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Jennifer und Jasmin Tietz: Diese Geschichte ist für euch.

Damit ihr nie aufgebt, an euch zu glauben.

Michelle Maier: Diese Geschichte ist für dich.

Weil du die grandiose Idee für Jacks erste Vision hattest.

Andrea Richner: Diese Geschichte ist auch für dich.

Damit du nie dein Lächeln verlierst.

Demetri Betts: Diese Geschichte ist ganz speziell für dich,

weil das Jahr 2012 eines der härtesten deines Lebens war.

Und du hast es dennoch geschafft, wieder aufzustehen.

Inhalt

Inhalt

Prolog

Kleines Mädchen

Der Mann im schwarzen Mantel

Jacks Zuhause

Wieder im Team

Die Nachricht an der Pinnwand

Eine schwere Entscheidung

Falsche Frage

Der Jugendgottesdienst

Gespräch mit Mr Wilson

10 Die Vorfreude eines Vaters

11 Das Spiel

12 Das perfekte Geschenk

13 Dem Rätsel auf der Spur

14 Der letzte Schultag

15 Besuch bei El Dragon

16 Reise in die Vergangenheit

17 Das Tagebuch

18 Vater und Sohn

19 Die Abschlusszeremonie

20 Ende eines Albtraums

Prolog

Ein paar Jahre zuvor, im Büro des Schuldirektors …

»Mr Clifford. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.«

»Aber gerne. Setzen Sie sich doch, Mrs Reese.« Der Schuldirektor bot der jungen Frau einen Stuhl an, während er selbst hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. »Also. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Es geht um Sam«, sagte Mrs Reese, während sie etwas nervös an ihrer Handtasche herumspielte. »Da gibt es etwas, das Sie wissen sollten.«

»Sprechen Sie.«

Die Frau räusperte sich. »An der früheren Schule ist Sam deswegen oft gehänselt worden. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft mein Kind weinend nach Hause kam. Was damals passiert ist, hat tiefe Spuren hinterlassen, und ich möchte nicht, dass sich das an St. Dominic’s wiederholt.«

Clifford hörte der Frau aufmerksam zu. »Worum genau geht es denn?«

»Die Sache ist die …« Mrs Reese zögerte ein wenig, als würde sie sich dafür schämen, es zu sagen. Aber schließlich weihte sie den Schuldirektor ein. »Ich hoffe, Sie verstehen, dass dies eine sehr delikate Angelegenheit ist.«

Der Schuldirektor nickte. »Absolut. Ich werde die Lehrer entsprechend informieren.«

»Dann kann ich also mit Ihrer Verschwiegenheit rechnen?«

»Das können Sie«, versicherte ihr Clifford. »Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs Reese. Unsere Aufgabe ist es, unseren Schülern die bestmögliche Ausbildung zu geben, die das Land zu bieten hat. Alles andere ist für uns nicht von Belang. Sam wird bei uns gut aufgehoben sein.«

1 Kleines Mädchen

Heute …

»Lasst mich los!«

»Hör auf zu weinen!«

»Was hab ich euch getan?«

»Du bist ein Weichei. Eine Heulsuse wie meine kleine Schwester. Ein Mädchen bist du!«

»Ich bin kein …«

»Schnauze, Sam!«

Eric, Eddie und Mike zerrten Sam in die Herrentoilette und in eines der Toilettenabteile. Sam versuchte, sich aus dem Griff der Jungs zu befreien, doch sie waren zu kräftig. Und sie waren zu dritt. Er hatte keine Chance.

»Los, runter mit dir!«

»Autsch! Hört auf!«

Eddie und Mike drehten ihm unsanft die Arme auf den Rücken und zwangen ihn, sich vor dem Klo hinzuknien.

Eric klappte die Klobrille hoch und sah schadenfroh auf sein wehrloses Opfer herab. »Na, Sam, heute schon geduscht?« Er nickte seinen Spießgesellen zu, worauf diese den Kopf des Schülers so tief in die Kloschüssel tauchten, wie es ihnen möglich war. Eric betätigte die Spülung.

Das Wasser rauschte um Sams Kopf und erstickte seine Hilferufe. Der Junge prustete und schnappte nach Luft. »Hört auf! Bitte, hört auf!«

Doch die drei dachten nicht daran aufzuhören. Sie lachten nur und hielten ihn eisern fest.

Eric schnupperte. »Riecht ihr das? Irgendwie stinkt es hier nach Versager, findet ihr nicht auch?«

»O ja.« Eddie grunzte. »Der totale Versagergestank liegt in der Luft.«

»Ekelhaft«, gab ihnen Mike recht und presste Sams Kopf nach unten. »Spül noch mal. Vielleicht geht’s dann weg.«

»Nein!« Sam strampelte und trat nach hinten aus. Erfolglos. Seine Peiniger kannten keine Gnade. Die Spülung rauschte ein zweites, dann ein drittes Mal. Sam hatte das Gefühl zu ertrinken. Seine schwarzen, langen Haarsträhnen tropften. Der Kragen seines weißen Schuluniformhemdes war ganz nass.

Die Jungs grölten, rissen dumme Sprüche und labten sich an Sams Hilflosigkeit. Wahrscheinlich hätten sie noch ewig so weitergemacht, wäre nicht plötzlich die Toilettentür aufgegangen.

