Monika Bittl / Silke Neumayer

Muttitasking

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Monika Bittl / Silke Neumayer

Monika Bittl studierte Germanistik und Psychologie, Silke Neumayer Kommunikationswissenschaften. Beide schreiben mit großem Erfolg Romane und Drehbücher. Sie leben mit ihren Familien in München, wo sie sich täglich mit einer großen Portion Humor dem aussichtslosen Kampf stellen, sich selbst und der Welt gerecht zu werden. Zuletzt erschien von ihnen »Alleinerziehend mit Mann«.

Impressum

eBook-Ausgabe 2013

Knaur eBook

© 2013 Knaur Taschenbuch

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-426-41834-5

Hinweise des Verlags

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Wir freuen uns auf Sie!

Alle im Buch vorkommenden Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder mit uns lebenden Personen sind rein zufälliger Natur.

Vorwort

Eine Frau, die morgens im Nachthemd auf einem Legostein ausrutscht und dabei im Sturzflug die Kinder noch zum Anziehen animiert, eine Frau, die mittags eine Chefbesprechung wegen Windpockenalarm aus der Kita unterbrechen muss und abends beim Kochen gleichzeitig Vokabeln abfragt, eine Frau, die mit einem Ohr telefonische Notfallseelsorge für die beste Freundin leistet und dabei die Mail des Elternbeirats beantwortet – so eine Frau ist Mutter, und die weiß ganz genau, was wir mit »Muttitasking« meinen.

Wir Mütter befinden uns täglich im Sturzflug von den hohen Idealen der perfekten Familie hinab zu den schnöden Dramen des Alltags. Kaum glauben wir, alles im Griff zu haben, schmeißen die Kinder, der Mann, ein paar kleine Läuse oder ein paar noch kleinere Viren oder unser Chef den so sorgfältig ausgearbeiteten Terminplan über den Haufen – und wir organisieren und managen erneut, jonglieren hundert Bälle gleichzeitig in der Luft, bis wir eines Tages feststellen, dass es eigentlich nur eine einzige sichere Konstante im Leben einer Mutter gibt: die nächste Überraschung.

Mit Augenringen beglückwünschen wir uns im Spiegel dazu, täglich an unseren Aufgaben zu wachsen – und fragen uns in ketzerischen Momenten trotzdem, warum die Menschheit noch nicht ausgestorben ist. Welcher Bewerber würde schon eine Stelle annehmen, deren Beschreibung ungefähr so lautet: 24-Stunden-Job, Mindestvertragslaufzeit 18 Jahre, keine Bezahlung, hohe psychische Stabilität erforderlich, Krankheitsvertretung nicht vorhanden, Festlichkeiten und Urlaubszeiten stellen zusätzlich hohe Anforderungen an die Belastbarkeit – und die Fähigkeit zum Managen verschiedenster Lebensbereiche gleichzeitig ist unabdingbare Voraussetzung.

Mag sein, dass wir beim ersten Kind noch völlig naiv die neue Stelle auf Lebenszeit angetreten haben. Aber es soll ja Frauen geben, die sogar zwei oder mehr Kinder kriegen. Sind die denn völlig durchgeknallt?

Seitdem Kinder nicht mehr das zufällige Nebenprodukt des Geschlechtsverkehrs sind, sondern das sorgfältig bestellte Glücksversprechen unseres Lebens, wollen wir die Kleinen samt Karriere und Mann perfekt in unseren Lebensentwurf einbauen – und stellen tagtäglich fest, dass wir als Mütter zwar super organisieren und managen können, dass aber mit Kindern jede Planung ungefähr so zuverlässig ist wie der Wetterbericht für den Sonntag in fünf Wochen.

Sollen die Leute uns doch erzählen, dass wir »einfach bloß« unseren Perfektionsanspruch herunterschrauben oder unsere Kinder »einfach nur« anders erziehen müssten, damit alles rund und ganz entspannt läuft.

Alles Quatsch.

Kinder sind Leben pur. Und das Leben hält eben immer Überraschungen bereit und lässt sich nicht kontrollieren – egal, wie gut wir organisieren.

