken verwiesen hatte, den pöbelnden Jugendlichen an. »Das ist nämlich gar nicht uninteressant, was der Herr Breznfälscher da erzählt. Das ist nämlich echt und nicht irgend so ein Download-Schmarrn, wo’st mit dem Smartphone dir einen runterholen kannst. Das hier ist kein Game, sondern die Wahrheit, total und echt.«

Auch dieser Wortwechsel brachte den bärtigen Alten nicht von seinem Vortrag ab: »Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, sperrten die Raubritter den Abt in einen stählernen Käfig. Jenen Käfig befestigten sie an einem Seil, welches sie an einen Balken banden. Nun ließen sie den Abt vor den Augen seiner Mönche mit dem Käfig mehrmals tief ins kristallklare Seewasser tauchen. Das Gelächter der Raubritter erschallte hierbei so laut und schrecklich, dass es im ganzen Tal widerhallte. Den Mönchen war klar, dass der Abt ertrinken würde, würden sie den Raubrittern nicht Einhalt gebieten. Am Ende bezahlten sie sechshundert Goldstücke, sage und schreibe, und der Abt war frei. Und dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hätte …« Der Alte setzte eine gekonnte Pause, woraufhin alle Anwesenden vor Spannung die Luft anhielten. »… Den Mönchen widerfuhr Gerechtigkeit: Die Burg der Raubritter wurde von einem schweren Seebeben zerstört, und die Bösewichte starben unter den zusammenstürzenden Trümmern. Und ich sage euch: Dies ist ein Zeichen, liebe Bürgerinnen und Bürger! Gerold Adamo, der da liegt und tot ist, ist auch getaucht worden.« Er holte Luft. »Getaucht wie seinerzeit der Abt. Den Rest kann man sich denken …«

»Wer ist der Mann?«, flüsterte Anne in Nonnenmachers und Kastners Richtung. Ihr war es bei den Worten des seltsamen Redners eiskalt den Rücken hinuntergelaufen.

»Das ist der Herr Breznfälscher. Manche sagen, der hat einen an der Waffel«, raunte Kastner. »Aber es gibt auch welche, die sagen, der ist hellsichtig.«

»Hellsichtig!« Nonnenmacher verzog verächtlich das Gesicht und richtete sich auf. Dann rief er dem Mann, der sich gerade zum Gehen wenden wollte, zu: »Breznfälscher, red nicht so einen Schmarrn. Du scheuchst ja bloß die Leut auf!«

»Ich rede keinen Schmarrn, sondern teile meine Weisheit. Das ist alles. Und das bin ich den ehrenwerten Mitbürgern und Mitbürgerinnen schuldig.« Breznfälscher blickte Nonnenmacher gütig an. »Seinerzeit wurde einer getaucht, heute wurde einer getaucht. Seinerzeit überlebte er, heute ist er tot. Das ist kein gutes Omen, Nonnenmacher. Ein jeder hier am See muss in sich gehen und auf dem Grund seiner Seele nach der Antwort auf die Frage suchen, ob das Tal sich noch auf dem Pfad der Tugend befindet mit all dem zur Schau gestellten Reichtum, den Landrats-Geburtstagsfeiern, der unkeuschen Nacktheit und dem Frevel.«

»Der spinnt!«, flüsterte Kastner.

»Ich finde ihn … faszinierend.« Anne starrte den Alten mit dem Spazierstock unverwandt an.

»Das mag schon sein, Breznfälscher, dass hier zwei getaucht worden sind«, rief jetzt Nonnenmacher zurück. »Bloß war es damals ein Abt und das hier ist …«, der Dienststellenleiter überlegte kurz, »… bloß ein stinknormaler Bankkaufmann. Außerdem sehe ich hier weder einen Käfig noch einen einzigen Raubritter weit und breit.«

