Hans-Ulrich Grimm

Chemie im Essen

Lebensmittel-Zusatzstoffe.
Wie sie wirken, warum sie schaden

Unter Mitarbeit von
Bernhard Ubbenhorst und
Maike Ehrlichmann

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Hans-Ulrich Grimm

Dr. Hans-Ulrich Grimm ist Journalist und Autor, er lebt in Stuttgart. Seine jahrelangen Recherchen in der Welt der industrialisierten Nahrungsmittel bewegten ihn, sämtliche Erzeugnisse von Nestlé, Knorr & Co aus den Küchenregalen zu verbannen, zugunsten frischer Ware von Märkten und Bauern. Seine Erkenntnis:

Genuss und Gesundheit gehören zusammen.

Grimms Bücher sind Bestseller. Allein »Die Suppe lügt« ist in einer Gesamtauflage von über 250 000 Exemplaren erschienen und gilt mittlerweile als Klassiker der modernen Nahrungskritik.

Impressum

eBook-Ausgabe 2013

Knaur eBook

© 2013 Knaur Taschenbuch

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-426-41605-1

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1.
Schneller altern

Die schöne bunte Welt der Lebensmittel-Zusatzstoffe

Ein krankes Herz, durch die Chemie im Essen
Jetzt warnt schon das Deutsche Ärzteblatt vor den Stoffen mit den E-Nummern
Wer braucht eigentlich einen Schaumverhüter?
Die Firma Coca-Cola fühlt sich unschuldig
Das neue Cholesterin: Überraschende Nebenwirkungen der industriellen Zusätze

Sie dachte natürlich nicht an Chemie im Essen, als ihr Herz immer schwächer wurde, schon in jungen Jahren. »Ich hab das gemerkt bei Spaziergängen und beim Radfahren, wenn ich nicht mehr richtig Luft gekriegt habe. Auch wenn ich in der Ebene spazieren gegangen bin, nach zehn, zwanzig Metern musste ich einfach stehen bleiben und verschnaufen. Weil ich nicht mehr weiterkonnte.«

Nächste Woche hat Petra Brand ihre Operation.

Natürlich bereut sie es jetzt, dass sie nicht schon früher darauf geachtet hatte, auf die Zusatzstoffe, die ihr aufs Herz schlugen. Doch es gibt keine Warnhinweise, nicht auf den Packungen, nicht im Supermarkt und auch nicht im Restaurant. Als sie die Folgen bemerkte, war es auch zu spät: »Bei der Ultraschalluntersuchung an den Herzkranzgefäßen hat man festgestellt, dass das Herz nicht mehr richtig arbeitet. Verkalkt wahrscheinlich. Das ist jetzt seit einem Jahr so.«

Die Diagnose: Aortenklappenstenose. Chemikalien im Essen, offiziell zugelassen, weit verbreitet, haben dazu geführt, dass ihre Herzklappen verkalkt sind. So jedenfalls der begründete Verdacht der Ärzte.

Petra Brand, Landschaftsgärtnerin vom Bodensee, wäre nicht auf die Idee gekommen, dass das solche Folgen haben könnte. »Ich hab mich da nie so genau damit beschäftigt, wo das überall drin ist. Aber wenn man das zugetragen kriegt, dann fängt man an, Nachforschungen anzustellen. Das ist ja bald in jedem Lebensmittel sozusagen versteckt.«

Die Stoffe, die ihr Herz angegriffen haben, sind weit verbreitet. Es sind Zusatzstoffe, mit denen jeder in Kontakt kommt, die niemand vermeiden kann, die buchstäblich in aller Munde sind. Sie stecken schon in der Babymilch von Hipp, Alete, Milupa, in der Wurst vom Metzger, im Schinken von Herta. In den Ritz Crackers und in Coca-Cola. Sie finden sich im Brötchen von McDonald’s. Im McChicken. Im Cheeseburger. In den Chicken McNuggets. Sogar in den Pommes frites. Auch in der Currywurst, die es im Bordbistro der Deutschen Bahn gibt, sind sie drin, und im Warmen Schinken-Käse-Baguette. Und auch in den Regalen im Supermarkt sind sie allgegenwärtig.

Es sind Zusatzstoffe, die bisher als absolut unbedenklich galten und die völlig legal sind. Die Verbraucher sind ahnungslos, wenn sie ein solches Produkt kaufen oder gar verspeisen. Doch die Mediziner stellen zunehmend Risiken und Nebenwirkungen fest. Das Deutsche Ärzteblatt warnte schon vor jenen Zusatzstoffen, die das Herz schädigen können. Sogar die Europäische Kommission reagierte auf die Vorwürfe und forderte eine neues Sicherheitsattest bei der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA an.

