Iny Lorentz
Roman
Knaur eBooks
eBook-Ausgabe 2012
Knaur eBook
© 2006 Knaur Taschenbuch
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Regine Weisbrod
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: FinePic®, München
ISBN 978-3-426-41489-7
Die Wolfsgrube
Caterina wollte den Becher zum Mund führen, hielt aber mitten in der Bewegung inne und musterte ihren Gastgeber, als suche sie auf seinem Gesicht nach Spuren beginnenden Wahnsinns.
»Verzeiht, Rechlingen, aber das könnt Ihr doch nicht ernst gemeint haben!«
Hartmann Trefflich, der wie eine fette Kröte auf seinem Stuhl hockte, ballte die Rechte zur Faust und schlug so erregt auf die Tischplatte, dass die Messer auf den Zinntellern klirrten. »Warum sollte ich mit einer solch wichtigen Sache spaßen?«
»Ich soll Euren Sohn heiraten, Rechlingen? Bei Gott, Ihr vergesst, dass mein Ahne Leupold von Eldenberg bereits unter Kaiser Otto III. Rang und Titel trug. Ihr aber wurdet als einfacher Bürger Trefflich geboren! Und dass Ihr die Herrschaft Rechlingen käuflich erworben und ihren Namen angenommen habt, macht Euch nicht zum Edelmann. Nur Kaiser Wenzel oder einer der anderen hohen Herren des Reiches kann Euch in den Adelsstand erheben.«
Caterina hatte noch nie auf ihren Stammbaum gepocht, der mütterlicherseits noch feudaler war als der ihres Vaters, doch die unerwartete Werbung hatte sie aus der Fassung gebracht. Sie warf einen Blick auf den jungen Trefflich, der seinen Vater um mehr als Haupteslänge überragte. Botho war ein Bär von einem Mann, mit Schultern, die durch keinen normalen Türrahmen passten, einem fast kugelrunden Kopf, auf dem dünne, hellblonde Haare klebten, und einem rötlichen Gesicht. Einen Adonis konnte man ihn gewiss nicht nennen, auch wenn es weit hässlichere junge Männer gab als ihn. Hätte ihr Vater von ihr verlangt, Botho zu heiraten, wäre sie nicht gerade mit Freuden in diese Ehe gegangen, hätte ihm aber gehorcht. Von Hartmann Trefflich jedoch war es mehr als dreist, sie so unverblümt zu einer Heirat aufzufordern, als wäre sie eine Bauerndirne.
Caterina stellte ihren Weinbecher zurück auf den Tisch, ohne davon getrunken zu haben. »Ich glaube, es gibt hier nichts mehr zu besprechen. Ich habe Euch die Summe übergeben, die mein Vater mir für Euch geschickt hat, und werde Euch nun verlassen.«
Trefflich wies mit einer verächtlichen Geste auf die beiden Lederbeutel, die vor ihm auf der Tischplatte lagen. »So leicht kommt Ihr mir nicht davon, Jungfer Caterina. Dieser Bettel hier wiegt nicht einmal die Hälfte der Summe auf, die ich Franz von Eldenberg für seinen letzten Kriegszug geliehen habe, und von seinen übrigen Schulden habe ich auch noch keinen Heller gesehen. Wenn ich die ausgeliehene Summe bei der Obrigkeit einfordere, wird man mir Euer Land und Eure Burg zum Pfand geben – und dann habe ich das Recht, Euch auf die Straße zu setzen! Unter diesem Gesichtspunkt ist es doch ein großes Entgegenkommen, wenn ich Euch erlaube, meinen Sohn zu heiraten. Der Kaiser wird sich mit einigen Beuteln Gold davon überzeugen lassen, mich oder wenigstens Botho zum Reichsritter oder sogar zum Reichsfreiherrn auf Rechlingen zu ernennen. Eure Kinder hätten dann den gleichen Rang inne wie Euer Vater und Euer Bruder – oder sogar einen höheren. Wenn Ihr vernünftig seid und einwilligt, werde ich auf die Rückzahlung der noch ausstehenden Summe verzichten. Auf diese Weise würde Eurem Vater eine große Last von den Schultern genommen.«
Caterina sprang auf. »Ihr denkt und handelt wie ein Krämer! Wir Eldenbergs aber sind nicht käuflich. Ihr werdet jeden Pfennig Eures verdammten Geldes zurückbekommen, das schwöre ich Euch! Für Euren Sohn sucht Euch gefälligst eine Braut aus Eurem Stand!«
Sie bedachte beide Trefflichs mit flammenden Blicken und rauschte zur Tür. Botho war jedoch schneller als sie und vertrat ihr den Weg. Seine blassen Augen flackerten und er kaute auf seinen Lippen herum, als kämpfe er mit sich selbst.
Im Gegensatz zu ihm plagten seinen Vater keinerlei Skrupel. Er wuchtete sich ächzend aus seinem hochlehnigen, noch mit dem Wappen des ursprünglichen Besitzers geschmückten Stuhl und lachte leise auf. »Oh nein, meine Gute! So leicht kommt Ihr nicht davon. Diese Hochzeit wird stattfinden, ob mit oder ohne Eure Zustimmung! Wenn Ihr erst Bothos Weib seid, wird keiner der elenden Reichsritter und Äbte in unserem Landstrich, die sich heute noch hoch über mich erhaben dünken, weiterhin auf mich herabschauen dürfen. Ich besitze mehr Geld als jeder Einzelne von ihnen – wahrscheinlich sogar mehr als sie alle zusammen! Und doch erlauben sie sich, mich wie einen Wurm zu behandeln, der vor ihnen im Dreck kriechen muss.«
Trefflich hieb erneut mit der Faust auf den Tisch. In ihm kochte die Wut über die adeligen und geistlichen Herren in der Nachbarschaft, die mehr Mäuse in ihren Speisekammern hatten als Gulden in ihren Kisten. Wenn ihnen das Wasser bis zum Halse stand und sie dringend Geld brauchten, kamen sie zu ihm, nannten ihn schmeichlerisch Herrn Hartmann auf Rechlingen und jammerten schlimmer als das Bettelgesindel auf den Stufen von Sankt Stephan zu Mindelheim. Aber wenn er seine Geldtruhe geöffnet hatte und seine sauer verdienten Münzen in ihre Taschen gewandert waren, hießen sie ihn wieder einen elenden Pfeffersack und luden ihn weder zu ihren Festen noch zu ihren Beratungen ein. Eine Heirat seines Sohnes mit Caterina, die dem ältesten Adelsgeschlecht der Gegend entstammte, würde ihm Zugang zu ihren Kreisen verschaffen. Deshalb musste er diese Verbindung zustande bringen, ganz gleich, wie störrisch das junge Ding sich zeigen mochte. Im Gegensatz zu dem, was er eben behauptet hatte, benötigte er allerdings ihre laute und deutliche Zustimmung zur Heirat – und das wusste diese hochnäsige Jungfer ebenso gut wie er.
