Olaf Nils Dube

Bienen und Menschen

Eine Freundschaft

Insel

Bienen und Menschen

Eine Freundschaft

Menschen in der Stadt

Die Suche nach Verbundenheit

Das Brot liegt abgepackt in der Theke, manche lassen es sich noch schneiden. Geschirr wäscht die Spülmaschine ab, und wenn wir uns bewegen, dann meist auf Rädern. Honig drücken wir aus der Plastiktube. Wie er da reingekommen ist? Darüber wissen wir fast alles.

Der Informationsfluss wächst bis ins Unendliche, noch offene Fragen werden im Netz beantwortet, an jeder Straßenecke können wir mit unseren Smartphones jeden an jeder anderen Straßenecke dieser Welt erreichen.

Nur die Strecke dazwischen, die erreichen wir nicht mehr.

Wir folgen nach wie vor unseren Grundbedürfnissen. Unser Essen wächst noch immer in der Erde, braucht Regen und Pflege, ein Stück Fleisch bleibt ein geschlachtetes Tier. Aber die Zusammenhänge, die Handlungsabläufe, die Materialien, der Weg vom Getreide zum Brot, vom Tier zum Schinken, all das ist für die meisten von uns blanke Theorie. Abstrakt wie Essen im Imbiss in der Stadt oder wie die Auslagen im Supermarkt, von denen man meinen könnte, sie kämen aus dem 3-D-Drucker.

Wir erleben nicht mehr die Zeit zwischen Säen, Wachsen, Ernten, Mahlen, Kneten und Backen.

Andernfalls würden wir in Kontakt kommen mit dem Boden, mit Wasser und Pflanzen.

Wir würden die Anstrengung und unsere Kraft bei der Ernte und dem Mahlen spüren und das frische Mehl riechen, uns würde der Schweiß von der Stirn laufen.

Wir würden unsere Arme fühlen beim Kneten des Teigs, unseres Teigs.

Wir würden Holz hacken und den Ofen heizen – beides duftet und wärmt – und schließlich das Aroma des frisch gebackenen Brotes wahrnehmen. Es würde uns sicher ganz besonders schmecken.

Stattdessen erleben wir das oft Bruchstückhafte einer Tätigkeit im Büro oder empfinden unseren Job an der Werkbank als zusammenhanglos und damit sinnfrei. So wird Tun zu fremdbestimmter Arbeit.

Wir wissen heute also mehr und erfahren gleichzeitig weniger.

Erfahrung braucht ihre Zeit und hat einen Weg hinter sich. Sie gibt uns das so wichtige Gefühl für uns selbst zurück. Wir sind und bleiben aus Fleisch und Blut, eben Naturwesen, und leiden an der Boden- und Verbindungslosigkeit zu unseren Wurzeln und Mitmenschen.

Ich bin bestimmt kein Kulturpessimist. Und nein, man muss nicht alles selbst machen, seine Schuhe herstellen oder Werkzeuge schmieden, um »sich wieder zu spüren«. Aber ob wir nun arbeiten, kommunizieren, reisen, was machen wir Stadtmenschen denn überhaupt noch vom Anfang bis zum Ende? Und was hat das alles mit Bienen zu tun?

Bienen sind nicht von ungefähr unsere Lieblinge in der Fauna. In einem Bienenvolk erkennen wir Menschen ein Ur- und Idealbild, nach dem wir uns so sehnen. Wir erleben ein Gebilde, bei dem alle Teile aufeinander ausgerichtet sind, dynamisch eine Einheit bilden und so etwas Gemeinsames, Größeres erschaffen: einen Organismus.

Die Einheit in der Vielfalt: Was könnte mehr für Harmonie stehen?

Es genügt ein Blick auf eine mit Bienen besetzte Wabe, um ein tiefes Gefühl von der Verbundenheit dieser vielen Einzelwesen untereinander zu spüren. Sich zankende Bienen sind in einem Volk schlicht unvorstellbar.

Auch nach außen hin sind Bienen geradezu beneidenswert verknüpft mit ihrer natürlichen Umgebung: Sie verkörpern die Verbindung in der ansonsten immobilen Pflanzenwelt.

Vielleicht war es genau dieses Gefühl von Verbundensein, das mir abhandengekommen war, ehe ich mich mit Bienen befasste.

Ich hatte meinen Boden verloren, war wie eine Kartoffel in Hydrokultur, kreuzunglücklich in einem Schlips-und-Kragen-Job. Dass ich Imker wurde, war mein großes Glück.

Seit ich mit Bienen lebe, ist es um mich geschehen, bin ich gewissermaßen an ihre Kreisläufe von Ausdehnung und Schrumpfen angedockt. Auf so vielen sinnlichen Ebenen erlebe und vor allem: spüre ich ihr Dasein. Ich höre ihr Summen, das mich beruhigt, oder ihr Brausen, das mich flüchten lässt.

Meine Gene wissen genau, dass ihr flüssiges Gold einst die süße Ur-Droge schlechthin war. Wo Bienen sind, riecht es angenehm nach Wachs, und die Luft schmeckt süß. Kein Wunder, dass das Bienenhalten gerade in urbanen Gegenden eine Renaissance erlebt.

In der Stadt haben Menschen heute am wenigsten die Gelegenheit oder die Notwendigkeit, sich ihr Brot selbst zu backen, sich Feuerholz zu hacken, sich Gemüse anzubauen und fürs Mittagessen aus der Erde zu ziehen. Dabei wären das für die meisten von uns wahrscheinlich sehr befriedigende Tätigkeiten, die uns erschöpft von der körperlichen Arbeit und erfüllt von den Eindrücken am Abend tief und fest einschlafen lassen würden.

Zur Kompensation müssen Yoga, Pilgern, vegane Ernährung, Slow Living und ein Sabbatical her. In all diesen Bewegungen und Phänomenen steckt auch die Suche nach Erfahrung, dem sinnlichen Erleben, nach Bewusstheit und dem Spüren des Augenblicks.

Das Wunderbare am Bienenhalten? Es ist keine Ersatzbefriedigung wie shoppen oder Torte essen, sondern hilft ganz direkt und einfach. Das Imkern bringt einen Menschen zurück in die Kreisläufe und Zusammenhänge der Natur. Zu Pflanzenfragen und allem, was da krabbelt und fliegt, wissen wir in Windeseile mehr als mancher Minister für Agrarwirtschaft. Und das Beste? Wir wissen es nicht nur, wir begreifen es auch.

Als moderner Mensch kann man von jedem Huhn, jeder Fliege oder Ziege eine Menge lernen. Von ihrer Gelassenheit, Klarheit und Authentizität. Und ihrer Verbundenheit: mit sich selbst. In diesem Sinne können Bienen, kann aber auch jede Fliege die Welt retten.