Inhaltsverzeichnis

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60.
Epilog.

1.

Inhaltsverzeichnis

Petronius erwachte gegen Mittag, fühlte sich aber noch sehr ermattet, denn er hatte gestern ein Gastmahl bei Nero mitgemacht, das bis tief in die Nacht gewährt hatte. Jedoch das Frühbad und das sorgsame Kneten des Körpers durch eigens hiezu geübte Sklaven beschleunigten bald den Lauf seines trägen Blutes und ermunterten ihn, so daß er nach einiger Zeit aus der letzten Prozedur des Bades wie von den Toten auferstanden, mit glänzenden Augen, geistreichem Wesen und Frohsinn, verjüngt, voll Lebensgeist hervorging. Man nannte ihn ja auch mit Recht den Arbiter elegantiarum.

Nach diesem Gastmahl, bei dem ihn die Narrenpossen des Vatinius und Nero, Lucanus und Seneka gelangweilt und er auch an der gelehrten Abhandlung, ob auch die Frau eine Seele habe, sich beteiligt hatte – stand er spät auf und nahm, wie gewöhnlich, ein Bad. Zwei riesige Badediener betteten ihn auf ein mit schneeweißem ägyptischen Byssus bedecktes Lager von Zypressenholz und begannen mit ihren in wohlriechendes Olivenöl getauchten Händen den wohlgestalteten Körper einzureiben – er aber wartete mit geschlossenen Augen, bis die Wärme des Schwitzbades und die Wärme ihrer Hände auf ihn wirkte und die Mattigkeit verscheuchte.

Plötzlich rief der Sklave, der die Namen der ankommenden Gäste melden mußte, durch den Vorhang, daß der junge Markus Vinicius soeben aus Kleinasien zurückgekehrt und zum Besuch eingetroffen sei. Petronius befahl, den Gast sofort hereinzulassen. Vinicius war der Sohn von Petronius’ älterer Schwester, die vor Jahren mit Markus Vinicius, der unter Tiberius die Würde eines Konsularis bekleidete, sich vermählt hatte. Der junge Markus diente gegenwärtig unter Corbulo gegen die Parther und war nach beendetem Feldzug in die Stadt zurückgekehrt. Petronius hatte für ihn jene Schwäche, die an Anhänglichkeit grenzt, denn Markus war ein schöner, athletischer Jüngling, der zugleich feine Umgangsformen besaß, was Petronius über alles schätzte.

»Gruß dem Petronius,« sagte der junge Mann, elastischen Schrittes eintretend, »mögen dir die Götter gewogen sein!«

»Sei gegrüßt in Rom, und die Ruhe sei dir süß nach dem Kampfe,« versetzte Petronius, die Hand aus den Falten des weichen Gewebes, das ihn umhüllte, herausstreckend. – »Was hört man in Armenien? Kamst du auch während deines Aufenthalts in Asien nach Bithynien?«

Petronius war einst in Bithynien Statthalter gewesen und hatte sein Amt mit Umsicht und Gerechtigkeit verwaltet. Sein Charakter war aus den widersprechendsten Eigenschaften zusammengesetzt, und da er allgemein für sehr verweichlicht und prunkliebend galt, erinnerte er sich gern jener Zeiten, weil sie den Beweis dafür erbrachten, daß er auch tätig und energisch sein konnte, wenn es ihm beliebte.

»Ich kam unter anderem auch nach Herakleia,« entgegnete Vinicius. »Corbulo sandte mich dorthin, Verstärkungen zusammenzuziehen.«

»Erzähle mir, was man von den parthischen Grenzen hört! Mich langweilen sie zwar alle, diese barbarischen Völker, die in ihrer Heimat, wie der junge Arulamus erzählt, noch auf allen Vieren kriechen und nur uns gegenüber sich für Menschen ausgeben. Jetzt sind sie ein beliebter Gesprächsstoff in Rom, schon deshalb, weil es gefährlich ist, von anderen Dingen zu sprechen.«

»Dieser Krieg steht schlecht, und wenn Corbulo nicht wäre, könnte man sich auf eine völlige Niederlage gefaßt machen.«

»Corbulo! Beim Bacchus! Der reine Kriegsgott! Ein gewaltiger Heerführer, und zugleich feurig und rechtlich und einfältig. Ich habe ihn schon deshalb gern, weil Nero ihn fürchtet.«

In diesem Augenblick traten zwei Sklaven ein, welche sich um Petronius bemühten und ihm die Härchen der Arme und Hände herauszogen, während Markus das Unterkleid abwarf und auf die Aufforderung des Petronius hin in ein lauwarmes Bad stieg.

Petronius schaute auf den Jüngling mit dem befriedigten Auge eines Künstlers.

Als Markus fertig war und sich seinerseits den Haarauszupfern überließ, trat ein Vorleser ein, der eine Bronzebüchse umgehängt trug, in der eine Papyrusrolle steckte.

»Willst du zuhören?« fragte Petronius.

»Wenn es dein eigenes Werk ist, gern!« versetzte Vinicius. »Wenn nicht, möchte ich mich lieber mit dir unterhalten. Heutzutage fangen die Dichter ihre Zuhörer an allen Straßenecken ab.« »Und ob! Man kommt an keiner Basilika, weder bei den Thermen noch bei einer Bibliothek oder einem Buchladen vorbei, ohne auf einen Dichter zu stoßen, der sich wie ein Affe gebärdet. Als Agrippa aus dem Osten hieherkam, hielt er diese Leute für Besessene. Aber das liegt jetzt so in der Zeit. Wenn der Kaiser Verse schreibt, müssen natürlich alle seinem Beispiel folgen. Nur bessere Verse darf niemand schreiben als der Kaiser, und deshalb schreibe ich nur Prosa, womit ich aber weder mich selbst noch andere behellige. Nein, das, was der Vorleser vortragen soll, ist ein Buch des Fabricius Veiento, das jetzt überall leidenschaftlich gelesen wird, weil es unendlich viel Klatsch und Skandal enthält. Es sucht jedermann in dem Buche sich selbst mit Besorgnis, Bekannte aber mit stillem Vergnügen. In dem Buchladen des Arvinus wird das Buch von hundert Schreibern nach einer Vorlage geschrieben, und der Erfolg ist sicher.«

»Deine Streiche sind dort nicht zu haben?«

»O doch, aber der Verfasser ist fehlgegangen, denn ich bin viel schlechter und weniger fade, als er mich dort schildert. Siehst du, wir haben hier schon längst das Gefühl für das Würdige und Unwürdige verloren, mir geht es selbst so, obwohl Seneka, Musonius und Traseas es zu erkennen glauben. Mir ist auch alles gleichgültig, über Herkules rede ich, was ich denke. Aber dennoch habe ich den Vorzug vor andern, daß ich weiß, was häßlich und was schön ist; dies versteht zum Beispiel unser kupferbärtiger Dichter, dieser Fuhrmann, dieser Gassensänger, dieser Tänzer, nicht.«

»Dennoch tut es mir um Fabricius leid! Er war ein guter Gesellschafter.«

»Seine Eigenliebe hat ihn verdorben. Jeder mißtraute ihm, niemand wußte etwas Rechtes, aber er selbst konnte nichts behalten und erzählte alles nach allen Richtungen hin unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Hörtest du schon die Geschichte des Rufinus?«

»Nein.«

»So gehen wir hinüber ins Frigidarium. Während wir uns abkühlen, erzähle ich dir die Geschichte.«

Beide begaben sich in den Baderaum, in dessen Mitte ein Springbrunnen in hellrosa Farben sprudelte und einen Veilchenduft verbreitete. Dort setzten sie sich in Nischen, die mit Seide ausgepolstert waren, und genossen die Kühle. Es herrschte einen Augenblick Stille.