Die Wahrheit ist ganz einfach: Kinder machen glücklich. Sie sind aber auch gleichzeitig das Anstrengendste, was man sich vorstellen kann. Denn nach der Entlassung aus dem Kreißsaal sind wir plötzlich alles in Personalunion: aufopfernde Mutter, geldverdienende Arbeiterin und gefälligst attraktiv zu bleibende Frau. Doch Studien zeigen, einander diametral entgegengesetzte Rollenanforderungen verursachen den größten Stress.

Wir Menschen können uns viel lockerer vierzehn Stunden lang einem einzigen Job widmen, als ständig zwischen Mann, Kind, Job und Haushalt zu wechseln. Aber wir Mütter wechseln manchmal die verschiedenen Bereiche im Sekundentakt – oder halten alle Bälle gleichzeitig in der Luft.

Trotzdem sind wir stolz auf unsere Familien und auf uns. Wir lieben das bunte, ungeplante Chaos mit ihnen, das uns so sehr an unsere Grenzen bringt. Und dann liegen wir in seltenen Augenblicken sogar untätig auf der Couch und fürchten uns davor, dass die Bälger und mit ihnen der ganze Familienwahnsinn eines Tages ausziehen und eigene Wege gehen. Dass wir nicht mehr morgens über Legosteine stolpern …

Kinder verändern das eigene Leben. Wir trauen uns seit ihrer Geburt ungeschminkt auf die Straße, wir zucken vor blutenden Platzwunden nicht mehr zurück, wir können Familienfeste gelassen überstehen. Kurzum: Wir kreisen nicht mehr ständig um unser eigenes Ego. Wir leben – wie alle anderen Mütter auch – den alltäglichen Wahnsinn und den permanenten Spagat, um die verschiedenen Rollenanforderungen unter einen Hut zu kriegen. Und genau davon handelt Muttitasking.

Wir stellen keine gewagten Thesen auf, wir geben keine Ratschläge, wir sagen nicht, wie man in drei Wochen zur Super-Mom oder zur Manager-Mom wird. Denn wir sind schon irgendwie und sowieso Supermütter – so wie alle anderen Mütter auch –, wenn wir es bloß zulassen, unsere Stärken zu sehen.

Muttitasking beschreibt den chaosgeschüttelten, stressigen, gesellschaftspolitisch unerhörten und zugleich wahnsinnig glücklichen Alltag mit Kindern. Ungeschminkt, lustig, authentisch und ohne zu jammern – einfach so, wie ihn alle anderen Mütter auch kennen und die sich deshalb hoffentlich in ganz vielen Geschichten wiederfinden.

1. Danke für die Blumen

Kurz nach der Entbindung von Lukas, meinem ersten Kind, besuchte mich meine Freundin Maria. Sie klingelte nicht an der Wohnungstür, sie klopfte leise. Komisch, dachte ich mir und öffnete.

»Hallo, Maria, warum klopfst du denn?«

»Ich wollte dich nicht stören.«

»Seit wann störst du mich? Ich hab mich doch nicht verändert, nur weil ich Mutter geworden bin!«

Maria blickte mich zweifelnd an. »Also ich mein, du bist ja wahrscheinlich froh, endlich einmal eine Stunde zum Schlafen zu kommen. Und wenn dann Besuch daherkommt und dich genau in dem Moment weckt …«

»Ach was, ich richte doch mein Leben nicht bloß nach dem Kind aus! Jetzt komm rein, ich mach uns einen Kaffee.«

Maria war zu diesem Zeitpunkt schon dreifache Mutter und ich immer noch der Ansicht, dass ich ganz problemlos mein Leben wie vorher weiterleben würde.

Im Gegensatz zu anderem Besuch kurz nach der Entbindung brachte Maria mir weder ein Stofftier noch Schnittblumen noch Babysöckchen. Aus ihrer Handtasche zog sie einen kleinen Umschlag. Es war ein Gutschein für die Pizzeria um die Ecke.

»Ah, danke, Maria. Super Idee. Mal wieder richtig schön essen gehen, freu mich schon darauf. Wann hast du Zeit?«

»Ähm, also ich dachte, der Gutschein ist für euch. Also ich war nach jeder Entbindung immer wahnsinnig froh, wenn ein Essen nicht eingekauft und gekocht werden musste …«

»Also hör mal«, erwiderte ich. »Jetzt, wo ich eh in Babypause bin, hab ich doch Zeit, bloß jetzt im Moment ist es noch etwas chaotisch, wir sind das halt noch nicht so gewohnt mit Kind.«

Maria starrte mich ungläubig an.

