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Über Matthias Politycki

Matthias Politycki, 1955 geboren, lebt in Hamburg und München. Er publiziert seit 1987 Romane, Erzählungen, Essays sowie Gedichte und zählt mittlerweile zu den renommiertesten Vertretern der deutschen Gegenwartsliteratur. Nach seinem Schelmenroman »In 180 Tagen um die Welt« erschien 2009 die »Jenseitsnovelle«, die mit dem Preis der LiteraTour Nord ausgezeichnet und (in ihrer englischen Übersetzung) für den Independent Foreign Fiction Prize gelistet wurde.

Weitere Informationen unter www.matthias-politycki.de

Fußnoten

1

Bartmann, als Kulturflüsterer seit 1988 in Diensten des Goethe-Instituts, von 1999 bis 2006 als Institutsleiter in Kopenhagen, anschließend als Abteilungsleiter Wissen und Gesellschaft in der Münchner Zentrale.

2

Deutlich ablesbar z.B. am dramatischen Rückgang der Anmeldungen für Sprachkurse an den Goethe-Instituten (ausgenommen in den Staaten des ehemaligen Ostblocks).

3

Man erinnere sich der beschämenden Vorstellungen unter Vogts, Derwall, Völler, die im übrigen auch unter der Ägide Klinsmanns, 20042006, erst während des WM-Turniers ein definitives Ende fanden. – Was man auf Dauer von einem Bundestrainer erwarten darf, der sich Jogi nennen läßt, wird sich weisen.

4

Viertes Protokoll vom 24. Mai 2000, »gegeben zu Købnhavn«.

5

Von Donald Rumsfeld anläßlich der Bildung einer »Allianz der Willigen« (zwecks Einmarsch im Irak, 2032003), an der sich u.a. Deutschland und Frankreich teilzunehmen weigerten (»Now, you’re thinking of Europe as Germany and France. I don’t. I think that’s old Europe. If you look at the entire NATO Europe today, the center of gravity is shifting to the east.« Pressekonferenz vom 2212003).

6

»China hat soeben Frankreich als Wirtschaftsmacht überholt.« (Der Standard, 2712006)

7

Besonders aufsehenerregend im Sommer 2006 die feindliche Übernahme des europäischen Stahlkonzerns Arcelor durch den »Stahl-Maharadscha« Lakshmi Mittal: »Daß Globalisierung […] Spitzenmanager von ihrem Stuhl kippt und einer aus Indien zum Mächtigsten der weltweiten Stahlbranche wird, daran muß das Establishment sich noch gewöhnen.« (SZ, 2762006)

8

Weder die Abschaffung des einen noch des anderen soll hier im nachhinein in Frage gestellt werden; Grund zur Besorgnis gibt vielmehr der Umstand, daß an ihre Stelle keinerlei neue Begriffe und Konzeptionen getreten sind. Die Unzahl an »Bibliotheken«, wie sie mit großem Erfolg von der Süddeutschen bis zur Brigitte vertrieben werden, zeigt das Vakuum unsres Kulturbegriffs an: Der Käufer erhofft sich die Orientierung, die ihm früher von einer medial repräsentierten Bildungselite verordnet worden; doch eine Best-of-Auswahl von Billiglizenzen generiert natürlich alles andre als einen Kanon.

9

Nichts gegen eine wohlverstandne Ironie, fern von Sarkasmus unddem Gestus des Uneigentlichen! Vgl. S. 132ff.

10

Vgl. Prager Protokoll vom 26. März 1995, »gegeben zu München«: »Alt werden (und zwar im Sinne von alt werden)!«

11

Paris, November 2005, als Synonym für die europäische Migrationsproblematik schlechthin. Der damalige französische Innenminister Nicolas Sarkozy hätte sie am liebsten mit dem Kärcher-Hochdruckreiniger gelöst, wie er seinerzeit, unterm Schock der nächtlichen Ausschreitungen stehend, zu Protokoll gab.

12

Erst im Zuge der Arbeit an diesem Band habe ich jenes noch weitgehend unbesetzte Wort für mich gefunden; was ich bislang mit dem Begriff »wertkonservativ« auszudrücken suchte (z.B. S. 105f., war freilich stets in ebenjenem Sinne gemeint. – Verwundert habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, daß man schon durch schieres Ausscheren aus der linksliberalen Lebensspur in die Nähe der »Konservativen Revolution« gerückt wird. (Gunther Nickel: Die Wiederkehr der »Konservativen Revolution«. In: Schweizer Monatshefte, 10112005)

13

Vgl. dazu »Weißer Mann – was nun?«, S. 23ff. – An den wenigen Stellen, wo sich Europa bereits mit Grenzzäunen vor dem Ansturm aus Afrika schützt (Ceuta), läßt sich Nacht für Nacht beobachten, wie wir in ein neues (hochindustrialisiertes) Mittelalter hineingeraten werden. An der »Festung Amerika« werden mittlerweile Milliardenbeträge in High-Tech-Grenzwälle investiert, um die Patrouillen der »Minutemen« mit Hilfe von virtuellen Wassergräben und Zugbrücken zu verstärken. Auch von der »Festung Rußland« war schon zu lesen (Die Welt, 10102006), die Topographie der postmodernen Welt verwandelt sich gerade wieder in eine vormoderne Landkarte.

14

Vgl. zum Folgenden S. 45 und 129. Schon im Herbst ’97 fiel meine Antwort auf eine Anfrage der Woche zum Thema »Intellektuelle, rührt euch!« entgegen meiner früheren Überzeugung wie folgt aus:

Schriftsteller sind mehr als die Summe ihrer Bücher, andernfalls wären sie ja lediglich Textproduzenten: Das notorische Augen-und-Ohren-Aufsperren gehört genauso zu ihrem Beruf wie das fallweise Maul-Aufreissen. Freilich kann man’s auch übertreiben, das Maul-Aufreissen und Moraltrompeten und Sich-öffentlich-Schämen; manche Gallionsfiguren der Altvorderen haben mittlerweile so oft gebrüllt, daß es in den Ohren von »uns Jüngeren« nurmehr als leitmotivisches Katzengejammer erklingt […], das zum öffentlichen Getön unsrer Deutschland-Seifenoper längst dazugehört. – Besser allerdings, als auf diese Weise den Rest des Lebens auf der Couch zu vergrinsen, besser wär’s für »uns Jüngere« allemal, wenn wir die Ärsche endlich selber mal hochbekämen. Für’s bloße Ablästern nämlich gibt’s inzwischen genug, die noch jünger sind als wir. (Die Woche, 14111997)

15

»Pamukkale«, Susannenstr. 3334, Hamburger Schanzenviertel.

16

Dafür wäre mittlerweile ja auch der Begriff des Politischen viel zu unpräzise geworden; gerade in der Betrachtung des scheinbar »Unpolitischen« (wie man es früher etikettiert hätte) dokumentiert sich derzeit nicht selten eine explizit politische Haltung.

17

Wo sich die Zustimmung zum großen Ganzen von selbst verbietet, wird diejenige zum Kleinteiligen und Ausschnitthaften umso wichtiger.

18

Dienstleistung am (literarischen) Text freilich ist und bleibt unter allen Umständen das Primäre, damit auch das unmißverständlich gesagt sei.