Zu Trefflichs Leidwesen drängte die Zeit, denn der alte Eldenberg und sein Sohn weilten als Söldnerführer in Italien und konnten jederzeit im Kampf fallen oder an einer der zahlreichen Krankheiten sterben, die die Heere heimsuchten. Trefflich kannte die Verwandtschaftsverhältnisse der Eldenbergs nicht gut genug, um zu wissen, wer der Vormund des jungen Mädchens sein würde. Und der arme Teufel könnte ihm wohl auch nicht helfen, denn es gab höchstwahrscheinlich niemanden, der Caterina zu bändigen vermochte. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie jeden Mann zur Seite schieben und weiterhin nach eigenem Gutdünken leben würde, obwohl sich das für ein weibliches Wesen wirklich nicht ziemte. Wenn er ihr jetzt Zeit ließ, würde sie sich höchstwahrscheinlich mit einem der adeligen Schnösel in der Nachbarschaft verloben, um ihm, Trefflich auf Rechlingen, eine lange Nase zu drehen. Dann würde er keinen weiteren Heller von dem Geld sehen, welches er nicht ohne Hintergedanken ihrem Vater geliehen hatte, damit dieser Söldner anwerben und ausrüsten konnte. Heiratete sie aus Trotz einen der Junker aus der Umgebung, würde dieser die halbzerfallene Burg, in der Caterina jetzt lebte, die paar Hufen Land und das dazugehörende Meierdorf zu seinem Eigentum erklären und notfalls mit der Waffe gegen ihn verteidigen. Dabei wog das Gerümpel nicht einmal ein Viertel der Summe auf, mit der der alte Eldenberg bei ihm noch in der Kreide stand. Das einzig Wertvolle, das Caterina mit in die Ehe bringen konnte, war ihr altehrwürdiger Name.
Trefflichs Blick streifte die beiden Beutel auf dem Tisch, die Caterina ihm überbracht hatte, und korrigierte sich. Nun betrug der Wert der eldenbergischen Liegenschaften noch etwa die Hälfte der Schulden. Doch er war nicht bereit, auf die andere Hälfte zu verzichten. Bisher hatte er noch nie ein Geschäft mit Verlust abgeschlossen, und dazu würde er es auch jetzt nicht kommen lassen.
Da der Hausherr in seinen Gedanken versunken schien, kehrte Caterina ihm den Rücken zu und funkelte Botho an. »Gib den Weg frei!«
Der junge Mann zog unwillkürlich den Kopf ein, blieb aber vor der Tür stehen. »Vater will nicht, dass du gehst.«
»Botho, du wirst doch selbst sehen, dass dein Vater mit dieser Werbung über die Schnur haut. Noch nie haben die Eldenbergs unter ihrem Stand geheiratet, und dies wird, solange Gottes Sonne diese Welt bescheint, auch nicht geschehen.«
»Das sehe ich anders!« Hartmann Trefflich wirkte mit einem Mal wie ein alter Kater, der noch ein wenig mit der Maus spielen will, die er eben gefangen hat. »Jungfer Caterina, die Zeiten sind nicht mehr so wie unter der Herrschaft des seligen Kaisers Otto. Heutzutage ist nicht mehr der Schwertarm des Ritters das Maß aller Dinge, sondern gemünztes Gold. Ohne Geld kann kein Edelmann Rüstung und Ross kaufen, kein Kaiser den purpurnen Mantel und die Krone, die ihn zieren. Die fetten Äbte würden in ihren Abteien schmal und mager werden, griffen ihnen nicht Männer wie ich mit frommen Spenden unter die Arme. Es wird an der Zeit, dass wir Kaufleute von Euresgleichen als ebenbürtig anerkannt werden – und wenn dies durch eine Ehe erfolgen muss.«
»Mein lieber Rechlingen, ich kann nicht die Söhne aller Kaufleute heiraten, die wie Ihr von einer Rangerhöhung träumen.« Caterina hatte sich entschlossen, die Sache wie einen Scherz aufzufassen. Als sie sich wieder Botho zuwandte und ihn aufforderte, endlich die Tür freizugeben, tat sie es nicht nur mit dem Stolz einer alten Sippe, sondern auch mit dem Temperament ihrer italienischen Mutter, die sie nur wenige Jahre hatte erleben dürfen. Es gab einige Leute in der Herrschaft Eldenberg, die behaupteten, dies sei gut für sie gewesen, denn Signora Margerita hatte in zorniger Stimmung selbst ihren Ehemann dazu gebracht, sich vor fliegenden Bechern, Tellern und anderem Gerät in Sicherheit zu bringen.