 

Bei Chemie im Essen dachten die meisten bislang in erster Linie an Allergien, Ausschläge, Pusteln oder Quaddeln. Doch neue Forschungen zeigen: Die Nebenwirkungen wiegen weit schwerer als vermutet. Und die chemischen Zusätze im Essen werden immer öfter zum Gesundheitsrisiko.

Geschmacksverstärker wie etwa Glutamat stehen im Verdacht, zu Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson beizutragen. Farbstoffe können zu Lernstörungen führen. Auch Hyperaktivität und Migräne können von Lebensmittelzusätzen ausgelöst werden. Süßstoffe stehen sogar unter Krebsverdacht. Konservierungsstoffe können den Darm schädigen und das Immunsystem stören.

Dabei sind diese Risiken völlig unnötig. Niemand braucht diese Chemikalien. Die Natur kennt sie nicht. In der Welt der echten Lebensmittel gibt es keine Zusatzstoffe. Auf dem Wochenmarkt gibt es solche Sachen nicht zu kaufen. Da gibt es Äpfel, Bananen, Chicorée, aber kein Orthonatriumtriphosphat, keine Mono- und Diglyzeride von Speisefettsäuren, keine Feuchthaltemittel und Schaumverhüter.

Niemand braucht Stabilisatoren und Komplexbildner, wenn abends für Familie oder Freunde gekocht wird. Ob Spaghetti Bolognese oder Jakobsmuscheln oder Königsberger Klopse: Die traditionellen Gerichte in allen Kulturen der Welt kennen keine chemischen Zusätze.

Jetzt aber breiten sich die modernen Industrieprodukte mit ihren chemischen Zusätzen aus, und mit ihnen die Ingredienzen aus dem Labor. Und jetzt mehren sich die Hinweise, dass diese Chemikalien unerwartete Nebenwirkungen haben. Manche Untersuchungen weisen die Effekte detailliert im Labor nach, andere an Tausenden, ja Hunderttausenden von Menschen: dass sie dick machen können, das Immunsystem beeinträchtigen und auch die ganz großen Krankheiten fördern, unter denen immer mehr Menschen rund um den Globus leiden, darunter sogar, merkwürdigerweise, die Zuckerkrankheit Diabetes.

So haben Wurstesser nach einer im American Journal of Clinical Nutrition 2011 veröffentlichten Studie ein erhöhtes Risiko für die Zuckerkrankheit (Diabetes Typ 2). Die Studie der Amerikanischen Gesellschaft für Ernährung sieht in den zur Konservierung der Fleischwaren eingesetzten Nitraten und Nitriten (E249251) einen möglichen Grund. Eine weitere Studie, von Forschern aus Finnland, sieht den gleichen Zusammenhang für die Entwicklung von Diabetes Typ 1 bei Kindern. Sowohl die zuckerkranken Kinder als auch ihre Mütter konsumierten der Studie zufolge erheblich größere Mengen von diesen Nitraten und Nitriten in verarbeiteten Nahrungsmitteln als die der Vergleichsgruppen.

Ein anderer Konservierungsstoff, das sogenannte Natriumbenzoat (E211), kann Diabetes fördern, zu Hyperaktivität führen sowie zu Wachstumsstörungen. Es ist häufig in Softdrinks wie etwa Bonaqa Apfel-Birne aus dem Hause Coca-Cola zu finden, auch in den Gurkenscheiben im BigMac von McDonald’s, und er dient zur Konservierung von Fischprodukten wie etwa Lysell Schwedenhappen »Mit feinen Gewürzen eingelegt«.

Der Zusatzstoff kann auch die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zellen, lahmlegen, indem er einen bestimmten Bereich des Erbguts zerstört – was unter anderem als Ursache gilt für sogenannte neurodegenerative Erkrankungen wie etwa die Schüttellähmung Morbus Parkinson.

Auch die vermeintlich gesunden Zusätze wie Vitamin C und E, die oft auch als Konservierungsstoffe dienen, können nach einer Wiener Studie das Immunsystem beeinträchtigen und mithin »beim Anstieg von Allergien und Asthma in der westlichen Welt eine Rolle spielen«.

Und Farbstoffe können sogar als Dickmacher wirken, wie etwa das bislang als vollkommen harmlos geltende Curcumin (E100). Der Stoff kann den Ausstoß des Schlankmacherhormons Leptin bremsen. Das Hormon hemmt das Hungergefühl; niedrige Leptin-Konzentrationen gelten als eine der Ursachen der Fettsucht.