»Was geht hier vor?«, erklang die durchdringende und unverkennbare Stimme von Sergeant Jones. Er war Geschichtslehrer und gleichzeitig Coach der Tigers, des Basketballteams. Jones war mit Abstand der strengste Lehrer an der St. Dominic’s Highschool. Normalerweise zuckte Sam automatisch zusammen, wenn er diese militärische Stimme hörte, mit der ihn Jones im Unterricht schon allzu oft vor den Schülern zur Schnecke gemacht hatte. Doch jetzt war der Klang seiner Stimme eine echte Erlösung. Jones hatte Autorität, und selbst Eric, Eddie und Mike hätten es niemals gewagt, ihm zu widersprechen. Und das, obwohl sie die Star-Basketballspieler an der Schule waren und sich mehr oder weniger erlauben konnten, was sie wollten. Sie ließen Sam sofort los und stolperten eifrig aus dem Toilettenabteil.

»Äh, nichts geht hier vor, Sir«, sagte Eric und fuhr sich mit einer legeren Bewegung über seine Cornrows, die an seiner Kopfhaut entlang geflochten waren und im Nacken in kleinen Rastazöpfchen endeten. »Ist alles in bester Ordnung.«

»Und das soll ich glauben?« Jones spähte misstrauisch in das Abteil hinein.

Sam saß zusammengekauert neben der Toilettenschüssel, zitternd und nass, die Wangen mit schwarzer Augenschminke verschmiert. Sein Blick war ein einziger Hilfeschrei.

Doch der Coach ignorierte ihn. Er war kein Mann des Mitleids. Er war ein Sergeant, trug sogar während des Unterrichts eine Militäruniform in Tarnfarben und zog wegen einer Kriegsverletzung – so wurde jedenfalls gemunkelt – sein linkes Bein etwas nach. Sein einziges Motto hieß Leistung und Disziplin. In seiner Welt galt nur der etwas, der Stärke und Intelligenz bewies.

»Wollen Sie etwas dazu sagen, Mr Reese?«, fragte er Sam kalt.

Sam schielte am Lehrer vorbei. Eric, Eddie und Mike warfen ihm ein paar unmissverständliche Blicke zu. Sam wusste genau, was ihm blühte, wenn er es wagen sollte zu petzen. Sie würden ihm nach der Schule auflauern und ihn windelweich prügeln. Es wäre nicht das erste Mal.

Sams Augen wanderten zurück zu Sergeant Jones. »Nein, Sir«, murmelte er und kämpfte gleichzeitig gegen die aufsteigenden Tränen an, während die Jungs im Hintergrund zufrieden grinsten.

Der Lehrer musterte Sam mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Desinteresse und meinte nur: »Erbärmlich.« Dann drehte er sich um und wandte sich an Eric, Eddie und Mike. »Und Sie, meine Herren, sollten Sie nicht längst in der Sporthalle sein?«

Die drei nickten getreulich. »Natürlich, Coach. Wir sind schon unterwegs, Coach.«

Jones blickte auf seine Armbanduhr. »Das Training beginnt in exakt sechs Minuten und vierzig Sekunden. Ich schlage vor, Sie beeilen sich.«

»Ja, Sir!«

Die Jungs eilten davon. Auch der Geschichtslehrer schickte sich an zu gehen und ließ Sam ohne ein einziges tröstendes Wort zurück. Einen letzten Kommentar konnte er sich dennoch nicht verkneifen. »Ein richtiger Mann weiß sich zu wehren«, sagte er im Hinausgehen. »Vielleicht lernen Sie es noch, Mr Reese.«

Die Türflügel des Gerichtssaales öffneten sich und Jenny sprang erwartungsvoll von der unbequemen Holzbank im Flur auf. Es war der 10. März, kurz nach 16 Uhr. Über eine Stunde hatte Jacks Verhandlung gedauert und die ganze Zeit lang hatte Jenny seinetwegen wie auf Nadeln gesessen. Da sie nicht zur Familie gehörte, hatte sie draußen warten müssen. Zusammen mit seinem Bewährungshelfer, einem Mann mit billigem braunem Anzug und Krawatte, kam Jack aus dem Gerichtssaal. Der Siebzehnjährige sah ziemlich fertig aus.

»Und? Wie ist es gelaufen?«, erkundigte sich Jenny erwartungsvoll.

Jack blieb stehen und stieß die Luft aus den vollen Wangen. »Es war heftig. Die haben nochmals die ganze Geschichte ausgegraben, jedes Detail zerpflückt. Dabei steht doch alles in den Akten. Der Staatsanwalt war besonders hartnäckig. Hat mich hingestellt, als wäre ich der Staatsfeind Nummer eins. Ich hab echt gedacht, ich verlier gleich die Kontrolle und spring ihm an die Gurgel.«

»Ja, und?«, drängte Jenny. »Musst du wieder ins Jugendgefängnis oder nicht?«

Jack sah Jenny an und lächelte. »Nein, muss ich nicht.«

»Ja!«, rief sie und ballte vor Freude die Fäuste in die Luft. »Ja! Ja, ich wusste es! Ich wusste es! Und die Fußfessel?«

Als Antwort hob Jack das rechte Hosenbein etwas hoch und gab Jenny den Blick frei auf seinen Knöchel. Das schwarze Kästchen, die elektronische Fußfessel, die Jack wegen seiner Straftat über ein Jahr lang hatte tragen müssen, um jederzeit von der Polizei geortet werden zu können, war weg.

»O Jack! Das ist klasse!«, rief Jenny aufgeregt. »Das heißt, du bist ein freier Mann und kannst wieder gehen, wohin du willst?«

»Das kann ich«, sagte Jack. »Keine Einschränkungen mehr. Keine Überwachung. Damit ist endgültig Schluss. Die einzige Auflage, die der Richter gemacht hat, ist, dass ich mich alle drei Monate bei Mr Gilsig melden muss, bis die zweijährige Bewährungsstrafe rum ist.«

»Und ich rate dir dringend, diese Termine wahrzunehmen«, mischte sich Mr Gilsig, Jacks Bewährungshelfer, unaufgefordert ins Gespräch ein. »Also werde bloß nicht übermütig, Junge.« Er nickte Jack kühl zu. »Wir sehen uns dann in drei Monaten. Wiederseh’n.«

»Wiederseh’n, Mr Gilsig«, sagte Jack höflich. Der Mann schritt davon, und kaum war er weg, warf sich Jenny Jack kurzerhand um den Hals und küsste ihn.