Botho schrumpfte bei ihrem Ausbruch zu einem Häuflein Elend, sein Vater aber lachte sie aus. »Diese Heirat wird stattfinden! Entweder heute Abend noch oder – falls Ihr Euch weiterhin sträubt – spätestens morgen früh.«
Caterina wurde klar, dass es Trefflich völlig ernst damit war, und stampfte auf den Boden. »Ihr seid verrückt, vollkommen verrückt!«
Dann versuchte sie, Botho von der Tür wegzuschieben, aber sie hätte ihre Kraft genauso gut an einem mannshohen Felsblock erproben können. Deshalb rief sie, so laut sie es vermochte, nach ihren Begleitern. »Adam! Jockel! Kommt her zu mir!«
Die einzige Antwort war das boshafte Kichern ihres Gastgebers. »Meine Liebe, ich fürchte, Eure Getreuen werden Euch nicht helfen können. Dafür war der Wein zu stark, den sie in meiner Küche getrunken haben. Meine Leute werden die beiden inzwischen in eine abgelegene Kammer gebracht haben, in der sie ihren Rausch ausschlafen können.«
»Wenn Ihr Euch einbildet, ich würde vor Angst auf die Knie fallen, nur weil Ihr mich meiner Bediensteten beraubt habt, so täuscht Ihr Euch gewaltig! Ich werde Euren Sohn nicht heiraten, und wenn Ihr den Teufel selbst als Trauzeugen herbeibrächtet.« Caterina verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, so gelassen wie möglich auszusehen. Innerlich raste sie vor Wut über die plumpe Falle, die man ihr gestellt hatte. Da sie Trefflich zugetraut hatte, einem ihrer Knechte das Geld einfach abzunehmen und ihn ohne schriftliche Bestätigung wieder wegzuschicken, war sie selbst nach Rechlingen geritten, um sich den Erhalt der Geldsumme und die Minderung der Schulden von ihm quittieren zu lassen. Niemals hätte sie erwartet, dass er sie auf diese Weise hereinlegen würde.
Obwohl sie vor Zorn glühte, versuchte sie, ihrer Stimme einen friedfertigen Klang zu geben. »Trefflich, geht in Euch! Wenn mein Vater von dem Spiel erfährt, das Ihr hier mit mir treibt, wird er voller Zorn über Euch kommen. Gegen sein Schwert schützt Euch all Euer Gold nicht.«
»Vorhin wart Ihr noch höflicher, meine Liebe, und habt mich Rechlingen genannt.« Trefflich gluckste vor Vergnügen, denn es gefiel ihm, ein Mitglied jener Gesellschaftsschicht, die er von Kindheit an mit jeder Faser seines Herzens beneidet hatte, hilflos seinen Launen ausgeliefert zu sehen. Er verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust, was ihm aufgrund seines Leibesumfangs nicht so leicht fiel wie seiner Gefangenen, und musterte sie wie ein Kalb oder eine Stute, die ihm auf dem Markt angeboten wurde.
Caterina war nicht mit großer Schönheit gesegnet, aber auf ihre Art reizvoll, nicht zu groß und nicht zu klein. Ein paar Rundungen mehr hätten ihr gut getan, aber da sie eine gute Figur hatte, würde das reichliche Essen auf Rechlingen sie bald herausfüttern. Ihm gefiel ihr herzförmiges Gesicht, auch wenn die Nase vielleicht einen Hauch zu lang war, und mehr noch ihre großen, ausdrucksstarken Augen, die im Zorn aufglühten wie Opale im Sonnenlicht. Der Mund mit geschwungenen roten Lippen lud geradezu zum Küssen ein, und ihr lang fallendes, lockiges Haar, das je nach Lichteinfall dunkelblond oder brünett wirkte, umgab sie wie ein kostbarer Mantel. Ihre Haut zeigte da, wo sie nicht von der Sonne mit einem hellen Braun überhaucht worden war, den Schimmer von Elfenbein, ebenso die Zähne, die wie zwei fehlerlose Perlenreihen ihren Mund zierten. Ihr Aussehen und ihre ganze Haltung wiesen sie als Nachkommin eines stolzen Geschlechts aus, das selbst mit einem Berg von Schulden noch auftrat, als hätte der Kaiser ihnen eben ein reiches Lehen geschenkt.
Trefflich nickte, als müsse er seinen Entschluss noch einmal bekräftigen. Caterina war die einzig richtige Braut für seinen Sohn, edel geboren genug, um jederzeit vor Königen und Fürsten erscheinen zu können, und – was noch wichtiger war – derzeit ohne männlichen Schutz. Bis die Nachricht von der erzwungenen Heirat ihren Vater im fernen Italien erreichte und dieser darauf reagieren konnte, war Caterina bereits schwanger oder der Bund sogar schon mit einem Erben gesegnet. Franz von Eldenberg würde nichts anderes übrig bleiben, als seinen reichsritterlichen Stolz hinunterzuschlucken und Botho als Eidam an sein Herz zu drücken.
Mit diesem Gedanken schob Trefflich die letzten Skrupel beiseite und musterte Caterina spöttisch. »Da Ihr Euch bockig zeigt, werden wir Euch zähmen müssen wie eine übermütige Stute. Eine Nacht in der Wolfsgrube wird Euren Trotz schon brechen. Felix, Werner, kommt herein!«
Die beiden Knechte mussten bereits vor der Tür gewartet haben, so schnell betraten sie den Raum. Es handelte sich um ungewöhnlich kräftige, muskelbepackte Kerle, die beinahe so groß waren wie Botho. Während Trefflichs Sohn sich ein paar Schritte zurückzog, packten sie Caterina und bogen ihr rücksichtslos die Arme auf den Rücken.
Ihr war sofort klar, dass die Kerle nur darauf warteten, sie schreien zu hören, aber diesen Triumph wollte sie ihnen nicht gönnen. Da sie vor Schmerzen die Zähne zusammenbiss, konnte sie Trefflich nicht ins Gesicht schleudern, was sie von ihm hielt.
»Seid doch nicht so rau! Ihr renkt ihr ja die Gelenke aus!« Bothos Stimme klang wie die eines bettelnden Kindes.
