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Über dieses Buch:

London, 18. Jahrhundert: Als schwarzes Schaf einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie verdingt Ben Weaver sich als Berufsboxer und Privatdetektiv. Als ihm Gerüchte zu Ohren kommen, dass der Unfalltod seines Vaters tatsächlich ein eiskalt geplanter Mord war, wittert er Blut. Schon bald findet Ben eine Spur, die ihn bis zur Exchange Alley führt: Schauplatz von haarsträubenden Spekulationen und Intrigen. Das Oberhaupt der Weavers hat sich dort mächtige Feinde geschaffen, die nun gnadenlos nach dem Vermögen der Familie trachten – einzig Ben steht ihnen dabei im Weg ...

»Ein intelligenter historischer Krimi, der zudem unterhaltend den Anfang des Aktienhandels schildert.« Schweizer Familie

Über den Autor:

David Liss, geboren 1966 in New Jersey, studierte an der Columbia University über britische Literatur und Kultur im 18. Jahrhundert und widmete sich nach seinem Abschluss dem Schreiben von Romanen. Für seinen ersten historischen Krimi »Die Papierverschwörung« wurde er mit den drei bedeutendsten Preisen der Kriminalliteratur ausgezeichnet: dem Edgar-Allen-Poe-Award, dem Barry-Award und dem MacAvity-Award.

Bei dotbooks veröffentlichte David Liss bereits den historischen Kriminalroman »Der Kaffeehändler« sowie die folgenden Bände seiner spannungsgeladenen »Ben Weaver«-Reihe: »Die Falschspieler« und »Die Teufelsgesellschaft«.

Die Website des Autors: www.davidliss.com

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eBook-Neuausgabe November 2017

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2000 David Liss

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel »A Conspiracy of Paper« bei Random House, New York.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2001 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Sailorr und eines Gemäldes von Canaletto »London«

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-128-6

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David Liss

Die Papierverschwörung

Roman

Aus dem Amerikanischen von Gerald Jung

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Kapitel 1

Seit Jahr und Tag schon drängen mich die Herren aus dem Buchhandelsgewerbe aufs Nachdrücklichste, ich solle doch nun endlich meine Memoiren zu Papier bringen. Denn, so die Argumente der Herren, es gäbe schließlich so manchen, der freudig ein paar Shilling zahlen würde, um mehr über die bemerkenswerten und dabei wahren Abenteuer meines Lebens zu erfahren. Obwohl ich derlei Vorschläge üblicherweise mit einer abwehrenden Handbewegung pariere, kann ich doch nicht behaupten, nicht schon hin und wieder einen ernsthaften Gedanken daran verschwendet zu haben. Denn ich selbst bin oft der Erste gewesen, der mich dazu beglückwünschte, so viel gesehen und erlebt zu haben, und viele Male habe ich meine Geschichten im Kreise fröhlicher Gesellschaft um eine abgeräumte Tafel zum Besten gegeben.

Trotz alledem besteht ein erheblicher Unterschied zwischen lustigen Schwänken, die man ausgelassen zu später Stunde bei einem guten Fläschchen Rotwein erzählt, und einem Buch, das jedermann an jedem Ort in die Hand nehmen und genauestens überprüfen kann. Zweifelsohne bereitet mir die Vorstellung, meine Geschichte noch einmal zu erzählen, großes Vergnügen, doch ebenso bin ich mir bewusst, dass eine Veröffentlichung ein recht heikles Unterfangen darstellt: Namen und Einzelheiten meiner Erlebnisse würden so viele noch lebende Menschen direkt berühren, dass man sich, vorsichtig ausgedrückt, mit einem derartigen Buch leicht strafbar machen könnte. Dennoch verfolgt, ja quält mich diese Idee seit einiger Zeit, fraglos auf Grund der Eitelkeit, die in der Brust eines jeden wohnt, und vielleicht in der meinen mehr als bei anderen.

Aus diesem Grunde habe ich mich dazu entschlossen, dieses Buch nach bestem Wissen und Gewissen niederzuschreiben. Sollten die Gentlemen der Schwarzen Zunft in der Grub Street einige Namen aus fragwürdigen Zusammenhängen herauszustreichen wünschen, so steht es ihnen frei. Ich für mein Teil werde das Manuskript so gestalten, dass sich ein wahrer Bericht über jene Ereignisse daraus ablesen lässt – wenn nicht für unsere jetzige Zeit, so doch wenigstens für die Nachwelt.

So manches Kopfzerbrechen bereitet mir gleich der Anfang, habe ich doch einiges am eigenen Leibe erfahren, das für die allgemeine Öffentlichkeit von Interesse wäre. Soll ich wie die Romanschreiber mit meiner Geburt anfangen oder wie ein Dichter mittendrin im Geschehen? Vielleicht weder noch. Ich glaube, ich lasse meine Geschichte an jenem Tag beginnen – er liegt inzwischen mehr als fünfunddreißig Jahre zurück –, an dem ich die Bekanntschaft William Balfours machte. Schließlich waren es die Ereignisse um den Tod seines Vaters, die mir zu einem bescheidenen Maß an Erfolg und Anerkennung im öffentlichen Leben unserer Stadt verholfen haben. Und doch kennen bis zum heutigen Tage nur wenige Menschen die ganze Wahrheit hinter jener Affäre.

Mr. Balfour suchte mich zum ersten Mal an einem Spätvormittag im Oktober 1719 auf, einem Jahr großen Aufruhrs auf der Insel, denn unser Land lebte damals in ständiger Angst vor den Franzosen und ihrer Unterstützung für den Erben des entthronten Königs Jakob, dessen Anhänger immer wieder damit drohten, sich die britische Krone zurückzuholen. Unser deutscher König saß erst seit vier Jahren auf dem Thron, und die Machtkämpfe innerhalb seines Kabinetts riefen überall in der Hauptstadt eine Atmosphäre der Verwirrung und des Durcheinanders hervor. Sämtliche Zeitungen zogen über die drückende Bürde der Staatsverschuldung her, die, wie sie meinten, niemals wieder zurückgezahlt werden könne, wobei nichts darauf hindeutete, dass diese Verschuldung sich in irgendeiner Form verringerte. Es war zugleich ein Zeitalter des Überschwangs, großer Schicksalsschläge wie auch ungeahnter Möglichkeiten. Es war eine herrliche Zeit für einen Mann, dessen Lebensunterhalt von Verbrechen und Unordnung abhing.

Die Belange der heimischen Politik interessierten mich jedoch herzlich wenig, und die einzigen Schulden, um die ich mich scherte, waren meine eigenen. An dem Tag, an dem ich mit meiner Geschichte einsetze, drückten mich sogar noch dringlichere Sorgen als meine prekären Finanzen. Ich war zwar schon lange wach, aber noch nicht sehr lange aufgestanden und angekleidet, als Mrs. Garrison, meine Vermieterin, mich davon in Kenntnis setzte, dass unten ein Christenmensch warte und mich zu sehen wünsche. Meine gute Vermieterin verspürte stets die Notwendigkeit, eigens hervorzuheben, dass mich ein Christ aufsuchte, obwohl in all den Monaten, die ich nun schon bei ihr logierte, bis auf meine Wenigkeit kein einziger Jude ihre Räume betreten hatte.