»Du liebst den Krieg,« begann Petronius, »was ich von mir nicht sagen kann, denn unter den Zelten werden die Fingernägel brüchig und verlieren ihre rosige Färbung. Übrigens hat jeder seine Liebhaberei, so wie der Kupferbärtige den Gesang liebt, besonders seinen eigenen. Übrigens, sage mir, schreibst du auch Verse?«

»Nein. Ich habe noch niemals einen Hexameter fertiggebracht.«

»Spielst du die Laute und singst dazu?«

»Nein.«

»So bist du vielleicht Meister im Wagenlenken?«

»Seinerzeit habe ich mich an den Wettfahrten in Antiochia beteiligt, aber ohne Erfolg.«

»Dann bin ich deinetwegen beruhigt. Zu welcher Partei gehörst du auf der Rennbahn?«

»Zu den Grünen.«

»Dann bin ich völlig beruhigt, besonders da du zwar ein hübsches Vermögen besitzest, aber doch nicht so reich bist wie Pallas und Seneka. Du mußt wissen, daß es bei uns von Vorteil ist, wenn einer dichtet, zur Laute singt, deklamiert und sich im Zirkus an den Wettfahrten beteiligt, besser aber ist es und vor allem ungefährlicher, wenn einer nicht dichtet, nicht die Laute schlägt, nicht singt und nicht an den Wettfahrten im Zirkus teilnimmt, am besten aber ist es, wenn man alles anzustaunen versteht, was der Feuerbart tut. Du bist ein hübscher junger Mann und daher der Gefahr ausgesetzt, daß Poppäa dich liebgewinnt. Doch nein – sie ist darin schon zu erfahren. Sie hat an der Seite ihrer beiden ersten Gatten genug Liebe genossen, und jetzt als Neros Gemahlin denkt sie an ganz andere Dinge.«

»Du wolltest mir ja die Geschichte des armen Rufinus erzählen.«

»Im Salbraum sollst du sie hören.«

Aber im Salbraum wurde die Aufmerksamkeit des Vinicius schnell auf etwas anderes gelenkt, nämlich auf die ungewöhnlich schönen Sklavinnen, die auf die Männer warteten und sich anschickten, ihren Leib mit köstlichen arabischen Salben einzureiben.

»Beim wolkentürmenden Zeus,« rief Markus Vinicius. »Schönere Sklavinnen kann auch der Feuerbart nicht besitzen.« Mit einer freundschaftlichen Gutmütigkeit sagte Petronius: »Du bist ja mein Blutsverwandter, und ich bin weder so ungefällig wie Bassus noch so ein Kleinigkeitskrämer wie Aulus Plautius.« Als Vinicius diesen letzten Namen hörte, hob er rasch das Haupt und fragte: »Wie kommst du jetzt auf Aulus Plautius? Weißt du, daß ich etliche Tage in seinem Hause zubrachte, als ich mir vor der Stadt den Arm verstauchte? Zufällig kam gerade Plautius des Weges gefahren, als mir der Unfall zustieß, und weil er mich leidend sah, nahm er mich zu sich, wo mich sein Sklave, der Arzt Merion, behandelte und ich bald gesundete. Gerade davon wollte ich mit dir sprechen.«

»Warum? Hast du dich gar in Pomponia verliebt? In diesem Falle müßte ich dich bedauern: nicht mehr jung, dagegen tugendhaft! Eine schlimmere Vereinigung könnte ich mir gar nicht vorstellen.«

»In Pomponia nicht – nein!« sagte Vinicius.

»In wen denn?«

»Ja, wenn ich’s nur selber wüßte, in wen! Ich weiß auch nicht einmal genau, wie sie heißt: Lygia oder Callina. Im Hause wird sie Lygia genannt, weil sie dem Lygiervolke entstammt, sie hat aber auch noch ihren Babarennamen Callina. Es ist dies ein merkwürdiges Haus, dieses Haus des Plautius. Mehrere Tage hindurch ahnte ich nicht, welch göttliches Wesen es bewahrt, bis ich es eines Morgens vor Sonnenaufgang erblickte, als es sich an dem Gartenbrunnen wusch. Von dieser Zeit an sah ich sie noch zweimal, und seither weiß ich nicht mehr, was Ruhe ist; ich habe keine andere Sehnsucht mehr; nichts, was die Stadt mir bieten könnte, kann mich locken; ich begehre weder Gold noch korinthisches Erz, weder Bernstein noch Perlen, noch Wein und Festgelage, nur Lygia will ich. Ich sage dir offen, Petronius, ich sehne mich nach ihr Tag und Nacht.«

»Wenn sie eine Sklavin ist, so kaufe sie doch!«

»Sie ist keine Sklavin.«

»Was ist sie denn? Eine Freigelassene des Plautius?«

»Ich weiß es nicht; eine Königstochter oder etwas Ähnliches.« »Du machst mich sehr neugierig, Vinicius.«

»Wenn du mich nun anhören willst, werde ich gleich deine Neugierde befriedigen. Die Geschichte ist nicht sehr lang. Du kanntest vielleicht gar persönlich den König der Sueven, Vannius, der, aus seinem Reiche vertrieben, sich lange Zeit in Rom aufhielt. Kaiser Drusus brachte ihn wieder auf seinen Thron. Vannius war ein tüchtiger Mann, regierte anfangs gut und führte glückliche Kriege, später fing er jedoch an, nicht nur die Nachbarn, sondern auch seine eigenen Untertanen zu schinden. Um diese Zeit beschlossen Vangio und Sido, Söhne des Vibilius, Königs der Hermunduren, ihren Onkel Vannius zu zwingen, wieder nach Rom zu flüchten.«

»Ganz recht, ich erinnere mich, es ist ja noch gar nicht so lange her, es war zu Claudius’ Zeiten.«