Die Knechte lachten nur, denn sie nahmen den Sohn des Herrn nicht ernst. Vorerst hatte er keine Macht über sie, und wenn er in einigen Jahren seinem Vater nachfolgte, waren sie mit der Belohnung, die der alte Trefflich ihnen für diese Sache geben würde, längst über alle Berge. Wahrscheinlich würden sie schon bald nach der Hochzeit verschwinden müssen, denn aus den Augen ihrer Gefangenen leuchtete ihnen ein Hass entgegen, der nicht mehr von dieser Welt zu sein schien. Werner erinnerte sich, dass Caterinas Mutter aus Italien stammte, einem Land, in dem die Menschen über geheime Künste verfügten, und wandte sein Gesicht ab, damit das Weib ihn nicht mit dem bösen Blick verhexen konnte.
»Bringt sie zur Wolfsgrube! Wir werden doch sehen, ob sie immer noch so mutig ist, wenn sie einen Blick hineingeworfen hat.« Trefflichs Stimme triefte vor Hohn, er kannte keine Frau, deren Willen nicht spätestens nach einer Nacht an diesem tiefen, finsteren Ort gebrochen war.
Die Wolfsgrube entpuppte sich als ein mehr als vier Klafter tiefes Loch im hintersten Teil der Burganlage, in dem der Vorbesitzer der Herrschaft ein paar wilde Wölfe gehalten hatte. Den Gerüchten zufolge, die über den Mann im Umlauf waren, hatte er die Tiere mit jenen Knechten und Mägden gefüttert, die so ungeschickt gewesen waren, seinen Zorn zu erregen, oder auch mit dem einen oder anderen Wanderer, den er auf seinem Land abgefangen hatte. Caterina erinnerte sich mit Schaudern an die Geschichten, die sie über den letzten Reichsritter auf Rechlingen gehört hatte, und atmete beinahe erleichtert auf, als sie am Rand der Grube stand und ein kleines Stück des Bodens erkennen konnte. Sie hatte schon befürchtet, es gäbe noch hungrige Bestien darin, über deren Köpfen sie angebunden werden sollte. Aber es drang kein Laut zu ihr hinauf und es roch auch nicht nach frischem Tierdung. Die Grube allein schreckte sie nicht. Selbst wenn man sie zwang, die ganze Nacht darin zu verbringen, würde sie diesem fetten, eingebildeten Kaufmann am nächsten Morgen genauso ins Gesicht lachen wie an diesem Abend.
Trefflich schien zu bemerken, dass sie den Mut noch nicht verloren hatte, denn er wies mit der Hand nach Osten. »Der Aufenthalt dort unten wird gewiss nicht angenehm sein. Seht Ihr die gelbe Wolke über dem Horizont? Sie kündet ein heftiges Gewitter an mit Blitzen, die Felsen spalten können, und wahrscheinlich sogar mit Hagelschlag. Geht Euer Starrsinn so weit, dass Ihr Euch dem Wüten der Geister und Dämonen aussetzen wollt, die ein solches Unwetter begleiten? Kommt mit uns ins Warme, trinkt ein Glas vom besten Wein auf Euren Verlobten und reicht ihm vertrauensvoll Eure Hand!«
Der Handelsherr glaubte zwar nicht, seine Gefangene einschüchtern zu können, doch er hoffte, mit seinen besorgt klingenden Worten seine Verhandlungsbereitschaft unterstreichen und seinen Tölpel von Sohn beruhigen zu können.
Bothos sonst stets gerötetes Gesicht wirkte mit einem Mal so blass, als sei er eben dem Gottseibeiuns begegnet. »Du meinst, da zieht ein Unwetter herauf? Aber dann darfst du Caterina doch nicht in die Grube werfen lassen! Sie kann so schlimm krank werden, dass sie stirbt!«
Der ungeschlachte Jüngling sah für den Augenblick so aus, als wolle er seinen Vater handgreiflich an der Ausführung seiner Pläne hindern. Trefflich schob das Kinn vor und bedachte seinen Sohn mit einem verächtlichen Blick. »Red keinen Unsinn! Die Jungfer ist kerngesund und zäh. An ein paar Tropfen Regen stirbt die nicht. Sei dankbar, dass Gott ein Unwetter schickt, das unseren Plänen entgegenkommt. Nichts fürchten die Frauenzimmer mehr als Donner und Blitz. Ich schwöre dir, noch vor der Geisterstunde wird sie darum flehen, dein Weib werden zu dürfen.«
»Niemals!«, brauste Caterina auf, um dann einen Schmerzenslaut auszustoßen. Der Knecht, der Werner gerufen wurde, hatte ihr nämlich kräftig in die linke Brust gekniffen und ließ seine freie Hand nun nach unten wandern, als wolle er ihr unter das Kleid fahren. Als Trefflich schnaubte und ihn strafend anblickte, zog er seine Hand rasch zurück.
Der Kaufherr lächelte böse, denn die offensichtliche Gier der beiden Knechte, Caterina zu bedrängen, spielte ihm in die Hände. Mahnend hob er den Zeigefinger. »Dass ihr beiden euch nicht einfallen lasst, in der Nacht zu der Jungfer hinabzusteigen und ihr Gewalt anzutun. Ihr würdet euch im Kerker von Mindelheim wiederfinden. Der Henker dort soll sein Handwerk verstehen!«
Er brachte die Worte jedoch so schwächlich hervor, dass Felix und Werner sich hämisch angrinsten. Ihnen hätte es durchaus gefallen, Caterina auf den Rücken zu legen, aber sie wussten genau, wie weit sie gehen durften. Die Gefangene war keine Magd, deren verlorene Tugend Trefflich höchstens ein leichtes Stirnrunzeln wert gewesen wäre, sondern ein Edelfräulein, welches dazu bestimmt war, den Stamm des Kaufherrn ins nächste Glied fortzupflanzen. Man konnte ihnen ansehen, dass sie beide hofften, das Mädchen würde sich so lange weigern, der Heirat mit Botho zuzustimmen, bis Trefflich die Geduld verlor. Dann nämlich würde er ihnen erlauben, Gewalt anzuwenden. Es gab etliches, was man mit einer Frau anstellen konnte, auch wenn der Bereich zwischen ihren Schenkeln nicht verletzt werden durfte. Felix griff sich mit einem wohligen Stöhnen in den Schritt, nestelte den Hosenlatz auf und holte sein bestes Stück heraus. Während er mit gepresstem Keuchen in die Grube urinierte, bewegte er anzüglich das Becken vor und zurück.
