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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74093-200-8
Fee Norden stand am Fenster und preßte ihre Stirn an die kalte Scheibe, an der nun große Tränen herabrollten wie Regentropfen. Sie wollte diese Tränen ihrem kleinen Sohn Danny nicht zeigen, der sie jetzt am Rock zupfte und betrübt fragte: »Was hat Mami?«
Er spürte es, wenn sie traurig war, und dann war auch er bekümmert. Aber Fee konnte ihm nicht erklären, warum sie weinte. Er konnte es noch nicht verstehen.
In den Morgenstunden war Bärbel Vandamme gestorben. Vierzehn Tage nach der Geburt ihres zweiten Kindes, und wieder einmal stand die schreckliche Krankheit Leukämie wie eine Drohung vor ihren Augen.
Bärbel war achtundzwanzig Jahre alt gewesen, glücklich verheiratet, zärtliche Mutter eines kleinen Sohnes, der ein Jahr älter war als Danny.
Dr. Daniel Norden hatte schon ganz schlimme Ahnungen gehabt, als er in den letzten Monaten der Schwangerschaft immer häufiger in das Haus des Chefingenieurs Vandamme gerufen wurde und feststellen mußte, daß Bärbels Zustand sich besorgniserregend verschlimmerte.
Dr. Hans-Georg Leitner, Daniels Freund und Kollege, hatte in seiner Klinik dann durch eine gründliche Untersuchung diese grausame Tatsache festgestellt. Sie hatten lange überlegt, ob sie Jörg Vandamme die Wahrheit sagen mußten. Doch es war vorauszusehen, daß die junge Frau die Geburt nicht überleben würde. Es war ihnen ohnehin unbegreiflich, daß sie die Schwangerschaft bisher überstanden hatte.
Zu Fee hatte Daniel auch nichts gesagt. Sie kannte Bärbel Vandamme und mochte diese liebenswerte junge Frau sehr gern. Daniel hoffte wieder einmal auf ein Wunder, so gering diese Hoffnung auch sein konnte.
Als sie sich dann doch entschlossen hatten, Jörg Vandamme die Wahrheit zu sagen, war der Mann zusammengebrochen. Um so bewundernswerter fanden die beiden Ärzte es dann, wie er sich zusammenriß und seiner Frau immer eine zuversichtliche Miene zeigte, ihr sagte, daß alles wieder gut werden würde, wenn das Kind erst da sei, obgleich er eigentlich doch damit rechnen mußte, daß er diese so sehr geliebte Frau dann nur noch begraben könnte.
Bärbels Schwester Sandra war zu ihnen gezogen und betreute den kleinen Sandro, dessen Patin sie auch war. Doch auch sie erfuhr nichts von der erschütternden Wahrheit. Auch ihr zeigte Jörg nicht sein wahres Gesicht. Er täuschte ihr Zuversicht vor, wo er doch schon alle Hoffnung verloren geben mußte.
Und auch Bärbels Freundin Janine Collas wurde verschwiegen, daß Bärbel nur noch kurze Zeit zu leben hatte.
Janine war eine bekannte Modeschöpferin, seit fünf Jahren verheiratet, und wünschte sich nun brennend ein Kind. Sie war diejenige, die Bärbel am meisten Mut zusprach, wenn die Erschöpfungszustände immer dichter aufeinander folgten.
Sie würde für ein Kind alles auf sich nehmen, sagte sie. Wenn sie es dann erst im Arm halten konnte, wäre vergessen, was man an Erschwernissen auf sich genommen hätte. Ob sie jetzt wohl anders dachte, da Bärbels Leben verlöscht war? Bärbel hatte ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Sie hatte es noch im Arm halten und betrachten können. Sie hatte länger gelebt, als die Ärzte voraussehen konnten.
Auch daran dachte Fee Norden, während sie ihre Tränen trocknete und ihren kleinen Danny in die Arme nahm.
Sie kannte auch Janine Collas. Sie kaufte nur noch Kleider aus ihrer Kollektion, weil sie für sie wie geschaffen waren und wirklich genau ihrem Geschmack entsprachen.
Janines Mann, Volker Collas, hatte eine bestens florierende Fabrikation apartester Damenmoden aufgebaut. Janine machte die Entwürfe, und nach ihr waren die Schöpfungen auch benannt. Janine-Kleider und -Kostüme wurden in aller Welt getragen. Sie selbst war von dem Erfolg überwältigt worden. Ihr Mann Volker war ungemein weitsichtig gewesen und ein cleverer Geschäftsmann. Aber Janine war der Motor. Sie war eine Künstlerin, und weil sie Kontakt zu den Kundinnen brauchte, hatte sie auch eine Boutique eingerichtet.
Fee Norden gehörte zu ihren liebsten Kundinnen und gerade sie bot Janine immer wieder neue Anregungen. Deshalb schienen ihr auch alle Modelle wie auf den Leib geschneidert.
Fee war eine bezaubernde Frau. Sie hatte eine blendende Figur. Sie wäre genau das Modell gewesen, das eine Modeschöpferin sich wünschte, aber eine Frau Dr. Norden, die vor ihrer Ehe praktizierende Ärztin gewesen war, konnte man nicht als Mannequin gewinnen. Janine hatte das auch nie versucht. Dazu besaß sie zuviel Taktgefühl. Fee Norden schwebte ihr nur vor, wenn sie neue Entwürfe machte.
An all dies verschwendete jedoch auch sie an diesem Morgen keinen Gedanken. Ihr war es genauso weh ums Herz wie Fee. Für sie war es noch schlimmer. Sie hatte ihre beste Freundin verloren.
Sie weinte haltlos, und auch ihr Mann vermochte sie nicht zu trösten.
Ihr Gesicht war verquollen. Ein weites Kleid kaschierte ihre rundlichen Formen. Janine Collas hatte sich wenige Tage zuvor noch so sehr darüber gefreut, daß sich ihr heißester Wunsch nun zu erfüllen schien und sie endlich auch Mutterfreuden entgegensehen könnte.
Volker Collas war sehr besorgt um seine Frau. »Denk an das Baby, Janine«, redete er beruhigend auf sie ein.
