Mehr über unsere Autoren und Bücher:
www.malik.de

Für meine Mutter Edilia, die in mir die innige Liebe zur Natur geweckt hat, und für meinen Sohn Matheo. Ich wünsche mir, dass ich diese Leidenschaft an ihn weitergeben kann, damit er eines Tages ähnliche Chancen bekommt, wie sie mein Leben bereichert haben.

Übersetzung aus dem Englischen von Kerstin Fricke,
Barbara Neeb und Katharina Schmidt

ISBN 978-3-492-99191-9
© Carlos Magdalena, 2017
The author has asserted his moral rights. All rights reserved
© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2018
Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaasbuchgestaltung.de
Covermotiv: David Levene
Fotos im Bildteil: Carlos Magdalena; mit Ausnahme
der Nr. 2 und 3 (Kew archives); Nr. 5, 7 und 10 (Dennis Hansen);
Nr. 15 und 16 (Alex Monro); Nr. 20 und 21 (Oliver Whaley);
Nr. 22, 23, 25–28 und 29 (Christian Ziegler); Nr. 24 (RGB Kew)
Zeichnungen: Lucy Smith; Zeichnung (Glossar): erstmals
veröffentlicht in Curtis’s Botanical Magazine, 27
Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee
Datenkonvertierung: psb, Berlin

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

 

»Schauen Sie sich diesen Punkt noch mal an. Das ist hier. Das ist unser Zuhause. Wir sind das … Die Erde ist bislang die einzige Welt, auf der es Leben gibt … Ob es Ihnen passt oder nicht, im Moment haben wir nun einmal auf der Erde unseren Standort … Es gibt vielleicht keinen besseren Beweis für den Wahnsinn menschlicher Selbstüberschätzung als dieses aus so großer Distanz gemachte Bild von unserer winzigen Welt. Für mich unterstreicht es unsere Verantwortung, freundschaftlicher miteinander umzugehen und diesen blassblauen Punkt zu bewahren und zu pflegen, das einzige Zuhause, das wir je gekannt haben.«
Carl Sagans Überlegungen zu einer Fotografie der Erde, die von der Raumsonde Voyager 1 aus einer Entfernung von sechs Milliarden Kilometern aufgenommen wurde[1]

 

Prolog

Einleitung: Ein Messias-Maifest

1. Genesis

2. Kew Calling

3. Wiederauferstehung auf Rodrigues

4. Der Messias auf Mauritius

5. Sprechende Schildkröten

6. Berg und Tal

7. Die Pflanze aus dem Müll

8. Meine Wasserbabys

9. Victoria’s Secrets

10. Warme Seerosen

11. Heiße Ware

12. Bolivarische Botanik

13. Peruanische Pflanzen

14. Australiens Flora

Epilog: Jeder kann ein Messias sein

Danksagung

Glossar

Anmerkungen

Bildteil

 

Ich stand vor dem Arbeitstisch im Gewächshaus. Es war ein frostiger Morgen in den Royal Botanic Gardens, Kew in London.

Vor mir ein Café-Marron-Baum, ein wunderschöner, immerblühender Strauch mit dunkelgrünen Blättern und schneeweißen, dem Jasmin ähnlichen Blüten. Das Exemplar war aus Stecklingen einer Pflanze von der Insel Rodrigues im Indischen Ozean herangezogen worden.

Eigentlich sollte ich sagen der Pflanze, denn es handelte sich um das einzige verbliebene Exemplar auf der ganzen Welt. Diese Art mit dem lateinischen Namen Ramosmania rodriguesi galt lange Zeit als ausgestorben. Über vierzig Jahre lang hatte man sie nicht mehr in der freien Wildnis gefunden, doch dann wurde sie 1980 von einem Schuljungen wiederentdeckt.

Stecklinge kann man nur eingeschränkt zur Vermehrung verwenden. Nur die generative Vermehrung über Samen kann das langfristige Überleben einer Art garantieren. Rein vegetativ vermehrte Pflanzen sterben über kurz oder lang aus. Experten hatten jahrelang versucht, Samen zu erhalten, doch ohne Erfolg.

Nun war ich an der Reihe. Würde ich das Rätsel knacken können?

Ich suchte mir eine Blüte, dann wickelte ich vorsichtig die Klinge des Skalpells aus. Ich führte sie an die Pflanze und hielt den Atem an.

Gleich würde ich den Schnitt machen, der über das Schicksal dieser Art entscheiden konnte.

 

Darf ich mich vorstellen? Ich heiße Carlos Magdalena und bin verrückt nach Pflanzen.

