Über Pop-Musik

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Inhaltsverzeichnis

Fußnoten

  1. Gegen viele verbreitete Missverständnisse, die diesen Zug der Pop-Musik dem offiziellen Individualismus einer auf Distinktionsgewinne aufgebauten Konkurrenzkultur zurechnen, sei darauf hingewiesen, dass das Allein-Sein zunächst eine Not, keine Position der Stärke darstellt. Dass wer sich erfolgreich integriert, sich mitunter mittels Distinktion über andere erhebt, soll nicht bestritten werden, ist aber nur eine unter mehreren Möglichkeiten.

  2. Ich spreche hier die ganze Zeit von Pop-Musik im emphatischen Sinne. Darunter verstehe ich, über die oben genannten Beispiele hinaus, jede Beschäftigung mit Pop-Musik, die von der jeweiligen Rezeptionskultur als existenziell wichtig empfunden wird und ihr Selbstverständnis entscheidend prägt. Lediglich dekorative oder durch Konventionen geregelte Hintergrundmusik – zu der ja prinzipiell auch jede Pop-Musik werden kann –, aber auch Kunst – denn auch das kann manche Pop-Musik leicht werden – sind die Grenzen dieses Verständnisses von Pop-Musik.

  3. Ich gebrauche im ganzen Buch die Trias des pragmatischen US-amerikanischen Philosophen und Zeichentheoretikers Charles Sanders Peirce: Index (das vom Bezeichneten verursachte Anzeichen, z.B. Geräusch), Ikon (das dem Bezeichneten ähnliche Zeichen, z.B. Bild) und Symbol (das konventionell verabredete Zeichen: Wörter, lateinische Buchstaben).

  4. Roland Barthes, Die helle Kammer – Bemerkungen zur Photographie, Übersetzt von Dietrich Leube, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1989, insbesondere S. 52ff.

  5. »Studium« ist bei Barthes der Gegenbegriff zum »Punctum«. Er meint die Betrachtung der intendierten Elemente einer Fotografie.

  6. Barthes, a.a.O. (Anmerkung 4), S. 57.

  7. Jean-Jacques Nattiez (Hg.), The Boulez-Cage Correspondence, Cambridge: Cambridge University Press 1993.

  8. Und hier beziehe ich mich selbstverständlich auf die historische Bedeutung dieses Begriffs, wie er von der Literatur der Beat-Generation, von Norman Mailer und vielen anderen entwickelt und seitdem immer wieder erneuert wurde. In allerletzter Zeit kursiert ein pejorativer Hipster-Begriff, der eine ganz bestimmte Karikatur dieser Figur bezeichnet – so verstanden, ist der Begriff in dieser strukturellen und zunächst nicht bewertenden Topographie nicht mehr nützlich. Ebenso wenig ist die in letzter Zeit zu beobachtende Aufwertung des Nerds hier berücksichtigt.

  9. Vgl. Georges Perec, Die Dinge, Aus dem Französischen von Eugen Helmlé, München: dtv 2004.

  10. Konrad Heidkamp, It’s All Over Now – Musik einer Generation. 40 Jahre Rock und Jazz, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2007.

  11. Thorsten Krämer, Neue Musik aus Japan – Roman, Köln: Kiepenheuer & Witsch 1999.

  12. Thomas Steinfeld, Riff –Tonspuren des Lebens, Köln: Du Mont 2000.

  13. Z.B.: Nick Hornby, High Fidelity – Roman, Deutsch von Clara Drechsler und Harald Hellmann, Köln: Kiepenheuer & Witsch 1999, oder derselbe, 31 Songs, Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2004.

  14. Der 1970 von »Swing In« übertragene Auftritt von Johnny und Edgar Winter in der Londoner Royal Albert Hall ist im Jahre 2004 als Bonus-CD zur CD-Ausgabe von Johnny Winters Album Second Winter veröffentlicht worden.

  15. Der Theoretiker des Schwellenzustands, Victor Turner, sieht in der Pop-Musik eine Art Nachfolgeveranstaltung zur Herstellung »spontaner Communitas«. Ohne den Vergleich mit dem »primitiven« Ritual überstrapazieren zu wollen, weisen die unterschiedlichen Räume und Raumsymboliken in den von ihm beschriebenen Ritualen tatsächlich eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Durch-die-Welt-Tragen von musikalischen und Mode-Zeichen in der Pop-Musik auf. Vgl. Victor Turner, Das Ritual – Struktur und Anti-Struktur, Aus dem Englischen von Sylvia M. Schomburg-Scherff, Frankfurt/M.: Campus 2005, besonders S. 36 und S. 157f.

  16. Michel Chion weist zu Recht darauf hin, im Alltag sorgten technisch perfekte und kulturell eingespielte Montagen dafür, dass uns die Verbindung von fotografiertem Bild und fixiertem Klang nicht auffällt. Die Pop-Musik inszeniert diese Verbindung aber gerade als nicht nahtlos. Sie überlässt es ihren Anhängern, in ihrer Lebensrealität die Montage zu vollziehen. Vgl. Michel Chion, Die Kunst fixierter Klänge – oder die Musique concrètement, Aus dem Französischen von R. Friedel u. R. Voullié, Berlin: Merve 2010, S. 106.

  17. Vgl. David Suisman, Selling Sounds – The Commercial Revolution in American Music, Cambridge, Ma. / London: Harvard University Press 2009, S. 21f.

  18. Hier wäre vor allem die queere Kultur der Opern-Diven-Verehrung zu nennen, die Wayne Koestenbaum in The Queen’s Throat – Opera, Homosexuality and the Mystery of Desire, New York: Poseidon 1993, beschreibt.