Botho sah so aus, als würde er den Knecht am liebsten eigenhändig in das Loch werfen, Caterina aber wandte sich verächtlich ab und maß Trefflich hochmütig. Dieser zerbiss einen Fluch auf den Lippen. »Glaubt ja nicht, Ihr könntet Eurem Schicksal entkommen! Wenn Ihr meinen Sohn verschmäht, werde ich diese beiden Wölfe über Euch herfallen lassen.«
Bei diesen Worten fuhr Botho mit geballten Fäusten herum, doch als er in das Gesicht seines Vaters sah, spreizte er die Hände schnell wieder, als hätte er etwas Verbotenes getan. »Aber Vater! Das kann doch nicht Euer Ernst sein.«
Caterina lachte scheinbar selbstsicher auf. »Das würdet Ihr nicht wagen, Trefflich! Dafür würde mein Vater Euch die Haut vom Leib ziehen und über eine Trommel spannen lassen, wahrscheinlich sogar über zwei, denn dick genug seid Ihr dafür.«
Trefflich grinste, denn für einen Augenblick glaubte er Angst auf Caterinas Gesicht wahrgenommen zu haben. Sein Blick flog zum Himmel, der sich trotz der frühen Nachmittagsstunde so dunkel gefärbt hatte, als wolle die Nacht jeden Augenblick hereinbrechen. »Seht Ihr! Es wird ein Gewitter geben, das wie geschaffen ist für die Wilde Jagd, der man am besten nicht im Freien begegnen sollte. Im warmen Ehebett mit meinem Sohn an Eurer Seite würde Eure unsterbliche Seele nicht in Gefahr geraten – und angenehmer wäre es dort auch als unter freiem Himmel.«
Caterina zischte eine Verwünschung in der Sprache ihrer Mutter, die ihr noch geläufig war. Trefflich verstand sie zwar nicht, las aber an ihrem Gesicht ab, dass es gewiss keine Freundlichkeit gewesen war, und gab den beiden Knechten einen Wink. »Schafft sie nach unten!«
Während Felix Caterina festhielt, nahm Werner eine neben der Grube bereitliegende Leine, fesselte dem Mädchen die Hände vor der Brust und zog einen langen Strick unter ihren Armen durch. Dann schob Felix sie in die Grube, bis sie an dem Seil pendelte. Während sie in die Tiefe hinabgelassen wurde, schnürte das Seil ihr fast den Atem ab, so dass sie froh war, als sie den Boden unter den Füßen erblickte. Der Grund der Grube wirkte matschig und war mit Zweigen, altem Laub und allerlei Gerümpel bedeckt. Das letzte Stück ließen die Knechte sie fallen und lachten schallend, als sie mit einem hörbaren Geräusch in den Schmutz klatschte. Werner gab ein Ende des Strickes frei, so dass er ihn an dem anderen wieder hochziehen konnte, und verließ auf Trefflichs Wink zusammen mit seinem Kumpan den Hof.
Der Kaufherr trat so weit vor, wie er es vermochte, und blickte hinab. Unten war es so dunkel, dass er Caterina nur als Schatten erkennen konnte. Das ärgerte ihn, denn zu gerne hätte er ihr Gesicht gesehen. Für einen kurzen Augenblick erwog er, die Knechte zurückzurufen und ihnen aufzutragen, eine Laterne zu holen. Da zuckte er selbst zusammen, denn ein gewaltiger Donnerschlag rollte über das Land und die ersten Tropfen klatschen auf den Boden. »Ich wünsche Euch eine angenehme Nacht, Jungfer Caterina!«, schrie er hinab. »Vielleicht komme ich, wenn das Gewitter vorüber ist, noch einmal zu Euch und schaue, ob Ihr anderen Sinnes geworden seid.«
»Eher fällt dir die Mondscheibe auf den Kopf, du Bastard!« Caterina streifte jeden Rest von Höflichkeit ab und überschüttete den Mann mit einer Fülle klangvoller italienischer Flüche, an die sie sich nun Stück für Stück wieder erinnerte.
Trefflich winkte seinem Sohn, ihm zu folgen, und kehrte ins Haus zurück. Botho trottete unglücklich hinter ihm her und sah immer wieder zu der Gewitterwand auf, die nun von Horizont zu Horizont reichte. »Das wird ein fürchterliches Unwetter, gefährlich für jeden, der sich im Freien aufhält, Vater! Ich habe Angst, ein Blitz könnte Caterina treffen. Oder sie wird vor Angst sterben.«
Trefflich winkte ab. »In der Grube ist sie vor Blitzen sicher! Und vor Angst sterben? Die Frau hat den Mut einer Löwin! Eher stirbst du jämmerlicher Feigling, als dass sie nur mit einem Lid zuckt. Verdammt, ich wünschte, du hättest so viel Courage in deinem Kopf wie sie in ihrem kleinen Finger! Ich werde sie kräftig für dich zurechtschleifen müssen, sonst steckt sie dich in einen Weiberkittel und zieht selbst die Hosen an.«
Botho ließ sich diesmal nicht einschüchtern. »Was ist, wenn es so stark regnet, dass die Grube voll läuft? Caterina wird ertrinken!«
Trefflich bedachte seinen Sohn mit einem Blick, als stünde ein Schwachsinniger vor ihm. »Bei den paar Tropfen bekommt sie höchstens nasse Füße. Aber wenn sie sich dann fühlt wie eine halbersäufte Katze, wird sie ein trockenes Bett ebenso zu schätzen wissen wie den Mann, der sie darin wärmt. Und selbst wenn es stärker zu regnen beginnt, besteht keinerlei Gefahr für sie, denn das Wasser stand in der Grube noch nie höher als eine oder zwei Ellen. Dann muss sie halt die Nacht im Stehen verbringen.«
Da sein Sohn noch immer ein Gesicht zog, als durchlebe er jetzt schon all die Schrecknisse, die auf Caterina warteten, gab Trefflich ihm einen Stoß und befahl ihm, Wein zu besorgen und in jene Turmkammer zu bringen, in der er sich am liebsten aufhielt.
