Farid / Sylvia Gredig
Du durchschaust mich nicht!
Das Geheimnis der Magie
Knaur e-books
Farid, geboren 1981, zaubert seit seinem zehnten Lebensjahr. 2008 avancierte er in der Sendung »The Next Uri Geller« zum Publikumsliebling, später zeigte er seine spektakulären Illusionen im eigenen TV-Format »Streetmagic«. Daneben entwickelte er ein eigenes Show-Programm, mit dem er die Hallen füllt. Farid lebt in Hagen und Berlin.
Er ist undurchschaubar. Sonst könnte er uns auch nicht mit spektakulären Illusionen verzaubern. Und doch wissen wir längst, dass Magier keine übernatürlichen Kräfte besitzen, sondern mit Tricks arbeiten. Farid erklärt, worin das Geheimnis von Magie besteht, und was wirklich hinter berühmten Illusionen wie der Schwebenden Frau oder dem Verschwinden lassen eines Elefanten steckt. Er lässt sich zum ersten Mal in die Karten schauen – aber nur so weit, dass seine Kunst immer noch für Erstaunen sorgt!
eBook-Ausgabe 2012
Knaur eBook
© 2012 Knaur Taschenbuch
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: FinePic®, München
ISBN 978-3-426-41558-0
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Meine erste und einzige Zauberguillotine war schwarz und stand auf einem selbstgebauten Stativ. Ich muss 16, 17 Jahre alt gewesen sein, denn ich trat bereits hier und da mit einer kleinen Show auf. Von den Einnahmen hatte ich monatelang auf die Guillotine gespart. Und jetzt übte ich jeden Tag, bestellte kistenweise Gurken bei meiner Mutter, die ich in meinem neuen Zaubergerät fleißig zerteilte. Als ich mir in der Handhabung sicher war, wollte ich endlich vor Publikum üben.
Ich plante eine Vorführung im Wohnzimmer meines Elternhauses und richtete für diesen Abend alles her, stellte sogar die Möbel um, um so eine Bühnensituation zu simulieren.
Die Guillotine war noch mit einem schwarzen Tuch abgedeckt. Unter ihr hatte ich einen Eimer plaziert, in den die zerteilten Gurkenstücke fallen sollten. Daneben war ein kleiner Tisch mit mehreren Gurken darauf. Nur ein Stuhl fehlte noch.
Als alles fertig war, holte ich meine Zuschauer herein: meinen Vater, meine Mutter, meine Schwester und unsere zwei Katzen.
»Och nein, Farid, das ganze Wohnzimmer ist umgeräumt, was soll das denn?« Ich versuchte, die persönliche Äußerung meiner Mutter zu übergehen und mich im Bemühen, eine möglichst authentische Bühnenshow zu präsentieren, nicht stören zu lassen.
Herzlich begrüßte ich mein Publikum und sprach ein paar einführende Worte; zur Einstimmung auf die Vorführung gab ich gruselige Anekdoten aus dem Mittelalter zum Besten. Dabei zog ich das Fallbeil nach oben, nahm es auseinander, um die Klinge zu zeigen, setzte alles wieder zusammen und zerhackte eindrucksvoll drei Gurken. Mein Publikum saß ruhig auf seinen Stühlen. Zu ruhig.
Das änderte sich, als ich meine Mutter zu mir nach vorn auf die Wohnzimmerbühne bat. Mein Vater lachte begeistert, meine Schwester kicherte. Immerhin spitzten die Katzen die Ohren.
Ich wies auf den Stuhl, und meine Mutter nahm zögerlich Platz. »Muss das sein, Farid?«
»Du bist die Erste, mit der ich dieses große Zauberkunststück durchführe«, sagte ich schmeichelnd, zog die Klinge hoch und legte eine Gurke in das untere der beiden Löcher.
»Mama, streck doch bitte einen Arm aus!«, sagte ich in einem bestimmenden, aber freundlichen Ton. »Nein, bitte den anderen, du bist doch Rechtshänderin. Den rechten brauchst du noch.«
Meine Mutter sah mich fragend an, tat aber, was ich sagte.