»Nun brach der Krieg aus. Vannius rief die Jazygen zu Hilfe, seine beiden Schwiegersöhne dagegen die Lygier, welche von den Reichtümern des Vannius gehört hatten und, herbeigelockt in der Hoffnung auf reiche Beute, in so großer Anzahl kamen, daß selbst der Kaiser Claudius für die Ruhe seiner Grenzen fürchtete. Claudius wollte sich in einen Krieg mit den Barbaren nicht einmischen und schrieb an Atelius Hister, den Führer der Donaulegionen, daß er ein wachsames Auge auf den Verlauf des Krieges richte und über den Frieden jener Gegenden wache. Hister verlangte nun von den Lygiern, daß sie sich verpflichten, die Grenzen nicht zu überschreiten; dies wurde nicht nur bereitwillig zugesagt, sondern auch Geiseln gestellt, unter denen sich die Frau und Tochter ihres Heerführers befanden… also ist meine Lygia die Tochter jenes Heerführers.«

»Woher weißt du das alles?«

»Dies erzählte mir alles Aulus Plautius selbst. Die Lygier haben zwar nicht die Grenzen überschritten; aber die Barbaren kommen wie ein Unwetter und verschwinden ebenso; so verschwanden auch sie samt ihren Auerochshörnern, die sie auf den Köpfen trugen. Sie schlugen den Vannius und seine Verbündeten, jedoch fiel ihr König, und sie machten sich mit dem Raube davon und ließen die Geiseln in den Händen des Hister. Kurz darauf starb die Mutter, und das Kind sandte Hister an Pomponius, der damals Statthalter von Germanien war. Pomponius kehrte nach Beendigung des Krieges mit den Chatten nach Rom im Triumph zurück. Die Jungfrau ging hinter dem Triumphwagen des Siegers. Nach beendeter Einzugsfeier wußte Pomponius selbst nicht, was er mit der Geisel, die er nicht gut als Gefangene behandeln konnte, anfangen sollte, und schenkte sie seiner Schwester Pomponia Graecina, der Frau des Plautius. In diesem Hause, wo alles – vom Herrn angefangen bis zum Federvieh – tugendhaft ist, wuchs sie heran und ist ebenso tugendhaft wie Graecina selbst und so schön, daß selbst Poppäa neben ihr wie eine herbstliche Feige neben einem Hesperidenapfel sich ausnehmen müßte.«

»Und nach dieser Jungfrau sehnst du dich?«

»Ja, ich will Lygia haben. Ich will sie mit meinen Armen umschlingen und an meine Brust drücken und ihren Atem fühlen. Ich will sie in meinem Hause haben, immerzu, bis mein Haupt weiß ist wie der Gipfel des Soracte im Winter.«

»Sie ist keine Sklavin, gehört aber schließlich doch zur Familie des Plautius und wird wohl, da sie eine verlassene Waise ist, als Pflegling betrachtet werden müssen. Plautius könnte sie dir abtreten, wenn er wollte.«

»Da kennst du aber Pomponia Graecina nicht. Schließlich haben sich beide an sie gewöhnt, als wäre Lygia ihr eigenes Kind.«

»Ob ich Pomponia kenne! Die reinste Zypresse! Wäre sie nicht des Aulus Ehefrau, könnte man sie als Klageweib verdingen. Auch Aulus Plautius kenne ich, und ich glaube, daß er eine gewisse Schwäche für mich hat, obwohl er mit meiner Lebensweise nicht einverstanden ist. Sicher schätzt er mich höher als all die andern, wie zum Beispiel Domitius Afer, Tigellinus und den übrigen Freundestroß Feuerbarts, da ich mich niemals zum Angeber hergegeben habe. Neros Ausführung hat schon oft mein Mißfallen erregt, wenn Seneka und Burrhus noch durch die Finger sahen. Glaubst du, daß ich beim Plautius etwas für dich erreichen könnte, so stehe ich dir zu Diensten.«

»Ich glaube, daß du es kannst. Du hast Einfluß auf ihn und besitzest großen Scharfsinn. Wenn du mit Plautius sprechen wolltest…«

»Du hast zwar eine große Meinung von meinem Einfluß und meiner Klugheit, und wenn es sich um sonst nichts handelt, so will ich mit Plautius reden, sobald er in die Stadt übergesiedelt ist.« »Sie sind schon seit zwei Tagen hier.«

»So wollen wir in das Triklinium gehen, wo das Frühstück unser harrt, und dann lassen wir uns neugestärkt zu Plautius tragen.« »Du warst mir immer lieb,« rief Vinicius lebhaft, »jetzt aber möchte ich am liebsten hier in diesem Raume deine Bildsäule aufstellen – so schön wie diese hier – und ihr Opfer darbringen.« So sprechend wandte er sich den Statuen zu, welche eine Seitenwand der duftdurchschwängerten Lichthalle zierten, und wies mit der Hand auf eine Bildsäule des Petronius, die ihn als Hermes mit einem goldenen Stab in der Hand darstellte.

Dann sagte er weiter: »Beim Lichte des Helios, wenn der göttliche Alexander dir ähnlich gewesen ist, dann kann man sich über Helena nicht wundern.«

Dieser Ausruf enthielt ebensoviel Wahrheit als Schmeichelei, denn Petronius, wenn auch älter und minder athletisch gebaut, war noch schöner als Vinicius. Die Frauen in Rom bewunderten an ihm nicht nur die geistige Gewandtheit und den seinen Geschmack, der ihm den Beinamen Arbiter elegantiarum eingebracht hatte, sondern auch die Wohlgestalt seiner Erscheinung. Tiefe Bewunderung drückte sich auf den Gesichtern der Mädchen aus Kos aus, welche jetzt die Falten seiner Toga ordneten, von denen besonders eine, Eunike mit Namen, ihm voll Demut und Entzücken in die Augen schaute; liebte sie ihn doch insgeheim.

Er achtete jedoch nicht darauf sondern lächelte Vinicius zu. Dann schlang er seinen Arm um seinen Nacken und führte ihn in den Speisesaal.

Im Unctuarium blieb nur Eunike zurück, hob den mit Bernstein und Elfenbein kunstvoll eingelegten Stuhl, auf welchem Petronius gesessen, und rückte ihn vorsichtig bis zu dessen Bildsäule. Sie bestieg den Stuhl, und als sie in gleicher Höhe mit der Bildsäule war, schlang sie plötzlich die Arme um den Hals, dann warf sie ihr Goldhaar zurück, schmiegte ihren rosigen Leib an den weißen Marmor und preßte voll Leidenschaft ihren Mund auf die kalten Lippen des Petronius.

56.

Inhaltsverzeichnis

Nach der Befreiung Lygias begab sich Petronius mit anderen Augustianern zum Kaiser. Er war neugierig zu hören, wovon man sich jetzt unterhalten werde, hauptsächlich aber wollte er erfahren, ob Tigellinus noch weiter das Mädchen zu verfolgen beabsichtige. Obwohl Lygia und Ursus jetzt unter dem Schutze des Volkes standen und es niemand wagen durfte, diese beiden zu verfolgen, wußte Petronius genau, daß der grausame und allmächtige Präfekt der Prätorianer nicht ruhen werde, bevor er sich nicht auf irgendeine Weise an ihm gerächt hätte.