Botho stöhnte auf. »Aber wer passt auf Caterina auf? Felix und Werner traue ich nicht über den Weg. Die könnten wirklich auf den Gedanken kommen, Caterina etwas anzutun.«
»Beim Heiland, was bist du nur für ein jämmerlicher Kerl? Noch ein Wort, und ich komme in Versuchung, ihnen zu befehlen, das Weibstück für dich zuzureiten. So eine rassige Stute wirft dich doch allein bei dem Versuch ab, sie zu besteigen. Mein Gott, warum hast du mich mit so einem Jammerlappen von Sohn geschlagen?«
Trefflich versetzte Botho einen zweiten Schlag, der um einiges kräftiger ausfiel, und drohte ihm einen Hieb für jedes weitere Wort an, das über seine Lippen käme.
Caterina wusste nicht, was größer war, ihre Wut auf Trefflich oder der Ekel vor dem Loch, in das er sie hatte werfen lassen. Im Licht der immer rascher aufzuckenden Blitze sah sie zwischen all dem Schmutz, der den Boden bedeckte, das Gerippe eines großen Tieres liegen, an dem noch Fetzen von Sehnen und Fell hingen. Das musste eine der Bestien gewesen sein, die der frühere Herr auf Rechlingen sich gehalten hatte, und bei den angenagten Knochen von Rindern und Pferden, die darum herum im Dreck steckten, handelte es sich wohl um die Reste der Wolfsmahlzeiten. In einer Ecke schauten Stofffetzen aus einem undefinierbaren Haufen heraus, und zwischen ihnen war ein zerbrochener Holzeimer zu erkennen. Zuletzt entdeckte sie sogar ein rostiges Messer mit verrottendem Griff. Sie hob es auf und begann sofort, die Stricke um ihre Handgelenke durchzutrennen. Es war mühsam, da sie das eklige Ding nicht zwischen die Zähne nehmen wollte und es auch sonst nirgends befestigen konnte. Aber die Klinge tat noch ihre Dienste, und als sie frei war, schwang sie das Messer durch die Luft, als wolle sie es Trefflich in den Wanst stoßen. Nun fühlte sie sich nicht mehr ganz so wehrlos.
Ein Blitz, der die Grube in grelles Licht tauchte, und das beinahe gleichzeitige Krachen eines gewaltigen Donnerschlags ließen sie zusammenzucken. Sie war zwar nicht so furchtsam, wie ihre Mutter es bei Gewittern gewesen war, aber dennoch bebte ihr ganzer Körper. »Du musst durchhalten, Caterina!«, befahl sie sich selbst.
In dem Augenblick wurde ihr klar, dass es ihr nicht viel nützte, die Tapfere zu spielen, denn sie würde auch am nächsten Morgen noch Trefflichs Gefangene sein. Wenn sie sich dann immer noch weigerte, Botho zu heiraten, würde er sich gewiss neue Quälereien für sie ausdenken. Wahrscheinlich würde er seinem Sohn befehlen, sie zu vergewaltigen, um ihren Willen zu beugen, oder seinen Knechten, sie mit Ruten zu schlagen, bis der Schmerz ihren Widerstand brach. Beide Aussichten waren nicht dazu angetan, sie verharren und darauf warten zu lassen, was das Schicksal ihr noch bescherte. Sie trat an die Wand der kreisrunden Grube und untersuchte sie. Die Hoffnung, an ihr hochklettern zu können, gab sie sofort wieder auf, denn sie ragte senkrecht in die Höhe und war so glitschig, dass ihre Hände keinen Halt fanden.
»Verflucht sollst du sein, Trefflich!«, schrie sie in einen weiteren Donnerschlag hinein.
Eine Weile blieb sie dicht an der Wand stehen, so dass die Regentropfen, die der auffrischende Wind über die Grube trug, sie nicht erreichen konnten, und überlegte, welche Möglichkeiten ihr noch blieben, der erzwungenen Heirat zu entkommen. Es gab nur eine einzige, die Erfolg versprach: sie musste das Messer gegen sich selbst richten.
Prüfend strich sie über die Schneide und fand sie trotz allen Rostes noch scharf genug. Die Klinge war zu klein und zu dünn, um sie sich ins Herz zu stoßen, doch es reichte ein Schnitt an der richtigen Stelle des Handgelenks, um das Leben aus sich herausfließen zu lassen. Noch während sie sich die enttäuschte Miene vorstellte, die Trefflich morgen beim Anblick ihres leblosen Körpers ziehen würde, wurde ihr klar, dass sie nicht sterben wollte. Sie war gerade zwanzig geworden und ihr Leben lag noch vor ihr. Sollte sie es wegen eines übergeschnappten Pfeffersacks und dessen Tölpel von Sohn wegwerfen wie einen abgenagten Knochen?