Bei Petra Brand waren es bestimmte Phosphorverbindungen, die ihr Herz geschädigt haben. Sie werden unter zehn verschiedenen E-Nummern eingesetzt: E338 bis 341, E450a, b und c, E540, 543 und 544. Dazu zählt auch die Phosphorsäure, die in der Coca-Cola ist, aber auch Zusätze mit Namen wie »Dikaliumphosphat« oder auch »Tetrakaliumdiphosphat«.

Sie sind den meisten Menschen völlig unbekannt, Petra Brand eingeschlossen: »Das mit den Phosphaten wusste ich vorher gar nicht. Das soll bei mir eine Folge der Phosphate sein, dass die Herzklappe nicht mehr richtig mitmacht.«

Für die Mediziner hingegen ist es ein vertrautes Szenario. Das Deutsche Ärzteblatt warnte schon vor dem »Gesundheitsrisiko durch Phosphatzusätze in Nahrungsmitteln«. Das Medizinerjournal sieht in der »verbreiteten Verwendung von Phosphat als Nahrungsmittelzusatzstoff« ein »vermeidbares Gesundheitsproblem von bislang unterschätztem Ausmaß«.

Die Phosphate sind besonders tückische Zusatzstoffe. Sie scheinen harmlos, waren bisher als völlig unbedenklich eingestuft. Jetzt aber gelten sie plötzlich als potente Schadstoffe, die sogar bei ganz prominenten Krankheiten mitwirken können: Sie gelten schon als das »neue Cholesterin« – weil sie dazu führen können, dass die Blutadern verstopfen und das Herz geschädigt wird.

Die herzschädlichen Chemikalien sind weit verbreitet, auch in den beliebtesten Nahrungsmitteln der Moderne: Bei Petra Brand steckten sie in dem Fertigcappuccino, den sie immer bei Lidl, Norma oder Netto gekauft hatte. Auch der Nescafé-Cappuccino ist damit belastet, und der von Jacobs. Die Pasta in Pilzsauce von Edeka enthält Phosphat, die Original Wagner-Tiefkühlpizza Die Backfrische Speciale, die Pizza Tradizionale Salame von Dr. Oetker.

Bei vielen Kindern beginnt die Phosphatkontamination gleich nach der Geburt – selbst Babymilch aus dem Fläschchen enthält den herzschädigenden Stoff. Der Supermarkt: voller Phosphat. Schon in der Frühstücksecke wird phosphatisiert, etwa bei den Fitness-Cerealien von Nestlé oder der Packung mit dem Nesquik Knusper-Frühstück Schokolade.

Die Wurst für die Vesperpause haben die Hersteller ebenfalls damit versaut. Den Schinken Spicker von der Rügenwalder Mühle beispielsweise. Den Saftschinken von Herta und die Bruzzler Minis Geflügelwürstchen vom Federviehgiganten Wiesenhof. Wer fürs Mittagsmahl schnell ins Regal greift, kriegt ebenfalls seine Dosis, sogar bei scheinbar gesunden Gerichten wie Knorr activ Bunte Spiralnudeln in Kräuter-Sauce oder vermeintlich Traditionellem wie den Schwäbischen Käse-Spätzle von Maggi. Wer abends knabbert, bekommt dann noch eine Late-Night-Portion, etwa in den Ritz-Crackers. Oder den selbstgebackenen Schoko Muffins Glutenfrei aus der Backmischung von Rewe.

Sogar wer seiner Gesundheit Gutes tun will, nähert sich damit womöglich nur der Herz-OP: So ist Phosphat im Doppelherz aktiv A–Z Langzeit-Vitamine Depot der mengenmäßig wichtigste Inhaltsstoff – mit stolzen 32 Gramm pro 100 Gramm. Da wird aus dem Doppelherzen schnell ein halbes Herz.

Zuerst ist bei den Nierenkranken aufgefallen, wie sich die Phosphatzusätze aufs Herz auswirken können. Für sie ist das besonders gefährlich. Bei ihnen kann sich der Körper von Giftstoffen nicht mehr aus eigener Kraft befreien – er ist ihnen ausgeliefert, sie können sich schnell aufstauen und vielfältigen Schaden anrichten.

Die Niere ist sozusagen die Kläranlage des Körpers. Wenn zu viel Gift in der Nahrung und das Entgiftungssystem damit überfordert ist, wirkt es innerhalb des Organismus: »Es gibt ja keine Müllhalde im Körper«, sagt Dr. Axel Versen, Arzt für Innere Medizin, Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Diabetologie in Friedrichshafen am Bodensee, der Petra Brand behandelt und bei vielen seiner Patienten schon Phosphatschäden festgestellt hat. Je mehr Phosphate den Körper belasten, desto dramatischer die Auswirkungen. »Das hat man bisher völlig unterschätzt«, sagt Versen.