»Ha!«, rief der Alte jetzt plötzlich zornig. »Und dann frage ich die hier anwesenden Mitbürger und Mitbürgerinnen: Wer sind denn die Raubritter von heute? Wer ist das denn?« Er fixierte die staunende Meute. Sogar die Teenagermädchen hatten aufgehört zu kichern, plötzlich herrschte an dem idyllischen See inmitten von Bergen eine geradezu unheimliche Stimmung. War doch etwas dran an der uralten Sage? Dann sprach Breznfälscher noch einige letzte Worte, sie hatten die Schärfe eines Fallbeils: »Die Raubritter der heutigen Zeit sind natürlich die Banken! Dieser Tod ist ein göttliches Zeichen an die Weltfinanz! Piketty, Kapital! Mehr sag ich jetzt aber nicht. Habe die Ehre!«

Er drehte sich um und schlurfte hinkend davon. Kurz darauf war nur noch das Klacken der stählernen Spitze seines Wanderstocks zu hören. Eine in ein psychedelisch gefärbtes Vorhangkleid gewandete Dame zischelte: »Da war ein Teufelskopf in den Wanderstock hineingeschnitzt!«

»Nein!«, stöhnte ihr Gatte auf, der eine nigelnagelneue Krachlederne zum rosafarbenen Landhausstilhemd trug.

»Doch!«, zischelte die Dame.

»Was haben denn Sie für Drogen genommen? Das auf dem Spazierstock war ein Rehbock mit Hörnern«, meinte noch ein Mann, doch dann endete das leise Gespräch abrupt, denn Fritzenkötter sagte zu seinem Ermittlerkollegen: »Zeichen und Weldfinanz hin oder her, Kurt, ich muss die Leich mit in die Badhologie nehmen. Weil hier komm ich net weider mit dem ganzen Bublikum.« Er wandte den Blick gen Himmel und schob noch ein: »Meldets euch morgen, da weiß ich mehr.«

Den Rest des Tages nutzten die Ermittler, um im Telefonbuch nach etwaigen Verwandten des Toten zu suchen – erfolglos – sowie mit dem Studium des Fahrplans der Linienboote auf dem See. Zudem schickte Nonnenmacher den noch minderjährigen Polizeilehrling Alfred Hobelberger mit dessen Mofa zur Wohnung des Verstorbenen. Allerdings kehrte der junge Mann lediglich mit dem Ergebnis zurück, dass er die Türe verschlossen vorgefunden habe und sonst keine Auffälligkeiten zu beobachten gewesen seien. Um dem Freistaat Kosten zu ersparen, beschloss Nonnenmacher, die Wohnung zunächst nicht aufzubrechen, sondern abzuwarten, ob der Schlüssel vielleicht noch irgendwo auftauchen würde. Der Freistaat war zwar reich, aber da zu jener Zeit die Autofahrer sämtlicher Nachbarländer kostenlos seine Straßen abnutzten, empfand es der Dienststellenleiter vom Alpensee als wichtige Pflicht, jegliche unnötigen Ausgaben von der Staatskasse fernzuhalten. Anne vertrat diesbezüglich eine andere Meinung, aber die interessierte Nonnenmacher nicht.

Ein Sektionssaal ist kein Kindergarten.

Johnny Fritzenkötter, Pathologe

ZWEI

Donnerstag

Tag 2

Am nächsten Vormittag fanden sich Anne Loop, Sepp Kastner und Kurt Nonnenmacher im Sektionssaal der Rechtsmedizin ein. Als der Dienststellenleiter der kleinen Inspektion vom See Gerald »Gerry« Adamos Leiche auf dem Sektionstisch erblickte, entfuhr ihm ein »Halleluja«. Doch Schwester Heike stand schon hinter ihm und stärkte dem schweren Mannsbild den Rücken. Einmal mehr bewahrheitete sich die Regel, dass sich in den gröbsten Klötzen die zartesten Seelen verbergen. Würde Nonnenmacher auch dieses Mal wieder ohnmächtig werden?

Rechtsmediziner Fritzenkötter, der ein kleiner, dicker, blondgeschopfter, dem Alkohol nicht abgeneigter kettenrauchender Franke war, pflegte bei der Arbeit stets auch den halben Filter seiner billigen Zigaretten mitzurauchen. Anne vermutete, dass dies an seiner außergewöhnlichen Konzentrationsfähigkeit lag und dass Fritzenkötter mithin gar nicht merkte, wie er den hochgiftigen Filterrauch in sich hineinsog. Der Geruch der Billigzigaretten – darüber waren sich die Ermittler einiger als die bayerische Bevölkerung darüber, welcher der beste Fußballverein der Welt war – grenzte an Körperverletzung.

