Dr. Norden Bestseller
– Staffel 14–

E-Book 131-140

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-656-2

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… doch das Leben ist anders

Roman von Vandenberg, Patricia

»Mei, bist du schön!«, bestaunte Danny Norden seine Mutter, die sich in einem zauberhaften Abendkleid aus meergrünem Chiffon im Spiegel begutachtete.

Fee lachte in sich hinein. Niemand würde es glauben, dass sie sich dieses Kleid hatte arbeiten lassen, als sie vor acht Jahren mit Daniel den ersten großen Ball ihres Lebens besuchte. Sie hatte es gehütet und aufbewahrt als Erinnerung an seinen ersten Heiratsantrag, und nun, in diesem Winter, war es wieder so modern, als hätte es ein Modeschöpfer erst gestern für sie entworfen.

Nun trat auch Daniel ein. »Zauberhaft«, sagte er atemlos, und dann schnaufte er tief durch. »Das Kleid kenne ich doch, Fee.«

»Pssst«, machte sie, »niemand braucht es zu wissen. Aber warum soll ich einen Haufen Geld für ein neues Kleid ausgeben, da es das schönste ist, das ich je besessen habe. Und was es jetzt kosten würde, möchte ich gar nicht wissen. Wir gehen zu einem Wohltätigkeitsball, und da können wir das Geld lieber spenden.«

»Und du wirst die Allerschönste sein«, sagte er bewundernd.

»Ganz bestimmt«, warf Danny ein. »Wie eine Prinzessin sieht Mami aus.«

»Wie eine richtige Fee«, murmelte Daniel, seine Hände um ihre Schultern legend.

»Lose müsst ihr kaufen, das hat Omi extra am Telefon gesagt, da könnt ihr nämlich tolle Sachen gewinnen. Sogar eine tolle Armbanduhr mit Kompass.«

So was imponierte ihm. Fee wusste, welche Gewinne weitaus kostbarer waren, aber mit Losen hatten weder sie noch Daniel bisher Glück gehabt. Ihr war das private Glück, das sie geschenkt bekommen hatte, auch viel wertvoller.

»Ein Luxusauto kann man auch gewinnen«, sagte Daniel verschmitzt, als sie dann zu dem Ball fuhren. Zuerst hatte Daniel gemurrt, als die Einladung kam, aber nun machte es ihm richtigen Spaß, als Fee so bewundernd betrachtet wurde.

Generaldirektor Rüffner und seine Frau Gerda hatten ihnen die Einladung zukommen lassen, und an ihrem Tisch waren auch die Plätze reserviert. Gerda Rüffner war voller Dankbarkeit für Dr. Daniel Norden, weil der die richtige Diagnose gestellt hatte, als sich an ihren Armen drei warzenähnliche Auswüchse zeigten, deren Anblick sie in Panik versetzt hatte, weil sie tatsächlich innerhalb kurzer Zeit größer wurden. Es waren harmlose Hauttumore, die Dr. Behnisch dann ambulant entfernt hatte. Die Untersuchung bestätigte dann Dr. Nordens Diagnose, und Gerda Rüffner war seither von ihren Ängsten befreit.

Sie war eine nette Frau, frei von jeglichem Dünkel, obgleich ihr Mann als vielfacher Millionär galt. Ob in der Ehe allerdings alles stimmte, wusste man nicht, denn Carl Rüffner blinzelte gern nach schönen Frauen. Gerda war nicht schön, ein bisschen füllig, Mutter von halb erwachsenen Kindern, aber sehr sympathisch und zum Glück auch mit einem angenehmen Phlegma gesegnet, das den diversen Flirts ihres Mannes keine einschneidende Bedeutung beimaß.

Er ließ den Charme, dem man ihm nicht absprechen konnte, versprühen. Er konnte sich auch an diesem Abend als Hahn im Korbe fühlen. Er war eine markante Erscheinung, und sein Name tat ein Übriges, dass die reizenden jungen Starlets, die sich auf vielfältige Art Eintritt in die illustre Gesellschaft verschafften, sich gern um ihn scharten. Schließlich war er auch Mitbesitzer einer Filmgesellschaft.

»Der gute Carl wird sich wieder ein bisschen übernehmen und dann drei Tage über seine Bandscheibe klagen«, bemerkte Gerda Rüffner amüsiert. »Morgen gegen Mittag wird bei Ihnen das Telefon klingeln, lieber Dr. Norden, und dann wird er seine Spritze brauchen.«

Aber dann wandte sie sich Fee zu. »Ich will ja nicht neugierig sein«, sagte sie, »aber wo haben Sie dieses bezaubernde Kleid arbeiten lassen, Fee?« Sie nahm sich die Freiheit, die Jüngere mit dem Vornamen anzureden, und Fee nahm es ihr nicht übel, weil Gerda Rüffner sagenhaft viel für das Waisenhaus tat, zu dessen Schirmherrin sie kürzlich gewählt worden war.

»Ihnen werde ich es sagen«, erwiderte Fee schelmisch. »Es ist bereits acht Jahre alt und nur gereinigt worden.«

»Das würde niemand glauben, aber wenn Sie es sagen, nehme ich es hin«, sagte Gerda. »Aber Sie könnten ja auch in Leinwand erscheinen, und alle würden auf Sie schauen. Und Ihr Mann wird schon eifersüchtig.«

»Das bin ich gewohnt«, lächelte Fee. »Kaufen wir also Lose. Was ich an einem neuen Kleid gespart habe, werde ich ausgeben. Das heißt, dass ich nur den Preis von vor acht Jahren einkalkuliere. Aber ich muss sagen, dass auch Ihr Kleid sehr hübsch ist, Frau Rüffner.« Und das sagte sie ehrlich, denn Gerda kleidete sich geschmackvoll und ihrer Figur entsprechend.

»Ich verrate Ihnen auch ein Geheimnis«, raunte ihr Gerda zu. »Ich habe eine alte Schulfreundin, die Schneiderin geworden ist, und bei ihr bekomme ich auch alles preiswert. Das verrate ich natürlich nicht meinem Mann. Was übrig bleibt von meinem Kleiderbudget, spare ich für die Kinder. Wenn die mal etwas Besonderes wollen, wird er nämlich knauserig.« Sie zwinkerte. »Sie werden es ja nicht für möglich halten, Fee, aber ich muss sogar ein Haushaltsbuch führen.«

Nur so wird man Millionär, dachte Fee, aber sie dachte es ohne Neid. Ihr war es lieber, dass zwischen ihr und ihrem Mann volles Vertrauen herrschte.