  19. Die manchen Leuten die Hoffnung eingibt, dass mit den Praktiken von radikalen japanischen und amerikanischen Noise-Künstlern wie Merzbow oder Hanatarash sich das »Spektakel« frontal bekämpfen und durchlöchern ließe, vgl. etwa Csaba Toth, »Noise Theory«, in Xabier Erkizia, Mattin, Anthony Iles, Hg., Noise & Capitalism, Donostia/San Sebastian: Arteleku 2008.

  20. Das wäre wiederum ein Verwandter des »Punctums« bei Barthes, siehe hierzu den Abschnitt »Das Fotoalbum«.

  1. Susan Sontag, »Notes on ›Camp‹«, in dieselbe, Against Interpretation, New York: Farrar, Straus and Giroux 1964, S. 275–292, hier S. 279.

  2. Theodor W. Adorno, »Über den Fetischcharakter der Musik und die Regression des Hörens«, in derselbe, Dissonanzen – Musik in der verwalteten Welt, 7. Auflage, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1991, S. 13.

  3. Fredric Jameson, »Reification and Utopia in Mass Culture«, in derselbe, The Signature of the Visible, New York und London: Routledge 1992, S. 11–46, hier S. 20.

  4. Theodor W. Adorno, »Nadelkurven«, in derselbe, Musikalische Schriften VI, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984 (Gesammelte Schriften, 19).

  5. Besonders prominent und nachhaltig Elvis Presley in Jailhouse Rock (1957) und eine Reihe neuer Pop-Musik-Stars in The Girl Can’t Help It (1956).

  6. Zum Begriff des Totem-Sounds Näheres im dritten Teil dieses Buches bzw. in Diedrich Diederichsen, »Sound, Ideologie, Identität«, in derselbe, Eigenblutdoping, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2008, S. 241–255.

  7. Theodor W. Adorno, »On Popular Music«, Zeitschrift für Sozialforschung, 9/1941, S. 17–41.

  8. Vgl. Ted Gioia, Delta Blues – The Life and Times of the Mississippi Masters Who Revolutionized American Music, New York / London: Norton 2008, S. 77ff.

  9. Im Gespräch mit dem Autor, 1985 in Köln.

  10. Walter Benjamin, »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, zweite Fassung, in derselbe, Gesammelte Schriften, Band I, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1980, S. 495.

  11. Hans G. Helms sieht in Schönbergs Rückgriff auf ätherische oder Weltraum-Motive die Not des musikalisch isolierten Komponisten, der versucht, seine musikalische Radikalität – ihre asozialen wie ihre kritischen Komponenten – wieder an Sinngehalte zu knüpfen, die ihm aber bei beiden Ausprägungen nicht zur Verfügung stehen; daher bleiben als Ausweg nur die Planeten oder der verrückte Pierrot – eine Diagnose, die seltsam zeitlos geworden zu sein scheint, auch wenn sie andere Aspekte der Weltraummusik von Stockhausen, Sun Ra, Joe Meek natürlich noch nicht aufnehmen konnte, vgl. Hans G. Helms, »Schönberg: Sprache und Ideologie«, in Ulrich Dibelius (Hg.), Herausforderung Schönberg – Was die Musik des Jahrhunderts veränderte, München: Hanser 1974, S. 78–109.

  12. Wie etwa Markus Heidingsfelder, System Pop, Berlin: Kadmos 2012, S. 507.

  13. Vgl. Gene Youngblood, Expanded Cinema, New York: Dutton 1970. Youngblood versucht, alle möglichen Formen von Multimedia unter dem Begriff eines erweiterten Kinos zu synthetisieren – obwohl in vielen Fällen, etwa bei einem Terry-Riley-Konzert mit Multimedia-Unterstützung, sich »Expanded Music« genauso anbieten würde. Ein entscheidender Grund für dieses Vorgehen scheint mir darin zu liegen, dass Film eine stabile mediale Realität bildete, deren Extensionen und Expansionen sich immer auch auf der Ebene harter, technisch-medialer Erweiterungen beschreiben ließen. Ästhetische Konsequenzen können sich auf diese Vorgängigkeit verlassen.

  14. Natürlich war die Digitalisierung, deren Nebenprodukt die CD auch ist, ein gewaltiger Einschnitt in Produktion (Sampling statt Schnitt und Montage) wie Rezeption (Weiterverarbeiten, Remixen, verlustfrei Kopieren etc.) von Pop-Musik. Aber es gab keine Veränderung des Prinzips der Übertragbarkeit und Mobilität von Pop-Musik. Diesem Prinzip wurde eher seine technische Form nachgereicht.

  15. So unterscheidet Eisenstein in seinem berühmten Aufsatz »Montage der Attraktionen« von 1923 etwa die Montage vom Trick, indem er dessen Gelingen ganz als von der Meisterschaft und Kontrolle des Akteurs oder Produzenten abhängig versteht, während die Montage sich im mit- und nachvollziehenden Zuschauer ereignet (vgl. Sergej Eisenstein, Schriften zum Film, Hg. von H.J. Schlegel, Band 1, München: Hanser 1974, S. 216–221, hier S. 218f.). »Wir können also sagen, daß eben das Montageprinzip im Gegensatz zum darstellerischen den Zuschauer selbst schöpferisch tätig sein läßt« heißt es auch noch fünfzehn Jahre später in »Montage 1938« (Sergej Eisenstein, Schriften, Band 1, Zürich: Arche o.J., nach der Ausgabe des Henschelverlags, Berlin / DDR 1960, S. 254).

  16. Sergej M. Eisenstein, »Montage der Attraktionen«, a.a.O. (Anm. 35), S. 217.

  17. Ebd., S. 218.

  18. Ebd., S. 221.

  19. Bei Wertow umfasst das Intervall auch das, was zwischen zwei Bildern sich an Beziehungen entfaltet, nicht nur den Abstand, bei Eisenstein wäre dies eher die »intellektuelle Montage« bzw. teilweise die »Oberton-Montage«. Vgl. Dziga Vertov, Kino-Eye, Hg. von Annette Michelson, Englisch von Kevin O’Brien, Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press 1984, S. 90f.

