Andy Lettau / Robert Lady
Defcon One
Angriff auf Amerika
Teil 4
Knaur e-books
Andy Lettau, geb. 1966, brach sein Jura-Studium frühzeitig ab und arbeitete nach unterschiedlichen beruflichen Stationen mehr als zehn Jahre lang als Geschäftsführer einer Werbeagentur. Er ist zudem als Ghostwriter tätig. Ausflüge gestattet er sich ab und an ins produzierende Filmbusiness, auch in den USA. Seit Ende 2009 leitet er einen Hörbuchverlag. Das Rohmanuskript seines 25-Stunden-Audiobestsellers Defcon One wurde bei einer Recherchereise Gegenstand einer intensiven Überprüfung durch die Homeland Security am Newark International Airport in New York.
Robert Lady ist das Pseudonym eines NASA-Sicherheitsberaters, der für die Romanrecherche als technischer Stichwortgeber verantwortlich war. »Robert Lady« und Andy Lettau lernten sich im Umfeld eines Shuttle-Starts in Florida kennen; Jahre bevor dieser Roman seine endgültige Fassung bekam.
© der Originalausgabe: 2009 Andy Lettau
© der eBook-Ausgabe: 2011 neobooks.com.
Ein Unternehmen der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
© der gedruckten Version: 2011 Blitz-Verlag
© der Hörbuchversion: 2010 Action Verlag
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Covermotiv: FinePic®, München
www.neobooks.com
ISBN 978-3-426-43475-8
Noch mehr eBook-Programmhighlights & Aktionen finden Sie auf
www.droemer-knaur.de/ebooks.
Sie wollen über spannende Neuerscheinungen aus Ihrem Lieblingsgenre auf dem Laufenden gehalten werden? Abonnieren Sie hier unseren Newsletter.
Sie wollen selbst Autor werden? Publizieren Sie Ihre eBooks auf unserer Akquise-Plattform www.neobooks.com und werden Sie von Droemer Knaur oder Rowohlt als Verlagsautor entdeckt. Auf eBook-Leser warten viele neue Autorentalente.
Wir freuen uns auf Sie!
Der Angriff
20.04., 10.00 Uhr
New York, Pier 86
Spacy, Herold Hollister und Admiral Adamski saßen zusammen mit Jack Hunter und dem NUSA Tauchteam im schmucklosen Besprechungszimmer des Hauptquartiers unterhalb von Pier 86. Die grelle Neonbeleuchtung förderte an diesem Sonntagmorgen die Spuren des vorherigen Abends in den Gesichtern der Männer zu Tage. Unrasiert und mit Rändern unter den Augen tranken fast alle ihren Kaffee, um die Lebensgeister zu wecken und gegen die Brummschädel ein probates Mittel einzusetzen. Amüsiert über den angeschlagenen Zustand der Mitarbeiter warfen sich die beiden Direktoren einen Blick zu.
»Muss wohl hart gewesen sein?«, fragte Adamski.
»Wir haben den gesamten Tequila-Vorrat in Manhattan vernichtet«, meldete sich Spacy zu Wort. »War keine leichte Aufgabe, aber wir haben sie mannhaft erfüllt. War übrigens ein gelungener Einstand unseres Kleinen. Wie geht’s denn so, Nick?«
Nick Willis, der neue Taucher im Team, kämpfte gegen die höllischen Kopfschmerzen an und schluckte gerade seine drittes Aspirin, bevor er mit einem angedeuteten Finger im Hals allgemeine Heiterkeit auslöste.
»Gewöhnen Sie sich schon mal daran, wenn Sie demnächst öfters mit Spacy und Hunter um die Häuser ziehen. Das sind die größten Trunkenbolde der Stadt. Wenn ich mir die monatlichen Spesenabrechnungen ansehe, frage ich mich allen Ernstes, ob es für die NUSA nicht preiswerter wäre, eine eigene Schnapsbrennerei zu eröffnen«, scherzte der stellvertretende Direktor und zwinkerte den beiden Männern zu.
»Korrekte Idee«, sagte Hunter, der seine geröteten Augen hinter einer stark getönten Sonnenbrille versteckte und auf einem Sandwich kaute.