Fritzenkötter hielt sich nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln auf, sondern erstattete den Ermittlern Bericht: »Also erst einmal is er dod«, eröffnete er seinen Vortrag. Keiner wagte es, einen Kommentar zu dieser überflüssigen Einleitung abzugeben, aber alle verdrehten innerlich die Augen. Fritzenkötters Blick fixierte den vor ihm liegenden Körper. »Zweidens ist er erdrunken. Drittens war des zwischen vierundzwanzig Uhr und sechs Uhr.«

»Das kann nicht sein«, würgte Nonnenmacher hervor – der Leichengeruch und Fritzenkötters Zigarette machten ihm zu schaffen –, »weil nach Mitternacht ist das Schiff nicht mehr gefahren bis um Viertel vor zwölf.« Wie ein Blinder suchte der Dienststellenleiter mit seinen Pranken Halt im Brustbereich von Schwester Heikes Arztkittel. Doch die war zum Glück eine kräftige Person und stand fest wie eine Eiche am Hirschberg.

»Kurt, magst nicht rausgehen?«, schlug Kastner geradezu zärtlich besorgt vor.

»Ja, Herr Nonnenmacher, wir halten die Stellung für Sie«, stimmte Anne dem Kollegen bei.

Als hätte er den Wortwechsel nicht gehört, sagte Fritzenkötter zu seiner Assistentin: »Ach, Heigge, könnten S’ uns net a weng a Mussik anmachen?« Schwester Heike wandte sich zu dem neben einem Foto des neuen Papstes stehenden Radioapparat und drehte den Einschaltknopf.

»Also nochmal … ertrunken … urrrrgh«, würgte Nonnenmacher, »sakra, stinkt dieses Leicheng’lump! … Also ertrunken kann der nicht sein, weil das Schiff nicht bewegt worden ist in der Zeit.«

»Wenn ich sagen tu, dass der erdrunken is, dann is der erdrunken.« Der Rechtsmediziner ließ sich nicht aus der Fassung bringen und zündete eine neue Zigarette am glimmenden Filter der alten an. »Der Mann is ganz glar erdrunken. Ob des Schiff bewegt worden ist oder net, weiß ich net. Ich bin kein Audomechaniker. Aber erdrunken ist der.«

»Was macht Sie denn so sicher, Herr Fritzenkötter?« Anne glaubte dem Arzt und wollte das Gespräch wieder in sachlichere Bahnen führen. Fritzenkötter zog noch einmal so stark an der Zigarette, dass es knisterte, dann sagte er: »Des is ganz einfach: Erstens ist im Magen mehr Wasser drin wie normal. Zweitens seht ihr noch weiße Trocknungsspuren von anner Schaumbilzbildung um den Mund rum. Der Schaumbilz aber entsteht bloß bei Erdrunkenen.«

»Könnten Sie das bitte etwas genauer erklären?«, forderte Anne, und einmal mehr dachte sich Kastner, dass mit jedem Satz, den die an sich sympathische Rheinländerin sprach, zwischen den Zeilen ein ungeduldiges »Ja, aber, ja, aber, ja, aber« mitschwang, was – dessen war sich Kastner einigermaßen sicher – jedoch keineswegs unfreundlich gemeint war, sondern lediglich Annes an höhere Sprechgeschwindigkeiten gewohntem Naturell entsprach.

»Des mach ich gern, Frau Loob. Des ist nämlich dodal simbel: Beim Schaumbilz von doden Leichen, die wo erdrunken sind, drückt’s die Luft und des, was an Wasser in der Lunge drin is’, schaumförmig nach oben.«

»Aber gestern war da, wenn ich mich richtig erinnere, noch kein Schaumpilz.« Wieder schwang dieses unhörbare »Ja, aber, ja, aber, ja, aber« mit.

»Des haben Sie gut beobachtet. Der Schaumbilz entwickelt sich oft erst später. Wie ich gestern in der Badhologie war, war der aber blötzlich da. Und etz’ sieht man immerhin noch die Trocknungsspur davon.« Er deutete auf die Mundwinkel der Leiche, die reichlich käsig aussah und von daher alles andere als einen schönen Anblick bot.