»Jack, das sind großartige Neuigkeiten!«, meinte sie strahlend. »Das müssen wir unbedingt feiern. Heute Abend in Bart’s Café stoßen wir auf deine Freiheit an, okay?«

Jack schmunzelte. »Man könnte beinahe glauben, du hättest die Fußfessel getragen und nicht ich.«

»Ich freu mich halt für dich.«

»Ich weiß«, sagte Jack und die Erleichterung in seinem Gesicht war nicht zu übersehen. »Tu ich auch. Mehr als du ahnen kannst.« Er legte seine Hände um Jennys Hüften und die zwei küssten sich.

»Komm mit.« Jack zog seine Freundin an der Hand mit sich. »Ich will dir etwas zeigen.«

»Was denn?«

»Wirst schon sehen. Komm.«

Die beiden Jugendlichen schnappten sich ihre Jacken und Motorradhelme von der Holzbank, verließen eilends das Gerichtsgebäude und gingen zu Jacks geparktem Motorrad. Jenny schlüpfte in ihre Sommerjacke, Jack in seine schwarze Lederjacke. Sie setzten die Helme auf, Jack schwang sich auf den Motorradsattel und Jenny nahm dicht hinter ihm Platz. Dann schlang sie ihre Arme um seinen Körper. Sie liebte es, mit Jack Motorrad zu fahren. Jack gab Gas und mit heulendem Motor brausten sie davon.

Sie durchquerten Thomasville, bogen in eine Landstraße ein und fuhren durch weite Felder und Wiesen, vorbei an einsamen Bäumen, verlassenen Scheunen und verwilderten Waldstückchen. Jenny kannte die Gegend nicht und war gespannt, wo Jack sie hinbringen würde. Der Weg schlängelte sich durch die hügelige Landschaft. Schließlich brachte Jack die Maschine ein paar Meter unterhalb einer mit hohem Gras bewachsenen Anhöhe zum Stehen. Direkt über ihnen, an der höchsten Stelle des Hügels, ragte eine wuchtige Eiche mit knorrigen Ästen in die Höhe. Sie stiegen vom Motorrad und nahmen ihre Helme ab.

»Wir sind da!«, sagte Jack und hängte seinen Helm an den Lenker. »Komm.«

Sie kraxelten die wenigen Meter zur Spitze des Hügels hoch, von wo man einen herrlichen Blick über das ganze Tal hatte.

»Wow«, meinte Jenny fasziniert und blieb unter der mächtigen Eiche stehen. Sie deutete mit dem Finger auf ein paar Häuser in der Ferne. »Ist das Thomasville?«

»Nein. Thomasville ist da hinten«, sagte Jack. »Das da drüben ist Green Valley. Und wenn du ganz genau hinguckst, siehst du sogar eure Villa.«

»Im Ernst? Du kannst von hier aus unser Haus sehen?«

»Ja. Gleich da! Siehst du es?«

Jenny kniff die Augen leicht zusammen und folgte mit ihrem Blick der Verlängerung von Jacks Zeigefinger. »Du hast recht! Ich glaube, ich seh sie wirklich!« Sie lächelte. »Ist echt wunderschön hier. Warum zeigst du mir diesen Ort erst jetzt?«

»Mein Bewegungsradius hat es leider nicht eher zugelassen«, antwortete ihr Jack. »Die blöde Fußfessel hätte schon vor zehn Minuten Alarm geschlagen. Früher bin ich oft hierhergekommen, vor allem, wenn ich Stress mit meinem Vater hatte. Hier oben fühlte ich mich irgendwie …«

»… frei«, beendete Jenny seinen Satz, während sie in die Ferne schaute.

»Ja. Frei.« Jack trat von hinten an seine sechzehnjährige Freundin heran, legte seine Arme um sie und schmiegte sein Gesicht an das ihre. »Ich liebe dich, Jenny.«

»Ich liebe dich auch, Jack.«

Lange standen die beiden einfach nur da, lauschten dem Säuseln des warmen Windes, der die Blätter der Eiche kitzelte, blickten über die sanften Hügel und geschlungenen Täler und genossen es, beisammen zu sein.

Kaum zu glauben, dass wir schon fast zwei Monate zusammen sind, dachte Jenny. Sie erinnerte sich noch lebhaft an den Tag, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Das war vor vier Monaten gewesen, genauer gesagt am 8. November, in der Mensa von St. Dominic’s. Es war Jacks erster Tag an der privaten Highschool gewesen und Jenny hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Kein Wunder, Jack sah auch umwerfend gut aus. Er war schlank, sportlich, hatte schwarzes Haar, grüne Augen und eine geheimnisvolle Ausstrahlung, etwas Unnahbares, Rätselhaftes, das Jenny vom ersten Moment an in ihren Bann gezogen hatte. Dass Jack tatsächlich ein düsteres Geheimnis mit sich herumschleppte, hatte sie damals noch nicht gewusst. Erst nach einigen turbulenten Abenteuern hatte sie herausgefunden, weswegen er dieses elektronische Kästchen mit eingebautem Minisender am Fußgelenk trug und was für eine tragische Geschichte sich dahinter verbarg. Aber es war ihr egal, was Jack getan hatte. Es war ihr egal, dass er aus armen Verhältnissen stammte. Und es war ihr egal, dass ihr Vater, Inhaber der Lamoure Investment Bank, nicht mit dieser Beziehung einverstanden war. Sie liebte Jack. Und sie hätte diese Freundschaft um nichts in der Welt wieder hergegeben.