»Nun gut«, begann Admiral Adamski. »Da ich euch an eurem freien Tag hierher beordert habe, werde ich mal auf diesen erbärmlichen Anblick, der sich mir hier bietet, nicht weiter eingehen. Kommen wir also gleich zur Sache.«
Das Licht wurde abgedunkelt, und eine große Leinwand fuhr aus der Deckenverkleidung. Admiral Adamski betätigte eine Taste an einem Laptop, worauf der angeschlossene Beamer ein Bild auf die Projektionsfläche warf. Die Abbildung zeigte das Seegebiet vor Cape Canaveral mit den entsprechenden Tiefenangaben.
»Am 24. April, also diese Woche, startet das Space Shuttle Atlantis zu seiner nächsten Mission. Wie alle hier wissen, wird Tracy Gilles, die Tochter unseres Präsidenten, den Raumtransporter fliegen. Eigentlich eine ganz normale Mission, wenn die Sache nicht diesen brisanten Hintergrund hätte, der mit den letzten Geschehnissen auf Kuba zusammenhängt.«
Alle Männer im Raum wirkten sofort konzentriert und schauten gebannt auf die Karte, als der Direktor der NUSA fortfuhr. Eine Abfolge von Bildern, die allesamt die Kennzeichnung des CIA-Archivs trugen, wurde in die Seekarte eingespielt.
»Nachdem der kubanische Frachter Cojio unmittelbar vor Havanna in die Luft geflogen ist, hat es nur wenige Tage später einen weiteren Zwischenfall gegeben, von dem die NUSA leider erst letzte Woche Kenntnis erlangt hat. Eines der neuen U-Boote der Virginia-Klasse, die USS Clinton, hat auf einem Erprobungslauf im Zentralatlantik mit dem Kugelsonar zufällig den Untergang eines Schiffs aufgezeichnet. Da die Erprobungsfahrt in erster Linie mit Konstrukteuren der Electric Boat Corporation aus Connecticut sowie einigen Offizieren der US Navy durchgeführt wurde, und weil kein offizieller Einsatzauftrag vorlag, sind die während der Fahrt aufgezeichneten Daten auch eher zufällig aufgenommen worden.«
»Und wahrscheinlich auch eher zufällig bei einem Kybernetiker im Forschungslabor der Navy in San Diego gelandet, der dort die Sonarmuster ausgewertet hat«, warf Hunter ein.
»Sehr richtig. Keine Ahnung, ob dort noch – wie zu meiner aktiven Zeit – mit dem Magnetblasenspeicher gearbeitet wird oder nicht«, erinnerte sich der Admiral an seine aktive Zeit bei der Marine. »Jedenfalls ist bei der Analyse der Sonar-Signale alles an Umgebungsgeräuschen eliminiert worden, was nicht menschlichen Ursprungs ist. Die haben dort eine riesige Datenbank mit maritimen akustischen Signaturen. Ähnlich einer Sammlung von Fingerabdrücken, nur eben auf Über- und Unterwasserfahrzeuge bezogen.«
»Man könnte mit einem selbstgebauten Tretboot über den Atlantik fahren und das Ganze ein Jahr später im Pazifik wiederholen. Würde dann dort zufällig eines unserer U-Boote auf Empfang sein, wüsste der Sonar-Mann sofort, mit wem er es zu tun hat«, erklärte Spacy seinen Männern die Sache etwas vereinfacht.
Admiral Adamski nickte zustimmend und kippte den letzten Schluck Kaffee aus einem Becher runter. »Auf jeden Fall konnte die Navy das abgesoffene Schiff identifizieren. Ein angolanischer Frachter namens Saggaritus. War wohl auf dem Weg an die Westküste Afrikas. Knapp achttausend Bruttoregistertonnen, Baujahr 1972, ein richtiges Schätzchen, welches nur noch mit Gummibändern zusammengehalten wurde. Dreimal dürft ihr raten, woher der Pott kam.«
»Kuba«, war aus mehreren Mündern gleichzeitig zu hören.
