Iny Lorentz

Die Wanderapothekerin

Serial Teil 5

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Iny Lorentz

Hinter dem Namen Iny Lorentz verbirgt sich ein Münchner Autorenpaar, dessen erster historischer Roman »Die Kastratin« die Leser auf Anhieb begeisterte. Mit der »Wanderhure« gelang ihnen der Durchbruch; der Roman erreichte ein Millionenpublikum. Seither folgt Bestseller auf Bestseller. Die Romane von Iny Lorentz wurden in zahlreiche Länder verkauft. Die Verfilmungen ihrer »Wanderhuren«-Romane haben Millionen Fernsehzuschauer begeistert.

Besuchen Sie auch die Homepage der Autoren: www.inys-und-elmars-romane.de

Impressum

eBook-Ausgabe 2014

Knaur eBook

© 2014 Knaur Taschenbuch Verlag. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Regine Weisbrod

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: © FinePic®, München

ISBN 978-3-426-42429-2

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Fünfter Teil

Gefährliche Wege

1.

Klara atmete auf, als sie die Mauern von Michelstadt vor sich sah. Endlich hatten sie es geschafft! Trotzdem blieb ein Tropfen Wehmut. Der Markt, auf dem ihr Vater seinen Erzählungen nach immer gut verkauft hatte, war mit Sicherheit schon vorbei. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Onkel früh genug gekommen war, sonst hatte Tobias Just den Stand aufbauen müssen. Und der würde ihr gewiss krummnehmen, wenn er seine Ware neben einfachen Kräuterweiblein und großmäuligen Theriak-Verkäufern an den Mann hatte bringen müssen.

Als sie das Martha erklärte, lachte ihre Freundin und winkte ab. »Herr Tobias ist auch nur ein Mensch mit zwei Armen, zwei Beinen und einem Kopf. Da kann er ruhig mal was tun. Ich frage mich ohnehin, was er hier zu suchen hat. Deinen Worten nach haben dein Vater und dein Onkel früher alles allein gemacht.«

»Ja, das schon, aber …« Klara brach ab, denn auch sie verstand nicht, weshalb Tobias heuer die Verteilung der Arzneien und Essenzen vornahm. Ihr Onkel hätte dies ebenso gut übernehmen können.

»Wahrscheinlich ist er mitgekommen, um zu verhindern, dass mein Oheim mich über den Löffel balbiert«, antwortete sie schließlich.

»Nach allem, was du mir über den Mann berichtet hast, würde ich nicht dagegen wetten«, erwiderte Martha ernst. »In Kitzingen habe ich nicht den besten Eindruck von deinem Oheim gewonnen.«

Klara bezweifelte ebenfalls, dass ihr Onkel ehrlich handeln würde, und war daher froh, dass Tobias achtgab. Justs Sohn konnte so leicht keiner die Butter vom Brot nehmen. Nun aber galt es, das Tor zu erreichen, bevor es geschlossen wurde, und dann die Gastwirtschaft, die Tobias ihr als Treffpunkt genannt hatte. Daher wurde sie schneller und hörte Martha hinter sich maulen.

»Warum rennst du so? Wir sind doch gleich da!«

»Ich möchte die Herberge erreicht haben, bevor die Dämmerung hereinbricht«, antwortete Klara, ohne langsamer zu werden.

Am Stadttor war um diese Zeit nicht mehr viel los. Die Wachen standen gelangweilt herum und starrten sie und Martha zunächst nur abschätzend an. Als sie das Reff auf Klaras Rücken entdeckten, begann einer zu lachen.

»Wenn du noch zum Markt willst: Der ist schon vorbei!«

»Das wissen wir! Wir wollen zum Gasthof zum Ochsen«, antwortete Klara.

»Der Ochse ist eine Herberge für Fuhrleute und nicht für die Kiepenhändler«, wandte der Torwächter ein.