Herzkrank durch normale Nahrungszusätze – für Mediziner wie Versen ist das Neuland, oder mehr noch: »Das ist ein neuer Kontinent, den wir da betreten.«

Petra Brand ist ganz typisch für die Gruppe von Patienten, bei denen Versen das Phänomen beobachtet hat: Sie hat nicht nur Probleme mit den Nieren, sie ist auch noch Diabetikerin.

Doch es kann auch die Gesunden treffen. Selbst für die »Allgemeinbevölkerung« bergen die Zusätze nach Ansicht des Ärzteblattes bislang unerkannte Risiken. Schon »hochnormale«, also im oberen Bereich des Üblichen liegende Phosphatkonzentrationen können, so das Ärzteblatt, selbst bei gesunden jungen Männern zu Herzschäden führen und sogar das Leben verkürzen.

Eine US-Regierungsstudie unter der Leitung des Nierenspezialisten Professor Robert N. Foley von der Universität Minnesota in Minneapolis ergab, dass auch bei jungen, gesunden Erwachsenen der Phosphatspiegel die Verkalkung der Blutbahnen befördert (Atherosklerose). Höhere Phosphatwerte, noch im normalen Bereich, könnten auch nach dieser Untersuchung ein Risikofaktor für die Verkalkung der Herzkranzgefäße bei jungen Erwachsenen sein, und in der Folge für einen Herzinfarkt.

Auch eine britische Studie sieht eine direkte Verbindung zwischen »normal« erhöhten Phosphatspiegeln im Blut und dem Risiko von Verstopfungen in den Blutadern (sogenannten Gefäßverschlüssen) durch Atherosklerose. Die Ursache liege in der übermäßigen Aufnahme von Phosphaten in Nahrungsmitteln, so vermuten die Forscher von der Abteilung für kardiovaskuläre Forschung an der Universität im britischen Sheffield.

»Phosphat: das neue Cholesterin?« So fragten sie. Zukünftig könnten Medikamente zur Senkung des Phosphatspiegels, sogenannte Phosphatbinder, die »neuen Statine« sein, mithin als Cholesterinsenker eingesetzt werden, die das Risiko für einen Herzinfarkt deutlich senken, meint Dr. Timothy Chico aus Sheffield, einer der Autoren der Studie.

Phosphat kann nicht nur die Blutadern verkalken lassen. Es kann auch den Kalk aus den Knochen lösen und so zu Knochenschwäche beitragen. Cola gilt daher schon seit langem als »Knochenkiller«, der sogar bei jungen Menschen schon zu Osteoporose führen kann, der Knochenschwäche, die bisher vor allem die Oma plagte.

Wie bei jenem Jungen, der elfjährig in eine Berliner Klinik kam, weil ihm erst die Zähne ausfielen, dann beim Radfahren ein Unterschenkel brach und in der Klinik dann noch ein Wirbel. Diagnose: Knochenschwund, Osteoporose. »Dem sind die Knochen regelrecht zerbröselt«, sagte Professorin Jutta Semler. Die Ursache: drei große Flaschen Cola am Tag (siehe dazu ausführlich: Hans-Ulrich Grimm: Tödliche Hamburger).

Eine Untersuchung des Institute for Medicine in Washington konstatierte schon Anfang des neuen Jahrhunderts: »Die Bedenken über die hohe Phosphoraufnahme haben in den letzten Jahren zugenommen, aufgrund der vermutlich in der gesamten Bevölkerung gestiegenen Phosphoraufnahme durch Cola und Phosphatzusätze in Lebensmitteln.« Die Studie wurde finanziert von der US-Gesundheitsbehörde FDA, dem Landwirtschaftsministerium und dem National Institute of Health.

Die Firma Coca-Cola indessen fühlt sich nicht verantwortlich für Folgeschäden wie den Knochenschwund bei den Kleinen. »Bei Phosphorsäure (E338) handelt es sich um einen europaweit zugelassenen Zusatzstoff. Die gesetzliche Unbedenklichkeit als Zusatzstoff ist somit amtlich verbürgt«, verlautbarte die Firma auf Anfrage. Im Übrigen müsse auch kein Mensch so viel Cola trinken, dass es ihm schade.

