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Über die Autorin

Regina Neufeld erreicht mit ihrem Blog beschenkt.com und als Referentin viele Frauen. Sie engagiert sich zusammen mit ihrem Team für „lily white“, eine Initiative, die Mädchen und Frauen Orientierung und Hilfe in Lebens- und Glaubensfragen geben will. Derzeit macht sie eine Weiterbildung zur Sternenkind-Begleiterin. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder, drei hier – und eines im Himmel. Darüber hinaus ist Regina Neufeld Mitautorin des Bestseller-Andachtsbuches „Unendlich geliebt“.

Inhalt

Vorwort

Prolog

Ich habe nichts unter Kontrolle

Ich darf vertrauen

Ein Chromosom mehr mindert die Liebe nicht

Das Jetzt verlangsamt die Zeit

Dankbarkeit ist eine Entscheidung

Der Abschied liegt zwischen Himmel und Erde

Es gibt kein Normal mehr

Trauer – was uns wehtat und was uns half

Gott ist dennoch gut

Ich schaffe es nicht allein

In jeder Tragödie liegt ein Auftrag

Anhang

Vorwort

In diesem Buch erzähle ich die Geschichte von unserem kleinen Samuel. Es ist eine Geschichte über Trauer, Schmerz und Sehnsucht, aber auch – und vor allem – eine Geschichte der Liebe, der Dankbarkeit und der Hoffnung. Ich möchte sie erzählen, weil es viel zu viele nicht erzählte Geschichten gibt. Weil es so viele Menschen gibt, die ihre Gefühle verdrängt haben, und so viele unausgesprochene Namen von Kindern, die viel zu früh gehen mussten.

Während früher kaum oder gar nicht über den Tod eines Babys gesprochen wurde, erlebe ich jetzt, dass hier und da ein neuer Mut zur Offenheit wächst – oder wenigstens das Bedürfnis, darüber zu reden. Dennoch herrscht eine große Hilflosigkeit, wenn es um den Umgang mit Trauernden geht. Das ist verständlich, denn es gibt kein Rezept, um den Schmerz zu lindern. Das, was man tun kann, ist weitaus schwieriger, als einem Plan zu folgen oder tröstende Worte zu formulieren. Da heißt es nur: Aushalten – Tränen, Verzweiflung, Wut, Schweigen, Erinnerungen. Und da ist und bleibt es wichtig, einfach da zu sein – auch nach Jahren.

Trauer kann einsam machen. Eltern von verstorbenen Babys haben es besonders schwer, sich nicht zu isolieren, weil sie sich nicht mit anderen über die Erinnerungen an das Kind austauschen können. Sie fühlen sich nicht verstanden, nicht ernst genommen. Vor allem, wenn ihr Kind bereits früh in der Schwangerschaft starb, fragen sich Eltern oft, ob sie überhaupt ein Recht auf ihre Gefühle haben. Doch das haben sie! Und diesen Gefühlen Raum zu geben, ist nötig, damit sie in ein neues Leben hineinfinden können – in ein Leben, in dem ihr Kind seinen festen Platz hat. Erst, wenn dies geschehen ist, wird sich ihr gebrochenes Herz langsam erholen, auch wenn immer eine tiefe Wunde bleiben wird.

Noch als Samuel am Leben war, haben wir einen Blog eingerichtet (www.unser-wunder.de), um Freunde und Bekannte über seine Entwicklung auf dem Laufenden zu halten. Das hat uns geholfen, von Anfang an offen mit unseren Gedanken und Gefühlen umzugehen. In der Folge wurden uns immer wieder liebe Worte geschickt. Die, die mich wirklich berührt haben, kamen fast immer von anderen Eltern, deren Kind ebenfalls verstorben ist. Nach Samuels Tod haben mich viele ähnliche Geschichten erreicht. Ich fand mich in den Worten der Eltern wieder, und das nahm mir den Druck, der sich in mir angestaut hatte.

Als ich später wieder anfing, auf Mädchen- und Frauenveranstaltungen zu sprechen und auch von Samuel zu erzählen, durfte ich erleben, dass seine Geschichte anderen Menschen Hoffnung gibt. So richtete ich später meinen neuen Blog www.beschenkt.com ein. Die Artikel, die dort am häufigsten gelesen werden, sind die, die ich über unsere Trauer geschrieben habe. Das hat mich schließlich dazu ermutigt, Samuels Geschichte in diesem Buch zu erzählen.

Am Anfang existierten zunächst nur mein tränendurchtränktes Tagebuch und die zum Teil gekürzten Blogeinträge. Daraus entstand dann langsam, über einen Zeitraum von beinahe fünf Jahren, das Manuskript. Mein Mann Alex steuerte ein paar Passagen darüber bei, was er als Vater empfindet. Und auch unsere Kinder Ben, Hannah und Emma unterstützten mich durch ihre Ideen.

Schreiben hat eine therapeutische Wirkung, sagt man. Das kann ich bestätigen. Was ich nicht herausschreien konnte, durfte ich aufschreiben, und meine Seele holte dabei tief Luft. Der gesamte Schreibprozess war emotional sehr herausfordernd, aber auch heilsam. Ich habe viel geweint, während ich neu in den Schmerz eingetaucht bin, und kam gestärkt wieder heraus. Das ein oder andere habe ich erst durch das Eintippen der einzelnen Worte sortieren können. Gefühle in Worte kleiden hilft, sie zur Ruhe zu bringen. Und für manch einen Gedanken habe ich beinahe fünf Jahre gebraucht, um ihn formulieren zu können.