Nero war zornig und gereizt, daß die Vorstellung anders geendet als er gewünscht hatte. Anfangs wollte er den Petronius nicht einmal ansehen. Doch diesen verließ das ruhige Blut nicht, er näherte sich dem Kaiser und sagte:

»Weißt du, Göttlicher, was ich denke? Schreibe einen Hymnus auf das Mädchen, das durch den Befehl des Beherrschers der Welt von den Hörnern des wilden Auerochsen dem Geliebten wiedergegeben wurde! Die Griechen haben ein mitfühlendes Herz, ich bin sicher, daß sie das Lied bezaubern wird!«

Nero, der immer noch gereizt dasaß, schien diese Idee nicht schlecht; das Thema war für ein Lied wie geschaffen, dann konnte er sich selbst besingen als einen edeldenkenden Herrscher, verwundert blickte er Petronius an. »Möglich, daß du recht hast,« sagte er. »Aber kommt es, mir auch zu, mein eigenes Lob zu singen?«

»Du brauchst das nicht erst zu erwähnen, denn ein jeder in Rom ist von deiner Güte überzeugt, und von Rom aus verbreiten sich die Nachrichten über die ganze Welt.«

»Bist du auch sicher, daß dies in Achaja Anklang finden wird?«

»Beim Pollux, ja!« erwiderte Petronius, worauf er sich mit der Überzeugung entfernte, daß Nero nun nichts mehr gegen das Leben der jungen Leute unternehmen werde, und daß auch Tigellinus dadurch gebunden sei.

Dennoch traute er dem Frieden nicht und beredete Vinicius, möglichst bald auf seine Besitzung in Sizilien zu gehen.

»Ich habe durch den Verwandten des Aulus, Antistius, erfahren, daß Pomponia krank sei, und du wirst recht tun, wenn du Lygia dahin führst. Man wird euch mit der Zeit vergessen, und in der Jetztzeit ist es am besten, wenn man vergessen wird.«

Nach zwei Tagen wurde Lygia mit Erlaubnis des Theokles in den Garten getragen, und von da ab besserte sich sichtlich ihr Gesundheitszustand. Vinicius schmückte die Sänfte mit Anemonen und Irisblumen, weil Lygia diese vor allen anderen Blumen bevorzugte, und um sie an Aulus’ Haus zu erinnern. Mitunter sahen beide auf einem lauschigen Plätzchen und er-zählten sich von verflossenen Zeiten. Lygia sagte zu Vinicius, Christus habe ihn absichtlich über diesen qualvollen Weg geführt; dadurch sei seine Seele, sein Charakter geläutert worden. Vinicius fühlte, daß sie wahr sprach, daß in ihm nichts von dem früheren Patrizier war, dem nur der eigene Wille als Gesetz gegolten hatte. Beiden war es, als seien Jahre über sie hinweggegangen, als liege die schreckliche Vergangenheit weit, weit hinter ihnen. Ein nie gefühlter Herzensfriede war in ihnen eingekehrt. Der Cäsar mochte rasen und die Welt mit Schrecken erfüllen; sie wußten über sich einen Schutz, tausendmal mächtiger als Neros Gewalt, fühlten keine Furcht mehr vor seiner Wut und seiner Bosheit, gerade so, als ob er für sie aufgehört habe, Herr über Leben und Tod zu sein.

Die Kunde von der wunderbaren Befreiung Lygias verbreitete sich übrigens schnell unter den noch übriggebliebenen Christen; viele dieser Christen kamen jetzt, um die so wunderbar Errettete anzustaunen. Zuerst erschienen Nazarius und Miriam, bei denen der Apostel Petrus bisher versteckt gehalten wurde, dann andere. Alle Besucher, auch Vinicius, Lygia und die christlichen Sklaven des Petronius hörten mit Aufmerksamkeit die Erzählung des Ursus von der Stimme, die er in seinem Innern vernommen und der Aufforderung, mit der Bestie zu kämpfen. Sie gingen getröstet hinweg, die Hoffnung im Herzen, daß Christus die Seinen auf Erden nicht austilgen lassen werde bis zum Tage seiner Wiederkunft beim Gerichte.

Und dieses Vertrauen flößte ihnen Mut ein, denn die Verfolgung war noch nicht zu Ende. Die Stadtwache ließ jeden, der öffentlich als Christ bezeichnet wurde, sofort ins Gefängnis werfen. Allerdings verringerte sich die Zahl der Opfer, doch nur deshalb, weil die meisten schon ergriffen und gemartert worden waren. Die übriggebliebenen Christen hatten entweder Rom verlassen, um in entlegenen Provinzen das Ende des Sturmes abzuwarten, oder sich sorgfältig verborgen. Die verborgenen wagten nicht, sich zu gemeinsamem Gebet zu versammeln, außer in Sandgruben vor der Stadt. Der Circus war geschlossen, doch bewahrte man die gefangenen Christen für künftige Spiele auf oder strafte sie besonders ab. Obgleich niemand in Rom mehr glaubte, daß die Christen den Brand veranlaßt hätten, wurden sie doch als Feinde der Menschheit und des Staates erklärt und das Edikt gegen sie blieb in Kraft.

Der Apostel Petrus getraute sich lange nicht, im Hause des Petronius zu erscheinen, eines Abends jedoch zeigte Nazarius dessen Besuch an. Lygia, die nun soweit hergestellt war, daß sie allein zu gehen vermochte, und Vinicius eilten hinaus, ihn zu empfangen und seine Füße zu umfassen. Wenige Schäflein seiner Herde, über die Christus ihn gesetzt, und deren Geschick sein großes Herz betrübte, waren ihm geblieben; darum begrüßte er die beiden mit um so größerer Bewegung.

Als Vinicius zu ihm sprach: »Herr, um deinetwillen hat der Erlöser sie mir zurückgegeben!« antwortete er: »Um deines Glaubens willen gab er sie zurück, damit nicht jeder Mund schweige, der seinen Namen bekennt.« Vinicius und Lygia sahen wohl; wie schmerzerfüllt die Gestalt des Apostels aussah, und daß sein Haar vollständig weiß geworden. Der Anblick des durch Jahre, Arbeit und Sorge Gebeugten schmerzte ihre Herzen, Vinicius beabsichtigte, Lygia bald nach Neapel zu bringen, wo sie mit Pomponia zusammentreffen würden, und dann die Reise nach Sizilien fortzusetzen; er bat deshalb den Apostel, Rom mit ihnen zu verlassen.

Der Apostel legte seine Hand auf das Haupt des Tribuns und sagte:

«In meinem Innern höre ich die Worte des Herrn, die er am See Tiberias zu mir gesprochen: Als du noch jung warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt sein wirst, wirst du deine Hand ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. Darum ist es billig, daß ich bei meiner Herde bleibe.«

Dann wandte er sich nochmals zu ihnen, erhob seine zitternden Hände und segnete sie. Die beiden aber erwiesen ihm noch alle Liebe, wohl fühlend, daß dies der letzte Segen, den er ihnen erteile. Indes sollten sie ihn noch einmal sehen.