»In ein oder zwei Wochen hat sich das alles eingespielt, sagt auch die Hebamme«, ergänzte ich.

»Wie alt ist Lukas jetzt genau?«, fragte Maria.

»Morgen wird er genau eine Woche alt, sieben Tage!«, strahlte ich.

Maria lehnte sich etwas beruhigter zurück. »Da wirken noch Glückshormone in deinem Körper, du spürst den Stress noch gar nicht.«

»Jetzt komm schon, ein Kind ist doch kein Stress, das ist … wie soll ich sagen … Freude pur. Schau dir mal seine Augen an, komm, schau!«

Maria bewunderte meinen Erstgeborenen gebührend und gab weder kluge Ratschläge noch weitere Kommentare ab. Ziemlich bald verabschiedete sie sich, um nicht weiter zu »stören«. Ich wunderte mich über ihr Verhalten und führte es insgeheim darauf zurück, dass sie ihre eigene aufopfernde Mutterrolle bei dieser Gelegenheit entsprechend herausstreichen wollte.

 

Drei Wochen später hätte ich jeden Besuch, der Sturm klingelte, um mich zu überraschen, erwürgen können. Ich war gerade eingeschlafen gewesen nach einer Nacht, die aus gefühlten fünf Minuten Ruhe bestanden hatte. »Komm, lass uns heute Abend ausgehen«, forderte mich der Besuch auf. »Damit du auch einmal etwas anderes als das Baby siehst«, sagte man mir direkt in die Augenringe vom Ausmaß eines Bodensees hinein. Dass diese Leute den Besuch bei mir überlebten, ist nur der Tatsache zu verdanken, dass ich einfach zu müde und zu schwach war, um ein Küchenmesser zu holen oder Gift anzumischen.

 

Nach der Entbindung von Eva – zwei Jahre später – freute ich mich riesig über Marias Besuch. Sie klingelte nicht, sie klopfte nur leise. Aus der Handtasche zog sie einen Gutschein für ein asiatisches Take-away-Essen und einen zweiten Gutschein für einen Tag Lukas-Hüten. Müde lächelnd nahm ich ihr Angebot, gleich wieder zu gehen, dankbar lächelnd an, weil Eva gerade schlief und ich mich dazulegen konnte. Maria nahm ihre Jacke und – ich glaubte, nicht richtig zu sehen – einfach meine Zimmerlinde und die Orchidee mit. Hatte ich Halluzinationen? Maria klaute doch nicht einfach in meiner Anwesenheit in meiner Wohnung? Und plötzlich fiel mir ein, dass auch nach der Entbindung von Lukas schon Zimmerpflanzen gefehlt hatten, ja, genau, immer nach Besuchen von Maria! Was für Abgründe verbargen sich in der Frau? Sollte ich das meinem Mann erzählen? Sollte ich ihr die Freundschaft deshalb kündigen? Sollte es tatsächlich blumenkleptomanische Freundinnen geben?

Im Stress mit zwei Kleinkindern verdrängte ich das Gesehene einfach. Manchmal blitzte ein Gedanke daran auf, aber ich schob ihn einfach beiseite, so wie die ketzerische Idee, einfach ohne Kinder und Mann für vier Wochen auf eine Südseeinsel zu verschwinden oder als erste Frau auf dem Mond berühmt zu werden. Das Leben mit einem Neugeborenen und einem Kleinkind ließ keinen Platz für den Tick einer Freundin.

 

Am zweiten Geburtstag von Eva klingelte Maria an der Wohnungstür.

»Alles Gute, Eva!«, rief Maria fröhlich und gab der Kleinen ein Geschenk. »Und für dich hab ich heute auch was«, fügte sie geheimnisvoll hinzu.

Maria zog nichts aus der Handtasche. Ich blickte sie fragend an.

»Komm schnell mit zum Auto«, forderte mich Maria auf.