»Ich denke ja daran«, schluchzte sie auf. »Aber wenn bei mir nun auch nicht alles in Ordnung ist? Ich bin doch eigentlich schon viel zu dick.«
Das hatte er insgeheim auch schon festgestellt. Ihr Gesicht war auch nicht nur von den vielen Tränen aufgeschwemmt, die sie um Bärbel vergoß. Schon seit zwei Wochen war es ihm aufgefallen, wie sehr sie sich veränderte. Er sagte nichts darüber. Er wußte, wie sehr sie sich ein Kind wünschte, und er war auch bereit, dafür alles in Kauf zu nehmen. Das Kinderzimmer in ihrem schönen Haus war schon lange fertig. Ihm war das nie so wichtig gewesen wie Janine. Ihn erfüllte eben die Sorge, daß ein Kind die Harmonie zwischen ihm und Janine stören könnte. Und ein bißchen dachte er auch daran, daß Janine dann nicht mehr soviel Interesse am Geschäft zeigen würde, wenn sie erst ein Kind hatte.
Aber jetzt dachte er noch weiter. Es war ein zu schrecklicher Gedanke, daß Janine ihm genommen werden könnte. Er liebte seine Frau genauso, wie Jörg Vandamme Bärbel geliebt hatte.
Es war einfach unvorstellbar, daß eine so junge, so glückliche Frau plötzlich nicht mehr unter ihnen weilen sollte.
*
Dr. Daniel Norden hatte mehr Zeit gehabt, sich mit den Tatsachen vertraut zu machen, aber auch für ihn war es ein arger Vormittag.
Er war gegen sechs Uhr morgens von seinem Freund Schorsch Leitner in die Klinik gerufen worden. Ein paar Tage nach der Geburt ihrer Tochter hatte es den Anschein, als würde Bärbel sich erholen. Nun aber war der Tod ganz schnell gekommen, und für den empfindsamen Schorsch war es ebenfalls ein harter Schlag. Aber er hatte Daniel angerufen, weil Jörg Vandamme völlig zusammengebrochen war. Zu groß war die Nervenbelastung der letzten Wochen für ihn gewesen. Bis zum letzten Atemzug hatte er Bärbels Hand gehalten und immer noch gehofft. Auf der Säuglingsstation lag ein süßes kleines Mädchen und konnte noch nicht wissen, daß es schon, gerade erst zwei Wochen jung, Halbwaise geworden war.
Es war verständlich, daß Jörg kein Interesse für dieses Kind hatte, dachte er doch oft, daß dieses Baby die Katastrophe ausgelöst hatte.
Daniel Norden hatte mit Jörg Vandamme gesprochen. Er hatte mit Engelszungen geredet. Das Kind träfe keine Schuld.
»Dann trifft mich die Schuld«, sagte Jörg. »Ich wollte noch ein zweites Kind haben.«
Er war so unsagbar verzweifelt, und Daniel hatte unwillkürlich auch daran denken müssen, daß ihm nicht anders zumute wäre, wenn Fee solches Schicksal widerfahren würde. Schnell hatte er diesen Gedanken beiseite geschoben.
»Sie trifft auch keine Schuld, Herr Vandamme«, hatte er gesagt. »Das Schicksal kann grausam sein, aber was können wir ihm entgegenwerfen? Wir sind auch nur Menschen.«
»So was kann nicht göttlicher Wille sein«, sagte der andere verzweifelt. »Bärbel hat niemanden etwas zuleide getan. Sie war so gut, so sanft, so voller Liebe. Warum dürfen andere leben, die gar nicht fähig sind zu leben?«
Was sollte Daniel darauf sagen? »Sie haben Ihren kleinen Sohn und nun die kleine Bärbel«, ja, das sagte er. Worte, die diesen bis ins Innerste Erschütterten nicht zu trösten vermochten.
Jetzt noch nicht. Draußen stand Sandra Terhoeven, Bärbels Schwester.
»Ich habe es geahnt und gefürchtet«, sagte sie leise. »Warum konnte nicht ich es sein? Die Kinder brauchen doch ihre Mutter.«
»Vielleicht können Sie ihnen die Mutter ersetzen«, hatte Daniel erwidert.
»Kann man eine Mutter ersetzen?« fragte sie.
Den ganzen Vormittag konnte Daniel Norden diese Gedanken nicht verbannen. Mittags saß er stumm am Tisch, und auch ihn konnte Danny nicht aufmuntern.
»Was wird nun mit den Kindern werden?« fragte Fee.
»Sandra wird sich um die Kleinen kümmern, aber ich frage mich, was aus Jörg Vandamme wird, Fee. Er ist völlig gebrochen. Mir ist bange um ihn.«
*
Es war die wirklich ernste Sorge um Jörg, die Daniel veranlaßte, an der Beerdigung teilzunehmen. Und weil Fee wußte, wie ihm bei Beerdigungen zumute war, begleitete sie ihn. Es ging nicht darum, einer Toten die letzte Ehre zu erweisen, wie man so sagte. Die Toten wußten ja nichts mehr davon, und Fee fand es auch viel besser, wenn man ihnen eine gute Erinnerung bewahrte. Gar zu viele kamen doch nur aus Neugierde.
Bei Bärbel Vandamme war das allerdings nicht der Fall. Es hatte keine Todesanzeige gegeben. Nur die engsten Familienangehörigen und Freunde waren versammelt. Es war ein unendlich schmerzlicher Abschied, bei dem viele heiße Tränen flossen. Sandra Terhoeven stand geisterhaft bleich neben Jörg. Ihre Mutter saß zusammengesunken auf einem Stuhl neben Janine, die eine große dunkle Brille vor den Augen hatte und völlig apathisch wirkte.
Hielt sich Jörg auch mühsam aufrecht, so war es doch gut, daß Daniel Norden zur Seite war, denn Janine brach dann am Grab ihrer Freundin zusammen, nachdem sie die Blumen hineingeworfen hatte.
Daniel war von Fee darauf aufmerksam gemacht worden, um wen es sich handelte. Er kannte Janine nicht persönlich, nur ihren Namen.
Volker Collas geriet in Erregung, während Jörg schon gar nicht mehr wahrnahm, was um ihn vor sich ging.