Sie kaufte zwanzig Lose, Stück für zehn Euro. Frau Rüffner kaufte nur fünfzehn.

»Ich habe sowieso kein Glück«, sagte Gerda, »der gute Carl soll was springen lassen.«

»Vielleicht gewinne ich doch die Uhr mit Kompass, die wünschte sich unser Danny«, sagte Fee, als sie die erste Gewinnnummer zog.

»Unser Carlo hofft auf das Luxusauto«, sagte Gerda lachend. »Er hat nämlich zum bestandenen Abitur nur einen uralten Volkswagen bekommen. Aber wie ich mich kenne, werde ich wieder Pralinen gewinnen, damit ich noch dicker werde oder ein Parfüm, das ich sowieso nicht mag.«

Aber dann kam der Generaldirektor Rüffner und forderte Fee zum Tanz auf, und Daniel entschloss sich, auch Gerda Rüffner auf das Tanzparkett zu ziehen.

»Mächtig eng und heiß«, sagte er entschuldigend.

»Sie müssen halt die Ellenbogen gebrauchen, wie mein Göttergatte«, sagte Gerda lachend. »Aber jetzt werden wir uns sowieso gleich ausruhen können, weil er Ihre zauberhafte Frau herumschwenken kann, Dr. Norden.«

Und so war es tatsächlich, denn man stellte sich auf und klatschte dem temperamentvoll tanzenden Paar Applaus.

»Ich schaff das nicht mehr«, sagte Gerda. »Aber Carlchen will alles, aber auch alles perfekt machen.«

»Und es gelingt ihm auch«, sagte Daniel. »Er hat eine gute Kondition.«

»Bis morgen früh«, sagte sie ironisch. »Daheim wirkt er nicht so, aber er kehrt immer wieder an seine Futterkrippe zurück. Jetzt sind wir bald zwanzig Jahre verheiratet, und da gewöhnt man sich an alles.«

Und dann schwenkte die Band zu einem Walzer um. Da kapitulierte Carl Rüffner, und Daniel führte Gerda aufs Parkett. »Das schaffen wir«, raunte er ihr zu. »Können Sie Walzer auch linksrum?«

»Aber ja«, und sie lachte ihm zu, und Fee lachte auch, denn sie wusste, was ihr Mann bezweckte.

»Ihre Frau ist gut in Form, Herr Rüffner«, sagte sie hintergründig.

»Sie geht aus dem Leim«, brummte er.

»Mögen Sie die mageren Dinger lieber, an deren Knochen man sich stößt?«, fragte Fee. »Ihre Frau ist gerade richtig.«

»Finden Sie das?«, fragte er erstaunt.

»Sie ist mir lieber, als diese aufgetakelte Gesellschaft insgesamt, wenn ich das sagen darf. Schmarotzer, wohin man blickt. Die Lose werden auch schlecht verkauft. Ich werde noch mal ins Portemonnaie greifen.«

»Ich mache mit«, sagte er. »Aber ich darf Ihnen fünf Lose schenken, Ballkönigin.«

Fee war in bester Stimmung. Sie nahm auch die fünf Lose an und steckte sie in eine Seitentasche ihres Handtäschchens, damit sie auch erfuhr, ob ein Gewinn dabei war. Sie selbst kaufte nochmals zehn Lose und nahm es wohlwollend zur Kenntnis, dass Carlo Rüffner darauf nochmals zwanzig kaufte, um nur ja nicht hinter ihr zurückzustehen.

Als sie dann feststellte, dass sie zehn Gewinnzahlen hatte, wurde es ihr ganz schwummerig. Sie schob sie ihrem Mann unauffällig hin.

»Dein Auto kannst du nicht gleich mitnehmen, Gerda«, spottete er.

»Aber ein Taxi kann ich immer noch bezahlen«, gab sie zur Antwort. »Viel Spaß, und denk an deine Bandscheibe.«

»Sei nicht albern, wir gehen natürlich gemeinsam.«

»Aber gleich«, sagte sie, »ich bin müde, und die Nordens gehen auch, und was sonst da ist, ist mir völlig wurscht.«

»Die Nordens brauchen nicht zu repräsentieren«, sagte er.

»Du auch nicht. Dir laufen sie doch so nach, diese kleinen Häschen, und die andern, die auch so viel haben wie du, lächeln über dich. Natürlich sagen sie nichts in der Öffentlichkeit, aber du kannst dich ja mal umschauen.«

»Warum bist du so aggressiv, Gerda?«, fragte er.

»Ich bin gar nicht aggressiv, nur schrecklich nüchtern. Ich habe ein paar Lose gekauft. Das hätte ich mich gar nicht getraut, wenn Dr. Norden nicht so viele gekauft hätte, und ich wollte mich nicht blamieren, und dich auch nicht. Schließlich ist es ja eine Wohltätigkeitsveranstaltung, und da soll man auch mal etwas geben, wenn man nicht namentlich genannt wird. Einesteils freut es mich, dass ich das Auto gewonnen habe, andererseits ist es mir peinlich. Aber die paar hundert Euro für den wohltätigen Zweck sind ja durch das teure Auto eingebracht. Ich werde also keine Schelte bekommen.«

»Ich weiß nicht, warum du so spitz bist, Gerda«, sagte er.

»Vielleicht deshalb, weil ich einmal hautnah erlebt habe, wie nett, heiter, freundlich und dennoch distanziert ein anderer Ehemann ist«, sagte sie ruhig. »Es war für mich ein sehr schöner und sehr aufschlussreicher Abend. Und ich habe von Frau Norden sogar ein ehrliches Kompliment für mein Kleid bekommen.«

»Na, das war ja auch teuer genug«, sagte er.

Sie lächelte hintergründig. »Darüber reden wir noch«, sagte sie. »Bist du bereit, mit mir heimzufahren? Es ist fast zwei Uhr.«

»Ja, selbstverständlich«, sagte er, und schon fasste er sich an den Rücken.

Ihr Lächeln vertiefte sich noch mehr. »Ja, ja, die Bandscheibe«, sagte sie nebenbei.