19

Prager Protokoll vom 17. April 2005, »gegeben zu Købnhavn«.

20

»Piep, piep, piep – […] Guildo hat Euch lieb«, – so sang sich der »Meister« alias Guildo Horn im deutschen »Countdown Grand Prix 1998« auf Platz eins. Schon damals geriet ganz Deutschland aus dem Häuschen, weil es mal einer wagte, den verschmockten Ralph-Siegel-Herzschmerz der deutschen Musikbranche auf die Schippe zu nehmen und durchgehend, bis in seine Interviewstatements hinein, ironisch zu sein: Guildo Horn, die wandelnde Realsatire auf den deutschen Schlager, versetzte die Nation einen heißen Sommer lang in Partylaune, nahm er doch für uns alle einen ersten Anlauf auf der Weltbühne, das alte Klischee vom Deutschen abzustreifen. – Für ein neues Nationalverständnis war Ironie freilich zuwenig. Weshalb der Meister nach seinem enttäuschenden 7. Platz im internationalen Grand Prix d’Eurovision dann auch ziemlich zügig wieder in der Versenkung verschwand. Das heißt … Für Juli 2006 wurde im SWR eine TV-Talkshow mit geistig Behinderten angekündigt, Moderation Guildo Horn. Was immer das zu bedeuten hatte oder hat.

21

Zugegeben, das Szenario ist vor allem eines: absurd. Ein krasseres Beispiel liefert mittlerweile die Massenpanik am 422006 vor einem Stadion in Manila: Dort waren es nicht nur einige Dutzend, sondern 35000 Menschen, die sich gewaltsam Einlaß verschaffen wollten – und warum? Um an der Aufzeichnung einer Fernsehshow teilzunehmen, bei der man allem Anschein nach gute Gewinne machen konnte. Resultat: mehr als 70 Tote.

22

Keine Frage, auch die Gewaltbereitschaft von Weißen hat in der vaterlosen Gesellschaft rasant zugenommen, und das nicht mehr nur in den sozialen Problemschichten, sondern schon auf ganz »normalen« Schulhöfen: »Happy Slaps is da future of entertainment«, schreibt ein Jugendlicher in einem Internetforum (zit. nach: SZ, 2962005), und obwohl es dabei »nur« um die englische Variante des »arbiträren Verdreschens« geht, wie es Heimito von Doderer als »eine Art von miniatürem physiognomischen Weltgerichte« beschrieb (»Es ist nur wegen Ihres Gesichts und tut uns ansonsten aufrichtig leid.« Zit. nach: Ders.: Die Merowinger oder Die totale Familie. München 1965, S. 128, 131), spielt das Abfilmen der Szenen per Handy dieselbe Schlüsselrolle wie bei Vergewaltigung und sogar Mord unter Minderjährigen: Berühmtwerden durch Gewaltausübung, und sei’s nur auf den einschlägigen Seiten des Internets.

23

Angst vorm Schwarzen Mann? Das Thema wird verräterisch schnell für obsolet erklärt, als könne die Wahrung einer politisch korrekten Diskurshoheit verhindern, daß sich schlichte Weisheiten wie die des neunmaligen Olympiasiegers Carl Lewis herumsprechen: »Körperlich sind wir Schwarzen in vielen Fällen einfach besser ausgestattet.« (SZ, 1662005) Unter dem Titel »Schwarze Haut, weiße Angst« gab es bei Arte dazu einen ganzen Themenabend (2412006).

24

Die Zeit, 1662005; Lenovo, mittlerweile weltweit Branchendritter, bewirbt seine IBM-Computer mit dem Slogan »Wir sind die Zukunft«. TCL ist bereits Branchenführer, will heißen: ist größter Fernsehhersteller der Welt. – Was spektakuläre Übernahmen betrifft, so hat auch Indien mittlerweile Geschichte geschrieben: Im Juli 2006 wurde der luxemburgisch-belgisch-französische Stahlkonzern Arcelor durch das indische Mittal Steel übernommen, und das auch noch »feindlich«! – Im Oktober kündigte sich eine weitere Großfusion an: Der indische Stahlgigant Tata Steal will den niederländisch-britischen Konkurrenten Corus übernehmen. Und auch dabei wird es nicht bleiben: Die Tata-Gruppe hat angekündigt, in den kommenden 35 Jahren weltweit 26 Milliarden Dollar zu investieren. (SZ, 18102006)

25

Mittlerweile hat es den Betrieb längst aufgenommen, auf seiner Homepage (www.konfuziusinstitut-berlin.de) erfährt man, daß es sogar schon ein Konfuzius-Institut in Erlangen gibt, von Chicago und Singapur zu schweigen.

26

Und sei es, wie in Japan, daß man dazu die prekären Aspekte der jüngeren Landesgeschichte grundsätzlich verdrängt.

27

Vgl. dazu »Der amerikanische Holzweg«, S. 143ff.

28

Angst vor der »Gelben Gefahr«? Zumindest im Schnellrestaurant; mit Andreas Bernhard denke man nur an den weltweiten Siegeszug des Glutamats und dessen verheerende Auswirkungen auf die Eigengeschmacklichkeit aller Speisen (SZ-Magazin, 2142006): Ist der BigMäc in seinem Innersten vielleicht schon längst chinesisch?

29

Und neuerdings auch in ekelhaft »lockeren« Wahlslogans: Mit »Poppen für ’ne sichere Rente« zogen die Grauen Panther in die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 2006. S. auch S. 70.

30

Eine zumindest partielle Rückkehr zu alten Geschlechterrollen – zum Eva-Herman-Prinzip – betreiben seit jüngstem unsre Frauenzeitschriften, für die der anhaltende Geburtenrückgang freilich kein Kriterium ist.

31

»Rom wird von der Armee Mohammeds erobert. Sie werden die Zerstörung ihres Vatikans erleben. Sie werden den Papst weinen sehen.« Das z.B. lassen uns irakische Mudschahedin nach angeblich islamfeindlichen Äußerungen des Papstes via Internet wissen (zit. nach: SZ, 1892006). Dessen promptes Einknicken vor dem Druck der islamischen Welt kann nur als Signal für Beschwichtigungspolitiker verstanden werden.

32

Angst vorm arabischen Mann? Der französische Philosoph Alain Finkielkraut beklagt den antiweißen Rassismus, wie er – oft Hand in Hand mit antijüdischem Rassismus – bei französischen Jugendlichen maghrebinischer Herkunft verstärkt festzustellen sei: Am Rande von Schülerdemonstrationen komme es zu regelrechten »antiweißen Treibjagden«, die Zusammengeschlagenen würden von den Angreifern mit den Worten »Weil ihr Franzosen seid« verhöhnt (SZ, 3052005). Man reibt sich die Augen, militanter Rassismus geht mittlerweile auch von denjenigen aus, die sich traditionellerweise als Opfer von Rassismus fühlen.

33

Während es bis vor kurzem unter Intellektuellen als ausgemacht galt, die Formulierung vom »Kampf der Kulturen« als rechte Panikmache herunterzuspielen, gern auch unter spöttischem Verweis auf Oswald Spenglers »Untergang des Abendlands«, so schreibt mittlerweile selbst einer wie Joschka Fischer, daß Samuel P. Huntington mit seiner sprichwörtlich gewordenen These anscheinend »doch noch Recht bekomme« (SZ, 11./1222005).