Daniel stellte sich Volker Collas kurz vor, während er sich um Janine bemühte. Gemeinsam brachten sie dann die junge Frau zum Wagen, den Fee eilig herbeigeholt hatte.
»Meine Frau erwartet ein Baby«, stammelte Volker. »Würden Sie uns bitte begleiten, Herr Doktor?«
Er merkte gar nicht, daß es Daniels Wagen war, in dem Janine nun ohnmächtig lag.
»Wo wohnen Sie?« fragte Daniel.
»In Bogenhausen.«
»Ziemlich weit. Wir bringen Ihre Frau besser zu uns. Das ist näher«, erwiderte Daniel.
Volker Collas nickte etwas verstört. Er dachte jetzt nicht daran, daß sein Wagen drüben auf dem Parkplatz stand. Das war auch völlig gleichgültig. Es war nur beruhigend, daß gleich ein Arzt zur Stelle war. Und den Namen Norden kannte er auch, allerdings nur in Verbindung mit Fee.
Schnell waren sie bei den Nordens angelangt. Danny hatte schon sehnsüchtig auf seine Eltern gewartet, aber er lief erschrocken weg, als die ohnmächtige Janine von seinem Papi und Volker ins Haus getragen wurde.
»Is denn los?« fragte er seine Mami, die dann zu ihm und Lenni in die Küche kam.
»Die Dame ist krank, Danny«, erklärte Fee kurz. Dann setzte sie Wasser auf für einen Tee. Daniel untersuchte indessen Janine, die langsam zu Bewußtsein kam und Daniel verwirrt anschaute.
»Es war zuviel«, flüsterte sie. »Oh, mein Baby…«
»Ganz ruhig sein«, sagte Daniel. »Nur keine Aufregung.« Und dabei war er selbst ziemlich in Aufregung geraten. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft.
»Meine Frau wird Ihnen einen Tee bringen, den trinken Sie in kleinen Schlucken. Er belebt.«
Seine Gedanken waren nicht bei der Sache. Er war froh, als Fee kam.
Er mußte unbedingt mit Volker Collas sprechen, wenngleich ihm auch das nicht leicht wurde.
Der war blaß und überaus nervös. »Wie geht es Janine?« fragte er stockend.
»Sie erholt sich. Meine Frau ist bei ihr. Ich muß mit Ihnen sprechen, Herr Collas. Bitte, nehmen Sie doch Platz.«
Ängstlich sah ihn der andere an. »Es wird doch dem Baby nicht schaden«, murmelte er.
»Herr Collas, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber Ihre Frau ist nicht schwanger.«
»Ist nicht schwanger?« wiederholte Volker bestürzt. »Aber Dr. Dötsch hat doch gesagt…«, er unterbrach sich und starrte Daniel an. »Sie sind doch kein Gynäkologe.«
»Nein, ich bin keiner, aber ein bißchen was verstehe ich davon auch«, sagte Daniel freundlich. »Sie können gern noch einen Gynäkologen hinzuziehen.«
»Ich will Sie nicht kritisieren«, sagte Volker leise, »aber Dr. Dötsch ist doch Gynäkologe. Er hat gesagt…«, wieder geriet er ins Stocken.
»Er sagt, daß Ihre Frau schwanger ist?« fragte Daniel erstaunt.
»Er hat gesagt, daß die Hormonbehandlung erfolgreich gewesen sei«, erwiderte Volker stockend.
»Ihre Frau hat sich also einer Hormonkur unterzogen«, stellte Daniel fest. Vermutet hatte er das sofort bei der Untersuchung.
»Ja, sie wollte unbedingt ein Kind haben. Wir sind fünf Jahre verheiratet, und sie hat Bärbel so beneidet. Mein Gott, dabei war sie doch nur zu bedauern. Das war ein zu schlimmer Schock. Sie meinen, daß Janine eine Fehlgeburt hat?« fragte er dann verstört.
»Nein, sie ist nicht schwanger. Sie war es auch nicht.«
»Aber sie ist doch soviel dicker geworden.«
»Wahrscheinlich durch die Hormonbehandlung. Ich will noch kein Urteil abgeben, aber es scheint, daß ein Medikament verabreicht wurde, das diese Aufschwemmung hervorgerufen hat. Hinzu kam der Wunsch nach einem Kind. Scheinschwangerschaften gibt es häufiger als man denkt.«
Er wollte nicht sagen, daß auch noch etwas anderes dahinterstecken könnte, denn nun war Volker völlig konsterniert.
»Ich begreife das nicht«, sagte er. »Das kann doch nicht möglich sein. Herr Dr. Norden, bitte erklären Sie es mir doch genau. Sie ahnen ja nicht, was das für meine Frau bedeuten kann, wenn Sie recht haben.«
Indessen machte sich auch Fee Gedanken über Janine, die sie ja schon länger kannte.
»Wenn es nur meinem Baby nicht schadet«, flüsterte Janine. »Volker wollte nicht, daß ich zur Beerdigung gehe, aber Bärbel war doch meine beste Freundin. Es ist so schrecklich«, schluchzte sie wieder auf.
Sie erwartet ein Baby? fragte sich Fee, denn auch in ihr stiegen daran Zweifel empor.
Das Gesicht und der Körper waren aufgeschwemmt, die aparte Anmut, die Janine ausgezeichnet hatte, konnte man nur noch ahnen. Gewiß gab es bei manchen Schwangerschaften unschöne Begleiterscheinungen, doch der behandelnde Arzt konnte etwas dagegen unternehmen. Sie wollte sich nicht vager Vermutungen hingeben, sondern erst mit Daniel darüber sprechen.
Der bemühte sich jetzt, Volker Collas genau zu erklären, welche Nebenwirkungen Hormonbehandlungen hervorrufen konnten, wenn sie falsch dosiert oder auf die psychischen Anlagen der Patientin nicht richtig abgestimmt waren.
»Es gibt verschiedene Präparate. Genauso ist es bei den Antibabypillen«, erklärte er. »Hat sich die Kur über längere Zeit erstreckt?«
»Ich denke schon. Janine hat darüber nicht gesprochen. Ich war nicht versessen auf ein Kind, das muß ich zugeben. Ich sagte ihr das auch, und manchmal gab es dadurch Differenzen zwischen uns. Herr Dr. Norden, Sie dürfen mich nicht mißverstehen. Ich liebe meine Frau. Mir fehlte nicht ein Kind zum großen Glück. Und jetzt finde ich es einfach schrecklich, daß ihre Hoffnung vergeblich war und sie dazu auch noch verunstaltet ist.«
»Das wird sich beheben lassen«, sagte Dr. Norden.