»Bingo! Der Bursche ist genau an dem Tag aus Santiago de Cuba ausgelaufen, an dem es die Cojio vor Havanna zerrissen hat. Um circa sieben Uhr Ortszeit explodiert ein Schiff vor Kuba, um circa einundzwanzig Uhr Ortszeit verlässt ein Schiff Kuba, welches einige Tage später ebenfalls versinkt. Merkwürdig, oder?«
»Wo sehen Sie den Zusammenhang?«, wollte Spacy wissen. »An diesem Tag haben bestimmt mehrere Schiffe Kuba verlassen. Sollte sich auf der Saggaritus die echte U-2 befunden haben, dürften wir ein Bedrohungspotential weniger haben. Nur stellt sich dann die Frage, ob es Sabotage oder ein Unglück war. Gab es Überlebende?«
»Negativ! Keine Überlebenden, keine Wasserleichen, keine Trümmer, kein Ölteppich. Einfach nichts! Die Saggaritus ist von der Bildfläche verschwunden, als habe sie nie existiert. Natürlich haben an diesem besagten Tag mehrere Schiffe Kuba verlassen, die meisten davon in Richtung Zielhäfen Karibik, Mittel- und Südamerika sowie Europa. Während du versucht hast, den Dingen auf der Cojio auf den Grund zu gehen, haben ich und General Grant die Schiffsbewegungen dieses Tages unter die Lupe genommen. Soweit die NSA und die CIA sowie die Embargo-Kontrollschiffe vor unseren Küsten feststellen konnten, ist nirgendwo verdächtige Fracht in den Zielhäfen angekommen.«
»Die CIA kann doch unmöglich alle Schiffsladungen im Auge haben, die von Kuba weggehen?«, wunderte sich Chuck Devito.
»Das Land führt ein bisschen Zucker, einige Früchte, sowie Tabak, Rum und ein paar Rohstoffe wie zum Beispiel Nickel aus. Da ist die Zahl der Schiffsbewegungen relativ überschaubar«, versicherte Herold Hollister fast staatsmännisch. »Und wäre die Saggaritus im angolanischen Luanda – so der wahrscheinliche Bestimmungsort – angekommen, hätten wir den Inhalt der Fracht vermutlich auch recherchieren können. Die CIA ist dort unten mit ein paar Verbindungsleuten vertreten.«
»Wahrscheinlich kennt die CIA sogar die Schuhgröße von Juanita, die du neulich in dieser Hafenkneipe in Rio de Janeiro angebaggert hast«, flachste Rick Miller und zeigte dabei auf den wie immer wortkargen Tommy Wayne, der daraufhin lediglich die Augen verdrehte.
Spacy mahnte seine Leute mit einem Blick zu mehr Aufmerksamkeit. »Wir wissen also lediglich, dass ein Frachter im Atlantik gesunken ist, der von Kuba kam und nach Afrika wollte. Aber wir wissen nicht, was er an Bord hatte, oder?«
»Wahrscheinlich hatte das Schiff Getreide geladen, vielleicht ein bisschen humanitäre Hilfe für das hungernde Angola. Genau wissen wir das nicht. Aber die Geschichte endet nicht mit dem Untergang der Saggaritus. Eigentlich beginnt sie dort erst richtig. Als ehemaliger Sicherheitsberater hat man so seine Informationsquellen«, gab sich Admiral Adamski geheimnisvoll und registrierte mit Vergnügen, wie die anwesenden Männer neugierig die Köpfe zusammensteckten.
»Spannen Sie uns nicht auf die Folter, Admiral«, forderte der zu neuem Leben erwachte Hunter seinen Vorgesetzten freundlich auf. Dieser zündete sich aber erst einmal eine seiner Zigarren an, die natürlich – passend zum Thema – eine kubanische Cohiba war.
»Die Sache hat mich einfach nicht losgelassen. Während ihr vor Brasilien gearbeitet habt und Mark die Independence weiteren Test unterzogen hat, habe ich die Bänder der USS Clinton weiteren Analysen unterziehen lassen. Um herauszufinden, was noch so alles darauf gespeichert war. Die Raterunde ist hiermit eröffnet!«
Es war der denkbar ungünstigste Tag für anstrengende Kopfarbeit, und die Männer mühten sich ab, eine Lösung zu finden. Letztendlich war es Spacy, der den richtigen Riecher hatte.
»Sie haben ein weiteres Schiff herausgefiltert. Es hat ein Rendezvous gegeben. Wir wurden erneut an der Nase herumgeführt.«
Sichtlich erstaunt angesichts der Kombinationsfähigkeit seines Operationschefs, klatschte Admiral Adamski spontan in die Hände. »Gratulation, hätte nicht gedacht, dass eure alkoholgeschwängerten Birnen an diesem frühen Morgen so etwas zu Stande bringen.«
»Unser Streber wollt sich mal wieder ein Fleißkärtchen verdienen«, scherzte Hunter.