An jenem Morgen war ich noch ein wenig indisponiert und keineswegs in der Verfassung, Besucher zu empfangen, von Fremden ganz zu schweigen. Also bat ich Mrs. Garrison darum, ihn wieder wegzuschicken. Doch in ihrer unerschrockenen Art – Mrs. Garrison war eine sehr resolute Person – stand sie bald wieder vor meiner Tür und tat mir kund, das Anliegen des Gentleman sei unaufschiebbar.

»Er sagt, es hat mit einem Mord zu tun«, teilte sie mir im gleichen düsteren Ton mit, den sie sonst immer anschlug, um eine Mieterhöhung zu verkünden. »So hat er's mir gegenüber jedenfalls ausgedrückt: Mord. Ich kann nicht behaupten, Mr. Weaver, dass ich davon begeistert bin, wenn irgendwelche Männer in mein Haus kommen und das Wort Mord im Munde führen.«

Ich verstand nicht recht, weshalb sie das Wort, wenn es ihren Ohren so zuwider war, derart laut im Flur aussprechen musste, aber ich erkannte, dass es nun meinerseits dringend erforderlich war, sie zu beruhigen.

»Ich glaube, ich weiß, worum es geht, Madam. Der Gentleman sagte bestimmt ›Lord‹ und nicht ›Mord‹«, log ich mir zurecht, »denn ich ermittle momentan in höheren Kreisen. Schicken Sie ihn doch bitte zu mir herauf.«

Das Wort Mord hatte meine Aufmerksamkeit ebenso erregt wie die von Mrs. Garrison. Da ich kaum zwölf Stunden zuvor ebenfalls mit so etwas Ähnlichem wie einem Mord zu tun gehabt hatte, vermutete ich, die Angelegenheit könnte mich tatsächlich betreffen. Dieser Mann war sicherlich einer dieser Aasgeier, dieser verzweifelten Außenseiter, von denen es in London nur so wimmelt, eine der Kreaturen, die in den feuchten und schmutzigen Straßen am Fluss umherstreifen, ständig auf der Jagd nach allem, was sich zu Geld machen lässt, einschließlich Informationen. Zweifellos war ihm etwas über das unglückselige Abenteuer, das mir zugestoßen war, zu Ohren gekommen, und jetzt tauchte er hier auf, um sich sein Schweigen bezahlen zu lassen. Ich wusste nur zu gut, wie man mit Männern seines Schlages umging. Jedenfalls nicht, indem man ihnen Geld gab, denn jede Münze, die man einem solchen Schurken überließ, war für ihn eine Ermutigung, bald wieder vorzusprechen und noch mehr zu verlangen. Nein, ich hatte die Erfahrung gemacht, dass in solchen Fällen Gewalt die beste Lösung war. Ich würde mir etwas ohne Blutvergießen einfallen lassen, etwas, das Mrs. Garrisons Aufmerksamkeit nicht unnötig auf sich lenkte, wenn ich den Lumpen hinauskomplimentierte. Eine Frau, die es nicht guthieß, wenn unter ihrem Dach von Mord gesprochen wurde, fand wohl kaum Gefallen daran, wenn man auf der Treppe vor ihrer Haustür in aller Öffentlichkeit einen übel zugerichteten Zeitgenossen zur Schau stellte.

Es dauerte einen Moment, bis ich mein Empfangszimmer, wie ich es nannte, hergerichtet hatte. In jenen Tagen hatte ich bei Mrs. Garrison zwei Zimmer angemietet, eines für private Zwecke, und in dem anderen führte ich meine Geschäfte. Wie viele Geschäftsleute – denn als einen solchen betrachtete ich mich schon damals – war ich es zwar gewohnt, meine beruflichen Angelegenheiten in einem der örtlichen Kaffeehäuser zu tätigen, doch die besondere Sensibilität meiner Arbeit ließ den Kunden, die meine Dienste in Anspruch nahmen, solche öffentlichen Tagungsorte als unratsam erscheinen. Also hatte ich ein Zimmer mit mehreren bequemen Sesseln, einem Tisch, um den herum man sitzen konnte, und mehreren Regalen eingerichtet, auf denen ich jedoch weniger Bücher, für die sie eigentlich gemacht waren, als vielmehr Wein und Käse aufbewahrte. Mrs. Garrison hatte die dekorativen Aufgaben übernommen, und nachdem sie dem Zimmer mit einer zartrosa Wandfarbe und hellblauen Vorhängen einen unpassend heiteren Ton verliehen hatte, sorgten meiner Meinung nach die Schwerter und militärischen Stiche an den Wänden hinlänglich für ein männliches Korrektiv.

Ich darf mir einiges auf die Schicklichkeit dieser Räume einbilden, denn der vornehme Stil wirkte sich auf die Gentlemen, die kamen, um meine Dienste in Anspruch zu nehmen, sofort besänftigend aus. Obwohl mein Beruf nicht selten mit unangenehmen Belangen des Lebens zu tun hatte, pflegte ein echter Gentleman, so viel hatte ich gelernt, gerne die Illusion, nichts anderes als ganz gewöhnliche geschäftliche Vereinbarungen zu treffen.

Auch wenn ich damit riskiere, der Eitelkeit bezichtigt zu werden, sollte ich an dieser Stelle hinzufügen, dass ich auch auf mein eigenes Äußeres keinen unbeträchtlichen Wert legte. Ich war meinen Jahren als Faustkämpfer mit nur wenigen der üblichen Kennzeichen entronnen, die meinen ehemaligen Kollegen aus dem Boxring das Aussehen von Schlägern und Raufbolden verliehen: ausgeschlagene Augen, zerquetschte Nasen und dergleichen Entstellungen mehr. Ich hatte von meinen Prügeleien zum Glück nur wenige kleine Narben im Gesicht davongetragen, und meine Nase wies lediglich die sanften Höcker und den leicht verschobenen Rücken auf, wie es mehrere Brüche nun einmal mit sich bringen.

Ich hielt mich in der Tat für einen gut aussehenden Mann und achtete darauf, wenn auch in bescheidenem Rahmen, stets ordentlich gekleidet zu gehen. Ich trug nur saubere Hemden auf dem Leib, und meine Jacken und Mäntel waren nie älter als ein Jahr. Obwohl ich sorgsam auf meine Kleidung achtete, gehörte ich keineswegs zu jenen gespreizten Laffen, die sich stets nach dem allerletzten Schrei herausputzen; ein Mann meines Gewerbes bevorzugt den einfachen Stil, der keine unnötige Aufmerksamkeit erregt.

