Kathrin Röggla
Stottern und Stolpern.
Strategien einer literarischen Gesprächsführung
Essay
Fischer e-books
Kathrin Röggla, geboren 1971 in Salzburg, lebt in Berlin. Sie arbeitet als Prosa- und Theaterautorin und entwickelt Radiostücke. Für ihre Bücher erhielt sie zahlreiche Preise, darunter den Italo-Svevo-Preis, den Anton-Wildgans-Preis und den Arthur-Schnitzler-Preis; ›wir schlafen nicht‹ wurde mit dem Preis der SWR-Bestenliste und dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch ausgezeichnet. Im Fischer Taschenbuch Verlag sind lieferbar: ›Niemand lacht rückwärts‹, ›Abrauschen‹, ›Irres Wetter‹, ›really ground zero‹, ›wir schlafen nicht‹ und das Prosabuch ›die alarmbereiten‹, das mit dem Franz-Hessel-Preis geehrt wurde. Im Frühjahr 2012 erscheinen gesammelte Essays und Theaterstücke unter dem Titel: ›besser wäre: keine‹.
Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013
Der vorliegende Text entstammt der Ausgabe: Röggla, Besser wäre: keine. Essays und Theater. Als E-Book erhältlich unter ISBN 978-3-10-401733-4.
Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
Coverabbildung: Oliver Grajewski
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ISBN 978-3-10-402679-4
Gilles Deleuze: Post-scriptum sur les sociétés de contrôle, in: L’autre journal, Nr. I, Mai 1990. Dt. Übers.: Postskiptum über die Kontrollgesellschaften, in: Unterhandlungen 1972–1990, Frankfurt a.M. 1993, S. 260.
Hubert Fichte: Geschichte der Empfindlichkeit, Bd. II: Der Kleine Hauptbahnhof oder Lob des Strichs, Frankfurt a.M. 1988, S. 186.
Michel Foucault: Qu’est-ce que la critique? Vortrag am 27. 5. 1978 vor der Société Française de Philosophie. Dt. Übers.: Was ist Kritik?, Berlin 1992, S. 15.
Jacques Derrida: Signature, événement, contexte, in: Marges de la philosophie, 1972. Dt. Übers.: Signatur, Ereignis, Kontext, in: Randgänge der Philosophie, Wien 1988.
Michel Foucault: Surveiller et punir. Naissance de la prison, Paris 1975. Dt. Übers.: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M. 1976, S. 118f.
taz vom 27. 9. 2004, S. 15f.
AGPRUSAseid
Nur zum Beispiel mal die Klopapierproduzenten. Ja, auch die Klopapierproduzenten sind geklaut, die habe ich von Ulrich Peltzer. Er hat die Klopapierproduzenten irgendwann mal eingeführt, um etwas klarzumachen, vielleicht etwas Vergleichbares. Diese Klopapierproduzenten kommen also nicht irgendwoher, sie kommen von links, denn Ulrich Peltzer ist nicht nur pointiert, seine Pointen stehen auch in einem politischen Zusammenhang. Darin zeigt sich das Wissen um Produktionsmittel, Mehrwertproduktion und Akkumulation. »Akkumulationsregime«, sagt er beispielsweise jetzt gerade, »man müsste es Akkumulationsregime nennen. Kapitalismus trifft es doch gar nicht mehr. Dieser Begriff kann doch nicht mehr benennen, was heute geschieht.« Er wäre zu ungenau und zudem vermufft, würde nach veralteter Sozialdemokratie klingen – ja, unterbreche ich ihn, aber es gibt ja nicht nur Klopapierproduzenten. Ulrich ist irgendwie in diesen Raum hier geraten, und er sieht sich ungeduldig um. Streng, etwas genervt.
Es ist ein vampirhaftes Verhältnis zur Sprache, das sich in diesem Gebaren Ausdruck verschafft. Gab es früher noch Begriffskämpfe, no-go-areas, Ausschlüsse und eine Differenzwut, so eignet man sich heute einfach an, was einem vermeintlich entgegengesetzt oder feindlich scheint. Eine Art vermainstreamter, umgekehrter signifying monkey, der alle Begriffe, die aus einem subversiven, subkulturellen, jugendkulturellen Kontext stammen, aufsaugt, alles, was die harte Welt der Ökonomie weich und geschmeidig, cool machen könnte, sie des Kontextes entkleidet, unschädlich macht. Business-Punk, Start-up-Style sind nur Begriffe, die zeigen, wie man sich mit dem Gestus der Revolution schmückt. Einer Revolution bzw. eines Paradigmenwechsels, der auch tatsächlich stattfindet, nur in einem anderen Sinn und nicht motiviert von einer politischen Utopie, sondern von einem verschärften Akkumulationsdruck. Aneignung, Affirmation, feindliche Übernahme, das sind die Bewegungen, die Strategien unserer Zeit, es wird konsumiert, subsumiert. Eingemeindet, aufgesaugt und aufgebraucht. Man verschlingt sich einfach gegenseitig, da ist ein Kannibalismus im Gang, der seinesgleichen sucht und dessen Bewegung man in der Sprache ablesen kann. Mehr noch, sie macht ja mit.
1990[1]