Nonnenmacher würgte erneut, wankte ein paar Schritte und konnte sich gerade noch an dem hüfthohen Schrank festhalten, auf dem das Radio gerade einen Bierzeltkracher spielte. Zufällig handelte es sich um ein Lied des aus dem Tal stammenden, aber sogar in Japan frenetisch gefeierten Schlagerstars Hanni Hirlwimmer. Doch davon nahm niemand Notiz. Schwester Heike stellte sich neben den Inspektionschef und hielt ihm die Hand, während Fritzenkötter ungerührt referierte: »Des Weideren haben wir eine Andeudung von Waschhautbildung an den Füßen und Händen. Die Füße brauchen immer a weng länger, weil se des Wasser besser g’wöhnt sind. Wenn ich von einer Wasserdemberadur von zwölf bis dreizehn Grad ausgeh, bedeudet des, dass die Leich mindestens zehn Stunden im Wasser g’legen hat. Zum Hindergrund, damit auch ihr’s kabiert: Die Grundregel laudet: je wärmer, umso schneller Waschhautbildung.« Fritzenkötter stoppte, horchte kurz nach dem Radio und sagte dann anerkennend: »Ah, des is der Hirlwimmer, der alte Womanizer«, und kramte noch eine Zigarette aus der Schachtel.

Anne suchte hilflos nach einem Fenster, das sie hätte aufreißen können, aber da war keins. Der Sektionssaal lag im Keller. Sie hustete. »Ich will Ihnen ja echt nicht zu nahe treten, Herr Kollege, aber es grenzt an Körperverletzung, was Sie hier zusammenrauchen. Ich meine, wir haben alle Kinder.«

»Außer …«, würgte Nonnenmacher, »der Sepp.«

Kastner wurde rot, denn dass er noch keine Frau längerfristig von seinen Qualitäten hatte überzeugen können, war ein Umstand, den ihm auch seine betagte Mutter immer wieder vorhielt.

»Wollt ihr jetzt an Fall aufklären oder hier einen auf Öko-Derror machen? Leude, des is hier a Sektionssaal und kein Kindergarden. Oder soll die Heigge die Batiksachen holen und die Birkenstockschuh’, und dann tanz mer barfuß?«

»Es geht hier nicht um Batik, Herr Fritzenkötter, es geht hier um Gesundheit!«

»Ach, dieser ganze Gesundheitsscheiß …«

»Frau Loop«, ächzte Nonnenmacher, »das müssen Sie verstehen: Der Johnny ist auf den Tod spezialisiert und nicht auf das Leben. Der ist halt so. Ein echter … urrgh … Cowboy … die alte Schule …« Noch einmal würgte er. »Aber der wird die Quittung schon bekommen.«

»Ich prophezei dir’s auch Johnny, irgendwann ist’s aus mit deiner Qualmerei. Und dann kannst dich gleich neben deine Leichen in’ Kühlschrank legen«, stimmte Kastner böse zu. Nicht nur die Luft war jetzt sehr schlecht im Raum, auch die Stimmung.

»Gud«, fränkelte Fritzenkötter beleidigt, »dann erzähl ich euch halt nix mehr von dene’ Kieselalgen und Biranhas.«

»Bier-Anjas?«, fragte Kastner schnell. Er sah für einen Moment einen Biergarten voller Anjas vor seinem inneren Singleauge, aber so etwas gab es bestenfalls im Paradies.

»Depp«, sagte Fritzenkötter nur. »Ich sach doch net Bir-Anhas, sondern Biranhas.«

»Er meint die Raubfische.« Anne war hochgradig genervt. Sie fasste sich und sagte: »Herr Fritzenkötter, bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihr Kettengerauche kritisiert habe, wir würden natürlich schon gerne wissen, was Sie uns noch über Kieselalgen und Piranhas erzählen können. «

»Ich hab die Leich ja auch aufg’schnitten. Und dabei hab ich neben dem Wasser in der Lunge auch noch Algen g’funden, die wo von einem See stammen müssen.«

»Und eine Bier-Anja, oder was?«, platzte Kastner hervor.