»Falsch. Ich will nur schnellstmöglich aus dieser verqualmten Bude raus, um endlich meinen Rausch richtig auszuschlafen«, entgegnete Spacy und erntete allseits Beifall.
»Okay, Männer. Versuchen wir mal, die Sache weiter zu verfolgen. Tatsächlich konnte ich ein zweites Schiffsgeräusch dort ausfindig machen. Ein Schiff, welches eigentlich der Saggaritus hätte zu Hilfe eilen müssen, da es nah genug dran war, um einen Seenotruf zu empfangen.«
»Wenn es denn ein SOS gegeben hat! Falls einfach nur die Seeventile geöffnet wurden und der Frachter mit Mann und Maus oder von mir aus auch ohne Besatzung untergegangen ist, hätte niemand zu Hilfe eilen können, weil niemand etwas mitbekommen hätte«, sagte Bruce Stocker, der von allen Überlebenden des gestrigen Kampftrinkens noch den frischesten Eindruck machte. Admiral Adamski honorierte die Bemerkung mit einem nach oben gereckten Daumen.
»Sehr gut, Mr Stocker. Und genau hier liegt das Problem. Nach den Regeln der internationalen Seefahrt müssen die Notruffrequenzen alle halbe Stunde abgehört werden. Es war ein Schiff in der Nähe der Saggaritus. Ich weiß nicht, was dort genau geschehen ist, aber das fremde Schiff hat zumindest nichts unternommen, um dem angolanischen Frachter zu helfen. Es hat sich einfach aus dem Staub gemacht. Und jetzt möchte ich gerne wissen, ob das verdächtig ist oder nicht.«
»Admiral, kann man denn nicht aufgrund des aufgezeichneten Geräuschmusters von dem fremden Schiff rekonstruieren, wo es sich jetzt befindet? Wenn man das Schiffsgeräusch identifiziert, kann man es auf See aufbringen und die Besatzung verhören. Oder sehe ich das falsch?«, wollte Nick Willis, der Neuankömmling im Team wissen.
»Prinzipiell ist das richtig. Man könnte es aufspüren, falls alle unsere U-Boote die gleiche Datenbank hätten und falls alle auf den Weltmeeren umher schippernden Fahrzeuge erfasst worden wären. Aber so ist es nicht … noch nicht. Stellen Sie sich den Aufwand vor, jedes einzelne Schiff, von der Hochseeyacht bis zum Luxusliner, zu katalogisieren«, sagte Adamski und stieß einen Rauchkringel unter die Decke. »In der Regel verwenden die Sonar-Männer in unseren U-Booten Referenztöne bestimmter Klassifizierungen. Wenn die USS Clinton offiziell in Dienst gestellt wird, ist ihr Datenspeicher natürlich randvoll mit akustischen Fingerabdrücken eigener und gegnerischer U-Boote, Fregatten, Raketenkreuzer und so weiter. Unsere Jungs sind so gut, dass sie einen Walfurz von einer russischen Akula-Klasse unterscheiden können. Sie können auch zwei Walfürze voneinander unterscheiden, wenn sie denn vorher aufgezeichnet wurden. Oder eben zwei baugleiche russische U-Boote der Akula-Klasse, die vielleicht minimal in ihren Magnetfeldern oder Antriebsgeräuschen voneinander abweichen.«
»Worauf der Admiral hinaus will, ist Folgendes: Das Geräusch dieses fremden Schiffes wurde vor einem Monat zufällig aufgezeichnet. Vor einem Monat! Bei der Erprobungsfahrt der USS Clinton bestand nicht die Absicht, willentlich Bewegungsmuster fremder Schiffe zu speichern. Das fremde Schiff ist jetzt irgendwo, vielleicht geräuschlos in einem Hafen, vielleicht im Trockendock, vielleicht im Indischen Ozean, wer weiß das schon. Die Chance, dass wir ausgerechnet dieses Schiff irgendwo in einer Geräuschdatenbank haben, ist verschwindend gering. Wir sollten erst gar nicht anfangen zu suchen«, sagte der Chefingenieur der NUSA und nahm zum ersten Mal die Sonnenbrille ab.