Ich ging nach draußen und traute meinen Augen kaum. Im Anhänger standen jede Menge Pflanzen, an die ich mich dunkel erinnerte. Hatten diese Zimmerlinde, dieses Zyperngras und dieser Bambus nicht einmal bei uns in der Wohnung gestanden?

»Die hab ich dir einfach abgenommen und für dich gepflegt. Denn außer Kakteen überleben in einem Säuglingshaushalt fast nie Pflanzen.«

Ich starrte Maria wie eine heilige Maria an.

»Jetzt komm schon, pack an, tragen wir sie rein! … Ja, ich hab nach der Säuglingszeit einfach noch ein Jahr verlängert, hab doch gesehen, wie lange du nicht einmal mehr zum Haarewaschen oder Schminken gekommen bist. Ich glaub, du hast ja nicht einmal mitbekommen, dass ich dir die Pflanzen einfach abgenommen habe«, ergänzte Maria, während wir Topf für Topf in die Wohnung trugen.

»Nur die Zimmerlinde hab ich nicht durchgekriegt, ich hoffe, dein Herz hing nicht zu sehr an ihr!«

»Nein, gar nicht.«

Mein Herz hängt an Maria, einer wahren Mutterfreundin!

2. Hinz und Kunz

Als mir neulich eine Bekannte ihr frischgebackenes Baby vorstellte mit den Worten: »Das ist Kevin«, rutschte mir heraus: »Oh Gott, der Arme! … Ich mein, ihr Armen … ich mein, ich hab gehört, wie schwer die Schwangerschaft war.« Uff, gerade noch einmal umgebogen. Was kommentiere ich auch Angelegenheiten, die mich nun wirklich nichts angehen! Denn so wie alle Eltern von der unglaublichen Schönheit ihrer Sprösslinge überzeugt sind, so glauben sie auch, den schönsten und besten Namen für ihr Kind ausgesucht zu haben.

 

Als ich mit dem Großen schwanger war, haben wir dicke Bücher gewälzt, um den wirklich genau passenden Namen zu suchen. Individuell sollte er sein, aber auch nicht zu exotisch. Viele Vokale sollten einen Wohlklang erzeugen, die Silbenanzahl harmonisch zum Nachnamen passen, möglichst positive Persönlichkeiten mit ihm in Verbindung gebracht werden, kein nahestehendes Kind schon mit dem Namen »belegt« sein, und auch an eine mögliche Verstümmelung durch dumme Spitznamen dachten wir. Ein Quirin schied demnach aus, weil wir unseren Sohn im Pausenhof schon als »Quirl« verspottet sahen. »Lion« hieß schon der Sohn meiner Schwester. »Jan« war uns zu kurz, »Maximilian« zu lang, »Arne« klang uns zu nordisch, »Leonardo« zu südlich. Und »Tim«, »Paul« und »Felix« schieden aus, weil nach der gefühlten Statistik gerade jeder zweite Junge so hieß. Denn ganz wichtig natürlich: Unser Sohn sollte nicht wie Hinz und Kunz heißen.

»Jakob« ging wiederum überhaupt nicht, weil mein Ex so hieß, »Daniel« war hingegen ein ehemaliger saublöder Mitschüler meines Mannes. »Franz Josef« hätte wunderbar in unsere bayerische Familientradition mit x Josefs und Franz’ gepasst, aber solange die politischen Assoziationen noch ganz eindeutig mit einer Person verbunden waren, kam der Name auch nicht in Frage. Bei »Ali« wiederum stellte sich uns die Frage, warum wir einen türkischen Namen wählen sollten, wenn wir außer bei einem Gemüsehändler nichts mit dieser Kultur zu tun hatten. »Mert« klang uns hart, »Matteo« zu weich.

Mein Favorit war schließlich »Julian«, mein Mann wiederum versuchte, mich von »Anton« zu überzeugen. Um eine Entscheidung voranzutreiben, sahen wir nach, was vor genau hundert Jahren die beliebtesten männlichen Vornamen waren. »Hans« und »Walter« spuckte die Website aus. Nein, das war auch keine wirkliche Alternative. Ebenso wenig, wie im Verwandten- oder Freundeskreis herumzufragen, »findet ihr ›Anton‹ oder ›Julian‹ besser?« Zig andere Vorschläge kamen daraufhin. Und außerdem: WIR hatten doch wohl selbst genügend Geschmack und Feingefühl, um unserem Kind einen besonderen und zugleich nicht abwegigen Namen zu geben! Nein, nein, bloß keine Ratschläge auch noch von den werdenden Großeltern!