»Na, keinen Biranha, aber Fischstäbchen.«

»Wie, in der Lunge waren Fischstäbchen?«, fragte Anne ungläubig.

»Nein«, antwortete Fritzenkötter, der nun seinerseits etwas ungeduldig wurde. »Seid ihr heut alle bled? Im Magen natürlich! Fisch-stäb-chen!«

»Seit wann schwimmen bei uns im See Fischstäbchen?«, würgte Nonnenmacher hervor.

»Hornochs! Fischstäbchen sind des, was der Dode zuletzt ’gessen hat.«

»Und was bringt uns diese Information?«, erkundigte sich Anne.

»Nix, außer, dass er vielleicht net beim Sternekoch zu Abend ’gessen hat«, meinte Fritzenkötter trocken, »sondern für einfache Leud.« Seine Zigarette war schon wieder am Ende.

»Und was ist jetzt mit den Bier-Anjas?«, fragte Kastner.

»Na, des hab ich bloß so g’sagt, weil ihr euch gar so aufführt heut.« Erneut verdrehten alle die Augen, aber keiner wagte es, den launischen Dickbauch noch einmal zu reizen.

»Also doch keine Piranhas?«, rückversicherte sich Anne noch einmal. Sie hatte trotz der langen Zeit, die sie nun schon in Bayern lebte, noch immer gelegentlich Schwierigkeiten, die bayerische Art und den hiesigen Humor nachzuempfinden, und wollte sichergehen, alles richtig verstanden zu haben.

Im Radio kam in diesem Moment eine Eilmeldung, die alle aufhorchen ließ. Die Nachrichtensprecherin sagte: »Laut Recherchen der investigativen Journalisten Hubert Mantl und Johann Dachlecker ist ein Mitglied des bayerischen Kabinetts mutmaßlich verwickelt in den größten arbeitsrechtlichen Wirtschaftsskandal seit der Verwandten- und der Modellbauaffäre. Aus gut unterrichteten Kreisen wird verlautbart, dass das noch nicht namentlich benannte in den Skandal verwickelte Unternehmen auf die Herstellung von Trachtenjankern spezialisiert ist. Die Ermittlungsbehörden haben den Vorfall noch nicht bestätigt. Die Investigativreporter Hubert Mantl und Johann Dachlecker behaupten, Dokumente zu besitzen, welche beweisen, dass in dem Jankerbetrieb drei überachtzigjährige Schneiderinnen aus dem Miesbacher Raum schwarz beschäftigt wurden. Eine der drei ausgebeuteten Seniorinnen soll in direkter Linie mit einem Staatssekretär verwandt sein. Weiter heißt es, dass auch ein berühmter Musiker und Komponist eines Bierzelthits mit orientalischer Einfärbung in die Sache verwickelt sein soll. Er hat angeblich einen Staatssekretär mit einer Essenseinladung bestochen. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat sich noch nicht über ein mögliches Strafmaß geäußert.« Die Nachrichtensprecherin zögerte kurz und sagte dann: »Wir halten Sie in dieser Sache auf dem Laufenden.« Dann kam ein Jingle, und die Ermittler, Schwester Heike und der Gerichtsarzt Fritzenkötter hörten wieder Musik.

»›Orientalisch eingefärbt‹ – das ist der Hirlwimmer, garantiert!« Nonnenmacher schien die Eilmeldung von seinen Ekelanfällen abgelenkt zu haben, denn er fuhr ohne jedes Würgen fort: »So eine Saubande! Drei alte Frauen dermaßen auzumnutzen! Als ob’s die Janker nicht auch von Chinesen oder Japanern hätten stricken lassen können!«

Anne verzichtete aus Effektivitätsgründen auf eine Erinnerung an die in China weit verbreitete Kinderarbeit und warf stattdessen einen Blick auf die Uhr. Sie hatte für den Termin mit Fritzenkötter nicht mehr als zehn Minuten eingeplant. Jetzt standen sie hier bereits eine halbe Stunde herum und waren kein Stück weiter. »Herr Fritzenkötter, wäre es möglich, dass Sie uns jetzt endlich verraten, was es mit dieser komischen Piranha-Andeutung auf sich hat?«