Nach einigen Tagen kam Petronius mit schrecklichen Nachrichten vom Palatin. Es war dort entdeckt worden, daß einer der Freigelassenen Neros ein Christ sei, bei ihm hatten sich Briefe des Apostels Petrus und Paulus, Briefe von Jakobus, Johannes und Judas gefunden, und Tigellinus wußte jetzt, daß die beiden Häupter des neuen Glaubens in Rom lebten. Der Cäsar hatte daher beschlossen, sie unter allen Umständen festzunehmen, sicher hoffend, damit die verhaßte Sekte bis zur letzten Wurzel auszurotten. Ganze Abteilungen Prätorianer wurden ausgesandt, um jedes Haus des Transtiber zu durchsuchen.

Vinicius beschloß, sofort den Apostel von der ihm drohenden Gefahr in Kenntnis zu setzen. Am Abend legten er und Ursus gallische Mäntel um, und sie begaben sich zu Miriams Haus, wo Petrus wohnte. Es befand sich an dem der Stadt zunächst gelegenen Teile des Transtiber, am Fuße des Janiculus.

Unterwegs sahen sie Soldaten, die im Begriffe waren, Häuser zu umstellen und unbekannte Personen wegzuführen. Das Viertel war in Unruhe, an manchen Stellen hatten sich Scharen Neugieriger gesammelt. Ursus und Vinicius waren den Soldaten voraus und kamen unbehelligt zu Miriams Haus, wo sich Petrus inmitten einiger Gläubigen befand. Auch Timotheus und Linus waren darunter.

Auf die Mitteilungen hin führte Nazarius alle auf einem verborgenen Pfade zur Gartentür und von da aus in verlassene Steinbrüche in einiger Entfernung vom Tore des Janiculus. Ursus trug Linus, dessen Beine durch die Marter gebrochen und noch nicht geheilt waren.

Im Steinbruch fühlten sie sich sicher. Beim Lichte einer von Nazarius entzündeten Fackel berieten sie, wie das ihnen so teure Leben des Apostels gerettet werden könne.

»Herr,« sagte Vinicius, »laß dich bei Tagesanbruch von Nazarius zu den Albaner Bergen führen; dort werde ich dich treffen! Wir nehmen dich dann nach Antium, wo für uns ein Schiff nach Neapel und Sizilien bereit ist. Gesegnet sei der Tag und die Stunde, wo du mein Haus betreten und es segnen wirst!«

Alle stimmten diesem Vorschlage zu. Sie drangen in den Apostel und sagten: »Verbirg dich, geheiligtes Haupt; bleibe nicht in Rom! Pflanze die Wahrheit fort, damit sie nicht zugrunde gehe mit uns und dir! Höre auf uns, wir bitten dich, unseren Vater!«

»Tu es in Christi Namen!« riefen andere und hängten sich dabei an ihn.

»Meine Kinder,« antwortete Petrus, »wer kennt den Zeitpunkt, den der Herr als Grenze meines Lebens gesetzt hat?«

Er zögerte, ihre Bitte zu erfüllen. In der letzten Zeit hatte sich eine gewisse Unsicherheit, ja Furcht in seine Seele geschlichen. Er sah seine Herde zerstreut, das Werk seines Lebens in den Staub getreten. Nichts war übrig geblieben als Tränen, als Erinnerung an Marter und Tod. Nero aber, schrecklicher und mächtiger denn je, verbreitete seinen Ruhm über die Erde, über Meere und Länder.

Dann hob der greise Fischer die Hände zum Himmel und fragte: »Herr, was soll ich tun? Wie soll ich handeln? Und wie soll ich, ein schwacher Greis, diese unbezwingbare Macht des Bösen bekämpfen und da den Sieg erringen?«

Er wußte sich keinen Rat. Durfte er diese Stadt verlassen, deren Boden das Blut zahlreicher Märtyrer getrunken, in der so viele durch ihren Tod für die Wahrheit Zeugnis abgelegt hatten? Sollte allein er nicht standhalten? Und was würde er dem Herrn erwidern auf die Worte: Diese sind für den Glauben gestorben, du aber flohst! Tage und Nächte hatte er in Angst und innerem Leiden verbracht. Andere, die von Löwen zerrissen, die an die Kreuze geschlagen oder in den Gärten des Cäsar verbrannt wurden, entschliefen nach kurzer Qual im Herrn. Er aber fand keine Ruhe und seufzte nach Erlösung. Er blickte auf die dreiunddreißig Jahre Arbeit zurück, die seit dem Tode des Meisters verflossen waren. Er hatte gekämpft und gebaut und fühlte, daß jetzt erst ein viel größerer Kampf entbrennen werde. War er nicht viel zu schwach dazu? Konnte er sich mit dem römischen Cäsar messen? Das konnte nur Christus!

Alle diese Gedanken gingen durch sein sorgenschweres Haupt, als er die Bitten des letzten Restes der Gläubigen hörte. Diese, sich immer dichter um ihn drängend, wiederholten mit flehender Stimme: »Verbirg dich, Rabbi! Führe uns weg aus der Gewalt des Tieres!«

Endlich wandte auch Linus sein zermartertes Haupt ihm zu. »O Herr,« sprach er, »der Erlöser befahl dir, seine Schafe zu weiden; aber sie sind nicht länger hier, ja morgen schon werden sie von dannen ziehen. Geh darum hin, wo du sie noch finden kannst! Das Wort Gottes wird noch gehört in Jerusalem, in Antiochia, in Ephesus und in anderen Städten. Zu was diente dein fernerer Aufenthalt in Rom? Wenn du fällst, so vermehrst du damit nur den Triumph des Tieres. Du bist der Fels, auf den die Kirche Gottes gebaut ist. Wir wollen sterben, aber mache du dem Antichrist den Sieg über den Statthalter Gottes nicht leichter und kehre nicht hierher zurück, bis der Herr den zermalmt hat, der unschuldiges Blut vergoß!«

»Sieh unsere Tränen!« wiederholten alle Anwesenden.

Tränen überflossen auch das Gesicht des Petrus. Nach einer Weile erhob er sich, breitete seine Hände über die Knienden aus und sprach: »Der Name des Herrn sei gebenedeit! Sein Wille geschehe!«

55.

Inhaltsverzeichnis

Vier bithynische Sklaven trugen Lygia behutsam in das Haus des Petronius. Ursus und Vinicius schritten nebenher und beeilten sich, die Kranke möglichst schnell in die Hände des griechischen Arztes zu übergeben. Sie sprachen unterwegs nichts; sie waren nach den letzten Vorgängen dazu nicht fähig, Vinicius war von allem Vorgefallenen noch wie betäubt, von Zeit zu Zeit blickte er in die offene Sänfte, um das geliebte Antlitz beim Mondschein zu betrachten. »Das ist sie!« sagte er dann; »Christus hat sie befreit!« Er fühlte sich schwach und stützte sich auf den Arm des Ursus; dieser wieder blickte nach den Sternen und betete.

