Der SCM-Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
Dieses E-Book darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, E-Reader) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das E-Book selbst, im von uns autorisierten E-Book-Shop, gekauft hat.
Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.
ISBN 978-3-417-22792-5 (E-Book)
ISBN 978-3-417-26585-9 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book:
CPI books GmbH, Leck
© 2015 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG
Bodenborn 43, 58452 Witten
Internet: www.scmedien.de; E-Mail: info@scm-verlag.de
Fachliche Beratung: Ingmar Wendland
Die Bibelverse sind in der Regel der Volxbibel entnommen,
© 2012 für das Alte Testament: Pattloch Verlag GmbH & Co. KG, München,
© 2012 für das Neue Testament: Volxbibel-Verlag im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten. Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung Titelillustration sowie Illustration der Kapitelanfänge: Sebastian Reichardt, Herrenberg
Satz: Christoph Möller, Hattingen
Vorwort von Martin Dreyer
Einleitung (Vorrede zu Band I der lateinischen Schriften der Wittenberger Luther-Ausgabe, 1545)
Das Wichtigste, was du als Christ kapiert haben musst (Der Kleine Katechismus, 1529)
Der erste Hauptteil:
Zehn ganz besondere Gesetze, die direkt von Gott kommen
Der zweite Hauptteil:
Worum geht’s beim christlichen Glauben? Das Glaubensbekenntnis
Der dritte Hauptteil:
Das „Vaterunser“-Gebet
Der vierte Hauptteil:
Die jesusmäßige Taufe
Die große Dreck-weg-Aktion
Der fünfte Hauptteil:
Was mit dem besonderen Abendessen abgehen soll
Wie man seinen Leuten beibringen kann, dass man morgens und abends betet
Wie man seinen Leuten beibringen kann, wie man vor dem Essen betet
Zusammenstellung von wichtigen Texten für unterschiedliche Leute
Ein paar Gedanken zu dem Thema, was es bedeutet, als Christ frei zu sein (Abhandlung über die christliche Freiheit, 1520)
Was das mit der Ehe soll und wie man sie auf die Reihe kriegt (Vom ehelichen Leben, 1522)
Einige Briefe Luthers
Ein Brief an Hans Luther, seinen leiblichen Vater
Brief an Spalatin, einen Freund von Martin Luther
Zweiter Brief an Spalatin
Brief an Käthe, die Ehefrau von Martin Luther
An Käthe
Brief an Hans Luther, seinen Sohn
Wie es im Gottesdienst am besten abgehen sollte (Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdienstes, 1526)
Was ich von den Konzilen und der Kirche halte (Von den Konzilen und der Kirche, 1539)
Wie man jemanden wieder gut draufbringt, der gerade von der dunklen Seite heftig angezeckt wird (Tröstung für eine Person in hohen Anfechtungen, 1521)
Ein kurzer Text zur Ermutigung, dass Christen im Gebet immer durchziehen sollten und nie damit aufhören (Ein kurzer Trostzettel für die Christen, dass sie sich im Gebet nicht beirren lassen, 1540)
Ein paar gute Songs, in denen es um den Glauben an Gott geht (Geistliche Lieder)
Vorwort zum Wittenberger Songbook von 1524
Ein Rap zu Weihnachten
Fester Tower
Ein Song über die guten Dinge, die Gott durch Jesus für uns getan hat
Ein paar Tipss, die man kennen sollte, wenn man in den Evangelien, den ersten vier Büchern in den neuen Verträgen, liest (Ein kleiner Unterricht, was man in den Evangelien suchen und erwarten solle, 1522)
Ein offener Brief dazu, wie man die Bibel am besten übersetzen sollte (Ein Sendbrief vom Dolmetschen, 1530)
Gequatsche beim Essen (Aus Luthers Tischreden)
95 Ansagen über die „Mit Geld von Sünde freikaufen“-Praxis (Die Ablassthesen, 1517)
Ein Aufsatz über die Polizei, die Richter und den Staat und wann man tun muss, was sie einem sagen (Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, 1523)
Quellenverzeichnis
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Überall in Deutschland beschäftigen sich die Menschen derzeit mit Martin Luther. 2007 wurde die Lutherdekade ausgerufen, in der das weite Themenspektrum der Reformation bis zum Reformationsjubiläum 2017 aufgegriffen und entfaltet wird. Am 31. Oktober 1517 heftete Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg. Diese Thesen haben die christliche Welt bis heute maßgeblich verändert.
Das hier vorliegende Buch nimmt die wichtigsten und interessantesten Texte Luthers auf und bringt sie in einer frischen Sprache noch einmal neu aufs Tablett. Für mich persönlich war es eine der interessantesten Aufgaben in den letzten Jahren, diese alten Texte von Martin Luther in eine verständliche junge Sprache zu übertragen. Es ist wie ein Blick zurück in die Kirchengeschichte, die mich (und so viele andere Gläubige in Deutschland) im Glaubensleben maßgeblich beeinflusst hat, ohne dass es mir immer bewusst ist.
Luther hat nicht nur die evangelische Kirche, er hat auch alle Freikirchen und selbst die katholische Kirche wahnsinnig geprägt. Das war mir vor der Arbeit an diesem Buch nicht so klar, und ich frage mich, inwieweit das überhaupt im Bewusstsein der Christen in Deutschland heute verankert ist. Dabei ist mir aufgefallen, dass Luther zum einen klar geistlich Position bezieht. Er argumentiert mit dem Wort Gottes, redet vom Gebet, von übernatürlichen Eingebungen und Begegnungen. Luther – ein Charismatiker? Für ihn war die Übersetzung der Bibel ein klar geistlicher Auftrag, den Gott ihm gegeben hatte.
Auf der anderen Seite bleibt er aber auch immer praktisch, am Boden, wirkt nie abgehoben. Er macht sich ganz pragmatisch Gedanken darüber, wie ein Gottesdienst auszusehen hat, wie man die Bibel lesen soll und auch wie man betet. Viele vorformulierte Gebete, die Millionen Christen in Deutschland vertraut sind, haben ihren Ursprung in Martin Luther! Aber auch andere Texte, zum Beispiel seine Ratschläge zum Thema Sex und Ehe, sind alles andere als weltfremd. Luther stand fest im geistlichen Dienst genauso wie im prallen Leben.
