Auguste Saint-Clair war in der sogenannten großen Welt nicht gerade beliebt; hauptsächlich aus dem Grunde, weil er nur den Leuten zu gefallen suchte, die ihm selber gefielen. Er pflegte den Umgang mit den einen und hielt sich fern von den andern. Im übrigen war er zerstreut und lässig. Eines Abends, als er aus dem Italienischen Theater kam, fragte ihn die Marquise A…, wie Mademoiselle Sontag gesungen habe. »Ja, gnädige Frau«, antwortete ihr Saint-Clair mit verbindlichem Lächeln und war mit seinen Gedanken bei ganz anderen Dingen. Diese lächerliche Antwort war unmöglich als Schüchternheit auszulegen; denn er sprach mit einem großen Herrn, mit einem bedeutenden Manne und sogar mit einer Dame von Welt in genau der selbstsicheren Art, wie wenn er sich mit seinesgleichen unterhalten hätte. – Die Marquise entschied, Saint-Clair sei ein seltenes Muster von Frechling und Snob.

Madame B… lud ihn eines Morgens zum Diner ein. Sie richtete häufig das Wort an ihn; und beim Weggehen bekannte er, nie einer liebenswürdigeren Frau begegnet zu sein. Madame B*** sammelte gern vier Wochen lang bei andern Geist, um ihn dann auf einer ihrer Abendgesellschaften um sich zu versprühen. Saint-Clair sah sie am Donnerstag derselben Woche wieder. Diesmal langweilte er sich etwas. Ein weiterer Besuch bestimmte ihn, in ihrem Salon nicht wieder zu erscheinen. Madame B*** bekundete überall, Saint-Clair sei ein junger Mann ohne Manieren und von unmöglichstem Ton. Er hatte ein zärtliches und liebevolles Herz ins Leben mitbekommen; aber in einem Alter, in dem man nur zu leicht in sich Eindrücke aufnimmt, die für immer haftenbleiben, hatte ihm seine allzu überschwengliche Gefühlsseligkeit die Hänseleien seiner Jugendgenossen zugezogen. Er war stolz und ehrgeizig; dabei behielt er einen Eigensinn, wie die Kinder ihn an sich haben. Hinfort ließ er es sich eifrigst angelegen sein, alle äußeren Zeichen dessen, was er für so etwas wie eine schimpfliche Schwäche ansah, zu verbergen. Er erreichte sein Ziel; aber sein Sieg kam ihm teuer zu stehen. Er verstand die Kunst, den andern die Regungen seiner allzu empfindsamen Seele zu verhehlen; aber dadurch, daß er sie in sich verschloß, wurden sie nur hundertmal peinigender für ihn selbst. In der Gesellschaft gelangte er in den traurigen Ruf eines empfindungslosen und um nichts besorgten Menschen; und in der Einsamkeit schuf ihm seine ruhelose Einbildungskraft um so entsetzlichere Qualen, als er dies Geheimnis niemandem anvertrauen wollte.

Einen Freund zu finden ist schwer! Das ist wahr.

Schwer! Ist es überhaupt möglich? Hat es je zwei Menschen gegeben, die voreinander kein Geheimnis gehabt hätten? – Saint-Clair glaubte nicht recht an Freundschaft, und das war zu merken. Man fand ihn kalt und zurückhaltend im Verkehr mit seinen Altersgenossen. Nie fragte er sie über ihre Geheimnisse aus, und für sie blieben alle seine Gedanken und die meisten seiner Handlungen ewige Rätsel. Die Franzosen sprechen oft und gern von sich selber; daher war denn Saint-Clair auch, ohne sein Zutun, Mitwisser einer Menge vertraulicher Mitteilungen. Seine Freunde – damit seien hier einmal die Menschen bezeichnet, die wir zweimal wöchentlich zu sehen bekommen – beklagten sich über sein Mißtrauen ihnen gegenüber; es ist immer wieder so: Wer uns ungefragt sein Geheimnis mitteilt, ist gewöhnlich beleidigt, wenn er nicht das unsre erfährt. Auch das Ausplaudern, bildet man sich ein, muß auf Gegenseitigkeit beruhen.

»Er ist zugeknöpft bis obenhin«, äußerte eines Tages der schöne Rittmeister Alphonse de Thémines. »Ich könnte nie das mindeste Zutrauen haben zu diesem verteufelten Saint-Clair.«

»Ein bißchen was Jesuitisches steckt in ihm, meine ich«, versetzte Jules Lambert. »Mir hat jemand gesagt, er könne beschwören, Saint-Clair zweimal dabei erwischt zu haben, wie er aus Saint-Sulpice herausgekommen sei. Niemand weiß, was er denkt. Mir kann nie so recht wohl werden im Umgang mit ihm.«

Sie trennten sich. Auf dem Boulevard Italien stieß Alphonse auf Saint-Clair, der gesenkten Hauptes und ohne jemanden zu sehen daherkam. Alphonse hielt ihn an, nahm ihn beim Arm, und ehe sie noch bis zur Rue de la Paix gelangt waren, hatte er ihm die ganze Geschichte von seinem Techtelmechtel mit Madame *** ausgepackt, deren Mann solch ein eifersüchtiger Kerl und Rohling sei.

Am selben Abend wurde Jules Lambert sein Geld beim Ecarté-Spiel los. Er stürzte sich in den Tanztrubel. Dabei rempelte er leicht einen Herrn an, der wie er sein ganzes Geld verspielt hatte und reichlich übler Stimmung war. Ein paar spitzige Bemerkungen herüber und hinüber – Duellforderung. Jules bat Saint-Clair, sein Sekundant zu sein, und borgte ihn bei dieser Gelegenheit um Geld an, das er bis heute vergessen hat, ihm zurückzugeben.

Alles in allem war Saint-Clair ein Mensch, mit dem sich ziemlich leicht auskommen ließ. Seine Fehler schadeten einzig ihm selbst. Er war verbindlich, oft liebenswürdig, selten langweilig. Er hatte sich in der Welt umgesehen, war sehr belesen und sprach von seinen Reisen und Bücherkenntnissen nur, wenn man ihn darum anging. Im übrigen war er hochgewachsen und gut gebaut; seine Gesichtszüge waren edel und geistvoll, fast stets zu ernst; doch sein Lächeln war offen und voll Wohlwollen.