Erst kurz vor des Petronius Haus beendete Ursus sein Gebet und sprach leise, als fürchte er Lygia zu wecken: »Der Herr, unser Erlöser, hat sie vom Tode befreit. Als ich sie auf den Hörnern des Auerochsen sah, hörte ich eine Stimme: Verteidige sie! und das war unzweifelhaft die stimme des Lammes. Im Kerker habe ich viel von meiner Kraft eingebüßt, aber Er gab die Kraft in jenem Augenblicke mir wieder – von Ihm hat das Volk die Eingebung, sich für sie zu verwenden. Sein Wille geschehe!« Sie waren angelangt; die durch einen besonderen Boten benachrichtigte Dienerschaft strömte ihnen zur Begrüßung entgegen. Paulus hatte in Antium viele von den Sklaven bekehrt, sie waren über das Unglück des Vinicius unterrichtet, daher war ihre Freude groß, als sie die der Wut Neros entrissenen Opfer sahen, und sie steigerte sich noch mehr, als der Arzt Theokles nach der Untersuchung Lygias erklärte, daß sie, sobald das Fieber der Gefängnismauern sie verlassen, sich schnell erholen werde. Das Bewußtsein kehrte noch in derselben Nacht zurück. Als sie erwachte und sich in dem herrlichen Cubiculum sah, umgeben von korinthischen Lampen, Verbena-und Nardenduft atmend, wußte sie nicht, wo sie sich befinde. Das Bewußtsein hatte sie in dem Augenblicke verlassen, als sie an die Hörner des gefesselten Stieres gebunden wurde. Jetzt, da sie das Antlitz des Vinicius erblickte, beleuchtet von einem lieblichen bunten Lichte, glaubte sie nicht mehr auf der Erde zu sein. Vinicius kniete neben ihr nieder, legte die Hand leicht auf ihre Stirn und sagte: »Christus hat dich gerettet und dich mir wiedergegeben!«

Ihre Lippen bewegten sich wieder, doch bald fielen ihr die Augen zu, ihre Brust hob sich zu einem leichten Seufzer, und dann verfiel sie in einen tiefen Schlaf.

Vinicius kniete neben dem Lager und betete zu Christus, dem er jetzt alles dankte. Seine Seele war so in Liebe aufgegangen, daß er sich selbst völlig vergaß. Er sah und hörte nicht, was um ihn vorging, sein Herz war nur Danksagung, nur opferbereite Liebe, seine Wonne so groß, daß er, obwohl noch lebend, halb im Himmel war.

57.

Inhaltsverzeichnis

Beim nächsten Morgengrauen schritten zwei dunkle Gestalten auf der Via Appia der Campania zu. Es waren dies Nazarius, der Sohn der Miriam, und der Apostel Petrus, der Rom und seine Glaubensbrüder verließ.

Die Nebelschleier zerrissen, und die weite Campania mit den darauf zerstreuten Häusern und Grabmälern und mit den vereinzelten Baumgruppen, in deren Tautropfen die aufgehende Sonne sich spiegelte, wurde sichtbar.

Auf dem Wege war kein Mensch zu sehen. Die Landleute, welche Sommergetreide und Gartenerzeugnisse nach der Stadt fuhren, sah man noch nicht. Die Steinfliesen, mit denen der Weg bis ins Gebirge ausgelegt war, hallten wider von dem Klappern der Holzschuhe, welche die beiden Wanderer an den Füßen trugen.

Es schien dem Apostel, als ob der aufgehende goldene Sonnenball, anstatt höher und höher zu steigen, vom Gebirge abwärts und den Weg entlang rolle. Er hielt den Schritt an und fragte: »Siehst du das Licht, das auf uns zukommt?«

»Ich sehe nichts!« entgegnete Nazarius.

Doch Petrus bedeckte nach einer Weile die Augen mit der Hand und sprach:

»Eine Gestalt naht uns im Sonnenglanze!«

Es war nicht das leiseste Geräusch nahender Schritte vernehmbar. Nazarius sah nur die Bäume in der Ferne beben, als würden sie geschüttelt, und gewahrte staunend einen sich immer weiter über die Ebene verbreitenden Lichtschein. Er sah den Apostel verwundert an.

»Was ist dir, Rabbi?« fragte er unruhig.

Den Händen des Apostels war der Reisestab entfallen, und er starrte mit halbgeöffneten Lippen unbeweglich vor sich hin; auf seinen Mienen wechselten Erstaunen, Freude und Begeisterung. Plötzlich warf er sich auf die Knie, streckte die Arme aus und rief:

»Christus! Christus!«

Und er warf sich zur Erde nieder, als ob er jemandes Füße küßte.

Lange verharrte er so stillschweigend, dann vernahm man die von Schluchzen unterbrochene Stimme des Greises:

»Domine, quo vadis?«

Nazarius vernahm keine Antwort, Petrus aber hörte eine traurige, sanfte Stimme:

»Weil du mein Volk verlassest, so gehe ich nach Rom, um mich zum zweiten Male kreuzigen zu lassen!«

Das Antlitz im Staube, lag der Apostel lange sprach-und regungslos. Nazarius fing schon an zu fürchten, daß der Greis ohnmächtig oder gar tot sei. Doch raffte er sich plötzlich auf, erhob sich, griff mit zitternden Händen nach dem Pilgerstabe und wandte sich, ohne ein Wort zu reden, wieder der Siebenhügelstadt zu.

Der Knabe, dies erblickend, fragte wie ein Echo: »Quo vadis, Domine?«

»Nach Rom,« versetzte der Apostel.

Und er kehrte zurück.

Paulus, Johannes und Linus wie auch die übrigen Gläubigen empfingen ihn verwundert und erschrocken, denn bald nach seinem Weggange, im ersten Morgengrauen, hatten Prätorianer das Haus der Miriam umringt und den Apostel darin gesucht. Doch er antwortete auf alle Fragen nur:

»Ich habe den Herrn gesehen!«

Noch an demselben Abend begab er sich nach dem Ostranium, um dort zu lehren und zu taufen. Täglich ging er dahin. Es schien, als ob jedes Wort, jede Träne Tausende Bekenner erzeugte. Der Kaiser badete sich förmlich in Blut, Rom und die ganze heidnische Welt raste. Alle Bedrängten und Leidenden suchten und fanden Trost in der Lehre an den Gott, der aus Liebe zu den Menschen starb, um sie zu erlösen.

Petrus aber begriff jetzt, daß weder der Kaiser noch seine Legionen den wahren Glauben würden vernichten können. Er verstand jetzt, weshalb ihn der Herr von seinem Vorhaben, Rom zu verlassen, ablenkte. Diese Stadt des Stolzes, der Verbrechen, der Zügellosigkeit und der Macht fing an, seine Stadt zu werden – eine zweifache Residenz, aus der die Macht und das geistige Leben strömte.

58.

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Doch die Stunde für die beiden Apostel war gekommen.