Mein Vater lachte wieder, meine Schwester kicherte wieder, und die Katzen legten sich wieder hin.
»Und jetzt steck bitte deine Hand durch diese Öffnung.« Ich zeigte auf das obere Loch.
Meine Mutter rührte sich nicht, saß noch immer mit dem ausgestreckten Arm da und sah mich entgeistert an.
»Und jetzt steck bitte deine Hand durch diese Öffnung.« Abermals zeigte ich auf das obere Loch. Sie wollte anscheinend einen Scherz machen.
»Ich steck doch nicht meinen Arm da durch!«
»Mama!« Damit hatte ich nicht gerechnet.
Meine Mutter hatte bisher alle Kunststücke mitgemacht, die ich mit ihr als Testperson ausprobiert hatte.
»Nein! Ich mach das nicht.« Sie ließ den Arm sinken.
»Hahaha …« Meinem Vater gefiel die Show.
Meine Schwester kicherte diesmal nicht. Die Katzen hatten sich eingerollt.
»Mama, ich weiß, was ich tue, ich bin Zauberer!«
»Nimm doch etwas anderes! Da sind doch noch Gurken.«
Mein Vater rief: »Liebes, nun steck doch deinen Arm durch das Loch! Dein Sohn weiß, was er tut – er ist jetzt Zauberer. Hahaha …«
»Nein, ich mach das nicht. Mach es doch selbst. Unterstütze du doch deinen Sohn!«
Das kannte ich schon. Wenn es nicht so gut lief, war ich nicht mehr ihr Sohn, sondern der Sohn meines Vaters. Ein sehr schlechtes Omen.
Und tatsächlich, ich musste zum ersten Mal – und zum Glück blieb es bisher das einzige Mal – eine Vorführung abbrechen, denn meine Mutter weigerte sich, mein Vater weigerte sich, und auch meine Schwester weigerte sich, einen Arm in die Guillotine zu legen. Die Katzen duckten sich weg. Und ich weigerte mich, den Hauptact der Illusion nur mit Gurken durchzuführen.
Es kam niemals zu einer öffentlichen Vorführung dieses Zauberkunststücks. Ich hatte schließlich selbst den Eindruck, diese Nummer passe nicht zu mir. Und so tauschte ich das teure Gerät im Zauberhandel gegen eine große Kiste Kartenspiele.
Magie ist etwas Geheimnisvolles und Wunderschönes, sie lässt uns staunen und selbst ältere Menschen wieder zu Kindern werden. Ich finde, diese magischen Momente sind Gold wert. Schau dir bei einem Einkauf oder einem Spaziergang doch mal bewusst die Leute um dich herum an. Wie viele hetzen durch ihr Leben, sind gestresst? Da schimpft einer auf dem Parkplatz, weil ihm ein anderer die letzte freie Parkbucht weggeschnappt hat; ein Vater rollt mit hochrotem Kopf den vollbepackten Einkaufswagen mit integriertem Kindersitz in Form eines Autos durch die engen Supermarktgänge, während das Kind fröhlich eine Hupe nachahmt; und selbst im Park beim Entenfüttern hört man über dem lauten Geschnatter der Enten noch die verärgerten Rufe eines Radfahrers, weil zwei alte Leutchen mit einer Tüte Brotkrumen das Federvieh mitten auf den Radweg gelotst haben. Ich persönlich liebe es, in dieses pralle Leben hineinzuspringen, die Leute aus ihrem Alltag in die Welt der Magie zu entführen und ihnen ein verblüfftes Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Aber was genau steckt hinter der Illusionskunst – der Magie? Warum kann man sich noch so konzentrieren und kommt einfach nicht dahinter, wie der Magier es schafft, etwas verschwinden und wieder erscheinen zu lassen?
Magier lassen sich eben nicht gern durchschauen. Oder hast du schon einmal im Internet nachgesehen, wie ein bestimmter Zaubertrick funktioniert? Ich kann mir gut vorstellen, dass du enttäuscht warst, weil du dich so einfach hinters Licht führen hast lassen. Vielleicht aber warst du überrascht, wie ausgebufft die Umsetzung einer Illusion sein kann?