Was mich außerdem überrascht hat: Seine Einstellung zum Umgang mit der Bibel erinnert an manche charismatischen Bewegungen der jüngeren Zeit. Und doch schafft er es, diese auf eine gesunde Grundlage zu stellen, die einen krank machenden Glauben verhindert. Das hat mich ermutigt.
Dann kommt immer wieder Luthers ganz menschliche Seite zum Vorschein. Wenn er beispielsweise von seinen Gegnern spricht und sich gegen ihre Kritik vehement und fast zynisch zur Wehr setzt. Da spürt man ihm auch deutlich ab, wie verletzt er ist. Er war eben auch kein Übermensch.
War Luther denn sonst ein Superchrist, der die in allen Punkten perfekte Lehre verbreitet hat? Die Antwort lautet mit Sicherheit nein. Lutherkenner wissen von seinen antijüdischen Artikeln, die er im Alter verfasst hat. Für ihn waren die Juden ein schlechtes Volk, das dringend zum Christentum bekehrt werden müsse – eine rhetorische Steilvorlage für die Nazi-Ideologie 400 Jahre später. Er hat sich auch positiv zu der blutigen Niederschlagung der Bauernaufstände um 1524 geäußert. Aus heutiger Sicht völlig indiskutabel. Es gibt eben auch dunkle Seiten an diesem Gottesmann, die zumindest nicht unerwähnt bleiben sollen.
Trotzdem ist es nicht mein Ziel, Luther zu kritisieren. Das will ich gerne anderen überlassen. Zumal diese dunklen Seiten nie den Kern seines Schaffens ausgemacht haben.
Luther war ein Revolutionär, der die religiösen und politischen Machtstrukturen der Kirche nachhaltig verändern konnte. Er hat nicht nur durch die Übersetzung der Bibel die Christen in eine Mündigkeit geführt, die vorher definitiv so nicht da war. Er hat es auch geschafft, den Glauben vom sonntäglichen Gottesdienst in den Alltag der Menschen zu transportieren. Die Reformen, die er maßgeblich vorantrieb, wollten erkämpft werden, und dabei gab es die verschiedensten Gegner, wie die römische Kirche, Schwärmer, Humanisten oder andere Reformatoren. Mit denen ging er nicht gerade zimperlich um. Viele konfessionelle Gegensätze bestehen heute nicht mehr oder ganz anders. Aber auch als Erneuerer war er vielfach im Denken seiner Zeit verhaftet. Diese beiden Punkte müssen einem bewusst sein, wenn man heute seine Schriften liest und versucht, sie kritisch auf die heutige Zeit anzuwenden.
Martin Luther war auch ein leidenschaftlicher Prediger. In seinen Schriften gibt es massig Ausschweifungen, Wiederholungen und Anspielungen auf uns unbekannte Zusammenhänge. Solche wurden für diese Ausgabe vielfach gekürzt mit dem Bemühen, Zusammenhänge, Witz und Sinn zu erhalten.
Ebenso wurden fromme Schlagworte, Fachbegriffe, Anspielungen und Personenangaben erklärend erweitert. Immer geht es darum, Luthers Gedanken zu aktualisieren und ihm gleichzeitig inhaltlich treu zu bleiben.
Ich wünsche mir, dass Luthers Worte durch dieses Buch neue Leuchtkraft gewinnen. Es lohnt sich, ihm zuzuhören. Wir haben noch immer, auch nach 500 Jahren Reformationsgeschichte, eine Menge von ihm zu lernen.
Martin Dreyer, Berlin 2014
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Einleitung |
Vorrede zu Band I der lateinischen Schriften der Wittenberger Luther-Ausgabe, 1545
Ein Jahr vor seinem Tod erinnert sich Luther noch einmal an schwierige Jahre. Damals kämpfte er darum, den Menschen eine gute und gesunde Art beizubringen, wie man an Gott glaubt. Im Zentrum seines Rückblicks steht die sogenannte „reformatorische Erkenntnis“. Damit meint er den Zeitpunkt, als ihm beim Lesen und Verstehen der Bibel plötzlich tausend Lichter aufgegangen sind. Auf einmal verstand er die Aussagen, die da standen. Das war für ihn wie ein Hammer. Was Luther hier als nur einen Augenblick beschreibt, war aber tatsächlich Teil eines längeren Prozesses.
Hallo! Mein Name ist Martin Luther. Ich möchte alle begrüßen, die es mit ihrem Glauben wirklich ernst meinen.
Immer wieder haben mich Leute belatschert, ich sollte mich endlich hinsetzen und meine Bücher offiziell herausgeben. Wobei ich meine Texte ja nicht unbedingt als Bücher bezeichnen würde. Es ist ja mehr so eine Art Rumgeschreibsel, das ich spät in der Nacht verfasst habe. Ganz schön verwirrtes Zeug, teilweise. Ich wollte das aus zwei Gründen bis jetzt noch nicht tun. Zum einen hatte ich Schiss, dass durch die neuen, frischeren Texte die Klassiker in der Schublade verschwinden. Keiner würde sie mehr lesen, geschweige denn studieren wollen. Zum zweiten gibt es mittlerweile viele andere gute geistliche Bücher auf dem Markt, die von den Christen auch gelesen werden sollten. Ich bin mir sicher: Dafür hat Gott gesorgt, weil er die Menschen so sehr liebt. Dabei denke ich besonders an die sogenannten „Loci communes“, die Grundlagen der Lehre über Gott. Sie wurden von meinem Freund Philipp Melanchthon geschrieben. Er hat diese Bücher besonders für Pastoren und Theologen gedacht. Seine Texte sind genial, um genau dieser Berufsgruppe ein paar gute Tipps beizupulen, wie sie besser predigen und Reliunterricht machen können. Außerdem kann man die Bibel mittlerweile in fast jeder Sprache kaufen. Super!