Ich ließ mich hinter meinem ausladenden Eichenschreibtisch gegenüber der Tür nieder. Eigentlich benutzte ich ihn als Ablage und um Ordnung in meine geschäftlichen Angelegenheiten zu bringen, hatte jedoch herausgefunden, dass er sich auch hervorragend dazu eignete, meine Autorität zu unterstreichen. Also nahm ich einen Federkiel in die Hand und verzog die Muskeln in meinem Gesicht solcherart, dass ich in etwa das Bild eines sowohl beschäftigten als auch gereizten Mannes abgab.

Als Mrs. Garrison den Besucher hereinführte, musste ich mir jedoch alle Mühe geben, meine Überraschung zu verbergen. William Balfour war keineswegs ein Langfinger, wie wir in jenen Tagen die Diebe nannten, sondern ein vornehmer Herr in eleganter Kleidung und mit entsprechendem Auftreten. Er mochte ungefähr fünf Jahre jünger als ich sein – das heißt, ich schätzte ihn auf zwei- oder dreiundzwanzig –, ein großer, hagerer, leicht gebeugter Mann mit einem eigenartig eingefallenen Ausdruck in seinem breiten, ansonsten recht ansehnlichen Gesicht, das kaum erkennbar von einigen kleinen Pockennarben beeinträchtigt war. Er trug eine Perücke allerfeinster Machart, deren Alter und Abnutzung man jedoch an diversen Flecken und der nur schlecht unter dem Puder verborgenen fahlen Schmuddeligkeit ablesen konnte. Auf ähnliche Weise trug seine Kleidung die Zeichen teurer Maßanfertigung und sah zugleich ein wenig überbeansprucht aus, vom Staub der Straßen sowie den Spuren der Angst und billiger Quartiere in Mitleidenschaft gezogen. Insbesondere seine einst mit feinem Silberzwirn durchwirkte Weste wirkte recht ramponiert und fadenscheinig. Auch seinen Augen haftete etwas an, das ich weder als Misstrauen noch als Müdigkeit oder Resignation einordnen konnte, aber er musterte mich mit einem Skeptizismus, der mir nur allzu vertraut war. Verstehen Sie bitte, liebe Leser, dass die meisten Männer, die durch meine Tür kommen, eigens für mich einen bestimmten Blick aufsetzen: Verachtung, Argwohn, Überheblichkeit. Einige wenige lassen sogar Bewunderung erkennen. Die Vertreter der letzten Kategorie haben mich in meiner Glanzzeit als Faustkämpfer gesehen, und ihre Begeisterung für den Sport obsiegt über ihre Verlegenheit, die Dienste eines Juden in Anspruch zu nehmen, der sich mit den Unannehmlichkeiten anderer Leute befasst. Dieser Balfour betrachtete mich weder als Juden noch als Faustkämpfer, sondern als etwas ganz anderes ... wie etwas ohne jede Bedeutung, als wäre ich der Diener, der ihn erst zu demjenigen führen sollte, den er eigentlich suchte.

»Sir«, sagte ich und stand auf, nachdem Mrs. Garrison die Tür hinter sich geschlossen hatte. Ich verneigte mich kurz vor Balfour, was er mit unbewegter Gleichgültigkeit quittierte. Nachdem ich ihm einen Platz vor meinem Schreibtisch angeboten hatte, kehrte ich zu meinem Stuhl zurück und informierte ihn darüber, dass ich zu seiner Verfügung stünde.

Er zögerte, bevor er mit seinem Anliegen herausrückte, und ließ sich einen Augenblick Zeit, um mein Gesicht genauer zu betrachten. Überhaupt schien er mich eher als Schaustück denn als Menschen anzusehen. Sein Blick wanderte mit deutlichem Missfallen über mein Gesicht und meine Kleidung (obwohl beide sauberer und gepflegter als bei ihm waren) und kehrte mit argwöhnischem Ausdruck zu meinem Haar zurück, denn im Gegensatz zu einem vollendeten Gentleman trug ich keine Perücke, sondern kämmte meine Locken auf die Weise der Zopfperücken nach hinten, wo sie von einem Band zusammengehalten wurden.

»Sie sind, wie ich annehme, Benjamin Weaver«, fing er schließlich mit einer vor Unsicherheit brüchigen Stimme zu reden an. Mein zustimmendes Nicken nahm er kaum wahr. »Ich komme in einer ernsten Angelegenheit. Ich bin nicht angetan davon, Ihre speziellen Dienste in Anspruch nehmen zu müssen, aber ich bin auf Hilfe angewiesen, wie sie nur ein Mann wie Sie zu leisten vermag.«

Er rutschte beklommen auf seinem Sessel hin und her, und ich fragte mich, ob Mr. Balfour vielleicht nicht das, was er zu sein vorgab, sondern ein Mann von ungleich niedrigerem Rang war, der sich lediglich als Gentleman verkleidet hatte. Immerhin gab es da noch den Mord, den er Mrs. Garrison gegenüber erwähnt hatte, obgleich ich inzwischen doch sehr bezweifelte, dass der Mord, von dem er gesprochen hatte, der gleiche war, der in meinen Gedanken herumspukte.

»Ich hoffe sehr, Ihnen mit meinen Diensten behilflich sein zu können«, sagte ich mit wohl einstudierter Höflichkeit, legte den Federkiel nieder und neigte den Kopf ein wenig zur Seite, um ihm zu signalisieren, dass meine ganze Aufmerksamkeit ihm allein galt.

Seine Hände zitterten vor Aufregung, als er mit nicht sehr überzeugender Gleichgültigkeit seine Fingernägel betrachtete. »Ja, es ist eine durchaus unangenehme Angelegenheit, weshalb ich nicht daran zweifle, in Ihnen den passenden Mann gefunden zu haben.«

Ich entbot ihm eine kurze Verneigung von meinem Stuhl aus und sagte ihm, er sei zu freundlich, oder eine ähnliche Platitude, aber er nahm von dem, was ich sagte, kaum Notiz. Trotz seiner Versuche, so etwas wie eine vornehme Lässigkeit an den Tag zu legen, machte er in jeder Hinsicht den Eindruck eines Mannes kurz vor dem Ersticken, als zöge sich sein Kragen immer enger um seinen Hals zusammen. Er biss sich auf die Unterlippe und sah sich mit gehetzten Blicken im Zimmer um.