Egal, wie simpel oder kompliziert ein Zauberkunststück ist, die Leute fallen immer wieder darauf herein. Obwohl es inzwischen unzählige Bücher und Videos gibt, in denen Tricks Schritt für Schritt erklärt werden. Eigentlich könnte mich jeder durchschauen, aber die Magie – oder was wir für Magie halten – ist zu faszinierend, als dass wir den Glauben daran aufgeben wollen. Ich kann mich nicht beschweren, die Leute kommen immer noch in Scharen in meine Shows.
Manche Leute hören nicht auf zu wettern, Magie sei Lug und Betrug. Und in gewisser Weise haben sie recht, denn wir Magier täuschen sie. Aber nicht, um sie zu ärgern oder ihnen Schaden zuzufügen oder um sie neidisch zu machen – »Ich kann was, was du nicht kannst« –, sondern um sie zu unterhalten, zu überraschen, ihnen Freude zu bereiten und Ablenkung zu verschaffen. Wie hoch soll die Strafe für solch ein Vergehen sein?
Ich möchte dich im Folgenden in meine Welt der Magie entführen, dich hinter die Kulissen blicken lassen und dir verwandte – und nicht immer seriöse – andere Meister der Täuschung und Ablenkung vorstellen. Von allen können wir etwas lernen, ohne gleich selbst zum Betrüger oder Hochstapler zu werden. Das Leben wird leichter, wenn wir ihm hin und wieder einen Schuss Magie verpassen. Und manchmal kann Unmögliches auf magische Weise Wirklichkeit werden!
Doch bevor ich dich hinter das Geheimnis der Magie schauen lasse, erzähle ich dir noch, wie ich überhaupt dazu gekommen bin, den etwas ungewöhnlichen Beruf des Magiers zu ergreifen.
Ich wollte schon als Kind unbedingt Zauberer werden. Andere Jungs hätten wohl »Feuerwehrmann« oder »Fußballprofi« geantwortet, auf die Frage, was sie einmal werden wollen. Bei mir war eben der Zauberer das erklärte Berufsziel. Damit erntete ich auf Familienfesten oder bei Verwandtenbesuchen regelmäßig schmunzelnde Blicke. Und später, als ich dann bereits volljährig war, ungläubiges Stirnrunzeln.
Und obwohl ich heute bewiesen habe, dass auch aus einem Zauberer was werden kann, können sich die meisten nicht vorstellen, wie mein Leben wirklich aussieht. »Kann man damit denn Geld verdienen?«; »Und was machen Sie hauptberuflich?«; »Sie stammen also aus einer Zirkusfamilie?« – Diese Dinge bekomme ich ständig zu hören, auch wenn viele mich mittlerweile aus dem Fernsehen kennen.
Magier werden zu wollen, das ist also nichts Gewöhnliches. Aber daran haben meine Eltern ganz bestimmt nicht gedacht, als sie den persischen Namen Farid für mich wählten, der so viel bedeutet wie »etwas Besonderes, etwas Einzigartiges«. Und doch haben sie mir das Wichtigste mitgegeben, um diesen Weg überhaupt beschreiten zu können: Ihre Liebe und Erziehung haben in mir die Kraft wachsen lassen, an mich und meine Ideen zu glauben, und seien sie auch noch so verrückt. Die beste Voraussetzung für meinen Beruf.
Und weil ich immer wieder gefragt werde, wann ich denn mit dem Zaubern angefangen habe und wie ich auf die verrückte Idee kam, damit auch noch mein Geld verdienen zu wollen, beginne ich jetzt noch mal von vorn.