*

Um diese Zeit waren Fee und Daniel Norden längst daheim. »Du lieber Himmel, Daniel, was sollen wir mit all den Sachen machen?«, fragte Fee.

»Zuerst freuen wir uns mal, dass du so viel Glück hattest. Sicher war es das Kleid, Fee.«

»Wie sagt man doch: Glück im Spiel, Unglück in der Liebe.«

»Das nun bestimmt nicht, mein Schatz. Mich hast du für immer.«

»Die Reise machen wir aber«, sagte sie. »So billig kriegen wir eine so schnell nicht mehr.«

»Und die Kinder?«

»Die werden uns schon mal vierzehn Tage entbehren können. Man darf sie auch nicht zu abhängig machen. Ich denke es mir wunderschön, einmal ganz allein mit dir zu sein.«

»Mit diesem Gedanken kann ich mich vertraut machen«, sagte er. »Aber wer vertritt mich?«

»Das wird sich finden. Arm an Ärzten sind wir ja nicht gerade. Aber die machen ihre Praxis auch einfach mal zu, wenn sie Urlaub machen. Und falls dir die Patienten davonlaufen sollten, siedeln wir auf die Insel um.« Sie sagte es mit leisem Lachen, denn sie wusste genau, dass Daniel die Patienten nicht davonlaufen würden.

»Loni hätte bestimmt auch nichts dagegen, mal wieder zwei Wochen auf der Insel zu verbringen«, sagte Daniel dann auch nachdenklich, »und wenn Lenni und Loni dort sind, wird es für Anne nicht zu viel. Mal sehen, was die Kinder dazu sagen.«

Die waren erst mal sprachlos, als sie von den vielen Gewinnen hörten, und Lenni wollte es gleich gar nicht glauben. Aber als dann noch von der Schiffsreise gesprochen wurde, nahm das Staunen kein Ende.

»Da habe ich aber Angst, wenn ihr auf dem Meer fahrt«, flüsterte Felix.

»Aber das ist ein ganz großes Schiff«, sagte Fee.

»So ein großer Tanker ist auch schon mal untergegangen«, warf Danny ein.

Sie machten sich schon Gedanken, und ganz so begeistert war Fee auch nicht mehr, aber dann war es Lenni, die ihnen und auch den Kindern zuredete.

»Das ist doch mal ein schönes Erlebnis«, meinte sie. »Und ihr werdet es bei den Großeltern gut haben.«

Und diese bestätigten ihnen in einem Telefongespräch, wie groß die Freude auf der Insel der Hoffnung sein würde, die Kinder mal längere Zeit dort zu haben.

Die Vorbereitungen wurden getroffen. Die Zeit verging rasch, bis Loni dann mit einem kleinen Seufzer das Schild an der Tür zur Praxis befestigte, das aussagte, dass die Praxis zwei Wochen wegen Urlaubs geschlossen sei. Hoffentlich kommen sie heil zurück und haben eine schöne Zeit, dachte sie. Aber sie freute sich nun auch schon auf die Insel der Hoffnung, auf die Wochen mit den Kindern, auf manche gemütliche Stunde mit Dr. Cornelius und seiner Frau Anne, mit Isabel und Dr. Jürgen Schoeller.

*

Eine Traumreise war Daniel und Fee versprochen worden, und als sie den Luxusdampfer betraten, sprach alles dafür, dass zumindest der äußere Rahmen vielversprechend war. Eine Kabine mit allem Komfort wartete auf sie. So gut geschultes Personal fand man selbst in den allerbesten Hotels der Städte kaum noch. Eine schwimmende Stadt, die jegliche Annehmlichkeiten bot, konnten sie besichtigen, und danach war Fee so müde, als hätte sie eine lange, beschwerliche Bergtour gemacht.

»Wenn wir das selber bezahlen müssten, würden wir kaum so vergnügt sein«, sagte Daniel.

»Ich bin augenblicklich gar nicht vergnügt«, meinte Fee. »Lieber Himmel, wir befinden uns unter Großkapitalisten. Hast du gesehen, mit was für Klunkern die Damen herumrennen? Und jeden Tag wird es eine Modenschau geben. Darauf bin ich nicht eingerichtet.«

»Mach dir keine Gedanken, mein Schatz. Ich fürchte, dass viele der diamantbesetzten Damen seekrank werden. Und ein paar nette, normale Menschen werden wir schon kennenlernen. Der Kapitän ist jedenfalls ein Original, und wir werden bei ihm am Tisch sitzen.«

»Der Schiffsarzt scheint nicht sehr gesellig zu sein«, stellte Fee fest. »Wie heißt er eigentlich?«

»Neff, und mir kommt sein Gesicht bekannt vor.«

»Jetzt muss ich mich erst verschnaufen, Daniel. Winke, winke brauchen wir ja nicht zu machen. Hoffentlich geht es den Kindern gut.«

»Na, sie haben doch die beste Betreuung, Feelein«, sagte er. »Du wirst doch nicht seekrank werden?«

»Paps hat uns ja seine guten Mittelchen mitgegeben«, lächelte sie. »Wir sind bestens versorgt. Wir werden den Schiffsarzt kaum in Anspruch nehmen müssen.«

Der Schiffsarzt Dr. Karlheinz Neff war schon mit der ersten Patientin beschäftigt, einer jungen Dame, die mit ihrem hohen, dünnen Absatz irgendwo stecken geblieben war und sich den Fuß ganz hübsch verknackst hatte.

Sie hieß Jill Vanderhoven und war mit ihren Eltern an Bord gekommen. Der Name Vanderhoven flößte Ehrfurcht ein, denn Fredrik Vanderhoven war Mitbesitzer dieses stolzen Schiffes, das nun seine Jungfernfahrt antrat.

Jill dagegen war ein Mädchen der supermodernen Generation. »So ein Mist, jetzt kann ich nicht mal tanzen«, sagte sie.

»Nur ein paar Tage nicht«, sagte Dr. Neff ruhig. »Es ist nicht so schlimm, wie es jetzt aussieht. Und fürs Eingewöhnen sind ein paar Ruhetage gar nicht schlecht.«

»Bekommen Sie auf einer solchen Reise eigentlich viel zu tun?«, fragte sie so nachdenklich, dass er stutzte.