„Viel zu kurz und doch für immer“ habe ich sowohl für betroffene Eltern als auch für deren Familien, Freunde und seelsorgerische Begleiter geschrieben, aber natürlich auch für all jene, die sich fragen, wo Gott ist, wenn Menschen leiden. Mit dieser Frage musste ich mich zwangsläufig und sehr intensiv auseinandersetzen, um herauszufinden, ob mein Glaube an Gott nur erlernt ist – oder ob ich ihm wirklich vertraue, egal, was kommt. Deshalb habe ich diesem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet.

Samuel litt an einer lebenszeitverkürzenden Krankheit: Trisomie 18. Ich gehe deshalb auch auf die Frage nach dem Wert des Lebens ein und stelle mich den Themen Abtreibung und Spätabtreibung.

Ich schreibe in den Kapiteln dieses Buches jedoch nicht nur über meine und Alex‘ Trauer, sondern auch über die Liebe zu unserem Kind, unseren Glauben, unsere Kraftquellen und unseren Alltag in dieser herausfordernden Zeit.

Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie schnell merken, dass es kein gewohnter Ratgeber ist, der aufzeigt, welche Schritte man für eine erfolgreiche Trauerverarbeitung oder -begleitung gehen sollte. Vielmehr möchte ich den Sinn dafür schärfen, sich selbst – und jeden Trauernden – individuell zu betrachten und ihm seinen eigenen Weg zuzugestehen. Auch wenn jeder Mensch auf unterschiedliche Weise trauert, eins bleibt gleich: Wir Eltern brauchen Raum für die Trauer um unser Kind. Das ist mir so wichtig, dass ich mich für eine Fortbildung zur Sternenkind-Begleiterin entschieden habe, um für andere Eltern auf diesem schweren Weg da zu sein.

Am Ende meiner Trauerreise bin ich immer noch nicht. Das werde ich erst sein, wenn ich meinen Samuel eines Tages wieder im Arm halten werde. Die Trauer hat keinen Endpunkt, und das muss sie auch nicht. Es geht vielmehr darum, sie in ein neues Leben zu integrieren. Das ist einer der Kerngedanken in diesem Buch.

Selbst im freien Fall des Schmerzes bin ich auf festem Grund gelandet und mein Glaube hat gehalten … meistens jedenfalls. Ich habe erfahren, dass Gott gut ist … immer. Hoffnung ist real. Ich habe herausgefunden – selbst in dem furchtbarsten Schmerz von Tränen und Trauer, die so intensiv sind, dass man glaubt, sie bringen einen um – , dass meine Familie und ich viel aushalten können. Wir werden über den Verlust nie hinwegkommen, aber wir schaffen es hindurch. Und deshalb bete ich, dass unser Weg durch das finstere Tal des Verlustes denen eine Hilfe sein möge, die ähnlichen Schmerz erlebt haben … dass wir als Verwalter und Erzähler dieser Geschichte vielen ein Trost sind.1

Diese Worte von Mary Beth Chapman, die ebenfalls den Verlust ihres Kindes erlitten hat, spiegeln auch meine Gedanken und mein Ansinnen wider. Ich bete, dass sich andere Trauernde durch meine Worte nicht mehr so alleine fühlen. Manch einer wird sich in einigen Punkten wiederfinden, andere werden sagen: „Ich empfinde das ganz anders.“ Beides ist in Ordnung. Ich bin mir sicher, dass jeder einige Anregungen finden wird, seinen Weg zu finden, seine Trauer zu leben.

Ich bete, dass Verwandte und Freunde Betroffener besser verstehen, wie sie für die Eltern eines verstorbenen Kindes da sein können.

Und ich bete, dass dieses Buch Hoffnung vermittelt, wo es dunkel ist. Denn trotz vieler enttäuschter Hoffnungen in unserer Geschichte, trotz des Zerbruchs, den wir erlebt haben, tragen wir diesen Frieden in uns, der nicht von Umständen abhängt; eine Kraft, die nicht aus uns selbst kommt; und die tiefe Gewissheit, geliebt und umsorgt zu sein.

Deshalb verstehe ich mich als Botschafterin der Liebe Gottes. Gott liebt unseren Samuel, obwohl er in den Augen der Medizin nicht perfekt war. Gott liebt mich, obwohl ich manchmal so wütend auf ihn war, weil ich eine andere Geschichte wollte. Gott liebt einfach, weil er Liebe ist.

Ich erzähle von Gott, nicht weil ich nie gezweifelt habe, sondern, weil ich mein Dennoch gefunden habe.

Regina Neufeld, im Februar 2019


1 Mary Beth Chapman/Ellen Vaughn, Wenn das Leben andere Blüten trägt: Eine Mutter, ein tragischer Unfall und eine Hoffnung, die wächst, Asslar: Gerth Medien, 2011, S. 25.

Prolog

Seine Flügel schlagen langsam auf und nieder.

Er fliegt auf uns zu. Setzt sich auf einen Zaun.

Nur einen kurzen Augenblick.

Und schon ist er wieder davongeflogen.

Ein kleiner Vogel.

Mein kleiner Vogel.

Er hat unser Leben mit seinen weichen Federn gestreift.

Seine zarten Beinchen haben Spuren in unsere Herzen eingebrannt.

Eine kurze Berührung, die tiefe Eindrücke in uns hinterlässt.

Ihre Auswirkungen reichen weiter, als uns bewusst gewesen ist.

Samuel. Gott erhört.

Ja, Gott erhört, aber manchmal so ganz anders.

Von Gott erbeten – das war er. Ein absolutes Wunschkind.

Aber nur geliehen. Er hat uns nie wirklich gehört.

Und doch wird er immer mein Sohn bleiben.

Und ich werde immer seine Mama sein.