Um gleichsam das ihm aufgetragene Werk zu krönen, sollte der Fischer des Herrn sogar im Gefängnis noch zwei Seelen gewinnen. Die Soldaten Prozessus und Martinianus, die ihn bewachten, empfingen durch ihn die Taufe. Der Augenblick der Marter nahte. Nero war gerade nicht in Rom. Das Urteil war von Helios und Polythetes gefällt worden, zwei Freigelassenen, denen der Cäsar während seiner Abwesenheit von Rom die Regierung der Stadt anvertraut hatte.

Über den bejahrten Apostel hatte man die vom Gesetze vorgeschriebenen Rutenstreiche verhängt, den folgenden Tag sollte er aus den Stadtmauern nach dem Vatikanischen Hügel geführt werden, um dort den Kreuzestod zu erleiden. Die Soldaten staunten über die vor dem Gefängnis versammelte Menge, denn nach ihrem Dafürhalten konnte der Tod eines gewöhnlichen Mannes, und noch dazu eines Fremden, kein großes Interesse erregen. Sie wußten nicht, daß die Menge nicht aus Neugierigen, sondern aus Bekennern bestand, denen es eine Herzensangelegenheit war, den großen Apostel auf den Hinrichtungsplatz zu begleiten.

Am Nachmittag öffneten sich die Gefängnistore, und Petrus erschien, von einer Abteilung Prätorianer umgeben. Die Sonne hatte sich schon etwas gegen Ostia geneigt, der Tag war schön, kein Lüftchen regte sich. Wegen seines Alters ließ man Petrus das Kreuz nicht selber tragen. Er war fessellos, damit er nicht zu langsam gehe. Er ging ohne Hindernis, und die Gläubigen konnten ihn gut sehen. Als sich sein weißes Haupt zwischen den eisernen Helmen der Soldaten zeigte, hörte man leises Aufschluchzen, das jedoch sofort wieder unterdrückt wurde, denn auf dem Antlitz des Greises lag so große Ruhe, glänzte eine solche Freudigkeit, daß alle begriffen, er sei nicht ein dem Tode geweihtes Opfer, sondern ein triumphierender Sieger. Und in der Tat: dieser demütige, gebückt einhergehende Fischer schritt jetzt aufrecht, voll Würde, schien höher als die Soldaten. Nie hatte aus seinem Wesen eine solche Majestät gesprochen. Er glich einem von Volk und Soldaten geleiteten Monarchen. Von allen Seiten hörte man Stimmen: »Dort ist Petrus, der zum Herrn geht!« Alle vergaßen, daß ja Marter und Tod seiner warteten. Mit feierlicher Ruhe, gesammelten Geistes wandelte er seinen Weg, im Bewußtsein, daß sich seit dem Kreuzestode auf Golgatha ein ähnlich bedeutungsvolles Geschehnis nicht mehr ereignet habe, denn wie jener Tod die Welt, so sollte dieser Rom erlösen.

Petrus sah die betende Menge, die ihn begleitete, und eine tiefe Freude verklärte sein Gesicht. Er fühlte, daß er sein Werk vollendet habe, daß diese weltbeherrschende Stadt für Christus erobert war. Als er an den Tempeln vorüberkam, sagte er: »Ihr werdet Tempel Christi werden!« Zu der Volksmenge sprach er: »Eure Kinder werden Diener Christi werden!«

So ging er dahin in dem Bewußtsein, erobert zu haben, im Bewußtsein seiner Arbeit, seiner Kraft, getröstet, groß. Die Soldaten führten ihn über den Pons Triumphalis, als wollten sie unwillkürlich seinem Siege Zeugnis geben, und weiter gegen die Naumachia und den Circus Neros.

Die Christen aus dem Stadtteil jenseits des Tiber schlossen sich dem Zuge an. Es sammelten sich solche Volksmassen, daß es dem die Prätorianer befehligenden Centurio allgemach offenbar wurde, er führe einen von seinen Gläubigen umgebenen Hohenpriester, und er beunruhigte sich wegen der kleinen Zahl seiner Soldaten. Aber kein Ruf des Zornes oder der Wut ließ sich in der Menge hören. Die Gesichter zeigten, wie sehr sie alle von der Größe des Augenblicks durchdrungen waren; man las darauf Feierlichkeit und Erwartung.

Zwischen dem Circus Neros und dem vatikanischen Hügel hielt der Zug still. Einige der Söldner machten sich daran, ein Loch in die Erde zu graben; andere legten das Kreuz, Hammer und Nägel zurecht und warteten, bis alle Vorkehrungen getroffen sein würden. Die Menge aber, ruhig und feierlich wie zuvor, kniete im Kreise umher.

Von dem Glanze der Sonne umstrahlt, stand Petrus hochaufgerichtet inmitten der Söldner und schaute mit Blicken des Siegers auf die Stadt, auf sein Erbe. Durch mich bist du frei geworden! sagte er sich. Keiner aber von denen, die um ihn versammelt waren, von den Söldnern, welche das Loch für das Kreuz gruben, bis zu den Glaubensbrüdern, ahnte, daß sich unter ihnen die wahre Herrschaft befand, daß die Cäsaren dahingehen, die Barbaren gleich einer Sturmflut verschwinden mochten, daß aber jener Greis in alle Ewigkeit seine Macht behaupten werde.

Die Sonne neigte ihrem Untergange zu; der ganze westliche Himmel schien in dunkle Glut getaucht. Jetzt näherten sich die Söldner dem Apostel, um ihn zu entkleiden.

Plötzlich richtete er sich auf im Gebete und hob seine Rechte hoch empor. Die Schergen, wie eingeschüchtert von dieser Haltung, standen unbeweglich, die Gläubigen hielten den Atem an, in der Meinung, er wolle etwas sagen. Eine tiefe Stille trat ein. Er aber, auf dieser Höhe stehend, machte mit der ausgestreckten Hand das Zeichen des Kreuzes und segnete in der Stunde seines Todes die Stadt und den Erdkreis: urbem et orbem.

Am gleichen wundervollen Abend führte eine andere Abteilung Söldner Paulus von Tarsos auf der Via Ostiensis zum Platze Aquae Silviae. Auch hinter ihm schritt eine Menge solcher, die er bekehrt hatte. Sah er nähere Bekannte, so hielt er an und sprach mit ihnen, denn gegen römische Bürger wagten die Wachen nicht allzu streng vorzugehen.

Vor der Porta Trigemina traf er Plautilla, die Tochter des Präfekten Flavius Sabinus. Beim Anblick ihres tränenbedeckten jugendlichen Gesichtes sprach er:

»Plautilla, Tochter des ewigen Heiles, geh in Frieden! Gib mir nur noch dein Tuch, meine Augen zu verbinden, wenn ich zum Herrn gehe!« Und nachdem er das Tuch in Empfang genommen hatte, schritt er mit strahlendem Antlitz weiter, wie ein Landmann, der nach wohlvollbrachtem Tagewerk nach Hause zurückkehrt.