»Das weiß ich noch nicht. Ich fahre zum ersten Mal auf einem Schiff.«

»Du liebe Güte, wie das? Wenn Sie nun seekrank werden, was ist dann?«

»Ich werde nicht seekrank«, versicherte er. »Es gibt wirksame Mittel.«

»Warum werden dann so viele Leute seekrank?«

»Weil sie auf wirksame Mittel nicht zurückgreifen wollen und sich zu ausgiebig der wirklich guten Küche widmen, und auch, weil jeden Abend etwas los ist.«

»Das wissen Sie, obgleich Sie Ihre erste Reise als Schiffsarzt machen?«

»Ich bin von meinem Kollegen, der plötzlich erkrankt ist, ausreichend informiert worden«, erwiderte er. »Sie brauchen es aber nicht gleich auszuposaunen, dass ich nur eine Vertretung bin.«

»Warum haben Sie es mir dann gesagt?«, fragte Jill.

Ja, warum eigentlich, fragte er sich selbst. Und dann erst fragte er sie nach ihrem Namen. Er erschrak.

»Die Tochter vom höchsten Chef?«, fragte er rau.

»Sie brauchen nicht gleich in Panik zu geraten«, sagte Jill lässig. »Ich wäre gern anonym hier, und ich bin keine Klatschtante.«

Erst als er jetzt lächelte, bemerkte sie die Narbe, die sich über seine Wange zog. Ein Schmiss, der ein Merkmal einer schlagenden Studentenverbindung war? Nein, so sah er eigentlich nicht aus, als würde er sich dafür das Gesicht zeichnen lassen. Jill war ein hellwaches Mädchen. Zweiundzwanzig Jahre jung und nie begeistert gewesen, zu einer privilegierten Gesellschaft zu gehören. Ihr junges klares Gesicht war jetzt ernst und nachdenklich.

»Jedenfalls verstehen Sie Ihren Beruf«, sagte sie. »Ich habe schon keine Schmerzen mehr.«

»Sie werden wiederkommen, wenn die Betäubung nachlässt«, sagte er ruhig. »Dann kommen Sie wieder zu mir. Aber hohe Absätze sollten Sie vorerst meiden.«

»Ich komme mir sonst gar zu winzig zwischen meinen Eltern vor«, sagte sie mit einem spöttischen Lächeln. »Haben Sie sie schon gesehen? Ich bin nur eine mickrige Frühgeburt und in ihren Augen wohl dazu verdammt, immer ein kleines Mädchen zu bleiben.«

»Sie sind aber ziemlich selbstbewusst.«

»Das mag so aussehen«, sagte sie leise. »Irgendwie muss man sich ja behaupten.«

»Sie sagen es.« Seine tiefe Stimme hatte einen harten Klang.

Sie humpelte zur Tür. »Falls meine Mutter Sie in irgendeiner Weise benötigen würde, Herr Dr. Neff«, sagte sie, »ich kann Ihnen nur die Empfehlung geben, so wenig wie nur möglich zu sagen. Sie versteht es, die Menschen auszufragen. Sie ist unglaublich hartnäckig. Sie werden außerdem mit uns am Kapitänstisch sitzen. Da wird noch ein Arztehepaar anwesend sein. Ich werde jedenfalls heute Abend die verordnete Bettruhe genießen.«

»Die habe ich nicht verordnet, so schlimm ist es nicht.«

»Sie werden diese verordnen«, sagte Jill. »Ich bin nämlich gar nicht wild auf das Tamtam und auf das Tanzen auch nicht, wenn ich anfangs auch den Anschein erwecken wollte. Und außerdem studiere ich gegen den Willen meines Vaters Medizin. Er ist auf der krampfhaften Suche nach einem Mann für mich, der mich von meinen Illusionen heilt. Und wie ich annehme, ist dieser Mann Mr Neal Clark, der auch am Kapitänstisch sitzen wird. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesem kein wirksames Mittel gegen Seekrankheit geben würden.« Sie blinzelte ihm zu. »Vertrauen gegen Vertrauen«, fügte sie leise hinzu.

*

Daniel und Fee Norden lernten das Ehepaar Fredrik und Wilma Vanderhoven ebenso kennen wie jenen Mr Neal Clark, der die Verkörperung eines Gentlemans zu sein schien. Dazu wurden sie mit einer Lady Corner bekannt gemacht, die Ähnlichkeit mit der alten Königin Victoria von England hatte.

Dr. Neffs Platz blieb leer. »Unser Arzt hat schon allerhand zu tun«, erklärte Kapitän Willemsen. »Leider muss auch die reizende Miss Vanderhoven das Bett hüten, da sie sich den Fuß verstaucht hat.«

Unwillig runzelte Fredrik Vanderhoven die Stirn. »Diese Bleistiftabsätze«, brummte er.

»Sie sind nun mal in Mode«, sagte Lady Corner.

Fee blickte überrascht auf. Es klang spöttisch, aber auch anzüglich. Die alte Dame richtete ihren Blick auf Neal Clark. »Neuerdings tragen ja auch junge Männer hohe Absätze, um größer zu erscheinen als sie sind«, fügte sie hinzu. Und ihr Lächeln war unergründlich.

Fee empfand plötzlich eine unerklärliche Sympathie für die alte Dame. Als deren Blick sie traf, lächelte sie ihr zu. Und Lady Corner lächelte zurück. Sie sah richtig mütterlich aus. Wenigstens ein menschliches Wesen, ausgenommen den Kapitän, dachte Fee.

Das Essen war vorzüglich, wenn auch die Stimmung im Speisesaal noch etwas steif war. Fee ließ ihre Blicke ebenso umherschweifen wie Daniel, aber sie machten unterschiedliche Beobachtungen.

Fee fiel eine sehr elegante junge Frau auf, die teilnahmslos neben einem distinguiert wirkenden Mann mit grauen Schläfen saß. Dann wanderte ihr Blick zu einem Tisch, an dem ein Ehepaar mit zwei hübschen Teenagern saß und einem Jungen, der dreizehn Jahre alt sein mochte.

Daniel dagegen beobachtete eine Schönheit, die nicht mehr ganz jung war und kränklich wirkte. Die stand plötzlich auch auf und verließ schwankend den Speisesaal.

Am Kapitänstisch war man beim Dessert angelangt. »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Daniel, stand auf und folgte der Fremden. Er traf sie, als sie, an der Reling lehnend, nach Luft rang.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte er ruhig.