Ich wurde im Bergischen Land geboren. Meine Mutter, eine Deutsche, und mein Vater, ein Perser, der als junger Architekturstudent nach Deutschland gekommen war und hier eine neue Heimat fand, schenkten mir und meiner zwei Jahre älteren Schwester ein geborgenes Zuhause. Wir Kinder lernten beide Kulturen unserer Eltern kennen; und es ist für uns selbstverständlich, offen auf Menschen zuzugehen, gleichgültig woher sie stammen oder welcher Religion sie angehören. Unser Zuhause war europäisch und persisch eingerichtet; es gab deutschen Eintopf wie bei Großmuttern ebenso wie die typischen persischen Gerichte mit Gemüse- und Fleischsoßen, Khorescht, meist traditionell mit Reis und Safran zubereitet, den uns die Großeltern väterlicherseits allerdings direkt vom Kaspischen Meer zukommen ließen.
Als der Bruder meines Vaters ihn bat, ihn bei einem Bauprojekt in Teheran zu unterstützen, überlegten meine Eltern nicht lange. Mein Vater nahm mich – denn ich war im Gegensatz zu meiner Schwester noch nicht schulpflichtig – zu der langen Reise in seine Heimat mit, und meine Mutter kam uns so oft wie möglich besuchen.
Obwohl mir bereits als Fünfjähriger die persische Kultur teilweise vertraut war, verspürte ich den großen Unterschied zwischen dem beschaulichen Leben in unserem ländlichen Haus bei Gummersbach und dem großen Teheraner Stadthaus, in dem mehrere Angestellte für Wohl und Ordnung sorgten. Der Umgang der Familienmitglieder untereinander war anders, als ich es von zu Hause kannte. Mein Vater siezte seine Eltern, wie es dort auch heute noch im Umgang mit älteren Generationen üblich ist, und es wurde großer Wert auf Respekt und Benimm gelegt. So kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich mit den persischen Großeltern ähnlich intensiv gekuschelt habe, wie ich es mit Oma und Opa in Deutschland tat.
Womöglich lag es auch an dieser Distanz, dass mir mein persischer Großvater so eindrucksvoll in Erinnerung ist. Er war, wie beinahe alle Männer in Vaters Familie, von einer stattlichen Größe, doch anders als mein Vater machte er die meiste Zeit ein ernstes Gesicht. Ich weiß noch, dass ich ihn oft heimlich beobachtet habe, wenn wir zusammen im Hof saßen und sich die Männer unterhielten. Nur selten rief er mich zu sich, um mir etwas zu sagen oder zu geben. Meist haben wir uns dann mehr mit Händen und Füßen verständigt, weil ich nur wenige Brocken Persisch verstand.
Doch eines Nachmittags hörte ich ihn meinen Namen rufen. Neugierig lief ich in den Wohnsalon, wo er mich in der großzügig angelegten Sitzecke aus handgeknüpften Perserteppichen erwartete. Hier saß ich besonders gern, denn man hatte den besten Blick auf den leise plätschernden Teich – Teich? Richtig gelesen, es gab einen Teich mitten im Wohnzimmer, allerdings ohne Fische. An diesem Nachmittag kam ich gar nicht dazu, die üppige Pflanzenwelt unter Wasser zu bestaunen, denn bereits beim Näherkommen zwinkerte mir Großvater verschwörerisch zu, wie er es noch nie getan hatte. Sofort klopfte mein Herz vor Aufregung. Ich wusste zwar nicht, was passieren würde, spürte aber augenblicklich, dass er etwas Besonderes im Schilde führte.
Großvaters dunkle Augen funkelten geheimnisvoll, als sich seine rechte Hand meinem Gesicht näherte. Nur einen Wimpernschlag später zog er eine persische Münze hinter meinem linken Ohr hervor. Aber das konnte doch gar nicht sein! Ich betastete die Stelle. Dann überlegte ich, dass er die Münze sicher schon in seiner Hand gehalten hatte, bevor er an mein Ohr gegriffen hatte. Was ich damals noch nicht verstand: Das Wichtige an diesem Moment war, dass mich Großvater mit seinem Einstiegstrick vollkommen in den Bann gezogen hatte; ich ließ ihn und die Münze nicht mehr aus den Augen. Und das ist die beste Voraussetzung für das Gelingen eines Zauberkunststücks, wie ich heute weiß.