34

Sehr ähnlich John Updike im Spiegel-Interview (Nr. 32/2006), wenn er den »Verfall der traditionellen religiösen Vorschriften« in den USA beklagt: »Es ist offensichtlich, daß der Glaube bei uns ermüdet ist, egal ob es sich um das Christentum oder den Glauben an das eigene Vorwärtskommen oder das freie Unternehmertum handelt. […] Insofern denke ich, daß ihm [= der Hauptfigur seines Romans ›Terrorist‹] angesichts dieses uferlosen Verfalls, dieser Mattigkeit und Stagnation, der Islam wie eine vitale, strenge, fordernde, beredte und lenkende Alter native vorkommt.«

35

Der nordamerikanische läuft auf die Herausbildung einer neuen politischen Elite hinaus, die in mancherlei Art »Jesus Camp« zu christlichen Fundamentalisten geschult wird, sprich, zum Kampf gegen den säkularen Staat: »Ich will, daß junge Leute ihr Leben genauso radikal für das Evangelium riskieren wie die Jugend in Pakistan oder Palästina für den Islam.« (US-Pastorin Becky Fischer im Dokumentarfilm gleichen Titels; zit. nach: SZ, 10102006)

36

Selbstverständlich meine ich damit auch die Aufstellung einer europäischen Streitmacht, wie sie der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker in seiner Eigenschaft als scheidender EU-Ratspräsident mit Nachdruck empfahl (Die Welt, 1562006). – Erstaunlich, daß die Wertedebatte bei uns so zögerlich anläuft; Tilman Krause ist einer der wenigen, der lapidar feststellt: »Wir befinden uns im Krieg«, um sogleich darauf hinzuweisen, daß wir als konfliktscheue Vertreter einer Konsensgesellschaft die Bedrohung lieber verdrängen, als für unsre geistigen und moralischen Werte zu kämpfen. (Die Welt, 14102006)

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Oder auch erst der Fall sein könnte: Beschämend, daß man die Berliner Inszenierung des »Idomeneo« in vorauseilender Antizipation islamistischer Proteste hat absetzen können; mittlerweile hat sich die deutsche Islam-Konferenz dafür ausgesprochen, die Oper wieder aufzuführen, angeblich wolle man sogar persönlich eine Aufführung besuchen. (SZ, 2892006)

38

Nur eine Frage! Wissenschafts- und Philosophiegeschichte, das ist ja beides nichts anderes als Emanzipationsgeschichte; und nun, da wir die Endphase der Emanzipation erreicht haben, den vom saisonalen Wechsel neuer Konsumanreize nur notdürftig verdeckten Nihilismus, sollten wir uns vielleicht für die nächste weltanschauliche Herausforderung rüsten: und uns auch noch von der Emanzipation emanzipieren. Vollkommen ohne das Irrationale läßt sich auf Dauer nämlich nur im Ausnahmefall leben, das haben wir wohl auch als hartgesottene Rationalisten endlich zu akzeptieren; allerdings käme’s entscheidend darauf an, dies Irrationale nicht in den Untergrund einer wild wuchernden Privatreligiosität abzudrängen, sondern in ein rationales Gesamtkonzept einzubetten und damit zu bändigen. – »Glaubst du noch oder denkst du schon?« fragt bewußt polemisch eine Broschüre der Giordano-Bruno-Stiftung (»Aufklärung im 21. Jahrhundert«), indem sie die bekannte IKEA-Werbung paraphrasiert, und mit dieser altbekannt arroganten Vorabentscheidung wird sie kaum neue Antworten bieten. »Denkst du noch oder glaubst du schon?« wäre der provokantere Ansatz gewesen, ein »und« anstelle des »oder« sogar ziemlich aufregend.

39

Eine Kirche, die nichts will, als mit allen den Dialog zu suchen, und dabei (fast) ohne jeden Ritus auskommt, sollte ihre Dienstleistungen vielleicht besser als »Bundesagentur für Werte« (Formulierung des EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber, zit. nach: SZ, 2512006) anpreisen. – Die evangelische Bischofskonferenz hat im Januar 2006 mit der Publikation einer kleinen Benimm-Fibel für Gottesdienstgänger ausdrücklich dazu ermuntert, nach einer guten Predigt zu klatschen. Ja, was ist denn eine Predigt, daß sich der gemeine Gläubige anmaßen dürfte, über ihre Qualität zu richten? Soll er beim Auschecken aus dem Gotteshaus demnächst auch auf einem Fragebogen ankreuzen, wie der Service des Hauses noch besser werden könnte?

40

Wenn nicht gar von tiefen Zweifeln zermürbt. Nicht umsonst war Benedikt XVI. als Kardinal Ratzinger lange Jahre so etwas wie die intellektuelle Speerspitze des katholischen Glaubens – philosophisches Denken, Bedenken, Begrübeln befördert nicht gerade das vergleichsweise schlichte In-sich-und-dem-Glauben-Ruhen, wie es sein Vorgänger so überzeugend ausstrahlte.

41

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Der Verweis auf die Karibik ist nur beispielhafter Natur; es läßt sich dort in vergleichsweise friedlichem Rahmen studieren, wie religiöse Gesellschaften bzw. Subgesellschaften funktionieren. – Zu »rüsten« haben wir uns selbstverständlich gegen die »Ungebrochenheit« des Glaubens, mit dem uns weite Teile der islamischen Welt konfrontieren.

42

Alarmierend sind die Ergebnisse von Erhebungen des Harvarder Politologen Robert Putnam in amerikanischen Gemeinden, die mit dem Mythos des amerikanischen melting pot gründlich aufräumen: »Nicht nur, daß wir den Menschen nicht trauen, die anders sind als wir. Vielmehr trauen wir in gemischten Gesellschaften auch den Menschen nicht, die aussehen wie wir.« (Zit nach: SZ, 10102006)

43

Was die tatsächliche Geschichte der Angriffe auf den »Westen« betrifft, haben sich Madrid und London mittlerweile mit ihren Namen hinter demjenigen New Yorks eingereiht (Terroranschläge auf den jeweiligen öffentlichen Nahverkehr am 1132004 bzw. 772005).

44

Vgl. dazu z.B. »Europäische Ästhetik«, S. 137ff., und »Der amerikanische Holzweg«, S. 143ff.

45

Die Blumen sind längst verschwunden, die Absperrung nicht: Eine der schönsten Straßen Hamburgs scheint auf Dauer blockiert zu sein – der Krieg um Palästina bzw. den Vorderen Orient findet auch, als Stellungskrieg, an der Alster statt.

46

Wie die USA das komplexe Problem durch Benennung von Hauptschuldigen zu personalisieren suchten (man erinnere sich des im Irak verteilten Kartensatzes der »Most wanted persons«, allen voran Saddam Hussein), wissen wir inzwischen; daß es sich mit konventioneller Kriegsführung (Einmarsch in Afghanistan, Einmarsch im Irak) nicht lösen läßt, wissen wir allerdings auch.