»Mein Gott, Hunter! Haben Sie ein ganzes Fass von diesem Zeug gesoffen? Sie sehen aus, als ob Sie den Tag nicht überleben werden.«
»Keine Sorge, Admiral. Den Gefallen tue ich Ihnen nicht. Ich komme durch.«
»Ihr Wort in Gottes Ohren!«, fuhr der Admiral kopfschüttelnd fort, während die restlichen Männer Hunter angrinsten. »Aber es stimmt, wir werden das fremde Schiff so nicht finden. Es sei denn, wir können diesem Hinweis irgendeine Bedeutung abgewinnen. Hören Sie jetzt mal gut zu!«
Admiral Adamski gab Herold Hollister einen Wink, eine CD in ein Abspielgerät einzulegen, welches seitlich neben dem Besprechungstisch in einer Wandkonsole untergebracht war. Die kleine silberne Scheibe verschwand in einem Schacht und Hollister drückte die Play-Taste. Ein tiefes, rhythmisches Brummen erklang, welches jeder der Taucher im Raum sofort als Schiffsschraubengeräusch identifizieren konnte. Etwa zwei Minuten lang ließ Hollister das Geräusch auf die Männer einwirken, dann hob er den Zeigefinger, um auf eine besondere Passage der Aufzeichnung hinzuweisen. Unter den stampfenden Tönen war nun etwas auszumachen, was sich wie eine schräge Komposition anhörte.
»Was ist das?«, fragte Devito.
»Pssst!«, kam die prompte Antwort aus mehreren Mündern.
Nach einer weiteren Minute steigerte sich das Geräusch unverkennbar zu einer Melodie. Die Männer sahen sich an und erkannten nun, dass die Töne menschlichen Ursprungs waren und einen Gesang darstellten. Man konnte keine einzelnen Wörter verstehen. Auch war es – wenn überhaupt – nur als exotische Sprache zu erkennen. Aber es war zweifelsohne Gesang.
»Das klingt, als ob jemand in einer Badewanne abgetaucht ist und ein Lied singt«, traf Stocker den Nagel auf den Kopf. »Nur versteht man leider kein Wort.«
»Aber was für eine Melodie ist das? Für mich klingt das wie flötende Seegurken«, wunderte sich Miller und blickte ratlos zu Spacy hinüber, der ebenso konzentriert lauschte und offenbar einen Verdacht hatte. Dann endete die Aufzeichnung.
»Der Gefangenchor von Nabucco?«, riet Stocker.
»Eher eine Abwandlung von Verdis Aida«, sagte Devito.
»Spielen Sie das bitte nochmal ab«, bat Spacy den stellvertretenden Direktor.
»Gerne.«
Erneut drückte Hollister den Knopf und ließ die Aufzeichnung von der Stelle an abspielen, an der die Melodie einsetzte. Spacy kam sich vor, als sei er Kandidat bei einem Radioquiz, in dem die Hörer einen rückwärts ablaufenden Schlager erkennen müssen.
Er schloss die Augen und reiste zurück in die Vergangenheit. Plötzlich fand er sich an einem Ort wieder, an dem er diese Melodie schon einmal gehört hatte. Es war ein unangenehmer Ort gewesen, mit dem er eine ebenso unschöne Erinnerung verband. Bilder tauchten in seinem Kopf auf, in dem ein schmutziger Fluss, fremde Uniformen, eine schäbige Baracke und eine auf seine Schläfe gerichtete Pistole eine Rolle spielten. Er hörte Schreie, vereinzelte Schüsse und militärische Kommandos.
Er wusste nun, wo er sich in seinen Erinnerungen befand und was es mit dieser Melodie, die er seit jenen weit zurückliegenden Tagen nicht mehr gehört hatte, auf sich hatte.
Langsam öffnete er die Augen und atmete tief durch. Alle Anwesenden im Raum starrten ihn an, als Herold Hollister das Abspielgerät stoppte. Dann sprach Spacy wie in Trance.