Tage- und nächtelang (erinnern Sie sich noch vage, mit was kinderlose Paare ihre Zeit vergeuden können?) riefen wir das halbe Internet zu Jungennamen auf. Mein Mann fand Statistiken, die belegten, dass »Kevin« oder »Jeremy« alleine wegen ihren Namen von Grundschullehrern schlechter benotet werden. Ich hielt Freundinnen schließlich ellenlange Vorträge über jeweilige Moden, nicht nur in der Kleidung, sondern auch bei der Namensgebung, und konnte die Hitlistenführer jedes einzelnen Jahres des 19. Jahrhunderts aufsagen.

Drei Tage vor dem errechneten Geburtstermin hatten wir immer noch keine Lösung. Aber an diesem Tag wurden wir vielleicht schon »geistige«, verantwortungsvolle Eltern. »Hauptsache, alles geht bei der Entbindung gut«, sagte ich. »Was bedeutet schon ein Name?«

»Wenn du und der Junge nur überleben, dann darf er auch gerne ›Julian‹ heißen«, gelobte mein Mann.

Und schließlich fand sich ganz nebenbei eine Lösung des plötzlich »nebensächlichsten« Problems der Welt. Wir würden ganz einfach nach einer – hoffentlich gesunden – Entbindung in das Gesicht des Kleinen blicken und danach entscheiden, ob nun »Julian« oder »Anton« besser passte.

 

Die Wehen waren scheußlich, die Entbindung kein Sonntagsausflug – aber das muss ich wohl nicht näher schildern. Ich brachte einen gesunden Jungen zur Welt, und ein kleiner Dammriss war danach nicht der Rede wert. Glückliche Eltern mit einem Neugeborenen. Den Säugling nur ansehen, ansehen, ansehen und nicht genug davon bekommen. Glückshormone bis zum Himmel hinauf und herunter und wieder hinauf.

»Und jetzt?«, fragte mein Mann am Tag drei nach der Entbindung. »Ich muss heute auf dem Standesamt einen Namen eintragen lassen.«

»Hm«, entgegnete ich, »ich weiß nicht, für mich sieht er weder nach ›Julian‹ noch nach ›Anton‹ aus.«

»Hm, ich weiß auch nicht«, meinte mein Mann.

»Weißt du, ich hab ihn letzte Nacht beim Stillen innerlich plötzlich einmal ›Lukas‹ genannt.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Keine Ahnung, einfach so.«

»Klingt eigentlich gar nicht schlecht – und passt irgendwie auch genau zu ihm.«

»Findest du?«

»Ja!«

»Wirklich? Aber wir haben das doch überhaupt nicht überlegt …«

»Intuitive Entscheidungen sind oft die besten. Weißt du was, Schatz? Wir nennen ihn Lukas, ich fahr jetzt gleich zum Standesamt.«

 

Intuitive Entscheidungen sind wirklich oft richtig, einen anderen Namen als Lukas kann ich mir für meinen Jungen überhaupt nicht mehr vorstellen. Dass Lukas dann der beliebteste Vorname des Jahres wurde und jeder kleine Hinz und Kunz so hieß – ganz egal!

3. Maaaammmmmmaaaaaaaa!!!!!

Mit der Geburt des ersten Kindes wird man erstens Mama.

Und zweitens wieder Kind.

Nein, nicht weil man das innere Kind in sich plötzlich wiederentdeckt (das auch, aber das ist ein anderes Kapitel), sondern ganz einfach, weil man als Mama wieder eine Mama braucht. Oder es zumindest ganz gut ist, wenn man eine »in der Rückhand« hat. Im Notfall tut es natürlich auch der Großpapa oder die Schwiegermama – manchmal sind die sogar besser. Oder es gibt auch so was wie Adoptivmamas, die man sich netterweise selbst als Ersatzmama raussucht … Hauptsache, sie – oder er – hat irgendwie schon mal ein Kind großgekriegt, das keine sichtbaren oder unsichtbaren Schäden abbekommen hat.