47

Mittlerweile hört man erste Stimmen, auch Israel werde sich auf Dauer nicht gegen die Übermacht seiner islamischen Feinde behaupten können, selbst Einmauerung des eignen Staatsgebiets werde nichts nützen, keine demilitarisierte Zone, keine UN-Friedenstruppe. Ein antijüdisches Ressentiment, so darf man unterstellen, spielt in derartige Überlegungen nicht hinein, im Gegenteil. »Ich glaube nicht, daß Israel sich dort langfristig halten kann«, sinnierte SWR-Intendant Peter Voß im »Presseclub« der ARD (3072006) und faßte seinen Nahost-Pessimismus in der aufsehenerregenden Formulierung zusammen: »Ich glaube, wir werden die Israelis irgendwann wieder in Europa aufnehmen.« Was es für den Staat Israel in den Augen derartiger Pessimisten einzig seitens der Historie geben kann, ist – Aufschub.

48

Erstaunlich, wie schnell sich die USA sämtliche Sympathien wieder verscherzt haben, die ihnen nach dem 1192001 nahezu weltweit entgegengebracht wurden; daß sich aufgrund ihrer konfrontativen Politik der Stärke so schnell ihre Schwäche zeigte, sollte uns auch als Alter Europäer nicht freuen.

49

»Die Regierung Bush denkt inzwischen das Undenkbare: daß das internationale System langfristig seine westliche Prägung verlieren könnte.« (Jochen Buchsteiner am 632006 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) Entsprechend offensiv umwerben die USA in den letzten Jahren Indien als neuen Partner (indem sie ihn stillschweigend als Atommacht akzeptieren) – gegen China.

50

Der Respekt vor »frommen« Lebenskonzepten (s. »Weißer Mann – was nun?«, S. 23ff.) muß in keinerlei Widerspruch dazu stehen, daß die »unfrommen« Errungenschaften der aufgeklärten Welt gegen jeden Machtanspruch des Religiösen zu verteidigen sind.

51

Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte per Unterlassungsklage verboten, seine Haare, die ob ihrer Pracht zu allerhand Spekulationen anregten, als gefärbt zu bezeichnen; auch Angela Merkel, seinerzeit noch Oppositionsführerin, war wegen ihrer Frisur im Gerede, allerdings aus entgegengesetzten Gründen. Ein findiger Werbegraphiker montierte die designierte Kanzlerkandidatin kurzerhand in ein Cabrio, mit vom Fahrtwind nach oben gezausten Haaren – nicht unschrill.

52

Erstaunlich, daß sich durch eine erfolgreich absolvierte Fußball-WM die Stimmung mittlerweile gedreht hat; erstaunlich nicht minder, daß die pessimistische Selbsteinschätzung der Deutschen hinsichtlich ihrer ökonomischen Lage trotzdem derjenigen von ausländischen Beobachtern hinterherhinkt – so ganz ohne Selbstzweifel fühlen wir uns einfach nicht wohl.

53

Alle paar Jahre schafft es ein auf deutsch geschriebener Unterhaltungsroman zum internationalen Bestseller, das wohl.

54

Vorerst jüngstes Beispiel: die unsäglich selbstverliebte Sommerlochdebatte des Jahres 2006 um Grass’ späte Offenbarung seiner jugendlichen Mitgliedschaft in der Waffen-SS. Während die wirklich wichtigen Fragen der deutschen Zukunft (Entsendung deutscher Truppen im Rahmen eines UN-Mandats nach Palästina) zur gleichen Zeit von der Bundesregierung entschieden wurden, ohne daß sich eine ähnliche moralische Grundsatzdebatte auch nur im Ansatz entwickelt hätte – die deutschen Intellektuellen waren ja mit sich selbst beschäftigt.

55

Ganz offensichtlich irgendwann ohne Angabe der Quelle exzerpiert – und nun auch mit Hilfe von Google und Yahoo! nicht mehr zu belegen. Die Schlußwendung ist bekanntlich von Ulrich von Hutten, doch von wem ist der Rest?

56

Blütenstaub, Nr. 17. Zit nach: Novalis Werke. Hrsg. von Gerhard Schulz. München 1981, S. 326.

57

Die Elmauer Treffen »Ohne Titel« fanden von 2001 bis 2005 auf Schloß Elmau in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen statt. Der Teilnehmerkreis – jeweils 40 Personen in jährlich wechselnder Zusammensetzung – war nicht ausschließlich auf die 78er-Generation beschränkt, diese stellte jedoch bei weitem die Mehrheit. Anfang August 2005 wurde das Schloß durch ein verheerendes Großfeuer weitgehend zerstört; seitdem sind die Treffen »bis auf weiteres« ausgesetzt. Vgl. »Ohne Titel«, S. 107ff.

58

Beim Treffen vom 2. bis 452004.

59

Im Jahr darauf, beim Elmauer Treffen vom 29. bis 3152005, wurden dann in der Tat Kriterien einer neuen Ästhetik diskutiert, Bausteine einer deskriptiven Theorie zeitgenössischer Literatur, auf daß man damit die verbliebnen Versatzstücke der überholten Nachkriegstheorie endlich ersetze. Genaueres s. »Relevanter Realismus«, S. 102ff., und die entsprechende Nachbemerkung.

60

Während meiner Recherchen zu »Herr der Hörner«, 20012004.

61

Mittlerweile wurde diese Rolle, wenngleich mit schwäbischer Nonchalance und nur vorübergehend, von Jürgen Klinsmann besetzt. Sein unmißverständlicher Appell, man möge sich doch bitte auch endlich als deutscher Fußballfan zu einer »patriotischeren« Haltung durchringen, bewirkte tatsächlich jenen »Ruck«, den Politiker bislang nur immer beschworen.

62

S. dazu »Weniger Demokratie wagen«, S. 55ff.

63

Daniel Küblböck, ein bemerkenswert talentloser Heros der Entertainmentindustrie: Als schräger Vogel bei »Deutschland sucht den Superstar« 2003 in allen Schlagzeilen, belegte er bei der ZDF-Internetabstimmung »Unsere Besten« über die »bedeutendsten Deutschen aller Zeiten« den 15. Platz. Im Februar 2004 raste er dann freilich (ohne Führerschein) in einen Gurkenlaster der Firma Develey, im September 2005 verschwand er im »Big Brother«-Dorf.

64

Daß hier kein grundsätzlicher Systemwechsel gemeint ist, am allerwenigsten ein totalitärer, versteht sich.

65

»An die Macht bringen«, das heißt hier ja nichts weiter als: vom Rand des gesellschaftlichen Gesprächs zurück in dessen Mitte bringen – dorthin, wo die wesentlichen Entscheidungen diskutiert bzw. gefällt werden –, und zwar auf dem Weg der demokratischen Abstimmung. »Wer in seinem Herzen Demokrat ist«, der wünscht sich eine Ausweitung unsres politischen Spektrums weit über die derzeitige Parteienlandschaft hinaus, der sehnt sich danach, daß alle diejenigen, die ihre Zeitgenossenschaft vor allem schweigend ausüben, kopfschüttelnd, ins Private zurückgezogen, wieder mit Verve in die Auseinandersetzungen zurückkehren – welch eine Lust wäre es dann, zu einer Wahl zu gehen und seine Stimme für einen jener Solitäre abzugeben!