»Lass die Morgensonne über das Gold und Silber dieses Landes strahlen, dreitausend Meilen vollgepackt mit Bodenschätzen. Mein wunderschönes Vaterland. Der Verdienst unseres klugen Volkes brachte eine großartige Kultur hervor. Lasst uns Körper und Geist opfern, um diesem Korea auf ewig zu dienen.«
Irritiert blickten die Männer ihren Chef an, als sei dieser von einer plötzlich auftretenden Geisteskrankheit heimgesucht worden. Lediglich Hunter, Admiral Adamski und Herold Hollister wussten, warum Spacy diesen Text zitierten konnte und hielten sich deshalb mit jeglichen Kommentaren zurück.
»Was wir da gehört haben, ist die Aegukka, die Nationalhymne der Demokratischen Volksrepublik Korea. Oder besser gesagt, die Hymne Nordkoreas. Solange ich lebe, werde ich diese Melodie nicht vergessen. Ich hatte mal eine unschöne Begegnung mit diesem Land. Aber das ist eine etwas länger zurückliegende Geschichte, die jetzt nicht hier hin gehört. Bei Gelegenheit werde ich sie euch erzählen«, erklärte Spacy ausweichend. »Und schaut mich nicht so an, als wäre ich völlig neben der Spur.«
Admiral Adamski gab ein Husten von sich und schaltete wieder das Licht ein. »Nordkorea. Irgendwo mitten im Zentralatlantik treffen sich zwei Frachter aus Angola und Nordkorea. Allein der Gedanke daran lässt nichts Gutes vermuten. Was Mark sagt, ist korrekt. Ich habe es den Analysten der CIA vorgespielt, und die sind zu dem gleichen Resultat gekommen. Was auf dem Band gespeichert ist, ist eine Gruppe Seeleute, die ihrem Führer und ihrem Land huldigen. Und die sich irgendwo da draußen aufhalten und vielleicht etwas planen. Mit einer U-2, mit Waffen, keine Ahnung. Jedenfalls ist das sehr … Besorgnis erregend.«
»Welche Konsequenz ziehen wir daraus?«, wollte Spacy wissen.
Admiral Adamski baute sich zu voller Größe auf, und seine Augen fixierten jeden einzelnen Mann im Raum.
»Wir suchen das Schiff. Zumindest in einem Gebiet, welches wir mit den ROVs abdecken können. Schickt eure Tauchroboter los und sorgt dafür, dass kein verdammter Nordkoreaner am Tag des Space Shuttle Starts vor der Küste Floridas rumschippert. Und das ist ausnahmsweise mal ein Befehl!«
»Dann sollten wir schnell loslegen. Die Zeit wird allmählich knapp. Kommt, Leute, es wartet Arbeit auf uns. Ausnüchtern könnt ihr bei der Arbeit.«
Spacy scheuchte die Mitarbeiter auf. Ohne zu Murren erhoben sich die Männer aus ihren Stühlen und folgten ihrem Operationsleiter, um sich auf ihren Aufklärungseinsatz vorzubereiten.
»Ach, Mark«, rief Herold Hollister dem Operationsleiter zu. »Wir haben da noch etwas anderes zu besprechen. Unter sechs Augen.«
»Ist okay.« Spacy schickte die Crew aus dem Raum, um dann das Gespräch mit den beiden Direktoren fortzuführen. »Also, was ist so dringlich?«
»Machen wir es ohne Umschweife. Möglichweise steckt Minister McNab vom Heimatschutzministerium tiefer im Dreck, als wir bisher angenommen haben. Dass er die Untersuchungsberichte zu den Astronauten-Morden solange zurückgehalten hat, könnte einen ganz simplen Grund haben. Er wird möglicherweise erpresst«, sagte Hollister.
Spacy stieß einen Pfiff aus und zeigte sich überrascht. »Erpresst? Von wem? Und welche Beweise haben wir?«
Beluga
»Du sagst es.«
»Dann überlasse ich die soeben besprochene Suchoperation im Atlantik Chuck Devito und den Jungs. Sollen deren ROVs versuchen, die Sache mit der Saggaritus zu klären.«
»Ja«, pflichtete Hollister bei. »Auch wenn wahrscheinlich nichts dabei rauskommt.«
»Abwarten. Und nun lasst es uns angehen«, setzte der Admiral den Schlusspunkt.
Spacy verließ den Besprechungsraum und machte sich unverzüglich an die Vorbereitungen. Die entscheidende Phase war angebrochen. Der Countdown hatte begonnen. Die Uhr tickte.