»Sir«, sagte ich, »Sie werden mir die Bemerkung sicherlich nachsehen, aber Sie wirken ein wenig derangiert. Darf ich Ihnen ein Glas Portwein anbieten?«

Meine Worte trafen ihn wie schallende Ohrfeigen. Er riss sich noch einmal zusammen und nahm die Haltung eines unbekümmerten Lebemannes ein. »Ich könnte mir vorstellen, dass es weniger dreiste Wege gibt, sich nach den Sorgen eines Mannes zu erkundigen. Nichtsdestoweniger nehme ich ein Glas dankend an, welche Qualität Sie auch immer anzubieten haben mögen.«

Ich ließ Balfours selbstgefällige Beleidigungen nicht aus schierer Höflichkeit über mich ergehen. Nachdem ich mich in meiner Branche etabliert hatte, brauchte es nicht lange, bis ich herausfand, dass Männer von edler Geburt oder hohem Ansehen ein grundlegendes Bedürfnis danach verspürten, ihre Überlegenheit zu demonstrieren – nicht dem Manne gegenüber, den sie bezahlten, damit er sich in ihre Privatangelegenheiten mischte, sondern gegenüber seinem Beruf selbst. Ich durfte Balfours Frechheiten nicht persönlich nehmen, denn sie zielten nicht auf mich. Schließlich wusste ich auch, dass die Erinnerung an sein anfängliches unhöfliches Benehmen einen Mann wie ihn, sobald ich ihm erfolgreich geholfen hatte, oft dazu nötigte, wenigstens pünktlich zu zahlen und meine Dienste in seinem Bekanntenkreis weiterzuempfehlen. Deshalb schüttelte ich Mr. Balfours Beleidigungen auf die gleiche Weise ab wie ein Bär die Hundemeute bei der Hatz in Hockley-in-the-Hole.

»Ich bin keineswegs derangiert«, versicherte er mir und nahm einen kleinen Schluck Wein. Falls die Qualität meines Weines meinen Gast, was ich eigentlich vermutete, auf angenehme Weise überrascht haben sollte, so ließ er sich nichts davon anmerken. »Mit Sicherheit habe ich heute Nacht nicht besonders gut geschlafen, dazu befinde ich mich noch –«, hier machte er eine kurze Pause und blickte mich durchdringend an – »in allzu tiefer Trauer um meinen Vater, der vor zwei Monaten verstorben ist.«

Ich entbot ihm mein Beileid und überraschte mich selbst damit, dass ich ihm erzählte, dass auch ich erst vor kurzem meinen Vater verloren hätte.

Balfour hingegen versetzte mich in Erstaunen, indem er mir beschied, er wisse sehr wohl über meines Vaters Tod Bescheid. »Ihr Vater, Sir, und der meine waren Bekannte. Sie hatten geschäftlich miteinander zu tun, müssen Sie wissen ... Zu Zeiten, in denen mein Vater sich genötigt sah, einen Mann von der ... Sorte Ihres Vaters aufzusuchen.«

Ich würde mich gerne rühmen, meine Verblüffung für mich behalten zu haben, aber ich hege Zweifel daran, dass dem so war. Mein Geburtsname ist nicht Weaver, sondern Lienzo. Nur wenige Menschen kannten meinen richtigen Namen, weshalb ich nicht damit gerechnet hatte, dass dieser Mann über die Identität meines Vaters Bescheid wusste. Ich hätte gerne herausgefunden, was Balfour noch alles über mich wusste, aber ich stellte ihm keine diesbezüglichen Fragen, sondern nickte nur bedächtig.

Mittlerweile war ich hinsichtlich dessen, was dieser Mann von mir wollte, ernsthaft verwirrt, denn es lag absolut auf der Hand, dass er mich nicht auf Grund meines unglücklichen Geschicks vom Vorabend aufgesucht hatte. Während ich über die vielen Ungewissheiten nachgrübelte, dämmerte mir allmählich, dass ich mich vage an Balfours Vater erinnerte. Mir fiel ein, dass mein Vater von ihm gesprochen hatte, und zwar nur Gutes, denn die beiden waren, wenn ich mich recht entsann, mehr als nur flüchtige Bekannte gewesen. Sie als Freunde zu bezeichnen hätte das Ausmaß ihrer Beziehung allerdings überbewertet. Obwohl ich eine Vielzahl der anderen Männer, mit denen mein Vater geschäftliche Verbindungen unterhielt, vergessen hatte, erinnerte ich mich an Balfours Vater, und zwar deshalb, weil es für meinen Vater höchst ungewöhnlich war, mit einem Gentleman christlichen Glaubens auf derart vertrautem Fuße zu stehen. Trotzdem war mir, als ich in der Zeitung von Michael Balfours Selbstmord gelesen hatte, nicht gleich die Verbindung zu meinem Vater ins Auge gesprungen. Balfour war ein wohlhabender Kaufmann gewesen und hatte, wie so mancher andere Geschäftsmann, der gewisse Risiken eingeht, schwere finanzielle Rückschläge erlitten. Seine Rückschläge waren besonders drastisch gewesen, hatte er doch so gut wie alles bei einer Reihe unglücklicher Spekulationen verloren. Und da er sich nicht in der Lage sah, den Gläubigern mit seiner Insolvenz gegenüberzutreten und seiner Familie die Schande seines Ruins einzugestehen, hatte er sich in seinen eigenen Stallungen erhängt – eine Tat, die sich kaum vierundzwanzig Stunden vor dem Tod meines eigenen Vaters ereignet hatte.

»Dann sind Sie also über Ihren Vater auf meine Dienste aufmerksam geworden?«, fragte ich Balfour. Es war eine irrelevante Frage, zumindest was Mr. Balfours Anliegen betraf, aber ich wollte in Erfahrung bringen, ob sich mein Vater im Kreise seiner Kollegen und Geschäftspartner wohlwollend über mich geäußert hatte. Zu meiner großen Verwunderung ertappte ich mich bei der vagen Hoffnung, Balfour möge tatsächlich bezeugen, dass mein Vater dem Leben, das ich für mich gewählt hatte, Respekt entgegengebracht hatte.

Balfour belehrte mich rasch eines Besseren. »Die Empfehlung erfolgte auf einem weniger direkten Wege. Selbstverständlich ist mir Ihr Name schon früher zu Ohren gekommen, und zwar im gleichen Atemzug, wenn Sie mich recht verstehen, in dem man Seiltänzer, Monstrositätenkabinette und dergleichen nennt. Kürzlich jedoch hielt ich mich in einem Kaffeehaus auf, als ich einen Gentleman Ihren Namen nennen hörte. Einer seiner Freunde, ein Sir Owen Nettleton, hatte Sie in einer geschäftlichen Angelegenheit engagiert und hielt Sie wohl für sehr kompetent, was in Zeiten wie diesen gewiss eine Beurteilung von einigem Gewicht darstellt. Alsbald kam mir der Gedanke, Ihre Dienste könnten auch mir von Nutzen sein.«

Schon so manches Mal habe ich nicht wenig darüber gestaunt, dass die eigentlich doch recht große Stadt London oft so verwunderlich klein ist. Unter Abertausenden von Menschen ereignen sich derlei Begegnungen fast tagtäglich, da Männer gleichen Naturells und gleicher Interessen unvermeidlich in den gleichen Clubs, Schänken, Kaffeehäusern und Teegärten zusammentreffen. Ich war Sir Owen Nettleton tatsächlich zu Diensten gewesen, und seine Belange waren es, die meine Gedanken an jenem Morgen so sehr beschäftigten, doch werde ich später mehr zu seiner Person berichten.