Aber meine Bücher sind leider alle noch völlig chaotisch und verpeilt – so wie halt auch die Events waren, da kann niemand was dafür. Ich habe die Worte einfach so rausgehustet, wie sie mir gerade ins Hirn geschossen kamen. Ich würde es selbst gerade null klarkriegen, die ganzen Sachen so zu sortieren, dass eine gute Ordnung entsteht, dass es übersichtlich wird.
Am liebsten wäre es mir manchmal, wenn man alle meine Bücher irgendwie aus den Köpfen und von den Festplatten dieser Welt löschen würde. Denn dann gäbe es neuen Platz für viel bessere Texte. Gewisse Leute haben aber wirklich total rumgenervt. Jeden Tag mussten sie mir die Ohren zuschwallen. Es hieß dann immer: „Martin, wenn du deine Botschaft nicht rausbringst, solange du noch lebst, werden das später irgendwelche Hirnis für dich tun, sobald du unter der Erde bist. Die haben aber im Gegensatz zu dir keine Ahnung. Sie wissen gar nicht, wie die ganzen Sachen in den letzten Jahren wirklich abgegangen sind. Sie wissen nichts von den wahren Gründen. Das hätte zur Folge, dass sich ihr Nonchecken dann auf viele andere überträgt!“
Also: Diese Leute haben mich so lange genervt, bis ich mich schließlich darauf eingelassen habe, diese Texte jetzt offiziell rauszubringen. Fast zeitgleich hat auch der große Obermufti von Sachsen hier, der werte Kurfürst Johann Friedrich, ne klare Ansage gemacht. Er hat den Druckern geradezu befohlen, die Bücher nicht nur zu drucken, sondern dabei auch einen Zahn zuzulegen.
Vor allem hab ich eine große Bitte an den freundlichen Leser: dich! Es ist mir sehr wichtig, dass sich jeder eine eigene Meinung bildet – auch wegen Jesus. Lese den Text mit einem gewissen Abstand, und sei mir nicht böse, wenn ich hier und da auch etwas Dünnsinniges geschrieben habe.
Du musst wissen, dass ich damals, als ich mit dem Geschreibsel anfing, noch in einem Kloster gelebt habe und von Beruf Mönch war. Dazu gehörte ich auch noch zu den beknackten Papstfans. Ich war völlig besoffen von der Lehre, die der Papst verbreitet hat. Fast wäre ich da drin sogar ersoffen. Im Rückblick heute kaum zu fassen. Ich wäre damals sogar bereit gewesen, jedem die Kehle durchzuschneiden, der sich gegen den Papst stellt. Und wenn ich es selbst nicht hätte tun können, dann wäre ich zumindest gerne bei der Planung dabei gewesen. Ich hätte so einen Mord, ohne mit der Wimper zu zucken, akzeptiert. Im Grunde war ich genauso drauf wie damals der Saulus zu Zeiten der Bibel. Er hat Christus ja auch zuerst bitter verfolgt. Heute gibt es übrigens immer noch viele von dieser Sorte.
Natürlich: Ich bin selbst zu schlimmsten Zeiten nicht so drauf gewesen wie dieser Mr. Eck, der tolle Theologieprofessor aus Ingolstadt. Der hat ja das ganze Papstsystem immer eiskalt vor den Leuten verteidigt. Es ging ihm dabei aber mehr um seinen eigenen Luxus als um eine Sache, hinter der er wirklich ernsthaft stand. Er hat eben auch finanziell davon profitiert. Und heute? Heute verarschen er und seine Leute den Papst öffentlich. Das finde ich auch nicht okay. Ich habe da einen anderen Style. Mir geht es mehr um eine Diskussion mit ernsthaften Argumenten als nur um aufgeputschte Emotionen. Ich hatte immer schon riesige Angst vor diesem letzten Tag der Erde, wo wir alle zur Gerichtsverhandlung Gottes vorgeladen werden. Alles in mir wollte nur das eine: so leben, dass Gott mich okay findet und annimmt. Ich wollte um jeden Preis bei dieser Gerichtsverhandlung gut durchkommen.
Darum gibt es einige Passagen in diesen Texten, wo ich mich sogar dem Papst annähere. Ich hatte Angst, bei dieser Gerichtsverhandlung alt auszusehen, wenn ich das nicht tue. Heute behaupte ich das totale Gegenteil. Das war echt ätzend für Gott, da bin ich mir mittlerweile sehr sicher. Ich verdamme, was ich da geschrieben habe.
Ich will dich, lieber Leser, also noch mal direkt ansprechen: Bitte verzeih mir diese dummen Äußerungen von damals. Du musst mir einfach zugutehalten, dass ich in der Zeit vieles noch nicht so richtig gecheckt habe. Ich steckte auch in einer ganz anderen Lebensphase als heute. Damals war ich alleine, ich hatte keinerlei Unterstützung. Ich hab mich auch zu ungeschickt angestellt. Außerdem wusste ich vieles noch nicht, was ich heute weiß. Für diese Brocken fehlte mir das nötige Know-how. Schließlich hab ich diesen ganzen Streit ja nicht geplant. Ich wollte das alles gar nicht. Es war mehr ein großer Zufall als Absicht. Das ist wirklich so, ich schwöre es! Gott kann das bestätigen.
Es war das Jahr 1517, als die Sache in mir zu brodeln anfing. Damals wurde dieser Ablasshandel in unserer Gegend stark betrieben. Man kaufte ein Stück Papier für teures Geld. Und dieses Papier sollte dann die Befreiung von den Sünden garantieren. Das war die Botschaft, mit der die Kirche draußen unterwegs war. In der Zeit arbeitete ich noch als Prediger. Ich hatte erst vor Kurzem meinen Doktortitel an der Uni erworben, war also noch ein ganz frischer Theologe. Damals begann ich den Christen davon abzuraten, Geld für das Wegmachen ihrer Sünden an die Kirche abzudrücken. Sie sollten nicht auf diese falschen Prediger hören, sagte ich ihnen. Die Zeit könnten sie mit etwas Besserem verbringen. Dabei war ich mir sicher, dass der Papst voll hinter meiner Sache stehen würde. Schließlich hatte er selbst in einem seiner Artikel diese verrückten Prediger kritisiert, die diese Methode propagieren. Er wendete sich ganz klar gegen diese Praxis, er hat sie sogar verflucht.