  20. Vgl. Annette Michelson, »The Wings Of Hypothesis – On Montage and the Theory of the Interval«, in Maud Lavin, Matthew Teitelbaum et al. (Hg.), Montage and Modern Life 1919–1942, Boston: MIT Press 1992, S. 61–81, besonders S. 68f.

  1. Sergej Eisenstein, »Die vierte Dimension im Film«, in derselbe, Das dynamische Quadrat, Übersetzt und hg. von Oksana Bulgakowa, Leipzig: Reclam 1988, S. 92.

  2. Sergej Eisenstein, »Intellektuelle Montage«, in derselbe, Schriften zum Film, Bd. 3, München: Hanser 1975, S. 242.

  3. Marcel Duchamp im Gespräch mit Lawrence D. Steefel im September 1956. Vgl. Serge Stauffer (Hg.), Marcel Duchamp – Interviews und Statements, Stuttgart: Edition Cantz 1991, S. 62.

  4. Skrjabin hatte zu Beginn seiner Karriere tatsächlich kurz mit dem Sozialismus sympathisiert, diese Periode war allerdings schon lange vorbei, als Eisenstein ihn als »links« einordnete.

  5. Vgl. Dorothee Eberlein, »Čiurlionis, Skrjabin und der osteuropäische Symbolismus«, in Karin von Maur (Hg.), Vom Klang der Bilder – Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts, München: Prestel 1985, S. 340–345; sowie Gottfried Eberle, »Mysterium und Lichttempel – Alexander Skrjabin und Ivan Wyschnegradsky – zwei multimediale Konzepte«, in Wieland Schmied, René Block, »Europäische Utopien seit 1800«, Beiheft zur Ausstellung Der Hang zum Gesamtkunstwerk, Berlin: Berliner Künstlerprogramm des DAAD 1983, S. 48–52.

  6. Vgl. Odo Marquard, »Gesamtkunstwerk und Identitätssystem«, in Harald Szeemann u.a. (Hg.), Der Hang zum Gesamtkunstwerk, Aarau und Frankfurt/M.: Sauerländer 1983, S. 40–50.

  7. Oksana Bulgakowa, »Bruch und Methode – Eisensteins Traum von einer absoluten Kunst«, in Sergej Eisenstein, Das dynamische Quadrat, a.a.O., S. 262–324, vor allem S. 268, 278, 284; Konrad Boehmer, »Reihe oder Pop?«, in derselbe, Das böse Ohr – Texte zur Musik 1961–1991, Hg. von Burkhardt Söll, Köln: DuMont 1993, S. 96–116: »Cage, der bemerkt hat, Kuhglocken und Beethoven seien bloße Klangkategorien, setzt das geistige Werk auf die Stufe des bloßen Kolorits, um dann freilich doch den Kuhglocken den ästhetischen Vorrang zu geben.« (S. 104).

  8. Sergej Eisenstein, »Die vierte Dimension im Film«, a.a.O. (wie Anm. 41), S. 90–108, besonders S. 92f.

  9. Ebd., S. 92.

  10. Bulgakowa, a.a.O. (wie Anm. 47), S. 304.

  11. Ernst Bloch, »Erbschaft dieser Zeit«, in derselbe, Gesamtausgabe, Band 4, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1962 (1992), S. 221.

  12. Als vielleicht erstes Zeugnis eines reflexiven Umgangs der Pop-Musik mit ihrer eigenen Visualität wäre die in Zusammenarbeit mit Nik Cohn entstandene Bildgeschichte der Pop-Musik des belgischen Malers Guy Pellaert anzusehen.

  13. Zum Zusammenhang zwischen den beiden entscheidenden Entwicklungen der Bildenden Kunst der frühen 60er, Minimalismus und Pop-Art, und der Institution des bunt bedruckten und avanciert gestalteten Album-Covers, in dem eine schwarze industriell gefertigte minimalistische Skulptur, die Vinyl-Schallplatte, steckte, vgl. Diedrich Diederichsen, »Psychedelische Begabungen«, in Lionel Bovier/ Mai-Tu Perret (Hg.), Timewave Zero – A Psychedelic Reader, Graz / Genf: Grazer Kunstverein / JAP Productions 2001.

  14. Scott MacGillivray und Ted Okuda, The Soundies Book, New York, Lincoln, Shanghai: iUniverse 2007; John Mundy, Popular Music on Screen – From Hollywood Musical to Music Video, Manchester, New York: Manchester University Press 1999, S. 93–95.

  15. Mundy, ebd., S. 227–247.

  16. »Singulär« verstanden im Gegensatz zu einem Effekt, der sich erzielen und wiederholen lässt, indem man einer Anleitung, einem Skript, einer Routine folgt. Darum ist es so lehrreich, Todd Rundgrens schon erwähntes Experiment zu studieren, der auf seinem Album Faithful berühmte Sound-Effekte der Pop-Musik (aus »Good Vibrations«, »Strawberry Fields Forever« etc.) im Studio rekonstruierte und genau an den Stellen knapp scheiterte, an denen die Original-Sound-Effekte besonders projektionsbesetzt sind. Ich komme auf dieses Album zurück.

  17. Vgl. dazu grundsätzlich Albrecht Wellmer, Versuch über Musik und Sprache, München: Hanser 2009. Wellmer unterscheidet unter anderem die »Klangrede« der Musik, die »Klangschrift« europäischer Kompositionen und ein »in die Musik sich einmischendes Sprechen«. Das vielfältige Auftauchen, Sich-Melden dieses Sprechens lässt sich produktiv an die Idee der vielfältigen Rezipienten-Aktivität in der Pop-Musik anschließen, s. ebd., S. 102–124.