Auch bei Jack war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Zuerst hatte er sich mit Händen und Füßen gegen seine Gefühle gesträubt. Es durfte nicht sein, dass er sich in ein Mädchen wie Jenny verknallte. Niemals. Sie, die Tochter einer der wohlhabendsten und angesehensten Familien in Green Valley, er, eine Halbwaise und Sohn eines arbeitslosen Alkoholikers aus Thomasville. Sie lebte in einer luxuriösen Villa auf einem Berg, er in einem heruntergekommenen Trailerpark im Wald. Ihre Leben hätten unterschiedlicher nicht sein können, und doch hatte sich Jack wie magisch zu ihr hingezogen gefühlt. Sie war anders. Sie spielte sich nicht auf, sie tratschte nicht, sie war bescheiden und warmherzig. Obendrein war sie äußerst attraktiv, auch wenn sie es nicht zur Schau stellte wie so manche Mädchen an St. Dominic’s. Jenny war schlank, hatte ein feines Gesicht, dunkelbraunes, leicht gewelltes, schulterlanges Haar und tiefblaue Augen. Jack hatte nie ganz verstanden, warum ein Mädchen wie Jenny ausgerechnet auf jemanden wie ihn stand. Sie war zu gut für ihn. Sie war rein und edel, er rau und mit jeder Menge Ärger am Hals. Und doch waren sie seit fast zwei Monaten ein Paar und verliebt wie am ersten Tag.

»Stell dir vor«, sagte Jack, nachdem sie eine Weile schweigend dagestanden hatten, »Sergeant Jones hat mich gefragt, ob ich zurück ins Basketballteam käme.«

Jenny löste sich aus Jacks Umarmung und drehte sich ihm zu. »Echt? Das ist toll! Aber ich dachte, die Mannschaft wäre vollständig. Jones hat doch Dylan reingenommen, als du fort warst.«

»Stimmt. Aber nach vier Niederlagen in Folge will er mich wieder an Bord holen.«

»Und was hast du gesagt?«

»Dass ich ihm morgen meine Antwort gebe.«

»Wenn du wieder einsteigst, werden Eric und seine Jungs nicht gerade begeistert sein. Immerhin hast du ihnen die letzte Meisterschaft vermasselt.«

»Ich weiß.« Es war das Endspiel gegen die Skorpions gewesen. Nur noch ein einziger Korb hatte den Tigers zum Pokalsieg gefehlt. Und Jack hatte es verbockt. Der Grund, warum er den Korb nicht geworfen hatte, interessierte die wenigsten. Dabei hatte er durch sein beherztes Eingreifen einem Mädchen das Leben gerettet. Doch für die allermeisten war nur Fakt, dass Jack die Mannschaft und damit die gesamte Schule um den Meisterschaftstitel gebracht hatte. Viele Schüler trugen ihm das noch immer nach. Die Basketballmannschaft war der Dreh- und Angelpunkt einer jeden Highschool. Eine gute Mannschaft war wie ein Aushängeschild für die gesamte Schule und Jacks Verhalten wurde von den meisten schlicht und einfach als Verrat an St. Dominic’s gesehen. Was er getan hatte, war in ihren Augen unverzeihlich. Dass Jones ihn dennoch wieder aufstellen wollte, war gewagt. Und es roch förmlich nach Ärger.

»Keine leichte Entscheidung«, stellte Jenny fest. »Was wirst du tun?«

Jack grinste. »Kannst du dir das nicht denken?«

Mit aufgeklapptem Taschenmesser stand Sam in seinem Zimmer vor dem Spiegelschrank und betrachtete sein Spiegelbild, als gäbe es nichts daran zu mögen, als wäre sein Gegenüber das verabscheuungswürdigste Geschöpf des gesamten Universums.

»Hör auf zu flennen, kleines Mädchen!«, knirschte er und ballte seine Fäuste. »Was guckst du so dämlich? Bist du beschränkt oder was? Du bist eine Null, ein Nichts, ein Niemand! Hast du das noch immer nicht kapiert? Man sollte dich in der Toilette ertränken! Jemand wie du hat es nicht verdient zu leben!«

Sams Blick tastete voller Feindseligkeit jeden Zentimeter des Jungen im Spiegel ab. Der Junge, den er da musterte, war klein und schmächtig. Er trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt, auf dem mit weißen Buchstaben stand: »Herz zu verkaufen. Schlechter Zustand. Ich geb alles dafür. Bitte! Schneid es raus und erlöse mich von meinem Leiden!« Er trug fingerlose schwarze Handschuhe und um den Hals eine Kette mit einem Fledermausanhänger. Sein Haar war pechschwarz und stachelig. Ein paar lange Strähnen fielen ihm schräg über die Stirn. Das blasse Gesicht war gespickt mit Piercings. Seine Augen und Lippen waren schwarz geschminkt.

Sam umklammerte das Messer in seiner Hand und stach in die Luft, als wolle er damit sein eigenes Spiegelbild durchbohren. »Du Heulsuse! Du elendes, trauriges Ding. Warum wehrst du dich nicht? Hm? Worauf wartest du noch?« Er stach erneut zu, genau auf der Höhe seines Herzens. »Bist wohl zu feige dafür, was, kleines Mädchen? Komm schon, ein richtiger Mann weiß sich zu wehren!« Er zerstach die Luft wieder und wieder und sein Gesichtsausdruck wurde mit jedem Stich grimmiger.