66

Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei auch an dieser Stelle ausdrücklich betont, daß ich damit nicht etwa auf eine Neuauflage der »Konservativen Revolution« abhebe (s. Anm. 12). Eine gesellschaftliche Revolution, wie ich sie mir wünschte, wäre diejenige aller Intellektuellen bzw. diejenige von Intellektuellen jeder politischen Couleur: eine qualitative Selbstreinigung des gesamten demokratischen Spektrums, um der grassierenden Mediokrität Einhalt zu gebieten. Im übrigen wäredamit eine politische Ausrichtung nach »Links« oder »Rechts« noch längst nicht ausgemacht – und ohnehin obsolet.

67

Im März 1998.

68

Dieser gelang. Eineinhalb Amtsperioden, Herbst 1998 bis Herbst 2005, präsidierte er einer personell wechselnd besetzten rot-grünen Koalition.

69

Kennt man ihn überhaupt noch? Helmut Kohl, den »Kanzler der Einheit«, der sich 16 Jahre lang im Regierungssessel hielt, indem er Probleme aussaß. Der von »blühenden Landschaften« schwärmte. Und mit seiner Begriffsprägung »Rentnerschwemme« – zum Unwort des Jahres 1996 gewählt – unsterblich wurde.

70

Dies tun sie nach wie vor. Ihr neuer Parteivorsitzender Kurt Beck forderte in mehreren Interviews, seine Partei müsse sich »wieder stärker« um die Mitte der Gesellschaft kümmern. Die Beschwichtigung seines Generalsekretärs, dies sei keine »Richtungsänderung«, sondern nur eine »neue Akzentuierung«, wäre eigentlich gar nicht nötig gewesen. (SZ, 3182006)

71

Dies muß im Rückblick auf sieben Jahre Rot-Grün berichtigt werden: Bei der Rechtschreibreform setzte sich die Regierung mit Entschlossenheit gegen Volkes und sämtlicher Experten Wille durch. Auch in Sachen Dosenpfand beschränkte sie sich nachweislich nicht aufs Weiterwursteln. – Was anderes als Weiterwursteln, so fragt an dieser Stelle mein Lektor, betreibe denn Merkels schwarzrote Regierungskoalition seit nunmehr einem Jahr im Amt?

72

Nach der Wahl von Kurt Beck zum Parteivorsitzenden äußerte ein führendes SPD-Mitglied in einer Berliner Hotelbar seine Erleichterung: Nun habe man »zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder einen seriösen Vorsitzenden«.

73

Auch diese einstigen Lichtgestalten haben im Rückblick viel von dem verloren, das sie einst zu Hoffnungsträgern machte. Wahrscheinlich wird auf Dauer jeder Amtsinhaber durch die Fülle tagespolitischer Kratzer, die man ihm verpaßt, seines Glanzes beraubt.

74

Die Generation der geburtenstarken Jahrgänge, also der 19461964 Geborenen; die 78er im engeren Sinne wurden von Reinhard Mohr (Zaungäste. Die Generation, die nach der Revolte kam. Frankfurt am Main 1992) auf die Jahrgänge 19521962 beschränkt, machen also zumindest den Löwenanteil deutscher Babyboomer aus.

75

Schon wenige Jahre später fragt man sich freilich: Jost Stollmann?

Er sollte, obwohl ursprünglich sogar CDU-Mitglied, 1998 in Schröders Regierungsmannschaft Wirtschaftsminister werden; Lafontaine, als Genosse uralten Schlages, sorgte mittels anhaltenden Kompetenzgerangels dafür, daß es dazu nicht kam.

76

Das kann man seit dem Amtsantritt von Angela Merkel, Jahrgang 1955, nun allerdings nicht mehr sagen.

77

Sie traten bei der Bundestagswahl 1998 ebenso an wie die »Partei Bibeltreuer Christen«, die »Alternative spirituelle Politik im neuen Zeitalter – Die Violetten«, die »Initiative Pro D-Mark« und die »Autofahrerpartei«. Resignation und Flucht ins Absurde, ein deutsches Phänomen? In Dänemark wurde 1995 ein Komiker ins Parlament gewählt, der »Rückenwind für Radfahrer«, »besseres Wetter an Sonntagen« und »größere Weihnachtsgeschenke« versprach (Berliner Zeitung, www.berlinonline.de).

78

Die ungarische Pornodarstellerin Ilona Staller, Künstlername Cicciolina, kandidierte für die italienischen Grünen, wurde 1987 als Direktkandidatin der Partito Radicale ins Parlament gewählt.

79

Durch den Umzug des Parlaments von Bonn nach Berlin hat sich die Partitur der Seifenoper nicht wesentlich verändert; durch den Amtsantritt von Frau Merkel schon: seriöse Langeweile als Quotenkiller.

80

Von der kleinen ÖDP 1997 erfolgreich als Volksbegehren eingebracht, am 821998 per Volksentscheid beschlossen und im Jahr darauf vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof als verfassungskonform bestätigt: ein wegweisendes Beispiel, wie man durch Reduktion des demokratischen Apparats das Gefühl fürs Demokratische »an sich« stärken kann.

81

Ein weiteres Volksbegehren der ÖDP, »Schlanker Staat Teil 2« (Verkleinerung des Landtages etc.), verlief 1998 leider im Sande. Auch die Zusammenlegung von Bundesländern könnte die unselige Anzahl der »Listenabgeordneten«, vulgo »Hinterbänkler«, reduzieren.

82

Zur Rolle einer neuen Elite s. »Rückkehr der Eliten«, S. 47ff.

83

Ihre Mitgliederzahlen sinken entsprechend dramatisch: Die SPD verzeichnet gegenüber 1990 einen Rückgang von 40 Prozent, die CDU immerhin von 25 Prozent; und das ist aufgrund der Überalterung in beiden Parteien noch lange nicht das Ende der Entwicklung. Derzeit sind je 1,4 Prozent der Deutschen in SPD oder CDU organisiert; bald wird man wirklich nicht mehr von »Volksparteien« reden können. (Zahlenmaterial: SZ, 16102006)

84

Paradebeispiel: die Beratungen von CDU- und SPD-Politikern über einen besseren Nichtraucherschutz. Diskussionsgrundlage: eine Tischvorlage vom »Verband der Cigarettenindustrie«. Die Grünen, als die Sache aufflog: »Große Sauerei«. (SZ, 2992006) Anschließend: Schlammschlacht zwischen CDU und SPD, wer das Papier denn überhaupt »eingebracht« habe. Ergebnis: Wer auch immer es angenommen haben mag, eingebracht hat es ein Lobbyist des Raucherschutzes.

85

Zu den dabei unweigerlich anwachsenden Interessenskonflikten s. Fußnote 120.

86

Im Winter ’98/’99. Der Tresenredner mokierte sich über »das grüne Verständigungsgesülz«, offensichtlich fielen die handfesten Verbalinjurien von Joschka »Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch« Fischer für ihn nicht unter »grün«.

87

Die tatsächlichen Grünen von heute sind nebenbei zwar meist noch grün, im wesentlichen aber globalisierungskritisch und also bei Attac: »Ökonomische Alphabetisierung« hat die ökologische abgelöst.

88

Auch das ist mittlerweile Geschichte; im Sommer 2006, nachdem für die Grünen kein Regierungsamt mehr zur Verfügung stand, zog sich das »Parlamentsvieh« (Fischer über Fischer) nonchalant aus dem politischen Leben zurück, Richtung Princeton. Nun sind diejenigen an der Parteispitze, die er – ein verkniffen – verknatterter Ringelnatz-Wiedergänger – so gern als seine »Stuten und Fohlen« (zit. nach: SZ, 2362006) gemaßregelt hat.