2010 hat mich Pablo Tuñón, ein Journalist, der für die spanische Zeitung La Nueva España über meine Arbeit geschrieben hat, »El mesías de las plantas« genannt. Ich habe den Verdacht, dass dieser Name zum Teil von meinem post-biblischen (wenn auch prä-hipstermäßigen) Bart und meinen langen Haaren inspiriert wurde, und davon, dass ich viel Zeit damit verbringe, Pflanzen zu retten, die kurz vor dem Aussterben stehen.

Dieser Spitzname erfuhr weltweite Verbreitung, als Sir David Attenborough ihn in einem Interview mit mir für »Kingdom of Plants« erwähnte, eine Dokumentarserie, die in den Royal Botanic Gardens, Kew gedreht wurde. Der »Pflanzen-Messias« wurde bald zu meinem Etikett in den Medien, für das ich von Freunden und Kollegen gleichermaßen verspottet wurde. Meine Familie stellte sich gern vor, dass meine Mutter auf den Balkon treten und rufen würde: »Er ist nicht der Messias, er ist nichts weiter als ein unartiger Bengel« – wie in dem legendären Film »Das Leben des Brian« von Monty Python.

Aber keine Angst. Ich leide nicht unter einem Messias-Komplex.

Kürzlich habe ich mal die Bedeutung des Wortes Messias nachgeschlagen. Es gibt verschiedene Definitionen: »ein Führer, der als der Retter eines Landes, einer Gruppe oder einer Sache angesehen wird«, »ein leidenschaftlicher Verfechter eines bestimmten Anliegens oder Projekts«, »ein Erlöser« und »ein Botschafter«. Ich versuche, all dem gerecht zu werden.

Meine Mission ist es, Ihnen begreiflich zu machen, wie wichtig Pflanzen wirklich sind; genau genommen bin ich von dieser Idee besessen. Ich möchte Ihnen alles über Pflanzen erzählen und was sie für uns tun, wie wichtig sie für unser Überleben sind und warum wir sie bewahren sollten. Pflanzen sind der Schlüssel zur Zukunft des Planeten – für uns und unsere Kinder –, doch sie werden von Milliarden Menschen jeden Tag als selbstverständlich angesehen, und wir haben oft keine Ahnung, welchen Nutzen sie uns bringen. Ich bin frustriert, manchmal auch wütend über diese Ignoranz und Gleichgültigkeit.

Selbst wenn wir die Augen vor dieser Tatsache verschließen, sind Pflanzen doch – direkt oder indirekt – die Grundlage von allem. Pflanzen liefern die Luft, die wir atmen; Pflanzen kleiden uns, heilen uns und beschützen uns; Pflanzen sorgen dafür, dass unsere Bedürfnisse tagtäglich befriedigt werden. Denken Sie nur an Medikamente, Baumaterial, Papier, Gummi für Autoreifen und Kondome, Baumwolle für Jeans und Leinen für Kleider. Nehmen Sie Brot, Bohnen, Tee, Orangensaft, Bier und Wein. Oder Coca-Cola. Dann überlegen Sie mal, dass Kühe Gras fressen, Silofutter oder Heu und uns danach mit Fleisch und Milch versorgen, dass Hühner Weizen und andere Körner aufpicken und für uns Eier legen, dass Schafe Gras vertilgen und uns Wolle schenken.

Sie sehen, Pflanzen sind unsere größten, aber auch bescheidensten Diener, sie sorgen täglich auf jede erdenkliche Art und Weise für uns. Ohne sie würden wir nicht überleben. So einfach ist das.

Im Gegenzug für ihre Großzügigkeit gehen wir übel mit ihnen um. Sie werden nicht wertgeschätzt und dramatisch unterschätzt. Wir behandeln sie nicht wie Diener, sondern wie Sklaven. Ihre Lebensräume werden zerstört, ihre Familien dezimiert. Sie werden in die Massenproduktion gezwungen und mit Chemikalien eingenebelt. Intensivzucht ist nicht nur Tieren vorbehalten, sondern betrifft auch Pflanzen, und der Preis für die Umwelt kann dabei ebenso verheerend sein (die unerträgliche Palmölgewinnung ist nur ein trauriges Beispiel dafür).