  18. Theodor W. Adorno, »Fragment über Sprache und Musik«, in derselbe, Quasi una fantasia – Musikalische Schriften II, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1978 (Gesammelte Schriften, 16), S. 251.

  19. Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, Kassel: Bärenreiter 1978, S. 9.

  20. Etwa: »Die vier Stimmen aller Harmonie, also Baß, Tenor, Alt und Sopran oder Grundton, Terz, Quinte und Oktave (entsprächen) den vier Abstufungen in der Reihe der Wesen, also dem Mineralreich, Pflanzenreich, Tierreich und dem Menschen.« Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Hg. von Wolfgang Frh. v. Löhneysen, Band II, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986 (Sämtliche Werke, II), S. 573–586, hier S. 573.

  1. Interessant in diesem Zusammenhang, dass die Pop-Musik später noch eine andere eigene Idee von »Absoluter Musik« entwickeln sollte. Musik, die rein funktional wäre, wie Techno und Ambient, und deren willkürlich klangliche Seite ausschließlich auf nicht zitierenden, »quellenlosen« Sounds basiert. Dies wird uns in den Abschnitten zu Techno weiter beschäftigen.

  2. Michael Chanan, From Haendel to Hendrix –The composer in the public sphere, London: Verso 1999, S. 141.

  3. G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, dritter Teil, »Das System der einzelnen Künste«, dritter Abschnitt: »Die romantischen Künste«, zweites Kapitel: »Die Musik«, in derselbe, Werke, Hg. von Karl Markus Michel und Eva Moldenhauer, Band 15, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986, S. 135.

  4. Ebd., S. 136.

  5. Ebd., S. 149.

  6. Daniel Barenboim, »Musik ist gefährlich«, tageszeitung, 20. 3. 2002.

  7. Franz Jung, »Der Weg nach unten«, in derselbe, Schriften und Briefe in zwei Bänden, Hg. von Klaus Behnken, Petra und Uwe Nettelbeck, Band 1, Salzhausen: Petra Nettelbeck 1981, S. 244.

  8. Theodor W. Adorno, »Ideen zur Musiksoziologie«, in derselbe, Klangfiguren, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1978 (Gesammelte Schriften, 16), S. 10ff.

  9. Vgl. Diedrich Diederichsen, »Music – Immateriality – Value«, E-Flux Journal, 16, 5, 2010.

  10. Richard Meltzer vertritt – einfach zusammengefasst – in seiner Ästhetik die Position, dass es im Prinzip zwei angemessene Artikulationen der ästhetischen Erfahrung mit Rock gebe: »Wow!« und »So what?«, die sich aber entwickelt hätten zu »Mhm« und »So?«. Richard Meltzer, The Aesthetics of Rock, New York: Da Capo 1987 (1970), S. 258.

  11. Denis Hollier, »Gottes Wort: ›Ich bin tot‹«, in François Ewald / Bernhard Waldenfels (Hg.), Spiele der Wahrheit – Michel Foucaults Denken, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, S. 106–123, hier S. 106.

  12. Max Horkheimer / Theodor W. Adorno, »Dialektik der Aufklärung«, in Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften, Band 3, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980, S. 187.

  13. Michael Schirner, »Logo – Loewys Markenzeichen«, in Angela Schönberger / Internationales Design Zentrum (Hg.), Raymond Loewy – Pionier des amerikanischen Industrie-Designs, München: Prestel 1990, S. 183.

  14. »Well, I was blown out of bed, hit in the head / I saw three flashes of atomic red / Spun around town, shot in the ground / Swirled and swirled three times faster than sound // It was a fifty megatons / It was a fifty megatons / It was a fifty megatons hydrogen / Like they rate an atomic bomb«, Sonny E. Russell, 1963.

  15. Es liegt nahe, die Sound-Singularität, das herausgestellte Sound-Zeichen, das indexikalische (oder Indexikalität simulierende) Zeichen mit dem »Objekt klein a« bei Jacques Lacan zu parallelisieren, jener berühmten Begehrensursache, die nicht das Begehrte selbst ist, aber mit ihm in Verbindung steht oder gar zum Ich gehört (erst in der Rezeption hergestellt wird). Vgl. Jacques Lacan, Das Seminar, Buch II, Berlin, Weinheim: Quadriga 1991, S. 407f. Zuweilen ist es auch das begehrte Objekt, das nicht erreicht, nur umkreist werden kann. Vgl. Jacques Lacan, Das Seminar, Buch XI, Olten: Walter 1978, S. 188. Oder es gehört als »Agalma« metonymisch oder in der Art eines Supplements zum Begehrten dazu. Vgl. Jacques Lacan, Die Übertragung – Das Seminar, Buch VIII, Wien: Passagen 2001, S. 177ff. Wir werden darauf zurückkommen, wenn wir von der Stimme reden, die bei Lacan als Kandidat für das Objekt klein a eine besondere Rolle spielt. Vgl. Jacques Lacan, Das Seminar, Buch X, Wien, Berlin: Turia + Kant 2010, S. 267–425.

  16. Im Übrigen gibt es kaum einen Text, der eindrucksvoller und treffender das Verhältnis zwischen singulärem Fetisch und sinnlicher Überwältigung allegorisch beschreibt als das von Phil Spector arrangierte und mitgeschriebene »River Deep, Mountain High« von Ike & Tina Turner. Die Erinnerung an die zerlumpte Puppe des kleinen Mädchens setzt die Erhabenheitsmotive aus dem Titel frei.

  17. Manny Farber, »The Decline of the Actor«, in derselbe, Negative Space – on the Movies, New York: Da Capo 1998, S. 145.