Balfour trank seinen Portwein mit einem beherzten Schluck aus und sah mir mit einer derartigen Intensität direkt in die Augen, dass ich unwillkürlich an ein Kräftemessen denken musste. »Mr. Weaver, ich will ohne Umschweife mit Ihnen reden. Mein Vater, Sir, wurde ermordet. Und zwar, wie ich glaube, von der gleichen Person oder den gleichen Personen, die auch Ihren Vater ermordet haben.«

Mir blieb nicht einmal Zeit, mir eine mögliche Reaktion zu überlegen. Gewiss, mein Vater war vor zwei Monaten getötet worden – aber nicht ermordet. Ein betrunkener Kutscher hatte ihn beim Überqueren der Threadneedle Street überfahren. Die ganze Sache war von einer gewissen Ungereimtheit überschattet gewesen. Wie rücksichtslos war der Kutscher gefahren? War mein Vater blindlings auf die Fahrbahn getreten? Hätte der Unfall vermieden werden können? Allesamt unbeantwortbare Fragen, wie der Richter entschieden hatte. Der Kutscher hatte wohl fahrlässig, jedoch ohne böse Absicht gehandelt und hätte wohl auch keinen Grund gehabt, meinem Vater etwas zu Leide zu tun. Wäre die gleiche Tat an einem Grafen oder einem Parlamentsmitglied verübt worden, hätte sie dem Kutscher wohl mindestens sieben Jahre Deportation in die Kolonien eingebracht, aber das fahrlässige Niedertrampeln eines jüdischen Börsenspekulanten war nicht unbedingt ein Fall, für den man die volle Gewalt des Amtes bemühte. Der Richter entließ den Kutscher mit einer ernsthaften Verwarnung, und damit war die Angelegenheit juristisch abgeschlossen.

Zu jenem Zeitpunkt hatte ich mehr als zehn Jahre lang nicht mehr mit meinem Vater gesprochen. Ich wusste so gut wie nichts von seinem Tun, und es wäre mir nicht eingefallen, dass sein Tod mit etwas so Entsetzlichem wie Mord in Verbindung stehen könne. Allerdings war dieser Gedanke einem Blutsverwandten meines Vaters, meinem Onkel Miguel, in den Sinn gekommen, denn er hatte mir eigens geschrieben, um mir seine Vermutungen mitzuteilen. Beschämt bekenne ich, dass ich seine Bemühung, meine Meinung dazu einzuholen, lediglich mit einer förmlichen Antwort quittiert hatte, in der ich seine Ideen als Nonsens verwarf. Das geschah teilweise deshalb, weil ich nichts mit meiner Familie zu tun haben wollte, teilweise jedoch auch, weil ich wusste, dass mein Onkel meinen Vater, aus Gründen, die sich mir entzogen, sehr geliebt hatte und die Sinnlosigkeit eines so zufälligen Todes nicht akzeptieren konnte. Nun sah ich mich abermals mit der Behauptung konfrontiert, mein Vater sei das Opfer eines vorsätzlichen Verbrechens geworden, und abermals spürte ich, wie mein selbst gewähltes Exil von meiner Familie den Wunsch in mir aufkommen ließ, dem Gedanken keinen Glauben zu schenken.

Ich zwang mein Gesicht, sich der strengen Maske der Unvoreingenommenheit zu unterwerfen. »Der Tod meines Vaters war ein Unglücksfall.«

Balfour wusste besser über meine Familie Bescheid als ich über die seine, was ich als Nachteil ansah und weshalb ich, obschon innerlich einigermaßen aufgewühlt, eine etwas langsame Gangart einlegte. »Und, wenn ich das heikle Thema anschneiden darf, auch hinsichtlich des Ablebens Ihres Vaters berichteten die Zeitungen von etwas anderem als Mord.«

Balfour hob die Hand, als ließe sich der Gedanke an Selbstmord damit einfach hinwegkomplimentieren.

»Ich weiß, was in der Zeitung stand!«, stieß er hervor und spuckte dabei. »Und ich weiß auch, was der Coroner gesagt hat, und doch versichere ich Ihnen, dass hier etwas nicht stimmt. Das Vermögen meines Vaters soll zur Zeit seines Todes so gut wie nicht mehr existent gewesen sein. Nur wenige Wochen zuvor erzählte er mir jedoch selbst, seine Spekulationen hätten ihm geraumen Profit gebracht, insbesondere habe er großen Nutzen aus der durch die Rivalität zwischen der Bank of England und der South Sea Company hervorgerufenen Kursschwankung gezogen. Es entsprach nicht gerade meinen Wünschen, dass er sich in die Geschäftemacherei auf der 'Change Alley einließ und dort auf die Art ... nun ja, auf die Art und Weise Ihrer Leute, Weaver, Wertpapiere kaufte und verkaufte. Aber er glaubte fest daran, dass einem Manne, der alle seine Sinne beisammenhielt, gerade dort hervorragende Möglichkeiten blühten. Wie also kann es sein, dass seine Finanzen so« – er machte eine kleine Pause, um nach den richtigen Worten zu suchen –, »so schlecht geordnet waren? Halten Sie es für einen Zufall, dass unsere Väter, beides sehr reiche und miteinander bekannte Männer, innerhalb von vierundzwanzig Stunden ganz plötzlich und auf geheimnisvolle Weise sterben und der Aktienbesitz meines Vaters ein einziges Durcheinander ist?«

Während er so redete, offenbarte Balfours Gesicht eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Gemütsregungen: Kränkung, Abscheu, Unbehagen und sogar, wie ich glaube, Scham. Mir kam es außerordentlich merkwürdig vor, dass ein Mann, der dabei war, ein so schreckliches Verbrechen aufzudecken, keinerlei Anzeichen von Empörung an den Tag legte.

Seine Behauptungen riefen in mir jedoch eine gewisse Unruhe hervor, die ich zu zügeln versuchte, indem ich mich auf die gesicherten Tatsachen konzentrierte. »Was Sie hier vorbringen, dient in keinster Weise als Beweis für einen Mord«, sagte ich nach kurzer Überlegung. »Ich kann nicht nachvollziehen, wie Sie zu diesem Schluss gekommen sind.«

»Der Tod meines Vaters wurde als Selbstmord inszeniert, damit der Schurke oder die Schurken sein Geld ungestraft an sich nehmen konnten«, verkündete er, als hätte er ein naturkundliches Geheimnis enthüllt.

»Sie glauben also, das Vermögen Ihres Vaters sei geraubt und er selbst ermordet worden, um den Diebstahl zu verschleiern?«

»Mit einem Wort, Sir: Ja. Genau das glaube ich.« Balfours Züge entspannten sich und nahmen einen Ausdruck matter Zufriedenheit an. Dann fasste er das leere Weinglas mit verhaltenem Verlangen ins Auge, dem ich durch erneutes Auffüllen entsprach.