»Aber wie soll man es ihr beibringen, daß sie kein Baby bekommt?« fragte Volker verzweifelt.
»Nicht gleich heute. Es wird am besten sein, wenn Sie es ihr diplomatisch beibringen.«
»Das kann ich nicht. Nein, das bringe ich nicht fertig.«
»Dann bringen Sie das Gespräch auf Dr. Dötsch und sagen Sie ihr, daß sie sich in eine klinische Untersuchung begeben möchte. Ich kann Ihnen Dr. Leitner empfehlen. Er ist sehr gewissenhaft.«
»Wenn Janine das erfährt, wird sie zu keinem Arzt mehr Vertrauen haben«, sagte Volker. »Oh, mein Gott, es ist zu schrecklich. Da bringt Bäbel noch ein gesundes Kind zur Welt und muß selbst sterben, und Janine…«, wieder geriet er ins Stocken, »es wird doch für sie nicht auch noch schlimmere Folgen geben?« In seinen Augen stand blanke Furcht. Nervös fuhr er mit der Hand durch sein dichtes aschblondes Haar.
»Jetzt müssen Sie Ihrer Frau vor allem zeigen, daß Sie sie lieben.«
»Aber das weiß sie doch. Und es wird sich auch nie ändern. Nur gesund soll sie sein. Ich habe Angst um meine Frau, Dr. Norden. Ein Arzt kann doch nicht so verantwortungslos handeln.«
»Sie sollten einmal mit Dr. Dötsch sprechen«, schlug Daniel vor.
»Kennen Sie ihn?«
»Nein, ich hatte noch nicht mit ihm zu tun. Ich würde allerdings gern erfahren, mit welchen Mitteln Ihre Frau behandelt wurde.«
»Das werde ich schon in Erfahrung bringen, und diesen Menschen werde ich anprangern, wenn es seine Schuld ist«, sagte Volker erregt.
»Das dürfte Ihnen schwerfallen«, sagte Daniel. »Es gibt leider Kollegen, die jede Verantwortung von sich abzuwälzen verstehen. Lassen wir ein paar Tage verstreichen. Wenn Sie mir die Informationen besorgen können, wenn sich dann Ihre Frau entschließen kann, sich gründlichst untersuchen zu lassen, werde ich mich mit Dr. Dötsch in Verbindung setzen.«
Volker Collas brauchte noch ein paar Minuten, bis er sich halbwegs beruhigt hatte. Dann streckte er Daniel impulsiv die Hand entgegen. »Es ist gut, daß wir an Sie geraten sind, Herr Dr. Norden«, sagte er mit tonloser Stimme. »Wer weiß, was noch mit Janine passiert wäre. Mir geht es jetzt darum, daß sie keine bleibende Gesundheitsschädigung erleidet. Der Gedanke, daß ich sie hergeben müßte, ist einfach grauenhaft.«
Physisch wird der Schaden zu beheben sein, ging es Daniel durch den Sinn, aber psychisch? Diese junge Frau hatte viel auf sich genommen, um Mutterglück zu erleben. Er wußte von Fee, daß sie eine ungemein attraktive, faszinierende Ausstrahlung gehabt hatte. Davon war schon jetzt nichts mehr vorhanden. Sie würde in doppelter Hinsicht einen Schock erleiden, denn schließlich wollte sie auch ihrem Mann gefallen. Sie lebte jetzt wohl in dem Glauben, daß sie ihr normales Aussehen wiederbekommen würde, wenn das Kind geboren war. Nun aber würde sie erfahren, daß sie kein Kind bekommen würde. Da stand Dr. Daniel Norden mal wieder vor einem großen Problem.
Eine gute halbe Stunde später war Janine soweit, daß sie mit ihrem Mann heimfahren konnte. Daniel hatte ihn zum Parkplatz gefahren, wo er seinen Wagen abholen konnte.
»Bitte, helfen Sie mir, Herr Dr. Norden«, sagte Volker deprimiert. »Lassen Sie mich nicht im Stich. Janine mag Ihre Frau sehr und sie wird auch zu Ihnen Vertrauen haben. Es muß doch Hilfe für sie geben.«
»Es ist wirklich sehr wichtig, daß sie dabei selbst mithilft«, erwiderte Daniel. Ja, das war wohl das größte Problem.
*
Für Sandra Terhoeven war Jörg das größte Problem. Natürlich war auch ihr der Tod der geliebten Schwester nahegegangen und auf ihren schmalen Schultern häuften sich die Sorgen, weil auch ihre Mutter völlig zusammengebrochen war. Dann war da der kleine Sandro, der immerzu nach seiner Mami fragte, und wann denn sie und das Baby endlich heimkommen würden.
Jörg hatte diese Fragen nicht ertragen. Er hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen und ließ sich nicht mehr blicken.
Sandra war erleichtert, als Sandro seinen Mittagsschlaf hielt. Sie faßte sich ein Herz und klopfte an Jörgs Tür. Es blieb still im Zimmer und es war ihr, als drücke eine eisige Hand ihr Herz zusammen. Wenn er sich nun etwas antat?
Leise drückte sie die Klinke herunter. Schlüssel gab es nicht in diesem Haus. Bärbel hatte verschlossene Türen nie gemocht. So offen, wie sie selbst war, sollte es auch in ihrem Haus zugehen.
Sandra war drei Jahre jünger als ihre Schwester. Äußerlich gab es nur eine Familienähnlichkeit zwischen ihnen, innerlich waren sie sehr verbunden gewesen. Begreifen konnte auch sie noch nicht, daß Bärbel niemals zurückkehren würde in dieses Haus, das sie mit so viel Liebe und Geschmack eingerichtet hatte. Begreifen konnte sie Jörgs Verzweiflung, denn eine harmonischere Ehe hatte man sich kaum vorstellen können.