»Sie sind doch nicht der Schiffsarzt«, sagte sie tonlos.

»Das nicht, aber ich bin auch Arzt«, sagte er. »Dr. Norden.« Er griff nach ihrer Hand, die eiskalt war. »Sind Sie Sheila Macleen?«

»Sie kennen mich?«

»Ihr Bild und Ihre Berichte über Ihre Forschungen«, erwiderte er. »Ich war mir allerdings nicht ganz sicher.«

»Ich bin inkognito hier«, sagte sie mühsam, »einfach Sheila Mack. Ich dachte nicht, dass jemand mich erkennen würde. Es ist meine letzte Reise, Dr. Norden. Der Name stimmt doch? Ich vergesse so schnell.«

»Soll ich Sie nicht zum Schiffshospital bringen?«, fragte Daniel ruhig.

»Bitte zu meiner Kabine. Ich habe alle Medikamente dabei.«

»Ich werde Dr. Neff Bescheid sagen, dass er sich um Sie kümmert«, sagte er.

»Es wird ihn nicht freuen, aber warum nicht«, murmelte sie.

*

Als Daniel Norden nach einer halben Stunde an den Tisch zurückkehrte, erntete er befremdete Blicke, auch von seiner Frau.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er, »aber ich bemerkte, dass sich eine Dame nicht wohlfühlte. Dr. Neff betreut sie inzwischen.«

»Er scheint ja viel zu tun zu bekommen«, stellte Kapitän Willemsen fest. »Wie gut, dass wir noch einen Arzt an Bord haben«, fügte er augenzwinkernd hinzu.

»Ich weiß nicht, warum Leute eine Schiffsreise machen, wenn sie schon in den ersten Stunden krank werden«, sagte Fredrik Vanderhoven unwillig.

»Du könntest auch ein bisschen auf deinen Magen achten«, bekam er von seiner Frau zu hören.

Daniel und Fee tauschten einen langen Blick, und Fee vergaß ihr Misstrauen, das einer eifersüchtigen Regung entsprungen war.

»Man muss sich akklimatisieren«, sagte Fee. »Übrigens bin ich auch Ärztin, falls ein Notstand eintreten sollte«, fügte sie lächelnd hinzu. »Aber vorerst muss ich feststellen, dass die Seeluft müde macht.«

»Ich muss Ihnen recht geben«, sagte Lady Corner. »Ich werde mich zurückziehen. Würden Sie mich begleiten, meine Liebe?«, richtete sie das Wort an Fee. »Ich lasse mich lieber von weiblichen Ärzten beraten.«

Fee war das Recht. Es war eine gute Gelegenheit, sich zurückzuziehen.

»So hatten Sie sich Ihre Urlaubsreise wohl nicht gedacht, Herr Dr. Norden?«, fragte Wilma Vanderhoven ironisch.

»Es pendelt sich alles ein«, sagte Daniel nachsichtig.

*

Dr. Neff war in viel größerer Bedrängnis. »Wie hast du mich gefunden, Sheila?«, fragte er.

»Du wirst es nicht glauben, aber es war ein Zufall. Aber ein willkommener. Er gibt mir Gelegenheit, manches zu klären.«

»Es ist alles geklärt, Sheila.«

»Nichts ist geklärt«, sagte sie. »Aber ich bin zu müde, Kneff. Ich will nur diese Reise überstehen, und wenn ich besser beieinander bin, werden wir reden miteinander.«

»Sag nicht Kneff, ich kann es nicht mehr hören«, stieß er zwischen den Zähnen hervor.

»Warren wollte dich nicht umbringen, dich nicht«, murmelte sie. »Er ist durchgedreht.«

»Bitte, hör auf. Konntest du nicht mit einem andern Schiff fahren oder fliegen?«

»Gib mir eine Spritze«, sagte sie erschöpft. »Ich werde nicht mehr lange leben, das ist eine Tatsache.«

»Das hast du schon vor zwei Jahren gesagt.«

»Damals habe ich es nur geahnt, aber jetzt weiß ich es. Du bist Arzt. Du wirst es doch feststellen können, dass es Leukämie ist, Kneff.«

»Nein«, sagte er heiser.

»Es ist so. Erbarme dich meiner.« Das sagte sie sarkastisch. »Ich will dir doch nicht schaden. Zwischen uns ist doch sowieso alles aus.«

Alles aus, dachte er. Werde ich je darüber hinwegkommen? »Wenn du mir nicht helfen willst, ruf diesen Dr. Norden«, sagte sie. »So einen Mann habe ich mir immer gewünscht.«

»Deine Wünsche waren ständigem Wechsel unterworfen, Sheila«, sagte er rau. »Und wenn du bekommen hast, was du wolltest, war schon der nächste Wunsch parat.«

»Vielleicht wusste ich immer, dass ich nicht lange leben würde«, sagte sie müde. »Manche Menschen haben achtzig Jahre und noch mehr. Andere nicht mal die Hälfte. Geh jetzt.«

Ihre Augen fielen zu. Sie schlief ein, und jetzt sah er deutlich, wie sehr ihr Gesicht schon von der Krankheit gezeichnet war.

Das könnte das Ende sein, dachte er. Aber ausgerechnet auf dieser Fahrt?

*

»Ich habe mich für widerstandsfähiger gehalten«, sagte Lady Corner, »aber es war keine gute Atmosphäre. Dieser Clark hat mir den Appetit genommen. Wie kann Fredrik nur auf den Gedanken kommen, Jill mit ihm verkuppeln zu wollen?«

Fee wusste nicht, was sie da überhaupt redete. So schnell konnte sie doch nicht kombinieren, dass am Tisch nicht festzustellen gewesen war, dass Lady Corner in irgendeiner Verbindung zu den Vanderhovens stand.

»Ich bin froh, mit einem normalen Menschen sprechen zu können, Frau Norden«, sagte die alte Lady. »Ich bin Jills Großmutter. Jedoch nur die Stiefmutter von Wilma. Die Eingeweihten, ich meine damit den Kapitän, wissen es natürlich. Ich glaube, dass Jill den schlimmen Fuß nur vorschiebt. Bringen Sie mich zu ihrer Kabine.«

»Wie Sie wünschen, Lady Corner«, sagte Fee.

»Wie finden Sie diesen Clark?«, fragte die Lady.