Ich ging, ungeachtet des ablenkenden Schmerzes von einer alten Wunde in meinem Bein – einer Wunde, die meiner Laufbahn als Berufsboxer ein Ende gesetzt hatte –, im Zimmer auf und ab. »Worin aber besteht die Verbindung zwischen den beiden Todesfällen, Sir? Meines Vaters Vermögen ist unangetastet.«

»Fehlt denn wirklich nichts? Woher wollen Sie das wissen, Sir?«

Ich konnte es wirklich nicht wissen, weshalb ich die in meinen Augen vermessene Frage einfach ignorierte. »In Ihrem eigenen Interesse möchte ich ganz offen mit Ihnen reden. Ihr Vater ist vor kurzem verstorben, unter schrecklichen Umständen, wobei es ihm nicht möglich war, ein Vermächtnis zu hinterlassen. Sie sind mit der Aussicht auf Wohlstand und Privilegien aufgewachsen, hatten jeden Grund anzunehmen, dereinst das sorglose Leben eines Gentleman zu führen. Jetzt sehen Sie Ihre Träume zerschlagen und suchen nach Erklärungen, warum dem nicht so sein kann.«

Balfour lief bedenklich rot an. Ich vermute, er war nicht an Widerspruch gewöhnt, insbesondere nicht an Widerspruch von Leuten wie mir. »Ihre Worte gefallen mir nicht, Mr. Weaver. Auch wenn meine Familie zurzeit gewissen Benachteiligungen ausgesetzt ist, sollten Sie nicht vergessen, dass ich ein echter Gentleman bin.«

»Ein Gentleman wie ich«, erwiderte ich und sah ihm direkt in die geröteten Augen. Das war ein harter Schlag für ihn. Seine Familie gehörte, wie er sehr wohl wusste, zu den Emporkömmlingen. Seinen höchst zweideutigen Titel Gentleman verdankte Balfour der aggressiven Geschäftemacherei seines Vaters im Tabakhandel, keinesfalls seinem hochwohlgeborenen Stammbaum. Ich erinnerte mich sogar daran, dass der alte Balfour einmal unter den alteingesessenen Tabakhändlern für gehörige Unruhe gesorgt hatte, indem er die Männer, die seine Schiffe entluden, sehr verärgerte. Diesen Hafenarbeitern wurden seit jeher schmale Löhne gezahlt, weshalb sie ihren Verdienst mittels einer stillschweigenden Umverteilung der Waren, mit denen sie tagtäglich zu tun hatten, ein wenig aufbesserten. Bei Schiffen, die Tabak geladen haben, ist dieser Vorgang als »Tabakziehen« bekannt: Die Arbeiter stoßen einfach die Hände in die Ballen, ziehen so viel heraus, wie sie zu fassen kriegen, und verkaufen den Ertrag auf eigene Rechnung. Tatsächlich handelte es sich um eine Art sanktionierten Diebstahl, denn schon vor Jahren hatten die Tabakhändler herausgefunden, dass sich ihre Lastenträger an der Fracht vergriffen, aber stillschweigend darüber hinweggesehen und einfach die Löhne noch weiter gekürzt.

Der alte Balfour hingegen verstieg sich zu dem unglückseligen Schritt, Männer anzuheuern, die die Arbeiter überwachten und sicherstellten, dass keiner mehr Ware abzog, versäumte es jedoch, den Lohn wieder entsprechend anzuheben. Die Arbeiter wurden gewalttätig, rissen mehrere Ballen Glimmkraut auf und verstreuten den Inhalt mutwillig. Der alte Balfour gab erst nach, nachdem ihn seine Händlerkollegen davon überzeugt hatten, dass ein weiteres Verfolgen seines wahnsinnigen Kurses zu Aufständen und dem Niedergang aller ihrer Geschäfte führen konnte.

Dass nun der Sohn dieses Kaufmannes behauptete, einer alten Familie zu entstammen, war offenkundig absurd; er kam nicht einmal aus einer alten Kaufmannsfamilie! Auch wenn in jenen Tagen, wie heute noch, einem wohlhabenden Kaufmann etwas entschieden Britisches anhaftet, war es für den Sohn eines solchen Mannes eine relativ dreiste und zweifelhafte Behauptung, er besitze Anspruch auf die gesellschaftliche Stellung eines Gentleman. Meine Erklärung, unsere Familien seien ebenbürtig, bescherte ihm beinahe einen Schlaganfall. Er blinzelte, als versuchte er eine geisterhafte Erscheinung zu vertreiben, und zwinkerte einige Male nervös, bis er sich wieder einigermaßen im Griff hatte.

»Ich halte es nicht für Zufall, dass die Mörder meines Vaters seinen Tod wie Selbstmord aussehen ließen. Sie rechneten damit, dass die Scham jede genauere Untersuchung des Vorfalles verhindern würde. Aber ich schäme mich nicht. Wahrscheinlich halten Sie mich für mittellos und glauben, ich sei gekommen, um Sie wie ein Armenhäusler anzubetteln, aber Sie wissen nichts von mir. Ich zahle Ihnen zwanzig Pfund, wenn Sie sich nur eine Woche mit dieser Angelegenheit beschäftigen.« Er hielt inne, um mir Zeit zu lassen, über eine derart große Summe nachzudenken. »Dass ich Sie überhaupt dafür bezahlen muss, die Wahrheit über die Ermordung Ihres eigenen Vaters herauszufinden, gereicht Ihnen selbst zwar nicht gerade zur Ehre, aber für Ihre Gesinnung bin ich nicht verantwortlich.«

Ich musterte seine Züge, suchte nach Anzeichen von etwas – Falschheit, Selbstzweifel, Angst? –, sah jedoch nichts als nervöse Entschlossenheit. Ich stellte nicht länger in Frage, dass er derjenige war, für den er sich ausgab. Er war ein unangenehmer Mensch, den ich instinktiv vom ersten Augenblick an nicht gemocht hatte, und ich war mir sicher, dass auch er mir keinerlei Zuneigung entgegenbrachte. Mein Interesse an dem, was er bezüglich des Todes meines Vaters sagte, konnte ich allerdings nicht abstreiten. »Mr. Balfour, gibt es denn Zeugen für diesen, wie Sie behaupten, inszenierten Selbstmord?«

Er wedelte mit den Händen in der Luft herum, um die Einfältigkeit meiner Frage zu demonstrieren. »Davon ist mir jedenfalls nichts bekannt!«

»Haben Sie etwas darüber verlauten hören?«, drängte ich weiter.