»Komm schon, kleines Mädchen!«, schnaubte er bitter in den Spiegel. »Komm schon und wehr dich, wenn du dich traust! Komm schon! Komm schon! Komm schon!«

»Sam?«

Sam wirbelte erschrocken herum. Seine Mutter stand in der Zimmertür.

»Mom, was soll das?! Du kannst hier nicht einfach so hereinplatzen!«

»Tut mir leid, Liebling«, antwortete seine Mutter, während ihr Blick zu dem Messer in Sams Hand und dann unweigerlich zu den Schnitten an seinen Handgelenken wanderte. Es war offensichtlich, dass Sam sich wieder geritzt hatte. Doch seine Mutter wusste zu schweigen. Sie hatte ihn einmal darauf angesprochen und das Gespräch war, gelinde ausgedrückt, nicht besonders gut verlaufen. Seither wurde in der Familie Reese nicht mehr darüber geredet, zumindest nicht mit Sam. Auch über seine schwarzen Kleider, seine depressive Laune und die vielen düsteren Poster an den Wänden seines Zimmers verlor Mrs Reese keine Worte mehr, teils aus purer Überforderung, teils aus Furcht, ihr Kind würde sich sonst vollständig von ihr abschotten. Nur die Besorgnis in ihren Augen blieb und sagte mehr als tausend Worte.

»Was willst du?«, fragte Sam. »Ich bin beschäftigt.«

»Ich wollte nicht stören. Aber ich war grad am Aufräumen. Schau mal, was ich auf dem Dachboden gefunden habe.« Sie hielt einen alten Teddy hoch.

Sam war alles andere als entzückt. »Mom! Ich bitte dich! Ich bin sechzehn!«

»Nun ja, ich dachte …« Mrs Reese deutete mit dem Kopf auf ein Bücherregal an der Wand, auf dem jede Menge Plüschtiere saßen. »Okay, dann eben nicht. Ich … ich geh dann mal wieder. Abendessen ist in zehn Minuten fertig.«

»Zur Kenntnis genommen«, brummte Sam. »Und schließ bitte die Tür hinter dir!« Er wartete, bis seine Mutter gegangen war, dann wandte er sich wieder seinem Spiegelbild zu und fauchte es giftig an: »Was gibt’s da zu glotzen? Willst du dich etwa mit mir anlegen? Vergiss es. Das schaffst du eh nicht. Weißt du was, kleines Mädchen? Ich mach dich fertig! Ich mach dich so was von fertig, dass du dir wünschen wirst, nie geboren zu sein. Wirst schon sehen!«

2 Der Mann im schwarzen Mantel

In Bart’s Café war wie immer viel los. Das Café war nur ein paar Straßen von der Highschool entfernt und ein beliebter Treffpunkt der Schüler, um nach dem Unterricht mit Freunden abzuhängen und den neusten Klatsch auszutauschen. Zwischen 18 und 21 Uhr gehörte das Lokal praktisch St. Dominic’s. In einer lockeren Atmosphäre saßen die Schüler an den kleinen Tischchen, spielten Billard, wählten ihre Lieblingssongs von der Musikbox und verschlangen jede Menge Burger, Pommes, Softdrinks und Milchshakes. Die Wände waren verziert mit einem Elchgeweih, einer amerikanischen Flagge, Bildern von berühmten Baseballspielern und einem signierten Baseballschläger. Außerdem gab es einen Fernseher, auf dem fast ununterbrochen Baseball lief. Bart, der Lokalbesitzer, war selber ein großer Baseballfan. Er war ein rundlicher, geselliger Mann mit roten Wangen und einem dünnen graubraunen Haarkranz. Alle waren per Du mit ihm.

Jenny und Jack betraten das Lokal gegen 20 Uhr und suchten sich ein freies Tischchen direkt am Fenster.

Bart kam auch gleich zu ihnen, um ihre Bestellung aufzunehmen. »Na, was darf’s denn sein? Ein Himbeershake wie immer?«, fragte er Jenny.

»Heute nicht. Wir hätten gerne die zwei besten Drinks, die du im Angebot hast«, sagte Jenny und strahlte. »Wir haben nämlich was zu feiern!«

»Na, wenn das so ist, mixe ich euch etwas ganz Besonderes«, meinte Bart und zwinkerte Jenny zu. »Bin gleich wieder da.«

»Was gibt’s denn zu feiern? Und warum bitte schön ist meine Wenigkeit nicht eingeladen?« Ein wasserstoffblonder Haarschopf schob sich in Jennys Gesichtsfeld. Er gehörte Nikki. Ihn und Jenny verband eine langjährige Freundschaft. Sie kannten sich seit der Grundschule. Nikki hatte braune Augen und blondes, fast weißes kurzes Haar, das wie immer sorgfältig mit viel Gel gestylt war. Schließlich war er ziemlich eitel und legte großen Wert auf sein Äußeres, vor allem auf seine Haare. Es gab keinen Tag, an dem er sich nicht herausputzte wie ein Model aus einem Werbekatalog. Außerdem war er als einziger Junge von St. Dominic’s im Cheerleaderteam. Manche machten sich deswegen lustig über ihn. Doch Nikki war es ziemlich egal, was die anderen von ihm hielten (oder er war ein guter Schauspieler). Der Siebzehnjährige war mit Leib und Seele Cheerleader und die Cheerleadermädchen fanden ihn klasse.

Ungefragt schnappte sich Nikki einen Stuhl. »Ich stör doch nicht, oder?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete Jenny, da sie Nikki sowieso nicht hätte abwimmeln können.