»Wir müssen trotzdem dorthin!«, antwortete Klara, die spürte, wie ihr der Schweiß zwischen den Schulterblättern hinabrann.

Jetzt wäre ein Bad recht, dachte sie, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Richtig baden würde sie erst wieder zu Hause können. In der Herberge war es einfach zu teuer, sich eine Wanne füllen zu lassen. Außerdem wollte sie nicht alle möglichen Knechte und Burschen als Zuschauer an der Tür oder vor den Fenstern sehen.

»Dann geht zum Ochsen. Wundert euch aber nicht, wenn euch der Wirt sofort vor die Tür setzt. Der nimmt keine allein reisenden Weiber auf. Will keine Huren im Haus, sagt er.«

Der Stadtknecht grinste anzüglich, denn die beiden Mädchen waren hübsch, und er wünschte sich, sie würden irgendwo übernachten, wo auch er hingehen konnte.

Anders als Klara bemerkte Martha das Interesse des Mannes, musterte ihn verstohlen und schnaubte dann verächtlich. Der Torwächter war nicht größer als sie und hatte neben einem Mondgesicht einen Bauchansatz, der deutlich zeigte, dass er keine langen Märsche gewohnt war. Ohne ihm einen zweiten Blick zu gönnen, trat sie an ihm vorbei und winkte Klara, ihr zu folgen.

»Wir werden doch sehen, ob wir im Ochsen aufgenommen werden oder nicht!«

Klara hastete hinter ihr her und begriff erst auf der Gasse, dass sie beide es versäumt hatten, nach dem Gasthof zu fragen. Nun holte sie es nach und erntete neben der Beschreibung ein nachsichtiges Kopfschütteln. Anscheinend glaubte hier keiner, dass sie im Ochsen Aufnahme finden würden.

Dort angekommen, wandte Klara sich an den ersten Knecht, der ihr über den Weg lief. »He, du da! Kannst du mir sagen, ob Herr Tobias Just noch hier weilt?«

»Tobias Just?« Der Mann überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Nein, das tut er nicht. Er ist vor ein paar Tagen aufgebrochen. Ich glaube aber, dass er bald wiederkommt, denn er hat sich hier ein Pferd ausgeliehen.«

Klara atmete auf. Bis Tobias wieder erschien, wollte sie aufgebrochen sein. Der Gedanke, dass Martha erneut heimlich in seine Kammer schleichen könnte, war einfach zu schmerzlich für sie. Nun aber brauchten sie erst einmal ein Zimmer für die Nacht.

»Herr Tobias hat euch gewiss gesagt, dass wir für ihn und seinen Vater Arzneien austragen und hier übernachten werden.«

Der Knecht verzog das Gesicht. »Der Wirt mag es nicht, wenn allein herumziehende Weiber hier schlafen. Wäre Herr Tobias hier, könnte er für euch bürgen.«

»Aber ihr könnt uns doch nicht auf der Straße schlafen lassen«, rief Klara verzweifelt.

»Meinetwegen könntet ihr bleiben! Aber wie ich schon sagte: Der Wirt mag es nicht.«

In dem Augenblick warf Alois Schneidt einen Blick zur Tür hinaus. Eigentlich hätte er nach dem Markt weiterziehen können. Da er aber erfahren wollte, ob Klara möglicherweise verunglückt oder gar ermordet worden war, hatte er Michelstadt noch nicht verlassen. Als er seine Nichte erkannte, prallte er zurück, doch es war bereits zu spät.

Klara wies aufatmend auf ihn. »Wir sind keine streunenden Weiber! Das dort ist mein Oheim, der wie ich die Arzneien der Herren Just austrägt. Er trägt den gleichen Namen wie ich, nämlich Schneidt.«

»Stimmt das?«, fragte der Knecht Alois Schneidt, dem nichts anderes übrigblieb, als ganz aus der Tür zu treten.