Doch das Tückische ist: Niemand merkt sogleich, dass die Zusätze schaden. Es gibt zunächst keine Bauchschmerzen, kein Kopfweh, keinen Durchfall. Für die Konsumenten ist es schwer, die Schädigungen wahrzunehmen. Denn die Nahrungszusätze wie jene Phosphorverbindungen wirken subtil. Sie lösen nicht einfach, wie ein Lösungsmittel sozusagen, den Kalk aus den Knochen und lagern ihn am Herzen und in den Blutbahnen wieder ein. Sie greifen ganz unmerklich in die hormonellen Steuerungsabläufe im Körper ein – programmieren die Zellen sozusagen um, so dass die Zellen in den Blutbahnen sich fortan wie Knochenzellen verhalten und Kalkablagerungen bilden.

Diese Vorgänge sind womöglich nur Teilaspekte einer Kaskade von Phosphatfolgen, die das Ärzteblatt unter dem Generalverdacht zusammenfasst, dass durch den Zusatz »sogar Alterungsvorgänge beschleunigt« würden: Sie »beschleunigen im Tierexperiment und wahrscheinlich auch beim Menschen das Auftreten altersbedingter Organkomplikationen wie Muskel- und Hautatrophie, das Fortschreiten chronischer Niereninsuffizienz und kardiovaskuläre Verkalkungen«. Das bedeutet: Die Haut wird dünner, die Muskeln werden schwächer, die Niere versagt ihren Dienst, und das Herz verkalkt. Beschleunigtes Altern durch völlig alltägliche und legale Zusätze im Essen. Und am Ende steht vorzeitiges Ableben. Das Ärzteblatt drückt es im Medizinerjargon aus: »Die Phosphat-induzierte Gefäßpathologie stellt potenziell die Verbindung zu Alterungsprozessen und Mortalität dar.«

Das Phosphat kann zudem die Herzmuskelzellen zu krankhaftem Wachstum anregen. Dabei entsteht eine sogenannte Linksherzhypertrophie, bei der die linke Herzkammer teilweise lahmgelegt wird. Einschlägige Folgen bei den Mäusen, die dafür als Modell dienten, waren neben Arterienverkalkung, Osteoporose und Hautatrophie, der Verdünnung der Haut, auch das Lungenemphysem mit chronischer Atemschwäche, überdies Unfruchtbarkeit und frühes Ableben.

Der japanische Forscher Makoto Kuro-O bezeichnet daher Phosphat als das »Signalmolekül des Alterns«. Eine Studie, die japanische Forscher zusammen mit Kollegen von der amerikanischen Harvard-Universität erarbeitet hatten, konnte ebenfalls beschleunigtes Altern durch Phosphate nachweisen. Eine koreanische Studie von Professor Myung-Haing Cho aus dem toxikologischen Labor der Universität in Seoul fand sogar einen Zusammenhang zwischen Phosphaten und Lungenkrebs.

Es sind Risiken, die der Mensch selbst geschaffen hat. In der Natur gibt es keine Zusatzstoffe. Viele wurden eigens konstruiert, maßgeschneidert für die Bedürfnisse der Food-Fabriken, gleichsam am Reißbrett, ohne jedes Vorbild in der Natur.

Solche Zusatzstoffe gibt es nur in der industriellen Parallelwelt der Nahrung. Und sie haben vor allem einen Daseinszweck: Sie müssen die Lebensdauer der Produkte im Regal verlängern, das sogenannte »Shelf Life«, das wichtigste Kriterium für Supermärkte und Nahrungsfabriken.

Echte Lebensmittel sind vergänglich, verderben nach kurzer Zeit. In der Welt der echten Lebensmittel hält ein Erdbeerjoghurt allenfalls ein paar Stunden, ein Kartoffelpüree ein paar Tage. Anders in der industriellen Parallelwelt. In den Supermärkten muss ein sogenannter Fruchtjoghurt zwei Wochen lang halten, ein Kartoffelpüree von Knorr oder Maggi ein Jahr. Ohne Kühlung.

Die Ingredienzen aus dem Chemielabor ermöglichen lange Haltbarkeit, weil Farbstoffe die Produkte auch nach Monaten noch schön bunt aussehen lassen. Chemikalien dienen deshalb auch dazu, ein Sahnehäubchen auf industriellem Schokoladenpudding dauerhaft in Form zu halten. Ein Wunder der Technik. Und sie dienen dazu, Geschmack herbeizuzaubern und zu erhalten.

Mit den chemischen Zusätzen hat sich die Nahrungsversorgung fundamental verändert. Während früher die Nahrung aus der Nähe kam und binnen kurzem konsumiert wurde, können nun Nahrungsmittel aus weiter Ferne herangeschafft werden, lange Zeit im Supermarkt überdauern und hernach im heimischen Kühlschrank.