»Ich kann mir kein Urteil erlauben. Für mich ist alles zu neu und ungewohnt. Wir haben diese Reise nämlich gewonnen.«

Die alte Dame blieb stehen und sah Fee scharf an. »Aber Sie sind eine Lady«, sagte sie, »wenn man diese Bezeichnung anwenden will.«

»Danke«, sagte Fee, »aber wir hätten bestimmt nicht so viel Geld für eine solche Reise ausgegeben.«

»Ich auch nicht, wenn man es genau nehmen will«, lächelte die alte Dame. »Als Gesellschafterin der Firma kann ich fahren, wohin ich will und wann immer, und ich mache Gebrauch davon. Mir geht es übrigens sehr gut, falls Sie sich Sorgen machen sollten. Ich werde nie seekrank, was immer ich auch esse. Oh, Kabine vier, da sind wir schon bei Jill. Mal sehen, ob sie für mich zu sprechen ist.«

Jill war für sie zu sprechen. »Komm nur herein, Granny«, rief sie. »Für dich bin ich noch munter.«

»Möchten Sie Jill kennenlernen, Frau Norden?«, fragte Lady Corner.

»Ein andermal gern«, erwiderte Fee. »Ich bin wirklich müde. Ich bitte um Ihr Verständnis.«

»Aber gewiss. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe.«

»Ich Ihnen auch, Lady Corner.«

*

»Mit wem hast du gesprochen, Granny?«, fragte Jill. »Die Stimme kenne ich nicht.«

»Du wirst sie kennenlernen, mein Kind. Eine sehr charmante Frau, und dazu Ehefrau eines überaus charmanten Mannes. Beides Ärzte. Dr. Norden heißen sie. Aber was ist nun wirklich mit deinem Bein, mein Kind?«

»Schau es dir an. Ich habe nicht gemogelt, wenngleich es mir nicht unwillkommen war, der Abendtafel fernzubleiben. Wie ist Dad gelaunt?«

»Es geht. Ich habe mich mehr auf dieses wirklich sympathische Ehepaar konzentriert. Taugt der Schiffsarzt etwas?«

»Ich kann nicht klagen. Ein eigenartiger Mensch, aber auch sehr sympathisch.«

»Jung?«

»Schwer zu schätzen. Wie hat sich Neal benommen?«

»Nichtssagend, wie nicht anders zu erwarten. Wenn er redet, kommt sowieso nicht viel dabei heraus.«

»Du darfst es nicht so streng sehen, Granny. Er schleppt den Namen Clark mit sich herum, und daran muss er hart tragen«, meinte Jill schelmisch. »Heiraten werde ich den nie, da kannst du sicher sein.«

»Wen denn?«

»Wenn ich das nur wüsste! Vielleicht heirate ich überhaupt nicht. Wenn ich mir die Ehe meiner Eltern als Beispiel nehme, kann mir die Lust vergehen, mich auch nur flüchtig zu verlieben.«

»Das dürftest du auch nicht so eng sehen, Kind. Sie passen ganz gut zueinander, nur du tanzt aus der Reihe.«

»Ich bin halt nach dir geraten.«

»Dabei sind wir nicht mal verwandt«, sagte die alte Dame nachdenklich.

»Aber du hast mich erzogen.«

»Erzogen?« Lady Corner lachte leise auf. »Man hat es wohl erwartet. Jedenfalls hat deine Mutter mir das wenigstens zugetraut.«

»Sie musste sich um ihre Söhne kümmern«, sagte Jill spöttisch, »die Frühgeburt war Nebensache.«

»Sei nicht gar zu hart. Deine Brüder sind wohlgeraten. Jedenfalls werden wir mit Frau Norden in netter Gesellschaft sein, Jill. Ich werde mich zur Ruhe begeben.«

»Hast du einen spannenden Krimi?«, fragte Jill.

»Nichts, was mir gefallen könnte. Vielleicht schreibe ich selbst mal einen.«

»Dir trau ich alles zu«, lachte Jill. »Danke, dass du gekommen bist, Granny.«

»Deinetwegen mache ich die Reise ja nur mit. Ich werde nicht dulden, dass du verkuppelt wirst.«

»Da kannst du unbesorgt sein. Das gelingt nicht mal meinem Vater!«

*

Fee war noch im Bad, als Daniel kam. Er stöhnte vor sich hin. »War nicht so einfach, wegzukommen.«

»Es wird ganz spannend werden«, sagte Fee. »Eigenartige Familienverhältnisse sind das schon.«

»Wieso?«

»Lady Corner ist die Stiefmutter von Mrs Vanderhoven. Sie jedenfalls gefällt mir.«

»Sheila Macleen gefällt dir nicht?«, fragte er.

»Wen meinst du?«

»Du hast sie nicht erkannt?«

Fees Augen weiteten sich. »Die Frau, der du folgtest?«

Er nickte. »Sie fährt unter dem Namen Mack. Sie ist sehr krank, Fee.«

»Warum macht sie dann eine Schiffsreise?«

»Ich weiß es nicht. Du wirst doch nicht eifersüchtig gewesen sein?«

»Ein bisschen peinlich war es schon«, sagte Fee. »Wilma Vanderhovens Augen haben vielleicht gefunkelt.«

»Lass sie funkeln«, sagte er. »Als Arzt musste ich Sheila nachgehen. Sie wäre vielleicht über Bord gefallen oder gar gesprungen.«

»Mach nicht solche Witze«, sagte Fee.

»Ich mache keine. Ich kann mich nur immer wieder über die Gleichgültigkeit der Menschen wundern. Zumindest ihre Tischnachbarn müssen bemerkt haben, dass sie am Zusammenbrechen war. Und sie sagte, dass es ihre letzte Reise sei.«

»Was sonst noch?«

»Nichts. Ich habe den Schiffsarzt gerufen.«

»Wenn es so weitergeht, wird er nie an einem Essen teilnehmen können«, sagte Fee.

»Vielleicht legt er auch keinen Wert darauf. Frühstücken können wir wenigstens allein, mein Schatz, und das werden wir genießen.«

»Und auf das Mittagessen könnten wir verzichten, sonst passe ich in kein Kleid mehr hinein«, sagte Fee seufzend.

»Man kann Sport treiben an Bord, Fee«, lachte er.