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Zur Ironie s. S. 132ff.

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Sieben Jahre nach Niederschrift dieses Satzes scheint mir die Reduktion vollendet zu sein: Die SPD hat im Gefüge der Großen Koalition ihren letzten Rest an Visionskraft preisgegeben; um eine neue Grundsatzdebatte führen zu können, wird man Ghostwriter bereits als Stichwort- und Ideengeber verpflichten müssen.

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Auch Attac ist derzeit noch ein fraktales Netzwerk von Gruppen und Vereinen mit einer halbwegs verbindlichen Grundidee bei gleichzeitiger Vielfalt an eigenständigen Initiativen. Nach dem Gesetz der Serie ist damit zu rechnen, daß es sich demnächst auch als Partei organisiert und … irgendwann mal sogar in einer Regierungskoalition mitarbeitet. Und dann? S.o.

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Daß die Grünen mittlerweile versuchten, den Hegemonieverlust über grüne Themen mit »buntem« Multikulti-Gefasel rund um einen militanten Toleranzbegriff wettzumachen, hat ihrer Partei alles andre als ein Vollprogramm verpassen können; wenn sie neuerdings versuchen, sich mit »realistischen Gegenkonzepten« als »Opposition plus« zur Großen Koalition zu positionieren, so sind sie selbst bereits diejenigen, die sich von anderen die Ideen abkupfern: »Grüne Marktwirtschaft«, »gerechte Globalisierung«, »fairer Wettbewerb« und was auch immer man in ihrem neuesten »Fahrplan« liest (Zitate nach: SZ, 192006), es klingt verdammt nach – Attac. Hingegen der Slogan »Sozial. Gerecht. Beschäftigt.«, mit dem sie im Juli ’06 hanseatische Diskussionsveranstaltungen bewarben, der ist eindeutig von – der SPD.

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Dies haben sie nach der Bundestagswahl 2005 zwar getan, ob sie dadurch jedoch zu einer neuen Authentizität zurückgefunden haben, muß bezweifelt werden.

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Nicht erst unter Angela Merkel wurde der Kurs der deutschen Außenpolitik wieder transatlantisch eingenordet. Bereits Schröders rot-grüne Regierungsmannschaft war bis zu ihrer Abwahl bestrebt, das freche Ausscheren aus der »Allianz der Willigen« (zwecks Einmarsch im Irak 2003) scheibchenweise wieder zurückzunehmen.

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Die undemokratische Tiefenstruktur des Demokratischen ist nicht von vornherein zu beklagen; schlimm wird es erst, wenn die Parteien keine großen einzelnen (mehr) hervorbringen. Vgl. »Dick & durstig oder Wisch & weg«, S. 50ff. Joschka Fischers vollmundiges Eigenlob, er sei »einer der letzten Live-Rock-’n’-Roller der deutschen Politik, jetzt kommt in allen Parteien die Playback-Generation« (zit. nach: SZ, 2362006); ist zwar ebenso platt wie falsch, gibt dem allgemeinen Zweifel an allen jüngeren Politikern aber Stimme.

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Lieber nicht. Spricht man mit italienischen Politikern über die Zerschlagung der beiden einstigen Volksparteien (Democrazia Christiana und Sozialisten), so sieht man selten leuchtende Augen: Eine Koalition vieler kleiner Parteien sei auf Dauer kaum zu stabilisieren, jeder Kompromiß aufs neue mit allen Partnern zu verhandeln, das Regieren in summa noch schwieriger geworden als zuvor.

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Zum Beispiel von einigen Zeitungsherausgebern bzw. Feuilletonchefs, die sich obendrein darüber im Vorfeld miteinander abstimmen. Kein Wunder, daß sie mit ihren Buchpublikationen regelmäßig Debatten lostreten und Trends setzen, zu deren Initiierung dem normalen Parteipolitiker schlichtweg die mediale Vernetzung fehlt.

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S. dazu S. 45ff.

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»Zerfall … -männern«: nachträglicher Einschub, der sich nicht verkneifen ließ.

100

Das ist stark untertrieben, der Schuh inszeniert die Haltung und damit den gesamten Körper. Mehr noch: die gesamte Körpersprache, den Gestus der Persönlichkeit. Manche meinen sogar: die Rolle, die man im Leben spielt.

101

Dazugekommen sind Manolo Blahnik (»Meine Manolos«), Sergio Rossi und Christian Louboutin.

102

Mittlerweile noch nicht mal beim 80-m-Lauf, veranstaltet als »Stiletto-Run« auf dem Berliner Ku’damm, Preisgeld: 10000 Euro. 100 Läuferinnen hatten sich dafür qualifiziert, ihre Absatzhöhe durfte 7 Zentimeter nicht unter-, die Absatzbreite 1,5 Zentimeter nicht überschreiten. Siegerzeit: 12 Sekunden. (SZ, 2182006)

103

Auf meine Frage, ob er mit Sechzig auch so »drauf« sein wolle wie Mick Jagger, lachte mich der Taxifahrer, der mich zum Konzert brachte, kräftig aus: Nein, im Gegenteil, an die Jugend »anwanzen« wolle er sich nicht. Beherzt der eignen Impotenz entgegenzuleben, erschien ihm als das mutigere Lebenskonzept, er sagte sogar: das männlichere.

104

Diese beschäftigen sich auf der Bühne, ganz in Schwarz gekleidet, ausschließlich mit ihren Instrumenten, lassen dazu fallweise Go-go-Girls um sie herumtanzen. Lassen tanzen; wohingegen Mick Jagger noch immer selbst die Animierdame gibt.

105

Mittlerweile braucht er trotzdem einen Teleprompter auf der Bühne. »Es wäre doch höchst peinlich, wenn er beispielsweise die Worte von ›Satisfaction‹ vergißt, das er seit 40 Jahren singt«, zitiert die Süddeutsche Zeitung ein Bandmitglied, das ungenannt bleibt. Auch der Name der Stadt, in der die Stones gerade auftreten, wird auf dem Teleprompter angezeigt. (SZ, 3082006)

106

Konzert vom 662003. Meine damals annähernd 83jährige Mutter hingegen wunderte sich ganz offen, daß ich mir »das ein zweites Mal antun wolle«: »Eigentlich fandest du die Who doch besser?« Obwohl sie statt der Who auch zehn andre Gruppen hätte nennen können, hatte sie natürlich recht – für die Generationen nach den 68ern waren die Stones kein primärer Bezugspunkt mehr.

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Ein Jahr später erfahren wir, daß Keith das Koksen eingestellt hat: Drogen seien für ihn mittlerweile zu schwach, sie hätten nicht mehr die gleiche Wirkung wie früher. (SZ, 2292006) Es ist zu befürchten, daß er bei zukünftigen Auftritten die Töne wieder trifft.

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Im Gegensatz zu einer Madonna, die sich fast ein wenig zu oft neu erfunden hat.