»Üblicherweise werden im Haushalt die zubereiteten Speisen unmittelbar nach ihrer Zubereitung verzehrt«, stellt eine österreichische Regierungsstudie zu Zusatzstoffen fest: »Bei Convenience-Produkten liegt hingegen zwischen der Verarbeitung bzw. der Garung im Produktionsbetrieb und dem Verzehr durch die Konsumenten eine mehr oder weniger große, zeitliche und räumliche Spannung.« »Durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Umwälzungen und technische Neuerungen«, so die Studie (Titel: »Zusatzstoffe, Aromen und Enzyme in der Lebensmittelindustrie«), »haben sich die Art der Lebensmittelversorgung und die Ernährungsformen in den letzten 150 Jahren drastisch verändert.« Die Autoren sehen sogar eine »neue Stufe der Nahrungsversorgung« nach den »Jagd- und Sammlerkulturen und den Ackerbau- und Viehzüchterkulturen«. Heute »werden die Konsumenten immer mehr von Rohstoffkäufern zu Käufern von großtechnisch vorverarbeiteten Convenience-Produkten bis hin zu Fertiggerichten«. Das Angebot in den Supermärkten ist zu großen Teilen nur durch diese chemischen Methoden der Konservierung möglich. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte wird die Herstellung der menschlichen Nahrung nicht zuvörderst nach den menschlichen Bedürfnissen ausgerichtet, sondern nach den Bedürfnissen der Supermärkte und der globalisierten Lieferketten.

Die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen werden zunehmend in Mitleidenschaft gezogen. Dabei hängt das Ausmaß der Gefährdung natürlich von der verzehrten Menge an Chemikalien ab. Fest steht: Wer davon nur wenig isst und von robuster Konstitution ist, hat nichts zu befürchten. (Bei Allergikern kann ein Milligramm vom Falschen allerdings schon tödlich sein.)

Doch insgesamt steigt die Bedrohung, so sorgt sich, mit Blick auf die Phosphate, das Ärzteblatt, denn die Verzehrmengen hätten sich seit den 1990er Jahren »mehr als verdoppelt«.

Die Zusatzstoffe werden nur in winzig kleinen Dosen eingesetzt. Ein paar Milligramm hier, ein halbes Gramm da. Doch zusammen genommen sind es gewaltige Mengen. Zum einen gibt es immer mehr Stoffe. »Die Zahl der weltweit, aber auch in der EU zugelassenen Zusatzstoffe steigt immer weiter an.« So die österreichische Regierungsstudie.

Zudem werden die einzelnen Zusatzstoffe in immer größeren Mengen produziert. Bei den Phosphaten beispielsweise werden über 300000 Tonnen weltweit jährlich als Lebensmittel-Zusatzstoffe eingesetzt. Bei den Süßstoffen sind es 750000 Tonnen. Zu den Rekordhaltern gehört die Zitronensäure: Etwa 1,8 Millionen Tonnen werden pro Jahr weltweit produziert, das meiste davon für Nahrungsmittel.

Der Umsatz mit Zusatzstoffen liegt bei zwanzig Milliarden Euro weltweit (2010). »Eine Summe, an der möglichst viele mitnaschen möchten«, so die österreichische Regierungsstudie. Sieben Milliarden davon werden in Europa umgesetzt. Die jährliche Steigerungsrate liegt bei vier Prozent.

Besonders viele Chemikalien sind im Einsatz, damit es »lecker« schmeckt. Die Stoffe, die den Geschmack verbessern sollen, stehen, so die Statistik der österreichischen Studie, an erster Stelle.

Das ist ja eigentlich sehr schön, wenn sich die Industrie darum sorgt, ihre Produkte den Essern schmackhaft zu machen. Andererseits bleiben auch solche Manipulationen nicht ohne Folgen. Beispielsweise für die Figur.

2.
Kribbeln am Hals

Über die Fälschung des Geschmacks und ihre Folgen

Emanzipation des Geschmacks: Warum die Hühnersuppe kein Huhn mehr braucht
Schluss mit bitter: Wie körpereigene Warnsysteme ausgetrickst werden
Angriff auf die grauen Zellen: Wie der Geschmacksverstärker im Gehirn wirkt
Aroma-Pulver im Wein: Und wo bleibt die Wahrheit?
Die heimlichen Dickmacher

Bei ihm fing es, wie bei so vielen, schon während des Essens an, und zwar ziemlich heftig: »Die erste Wirkung war: Ich wurde blass. Dann wurden so langsam die Oberarme taub, unbeweglich, richtig lahm. Die Bewegungsannahme war eingeschränkt.«