Das ist nämlich die einfachste Sache auf der Welt und gleichzeitig die komplizierteste: ein Kind großzukriegen. Wachsen tun sie ja Gott sei Dank von ganz alleine (nicht auszudenken, wenn man die Kinder jeden Tag auch noch gießen müsste, ich hab nun echt keinen grünen Daumen, bei mir geht alles Grünzeug ein). Aber die Hege und Pflege kann einen schon ab und zu um den Verstand bringen.

Klar bin ich auch schon früher, als ich noch kein Kind hatte, mal zu meinen Eltern gefahren. Und klar habe ich mich innerhalb weniger Sekunden nach Betreten des Elternhauses zu meinem eigenen Entsetzen sofort wieder in ein Kind zurückverwandelt. Je nachdem in eine trotzige Dreijährige, in eine wilde Vierzehnjährige oder in eine supercoole Achtzehnjährige.

Unglaublich! Obwohl man, sagen wir mal, eine über dreißigjährige Marketing-Chefin mit Führungsverantwortung und einem satten fünfstelligen Jahresgehalt ist, wird man innerhalb von nur vierundzwanzig Stunden bei den Eltern alle Stadien der eigenen Kindheit noch mal im Schnelldurchlauf absolvieren.

Tja. Mir hat mal jemand gesagt, dass man, solange die Eltern noch leben, immer irgendwie Kind bleibt. Oder zumindest ab und zu noch irgendwie Kind sein kann. Ich glaube, da ist was dran.

Aber jetzt habe ich selbst ein Baby. Und bin damit plötzlich beides. Kind und Mutter.

Zu den eigenen Eltern zu fahren und selbst wieder zum Kind zu werden hat sich nie so gut angefühlt wie in dem Moment, in dem ich mein eigenes Kind mit zu ihnen gebracht habe.

Das eigene Kind abzugeben und sofort selbst zum Kind zu mutieren – das kann echt schön sein.

Außerdem kennt man die Macken der eigenen Mutter schließlich am allerbesten. Und das ist im Normalfall beruhigender als die Macken einer Tagesmutter, die man eben nicht so gut kennt.

Jede Mutter, die ihr Kind schon mal jemand Fremden anvertraut hat, weiß, dass das nicht immer so einfach ist. Und jede Mutter, die ihr Kind schon mal der eigenen Mutter anvertraut hat, weiß, das ist die einfachste Sache der Welt. Nie kann man so entspannt arbeiten oder sich amüsieren oder in Urlaub fahren, wie wenn der eigene Nachwuchs von den Großeltern betreut wird.

Nichts wird passieren, was einem nicht selbst schon passiert ist. Und irgendwie hat man das ja auch überlebt. Mehr Macken als man selbst wird das eigene Kind von der Betreuung durch die Großeltern wahrscheinlich nicht davontragen.

Die meisten von uns haben natürlich ganz klare Vorstellungen, was sie mit einem eigenen Kind anders machen würden als die eigenen Eltern. Zum Beispiel diese Dinge, unter denen sie selbst als Kind am meisten gelitten haben und die sich unauslöschlich als schlimmste Qualen in das Gehirn einer, sagen wir mal, damals Achtjährigen eingebrannt haben. Zweistündige sonntägliche Spaziergänge oder das Essenmüssen von Sauerbraten mit Schneebällchen – auch am Sonntag. Sonntag war früher offensichtlich eindeutig der »Kinder-Quäl-Tag«. Unter der Woche hatte man dazu einfach zu wenig Zeit.

Doch an den eigenen Eltern kann man feststellen, dass auch Eltern dazulernen können. Aber wahrscheinlich erst, wenn sie Enkelkinder betreuen. Denn dann machen Großeltern das oft ziemlich bis vollkommen anders, als sie es bei den eigenen Kindern gemacht haben.

Nichts mehr mit Strenge.

Nichts mehr mit Disziplin.

Nichts mehr mit Ordnung.