Erneut wanderte ihr Blick über die Wände der Grube, und für einige Augenblicke war sie dankbar für das Unwetter, das um sie herum tobte, denn das flackernde Licht zeigte ihr, dass es tatsächlich unmöglich war, ohne Leiter oder einen von oben herabgelassenen Strick die mehr als zwei Manneslängen zu überwinden, die zwischen ihren ausgestreckten Armen und dem oberen Rand lagen. Für einige Augenblicke fragte sie sich, ob wohl jemand aus dem übrigen Gesinde der Burg die Vorgänge beobachtet hatte und bereit war, das Unrecht zu vereiteln, das der aufgeblasene Kaufherr ihr antun wollte. Aber nichts deutete darauf hin, dass sich jemand in das Gewitter hinauswagte, um sie aus der Wolfsgrube zu ziehen. Wahrscheinlich lähmte die Furcht vor dem Herrn auf Rechlingen selbst die Herzen und Hände der Gutwilligsten. Da ihre Begleiter betäubt und eingesperrt worden waren, gab es nur eine einzige Person, auf die sie bauen konnte, und das war sie selbst.
Der Wind hatte sich wieder gelegt, dafür fielen die Regentropfen so groß und schwer wie Taubeneier vom Himmel und verschonten keinen Winkel. Sie fühlten sich an wie Steine, und ihr Kopf und ihre Arme taten ihr nach kurzer Zeit weh, als schlage man mit einem dünnen Stock auf sie ein. Das kam von den Graupeln, die die Regentropfen mehr und mehr ablösten und immer größer wurden. Nicht lange, da fegten faustgroße Hagelkörner wie Wurfgeschosse in ihr Gefängnis, und ihr blieb nichts anderes übrig, als sich an die Grubenwand zu kauern und den Kopf mit ihren Armen zu schützen. Ihre Wut auf Trefflich wich höllischen Schmerzen und der Angst, von dem Hagelschlag zu Tode gesteinigt oder lebendig begraben zu werden. In diesem Augenblick war sie bereit, dem Teufel ihre Seele zu verschreiben, um den tobenden Elementen zu entkommen, und Trefflich und sein Sohn schienen ihr plötzlich das kleinere Übel zu sein. Sie wollte schon um Hilfe rufen, als ihr die Knechte einfielen, die sie vorhin misshandelt hatten und sicher noch in der Nähe waren. Gewiss würden die Kerle sich einen Spaß daraus machen, sie zu fesseln, überall zu begrapschen und wie ein erlegtes Wild zu Trefflichs Füßen zu legen. Bei diesem Gedanken biss sie die Zähne zusammen und machte ihrem Schmerz nur in einem leisen Wimmern Luft.
So rasch, wie der Hagel gekommen war, hörte er wieder auf und überließ das Feld einem Platzregen, der wie aus Kübeln gegossen vom Himmel stürzte. Innerhalb kürzester Zeit stand sie bis über die Knöchel im Wasser, auf dem eine dicke Schicht Hagelkörner schwamm. Die Kälte ließ ihr schier das Blut in den Adern erstarren, und es floss immer mehr Wasser die Wände herab.
»Ich muss hier raus, sonst bin ich noch vor Mitternacht wahnsinnig oder tot!«, stöhnte Caterina auf und fuhr mit zu Krallen gebogenen Fingern über die Wand, als hoffe sie, sich durch sie hindurchgraben zu können. Dabei stellte sie fest, dass diese unter einer dünnen Schmutzschicht äußerst hart war, kratzte noch mehr Dreck weg und stieß auf behauene Steine. Offensichtlich war die Wolfsgrube ähnlich wie ein Brunnen mit großen Quadersteinen gemauert worden. Das hätte sie sich eigentlich denken können, denn ein simples Erdloch wäre längst eingestürzt. Für einen Augenblick wollte sie sich mutlos in das eisige Wasser gleiten lassen, in der Hoffnung, schnell das Bewusstsein zu verlieren und darin zu ertrinken. Hoch genug stand es ja schon und lange würde sie die Kälte auch im Stehen nicht mehr ertragen. Dann kam ihr ein Gedanke, der zunächst absurd schien, aber schnell von ihr Besitz ergriff. Es mochte sein, dass sie sich bei seiner Ausführung das Genick brach – aber dann kam das Ende wenigstens schnell und schmerzlos.
Die Wand war zwar steil und schlüpfrig, aber wo es Quadersteine gab, gab es auch Ritzen und Spalten. Sie befühlte den Abfall unter ihren Füßen, tastete nach dem Stein, an den ihr Fuß gerade gestoßen war, und griff schaudernd durch die kalte Schicht, die sie umschwappte, um ihn aufzuheben. Es war ein Stück Flusskiesel, groß genug, jeden niederzuschlagen, der ihr zu nahe kam. Wenn die Idee, die durch ihren Kopf wirbelte, sich verwirklichen ließ, würde der kleine Felsbrocken ihr jedoch noch viel wertvollere Dienste leisten. Sie fuhr mit den Fingerspitzen über die Wand, tastete die Fugen zwischen den Quadern ab und atmete auf. Sie waren knapp fingerbreit und damit gerade richtig für ihre Zwecke. Noch einmal holte sie tief Luft und hielt den Atem an, während sie ein zweites Mal durch Eiskörner griff und den Ast hochhob, über den sie beim Umhergehen schon ein paarmal gestolpert war. Er war beinahe noch frisch, ließ sich aber mit dem Messer in unterarmlange Stücke teilen.