Er starrte mich verwundert an, als faselte ich unsinniges Zeug daher. »Von wem denn? Halten Sie mich für jemanden, der mit Menschen verkehrt, die über derlei Dinge reden?«

Ich seufzte. »Dann weiß ich auch nicht weiter. Wie soll ich jemanden finden, der ein Verbrechen begangen hat, wenn Sie weder Zeugen noch Kontakte haben? Wonach genau soll ich denn suchen?«

»Ich verstehe nichts von Ihrem Geschäft, Weaver, aber wie mir scheint, sind Sie beklagenswert begriffsstutzig. Sie haben doch schon mehr als einen Mann der Gerechtigkeit zugeführt, oder nicht? Genau so, wie Sie sonst vorgegangen sind, so gehen Sie jetzt eben auch vor!«

Ich versuchte ein höfliches und, wie ich zugebe, leicht herablassendes Lächeln aufzusetzen. »Wenn ich in der Vergangenheit Männer der Gerechtigkeit zugeführt habe, Sir, hat es sich stets um Fälle gehandelt, bei denen jemand die Identität des Übeltäters kannte und mir lediglich die Aufgabe übertrug, ihn ausfindig zu machen. Bei anderen Verbrechen war der Übeltäter unbekannt, aber Zeugen konnten über besondere Eigenschaften berichten, etwa eine Narbe über dem rechten Auge oder einen fehlenden Daumen. Mit derartigen Informationen kann ich bei den Leuten, die diesen Mann womöglich kennen, nachfragen und nach und nach seinen Namen, seine Gewohnheiten und schließlich seinen Aufenthaltsort in Erfahrung bringen. Fußt aber der erste Schritt auf Ihrer Vermutung allein, wie soll dann der zweite aussehen? Wer sind die Leute, die als Nächstes zu befragen wären?«

»Ich bin schockiert, von Ihren Methoden zu hören, Weaver!« Er hielt einen Moment inne, vielleicht um seinen Abscheu deutlich zu machen. »Ich kann Ihnen zu keinem zweiten Schritt raten, kenne auch die Halunken nicht, mit denen Sie sich hinsichtlich der Ermordung meines Vaters in Verbindung setzen sollten. Sie müssen selbst wissen, wie Sie Ihre Geschäfte führen, aber ich hatte angenommen, dass die Angelegenheit genügend Interesse bei Ihnen hervorruft, um von mir zwanzig Pfund anzunehmen.«

Ich schwieg eine Zeit lang. Am liebsten hätte ich den Mann sofort weggeschickt, denn ich hatte seit jeher so manches auf mich genommen, um jeden Kontakt mit meiner Familie zu vermeiden. Andererseits waren zwanzig Pfund für mich keine kleine Summe, und während ich den schrecklichen Tag der Abrechnung fürchtete, wusste ich, dass es einer Kraft von außen bedurfte, die mir den notwendigen Stoß versetzte, um den Kontakt mit denen, die ich schon so lange vernachlässigt hatte, wieder aufzunehmen. Mehr noch: Auch wenn ich damals nicht hätte erklären können warum, reizte mich die Vorstellung, mich mit einer derartig undurchsichtigen Angelegenheit zu beschäftigen. Ich hegte nämlich den unbestimmten Verdacht, als habe Balfour, trotz der Großspurigkeit, mit der er seine Vermutungen vortrug, womöglich Recht. Wenn ein Verbrechen begangen worden war, schien es nicht mehr als vernünftig, dass es auch aufgeklärt werden konnte, und mir gefiel der Gedanke nicht übel, welche Auswirkungen ein Erfolg bei einer Untersuchung dieser Art auf meinen Ruf haben würde.

»Ich erwarte in Bälde noch einen anderen Besucher«, sagte ich schließlich. »Außerdem habe ich viel zu tun.«

Er wollte etwas entgegnen, doch ich ließ es nicht dazu kommen. »Ich werde mich der Sache annehmen, Mr. Balfour. Warum auch nicht? Aber meine Zeit erlaubt mir nicht, mich ihr sofort zu widmen. Falls Ihr Vater wirklich ermordet wurde, muss es einen Grund dafür geben. Wenn es sich um Diebstahl handelt, brauchen wir weitere Einzelheiten über diesen Diebstahl. Ich möchte, dass Sie sich diesbezüglich so genau wie möglich erkundigen. Reden Sie mit seinen Freunden, mit Verwandten und Angestellten, mit jedem, der Ihrer Meinung nach einen ähnlichen Verdacht hegt. Lassen Sie mich wissen, wo ich Sie finden kann, dann werde ich mich in wenigen Tagen mit Ihnen in Verbindung setzen.«

»Wofür bezahle ich Sie eigentlich, Weaver, wenn ich Ihre Arbeit erledigen soll?«

Diesmal fiel mein Lächeln weniger gutmütig aus. »Sie haben natürlich Recht. Sobald ich wieder frei über meine Zeit verfüge, spreche ich selbst mit der Familie Ihres Vaters sowie mit seinen Freunden und Angestellten. Und damit sie mich nicht gleich wegschicken, erzähle ich ihnen, dass Sie mich beauftragt haben, sie auszufragen. Vielleicht unterrichten Sie sie schon einmal vorab, dass demnächst ein Jude mit dem Namen Weaver vorbeikommt und Nachforschungen über Ihre Familienangelegenheiten anstellt.«

»Ich kann nicht zulassen, dass Sie diese Leute belästigen«, stammelte er. »Gott im Himmel, wenn ich mir vorstelle, dass Sie meine Mutter verhören ...«

»Dann ist es wohl doch geschickter, wenn Sie sich, wie ich bereits vorschlug, dieser Sache selbst annehmen.«

Balfour erhob sich und nahm eine vornehme Haltung an. »Wie ich sehe, sind Sie ein kluger Taktiker. Ich werde einige diskrete Nachforschungen anstellen. Aber ich erwarte in Kürze von Ihnen zu hören.«

Ich erwiderte nichts und rührte mich auch nicht von der Stelle, doch Balfour störte sich nicht daran, und im nächsten Augenblick war er aus meinen Gemächern verschwunden. Ich blieb noch eine Zeit lang reglos sitzen und dachte über das nach, was sich soeben ereignet hatte. Dann griff ich nach der Flasche Port.

Kapitel 2

In jenen Tagen war ich noch neu im Geschäft. Ich verfügte über kaum mehr als zwei Jahre praktische Erfahrung und kämpfte immer noch mit den Geheimnissen meiner Branche. Meinen letzten großen Kampf als Berufsboxer hatte ich fünf Jahre zuvor ausgetragen, im Alter von nur etwas mehr als dreiundzwanzig Jahren. Nachdem diese Karriere ein derart gewaltsames Ende gefunden hatte, war ich unterschiedlichen Beschäftigungen nachgegangen, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, oder vielleicht sollte ich eher sagen: mein Überleben zu sichern. Auf die meisten dieser Berufe bin ich nicht gerade stolz, aber sie lehrten mich mancherlei, das sich später als durchaus nützlich erweisen sollte. Eine Zeit lang war ich auf einem Kutter beschäftigt, der zwischen der Südküste Englands und Frankreich verkehrte, wobei jenes Schiff, wie meine aufmerksamen Leser bereits vermutet haben werden, mitnichten der Königlichen Marine angehörte. Als unser Kapitän wegen Schmuggelei festgenommen wurde, ließ ich mich von einem Ort zum anderen treiben und betätigte mich zuzeiten, wie ich beschämt eingestehe, als Einbrecher und später sogar als Straßenräuber. Beschäftigungen dieser Couleur sind zwar recht aufregend, aber kaum profitabel, und mit der Zeit wird man des Anblicks dieses oder jenes Freundes mit einer Schlinge um den Hals müde. Also gelobte ich mir hoch und heilig, mich zu bessern, und kehrte nach London zurück, um mir irgendeine ehrliche Arbeit zu suchen.