Kurz darauf verschickte ich zwei Briefe. Einen an den Erzbischof Albrecht von Mainz. Er bekam in unserem Bezirk die Hälfte von diesem „Sünden erlassen“-Geld. (Die andere Hälfte ging direkt an den Papst, das wusste ich aber damals noch nicht.) Der zweite Brief landete bei der nächstniedrigeren Chefetage: dem für mich zuständigen Bischof zu Brandenburg, Hieronymus Schulze. Ich bat beide darum, gegen diese völlig unsinnige und gemeine Praxis in der Kirche vorzugehen. Gott würde dadurch total ins Lächerliche gezogen und falsch dargestellt. Aber ich kleines Licht wurde einfach nicht beachtet. Ich war ja nur so ein kleines „Mönchlein“, weiter nichts. Man wollte mir also nicht zuhören, deshalb musste ich jetzt andere Kaliber auffahren. So kam ich auf die Idee, meine 95 Ansagen zu veröffentlichen. Außerdem schrieb ich meine Predigt über das Thema „Von Sünden freikaufen oder Freiheit geschenkt bekommen“1. Kurze Zeit später kamen noch Erklärungen dazu. In denen versuchte ich, den Papst in die Richtung zu bewegen, dass er diese Sich-von-Sünden-freikaufen-Praxis zwar nicht öffentlich verdammt, aber zumindest eins zugibt: Wenn jemand gute Dinge aus Liebe tut, dann kauft ihn das noch viel mehr von Sünden frei als so ein Stück Papier.
Aber anstatt etwas in die Richtung zu bewegen, ist genau das Gegenteil passiert. Der Himmel brach über mir zusammen, alles brannte auf einmal lichterloh. Man hetzte den Papst gegen mich auf, ich wurde zu ihm zitiert und das ganze System war auf einmal gegen mich. So viele gegen einen einzelnen Mann. Das ist 1518 passiert, während des Reichstages, diesem Fürsten-Gathering, abgehalten von Maximilian aus Augsburg. Der Kardinal Cajetan war damals noch der Botschafter vom Papst. Er war der Mann, an den sich der werte Kurfürst Friedrich von Sachsen mit meinem Anliegen gerichtet hat. Immerhin konnte er dadurch erreichen, dass man mich nicht gezwungen hat, nach Rom vor den Papst zu heaten. Thomas Cajetan, ein superwichtiger und mächtiger Mann, sollte mich nämlich vorladen. Sein Ziel war es, der ganzen Sache mal auf den Grund zu gehen, aber dann den Streit auch schnell beizulegen.
Nun hatten aber mittlerweile alle Deutschen dieses Rumgedeale, den Diebstahl und die Abzocke durch diese betrügerischen Kirchenleute richtig satt. Alle waren gespannt, wie meine Sache jetzt ausgehen würde. Bis dahin hatte sich ja niemand getraut, diese Praxis auch nur infrage zu stellen. Kein Bischof und kein Theologe waren bereit dazu. Ich spürte in der Zeit einen unheimlichen Rückhalt in der Bevölkerung. Denn die Leute hatten überhaupt keinen Bock mehr auf diese immer wieder neuen Tricks aus Rom, wie man an noch mehr Geld rankommen könnte. Man hasste es mittlerweile, für jeden Pups Geld abdrücken zu müssen.
Ich bin also nach Augsburg gegangen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich kaum Kohle und musste zu Fuß reisen. Allerdings hatte mir der Kurfürst Friedrich einen Rucksack mit Schnittchen, was zu trinken und ein paar Begleiter mitgegeben. Sehr nett. Wichtiger als die Schnittchen waren aber Briefe von ihm in meinem Gepäck, die mir die Türen zum Stadtrat und einigen anderen wichtigen und zuverlässigen Männern öffnen sollten. Ich war drei Tage lang in der Stadt. Erst danach bin ich in das Büro des Kardinals gegangen, denn meine netten Begleiter hatten wirklich mit allen Mitteln versucht, mich davon abzubringen. Ich sollte auf keinen Fall den Weg auf mich nehmen, ohne nicht wenigstens einen Schutzbrief vom Kaiser zu haben. Dabei hat der Kardinal ständig einen Typen zu mir geschickt, der mir gesagt hat, dass ich zu ihm kommen soll. Dieser Kerl ging mir mit der Zeit ganz schön auf die Nerven. Es ginge dem Kardinal doch nur darum, dass ich meine Kritik öffentlich zurücknehme, dann wäre alles wieder in Butter. Es gibt ja diesen Spruch, dass Ungerechtigkeit sehr hartnäckig ist und immer einen neuen Ausweg weiß. So war es auch hier.
Am dritten Tag stand dieser Typ, der mit mir verhandeln sollte, dann wieder da. Er wollte wissen, warum ich nicht schon beim Kardinal persönlich reingeschneit wäre; der hätte doch Bock, mich zu sehen. Ich antwortete, dass ich mich von einigen schlauen Männern hätte beraten lassen. Diese Männer wären mir vom großen Kurfürsten Friedrich empfohlen worden und hätten mir gesagt, ich sollte auf keinen Fall einfach so bei ihm vorbeischneien, ohne eine Garantie, dass mir nichts passiert, oder eine Schutztruppe um mich herum. Aber ich würde mich sofort stellen, wenn man mir diesen Schutz zusagte. Und es gebe bereits Verhandlungen mit einem Beratungsgremium vom Kaiser, damit ich diese Truppe auch bekomme.