Jörg saß an seinem Schreibtisch. Sein Kopf ruckte empor, als Sandra eintrat. Schnell schob er einen Aktendeckel über einen dunklen Gegenstand. Blicklos, aus dunkel umränderten Augen, starrte er Sandra an, die langsam näher kam. Das Herz klopfte beklemmend in ihrer Brust, die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Sie hatte den Revolver gesehen.
Jörg hatte geschrieben. Sandra konnte sich denken, was er zu Papier gebracht hatte.
»Jörg, das ist doch keine Lösung«, sagte sie tonlos. »Du mußt doch an Sandro denken und an die kleine Bärbel!«
Er stöhnte auf, als sie die Namen aussprach.
»Man kann sich nicht einfach davonstehlen«, fuhr Sandra fort. »Bärbel hätte das ganz bestimmt niemals verstanden.«
»Warum mußte das geschehen?« flüsterte er. »Sag mir doch warum, Sandra!«
»Das fragen sich viele Menschen in solchen Situationen, und es wird nicht allzu viele geben, die dann meinen, daß es Gottes Wille gewesen sei. Aber es ist wohl ein vorbestimmtes Schicksal, Jörg, so unfaßbar es uns auch erscheinen mag.«
»So jung und schon so weise«, sagte er sarkastisch, aber das nahm sie ihm nicht übel. Er zeigte wenigstens eine Regung. »Vielleicht weißt du auch, wie es weitergehen soll. Du hast doch ein Recht auf ein eigenes Leben, Sandra.«
»Und ich kann selbst bestimmen, was ich tun will. Ich betrachte Sandro und das Baby als Bärbels Vermächtnis. Ich werde gern für die Kinder dasein, solange sie mich brauchen.«
»Du bist verlobt«, sagte Jörg rauh.
»Viktor hat wenig Verständnis für unsere Situation aufgebracht. Er hat überhaupt kein Verständnis für kranke Menschen, und womöglich denkt er jetzt schon, daß mich das gleiche Schicksal ereilen könnte wie Bäbel. Ich habe neue Erkenntnisse gewonnen, Jörg. Ich habe Viktors wahren Charakter erkannt. Es liegt mir nichts daran, an eine Zukunft mit ihm zu denken. Du wirst dich immer auf mich verlassen können.«
Da stand sie vor ihm, dieses kleine Persönchen mit dem verweinten Gesichtchen. Tapfer hob sie den Kopf und hielt seinem Blick stand.
»Es ist ein großes Opfer, Sandra«, sagte er heiser.
»Es ist kein Opfer. Ich habe Bärbel geliebt, und ich liebe eure Kinder. Mutter wäre nicht fähig, hier einzuspringen. Sie wird lange brauchen, bis sie den Schock überwindet. Ich kann nur hoffen, daß du nicht so lange brauchst, damit nicht auch die Kinder leiden müssen.« Sie griff nach dem Revolver. »Und ich möchte nicht, daß so etwas geschieht«, fügte sie hinzu. »Für dich wären dann alle Probleme gelöst, aber für die Kinder doch nicht. Aber dann würde nur ich ihnen bleiben. Vielleicht denkst du einmal darüber nach, wie es dann weitergehen sollte, mit welchen Belastungen ich dann fertig werden müßte.«
Es fiel ihr nicht leicht, so zu sprechen, aber es war die einzige Möglichkeit, Jörg aufzurütteln. Und das war ihr gelungen.
»Ich schäme mich, Sandra«, sagte er dumpf. »Wir werden später miteinander sprechen.«
Sie atmete aus. »Alles braucht seine Zeit, Jörg«, sagte sie leise.
Sie ließ ihn wieder allein. Den Revolver nahm sie mit sich, obgleich sie jetzt wußte, daß er nicht mehr nach ihm greifen würde.
Sie hatte sich immer gut mit ihrem Schwager verstanden. Er war ein feiner, stiller Mensch und hatte in der fröhlichen Bärbel eine wunderbare Ergänzung gefunden. Für ihn waren die Monate, in denen er die schreckliche Gewißheit mit sich herumtragen mußte, am schlimmsten gewesen. Das sah Sandra ein. Er hatte Bärbel Zuversicht vortäuschen müssen und er hatte alles mit sich allein ausgemacht. Hätte er ihr doch nur die Wahrheit gesagt.
Aber hätte es ihm geholfen, wenn sie dieses Leid mit ihm geteilt hätte? Traf es denn wirklich zu, daß geteiltes Leid nur halbes Leid war?
*
Auch bei Janine schien das nicht der Fall zu sein. Volker wußte einfach nicht, wie er sie trösten könnte. Ihm saß buchstäblich die Angst im Nacken.
Er hatte ihr vorgeschlagen, sich doch einmal in der Klinik gründlich untersuchen zu lassen. Dr. Norden hätte das auch gesagt.
Sie reagierte darauf nicht. Sie starrte vor sich hin.
»Hast du eigentlich Vertrauen zu diesem Dr. Dötsch?« fragte er sie.
Sie gab nicht gleich eine Antwort. »Du meinst also, daß ich lieber zu diesem Dr. Leitner gehen sollte? Er hat Bärbel auch nicht retten können«, sagte sie bitter.
»Janine, ich bitte dich, das ist doch etwas ganz anderes. Sie hatte eine unheilbare Krankheit, der selbst die berühmtesten Spezialisten nicht beikommen können.«
»Dr. Norden hat also mit ihr gesprochen«, sagte Janine. »Es ist etwas nicht in Ordnung, das willst du mir doch beibringen.«
»Dr. Norden ist der Meinung, daß du nicht die richtigen Hormonspritzen bekommen hast, Liebes.«
»Das ist mir doch gleich, wenn ich nur ein Baby bekomme«, sagte sie eigensinnig.
Er resignierte. Er brachte es nicht fertig, ihr zu sagen, daß sie kein Baby bekommen würde.
»Ich möchte nur, daß du ganz gründlich untersucht wirst«, sagte er.
»Gut, ich lasse mich untersuchen. Ich tue alles. Ein erhebender Anblick bin ich für dich wohl nicht«, stieß sie hervor.
»So sollst du es nicht sagen. Ich liebe dich, und Äußerlichkeiten sind mir völlig gleich.« Gebrauchte er auch die richtigen Worten? Aber was sollte er denn nur sagen?