»Dann fangen wir aber gleich morgen früh damit an.«

»Heute, ein neuer Tag hat schon begonnen.«

»Wenn alles so schnell vergeht, sind wir bald wieder zu Hause«, sagte sie gedankenverloren.

»Ich hab’s ja geahnt«, murmelte er.

»Was?«, fragte sie.

»Dass du schon wieder an Zuhause denkst.«

»Ach was, wir werden viel erleben«, sagte Fee.

Und das sollten sie!

*

Das Frühstück hatten sie in trauter Zweisamkeit in ihrer Kabine genossen. Zu bewältigen war nicht, was ihnen serviert wurde, obgleich sie beide über mangelnden Appetit nicht klagen konnten. Die Seeluft schien doch hungrig zu machen und auch zu zehren, wie sie feststellen konnten, als sie auf die Waage stiegen. Dann aber bummelten sie an Deck herum. Sie befanden sich schon auf hoher See. Der Wind wehte, die Wellen bewegten sich noch gemäßigt mit Gischtkronen, die unter den Strahlen der Sonne silbrig glänzten.

Es gab nicht allzu viele Passagiere, die diesen Anblick so genossen wie Daniel und Fee, doch zu den wenigen gehörten Lady Corner und Jill Vanderhoven.

»Schön, nicht wahr?«, sagte die alte Lady, als Fee und Daniel einen guten Tag wünschten. »Ich verstehe die Menschen, die ihre letzte Ruhestätte im Meer finden wollen, mehr und mehr.«

»Ich mag es nicht, wenn du so redest, Granny«, sagte Jill unwillig.

»Meine Enkelin Jill Vanderhoven«, sagte Lady Corner lächelnd. »Und das, meine liebe Jill, ist das Ehepaar Dr. Norden.«

»Ich habe es mir gedacht«, sagte Jill mit einem flüchtigen Lächeln. »Andere Passagiere interessieren dich ja nicht, liebste Granny.«

Fee blickte in das frische, leicht gebräunte Gesicht, das von langem dunklem Haar umweht wurde. Wunderschön waren die violetten Augen, von einem Kranz langer schwarzer Wimpern umgeben. Kein Make-up, überhaupt nichts Gekünsteltes war an diesem jungen Geschöpf, das in Shorts und einem leichten Pulli an der Reling lehnte. Der rechte Fuß war bandagiert.

»Wie geht es Ihnen?«, fragte Fee. »Wir haben von Ihrem Pech gehört.«

»Meine Schuld, wenn ich unbedingt damenhaft sein will«, lächelte Jill. »Aber es geht schon wieder.«

»Aber du sollst das Bein hochlegen, hat Dr. Neff gesagt«, erklärte Lady Corner. »Setzen Sie sich zu uns?«

»Gern, mein Mann möchte sich umschauen«, sagte Fee.

Daniel war ziemlich verblüfft, aber er schaltete schnell. »Ja, das wollte ich«, sagte er rasch. »Und ich wollte auch dem Kollegen Neff mal einen Besuch abstatten.«

»Das habe ich mir gedacht«, sagte Lady Corner mit einem hintergründigen Lächeln.

»Du bist gar nicht ladylike, Granny«, sagte Jill, als Daniel sich entfernt hatte. »Was muss Dr. Norden von uns denken?«

»Ach was, er wird sich denken, dass wir Weibsen uns allein unterhalten wollen«, lachte die alte Dame. »Und das stimmt auch.«

»Sie sprechen sehr gut Deutsch, Lady Corner«, sagte Fee.

»Kein Wunder, ich bin ja Deutsche«, sagte die alte Dame, »und Sie können ruhig Meggi zu mir sagen.«

»Ich heiße Fee«, sagte Fee.

»Wie hübsch. Es passt zu Ihnen«, sagte Jill. »Ich heiße eigentlich Jennifer, aber Jill ist kürzer.«

»Wozu ich bemerken muss, dass ich daran schuld bin«, sagte Lady Corner. »Eigentlich heiße ich nämlich Juliana Margareta, und mir wäre es lieber gewesen, wenn man mich Jill gerufen hätte, aber mein Mann zog Meggi vor. Jill klingt flotter.«

»Und Granny ist auch heute noch flott«, lachte Jill.

»Lausdirndl«, sagte Lady Corner.

Fee blickte überrascht auf. »Sie stammen aus Bayern?«, fragte sie.

»Und wie«, erwiderte die alte Dame lächelnd. »Und deshalb waren Sie mir gleich sympathisch, Sie und auch Ihr Mann. Man hört es halt durch.«

»Granny ist eine blaublütige Prinzessin von Geburt«, warf Jill ein.

»Du sollst es nicht sagen, es glaubt mir keiner«, sagte Lady Corner.

»Ich schon«, erwiderte Fee.

»Sie sind sehr liebenswürdig, Fee«, sagte die Lady.

»Man spürt es. Jeder Zoll eine Lady«, lächelte Fee.

»Ich kann giftig sein«, sagte die alte Dame.

»Das kann ich bestätigen«, sagte Jill.

»Ich auch, wenn mir was nicht passt«, lächelte Fee.

»Dann lassen Sie sich von dem guten Fredrik nicht einschüchtern«, meinte Lady Corner. »Das Sagen habe ich immer noch. Das nur als Vorwarnung.«

»Es sei denn, Sie ziehen es vor, alle Mahlzeiten in der Kabine einzunehmen«, warf Jill ein.

»Aber nein. Vierzehn Tage möchte ich ganz gern Studien betreiben«, erwiderte Fee. »Ich hoffe, Sie werden sich nicht in der Kabine verschanzen, Jill. Der Fuß ist keine Entschuldigung.«

»Und ich bin bereits zu allem bereit. Wenn ich zwischen Ihnen und Granny sitze, kann mir nicht viel passieren, auch wenn Neal Clark mich anstarrt.«

Na, das kann wirklich lustig werden, dachte Fee, aber sie stimmte in Lady Corners Lachen ein.

*

Dr. Norden wanderte wieder durch das Schiff. Ihn interessierte es doch, was eigentlich mit Sheila Macleen war.

Aber vor dem Schiffshospital blieb er stehen. So sehr es ihn auch interessierte, wie ein Arzt mit so viel Passagieren zurechtkommen konnte, und es konnte doch tatsächlich mal eine Epidemie ausbrechen, einmischen wollte er sich nicht.