Großvater sagte nun etwas auf Persisch und wies dabei mit dem Kopf auf den Platz neben sich. Und was dann geschah, hielt ich für echte Magie: Er ließ die Münze verschwinden.
Zuerst lag sie noch auf seiner rechten Handfläche. Er drückte mit der Mittelfingerspitze der linken Hand gegen die Münze und schloss seine rechte Hand, aber nur so weit, dass ich die Münze unter dem Finger noch sehen konnte. Dann drehte er seine Hand um, und die verschlossene Handfläche zeigte nach unten. Wie in Zeitlupe drehte er die Hand noch einmal ein Stück zurück, so dass ich den Rand der Münze in seiner Hand schimmern sah. Die Münze war also immer noch da, wurde von dem Mittelfinger gehalten. Jetzt bewegte Großvater die Hand wieder zurück, zog den Haltefinger heraus und schloss die Hand fest. Ich starrte auf seine geballte Faust und wartete. Die Spannung stieg. Langsam drehte er die Hand erneut, wie in Zeitlupe, bis die Handfläche wieder nach oben zeigte. Er öffnete seine Finger mit einer magischen Geste: Die Hand war leer.
Unglaublich! Das konnte nur Zauberei sein, denn ich hatte es selbst genau gesehen, die Münze hatte sich die ganze Zeit in der Hand befunden; Großvater hatte die Hand lediglich geschlossen und ein paarmal gedreht – und jetzt war die Münze verschwunden! Ich hatte keine Erklärung dafür. Sie hatte sich in Luft aufgelöst.
Mein Großvater sah mein verdutztes Gesicht und begann zu lachen. Jetzt musste auch ich lachen, vor Staunen und weil Großvater lachte und weil es nach der ganzen Spannung guttat, zu lachen. So einen Spaß hatten wir noch nie zusammen gehabt. Es war der erste magische Moment, den ich bewusst erlebt habe. Und es war auch ein magischer Moment in der Beziehung zu meinem persischen Großvater.
Erst Jahre später habe ich mich gefragt, wie der alte Mann es geschafft hatte, die Münze verschwinden zu lassen. Leider konnte ich ihn nicht mehr fragen. Entweder hatte er sie heimlich und geschickt in seinen Schoß fallen lassen – ein klassischer und einfacher Trick, der jedoch eines gewissen Geschicks und vor allem einer souveränen Ablenkungskunst bedarf. Oder er benutzte eine komplizierte Methode, indem er die Münze mit einem hauchdünnen Faden auf den Handrücken zog, so dass sie für mich nicht mehr in der Hand zu sehen war. Dies wäre allerdings schon profimäßiges Zaubern gewesen. Profizauberer war Großvater aber sicher nicht, vielmehr ist es in vielen orientalischen Ländern üblich, dass sich die Männer die Freizeit mit Kartenspielen oder mit Tricks vertreiben, die sie sich gegenseitig zeigen. Während unseres Aufenthalts in Teheran zauberte mein Großvater noch einige Male für mich, und ich schaute immer völlig gefesselt und begeistert zu.
Zurück in Deutschland dachte ich noch oft an Großvater und seine Zauberkunststücke und entdeckte, dass es viele andere große Meister auf diesem Gebiet gab. Nachdem ich in der Schule lesen gelernt hatte, lieh ich mir aus der Bücherei in Hagen nach und nach sämtliche Bücher rund ums Zaubern und die Welt der Magie aus, sogar einige, die für Erwachsene geschrieben waren, und zur Verwunderung meiner Mutter später auch englische Bücher. Meine Mutter war doppelt überrascht: Sollte ich plötzlich zu einer Leseratte mutieren? Wollte ich mir selbständig eine neue Sprache beibringen? Aber die Erwachsenen unterschätzen es, wie viel Englisch man allein durch Songtexte lernen kann.
Ich schaute mir damals alle Zaubershows im Fernsehen an, vor allem David Copperfield faszinierte mich. Von seiner berühmten Illusion, bei der er die Freiheitsstatue hatte verschwinden lassen, sprachen die Leute überall. Und dann schenkte mir meine Tante doch tatsächlich eine Eintrittskarte für eine Live-Show von David Copperfield in der Dortmunder Westfalenhalle. Das war total aufregend für mich: Ich hatte die Chance, den großen Magier aus den USA live zu sehen. Klar, dass ich ihm zumindest die Hand schütteln wollte.