»Gut, ich sehe aus, als wäre ich schon im fünften Monat und nicht erst im zweiten«, sagte Janine aggressiv, »aber mir ist das noch lieber, als wenn ich niemals Hoffnung auf ein Kind haben dürfte. Wenn du mich nicht mehr anschauen kannst, gehe ich fort. Meinetwegen kannst du dich auch scheiden lassen.«
Entsetzt sah er sie an. »Aber Janine«, stieß er hervor, »davon kann doch gar nicht die Rede sein!«
Sie steigerte sich in einen ungerechten Zorn hinein. »Dir ist es doch nur wichtig, daß ich Reklame mache. Deshalb wolltest du auch kein Kind, und weil ich nun nicht mehr attraktiv bin, suchst du nach einem Ausweg. Du willst wohl, daß ich das Kind abtreiben lasse!«
»Jetzt ist es aber genug«, sagte er erregt. »Ich will, daß du gesund bleibst. Liebling, bitte, reg dich doch nicht auf. Ich liebe dich. Ohne dich kann ich nicht leben.«
Ihre Stimmung schlug um. »Jörg wird auch so denken«, schluchzte sie auf. »Er kann ohne Bärbel auch nicht leben. Mich hat das alles so mitgenommen, Volker.«
»Ja, das weiß ich doch, und deswegen möchte ich, daß du diesen Dr. Leitner zu Rate ziehst. Ich habe von Dr. Norden den besten Eindruck. Er ist ein verantwortungsbewußter Arzt.«
»Gut, ruf Dr. Leitner an. Ich werde mich gründlich untersuchen lassen«, sagte Janine. »Und verzeih mir, Volker. Meine Nerven sind überreizt.«
»Ich verstehe das doch, mein Liebes«, sagte er leise. »Ich verstehe alles. Du sollst nur niemals an meiner Liebe zweifeln.«
Sie weinte sich in seinem Arm noch gründlich aus, und er dachte dann doch mit einer vagen Hoffnung, daß ihr so arg verschwollenes Gesicht doch von dem Kummer kommen könnte, den sie mit sich herumtrug. Er hatte Bärbel ja auch gemocht, und es war ein gewaltiger, erschütternder Einschnitt in ihrer aller Leben, daß sie nun nicht mehr unter ihnen weilte.
*
Volker telefonierte mit Dr. Leitner. Er berief sich auf Dr. Norden, und Dr. Leitner sagte, daß er seine Frau gleich morgen bringen könne. Über alles andere wolle er sich mit Dr. Norden besprechen.
Janine hatte sich hingelegt und war eingeschlafen. Er sagte dem Hausmädchen Bescheid, daß er in die Fabrik fahren würde, aber er hatte etwas anderes vor. Er fuhr zu Dr. Dötsch.
Der Herr Doktor sei jetzt nicht zu sprechen, erklärte ihm die Arzthelferin ungehalten. Er hätte sich schon telefonisch anmelden müssen.
Aber das bekam Volker in seiner Erregung in die falsche Kehle.
»Ich werde einen Wirbel machen, den Sie nicht so schnell vergessen«, erklärte er rigoros. »Wenn Dr. Dötsch keine Zeit für ein kurzes Gespräch hat, werde ich ausposaunen, was er mit meiner Frau angestellt hat.«
Die Arzthelferin erbleichte. Dann, nach einem kurzen Telefongespräch, hatte Dr. Dötsch plötzlich Zeit. Er war Volker auf den ersten Blick unsympathisch, aber Volker war ja mit Vorurteilen gekommen. Dr. Dötsch war ein interessanter Mann, so um die Vierzig mit grauen Schläfen, weicher einschmeichelnder Stimme.
»Warum so erregt, Herr Collas?« fragte er reserviert. »Die Kur hat doch bei Ihrer Frau sehr gut angeschlagen.«
»So gut, daß sie aussieht, als wäre sie im fünften Monat, dabei kann von einer Schwangerschaft gar nicht die Rede sein«, platzte Volker heraus.
»Ich habe davon auch nicht gesprochen«, sagte Dr. Dötsch abweisend. »Ich habe nur gesagt, daß nun eine Schwangerschaft möglich wäre. Ihre Frau, Herr Collas, hat sich hineingesteigert. Es ist eine gewisse Hysterie, für die ich nun ganz gewiß nicht verantwortlich bin.«
»Aber doch für die Medikamente, die Sie ihr gespritzt haben«, sagte Volker wütend. »Dr. Norden hat mich diesbezüglich aufgeklärt.«
»Dr. Norden?« Dr. Dötsch hob indigniert seine Augenbrauen. »Das ist doch kein Gynäkologe. Er macht von sich reden mit seinen seltsamen Heilmethoden, mit diesem Sanatorium.« Er lachte spöttisch auf. »Insel der Hoffnung.«
»Was soll das heißen?« fragte Volker.
»So heißt das Sanatorium, das ihm gehört und von seinem Schwiegervater geleitet wird. Sie müssen schon verstehen, daß ich von solchen Dingen nicht viel halte. Ich kenne die Herren Allgemeinmediziner. Sie mischen sich gern ein, wenn sie selber nicht weiterwissen.«
»Aber er weiß weiter«, sagte Volker aufgebracht. »Mit ihm kann man reden. Er bewirft Sie nicht gleich mit Dreck. Wir wollen nur wissen, mit welchen Mitteln meine Frau behandelt wurde. Und wenn Sie mir das nicht sagen, erstatte ich Anzeige gegen Sie, nicht etwa Dr. Norden.«
»Ich weiß nicht, was Sie eigentlich wollen«, sagte Dr. Dötsch arrogant. »Ihre Frau hat auf einer Kur bestanden. Ich kann nichts dafür, wenn sich jetzt nicht vorausschaubare Nebenwirkungen einstellen. Ich weiß überhaupt nicht, warum manche Frauen so versessen auf Kinder sind.«
Volkers Augen verengten sich. Janine hätte jetzt gewußt, was bei ihm die Uhr schlug.
»Sind Sie Gynäkologe geworden, um Frauen zu helfen, oder mit Abtreibungen ein reicher Mann zu werden?« fragte Volker grimmig.