Bei den Großeltern wird in den meisten Fällen verwöhnt, was das Zeug hält. Da holen die eigenen Eltern das Elternsein nach, was sie sich damals bei einem selbst wahrscheinlich verkniffen haben. Fernsehgucken bis in die Puppen, Zoo und Zirkus am besten jeden Tag und Süßigkeiten in rauhen Mengen.

Das Strengsein überlassen die Großeltern gerne ihren großen Kindern. Die können das ja. Schließlich wurde denen jahrelang gezeigt, wie das mit dem Strengsein so geht.

Ehrlich gesagt: Ich freu mich schon auf mein erstes Enkelkind. Ich werd das ja so was von verwöhnen. Und jetzt gibt’s ganz sicher nicht schon wieder Süßigkeiten, Sophie.

4. Spieglein, Spieglein

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die beste Mutter im ganzen Land?

Ihr, Frau Huber, seid die beste hier, aber Frau Schmidt hinter den Bergen, die mit den sieben Zwergen, die kocht viel besseren Bio-Brei als Ihr.

 

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die beste Mutter im ganzen Land?

Ihr, Frau Müller, seid die beste hier, aber Frau Maier hinter den Bergen, die mit den sieben Zwergen, die arbeitet nicht und hat viel mehr Zeit für ihre Kinder als Ihr.

 

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die beste Mutter im ganzen Land?

Frau Faller, Ihr seid die beste hier, aber Frau Schneider hinter den Bergen, die mit den sieben winzig kleinen Zwergen, die stillt ihre Kinder viel länger als Ihr.

 

Jede Mutter kennt das, und man kann kein Buch über Mütter schreiben, ohne auch das Thema »Mommy Wars« zu beackern.

Ja. Es ist leider so.

Ein Krieg tobt in diesem Land.

Berufstätige Mutter gegen Vollzeit-Mutter.

Bioladen-Mutter gegen Aldi-Mutter.

Homöopathie-Mutter gegen Sechser-Vollimpfung-Mutter.

Mütter beobachten andere Mütter mit Argusaugen, und außer im Büro wird wahrscheinlich nirgendwo so viel gelästert und verbal geschossen wie auf Spielplätzen.

Und nicht, dass ich persönlich davon frei wäre oder mich gänzlich da raushalten würde. Ich bin ja nicht die Schweiz.

Ich habe nur darüber nachgedacht, warum das so ist.

Warum ausgerechnet wir Mütter, die wir doch eigentlich alle im selben Boot sitzen und nun wirklich was Besseres zu tun hätten, als uns gegenseitig auch noch zu kritisieren und niederzumachen, warum wir genau das so oft tun.

Warum wir uns als Mutter in ständiger Vergleichs- und Konkurrenzsituation befinden. Schließlich sind wir ja nicht im Job.

Oder vielleicht doch.

Menschen konkurrieren nun mal miteinander. Männer wie Frauen. Männer machen es nur etwas anders und auf anderen Ebenen. Frauen konkurrieren auf »ihrem« Gebiet. Und dazu gehören nun mal die Kinder. Mehr als bei den Männern, sonst wären wir ja nicht »alleinerziehend mit Mann«.

Ich kenne keinen Vater, der einen anderen Vater schräg anguckt, nur weil der mit seinem Sohn nicht so oft auf den Sportplatz geht wie er selbst. Das nur so nebenher.

Aber es ist doch so, die meisten Mütter – zumindest alle, die ich kenne, und das sind schon jede Menge –, also die meisten Mütter geben ihr Bestes für ihr Kind. Jede auf ihre Art und Weise.

Vielleicht hilft es uns, wenn wir uns eingestehen, dass wir als Mutter zwar unser Bestes geben und unser Bestes versuchen – aber dass ab und zu Fehler und Scheitern im Leben einfach vorprogrammiert sind.

Und kann sich jemand noch an den alten Spruch erinnern, den ich in der Pupertät so gerne zitiert habe: »Sie wollen doch nur unser Bestes, aber das kriegen sie nicht.«

Das findet man nur witzig, solange man unter zwanzig ist und selbst noch keine Kinder hat.

Aber egal – irgendwie werden wir unsere Kinder schon schaukeln.