Mein Gegenüber war völlig von den Socken. „Denkst du im Ernst, der Kurfürst Friedrich würde so etwas bringen? Denkst du, er würde nur wegen dir eine bewaffnete Truppe zum Kardinal losschicken?“
„Wegen mir muss er das ja nicht tun“, war meine Antwort.
„Und wer beschützt dich dann?“, fragte er zurück.
„Auf mich passt der Himmel auf.“
Er fragte weiter. „Mal angenommen, du könntest den Papst und die Kardinäle in ein Zimmer einsperren, mit einem großen Schloss davor. Was würdest du mit ihnen anstellen?“
„Ich würde klarmachen, dass ich großen Respekt vor ihnen habe!“, antwortete ich.
Das passte dem Typen natürlich nicht, dass ich kein hirnloser Radikaler war. Er zeigte mir den Stinkefinger und verließ den Raum, ohne jemals wiederzukommen.
Am selben Tag schrieb der kaiserliche Rat einen Brief an den Kardinal. Dort stand drin, dass mir der Kaiser zusagte, ich könnte hingehen, wohin auch immer ich will. Ich stände unter seinem Schutz. Dazu schrieb er noch, dass der Kardinal nicht zu streng mit mir sein sollte. Und der soll darauf geantwortet haben: „Wenn Sie meinen. Aber ich werde trotzdem genau das tun, wozu ich von meiner Aufgabe her verpflichtet bin.“ So hat der ganze Streit damals angefangen. Das passte dem Typen natürlich nicht, dass ich kein hirnloser Radikaler war. Er zeigte mir den Stinkefinger. Den weiteren Verlauf kann man aus den Akten entnehmen, die dann in der Folgezeit angefertigt worden sind.
In demselben Jahr war der Magister Philipp Melanchthon vom Kurfürsten Friedrich als Lehrkraft an unserer Uni angestellt worden. Offiziell sollte er den Studenten Griechisch beibringen. Aber ich bin mir sehr sicher, dass hier Gott seine Finger mit im Spiel hatte. Ich sollte Verstärkung kriegen, und wenn ihr mal was von ihm lest, merkt ihr, was er draufhat. Das hat die ganze Theologie, die Lehre von Gott, riesig vorwärtsgebracht. Das kann man leicht beweisen, auch wenn der Satan und seine ganzen Kollegen einen dicken Hals dabei kriegen.
Im Februar des nächsten Jahres (1519) starb dann der Kaiser Maximilian. So wie es das Gesetz vorschreibt, wurde mein Kurfürst Friedrich als Übergangsregent eingesetzt. In der Folgezeit wurde es etwas ruhiger. Nach und nach machte sich aber überall die Meinung breit, dass diese religiöse Praxis, jemanden aus der Gemeinschaft der Christen einfach rauszuschmeißen, ziemlich scheiße ist. Dieser sogenannte „Bann“, der dann über einen verhängt wird, hat ja zur Folge, dass jeder X-Beliebige einen wegballern kann, ohne dafür bestraft zu werden. Und auch, dass der Papst eine derart uneingeschränkte Macht hat, fanden viele nicht mehr so toll.
Kardinal Caracciolo und der Theologe Eck haben trotzdem den Wisch auf den Weg gebracht, in dem ich offiziell von der Kirche in Rom verdammt wurde. Damit war ich mehr als nur gefeuert. Eck machte das Schreiben hier in der Gegend bekannt, Caracciolio brachte eine Kopie zum Kurfürsten Friedrich. Letzterer war damals in Köln, weil er dort dem frisch gewählten Karl zusammen mit anderen Fürsten Hallo sagen wollte. Friedrich war aber völlig genervt von dieser päpstlichen Pappnase. Er machte ihn richtig zur Sau. Er fand es ein Unding, dass Caracciolio und Eck die Leute in seinem Land und dem Land von seinem Bruder Johannes völlig durcheinandergebracht hätten. Kaum wäre er mal ein paar Tage weg, bräche das totale Chaos aus. Seine Kritik war so heftig, dass sie, völlig zusammengestaucht, schnell wieder nach Hause gefahren sind. Sie standen auf einmal extrem peinlich da und mussten sich für das, was sie getan hatten, richtig schämen. Der Fürst war einfach megaschlau. Er hatte lange gecheckt, wie die Leitungs- und Verwaltungsorgane der Kirche ticken. Und er wusste auch, wie man mit diesen Leuten am besten umzugehen hat. Irgendwie hatte er einen siebten Sinn. Er ahnte die kommenden Dinge, dachte immer einen Schritt voraus, weiter, als die Leute da oben aus Rom jemals vermutet hätten.
Übrigens: Ich bin auch ein gutes Beispiel dafür, wie schwer es ist, aus solchen Lügendingern wieder rauszukommen. Ist erst mal so ein falsches Programm in deinem Hirn installiert und hält man es für wahr und richtig, wird es irgendwann zur Normalität. Ach Mann, an diesem alten Sprichwort ist schon echt was dran: „Umdenken ist schwer, und wer sich an einen Umstand erst einmal gewöhnt hat, bei dem geht er in Fleisch und Blut über“. Der alte Lehrer und Theologe Augustinus meinte ganz richtig: „Wenn man nicht aufpasst und sich zu sehr an etwas gewöhnt, muss man es irgendwann tun, es wird zum Zwang.“
Damals hatte ich die Bibel schon sieben Jahre lang intensiv studiert. Im beruflichen und privaten Rahmen habe ich täglich in ihr gelesen und an der Uni darüber gelehrt. Ich konnte sie so gut wie auswendig aufsagen. So kam es auch, dass mir plötzlich so war, als hätte mich ein Hammer genau zwischen die Augen getroffen; ich wusste, um was es im Glauben wirklich geht. Auf einmal kapierte ich die wichtigste Aussage, nämlich dass wir nicht durch unsere tollen Taten gerettet werden können. Nur dadurch, dass wir unser ganzes Vertrauen auf Jesus Christus setzen, kommen wir durch. Nur so landen wir im Himmel. Unsere Taten können uns nicht retten!