An besagtem Tag saß ich mit meiner Tante am Mittelgang in der großen Veranstaltungshalle und versuchte, jede kleine Bewegung meines damaligen Idols mitzuverfolgen. Ich war begeistert davon, wie er seine Illusionen in Geschichten einbettete, diese Art von Magie war so viel mehr als ein bloßer Kartenzaubertrick. Plötzlich geschah etwas besonders Spektakuläres: Copperfield, eben noch auf der Bühne, hatte sich innerhalb einer Sekunde in Luft aufgelöst. Im nächsten Moment tauchte er mitten im Publikum wieder auf, ganz in meiner Nähe. Wie hatte er das nur geschafft? Geistesgegenwärtig streckte ich meinen Arm aus, als er an uns vorbei den Gang entlang zur Bühne zurücklief – und tatsächlich, er drückte meine Hand! Yep! Der Handschlag hatte schon mal geklappt.
Am Ende der Show ging ich zu einem Herrn wenige Plätze vor mir, von dem ich mir ein Autogramm auf mein Programmheft geben ließ, das ich heute noch besitze. Es war Copperfields Vater, den außer mir keiner zu erkennen schien. Gleich danach war er allerdings von Sicherheitsleuten umgeben.
Seit dieser Zeit übte ich selbst wie besessen Zauberkunststücke ein, viele hatte ich aus dem Fernsehen auf Video aufgenommen. Mühsam versuchte ich herauszufinden, wie die Tricks funktionierten. Wenn ich einen nachstellen konnte, führte ich die Nummer meinen Eltern oder dem Rest meiner zahlreichen Verwandtschaft vor. Natürlich funktionierte nicht immer alles, aber nur so konnte ich herausfinden, was ich anders machen oder worauf ich beim nächsten Mal achten musste. Mit der Zeit wurde ich geschickter und sicherer, wagte mich an schwierigere Nummern heran und erprobte mein Können nun auch bei größeren Festen im Familien- oder Bekanntenkreis.
Einige Zauberutensilien wie Tücher, Schnüre, mehrere Kartenspiele, Zauberbecher usw. gehörten inzwischen zu meiner Grundausstattung, für die ich zu einem Geburtstag auch eine Tasche geschenkt bekam. Wie gern hätte ich die Schultasche morgens stehengelassen und meine Zaubertasche mitgenommen, um meinen Freunden in den Pausen ein paar größere Kunststücke vorzuführen! Ich besuchte mittlerweile die Gesamtschule, und wenn ich mich in den Schulstunden auch meist zurückhalten konnte, auf dem Pausenhof musste ich immer irgendeinen Trick üben oder führte irgendjemandem etwas Neues vor. Ohne Kartenspiel verlasse ich übrigens bis heute nicht das Haus. Nur dass damals kaum eine freie Minute verging, in der ich nicht irgendeinen Trick oder Kunstgriff übte oder Fingerübungen machte. Selbst im Schulbus, wenn die anderen ihre Gameboys auspackten oder Musik hörten, blieb ich bei meiner Leidenschaft, und das muss es schon damals gewesen sein, eine Leidenschaft, also viel mehr als nur ein Hobby oder ein Zeitvertreib.
Eines Tages verkündeten meine Eltern, dass wir nach Wien ziehen würden. Eine elfstündige Zugfahrt stand bevor, und ich hatte auch schon eine Idee, wie ich mir diese lange Zeit vertreiben konnte. Ich wünschte mir einen neuen Zauberkasten. Heute muss ich schmunzeln, wenn ich daran denke: Die ungenutzte Fahrtzeit war meine einzige Sorge, den Orts- und Schulwechsel nahm ich gelassen.