 

Ich fände es toll, wenn all die Energie, die wir da reinstecken, um andere Mütter zu be- und verurteilen, wenn wir diese Energie bündeln und uns um die wirklich wichtigen Dinge kümmern würden.

Ich fände es toll, eine Mama-Lobby zu gründen. Oder eine Mütter-Partei.

Solange es nämlich Kinder auf dieser Welt gibt, die verhungern, die kein sauberes Wasser haben, die nicht in die Schule gehen können oder die zur Prostitution gezwungen werden, solange ist es mir persönlich und als Mutter scheißegal, ob eine andere Mutter stillt oder nicht. Ob sie bio kauft oder nicht. Oder ob sie arbeitet oder nicht.

Das sind alles Kleinigkeiten. Auch wenn sie von den Medien oft aufgebauscht werden. Aber es sind Unwichtigkeiten, die uns als Mütter davon abhalten, uns in unserer knapp bemessenen Zeit wirklich wichtigen Dingen zuzuwenden. Den Kindern zum Beispiel – egal, ob den eigenen oder den anderen, für die sich die Frage nach einer Impfung gar nicht stellt, da es dort, wo sie leben, gar keine Impfstoffe gibt.

Also, Mamas, kämpfen wir, entfachen wir einen echten »Mommy-War« – aber bitte an der richtigen Stelle.

5. Still oder stirb

Noch vor dreihundert Jahren galt als gesichert, dass die Rothaarige von nebenan eine Hexe ist. Vor zweihundert Jahren war glasklar, dass es einen lieben Gott gibt, der die oberen und unteren Stände geschaffen hatte und wollte, dass das Weib dem Manne untertan sei. Vor gut hundert Jahren empfahl ein Erziehungsbuch: »Verwenden Sie beim Schlagen der Kinder einen Holzstock. Auch wenn es Ihnen schwerfällt, seien Sie nicht zimperlich. Nur wenn die Kinder ihre Strafe auch spüren, werden sie einsichtig.« Für sämtliche »Wahrheiten« wurden Belege beschafft oder auch nach strengsten wissenschaftlichen Kriterien der jeweiligen Zeit exakte Beweise erbracht. Nur eine klitzekleine Minderheit hinterfragte die jeweiligen Dogmen – bis eine neue Ära und ein paar mutige Geister die »völlig gesicherten Erkenntnisse« auf den Kopf stellten.

Heute lassen sich manche Frauen die Haare rot färben, meist geht nur noch die Oma in die Kirche, und prügelnde Erwachsene verstoßen gegen das Gesetz. Sollte unsere Zeit so reif sein, dass wir nur wissenschaftlich wirklich gesicherten Erkenntnissen folgen? Wissenschaftsphilosophen wie Paul Feyerabend bestreiten das. Auch wir unterliegen Moden und glauben viel mehr als wir wissen.

Aber welchen Irrtümern unterliegen wir? Das wird vermutlich erst eine spätere Generation im Rückblick feststellen können. Welche Dogmen allerdings in unseren Alltag hineinspielen, lässt sich auch jetzt schon leicht erkennen – es herrscht in bestimmten Kreisen Einigkeit über gewisse Themen, und würde jemand daran zweifeln, jaulte man auf oder schlösse den Zweifler aus der Gemeinschaft aus.

Stellen Sie sich bloß einmal vor, auf einer Kreativen-Schick-Italienbüfett-Altbau-Ein-bis-zwei-Kinder-Familien-Fete sagt jemand: »Der ganz Klimawandel findet doch gar nicht statt, das ist doch nur behauptet.« Die Männer würden einen tiefen Schluck vom Toskana-Wein nehmen und bestenfalls heftig mit Sepp – nennen wir ihn einmal so – debattieren, wie er zu dieser Ansicht käme. Wir Frauen würden den Kopf schütteln und uns fragen, ob Sepp bei einer Sekte gelandet ist. Warum sonst vermeiden wir Autofahrten, trennen den Müll und verkneifen uns immer öfter, Fleisch zu essen?

Oder Sepp würde gar behaupten, unser deutsches Fernsehprogramm sei exzellent. »Genau«, würde der Mittvierziger-Gastgeber Sepps These ironisch zustimmen, »und die Erde ist eine Scheibe.«