  18. Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Aus dem Amerikanischen von Katharina Menke, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991.

  19. Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004, S. 37f.

  20. Vgl. Judith Butler, Körper von Gewicht – Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Aus dem Amerikanischen von Karin Wördemann, Berlin: Berlin-Verlag 1995.

  1. In der chinesischen Gegenwartskunst gibt es ein Genre, das in englischen Texten »Behaviour Art« genannt wird. Meist handelt es sich dabei um Performances im öffentlichen Raum, auch der Ursprung des Begriffs scheint auf einer Übersetzung des Begriffs »Performance« als so etwas wie »Verhalten«, »Gebaren« zu liegen, das dann in »Behaviour« rückübersetzt wurde. »Behaviour Art« wäre aber die nur zu gut passende Überschrift für die Pop-Musik-Performance.

  2. Roland Barthes, Mythen des Alltags – Vollständige Ausgabe, Aus dem Französischen von Horst Brühmann, Berlin: Suhrkamp 2010.

  3. Vgl. John Szwed, So What – The Life of Miles Davis, New York: Simon & Schuster 2004.

  4. Tim Brooks, Lost Sounds – Blacks And The Birth Of The Recording Industry, Chicago, Urbana: University of Illinois Press 2004, S. 43.

  5. Greil Marcus, »Social History als Schatten«, Texte zur Kunst, 2 / Frühjahr 1991, S. 55–63.

  6. Vgl. Jacques Lacan, »Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion«, in derselbe, Schriften I, Hg. von Norbert Haas, Olten: Walter 1973, S. 61–70.

  7. Deswegen trifft im Übrigen auch die Diagnose Philip Auslanders nicht zu, der den authentizistischen Diskurs des Rock allein im Spannungsfeld zwischen Recording und dem sichtbaren Auftritt situiert. Öffentlich kursierendes Bild, Auftritt und Recording bilden ein Dreieck und darum ist auch die kulturpessimistisch-simulationstheoretische Schlussfolgerung Auslanders nicht angemessen, in der MTV-Kultur habe der Clip das Recording ersetzt und damit sei die Rock-Musik unter dem »regime of simulation« politisch und sozial entleert worden. Vgl. Philip Auslander, Liveness – Performance in a Mediatized Culture, New York: Routledge 1999, S. 61–111, besonders S. 107–111.

  8. In den frühen Jahren der Video-Kultur ist dieser Umstand immer wieder aufgegriffen worden. Bands agierten wieder als Single-Künstler, die zu jeder Single ein modifiziertes Konzept, ein geändertes Image präsentierten und sich damit – gegen den Ernst von Progressive Rock wie von Punk – bewusst und postmodern auf die erste Phase der Pop-Kultur bezogen: etwa ABC, Dexy’s Midnight Runners, Culture Club. In den 90ern griffen verspätet postmoderne Bands wie Pulp diese Strategie wieder auf.

  9. Vgl. Veranda Spuk, Mein Flirt mit einem ganz bestimmten Superstar oder mein heiliger Pappkarton im Bettlaken, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982. Dieses zu Unrecht komplett vergessene »Tagebuch« einer pseudonymen Autorin führt alle denkbaren Seinsweisen eines persönlichen Stars in einmalig intimer und poetischer Sprache vor: von der authentischen Stimme bis zum vollkommen unähnlichen Objekt (»heiliger Pappkarton«).

  10. Vgl. Helmut Salzinger, Rock Power, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1973, S. 13.

  11. Philip Core, Camp – The Lie That Tells The Truth, New York: Delilah 1984.

  12. Eve Kosofsky Sedgwick, Epistemology of the Closet, Berkeley/Los Angeles: University of California Press 1990, S. 156.

  13. Craig Owens, »Posieren«, in Herta Wolf (Hg.), Diskurse der Fotografie – Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Band II, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003, S. 92–116.

  14. Roland Barthes, Das Neutrum – Vorlesung am Collège de France 1977–1978, Hg. von Eric Marty und Thomas Clerc, Deutsch von Horst Brühmann, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005, S. 55–66.

  15. Die Party-Schallplatten, wie sie nicht nur, aber am prominentesten die Beach Boys in den mittleren 60ern auf den Markt gebracht haben, waren ein Versuch, Band und Publikum als eine einzige große Peer-Group zu inszenieren.

  16. Im Gespräch mit Mike Kelley und Tony Oursler für ein Video, das zu einem Teil von »The Poetics Project« (1996 / 7) wurde, gezeigt unter anderem auf der documenta X in Kassel 1997.

  17. William Gaddis, Das mechanische Klavier, Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay, München: Manhattan 2003, S. 21f. u. 58.

  18. Und da meine ich nicht nur die »politischen« Kulturpessimisten wie Adorno / Horkheimer, sondern auch die zerebro-medientheoretischen Kulturpessimisten wie Bernard Stiegler, der von einer »Synaptogenese der Aufmerksamkeitsstörung« und anderen unmittelbar »psychotechnologischen« Wirkungen kulturindustrieller Produkte spricht, die den »jugendlichen psychischen Apparat« zerstörten. Vgl. Bernard Stiegler, Die Logik der Sorge – Verlust der Aufklärung durch Technik und Medien, Aus dem Französischen von Susanne Baghestani, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2008.

  19. Natürlich führe ich dieses Modell nicht als die korrekte Beschreibung abendländischer Künste ein, sondern als das – im Übrigen meistens unmarkierte – Modell, das Rezipienten wie Produzenten im Kopf haben, wenn sie mit solchen Kunstwerken umgehen. Mit »Ausdruck« ist dabei nicht die Isolation der Expression oder eine formalistische Fokussierung auf Expression gemeint – wie in verschiedenen Künsten, die sich »expressionistisch« nennen –, sondern die mitgedachte, mitgewusste Normalität europäischer Künste des bürgerlichen Zeitalters. Eine besondere Markierung der Ausdrucksebene wäre da schon ein modernistisches Krisensymptom, wenn auch ein eher regressives, das versucht zu retten, was zu retten ist. Siehe auch Übermenschen als Rettung der unheroisch gewordenen Bürgerlichkeit.