Der Grund für unseren Umzug nach Wien war, dass sich meine Eltern eine neue Existenz aufbauen wollten. Sie eröffneten im 1. Bezirk, direkt am Stephansdom, ein riesiges Fachgeschäft für edle Perserteppiche, was damals etwas Besonderes war. Zu meiner Freude hatten meine Eltern im Geschäft einige Angestellte, denen ich fortan sämtliche Zaubertricks vorführte.
Einer der Mitarbeiter war Reza. Immer, wenn ich meinen Vater im Geschäft besuchte, zauberte ich für Reza, und welch ein Glück: Er liebte es! »Wie machst du das nur, Farid?«, rief er meistens aufgeregt. Und wenn ein Trick mal nicht funktionierte, sagte er: »Den musst du mir aber noch mal zeigen. Der scheint richtig schwer zu sein.«
Reza war der beste Lehrer, den man sich denken kann, obwohl er selbst gar nicht zaubern konnte. Das machte nichts, denn durch sein Interesse und seine Begeisterung motivierte er mich, dranzubleiben. Manchmal gab er mir sogar etwas Geld, damit ich neue Requisiten kaufen konnte.
Er war es auch, der mir den Laden für Zauberutensilien zeigte. Ich wusste nicht einmal, dass es solche Läden gab, deshalb glaubte ich ihm nicht, als er mir davon erzählte: »Reza! Es gibt ein Geschäft, in dem Zaubertricks verkauft werden? So wie ein Supermarkt Lebensmittel verkauft? Niemals! Dann würde doch keiner Zauberkästen kaufen!«
Ich wollte ihn ein wenig provozieren, und Reza wäre tatsächlich am liebsten auf der Stelle mit mir in den Zauberladen gegangen. Aber er konnte nicht weg: »Farid, morgen in der Mittagspause gehen wir gemeinsam in diesen Zaubersupermarkt«, versprach er. Wenn ich daran denke, klingt mir noch sein persisch-österreichischer Akzent in den Ohren.
Als wir am nächsten Tag vor besagtem Geschäft standen, rief er lachend: »Ach, was haben wir denn hier? Das sieht ja aus wie ein Zaubersupermarkt!«
Ich sah mich staunend um, vor allem von der geheimnisvollen Auslage in einer großen gläsernen Vitrine konnte ich gar nicht genug bekommen. Ich ließ mir von der freundlichen älteren Verkäuferin, einer typischen Wiener Dame, alles Mögliche zeigen. Und zum Schluss sagte Reza, dass ich mir etwas aussuchen dürfe. Ich nahm Spielkarten, obwohl ich die schon zur Genüge zu Hause hatte. Weil ich von all den Tricks und Requisiten, die es hier gab, so überwältigt war, konnte ich mich spontan gar nicht für etwas Neues entscheiden.
Noch nicht. Denn ab sofort schlug ich mehrmals pro Woche in der »Zauberklingl« auf, mal, um zu stöbern, mal, um mir von Maria, der Verkäuferin, einen Trick zeigen zu lassen. Danach sah sie mich jedes Mal mit hochgezogenen Brauen durch ihre Brillengläser an und wartete mein Urteil ab. Auch Maria habe ich viel zu verdanken. Selbst wenn eine ganze Tourigruppe den Laden stürmte, um irgendwelche Souvenirs zu erstehen, die es hier ebenfalls gab, unterbrach sie ihre Lehrstücke nicht, sondern führte sie umso konzentrierter durch. Und wenn ein Trick richtig gut war, dann klatschten die anderen Kunden und ich Beifall.
Von dieser positiven Stimmung, die sich beim Zaubern zwischen den Menschen einstellt, konnte ich schon damals nicht genug bekommen. Das wollte ich am liebsten immer wieder haben. Mit anderen zusammen etwas Geheimnisvolles, Magisches zu erleben, ist ein sehr intensives Gefühl. Dafür braucht es keine große Bühne.