Nikki drehte Jack den Rücken zu und ignorierte ihn einfach, während er sich mit Jenny unterhielt – oder besser gesagt, sie vollquatschte. »Sag mal, Mäuschen, täusche ich mich oder hast du tatsächlich einen Hauch Lidschatten aufgetragen?! Jennylein! Was ist nur in dich gefahren? Ich meine, nicht dass es schlecht aussieht. Die Farbe steht dir äußerst gut, mein Sonnenblümchen, auch wenn ich anmerken muss, dass Blau deine blauen Augen noch viel besser zur Geltung bringen würde. Aber das letzte Mal, als ich dich geschminkt gesehen habe, waren wir in der ersten Klasse und haben Peter Pan aufgeführt.«

»Du bist bestimmt Peter Pan gewesen, hab ich recht?« Jack konnte sich ein Lachen nur schwer verkneifen.

Nikki drehte sich Jack zu und streckte die Nase in die Luft. »Zufälligerweise ja. Und ich war der eleganteste Peter Pan, den die Schule je gesehen hat.«

Nun musste Jack doch lachen. »Kann ich mir lebhaft vorstellen.«

»Von Kunst hast du doch keine Ahnung«, gab Nikki zurück. »Dafür kommst du mit deinem elektronischen Überwachungsgerät viel zu wenig in der Welt rum.«

»Apropos Fußfessel«, mischte sich Jenny in ihren Schlagabtausch ein. »Jack hatte heute seinen Gerichtstermin. Und er ist das Ding endlich los!«

»Ach«, sagte Nikki unbeeindruckt, zupfte an seiner Frisur herum und nickte Jack etwas steif zu. »Schön für dich.«

»Ja«, meinte Jack genauso distanziert. Dass die beiden Jungs sich nicht sonderlich mochten, war ein offenes Geheimnis. Nikki hatte sich noch immer nicht damit abgefunden, dass Jenny mit Jack, ging. Er war der Ansicht, sie hätte was Besseres verdient als Jack, und scheute sich nicht davor, es ihr immer mal wieder unter die Nase zu reiben.

»Ich hab gehört, Jones will dich zurück im Team.« Nikki sah Jack skeptisch an. »Du hast hoffentlich nicht zugesagt.«

»Wieso? Hast du ein Problem damit?«

»Heißt das, du bist wieder dabei?«, erklang eine neugierige Mädchenstimme. Maggie, die eine Limo in der Hand hielt, stand neben dem Tisch. Die engagierte Schulreporterin hatte einen Riecher für alles, was sich irgendwie in eine Reportage verwandeln ließ.

»Wenn der Coach sein Angebot nicht wieder zurückzieht, bin ich wieder dabei, ja«, gab ihr Jack bereitwillig Auskunft.

»Toll«, meinte Maggie und strich sich eine ihrer glatten schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Dann haben wir ja doch wieder Chancen auf einen Titel.«

»Ja, wenn er uns im entscheidenden Moment nicht wieder hängen lässt!«, meldete sich ein weiteres, nicht gerade erfreutes Mädchen zu Wort, das gerade mit einer Traube voller Highschoolmädels in engen Miniröckchen und Stöckelschuhen an Jacks und Jennys Tisch vorbeitänzelte. Es war Tanja. Sie und Jenny waren zweieiige Zwillingsschwestern, wobei sie sich nicht nur äußerlich, sondern auch charakterlich stark voneinander unterschieden. Jenny war schlicht und bescheiden, Tanja stets aufgekratzt und mit dem Drang, sich überall und jederzeit in den Mittelpunkt zu stellen. Jenny engagierte sich für vom Aussterben bedrohte Tiere und unterstützte Kampagnen für Menschen in Not. Tanja war nur auf sich selbst fixiert, liebte teure Parfüms, gut aussehende Jungs und schicke Kleider. Sie hatte langes blondes Haar, einen makellosen Körper, war der Kapitän des Cheerleaderteams und das heiß begehrteste Mädchen an der Schule.

»Den Segen der Cheerleader hast du jedenfalls nicht, Jack«, sagte Tanja, zückte ihren pinkfarbenen Lippenstift und zog sich damit die Lippen nach. »Dazu hast du uns zu sehr blamiert. Und ich gehe jede Wette ein, die Jungs ekeln dich schneller wieder raus, als du dir vorstellen kannst.«

Jack grinste nur, sagte aber nichts. Er hatte keine Lust, sich mit Jennys Schwester zu streiten. Er wusste selbst, wie unbeliebt er sich an der Schule gemacht hatte und dass ein Wiedereinstieg bei den Tigers die Lage nur noch verschärfte. Aber davon wollte er sich nicht einschüchtern lassen. Es gab nicht vieles im Leben, was ihm wichtig war. Basketball gehörte zu diesen wenigen Dingen. Schon an seiner alten Schule in Thomasville hatte er im Basketballteam mitgespielt. Er hatte zu den Besten gehört und in St. Dominic’s war es nicht anders gewesen. Basketball war für Jack viel mehr als nur ein Spiel. Sobald er mit einem Basketball über den Platz dribbelte, seine Gegner austrickste oder sich vom Boden abstieß und den Ball mit beiden Händen von oben ins Netz stopfte, vergaß er für einen Moment die Welt um sich herum. Es gab keine Probleme mehr, keinen gewalttätigen Vater, keine Schuldgefühle, gar nichts, was ihn irgendwie hätte betrüben können. Es gab nur den Ball und ihn. Eine greifbare Freiheit, unbeschreiblich und schön. Egal, wie viele Feinde er sich damit machte: Wenn Jones ihm die Chance gab zurückzukommen, würde er die Gelegenheit nutzen. Das stand für Jack außer Frage.