Ein dunkelhäutiges Mädchen, ganz in Weiß gekleidet, kam heraus. »Sind Sie auch seekrank?«, fragte sie erschrocken.

»Aber nein«, erwiderte Daniel. »Es ist ganz ruhig.«

Er merkte gar nicht, dass er auch Englisch sprach, aber er war sehr stolz, dass er es doch noch so gut beherrschte, als ihre Augen aufleuchteten. Sie war reizend.

»Einige vertragen nicht mal Windstärke sechs«, sagte das Mädchen, »aber wie man ein Kind mit Mittelohr­eiterung mitnehmen kann, verstehe wer will.«

»Sie sind die Arzthelferin?«, fragte er.

»Sie haben es erraten«, erwiderte sie. »Mabel ist mein Name.«

»Dr. med. Norden«, erwiderte er mit einer leichten Verbeugung. »Kann ich helfen?«

»Sie sind Arzt?«, staunte sie.

»Warum nicht?«, fragte Daniel.

»Sie sehen eher wie ein Filmstar aus«, erwiderte Mabel.

»Du lieber Himmel, lassen Sie das nicht meine Frau hören.«

»Ist sie auch an Bord?«

»Aber ja, wir trennen uns nie.«

»Schade«, sagte Mabel resigniert, »aber Träume sind Schäume.«

Ganz schön clever, dachte Daniel Norden, aber niedlich war sie, und nun lachte sie. »Ich rede nur so. Gehen Sie rein. Der Doc kann jede Hilfe brauchen, wenn Sie versessen darauf sind.«

Und sie öffnete die Tür. »Ich muss nämlich flitzen«, rief sie ihm noch zu. Und dann flitzte sie auch schon.

»Sie müssen doch gewusst haben, dass der Junge krank ist«, hörte er Dr. Neff sagen. »Frau Severin, warum haben Sie diese Reise angetreten?«

»Weil André sie sich gewünscht hat. Seine Großeltern haben sie ihm geschenkt zum zehnten Geburtstag. Er bekam doch erst an Bord Fieber«, sagte eine schrille Frauenstimme.

»Ich habe aber gesagt, dass mir die Ohren wehtun, Mama«, hörte Daniel eine schluchzende Kinderstimme. »Ich wollte gar nicht fort, und Papa wollte es auch nicht. Ich will nicht, dass wir von Papa fortgehen.«

»Du wirst es bei den Großeltern besser haben, André«, sagte die Frau. »Es ist doch gar nicht so schlimm, André. Steigere dich nicht so hinein.«

»Würden Sie sich jetzt bitte entfernen, Frau Severin«, sagte Dr. Neff. »Der Junge braucht Ruhe.«

»Die hat er in unserer Kabine. Sie brauchen sich nur die kleine Mühe zu machen, sich zu uns zu begeben, Herr Doktor. Aber anscheinend ist Ihnen das zu mühsam. Ich verstehe nicht, dass nur ein Arzt an Bord dieses großen und teuren Schiffes ist, der anscheinend nicht mal von leichten Erkrankungen etwas versteht.«

»Ihr Sohn hat hohes Fieber«, sagte Dr. Neff, und da machte Dr. Norden die Tür auf und trat ein.

»Brauchen Sie Hilfe, Herr Kollege?«, fragte er. »Ich bin auch Arzt.«

»Dann sagen Sie dieser Dame, dass ihr Sohn unter ständiger ärztlicher Aufsicht bleiben muss, falls er nicht taub werden soll«, sagte Dr. Neff.

»Übertreiben Sie doch nicht«, sagte Frau Severin.

»Das ist keine Übertreibung«, sagte Dr. Norden ruhig. »Ich kann Ihnen die Vorgänge im Gehör genau erklären.«

Er wirkte imponierender als Dr. Neff, und außerdem war er eben eine Erscheinung, die faszinierend auf Frauen wirkte. Vera Severin starrte ihn an.

»Dr. Norden«, stellte er sich vor.

»Ich habe Sie doch gestern Abend gesehen«, stieß sie hervor. »Sie waren doch hinter dieser Mack her.«

Von feiner Art ist sie nicht, dachten beide Ärzte gleichzeitig.

»Frau Mack bedurfte auch ärztlicher Hilfe«, erklärte Dr. Norden kühl.

»Es tut mir wirklich weh, Ma, ich sage es nicht nur«, flüsterte der Junge.

»Hier wäre er ständig unter Kontrolle«, warf Dr. Neff ein.

Ein hässlicher Zug legte sich um Vera Severins Mund. »Na, dann soll er meinetwegen hierbleiben. Ich lasse mir nicht die ganze Reise verderben, darauf legt er es doch nur an.«

Sie hatte die Maske fallen lassen. Und dann rauschte sie davon.

»Diese Reise lässt sich nicht besonders an«, sagte Dr. Neff verlegen. »Herzlichen Dank für den Beistand, Herr Kollege.«

»Ich kann mich noch nicht ans Faulenzen gewöhnen«, sagte Daniel lächelnd. »Aber es ist für mich ganz interessant, mich auch hier mal umzuschauen. Ist ja alles perfekt eingerichtet.«

»Nun, auf einer langen Reise kann viel geschehen.«

»Wir fliegen von Florida in die Heimat zurück«, erklärte Daniel. »Für eine Weltreise habe ich keine Zeit, und wir haben auch nur eine vierzehntägige Traumreise gewonnen.«

»Dann genießen Sie diese nur. Vierzehn Tage sind schnell um. Es ist nicht gesagt, dass die Traumreise auch ein Traumwetter beinhaltet.«

»Sie fahren die Linie öfter?«

»Zum ersten Mal. Es ist nicht mein Traum gewesen, Schiffsarzt zu werden und schon gar nicht zu bleiben. Es ist eine Übergangslösung.«

Eine Übergangslösung, dachte Daniel, vielleicht um Abstand zu gewinnen von etwas? Und da kam ihm die Erinnerung, wo er den Namen Neff gehört hatte. Er hielt unwillkürlich den Atem an.

Konnte Karlheinz Neff Gedanken lesen? »Falls ich Ihnen irgendwie bekannt vorkomme, vergessen Sie’s«, sagte er, »oder wir können uns bei anderer Gelegenheit mal privat unterhalten, falls ich dafür Zeit finde.«

»Kümmern wir uns jetzt mal um den Jungen«, sagte Dr. Norden ruhig.