Selbst ich hatte öffentlich behauptet: Gott hat den Papst zum Chef der Kirche gemacht! Aber wirklich gecheckt hatte ich das nicht. Heute sage ich: Das Papstamt ist nicht von Gott, es ist vom Antigott, vom Satan höchstpersönlich! Ist doch logisch, oder? Alles, was nicht von Gott kommt, muss vom Satan sein. Es gibt nichts dazwischen.
Ich hatte mir bis zu dem Zeitpunkt nie Gedanken darum gemacht. Ich war noch voll in der alten Denke drin und hatte auch echt Respekt vor der Institution Kirche. Ich dachte, der Papst hätte auch irgendwie ein menschliches Recht. Dabei ist doch Ich war noch voll in der alten Denke drin. klar: Wenn der Papst keine Autorität von Gott hat, dann hat er sie vom Satan! Sein Amt ist von teuflischen Lügen getragen.
Eltern gehorchen wir, weil Gott das so will. Bei Regierungen ist es im Grunde genauso – so steht es auch im 1. Petrusbrief, Kapitel 2, Vers 13. Und deshalb rege ich mich nicht mehr groß darüber auf, wenn jemand total auf dieses Papstding abfährt. Ganz besonders, wenn derjenige die Bibel nicht kennt und auch nicht die Bücher, die Menschen zu dem Thema geschrieben haben. Sie wissen es einfach nicht besser. Hey, und ich war ja kein Stück besser! Viele Jahre lang habe ich die Bibel intensiv studiert, trotzdem war ich bis zum Schluss ein radikaler Fan vom Papst.
1519 verlieh Leo X. dem guten Friedrich die goldene Papstrose. Sie wurde von Karl von Miltitz überbrachte. Das sollte eine Form der Anerkennung sein, mit der sich der Papst wieder bei ihm einschleimen und mit der er gleichzeitig meine Lehre unterdrücken wollte. Er hoffte, dass Friedrich mich ihm jetzt ausliefern würde. Karl von Miltitz belaberte mich auch die ganze Zeit, damit mit dem Papst wieder Friede, Freude, Eierkuchen wäre, und er hatte auch gleich siebzig Poster dabei, alle vom Papst persönlich unterzeichnet. Diese Poster sollten auf dem Weg überall in den Städten und Dörfern ausgehängt werden, damit ich sicher nach Rom kommen würde. Dort wollten sie mir den Kopf wieder geraderücken. Aber im Gespräch verquasselte er sich ein bisschen. Er sagte zu mir: „Martin, bevor wir uns jetzt live getroffen haben, bin ich immer davon ausgegangen, du wärst nur so ein alter kniddeliger Theologe, der den ganzen Tag an der Heizung sitzt und Selbstgespräche führt. Jetzt sitzt hier so ein junger, kräftiger Mann vor mir! Und davon mal ganz ab: Selbst wenn ich fünfundzwanzigtausend bewaffnete Soldaten dabeihätte, würde ich mich nicht trauen, dich öffentlich abzuführen und Karl von Miltitz belaberte mich auch die ganze Zeit, damit mit dem Papst wieder Friede, Freude, Eierkuchen wäre. nach Rom zu verfrachten. Auf meinem Hinweg hab ich mit ganz vielen Leuten gequatscht. Ich wollte wissen, was die Menschen über dich denken. Und ich musste feststellen, dass auf einen, der den Papst toll findet, drei kommen, die auf deiner Seite stehen!“
Das klingt vielleicht ganz nett, aber eigentlich war seine Befragung ein großer Lacher. Denn er hatte auch mit ungebildeten Frauen und Teenie-Mädchen gesprochen, die er in den Jugendherbergen traf. Auf die Frage, was sie vom „Stuhl im Rom“ hielten, dachten die, es wäre ein normaler Stuhl gemeint, der in Rom produziert wurde! Sie kannten das Wort nicht, sie hatten keine Ahnung, dass damit der Papst-Sitz gemeint war. Deshalb antworteten sie: „Woher sollen wir denn wissen, auf was für Stühlen die Menschen in Rom sitzen? Sind die aus Holz oder aus Metall?“
Am Ende bat er mich dann nur, dass ich aufpassen soll, dass ich niemanden zum Krieg anstifte, sondern auf den Frieden achte. Er würde versuchen, dafür zu sorgen, dass der Papst genauso drauf ist. Auf diese Bitte willigte ich gerne ein. Mit der Einschränkung, dass ich nur das erzähle, was ich auch mit meinem Gewissen und der Wahrheit vereinbaren kann. Schließlich sehne ich mich auch nach Frieden, ich will eigentlich keinen Ärger mit denen da oben haben. Mir wurde dieser Konflikt geradezu aufgedrängt. Ich konnte nicht anders, als das zu tun, was ich getan habe. Mich trifft für die Entstehung des Konflikts wirklich keine Schuld.
Miltitz hatte auch Johann Tetzel in sein Büro vorladen lassen. Tetzel war ja bei dieser beknackten „Mit Geld von Sünde freikaufen“-Aktion ganz vorne dabei. Und im Grunde hat er das ganze Drama ins Rollen gebracht. Keiner mochte diesen Schreihals jemals, er war allen völlig unsympathisch. Sie haben ihn ausgenutzt, solange er Erfolg hatte, aber als seine Show zu peinlich wurde, hat der Papst ihn richtig heftig zusammengeschissen. Diese harte Kritik hat er wohl nicht ganz verkraftet. Er wurde übel krank, lag viele Monate nur noch im Bett, bis er dann irgendwann gestorben ist, mit einem gebrochenen Herzen. Als man mir von seinem Zustand erzählt hat, hab ich ihm noch einen wirklich lieben Brief geschrieben, um ihn zu trösten. Ich versuchte, Tetzel Mut zu machen, und schrieb, dass er wirklich keine Angst mehr vor mir haben müsse. Beim Papst war er natürlich unten durch. Das und sein schlechtes Gewissen haben ihm dann wohl den Rest gegeben und er ist gestorben.