Als sie an die eigentliche Arbeit ging, lauschte sie kurz dem Gewitter, das kaum an Kraft verloren hatte, und atmete auf. Wenn sie nur ein wenig Glück hatte, würde es noch die halbe Nacht lang toben und ihr die Flucht ermöglichen. Ihr Stein eignete sich ausgezeichnet als Schlägel, und so trieb sie die Aststücke eines nach dem anderen in die Fugen und hatte nach kurzer Zeit eine primitive Leiter geschaffen, auf der sie höher klettern konnte, als sie selbst groß war. Dann aber gingen ihr die Aststücke aus, und es wurde zunehmend schwieriger, auf den dünnen Stangen zu balancieren und gleichzeitig ein weiteres Holzstück einzuschlagen. Festhalten konnte sie sich nur an den Teilen, die sie schon in die Spalten getrieben hatte, und sie wünschte sich, ein zweites Paar Arme zu besitzen. Trotz der Kälte und ihren nassen Kleidern lief ihr bald der Schweiß über Gesicht und Rücken, und als sie kein brauchbares Holz mehr fand, war sie nahe daran aufzugeben. Mit zusammengebissenen Zähnen entschloss sie sich, in dem schon mehr als kniehohen Wasser nach Knochen zu suchen, die noch fest genug waren, um sie zu tragen. Schier unzählige Male kletterte sie ihre behelfsmäßige Leiter hoch und wieder hinunter, immer in Gefahr, an den glitschigen Sprossen abzurutschen und in die Tiefe zu stürzen. Dabei wurde ihr bewusst, dass die Gefahr, sich bei einem Sturz einen Arm oder gar ein Bein zu brechen, größer war, als sofort zu Tode zu kommen, und ihr graute davor, auf diese Weise ein leichtes Opfer für Trefflich zu werden.
Caterina schob die Vorstellung, hilflos unten in Wasser und Schlamm zu liegen, resolut beiseite, barg die letzten brauchbaren Knochenstücke, die sie mühsam auf dem Grund der Grube ertastet hatte, und stieg mit dem festen Willen nach oben, dem Kaufmann zu entkommen. Ihre Hände waren klamm und bluteten, ihre Schuhe musste sie abstreifen, weil sie durchweicht und so schlüpfrig waren, dass sie keinen Halt mehr mit ihnen fand. Sie krallte sich mit nackten Zehen auf ihren bisherigen Stufen fest und hämmerte weitere Sprossen in die Wand. Inzwischen hatte sich das Gewitter verzogen, und sie fürchtete, man könnte in der Burg auf den Lärm aufmerksam werden, den die Schläge mit dem Stein verursachten.
Doch anscheinend hatte das Krachen des Donners die Ohren der Leute betäubt, denn Caterina erreichte unbemerkt den Rand des Loches und schob sich mit dem Oberkörper ins Freie. Etliche Augenblicke lang blieb sie hilflos liegen und rang keuchend nach Luft. Dann zog sie sich mit einem letzten Ruck ganz über den Rand und kroch ein Stück weg, weil sie fürchtete, ihre vor Schwäche zitternden Beine würden sie nicht tragen, sondern in die Grube zurückstürzen lassen. Als sie sich auf die Füße kämpfte, flog ihr Blick zum Hauptbau der Burg, der jetzt, da der Himmel nur noch durch fernes Wetterleuchten erhellt wurde, wie ein schwarzer Fels wirkte. Nirgendwo war der Widerschein von Licht zu sehen. Wahrscheinlich hatten sich Trefflich und seine Bediensteten in ihre Kammern zurückgezogen und waren in der nun fast schmerzhaft wirkenden Stille eingeschlafen.
Caterina vermochte nicht abzuschätzen, wie spät es war, denn die Wolken bedeckten lückenlos den Himmel. Es konnte genauso gut früher Abend wie Mitternacht sein. Kurz dachte sie an ihre Leute, doch um sie zu befreien, hätte sie in den Palas eindringen und ihn durchsuchen müssen. Dort drinnen aber würde sie nicht weit kommen, sondern ertappt und wieder eingefangen werden. Daher wandte sie sich dem Stallgebäude zu, um ihre Stute zu holen, blieb aber nach einigen Schritten stehen. Trefflichs Pferdeknechte würden die Unruhe bemerken, die dabei entstehen musste. Selbst wenn es keiner von ihnen wagen würde, sie mit eigener Hand aufzuhalten, so würden sie ihr den Weg versperren und nach ihrem Herrn rufen. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als zu versuchen, zu Fuß zu entkommen.
Caterina dachte an die zwei Meilen, die Rechlingen von Eldenberg trennte, und bedachte Trefflich als Dank für das, was nun vor ihr lag, mit einem Fluch, den ihre Mutter mehrfach benutzt hatte und für dessen Nachplappern sie schwer bestraft worden war. Inzwischen hatte sie begriffen, dass er männliche Geschlechtsteile bezeichnete, die verfaulen und abfallen sollten.
Caterina war sich bewusst, wie viel Glück sie hatte, denn sie erreichte das Tor der Burg, ohne dass die Hunde anschlugen, die sich wegen des abgezogenen Gewitters wohl in die trockensten Ecken ihrer Zwinger zurückgezogen hatten und mit über die Schnauzen geschlagenen Schwänzen schliefen. Der Wächter, der sich in seiner Stube über ein winziges Holzkohlefeuer beugte, drehte ihr oder vielmehr der feuchten Zugluft den Rücken zu und schwang einen Weinschlauch in der Hand. Daher sah er nicht, dass sie die kleine Pforte im Tor öffnete und ins Freie schlüpfte. Der Mann würde am nächsten Tag gewiss Schläge bekommen, doch in ihrem Hass auf alles, was mit Trefflich zu tun hatte, gönnte Caterina ihm jeden einzelnen Hieb.
Der Weg hinab ins Tal war so matschig, dass sie immer wieder ausrutschte, was noch das geringste Übel war. Unangenehmer wäre es gewesen, auf trockenem, steinigem Boden gehen zu müssen. Sie war nun einmal keine Bauernmagd mit daumendicken Hornsohlen an den Füßen, und sie bedauerte, ihre Schuhe in der Grube gedankenlos abgestreift zu haben, denn nun wäre ihr selbst das glitschig gewordene Leder willkommen gewesen. Ein Paar wunde Füße waren jedoch kein zu hoher Preis dafür, Trefflich und dessen Plänen entkommen zu sein. Im Tal warf sie einen letzten, hasserfüllten Blick auf Burg Rechlingen und schritt dann so schnell aus, wie sie es vermochte, nicht aus Angst vor Verfolgern, sondern um in ihrem nassen Kleid nicht zu erfrieren.