  20. Guy Debord, In girum imus nocte et consumimur igni (Filmskript), Berlin: Tiamat 1985, S. 74.

  1. Ebd.

  2. Vgl. Captain Beefheart & His Magic Band, »Dachau Blues«, Trout Mask Replica (Straight 1969).

  3. Kein Zufall, dass eine der klügsten, heute weitgehend vergessenen Pop-Bands, The Mekons, sich auf dem Cover ihres ersten Albums auf diesen Affen beriefen: The Mekons, The Quality of Mercy Is Not Strnen (Virgin 1979).

  4. Hugo von Hofmannsthal, »Ein Brief«, in derselbe, Sämtliche Werke, Hg. von Ellen Ritter, Band XXXI (Erfundene Gespräche und Briefe), Frankfurt/M.: Fischer 1991, S. 49f.

  5. Die als »Harlem Renaissance« bekannte afroamerikanische Kulturbewegung, als deren Protagonisten neben Literaten wie Langston Hughes auch performative Künstler wie etwa Bessie Smith gelten können, brachte die Hoffnung zum Ausdruck, die schwarze Emanzipation könnte sich mit dem aufbrechenden New Yorker Modernismus verbünden. »Warum sollte James P. Johnson, der Meister der New Yorker Ragtime-Variante ›Stride‹, sich weniger für weiße Musik interessieren, als sich die Weißen für die schwarze Musik interessierten«, berichtet Ann Douglas (meine Übersetzung). »Also experimentierte er mit den Ideen von Bach und Beethoven und den neuen Formen und Harmonien, die Chopin, Liszt, Debussy und Ravel in die europäische Musik eingeführt hatten.« Vgl. Ann Douglas, Terrible Honesty – Mongrel Manhattan in the 1920s, New York: Farrar, Straus, Giroux 1995. Nicht nur die bestehenden rassistischen Strukturen, sondern auch die unterschiedliche Dringlichkeit und Natur der politisch-ästhetischen Ziele ließen die Chancen auf eine Parallelität oder gar Allianz der weißen und der schwarzen Moderne schnell sinken. Parallel dazu gab es die überwiegend projizierende Jazz-Begeisterung europäischer Künstler wie Jean Cocteau, Philippe Soupault, Michel Leiris, Ernst Krenek bis zu René Schickele. Deren Instrumentalisierungen, Primitivismus-Klischees, Missverständnisse und Projektionen unterschieden sich aber nicht so sehr von denen späterer Fans schwarzer Musik.

  6. Michel Leiris, »Paris-Minuit«, in derselbe, Leidenschaften – Prosa, Gedichte, Skizzen und Essays, Hg. von Hans-Jürgen Heinrichs, Frankfurt/M.: Fischer 1992, S. 26f.

  7. Theodor W. Adorno »Über Jazz«, in derselbe, Moments Musicaux, Frankurt/M.: Suhrkamp 1982 (Gesammelte Schriften, 17; Musikalische Schriften IV), S. 102.

  8. In Minstrel-Shows traten Weiße als Schwarze (»Blackface«) auf und definierten damit die Rollen auch schwarzer Komiker und noch allgemeiner schwarze Artikulation als komisch, performativ und lächerlich.

  9. Zu den nachhaltigsten rassistischen Stereotypen gehört die Behauptung, die anderen sähen alle gleich aus, hätten keine Individualität. Der erfolgreiche schwarze Vaudeville-Entertainer Ernest Hogan machte aus dieser rassistischen Schote einen der ersten sehr erfolgreichen schwarzen Hits, »All Coons Look Alike To Me« (1896). Die Sheet Music wird illustriert von ganz unterschiedlich aussehenden und gekleideten und unterschiedliche soziale Schichten vertretenden, jedoch durchweg karikaturenhaft gezeichneten, rassistisch stereotypisierten Schwarzen. Dass alle gleich aussehen, ist durchaus dem Eindruck, dass alles gleich klingt, den Außenstehende gern von neuen Pop-Musik-Stilen (von Reggae bis Techno) haben, verwandt: Im Inneren einer Gemeinschaft von Anderen darf keine Individualität vorkommen. Vgl. Richard J. Powell, Black Art and Culture in the 20th Century, London: Thames and Hudson 1997, S. 25.

  10. Eine Parallelfigur zum Star ist sicher der Pimp oder der Mack – der schwarze Zuhälter oder Gangster, der in der heutigen HipHop-Kultur, der die politischen und kulturellen Ermächtigungsformen nicht mehr oder nur noch in Schrumpfversionen zur Verfügung stehen, so zentral geworden ist. Die plötzliche, alle bürgerliche Normalität überspringende Ermächtigung bringt immer groteske Gestalten der Macht hervor. Wenn Macht nur durch Gnade, Genie oder andere Ausnahmewege erreichbar ist, nimmt sie nicht selten auch verzauberte Formen an.