109

Bill Wyman vermutet, daß seine ehemaligen Bandkollegen »nur deswegen noch auf Tour gehen, weil sie nicht wissen, was sie sonst mit ihrer Zeit anfangen sollen«. (SZ-Magazin, 662003)

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Auch als Rolling Stone kann man älter werden, sprich, der musikalischen Verkrustung entgegenarbeiten, muß die Band dazu allerdings verlassen: Bill Wyman, bis 1992 Bassist derselben, spielte als Mitglied der »Rhythm Kings« (Gary Brooker, Georgie Fame etc.) mehrere CDs mit alten Nummern der 50er und 60er ein, ganz einfach, weil er sie als Jugendlicher gern hatte und: weil sie nicht nach den Stones klangen. Gefragt, ob ihm das Touren seinerzeit Spaß machte: »Geht so. Zwanzig Jahre lang haben wir dieselben Songs gespielt. Das ist nicht das, was ich unter Fortschritt verstehe.« (SZ-Magazin, 662003)

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Und ein dazugehöriges Lebensgefühl, das ebenfalls zum Fundus der Moderne zählt. Oder mittlerweile eher umgekehrt?

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So die damalige Verlautbarung von Dior. »Wie sollen Falten allein durch Kosmetik nach einer Stunde verschwunden sein?« fragt sich Brigitte-Redakteurin Christa Möller (Nr. 4/2003); worauf ihr der wissenschaftliche Dior-Berater zu verstehen gibt: »Na ja, sie sind natürlich nicht weg. Man sieht sie nur nicht mehr so stark.« Unabhängig davon liefert uns die Schönheitsindustrie immerhin seit Jahr und Tag ermutigende Wortneuschöpfungen, und damit nichts weniger als Sinn: führt sie ihren Stellvertreterkrieg gegen den Tod doch aus einer Vision heraus, der letzten vielleicht, auf die sich unsre alt gewordene Gesellschaft stillschweigend geeinigt hat.

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Wo bei der Dior-Creme starke Feuchtigkeitsbinder für pralle Polsterung sorgen, greift bei den Stones noch immer das, was ihren routinierten Stadionrock seit je ausmacht: ein satter Baß, ein unwiderlegbar simples Schlagzeug, ab und zu ein sehr, sehr knappes Votum der Gitarre, und all das zur vollen Dröhnung abgemischt, mit der Sahnehaube eines kreischenden Mick Jagger versehen.

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Und Bluesmusiker – John Lee Hooker, Muddy Waters, B. B. King usw. –, die sich bei ihren Konzerten dann auch ungeniert mal für ein, zwei ruhigere Nummern auf einen Stuhl setzen, um auszuruhen. Fußballer schaffen es mitunter schon im Alter von knapp über Dreißig, als »große alte Herren« verehrt zu werden – so der Hymnus des ARD-Kommentators auf die französischen Spieler, nachdem sie die junge spanische Mannschaft im WM-Achtelfinale besiegt hatten. (2762006)

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Im Mai 2005 eröffnet; schon wenige Monate darauf wäre der TSV 1860, gemeinsam mit dem FC Bayern Eigentümer desselben, um ein Haar bankrott gegangen, nicht zuletzt wegen der saisonalen Garantiesummen für die »Business Seats«. Ausgerechnet der FC Bayern mußte den Lokalrivalen retten, indem er 100 Prozent der Besitzanteile übernahm.

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Dem Anpfiff voraus ging in etwa folgendes: Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als ob sich die Mannschaft von Bayer Leverkusen auf beschwingte Weise einem sicheren Titelgewinn entgegenspielte; nach dem 31. Spieltag war sie mit 4 Punkten Vorsprung Tabellenführer. Dann wurde sie plötzlich nervös und patzte, während die Verfolger, Borussia Dortmund und Bayern München, kontinuierlich aufholten. Dann der 33. Spieltag, an dem das Team um Michael Ballack überraschenderweise mit 0:1 in Nürnberg verlor, wohingegen Dortmund und Bayern jeweils auswärts drei Punkte holten. An der Spitze der Tabelle sah es vor Anpfiff des letzten Spieltages folgendermaßen aus:

  1. Dortmund, 60:32 Tore, 67 Punkte

  2. Leverkusen, 75:37 Tore, 66 Punkte

  3. Bayern, 62:23 Tore, 65 Punkte

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Die entscheidenden Paarungen des 34. Spieltages:

Dortmund – Bremen

Leverkusen – Hertha

Bayern – Hansa Rostock

Werder Bremen war an diesem Spieltag sicher der schwerste Gegner, wollte er doch seinen UEFA-Cup-Platz gegen die punktgleichen Mitbewerber verteidigen. Hertha war bereits sicher für den UEFA-Cup qualifiziert (ansonsten aber chancenlos, die Bayern vom 3. Platz zu verdrängen); Hansa Rostock hatte sich uneinholbar von der Abstiegszone abgesetzt. Wenn Leverkusen mit seinem beherzten Offensivfußball also doch noch Meister werden wollte (was Fußballdeutschland bis zum vorletzten Spieltag fest geglaubt hatte und jetzt immer noch hoffte), dann würde es gewinnen – und Dortmund gleichzeitig allenfalls unentschieden spielen müssen.

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Die erste Halbzeit:

10. Minute: Leverkusen – Hertha 1:0

17. Minute: Werder gelingt in Dortmund das 0:1, Dortmund ist damit erst mal »raus«, Leverkusen auf Meisterkurs.

39. Minute: Bayern geht durch ein Eigentor der Rostocker 1:0 in Führung, schiebt sich also vorübergehend auf den 2. Platz. Die Mannschaft ist zwar anschließend nicht mehr von der Siegerstraße abzubringen, aufgrund der gleichzeitigen Spielstände in Leverkusen, späterhin auch in Dortmund, wird die Partie freilich als Freundschaftsspiel fortgeführt. Endergebnis: 3:2

41. Minute: Dortmund gleicht zum 1:1 aus; das reicht jedoch noch nicht, Leverkusen (in rot-schwarz gestreiften Trikots) ist Halbzeit-Meister.

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Die zweite Halbzeit:

51. Minute: Leverkusen erhöht zum 2:0 (das 2:1 in der 83. Minute spielt schon keine Rolle mehr).

74. Minute: Dortmund geht mit 2:1 in Führung und zieht damit an Leverkusen vorbei; Leverkusen hat nur dann noch eine Chance, wenn Bremen der Ausgleich gegen Dortmund gelingen sollte. Was Dortmund durch druckvolles Angriffsspiel zu verhindern weiß.

120

Nach dem Ende der rot-grünen Regierung wurde Schily Aufsichtsrat, charmanterweise bei zwei Firmen, die sich auf biometrische Aspekte der Ausweisgestaltung spezialisiert haben (Byometric Systems AG, Mitterfelden, und SAFE ID Solutions AG, Unterhaching), deren Einführung er als Innenminister bundesweit durchgesetzt hatte. Das erinnert an Gerhard Schröder, der als Bundeskanzler noch zehn Tage vor seiner Abwahl den russischen Präsidenten Putin traf, um den Bau einer direkten Gaspipeline zwischen beiden Ländern zu besiegeln; wenige Wochen nach seiner Abwahl ließ sich Schröder von seinem Freund Putin zum Aufsichtsratsvorsitzenden just jener Gesellschaft (Nordeuropäische Gaspipelinegesellschaft, NEGPC) berufen, die den Bau der Pipeline verantwortet.