Björn Glock, Sozialpädagoge aus Braunschweig, legte erst mal das Besteck beiseite, doch es hörte nicht auf: »Ich hab dann nicht weitergegessen. Dann kam die Übelkeit dazu. Ich bin auf die Toilette, hab mir kaltes Wasser auf Unterarme und Handgelenke gespritzt, bis es wieder ging.«

Was er erlebte, waren die typischen Folgen des sogenannten China-Restaurant-Syndroms, und zwar tatsächlich in einem chinesischen Restaurant, in Wolfsburg. Und es blieb kein einmaliges Erlebnis: »Es kam noch mal vor, bei Kartoffelchips. Genau so, nur abgeschwächter. Blass, Übelkeitsgefühl. Ich hab dann davon abgelassen. Chips ess ich nur noch selten, und dann in kleinen Mengen. Oder ohne Glutamat.«

Glutamat, der sogenannte Geschmacksverstärker, ist ein beliebtes Würzmittel in der asiatischen Gastronomie und, mehr noch, in der industriellen Nahrungsproduktion. Der sogenannte Geschmacksverstärker ist gebräuchlich bei den Food-Konzernen, weil er Geschmack erzeugt, auch wenn die anderen Zutaten eher minderwertig sind. Das weiße Pulver ist in vielen Fertigsuppen, Soßen, salzigen und würzigen Sachen im Supermarkt enthalten. Es schmeckt intensiv würzig, »umami«, wie die Japaner sagen, was »köstlich« bedeutet.

Dass es schmeckt, das ist den Verbrauchern am wichtigsten. Das ergeben die Umfragen regelmäßig. »Lecker« soll es sein. Ob es dann auch gesund ist, das fragen sich viele Leute nicht. Dabei hängt beides durchaus zusammen.

In der Welt der echten Nahrung liegt es an den Rohstoffen, ob der Geschmack gut wird. Das weiß jeder Koch: Nur wenn das Huhn gut ist, wird die Suppe auch gut. Nur wenn die Erdbeeren reif sind, schmeckt der Erdbeerjoghurt auch gut. Und es müssen natürlich auch genügend Erdbeeren drin sein.

Die industrielle Parallelwelt hat sich von diesen Zusammenhängen emanzipiert, Geschmack und Inhalt wurden entkoppelt – dank der Künste der Chemiker und der völlig neuen Zutaten, die sie ins Essen bringen.

Eigentlich würden die Fabrikprodukte nicht sonderlich gut schmecken. In der industriellen Parallelwelt verschwindet der Geschmack im Produktionsprozess.

Die Zutaten sind ja längst nicht mehr frisch, wenn sie beim Konsumenten ankommen. Sie haben lange Wege hinter sich, erst vom Acker in die Fabrik, dann durch die Maschinen, dann zum Supermarkt, und schließlich nach Hause zum Konsumenten. Der Geschmack ist da längst verflogen. Eigentlich würde das niemand kaufen.

Doch da kann nachgeholfen werden. Der Geschmack ist in der industriellen Parallelwelt nahezu beliebig manipulierbar, mit den Mitteln der Chemie. Mit industriellen Aromen und Geschmacksverstärkern wie Glutamat. Völlig unabhängig von der Qualität, ja sogar vom Geschmack der Zutaten. Das hat natürlich Folgen, auch gesundheitlich.

Offiziell gelten auch die Geschmacksstoffe als unbedenklich. Vor allem bei den industriellen Aromen verweisen die Befürworter gern auf die winzigen Mengen, in denen sie wirken – weswegen sich ihre Giftigkeit in der Tat sehr in Grenzen hält. Nur ganz wenige Aromastoffe gelten als bedenklich. Weitreichender aber ist die Irreführung der Verbraucher. Denn sie werden durch die Stoffe zur Geschmacksmanipulation auf breiter Front verschaukelt.

Unter den industriellen Nahrungszusätzen sind sie am weitesten verbreitet. Die Geschmacksstoffe, Aromen und Geschmacksverstärker, stehen auf dem ersten Platz unter den industriellen Ingredienzen. Knapp 2,5 Millionen Tonnen Geschmacksstoffe, Aromen also und Geschmacksverstärker, werden jährlich in der Europäischen Union eingesetzt (Stand: 2012), mit jährlichen Steigerungsraten von knapp vier Prozent. Mehr als die Hälfte dessen, was die Deutschen verzehren, ist künstlich aromatisiert.

Aroma ist die Leitsubstanz der Nahrungsindustrie. Die industriellen Aromen haben die Lebensmittelherstellung revolutioniert. Ohne den Geschmack aus dem Labor wären viele Erzeugnisse im Supermarkt unverkäuflich. Nahezu jeder Geschmack kann mit den Aromastoffen aus dem Labor simuliert werden.