Und dann war da noch Karl von Miltitz, der Diplomat vom Papst, den man für eine Null hielt und auf den niemand mehr hörte. Der wollte schließlich diesen Chaoten Tetzel ausbremsen. Aber die Idee kam ihm viel zu spät und Albrecht von Mainz ignorierte ihn dann genau wie vorher meine Warnung. Dazu musste der Papst noch total austicken, mich verdammen, ohne mir zuzuhören, und einen ganzen Shitstorm auf mich niedergehen lassen. Ohne das alles wäre die ganze Revolte vermutlich gar nicht erst passiert. Den Albrecht trifft die ganze Schuld. Er hat sich total überschätzt, dachte, er wäre voll der Schlaumeier. Aber am Ende wurde er von seiner eigenen Schlauheit kaputt gemacht. Er hatte wohl gehofft, meine Aussagen irgendwie auszuhebeln, damit er weiter genug Kohle aus diesem „Mit Geld von Sünden freikaufen“-Ding ziehen konnte. Aber jetzt ist Ende vom Gelände. Alles, was er getan hat, war für den Arsch. Gott hat nicht geschlafen, er ist immer noch unterwegs, um Menschen vors Gericht zu bringen. Und selbst wenn sie uns umbringen, würde es nichts bewirken. Wenn wir leben und gesund sind, bringt ihnen das mehr. Einige von ihnen haben das wohl kapiert, zumindest diejenigen, die ein gutes Gespür für solche Dinge haben.
Nebenbei war ich in dem Jahr auch dabei, die Psalmen auszulegen. Ich hatte die Hoffnung, dass es mir nicht so schwerfallen würde, weil ich ja gerade voll im Fluss war. Kurz vorher hatte ich nämlich die Briefe von Paulus an die Römer, an die Galater und an die Hebräer in meinen Vorlesungen an der Uni ausführlich behandelt. Wie verrückt freute ich mich da drauf, ja, ich war regelrecht besessen davon, endlich den berühmten Paulus durch seinen Brief an die Römer besser kennenzulernen. Da gab es diesen einen Satz aus dem ersten Kapitel, Vers 17. Er passte nicht in meine Denke rein, obwohl ich ihn schon gern kapieren wollte. Dort steht: „Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbart“, also dass die gute Botschaft deutlich macht, wie man mit Gott wieder klarkommen kann. Ich habe dieses Wort „Gerechtigkeit Gottes“ gehasst. Man hatte mir in der Uni beigebracht, es philosophisch zu verstehen, und zwar als eine formale und aktive Gerechtigkeit – so nannten das unsere Professoren. Gott ist also von seinem Charakter her gerecht, und er bestraft deshalb aktiv alle Menschen, die Mist gebaut haben.
Diesen gerechten Gott, der Menschen bestraft, den konnte ich nicht lieben. Nein, im Gegenteil, ich hasste ihn sogar! Selbst als Berufschrist und Mönch, der völlig heilig und gottmäßig lebte, hatte ich Gott gegenüber ständig ein schlechtes Gewissen. Ich fühlte mich als Sünder, als jemand, der Dinge tut, die Gott nicht will. Das war kaum auszuhalten. Ich traute mich noch nicht mal, darauf zu hoffen, dass er mich akzeptieren würde, wenn ich so viel wie möglich für ihn tue.
Dabei hab ich zwar nie über Gott abgelästert. Trotzdem war ich unzufrieden mit ihm, ich hatte einen richtigen Hals. Ich dachte: Was ist das nur für eine Scheiße! Als ob es nicht schon genug ist, dass ein Mensch durch die Sünde von Adam belastet wird. Alleine deswegen sind wir ja eigentlich schon für immer verloren. Und dann werden wir noch durch den Zwang zur Einhaltung der Zehn Gebote mit jeder Art von Frust beladen. Musste uns Gott denn auch noch mit der sogenannten Guten Nachricht eins reindrücken? Denn auch da geht es ja unter anderem darum, dass er sauer auf uns ist und jeden Menschen gerecht richten Ich klopfte heftig bei Paulus an, er sollte endlich mit Antworten rausrücken. wird? Ich war total durcheinander, aber auch wütend, und suchte wie verrückt nach Antworten. Mein Gewissen wusste auch nicht mehr, was es nun glauben sollte und was nicht. Ich klopfte heftig bei Paulus an, er sollte endlich mit Antworten rausrücken. Ich hielt es nicht länger aus, es war kaum zu ertragen. Ich musste herausbekommen, was Paulus eigentlich meinte.
Und dann zeigte mir Gott seine Liebe. Rund um die Uhr war ich am Grübeln, bis ich im Römerbrief endlich auf den Kernpunkt der ganzen Sache stieß: „Die neue Nachricht von Gott macht ganz deutlich, wie man mit Gott wieder klarkommen kann. Und zwar nur dadurch, dass man sein Vertrauen auf Gott setzt. Es steht ja schon in dem alten Buch: ‚Wer sein Vertrauen auf Gott setzt, wird leben.‘“ Da kapierte ich zum ersten Mal, wie das mit der Gerechtigkeit bei Gott aussieht. Sie ist ein Geschenk, das er uns gibt, und es geht um das Vertrauen, durch das wir sie annehmen! Auf einmal wurde mir vieles klar. Durch die Gute Nachricht von Gott im Neuen Testament wird deutlich, wie jemand für Gott okay wird. Es geht nicht darum, dass wir etwas für ihn tun. Es ist etwas Passives, nichts, wofür wir megaviel arbeiten müssen. Der liebende Gott macht uns okay dadurch, dass wir unser Vertrauen auf ihn setzen. So steht es ja da in der Bibel! Im Römerbrief schreibt Paulus im 28. Vers des 3. Kapitels: „Meine Schulden bei Gott sind bezahlt, weil ich auf Jesus vertraue, und nicht, weil ich so toll lebe und mich genau an die Gesetze halte, die Mose früher einmal aufgeschrieben hat.“ Das hat bei mir voll reingeknallt. Ich fühlte mich, als könnte ich noch einmal von vorne anfangen. Es war wie ein neuer Lebensabschnitt, wie eine neue Geburt. Die Tür zum Himmel stand auf einmal weit offen. Ich war im Paradies angekommen! Wie cool!