»Das muß ich mir verbitten! Was erlauben Sie sich? Zeigen Sie mich doch an, oder beschäftigen Sie einen Anwalt. Sie werden schon sehen, was Sie damit erreichen.«
Volker wäre ihm am liebsten an den Kragen gegangen, aber er beherrschte sich.
»Ich will von Ihnen jetzt nur wissen, mit welchem Medikament Sie meine Frau behandelt haben. Vorerst genügt mir das.«
»Es ist ein vielfach erprobtes Medikament, das beste Erfolge erzielt hat«, erwiderte Dr. Dötsch. »Ihre Frau wird ja die Rezepte haben. Warum fragen Sie sie nicht selbst? Ich persönlich möchte Ihnen zugute halten, daß sich Ihre Frau nicht zum Vorteil verändert hat, aber wenn man eben unbedingt ein Kind haben will, muß man solche Begleiterscheinungen in Kauf nehmen.«
Wortlos stürzte Volker hinaus, sonst wäre er am Ende doch noch handgreiflich geworden. Der Naturbursche, der er eigentlich war, brach manchmal bei ihm doch durch, obgleich er durch Janines Talent ein angesehener Fabrikant geworden war.
Aber seine Frau stand ihm über alles. Er vergaß nie, daß er ihr den Aufstieg zu verdanken hatte.
Ihre Liebe hatte ihm Selbstvertrauen gegeben. Er kam aus kleinen Verhältnissen und hatte es gerade bis zum Substituten gebracht, als sie sich kennenlernten. Janine hatte da schon eine gutgehende Boutique gehabt und einen Namen in der Modebranche. Es war eine tiefe und aufrichtige Liebe gewesen, die sie verband, und nur um ihretwillen hatte er den Ehrgeiz entfaltet, der ihn auf die Erfolgsleiter emporgetrieben hatte. Man sollte ihm nicht nachsagen, daß er von ihr profitieren wolle.
Doch jetzt kam ihm der Gedanke, ob dies nicht doch so war. Janine war der Motor, der ihn antrieb. Ihn angetrieben hatte, besser gesagt. Jetzt brauchte sie ihn, und konnte es etwas Wichtigeres in seinem Leben geben als sie? Was konnte ihm denn der Erfolg bedeuten, wenn sie unglücklich war?
Von seinem Besuch bei Dr. Dötsch wollte er ihr vorerst nichts erzählen. Wenn Janine wußte, mit welchen Mitteln sie behandelt worden war, mußte ja festzustellen sein, ob es das Falsche gewesen war. Dr. Leitner würde dies vielleicht sagen können. Vielleicht! Volker war skeptisch. Aber es hatte auch keinen Sinn, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.
*
Dr. Hans-Georg Leitner hatte mit seinem Freund Daniel telefoniert, und sie hatten sich für den Abend verabredet. Schorsch Leitner und seine Frau Claudia sollten zu den Nordens kommen, denn sie hatten noch keine Kinder, und Fee wollte ungern aus dem Hause gehen, weil Danny durch das Erlebnis am Vormittag aufgeregt und eingeschüchtert worden war. Dann schlief er womöglich unruhig und weinte nach seinem Papi und seiner Mami.
Er war jetzt in einem etwas schwierigen Stadium, sehr anhänglich und empfindlich, und selbst Lenni wurde dann nicht mit ihm fertig.
Den ganzen Nachmittag war er nicht von Fees Seite gewichen. Sie dachte dabei an den kleinen Sandro und wie er es wohl verwinden würde, wenn seine Mami nicht mehr heimkam, sondern nur das kleine Schwesterchen, von dem ihm schon soviel erzählt worden war.
Nun machte sich Fee auch zusätzlich noch Gedanken über Janine, die Angst hatte, ein Baby zu verlieren, das doch noch gar nicht im Werden war. Da sie selbst Ärztin war, wußte sie auch, wie groß die seelischen Konflikte werden konnten. Zudem war Janine nicht der einzige Fall, der solche Folgen zeigte. Auch bei der Einnahme von Antibabypillen hatten sich ähnliche Symptome gezeigt. Jeder Körper reagierte anders. Das war so wie mit dem Essen. Die einen nahmen fast vom Zuschauen zu, die anderen konnten essen, was sie wollten und blieben spindeldürr.
Ihre praktischen Erfahrungen hatte Fee auf der ›Insel der Hoffnung‹ gesammelt, bevor sie Daniels Frau geworden war. Gerade in einem Sanatorium konnte man besonders gut beobachten, wie sich bei den Patienten physische und auch psychische Anlagen auswirkten.
Fee konnte Janine ganz gut einschätzen, obgleich sie vorher nicht gewußt hatte, in welchen seelischen Konflikt Janine getrieben worden war, weil sie sich so sehnlichst ein Kind wünschte.
Diesen Eindruck hatte sie gar nicht gemacht, aber gerade verdrängte Komplexe, die nicht zur Schau getragen wurden, riefen oftmals Störungen im Hormonhaushalt hervor, die besser mit einer Ablenkungstherapie behoben werden konnten, als mit einer Gewaltkur.
Wieder einmal wurde es Fee bewußt, wie wenig Zeit sich doch manche Ärzte nahmen, um das Seelenleben ihrer Patientin zu erforschen, was doch so wichtig war für die richtige Therapie. Machtlos war man ja in solchen Fällen nicht.
Daniel hatte vollkommen recht, wenn er sagte, wie sorglos mit Medikamentengaben umgegangen wurde. Oft war es ja jetzt schon so, daß Patienten ein bestimmtes Medikament verlangten, von dem sie etwas in einer Zeitung gelesen hatten, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob es auch in ihrem Fall erfolgversprechend sein könnte.
Und wie oft ging es so weit, daß jemand im Freundeskreis Beschwerden äußerte und ein anderer sagte, daß er dafür oder dagegen ein Mittel hätte. Manchmal ging es gut, in den meisten Fällen aber nicht.
»Lach doch mal, Mami«, sagte Danny in ihre Gedankengänge hinein. »Warum lachst du nicht?«
Danny konnte es nicht verstehen. Er wußte noch nichts vom Sterben, und es war auch noch zu früh, über werdendes Leben mit ihm zu sprechen.