Bald zauberte ich auch für Maria, und sie zeigte mir ihre Anerkennung, indem sie mir Aufgaben übertrug, für die ich mir hinterher Requisiten aussuchen durfte. So schrieb ich zum Beispiel Zauberanleitungen. Maria empfahl mich auch weiter, und so kam ich als 15-Jähriger an meinen ersten bezahlten Auftrag: im Sultan-Kostüm bei einer Firmenfeier für McDonald’s zaubern. Lohn: McDonald’s-Gutscheine im Wert von 2000 Schilling – damals waren das etwa 280 Mark, umgerechnet also ungefähr 140 Euro. Unfassbar viel für mich zu der Zeit. Die Gutscheine haute ich mit meinen Klassenkameraden während der nächsten Wochen natürlich sofort auf den Kopf.
Mein Auftritt war zwar ein voller Erfolg, aber er ist mir doch nicht ganz in guter Erinnerung geblieben. Ich mochte dieses pompöse Sultan-Kostüm nicht, das ich anziehen musste. In dieser Maskerade kam ich mir einfach lächerlich und falsch vor. Und das lag nicht nur an meinem pubertären Alter, es ist bis heute so geblieben, dass ich jegliche Art von Verkleidung für meinen Zauberstil ablehne. Ich ziehe einen Frack oder Smoking höchstens an, wenn es sich für eine Veranstaltung gebietet, aber sonst möchte ich weitgehend authentisch bleiben und das anziehen, was ich auch sonst trage. Farid der Magier ist keine Kunstfigur, ich brauche den Kontakt mit den Menschen und möchte ihnen auf Augenhöhe begegnen. Zaubern mitten auf der Straße, im Alltag, und die Augen der Menschen durch Magie unverhofft zum Leuchten bringen. Da stört Maskerade nur.
Die Jugendjahre in Wien brachten mich der professionellen Magie näher, als ich es zu träumen gewagt hätte. Einmal, ich war 15, wurde ich über Maria engagiert, um in der Wiener Staatsoper zu zaubern. Wie froh war ich, dass mir meine Mutter kurz zuvor erst für ein großes Magiertreffen mit Dinner, für das ich mich selbstbewusst angemeldet hatte, ein Paar schwarze Schuhe zum schwarzen Anzug gekauft hatte. So betrat ich den Prunkbau in angemessener Kleidung und unterhielt die Besucher im feierlich beleuchteten Foyer. Natürlich war ich aufgeregt, aber schon damals gab mir das Lampenfieber auch den nötigen Kick, um selbstbewusst auftreten und anderen Menschen ohne Scheu begegnen zu können.
Die Magie war mehr als nur ein Hobby für mich, was meiner schulischen Laufbahn nicht gerade Auftrieb gab. Die Zeit, die ich für das Üben von Kunststücken nutzte, fehlte natürlich für die Hausaufgaben und zum Lernen. Im österreichischen Schulsystem musste man sich in der achten Klasse entscheiden, auf welche Art weiterführende Schule man gehen möchte.
Empfohlen wurde uns eine, in der man nicht nur die Matura machen kann, sondern auch schon eine Berufsrichtung festlegt. Gemeinsam mit meinen Eltern beschloss ich, die Höhere Technische Bundeslehranstalt für Architektur zu besuchen, schließlich waren mein Vater und mein Onkel Diplomingenieure. Aber trotz der familiären Vorbelastung waren technische Fächer nicht wirklich mein Ding.
Nachdem ich mich zwei Jahre lang mehr schlecht als recht auf dieser Schule durchgeschlagen hatte, nahte plötzlich unverhofft die Rettung. Das Heimweh meiner Mutter nach Hagen war so groß, dass wir unsere Zelte in Wien abbrachen und zurück nach Deutschland zogen. Hier konnte ich wieder auf die Gesamtschule, die ich schon als Kind besucht hatte, und wechselte ohne Probleme in die elfte Klasse.
Besonders schön war, dass ich wieder mit meinen alten Freunden zusammen sein konnte, zu denen ich immer den Kontakt gehalten hatte. Doch jetzt waren wir älter, manche hatten schon eine Freundin, und ich hatte das Gefühl, einiges aufholen zu müssen. Neben der Schule arbeitete ich weiter an meiner Illusionskunst, aber ich ging jetzt auch mehr raus und traf mich mit Freunden.