Wie in der Seele des Apostels Petrus, walteten auch in seiner Seele Friede und Ruhe. Gedankenvoll glitt sein Auge über die sich vor ihm ausdehnende Ebene und die in Licht getauchten Albaner Berge. Er gedachte seiner Reisen, seiner Mühseligkeiten, seiner Arbeit, seiner Siege, der Kirchen, die er in allen Landen und über allen Meeren gegründet hatte; er glaubte, daß er sein Werk vollendet habe. Es tröstete ihn das Bewußtsein, daß der Same, den er ausgestreut, vom Winde der Bosheit nicht verweht werden konnte. Der Friede senkte sich in seine Seele; verließ er doch die Welt in dem Bewußtsein, daß die von ihm verkündete Wahrheit im Kampfe gegen die Welt siegen werde.

Der Weg zum Richtplatze war weit; es wurde Abend. Die Berge überzogen sich mit Purpur, und allmählich umhüllten Schatten ihren Fuß. Die Herden kehrten heim. Da und dort sah man einzelne Gruppen von Sklaven dahinschreiten, Arbeitsgeräte auf den Schultern. Die vor den Häusern spielenden Kinder blickten neugierig auf die vorüberziehenden Soldaten. Die Soldaten verließen jetzt die Hauptstraße und wandten sich auf einem engen Pfade östlich zu den Aquae Silviae. Die rötliche Sonne war bis zum Gesträuch herabgesunken. Bei den Brunnen ließ der Centurio die Soldaten halten. Der ernste Augenblick war gekommen.

Paulus legte Plautillas Tuch auf seinen Arm, weil er sich die Augen damit verbinden wollte; zum letztenmal erhob er sie mit dem Ausdrucke unaussprechlichen Friedens gegen das Firmament und betete. Ja, seine Stunde war gekommen. Doch ihn dünkte, er sähe inmitten der Abendröte eine breite Lichtbahn vor sich, die zum Himmel führte, und seine Seele sprach dieselben Worte, die er im Gefühle seiner treu geleisteten Dienste und seines nahen Endes geschrieben hatte: »Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt; im übrigen ist mir die Krone hinterlegt, die mir an jenem Tage geben wird der Herr, der gerechte Richter.«

59.

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In Rom raste man immer weiter. Es schien, als ob die Stadt, welche die ganze Welt unterjocht hatte, sich nun selbst aufreiben wollte. Noch kurz vor der Todesstunde der Apostel brach die Verschwörung des Piso aus. Unerbittlich raffte der Tod die Verschwörer hin; Piso wurde hingerichtet, die höchsten Würdenträger niedergemacht. Selbst jene, die gewohnt waren, in Nero eine Gottheit zu sehen, fürchteten ihn nunmehr als eine Gottheit des Todes. Trauer und Schrecken wohnten in Häusern und Herzen; doch die Türen waren mit Efeu und Blumen bekränzt, weil es verboten war, Tote zu betrauern. Eine solche Angst hatte sich schließlich der Leute bemächtigt, daß sie sich beim Erwachen täglich fragten, an wen heute die Reihe kommen werde. Ein Zug von Gespenstern bezeichnete die Wege des Wüterichs. Nach der Hinrichtung des Piso folgten Seneka und Lukanus, Fenius Rufus und Plautius Lateranus, dann Flavius Scaevinus, Afranius Quenetianius, der zügellose Freund des kaiserlichen Wahnsinns, Tullius Senicio; dann Proculus, Araricus und Tugurinus, Gratus, Silanus, Proximus, der dem Kaiser mit Leib und Seele zugetan gewesene Subrius Flavius und Sulpicius Asper. Die einen richtete die eigene Schlechtigkeit zugrunde, die anderen die Furcht, diese ihr Reichtum, jene die Tapferkeit. Die Stadt war von Soldaten eingeschlossen und befand sich gewissermaßen im Belagerungszustande, Tag für Tag stellten die Centurionen Todesurteile zu. Die Verurteilten erniedrigten sich durch Schmeichelbriefe, worin sie Nero für das Urteil noch dankten und ihm einen Teil ihres Vermögens vermachten, damit der Rest den Kindern verbleibe. Es schien geradezu, als wolle Nero sich überzeugen, bis zu welcher Stufe die Römer gesunken, wie lange sie seine blutige Herrschaft zu tragen gewillt seien. Nach den Verschwörern wurden ihre Verwandten hingerichtet, dann ihre Freunde, ja selbst bloße Bekannte, nicht einmal die Verwandten des Kaisers wurden geschont, Pompejus Cornelius Martialis, Flavius Nepos und Statius Domitius wurden verurteilt, weil sie angeblich den Kaiser nicht liebten, Novius Priscus, weil er ein Freund Senekas war, Rufius Crispus, weil er ehemals Poppäas Gemahl war. Den großen Traseas vernichtete die Tugend, viele andere vernichtete ihre edle Gesinnung, selbst Poppäa wurde das Opfer eines Wutausbruches des Cäsar.

Der Senat kroch vor dem schrecklichen Kaiser, errichtete ihm zu Ehren einen Tempel, tat Gelübde für seine Stimme, opferte seiner Macht, bekränzte seine Standbilder und stellte für ihn besondere Priester an, wie für einen Gott. Die Senatoren gingen nur noch mit Zittern auf den Palatin, um dort die Gesänge des Periodonikes zu loben, die verrücktesten Orgien zu feiern.

In den Tälern aber und auf dem Lande war es still, und aus dem mit Blut und Tränen befruchteten Boden wuchs die Saat des Petrus immer mehr heran.

60.

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Petronius hatte sich auf Befehl des Kaisers mit anderen Augustianern nach Cumae begeben. Sein langjähriger Kampf mit Tigellinus ging dem Ende entgegen, Petronius wußte bereits, daß er unterliegen müsse. Der arbiter elegantiarum hatte den Neid des Kaisers erregt, der sich immer mehr in der Rolle eines Komödianten und Wagenlenkers gefiel. Wenn Petronius schwieg, so hörte Nero aus dem Schweigen einen Tadel, wenn er lobte, so hörte er aus dem Lobe den Hohn heraus. Der glänzende Patrizier war ihm jetzt im Wege. Seine Reichtümer und Kunstschätze begehrten Nero und der allgewaltige Minister. Nur wegen der Reise nach Griechenland hatte Nero den ehemaligen Günstling bisher noch verschont, als aber Tigellinus den Kaiser zu überzeugen verstand, daß Karinas den Petronius an Gelehrsamkeit und Geschmack noch übertreffe, war dieser verloren. Zwar wagte man nicht, ihm sein Todesurteil in Rom zuzustellen, da man seine Beliebtheit beim Volke und bei den Prätorianern sowie seine eigene Energie fürchtete, denn man erinnerte sich, daß der anscheinend so verweichlichte Schöngeist als Konsul in Bithynien erstaunliche Geistesgegenwart und organisatorisches Talent bewiesen hatte. Deshalb lud man ihn mit anderen Augustianern nach Cumae. Obwohl er wußte, weshalb dies geschah, kam er dennoch der Aufforderung nach, da er nicht mit offener Gewalt vorgehen, dem Cäsar und dem Tigellinus aber zeigen wollte, wie wenig er sich vor dem Tode fürchte.