Fee hatte es im Gefühl, was sie ihm sagen konnte und was nicht. Auch einer kindlichen Seele konnte Schaden zugefügt werden, wenn man zu früh mit der Aufklärung begann. Sie war mit manchem nicht einverstanden, was jetzt so heraufgespielt wurde. Alles zu seiner Zeit, das hatte sie schon von ihrem Vater gelernt, der schon immer ein sehr aufgeschlossener Mensch gewesen war und den man auch heute noch nicht zur alten Generation zählen mochte, wenn man ihn kannte.
Bei Sandra lagen die Dinge etwas anders. Sie mußte es Sandro klarmachen, daß die Mami, nach der er dauernd fragte, nicht wiederkommen würde.
Sie versuchte es ganz sanft. »Mami ist jetzt im Himmel, Sandro. Weit weg von uns.«
»Warum?« fragte er.
»Sie war sehr krank, und da hat der liebe Gott sie zu sich geholt, damit sie keine Schmerzen mehr hat.«
Ganz groß waren seine Augen. »Ist es im Himmel schön?« fragte er.
»Ja, es ist schön«, erwiderte sie, obgleich sie solche Gedanken gar nicht hegen konnte.
»Hat sie das Schwesterlein mitgenommen?« fragte Sandro.
»Nein, das hat sie dagelassen, damit du mit ihm spielen kannst.«
»Will ich aber nicht, wenn Mami nicht bei uns ist«, sagte er weinerlich. »Meine liebe Mami.«
»Du darfst nicht weinen, dann wird der Papi auch noch traurig«, sagte Sandra.
»Papi redet nicht. Er ist traurig. Der Himmel ist weit weg. Können wir Mami besuchen?«
Sandra liefen eisige Schauer über den Rücken. Sie nahm den Kleinen in die Arme.
»Nein, wir können sie nicht besuchen, aber ich bleibe bei euch, bei dir und dem Schwesterchen, Sandro.«
Sein Gesichtchen hellte sich auf. »Dann ist es gut«, sagte er. »Und Papi? Bleibt er auch bei uns?«
»Ja, er bleibt auch bei uns«, erwiderte Sandra.
»Er soll aber nicht immer in seinem Zimmer bleiben«, sagte Sandro.
»Er braucht jetzt ein bißchen Ruhe«, erwiderte Sandra.
»Und warum ist das Schwesterlein noch nicht bei uns?«
»Wir holen es bald. Es heißt Bärbel, wie die Mami.«
Er löste sich aus ihren Armen. »Ich möchte jetzt in den Garten gehen«, sagte er. »Die Sonne scheint. Kann Mami mich sehen vom Himmel?«
»Ja, Sandro, sie kann dich sehen«, flüsterte Sandra.
»Dann werde ich ihr zuwinken, wenn ich sie auch
sehe.«
Nur mühsam konnte Sandra die Tränen zurückhalten. »Die Sonne blendet, mein Liebling«, sagte sie. »Da kannst du sie nicht sehen.«
»Und wenn die Sonne fort ist, kann ich den Himmel nicht sehen, weil Wolken da sind«, sagte Sandro betrübt. »Aber jetzt gehen wir in den Garten. Ich möchte schaukeln.«
Und er konnte auch schon wieder jauchzen, als sie ihn auf die Schaukel setzte.
Jörg stand am Fenster und schaute ihnen zu. Er preßte die Fäuste in die brennenden Augenhöhlen. Dann drehte er sich abrupt um und griff zu der Cognacflasche.
Als Sandra in sein Zimmer schaute, lag er auf dem Sofa und schlief. Sie sah die halbleere Flasche und das noch zur Hälfte gefüllte Glas. Beides räumte sie weg, doch dann breitete sie eine Decke über ihn.
Er brauchte Wärme, viel Wärme, dachte sie. Die kann Bärbel nicht endgültig mitgenommen haben.
Ein Hauch von Glück und Zuversicht war in ihr, als Sandro seine Ärmchen um ihren Hals legte und sagte: »Ich habe dich lieb, Sandra. Betest du auch jeden Abend mit mir, wie Mami?«
»Was habt ihr gebetet?« fragte sie.
»Müde bin ich, geh zur Ruh,
schließe beide Äuglein zu,
Vater laß die Augen dein
über meinem Bette sein.
Und dann hat Mami gesagt, Gott, beschütze Jörg und meinen kleinen Sandro«, fuhr er fort. »Sagst du das auch, Sandra?«
Sie hat es geahnt, ging es Sandra durch den Sinn, und ihre Hände verkrampften sich ineinander.
»Sagst du es auch, Sandra?« fragte Sandro wieder.
Sie nickte. »Gott beschütze Jörg und meinen kleinen Sandro und Bärbel«, flüsterte sie.
Feuchte Lippen preßten sich auf ihre Wange.
»Aber morgen muß Papi mir auch wieder einen Gutenachtkuß geben«, raunte er ihr ins Ohr. »Steckt Mami auch ein Sternlicht auf?«
»Wie meinst du das, Sandro?« fragte Sandra tonlos.
»Sie hat doch gesagt, daß sie ein Sternlein aufsteckt, wenn sie mal im Himmel ist. Wollen wir mal gucken, ob es dann wirklich besonders hell leuchtet, wie sie es gesagt hat?«
Da nahm sie ihn auf den Arm und trat mit ihm ans Fenster, und nie zuvor in ihrem Leben hatte sie den Sternenhimmel so andächtig betrachtet, wie an diesem Abend.
»Der da leuchtet ganz hell, Sandra«, sagte der Kleine aufgeregt. »Mami hat ihn aufgesteckt.«
»Ja, so wird es sein, mein Schatz. Und sie wird dir wohl sagen wollen, daß du genauso lieb und brav bleiben sollst, wie du immer warst.«
»Und dir sagt sie, daß du immer bei mir bleiben sollst. Ist Bärbel noch sehr klein? So, wie ich früher auch klein war?«
»Ja, sie ist noch ganz winzig, und deshalb muß sie auch noch ein paar Tage in der Klinik bleiben.«
»Aber wenn wir sie holen, dann darf ich doch mitfahren.«