Tanja steckte den Lippenstift in ihr goldenes Handtäschchen und gab ihren Gefährtinnen ein Zeichen mit ihren pink lackierten Fingernägeln. »Kommt, Mädels!« Ohne Jack oder Jenny eines weiteren Blickes zu würdigen, stolzierte sie davon. Die Mädchen folgten ihr wie die Gespielinnen einer Prinzessin. Sie ließen sich im hinteren Teil von Bart’s Café in einer Nische auf Polstern nieder, und schon bald ging ihr Geschnatter und Gekicher im allgemeinen Geräuschpegel unter.

»Jack is back«, sponn Maggie sofort den Titel für die nächste Tiger Beat-Sendung und nippte an ihrer Cola, die sie an der Bar geholt hatte. »Eins ist sicher, Jack. Wenn du zurückkommst, wirst du ordentlich für Schlagzeilen sorgen. Hab ich nicht recht, Nikki?« Die Frage war eher rhetorisch gemeint, um Nikkis Aufmerksamkeit zu erlangen. Denn ohne auf eine Antwort von ihm zu warten, fuhr Maggie im selben Atemzug fort: »Sag mal, hast du die Hausaufgabe in Medienkunde schon gemacht? Den Werbespot für beheizbare Unterleibchen? Ich hab irgendwie überhaupt keine zündende Idee.«

»Wie bitte? Ausgerechnet unserer Schulreporterin mangelt es an Kreativität?« Nikki zog völlig entsetzt die Augenbrauen hoch. »Also das geht ja wohl gar nicht, Maggie.« Er erhob sich unverzüglich von seinem Stuhl. »Komm mit, Kindchen. Was du brauchst, sind ein paar professionelle Tipps von einem angehenden Modeschöpfer. Jenny«, er nickte Jenny flüchtig zu, »die Pflicht ruft. Wir sehen uns morgen.« Von Jack verabschiedete er sich nicht.

In der Zwischenzeit brachte Bart die gewünschten Getränke an den Tisch. Sie sahen aus wie Cocktails, hellblau mit Zuckerrand, Röhrchen, einem Stückchen Ananas und einem bunten Schirmchen. »Bitte schön. Extra für euch zubereitet.«

»Sieht lecker aus«, sagte Jenny. »Was ist da drin?«

»Wenn ich euch das Rezept verrate, muss ich euch leider töten«, antwortete Bart mit todernster Miene, gefolgt von einem fröhlichen Glucksen. »War nur ein Scherz. Lasst es euch schmecken.«

Er watschelte davon und Jenny und Jack – zum ersten Mal an diesem Abend in trauter Zweisamkeit – hoben die Cocktails und stießen an.

»Auf dein neues Leben«, erklärte Jenny.

»Auf uns«, meinte Jack.

Sie tranken einen Schluck und stellten die Gläser auf das Tischchen zurück. Jenny schielte hinüber zu der Clique ihrer Schwester und seufzte. »Es tut mir leid, was Tanja zu dir gesagt hat.«

»Ist schon okay«

»Ist es nicht. Ich meine, sie ist meine Schwester. Sie weiß ganz genau, dass du es warst, der mir das Leben gerettet hat. Und dennoch zieht sie über dich her, wie alle anderen es auch tun, nur um gut dazustehen.«

»Hey«, sagte Jack und griff über den Tisch nach Jennys Hand. »Reg dich deswegen nicht auf. Soll die ganze Schule stänkern, wenn sie will. Das hier ist mein Leben. Und ich lasse mir nicht vorschreiben, wie ich es zu leben habe.«

»Trotzdem. Ich finde es furchtbar, wie schnell alle vergessen haben, was damals wirklich passiert ist. Ist ein Menschenleben nicht mehr wert als ein dämlicher Pokal?«

»Es braucht immer einen Sündenbock, Jenny. So ist das nun mal.«

»So sollte es aber nicht sein! Es ist nicht richtig!« Sie zog trotzig an ihrem Strohhalm.

Jack verzog den Mund zu einem Schmunzeln. »Lass es gut sein, Jenny. Ich krieg das schon hin. Und jetzt lächle wieder. Schließlich sind wir hier zum Feiern und nicht zum …«

Weiter kam er nicht. Die Tür flog auf und hereingeschneit kamen Eric, Eddie, Mike und Dylan, die Star-Basketballspieler der Schule. Für ein paar Sekunden fror die Szene ein wie bei einem Wildwestfilm, wenn die Bösewichte breitbeinig und die Hände an den Colts eine Bar betreten. Und genau wie die Schurken aus einem Film lenkten die vier Burschen sämtliche Blicke in dem Restaurant auf sich. So war es immer, wenn die Sportler irgendwo auftauchten. Sie waren die Stars von St. Dominic’s, zu denen jeder aufschaute, sowohl Jungs wie Mädchen – die Jungs, weil sie so sein wollten wie sie, und die Mädchen, weil sie davon träumten, einen der Jungs zum festen Freund zu haben. Emily, Jennys beste Freundin, die zurzeit im Krankenhaus lag, weil sie von einer Leiter gestürzt war und sich dabei beide Arme gebrochen hatte, war ganz vernarrt in Eric, obwohl der sie natürlich nie beachtete. Jenny hing das ständige Geprotze der Basketballer einfach nur zum Hals raus. Sie konnten Basketball spielen, ja. Aber deswegen waren sie noch lange nicht was Besseres als alle anderen.