Wir vernichten Regenwälder, um Getreide auf einem Boden anzupflanzen, der dafür nicht geeignet ist. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was für Schätze Wälder für uns bereithalten, bringen wir Fauna und Flora an den Rand ihrer Existenz und rotten sie sogar aus. Während der Erforschung der Welt und der kolonialen Expansion führten wir Ziegen auf Inseln ein, wo sie gründlich die einzigartige, sensible einheimische Flora abgrasten, bis nichts mehr davon übrig war. Dadurch wurde der »grüne Kleber« entfernt, der den Boden stabilisierte, und es kam zu Erosion, die ganze Inseln wegschwemmte. Wir führten invasive Gräser ein: ein schleichender Erstickungstod, bei dem die heimische Flora in einer bösartigen Form von botanischem Kolonialismus unterdrückt wurde. Selbst heutzutage errichten wir immer offene Häuser auf fruchtbarem Ackerland, verlegen endlose Kilometer von totem Asphalt mit weißen Linien über das, was einst offene Wiesen mit wilden Blumen und Gräsern waren, und verschließen unsere Augen vor den Auswirkungen. Diese »Blindheit« den Pflanzen gegenüber hat weitere verheerende Folgen. Mit der Ausrottung der Pflanzen vernichten wir ja auch die Fauna. Vögel, Säugetiere und Insekten – alle für immer fort. Wir verschwenden kaum einen Gedanken daran, was wir damit anrichten, und wenn wir es gelegentlich doch tun, sind wir uns trotzdem der Folgen kaum ernsthaft bewusst.

Wir haben den jahrtausendealten Kontakt zu Pflanzen verloren: Seit der Industriellen Revolution hat die Mehrheit der Bevölkerung in entwickelten Staaten selten einen Bezug zu ihnen gehabt. Durch die Konzentration der Bevölkerung in den Städten hat sich dies immer weiter verstärkt.

Doch ein großer Teil dieses Problems besteht darin, dass Pflanzen nicht sprechen können, ganz egal, was wir ihnen antun, sie können sich nicht für ihre eigene Sache einsetzen, indem sie ihre Stimme erheben oder mit der Faust auf den Tisch hauen, vor dem Irrsinn ihrer Ausrottung warnen oder an ihre Bedeutung erinnern. Pflanzen bluten nicht, wenn sie aufgeschlitzt werden, sie können nicht schreien, wenn man sie verbrennt. Sie können keine Botschaft in einem Buch niederschreiben. Sie brauchen jemanden, der das für sie übernimmt.

Wenn sie nicht in der Lage sind, Samen zu produzieren, um ihr Überleben zu sichern, weil ihre Population so verstreut oder reduziert ist, oder wenn die wenigen Restexemplare sich gerade noch so am Leben halten können, dann brauchen sie jemanden, der an ihrer Stelle spricht. Sie brauchen jemanden, der sagt: »Ich lasse nicht zu, dass sie ausgerottet werden.« Jemanden, der etwas von Pflanzen versteht und sich leidenschaftlich für ihre Sache einsetzen und jedes erdenkliche Mittel nutzen wird, um ihr Überleben sicherzustellen.

Viele der großen botanischen Gärten weltweit wie die Kew Gardens dienen nicht nur der Allgemeinheit zur Bildung und Freizeitgestaltung. Sie sammeln und schützen seltene Arten, Nutzpflanzen ebenso wie Wildpflanzen, bewahren sie davor, in Vergessenheit zu geraten, und stellen sie der Forschung zur Verfügung, und das schon seit Generationen. Das kollektive akademische und gärtnerische Wissen ihrer Mitarbeiter ist unübertroffen, ihre Sammlungen sind weltberühmt. Obwohl sie engagiert und leidenschaftlich daran arbeiten, brauchen sie jemanden, der ihre Botschaft in der ganzen Welt verbreitet.

Und dieser Jemand will ich sein.

Ich will der Welt bewusst machen, was Pflanzen für uns leisten. Ich will, dass wir wertschätzen, was Pflanzen für uns tun. Ich will, dass wir ihre Bedeutung für unser Überleben und das unserer Familien verstehen – unserer Kinder, Großeltern und künftiger Generationen. Ich will, dass wir uns bewusst machen, dass wir ohne sie sterben würden, und mit uns das meiste, was an Land und in der Luft lebt. Ich will, dass wir uns für die Erhaltung ihrer Arten begeistern, dass wir entschlossen sind, niemals aufzugeben, selbst wenn nur eine einzige Pflanze auf der ganzen Welt übrig sein sollte. Ich will, dass wir die Bedeutung von Pflanzen so weit verstehen, dass wir bereit sind, etwas für sie zu tun.

Ein Messias kann keine Einstellungen verändern, wenn ihm die Anhänger fehlen, die seine Botschaft verbreiten. Wenn wir etwas bewahren wollen, sind Leidenschaft, Motivation und Handlungsbereitschaft gefragt. Es ist Zeit für eine Wende.

Ich will, dass mit diesem Buch die Wende beginnt. Die Menschen brauchen die Pflanzen genauso wie die Pflanzen den Menschen, und das Verbreiten dieser Botschaft beginnt mit mir und Ihnen.