Von dem Zeitpunkt an hab ich ganz neue Seiten an der Bibel entdecken können. Ich scannte alle Bibelstellen, die ich in meinem Kopf gespeichert hatte. Immer wieder stieß ich auf diese Aussage. Zum Beispiel, wenn dort von den „Werken Gottes“ geschrieben wird, dann sind damit die Dinge gemeint, die Gott in uns macht. Bei den Worten „Kraft Gottes“ geht es darum, dass er uns seine Kraft gibt. „Weisheit Gottes“ heißt, dass er uns weise macht. Und so ging es immer weiter. „Stärke Gottes“, „Heilung Gottes“, „Ehre Gottes“ – überall war das der Fall. Gott tut es, und nicht wir.
Früher bekam ich voll den Hass, wenn ich nur die Worte „Gerechtigkeit Gottes“ hörte, aber jetzt konnte ich mich auf einmal wie blöd darüber freuen! Es waren die schönsten Worte, die ich über alles lieben konnte. Diese Stelle aus dem Brief von Paulus war für mich wie eine offene Tür in den Himmel. Später hab ich mir dann noch das Buch von Augustinus „Vom Geist und vom Buchstaben“ gegeben. Völlig überrascht entdeckte ich, dass er die Worte „Gerechtigkeit Gottes“ so ähnlich ausgelegt hat wie ich. Es geht bei ihm um eine Gerechtigkeit, die Gott für uns hat, er macht uns korrekt, nicht wir uns. Sie ist wie ein Anzug von Gott, den wir überstreifen können. Diese Erkenntnis war jetzt noch nicht ganz fertig und hat noch nicht alles genau auf den Punkt gebracht. Aber ich war begeistert, dass eins ganz klar war: Gottes Gerechtigkeit macht uns für ihn okay!
Als ich das kapiert hatte, hab ich mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf ein zweites Mal angefangen, alle Psalmen auszulegen. Leider ist dieses Psalmenbuch nie fertig geworden, es wäre ein ziemlich dicker Schmöker geworden. Denn im nächsten Jahr wurde ich vom Kaiser Karl V. in den Reichstag nach Worms vorgeladen.
Ich schreibe das hier an dich, lieber Leser, damit du eine Sache weißt: Ich war keiner von den Leuten, die ganz plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht sind und sich nach oben geschleimt haben. Ich bin eher so eine Nummer wie Augustinus. Ich musste mir durch viele Bücher und viele Vorlesungen den Weg langsam nach oben erarbeiten. Die anderen haben weder gearbeitet noch kennen sie wirkliche Probleme. Sie haben auch keine Erfahrungen gesammelt, sondern schauen nur einmal kurz auf den biblischen Text und schon sind sie müde.
Dieser ganze Streit mit dem „Mit Geld von Sünden freikaufen“-Ding dauerte so bis 1520/21. Als Nächstes stand die Diskussion mit denen an, die nicht glauben, dass bestimmte geistliche Rituale auch wirklich was bringen – diesen Sakramentierern. Und dann die heftige Sache mit den Menschen, die sich noch einmal taufen lassen wollen. Wir nennen sie auch die Wiedertäufer. Dazu will ich vielleicht später noch mal etwas schreiben, wenn ich dann noch lebe. Es könnte ein gutes Vorwort für einen der nächsten Bände werden.
So, das war es jetzt für diesen Part. Alles Gute, lieber Leser, bis bald! Bitte bete mit mir, dass die Worte von Gott wie eine Pflanze auf der Welt wachsen und dass sie das Wirken von Satan eindämmen können. Satan hat nämlich Power. Er ist sehr gemein. Gerade jetzt ist er richtig krass sauer. Denn er hat kapiert, dass seine letzte Stunde geschlagen hat. Die Macht von seinem Papst steht gerade auf dem Spiel.
Ich wünsche mir, dass Gott das, was wir von ihm bekommen haben, immer größer macht und dass er das, was er in uns angefangen hat, auch zu Ende bringt. So steht es in Psalm 138, Vers 8: „Gott, du bringst für mich das ganze Ding schließlich zu Ende. Weil du mich immer noch liebst, trägst du mich auf Händen. Hör nie auf damit, Dinge für mich zu tun, mein großer Gott. Zieh dein Ding mit mir durch, dann geh ich niemals Schrott.“
Bis dann, tschüss und Amen [so passt es]!
Martin Luther am 5. März 1545
Martin Dreyer am 5. März 2014
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Das Wichtigste, was du als Christ kapiert haben musst – Kleines Grundlagenbuch über den christlichen Glauben |
Der Kleine Katechismus, 1529
Luther ging es zuallererst gar nicht um die Kirche. Ihm war wichtig, dass jeder einzelne Mensch davon erfährt, wie sehr Gott ihn liebt. Dass jeder erfährt, wie es sich anfühlt, von Jesus befreit zu werden. Weil die Pfarrer zwar die kirchlichen Zeremonien durchführten, aber vom Evangelium selbst keine Ahnung hatten, fasste Luther für sie in diesem kleinen Grundlagenbuch das Wichtigste zusammen, was sie den Menschen beibringen sollten. Man nennt dieses Buch auch den Kleinen Katechismus.
An: alle Pfarrer, Prediger, Pastoren, Relilehrer und andere Mitarbeiter in der Gemeinde, die es mit dem Glauben ernst meinen
Von: Martin Luther
Hallo! Als Erstes wünsche ich euch voll, dass ihr Gottes bedingungslose Liebe erfahrt. Er kennt das Leben, er fühlt mit uns. Und durch den Glauben an Jesus Christus bekommen wir einen unbeschreiblichen Frieden in unsere Denke.