  11. Adorno ermittelt das Jazz-Subjekt durchaus überzeugend als konstitutiv gespaltenes und in gewissem Sinne queeres Subjekt. Nur dass er Jazz nicht als schwarze Musik und queere Subjektivitäten nicht als Widerstände, sondern durchweg als Symptome des Kapitalismus liest: »Zum (…) Jazz scheint die Zweideutigkeit zu gehören, die der ›ausbrechenden‹ Klangfarbe von Saxophon oder Dämpfertrompete eignet. Es ist die Zweideutigkeit des fingierten Brunstschreis und des parodierten Angstschreis. Angst wird verhöhnt zugleich und als Sinnlichkeit ausgegeben; das sexuelle Nicht-Können bereits in der singulären Figur des break als Können. In dieser historischen Figur erscheint beim Jazz-Subjekt die Ambivalenz von libido und Angst. Faßt die Psychoanalyse Angst als verdrängte libido, so behauptet Jazz dafür, daß der Angstlaut selber der libidinöse sei. Tiger Rag: das stellt den Brunstschrei des Tigers vor und zugleich die Angst, von ihm gefressen oder kastriert zu werden.« Dies ist nur eine von mehreren Stellen, an denen Adorno sein Jazz-Subjekt als eines schildert, das vor allem seine »eigene Verstümmelung« genießt, und zwar indem es quasi sich selbst in seiner eigenen Parodie feiert. Es ist als »Clown« oder »Puppchen« nicht mehr im Besitz seiner selbst und hat vor allem seine (männliche) Sexualität längst preisgegeben. Nur einmal erscheint diese Sexualität kritisch als die des »genital zentrierten Subjekts«, durch dessen Zertrümmerung »die Partialtriebe frei« würden. Dies von Adorno zugestandene utopische Moment des Jazz, an dem seine »Dialektik (…) mit der fortgeschrittensten Kunstmusik« Gemeinsamkeiten bilde, wird indes gleich wieder »durch die falsche Integration (…) verdrängt und damit erst – in ihrer sozialen Konfiguration – verderblich; die Homosexualität zum verschworenen Kollektiv, Sadismus zum Terror«. All dies steht in dem »Oxforder Nachträge« überschriebenen, 1937 den Aufsatz von 1936 ergänzenden, zweiten Teil von »Über Jazz«, in Theodor W. Adorno, Moments Musicaux, Frankurt/M.: Suhrkamp 1982 (Gesammelte Schriften, 17; Musikalische Schriften IV), S. 100–108. Dass und wie der Tiger als zugleich sexuell begehrtes und zu tötendes, angsteinflößendes Wesen schon einige Jahrhunderte lang durch europäische Kolonialprojektionen und -fantasien geisterte, zeigt eindrucksvoll Eliot Weinberger, »Papiertiger«, in derselbe, Kaskaden, Deutsch von Peter Torberg, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003, S. 81–100.

  12. Wilhelm Lange-Eichbaum, Genie, Irrsinn und Ruhm – Eine Pathographie des Genies, Neu bearbeitet von Wolfram Kurth, München, Basel: Ernst Reinhardt Verlag 1961.

  13. Robert Miklitsch, Roll Over Adorno – Critical Theory, Popular Culture, Audiovisual Media, Albany: State University of New York Press 2006, S. 43–65, besonders S. 45; Adam Krims, »Marxist music analysis without Adorno – Popular music and urban geography«, in Allan F. Moore, Analyzing Popular Music, Cambridge (UK): Cambridge University Press 2003, S. 131–157; Noël Carroll, A Philosophy of Mass Art, Oxford: Clarendon Press 1998, S. 70–89 – um nur drei, sehr unterschiedliche Beispiele zu nennen.

  14. W.E. Burghardt Du Bois, The Soul Of Black Folks, London u.a.: Penguin / Signet 1969, S. 45f.

  15. Stuart Hall macht eine diesbezügliche Bemerkung allerdings nicht, weil er die Beschreibung der kultur- und psychohistorischen Stadien in der afroamerikanischen Geschichte als »postmodern« für besonders gewinnbringend hält, sondern gerade um die bedenkenlose Ausrufung der Postmoderne im globalen Nordwesten zu kritisieren, die »dezentrierte« Identitäten in den 1990ern zum Kriterium einer neuen historischen oder posthistorischen Epoche erklärte, während ja auch die »zentrierten Identitäten«, die sie beerbten, nur im Westen zu haben waren. Vgl. Lawrence Grossberg, »On postmodernism and articulation – An interview with Stuart Hall«, in David Morley / Kuan-Hsing Chen (Hg.), Stuart Hall – Critical Dialogues in Cultural Studies, New York / London: Routledge 1996, S. 131–150.

  16. Valerie Wilmer, As Serious as Your Life, London: Allison & Busby 1977.

  17. Surrealismus und Jazz sind denn auch oft von der massenkulturskeptischen Fraktion der kritischen Theorie in ähnlicher Weise als Künste beschrieben und angegriffen worden, in denen die Herrschaft der Ware sich artikuliere, während die andere Fraktion, Walter Benjamin, im »Sürrealismus« die Erfahrung der »profanen Erleuchtung« erkennt. Deren Beschreibung ähnelt wiederum entfernt bestimmten Fassungen des Jazz-Spiritualismus, der bei Sun Ra oder Ayler seinen religiösen Sinn aus Nichtigkeiten und Wortspielen zaubert. Vgl. Walter Benjamin, »Der Sürrealismus – Die letzte Momentaufnahme der europäischen Intelligenz«, in derselbe, Gesammelte Schriften, Band II.1, Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980, S. 295–310, besonders S. 297.

  18. Theodor W. Adorno (mit George Simpson), »On Popular Music«, in Studies in Philosophy and Social Science, IX/1941 und Zeitschrift für Sozialforschung (Nachdruck), Band 9, München: dtv 1980, S. 17–48, hier besonders S. 20ff.

  19. Jedenfalls verstehe ich so den folgenden Satz von Max Roach, den Greg Tate zitiert: »Was die Leute an HipHop erschreckte, war, zu hören, daß da jemand den Rhythmus nur um des Rhythmus willen genoß. HipHop lebt in der Welt – und nicht in der Welt der Musik.« Greg Tate, »Tagebuch einer Wanze«, in Diedrich Diederichsen (Hg.), Yo! Hermeneutics! – Schwarze Kulturkritik, Berlin/Amsterdam: ID-Archiv 1993, S. 52.