Widerwillig nickte er. »Das ist meine Nichte, ein ungezogenes Ding, das nicht weiß, was sich gehört. Wenn sie so weitermacht, werde ich ihr noch den Hintern versohlen.«

Während Klara froh war, den Verwandten zu sehen, wunderte Martha sich über den Hass, der in den Worten des Mannes mitschwang. Das machte ihr Alois Schneidt noch unsympathischer. Aber auch sie war froh, als der Knecht beiseitetrat und sie einließ.

»Wenn wir jetzt noch einen Becher Bier und einen Teller Eintopf bekommen, wäre ich zufrieden«, sagte sie zu Klara.

»Ich auch! Es ist gut, dass mein Oheim noch hier ist. Er kann mir morgen die Arzneien zuteilen, die ich mitnehmen will, und dann verschwinden wir wieder, bevor Herr Tobias zurückkommt.«

»Von mir aus!« Martha war von der Idee, gleich weiterzuziehen, alles andere als begeistert. Doch auch diesmal gab sie der Jüngeren nach, denn sie würden unterwegs ebenfalls gut essen. Sie musste nur ein paar Fische aus den Bächen angeln und vielleicht eine Schlinge legen, um einen Hasen zu fangen. Was Tobias betraf, fand sie ihn zwar nett, und er hatte sich auch als guter Liebhaber erwiesen. Der gesellschaftliche Unterschied zwischen ihnen war jedoch viel zu groß, als dass sie ihn ernsthaft ins Auge fassen konnte. Außerdem spürte sie Klaras unterschwellige Eifersucht, und die wollte sie nicht weiter schüren.

2.

Zu ihrem Leidwesen entging Klara der Begegnung mit Tobias nicht. Zum einen schlief sie am nächsten Morgen länger als geplant, und dann trödelte ihr Onkel, als er ihr die nächste Füllung ihres Reffs zuteilen sollte.

Alois Schneidt stellte fest, dass seine Nichte erneut fast alles verkauft hatte, und ärgerte sich darüber. Obwohl er seine Ware zweimal auf recht guten Märkten hatte anbieten können, war das kleine Biest bislang weitaus erfolgreicher gewesen als er. Selbst wenn sie auf dem letzten Teil ihrer Strecke nur durchschnittlich verkaufen sollte, würde das Geld, das sie eingenommen hatte, ausreichen, um über den Winter zu kommen und sich im nächsten Jahr erneut als Wanderapothekerin auf den Weg machen zu können.

Ich muss etwas unternehmen, sagte er sich, sonst gibt Johanna den Schatz meines Bruders niemals heraus.

Dabei aber durfte der Laborantenbengel ihm nicht in die Quere kommen. Der Bursche zeigte schon jetzt zu viel Interesse für Klara. Als Weib kam sie für ihn zwar nicht in Frage … Bei dem Gedanken stockte er. Das stimmte gar nicht. Wenn Tobias das Vertrauen des Mädchens errang und diese ihm von dem Schatz ihres Vaters erzählte, so reichte das Gold als Mitgift allemal aus.

Alois Schneidt schoss der Schreck in alle Glieder, und er verschüttete einen Teil einer Essenz, deren wertvollsten Wirkstoff Rumold Just für teures Geld von einem Nürnberger Kaufmann erstanden hatte.

»Oheim! Was tust du da?«, rief Klara erschrocken aus.

»Ich bin abgerutscht«, redete Schneidt sich heraus und riss sich zusammen.

Klara fing die danebengeflossene Essenz mit einem Tuch auf und steckte dieses in ein kleines Töpfchen.

»Verkaufen werde ich es nicht mehr können, aber es dürfte genügen, um den Leuten zu zeigen, wie man das Mittel anwendet.«

»Hm«, kommentierte Schneidt diese Worte einsilbig und machte weiter.