121

Schily ist Jahrgang 1932.

122

Ahnte man etwa Schlimmes, noch Schlimmeres? Bayer Leverkusen scheiterte in dieser Saison wenige Tage später auch im Pokalfinale sowie im Endspiel der Champions League: am 11. 5. (2:4 gegen Schalke 04) und am 15. 5. (1:2 gegen Real Madrid). Unglaublich: Leverkusen hätte als erster deutscher Verein »das Triple machen« können. Und wurde am Ende doch überall nur Zweiter.

123

Vgl. Fußnote 116: Im Grunde verspielte Leverkusen bereits an diesem Spieltag die Meisterschaft.

124

Seinerzeit Trainer der Leverkusener und prompt zum »Trainer des Jahres« gewählt. Im Jahr darauf (als die Mannschaft in akute Abstiegsgefahr geriet) entlassen. 2004 auch aus denselben Gründen beim HSV entlassen. Mittlerweile (noch?) Nationaltrainer Georgiens.

125

Hoppla, das tun wir mittlerweile leider auch auf juristischer Ebene: wegen des Verdachts der Untreue, ausgerechnet! Calmund soll 380000 € aus der Vereinskasse an die kroatischen Spielervermittler »Branko« und »Dino« aus dem Hamburger Rotlichtmilieu übergeben haben, die mit dem Geld verschwanden. Calmund verweigerte bislang präzise Angaben, weil das, in den Worten seines Anwalts, »für ihn auf dem Balkan das sichere Todesurteil« wäre. – Was hatte ich da über frühere Manager geschrieben, »zwischen Rotlicht und Mafia vermutet«? Und hat sich Calmund, zumindest in den Augen eines Fans, nicht sogar im Scheitern als treu erwiesen? Doch daß die einstige Inkarnation von Bayer Leverkusen – »Das war mein Verein. Aber das ist er nicht mehr« (zit. nach: Die Zeit, 1632006) – nun Aufsichtsratsmitglied von Fortuna Düsseldorf geworden ist, war das wirklich nötig?

126

Daß man als Fan auch ziemlich lächerlich sein kann, hat uns während der WM 2006 Maradona vorgeführt, indem er bei jedem Spiel seiner Mannschaft von der ersten bis zur letzten Minute ein Argentinien-Trikot schwenkte: ein Fall für sich.

127

Die emotionale Bindung eines Spielers an seinen Verein, »so oberflächlich wie ein Kuß in Los Angeles« (Carlos Santana, SZ, 192006).

128

Nun! Nach der WM 2006 sieht es so aus, als ob uns – nein, nicht Jürgen Klinsmann, der sich zwar taktisch geschickt, aber eben doch enttäuschenderweise als Symbolfigur des deutschen Fußballs entzogen hat – letztendlich nurmehr die Kommentatoren bleiben: Netzer/Delling vorneweg, Kerner und seine beiden »ZDF-Experten« (wie man sie beharrlich untertitelte, um eine Markenbindung der Herrschaften zu suggerieren) dichtauf, der omnipräsent kommentierende Beckenbauer sowieso, dann aber auch schon in wilder Folge und Zusammenstellung Boris Becker, Herbert Grönemeyer, Wolfgang Niedecken, Elmar Wepper, Günter Jauch, Sasha, Helmut Markwort … Alle während der WM auf den verschiednen Kanälen als »Experten« gesichtet und erduldet.

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In der Welt-Fassung des Artikels stand hier als Replik: »Wollnse oder wollnse nich?« Tatsächlich wurde ich vor Jahr und Tag mit dieser Formulierung vom Metzger abgebürstet, als ich meinen Kaufwunsch geäußert hatte; es scheint jedoch, daß ich – zum zweiten Mal in meinem Leben – nach dem Umzug in eine mir fremde Stadt dort zunächst in die Berlin-Falle geraten bin. Das erste Mal, im Vorschulalter, übrigens in München: Meine Mutter hatte mir den anstehenden Umzug mit dem Hinweis schmackhaft zu machen versucht, ich würde dort gewiß gleich Bayerisch lernen; als ich dann nach dem ersten Spieltag mit den neuen Nachbarkindern heimkam, verkündete ich strahlend: Ja, Bayerisch könne ich jetzt. – Nun? – Ich, stolz: »Det is dufte!«

130

Hanseatische Backkunst kulminiert bekanntlich im Butterkuchen.

131

Auf hamburgisch knapp und indikativisch: »Mich is eins.«

132

Auch für Hanseaten etwas herb. Netter wäre: »Kannich das Tagesgericht?« Darauf der Kellner: »Weiß ich nich, ob du das kanns.«

133

Auf hamburgisch: »Nu laß ma stecken, Alter. Ob du das bekomms, weiß ich nich. Aber du kannst es ja mal bestellen.«

134

Bauerstr. 3. Laut Selbstdarstellung »Bar, Pils Pub, Bistro«.

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Ähnlich karg der Schweigetrinker des Nordens (der »Schnacker« ohnehin »nich ab« kann): »Ich sach dir, Alter.« Alternative Wortmeldung: »Also ich weiß nich.« Im eruptiven Absondern von Nullbotschaften ist man im westfälischen Platt noch eine Spur redefauler: »Kuck siehste.«

136

»Gott sitzt in München / und trinkt grünes Bier. Wir / müssen zu ihm und / ihn fragen / warum.« (Charles Bukowski: Axt und Klinge. In: Ders.: 439 Gedichte. Hrsg. und übers. von Carl Weissner. Frankfurt am Main 2003, S. 33)

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Habermas ist gebürtiger Düsseldorfer, das erklärt vieles. Sein Denkansatz ist für einen Hanseaten schwer nachzuvollziehen, dessen bayerische Zusammenfassung schlichtweg unübersetzbar.

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zutiefst

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Diese großartige Generalbegründung ist mit einem »Allens kloar!« kaum angemessen übersetzt; die zugrundeliegende Pauschalbekundung von Sympathie und Weltbehagen fehlt dem hamburgischen Idiom denn doch.

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Silbersackstr. 9. Eingangsschild: »Zum Silbersack – Solide Preise«.

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Auf hamburgisch etwa: »Beinhart! Morgen is auch noch ’n Tach.«

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»Oans geht no.« – »Wat mut, dat mut.«

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Wäre die 80jährige Wirtin nicht gar so »plietsch«: »Wo bis du denn wech von?«

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Das ist nicht ganz wahr. »Schließlich«, nämlich beim allerletzten Glas, hatten wir selbst Titelformulierungen wie »Der Traum des Stiers« und natürlich »Herr der Hörner« durchdekliniert; als alle Scheu erst einmal überwunden war, »Himmel und Herde« oder, nun war ja wirklich alles egal, »Der Herbst des Einsamen«. Bei der Verabschiedung dann »Ruf des Ostens«, »Lob des Hinterschinkens«, »Raus!« (sofern man eine letzte Kuh im rechten hinteren Teil des Wagens unterstellte), »Bloß weg hier«.

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Auf die Spuren der Wenden begibt sich Jens Sparschuh in seinem melancholisch-humorvollen Expeditionsroman »Eins zu eins« (Köln 2003), einer Art literarischem Roadmovie durch die ostdeutsche Provinz.

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