  20. Bernd Alois Zimmermann, Kommentare zu Die Befristeten, Liner Notes zu Die Befristeten / Improvisationen über die Opern Die Soldaten / Tratto, Mainz: Wergo 1967.

  1. Wie sehr dem Jazz seine Nähe zur Sexualität übel genommen wurde, kann man auch daran erkennen, wie sehr selbst seine glühendsten frühen Befürworter im deutschsprachigen Raum wie Alfons Dauer ihn gegen das schlechte Milieu in Schutz nehmen wollten, in das er immer wieder zu geraten drohte, etwa, wenn der Blues mal wieder unauthentisch, stilisiert und vulgär wurde: »Ein weiteres Dekadenzzeichen ist in der Stilisierung zu sehen. Und schließlich setzte noch ein letzter Dekadenzvorgang ein in Form einer drastischen Vulgarisation. Sogar bedeutende Sänger des klassischen Blues verfielen in billiges und verfälschtes Singen. Ihr Blues wurde vulgär, ordinär, betonte stark pornographische Züge.« Alfons M. Dauer, Der Jazz, Kassel: Erich Röth 1958, S. 86.

  2. Vgl. Tom Wolfe, Unter Strom – Die legendäre Reise von Ken Kesey und den Pranksters (The Electric Kool-Aid Acid Test), Ins Deutsche übertragen von Bernhard Schmid, Eichborn: Frankfurt/M. 1987, S. 81.

  3. »Denn der Schizo ist jener, der jeglichem ödipalen, familialen und personengebundenen Bezug entwischt: ich werde nicht mehr Ich, nicht mehr Papa-Mama sagen – und er hält Wort. Die vorgängige Frage ist nun, ob es das ist, woran er krankt, oder ob das nicht der schizophrene Prozeß ist, der keine Krankheit, keinen ›Zusammenbruch‹, sondern einen wie immer beängstigenden abenteuerlichen ›Durchbruch‹ darstellt: die Mauer oder die Grenze überwinden, die uns von der Wunschproduktion abtrennt, die Wunschströme in Umlauf setzen.« Gilles Deleuze / Félix Guattari, Anti-Ödipus – Kapitalismus und Schizophrenie I, Übersetzt von Bernd Schwibs, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974, S. 469.

  4. Grateful Dead, »Truckin’« (Hunter/Garcia/Lesh/Weir), auf American Beauty (Warner 1970).

  5. Henry Kaiser, Those Who Know History Are Doomed To Repeat It (SST 1988).

  6. Henry Kaiser & Wadada Leo Smith, Yo Miles! (Shanachie 1997).

  7. Greil Marcus, Lipstick Traces – A Secret History of the 20th Century, Cambridge, Ma.: Belknap 1989.

  8. Es gibt zwar einen oft herausgestellten Live-DJ, aber nur in wenigen Spielarten von Club-Musik ist er der Performer, meist sind die Tänzer füreinander die Performer.

  9. Terry Riley, der minimalistische Komponist (In C) und Musiker, spielte in den späten 60ern vor größtenteils psychedelisch inspirierten Studenten US-amerikanischer und schwedischer Universitäten eine Reihe von bis zu siebenstündigen Konzerten improvisierter Musik, in der er zum einen auf phasenverschobene Patterns und Loops zurückgriff, zum anderen den kurzen, zyklischen Mikrostrukturen eine Endlosigkeit der Makroform entgegensetzte.

  10. The Doors, »Light My Fire«, The Doors (Elektra 1967).

  11. The Sex Pistols, »Pretty Vacant« (Virgin 1977).

  12. Reed – Cale – Lennon – Ono – etc.

  13. Michael T. Koltan, »Die Ästhetik des Rock’n’Roll«, in jour fixe initiative berlin (Hg.), Kunstwerk und Kritik, Münster: Unrast 2003, S. 145–172, insbesondere S. 166ff.

  14. Eine solche Verabsolutierung, die Sound einfach an die Stelle von Musik setzte, wird dem synthetischen Charakter von Pop-Musik auch nicht gerecht, selbst wenn solche Übertreibungen nach der langen Hegemonie der Musik-orientierten Deutung für eine Weile einen belebenden, nachholenden Effekt hatten.

  15. Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1997, S. 165–214.

  16. Vgl. Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, Kassel: Bärenreiter 1978.

  17. Jagger/Richards, »The Singer Not The Song«, 1965 in Großbritannien als B-Seite von »Get Off Of My Cloud« erschienen, in den USA auf der LP December’s Children, in Deutschland auf der Bravo-Compilation. Vgl. auch zeitgemäßer The Modernist, »Protest Song«: »That’s why the song remains the same, only the singer’s gone insane«, auf dem Album: The Modernist, Kangmei (EFA 2003).

  18. Zur Coverversion grundsätzlich vgl. meinen Artikel »Die ganz große Gala«, tageszeitung, 13.12. 2008, über Marianne Faithfulls Versuche, aus der Logik der Coverversion, die zur Bezugnahme nicht nur auf einen anderen Song, sondern auch auf einen anderen Sänger zwingt, auszusteigen und für die Pop-Musik einzuführen, was es im Jazz und anderen älteren populären Musikformen, aber auch in der klassischen Musik gibt: den Standard, der allen gehört und als neutraler Ort der Bezugnahme fungiert, das Great American Songbook.

  19. Vgl. Roland Barthes, »Die Rauheit der Stimme«, in derselbe, Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Aus dem Französischen von Dieter Hornig, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1990 (Kritische Essays, III), S. 269–278.

  20. So Jacques Derrida, Aristoteles zitierend, in seiner Grammatologie, Übersetzt von Hans-Jörg Rheinberger und Hanns Zischler, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974, S. 24.