Eric war der Schlimmste von allen. Der Afroamerikaner war eigentlich schon zu alt für die Highschool. Doch seine Starrolle gefiel ihm so gut, dass er absichtlich die Abschlussprüfung vergeigt hatte, um noch ein Schuljahr dranzuhängen. Eddie, der ebenfalls Afroamerikaner war und genau wie Eric wegen seines Sporttalents ein Stipendium für die hochkarätige Privatschule erhalten hatte, folgte Eric auf Schritt und Tritt. Mike tat es ihm gleich. Der Fünfzehnjährige hatte einen Bürstenschnitt und eine gepiercte Augenbraue. Er vergötterte Eric und las ihm jeden Wunsch von den Lippen ab.

Und dann war da noch Dylan. Er war der Sohn eines Pfarrers und im Januar aus Small Beach, einem kleinen Ort an der Westküste Amerikas, nach Green Valley gezogen. Da zu diesem Zeitpunkt niemand gewusst hatte, was aus Jack geworden war, nachdem er aus dem Jugendknast abgehauen war, nahm Dylan seinen Platz im Basketballteam ein. Er gewann den Respekt von Eric und damit vom gesamten Basketballteam. Innerhalb kürzester Zeit wurde er zum beliebtesten Schüler an St. Dominic’s und die Herzen von so ziemlich allen Mädchen an der Schule flogen ihm zu. Doch Dylan hatte nur Augen für eines von ihnen: Jenny. Anfänglich fand Jenny ihn tatsächlich sehr sympathisch. Sie hatte sich sogar auf einen Flirt mit ihm eingelassen, weil jeder (eigentlich vor allem Nikki) ihr immer wieder gesagt hatte, Jack komme sowieso nicht zurück und sie solle ihn vergessen. Dylan war charmant, sah gut aus, hatte blondes, gelocktes Haar und stahlblaue Augen. Er leitete die Lobpreisband in der Kirche seines Vaters und Jenny hatte seinetwegen sogar einen Jugendgottesdienst dort besucht. Aber dann hatte Dylan Jenny gegenüber sein wahres Gesicht gezeigt und seither wollte Jenny nichts mehr mit ihm zu tun haben. Dylan versuchte zwar ständig, sie zurückzugewinnen, doch bisher ohne Erfolg.

»Hey, Eric! Wir sind hier drüben!«, rief jemand aus der Menge. Die Jungs aus dem Basketballteam – Zac, Ron, Steven, Tayler, Kelvin, Logan, Dennis und Andrew – winkten die Neuankömmlinge zu sich hinüber. Doch Eric beachtete sie nicht. Stattdessen ließ er seine dunklen Augen durch das Lokal schweifen, als würde er ganz gezielt jemanden suchen. Und da fand er ihn auch schon: Es war niemand anderes als Jack. Mit finsterer Miene schritt Eric durch das Café und zog die neugierigen Blicke von Eddie, Mike und Dylan sowie aller Anwesenden hinter sich her. Die eben noch lockere Atmosphäre wurde angespannt. Jeder wusste, dass es gleich krachen würde.

Jenny wurde es unbehaglich zumute. Nur Jack schlürfte seelenruhig an seinem Cocktail, gerade so, als wäre er der Einzige in dem Raum, der nicht kapierte, was hier gerade vor sich ging.

Eric blieb neben ihrem Tischchen stehen und verschränkte provokativ seine muskulösen schwarzen Arme. »Ist es wahr?«, kam er gleich zur Sache, übertrieben laut, damit es auch ja alle hören konnten. »Du willst ins Team zurück?«

Jack machte sich nicht die Mühe, zu ihm hochzuschauen.

»Ich rede mit dir, Jack! Ist es wahr?«

Jack stellte gemächlich den blauen Drink ab. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er Eric ansah und seinen Verdacht voller Genugtuung bestätigte. »Ja, es ist wahr. Wenn du etwas dagegen hast, musst du dich an den Coach wenden. Es war seine Idee.«

Eric knurrte. Er stützte sich mit den Händen auf die Tischkante und beugte sich bedrohlich zu Jack hinunter. Mit gedämpfter Stimme, als wäre das, was er Jack zu sagen hatte, nicht mehr für die Ohren der Öffentlichkeit bestimmt, zischte er: »Damit das klar ist: Wir brauchen und wir wollen dich nicht, Möchtegernstar. Mir egal, was der Coach sagt. Solltest du es wagen, beim nächsten Training aufzutauchen, bist du erledigt. Haben wir uns verstanden?«

Er fixierte Jack voller Verachtung. Jack hielt seinem Blick stand. Die Atmosphäre war angespannt.

»An deiner Stelle würde ich den Mund nicht so voll nehmen, Eric«, entgegnete Jack und kniff seine grünen Augen leicht zusammen. »Vier Spiele habt ihr in dieser Saison gespielt. Und viermal verloren. Wenn hier einer Angst vor dem Aus haben sollte, dann bestimmt nicht ich.«

Eric ballte seine Fäuste. Seine Wangenknochen strafften sich. Er war kurz davor, handgreiflich zu werden, und auch Jacks lauernder Blick verhieß nichts Gutes.

Jenny wusste, dass sie etwas unternehmen musste, bevor der Streit ausartete. Sie nahm all ihren Mut zusammen, erhob sich und drängte sich wie ein Schiedsrichter zwischen die beiden. »Hört auf damit!«, sagte sie und versuchte, Eric vom Tisch zurückzudrängen. »Das ist doch lächerlich!«

»Misch du dich da nicht ein.« Eric war so aufgebracht, dass er Jenny unsanft zur Seite schob. »Das ist eine Sache zwischen mir und Jack.«

»Lass ihn doch«, meldete sich jetzt Dylan zu Wort, hielt Eric am Arm zurück und flüsterte ihm zu: »Wenn du ihn hier vermöbelst, riskierst du bloß einen Rausschmiss aus Bart’s Café. Das ist er nicht wert.«