Klaras Reff war noch nicht zur Hälfte gefüllt, da wurde die Tür aufgerissen, und Tobias stürmte herein. »Klara, endlich! Eigentlich gehört dir der Hintern versohlt. Was fällt dir ein, uns so lange warten zu lassen?«

Zuerst zuckte Klara bei seinen zornigen Worten zusammen, dann aber sah sie ihn mit rebellischer Miene an. »Es war nicht meine Absicht, Euch warten zu lassen. Ihr hättet ruhig Eurer Wege gehen können.«

Da entdeckte Tobias Klaras Onkel und zog die Stirn kraus. »Du bist noch da, Schneidt? Ich dachte, du wärst schon wieder unterwegs.«

»Die Sorge um meine Nichte hat mich zurückgehalten«, antwortete Schneidt brummig.

Tobias nickte unwillkürlich und bedachte ihn mit einem herrischen Blick. »Es sei, wie es sei! Doch auf dem Markt in Gernsbach wird Klara ihren Stand aufschlagen. Du hattest schon zweimal Gelegenheit, unterwegs zusätzliches Geld zu verdienen.«

Dazu wird sie wohl kaum mehr kommen!, dachte Alois Schneidt kochend vor Wut.

Einen Augenblick befürchtete er, er hätte seine geheimsten Gedanken laut ausgesprochen. Doch weder Tobias noch seine Nichte oder deren Begleiterin schienen etwas gehört zu haben. Martha sah er als zusätzliches Problem an. Mit Klara fertigzuwerden, war gewiss nicht schwer, doch zu zweit konnten die beiden Mädchen ihm Widerstand leisten. Dann bestand die Gefahr, dass ihm zumindest eine von ihnen entkam, und das durfte er nicht riskieren. Ihm fiel jedoch keine andere Lösung ein, als Klara und deren Begleiterin abzufangen, und dafür benötigte er einen gewissen Vorsprung.

»Da ich Klara in Sicherheit weiß, werde ich morgen weiterziehen. Meine Nichte aber sollte sich einen oder zwei Tage erholen, bevor sie das Reff wieder auf den Rücken nimmt. Die letzte Strecke ist die härteste, denn sie wird mehr tragen müssen als auf jenen, die sie bereits bewältigt hat.«

Schneidt sprach die Wahrheit, denn hier im Ochsen befand sich die letzte Kiste mit Justs Arzneien, und sie mussten daher auch das, was sie auf dem Markt in Gernsbach verkaufen wollten, auf ihre Reffs verteilen.

»Ich finde auch, dass Klara frische Kraft schöpfen sollte«, erklärte Tobias, denn ihm kam das Mädchen schmaler vor als früher.

Weder er noch Schneidt ahnten, dass Klara seit dem Verlassen von Schloss Waldstein so schnell wie möglich gegangen war, um wenigstens einen Teil der verlorenen Zeit einzuholen. Dies war ihr auch ganz gut gelungen. Nun aber fühlte sie sich zutiefst erschöpft und sehnte sich nach Ruhe. Aber der Gedanke, Tobias könnte Martha wieder in sein Zimmer nehmen, ließ sie die Stacheln aufstellen.

»Da ich mich auf dieser Strecke verspätet habe, werde ich ebenfalls morgen weiterziehen.« Ihr Ton ließ keinen Zweifel daran, dass es so geschehen würde.

Tobias überlegte, ob er es ihr verbieten sollte. Doch sie war weder ein Familienmitglied noch seine Magd oder die seines Vaters. Der Einzige, der sie aufhalten konnte, war Alois Schneidt.

»Sag doch du etwas!«, forderte Tobias diesen auf.

»Also, einen Tag sollte Klara schon rasten«, brachte dieser hervor.

»Gut! Einen Tag, aber nicht mehr!« Klara wusste nicht, ob sie richtig handelte, doch die Versuchung, das Reff einen Tag lang nicht tragen zu müssen, war groß. Allerdings würde sie dafür sorgen, dass Martha keine Gelegenheit fand, sich zu Tobias zu schleichen.