Es ist ewig schade, dass ich damals noch nicht auf die Idee kam, dass man als Faustkämpfer, der sich aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen hat, eine Boxschule eröffnen und dort die inzwischen nachgerückten jungen Burschen trainieren kann, wie es der berühmte Jack Broughton getan hat. Broughton hat sich obendrein als kluger Kopf erwiesen, denn er entwickelte eine Vorrichtung, die er Boxhandschuhe nannte, eine Art übermäßige Polsterung für die bloßen Fäuste. Ich habe diese Dinger schon einmal gesehen und hege den leisen Verdacht, dass ein Treffer mit diesen Handschuhen die gleiche Wirkung hat, als sei man überhaupt nicht getroffen worden.

Ich war nicht so schlau wie Broughton und hatte keine derart hochtrabenden Ideen, doch ich hatte noch ein paar unrechtmäßig erworbene Pfund in der Hosentasche und suchte nach einem Partner, mit dem ich ein Bierlokal oder etwas Ähnliches aufzumachen gedachte. Es ereignete sich zu jener Zeit, dass ich eines Nachts recht spät zu meiner Unterkunft heimkehrte und das Glück hatte, einem alten Knaben behilflich sein zu können, der von einer Bande reicher junger Schnösel bedrängt wurde. Diese aristokratischen Rüpel oder auch Mohocks, wie sie in jenen Tagen genannt wurden – ein Name, der eine Beleidigung für die edlen Wilden in Amerika darstellte –, hatten nichts Besseres zu tun, als sich auf den Straßen Londons herumzutreiben und Leute, die ärmer waren als sie, zu malträtieren, indem sie auf ihre Gliedmaßen einschlugen, ihnen Ohren oder Nasen abschnitten, alte Damen Böschungen hinunterstießen und sich sogar, wenn auch nur sehr selten, am nachhaltigsten aller Verbrechen, dem Mord, verlustierten.

Ich hatte bereits von diesen arroganten Dandys gelesen und mich nach einer Gelegenheit gesehnt, ihnen ein wenig von ihrer Gewalttätigkeit heimzuzahlen, und so weiß ich nicht mit Sicherheit zu sagen, ob mich mein Hass auf ihre Privilegien, die sich diese Männer anmaßten, oder mein menschliches Mitgefühl für das betagte Opfer dazu trieb, mich in den Streit einzumischen. Ich kann nur sagen, dass ich angesichts der sich mir darbietenden Szene ohne zu zögern handelte.

Vier Mohocks, allesamt in Satin und Spitzen herausgeputzt und mit Masken italienischer Nachtschwärmer vor den Gesichtern, standen um einen älteren Mann herum, der auf der Straße zusammengebrochen war und wie ein groteskes Kind mit gefalteten Beinen vor ihnen saß. Seine Perücke war ihm vom Kopf gerissen und weggeschleudert worden, und von einer länglichen Wunde auf seinem Schädel sickerte ein dünnes Rinnsal Blut herab. Die Mohocks feixten amüsiert, und einer stieß eine undeutliche Bemerkung auf Latein aus, die die anderen zu schallendem Gelächter veranlasste.

»Tja«, sagte einer von ihnen zu dem alten Mann, »die Entscheidung liegt jetzt bei Ihm.« Er zog seinen Degen und fuhr damit mit der Geschicklichkeit des geübten Fechters durch die Luft, bevor er dem Mann die Spitze der Waffe direkt vor das Gesicht hielt. »Möchte Er lieber ein Ohr oder die Nasenspitze verlieren? Entscheide Er sich rasch, sonst wird Seine Zögerlichkeit mit beiden Preisen entlohnt.«

Einige Sekunden hörte man nichts als das Keuchen des bedrängten Mannes und das leise Plätschern des Abwassers, das in der Rinne in der Straßenmitte dahinsickerte.

Der Knochenbruch in meinem Bein, der meine Karriere im Ring beendet hatte, beschränkte zwar meine faustkämpferische Ausdauer, aber für die Anforderungen einer kurzen Straßenschlägerei war ich immer noch mehr als ausreichend gerüstet. Die Mohocks waren viel zu besoffen von ihrer Grausamkeit, und vom Wein nicht minder, als dass sie mein Nahen bemerkt hätten, und so eilte ich dem Opfer zu Hilfe, indem ich einen der Burschen ohne jede Vorwarnung mit einem heftigen Schlag an den Hinterkopf außer Gefecht setzte. Bevor seine Kameraden mitbekamen, dass ich an der Veranstaltung teilnahm, hatte ich mir einen zweiten Tunichtgut geschnappt und ihn mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen – ein Manöver, das ihn davon abhielt, weiteren Schaden anzurichten.

Kaum sah der Alte, den ich für so hilflos wie ein Weib gehalten hatte, dass sich das Blatt plötzlich gewendet hatte, stand er auf und nahm eine mannhaftere Positur ein, wagte sogar einen kurzen Schwinger gegen den Angreifer, der ihn mit dem Degen bedroht hatte, und schlug ihm die lange, dünne Klinge aus der Hand. Sie rutschte irgendwo in der Dunkelheit scheppernd über den Boden. Ich hob die Fäuste gegen einen der beiden noch im Ring verbliebenen Burschen; mein Gefährte, der aus seiner Entrüstung neue Kraft zu schöpfen schien, erhielt ein paar kräftige Schläge ins Gesicht, steckte den Schmerz jedoch tapfer weg. Aus einem frischen Riss über seinem linken Auge rann Blut über sein Gesicht, doch er erwies sich als beherzter Kämpfer und hielt sich lange genug im Spiel, bis am Ende der Straße ein Gemeindenachtwächter mit erhobener Laterne auftauchte. Als die Mohocks den Gesetzeshüter erblickten, beschlossen sie, den nächtlichen Zeitvertreib nicht länger fortzusetzen, und die beiden Schurken, die noch auf den Beinen waren, sammelten ihre gefallenen Kameraden auf und hinkten davon, um sich zu Hause die Wunden zu lecken und eine Geschichte auszudenken, mit der sich ihre kuriosen Verletzungen erklären ließen.

Während der Nachtwächter näher kam, ging ich auf meinen Kampfgefährten zu und packte ihn stützend an der Schulter. Er starrte mich verbissen durch seine müden, von Blut und Schweiß getrübten Augen an und verzog mit einem Mal den Mund zu einem überschwänglichen Grinsen.

»Benjamin Weaver!«, stieß er hervor. »Der Löwe von Juda! Hätte nicht gedacht, Sie noch einmal kämpfen zu sehen. Und schon gar nicht so aus der Nähe!«

»Das hatte ich eigentlich auch nicht vor«, erwiderte ich keuchend. »Aber ich freue mich, einem Mann in Not zu Diensten gewesen zu sein.«

»Sie dürfen sich noch mehr freuen«, versicherte er mir, »denn ich soll auf der Stelle als Diener Satans in die Hölle fahren, wenn ich Ihren Heldenmut nicht gebührend entlohne! Geben Sie mir Ihre Hand, werter Herr!«