Über 7000 verschiedene Geschmäcker bietet die Aromaindustrie ihren Kunden, den Lebensmittelfirmen, an. Brathuhn, Joghurt, Ananas, Gulasch. Sie werden simuliert mit Hilfe von 2500 einzelnen Aroma-Substanzen, die teilweise aus der Natur stammen (etwa aus Holz), teilweise sogar aus echten Früchten, mitunter aber auch aus der Retorte (Rohöl).

Von der Geschmacksfälschung sind in erster Linie industriell hergestellte Nahrungsmittel betroffen. Nicht einmal im Wein liegt mehr Wahrheit, seit die EU Anfang 2006 alkoholhaltige Getränke zugelassen hat, deren Geschmack auf Labor-Aromen beruht. Man darf das trotzdem »Wein« nennen.

Aroma ist billiger als Huhn oder Rind. Ein Kilo Vanillepulver aus der echten Pflanze kostet etwa 2000 Euro, eine gleich wirksame Menge synthetischen Vanillegeschmacks nur zehn Euro.

Aroma ist nötig, um geschmacklose Rohstoffe aufzuwerten. Aroma wird gebraucht, um die Haltbarkeit der Supermarktnahrung zu verlängern. Während echter Erdbeergeschmack schnell verfliegt, hält sich der Kunstgeschmack im Joghurt so lange, wie es die Supermärkte wollen. Aromen ermöglichen die Herstellung von geschmacklichen Markenprofilen: Während eine Kartoffel geschmacklich stark von den Launen der Natur abhängt, kann ein industrielles Pulverpüree immer gleich schmecken. Aroma allerorten.

Klar: Tütensuppe ist Aromasuppe.

Die Hühnersuppe von Knorr, und von Maggi die Guten Appetit! Frühlingssuppe und die Meisterklasse Champignon-Creme Suppe. Zum Beispiel. Doch wer Kaba trinkt, bekommt ebenfalls seine Dosis vom Chemiker, und auch, wer die Müslis isst von Hipp (Hippness crisp) oder Nestlé (Fitness Knusper-Müsli Mandel-Nuss) oder Dr. Oetker (Vitalis FrüchteMüsli). Das geht so quer durch die Regale: Müllers Joghurt mit der Knusper Ecke Schoko Balls, Der große Bauer Fruchtjoghurt Kirsche; Landliebe Joghurt mild mit erlesenen Erdbeeren: Aroma macht den Geschmack. Auch im Pfanni Kartoffelpüree Mit entrahmter Milch komplett und in Maggis Magic Asia Instant Nudel Snack Curry. Sogar der Kalbsfond der Feinschmeckerfirma Lacroix enthält eine Prise Geschmacksersatz. Und Bio-Lebensmittel wie der Berchtesgadener Land Bio Fruchtquark Erdbeere und die Andechser Trink-Molke Mango-Apfel. Selbst scheinbar Naturbelassenes wie die Dose mit Bonduelle Junge Erbsen sehr fein: aromatisiert wie das Hengstenberg Mildessa Champagner Schlemmerkraut.

Die Geschmacksmanipulation hat weitreichende Folgen. Dabei gelten die verwendeten Substanzen offiziell als unbedenklich. Die verwendeten Aromastoffe beispielsweise seien nicht giftig, zumal sie nur in unglaublich kleinen Mengen eingesetzt werden. So genügen 0,2 Milliardstel (0,0000000002) Gramm eines Stoffes namens Menthenthiol in einem Liter Flüssigkeit, und es schmeckt nach Grapefruit. Das 2-Acetyl-1-Pyrrolin, das für den Geschmack der Weißbrotkruste verantwortlich ist, wirkt schon in einer Dosis von 70 Millionstel Gramm pro Kilo.

Doch die Geschmackmanipulation kann den Körper in die Irre führen und so bewirken, dass zu viel oder das Falsche gegessen wird. Denn der Geschmack dient auch als Auswahlkriterium bei der Nahrungsbeschaffung, weil er sozusagen das Signal für bestimmte Inhaltsstoffe darstellt. Wenn diese Inhaltsstoffe aber faktisch fehlen, der Körper also ein falsches Signal erhält, hat das physiologische Folgen.

So enthält industrieller Erdbeerjoghurt im Vergleich zu selbstgemachtem nur ein Sechstel des Minerals Mangan – wenn der Körper davon sein nötiges Quantum braucht, muss er also sechsmal so viel »Früchte«-Joghurt verzehren wie beim selbstgemachten Joghurt.