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Ueber dem Teich, hoch im blauen Frühlingshimmel, hing lange und unbeweglich ein dunkler Punkt. Das blanke Gewässer wimmelte von Fischen; es lag immer so einsam, und wehrlos da, und die alten, nahe an seinen Spiegel gerückten Baumriesen konnten auch nicht helfen, wenn der graugefiederte Dieb, jäh aus den Lüften herabstürzend, nach Herzenslust das silberschuppige Leben im Wasser würgte. Heute nun traute er sich nicht herab, denn es waren Menschen da, große und kleine, und die kleinen schrieen und jubelten so ungebärdig und warfen im kindischen Vermessen ihre bunten Bälle nach ihm; rastende Pferde wieherten und stampften das Ufergeröll, und durch die Baumwipfel quollen Rauchwolken und fuhren mit zuckenden Armen gen Himmel. Menschenlärm und Rauch – das war nichts für den heimtückisch hereinbrechenden Räuber, nichts für den Segler des kristallenen Aethers; mißmutig zog der Reiher immer weitere Kreise und verschwand zuletzt unter einem gellenden Kinderhurra so spurlos, als sei sein gewichtiger Körper zerblasen und zerstoben.

Am linken Ufer des Teiches lag ein Fischerdörfchen – acht zerstreut umherstehende Häuser, beschattet von vielhundertjährigen Linden, und so niedrig, daß die Strohdächer gerade zwischen den unteren Baumästen auftauchten. Mit ihren Hamen und Netzen an den Wänden, den schmalen Holzbänkchen neben der Thür, und an der Südseite flankiert von Weißdorn und Heckenrosen, hoben sie sich zierlich vom weißen Uferrande. An wuchtige ostfriesische Fischergestalten durfte man dabei freilich nicht denken; auch war es gut, daß der ungeheure Park mit seinen beträchtlichen Waldstrecken die dahinterliegende Residenz vollkommen verdeckte – man glaubte an ländliches Leben und Treiben, bis eine der schmalen Hausthüren aufging.

Hätte der deutsche Fürst gewußt, daß das harmlose Klein-Trianon der glänzenden Königin von Frankreich schließlich den Kopf kosten sollte, so wäre das Fischerdörfchen sicher nie gebaut worden; aber er war nicht prophetischen Geistes gewesen, und so stand die anmutige Nachbildung seit beinahe hundert Jahren am Parkteich – die primitivste Idylle von außen, und im Innern das verwöhnteste Menschenkind umschmeicheln. Der Fuß, an dem der Uferkies hing, trat direkt auf schwellende Teppiche; dicke Seidenstoffe glänzten auf den Polstermöbeln und drapierten die Wände, da und dort unter breiten Spiegelflächen verschwindend. Wenn draußen auch bis zur glücklichen Täuschung mit Armut und Einfachheit kokettiert wurde, an weißgescheuerten Tischen mochte man doch nicht essen, noch weniger aber auf harten Holzbänken vom süßen Spiel ausruhen.

Das Fürstenhaus, dessen einem Sproß das Fischerdörfchen sein Dasein verdankte, hielt seit alten Zeiten fest an dem Brauch, nach welchem jeder Thronerbe in seinem achten Lebensjahre eine Linde pflanzen mußte. Der Wiesengrund am linken Teichufer, das Maienfest genannt, war so zu einer historischen Merkwürdigkeit, zu einer Art Ahnentafel geworden. Selten war wohl einer der gefürsteten Bäume eingegangen – das Maienfest hatte wahre Prachtexemplare aufzuweisen; uralte Recken im eisgrauen Panzer, hielten sie den mächtigen grünen Schild himmelstürmend empor und schützten die Nachgekommenen und die Schwächlinge, denn die waren auch da, trotz der empfangenen Weihe – die Natur läßt sich eben kein Wappen aufnötigen.

Heute, im Monat Mai, war der wichtige Akt für den Erbprinzen Friedrich gekommen. Selbstverständlich feierten der Hof und die loyale Residenz den Tag in der durch das alte Hausgesetz vorgeschriebenen Weise. Sämtliche Kinder der Hoffähigen waren eingeladen; die minder Glücklichen aber, die über keine fünf-und siebenzinkige Krone zu verfügen hatten, fuhren mit ihren Eltern hinaus, zuzusehen, wie ein wirklicher Prinz den Spaten handhabe. Hinter der Wagenburg trieb sich eine Menge Volks auf Weg und Steg herum, und die wilde Jugend hockte auf den Bäumen, unbestritten den vorteilhaftesten Observationsposten.

Das Fest war auch ein zwiefaches. Vor achtzehn Monaten war der Vater des Erbprinzen, der Landesherr, gestorben, und mit dem heutigen Tage erst hatte die schöne Herzogin-Witwe die ungewöhnlich lange festgehaltene tiefe Trauer abgelegt.

Dort stand sie, neben dem bereits gepflanzten Lindenstämmchen. Nicht einen Augenblick blieb man im Zweifel, daß sie die Höchstgebietende sei. Sie war schneeweiß gekleidet; nur im Gürtel hing ihr eine blasse Heckenrose und von dem roten Futter des kleinen Sonnenschirms, mit welchem sie das unbedeckte Haupt beschattete, fiel ein leichter Rosaschein über das Gesicht, über ein feines, sehr kurzes Näschen und üppig geschwungene, wenn auch nur schwach gefärbte Lippen. Die auffallend unregelmäßigen Linien unter mähnenartig sich aufbäumenden schwarzem Haar, der Schatten, der sich zart bläulich um die Augen legte, und jener wachsweiße, unbelebte Teint, bei welchem wir gleichwohl unwillkürlich an große innere Leidenschaftlichkeit denken müsse, verliehen dem Gesicht den Typus der spanischen Kreolin, wenn auch sicher nicht ein Tropfen Blutes jener Rasse durch die Adern der deutschen Fürstin lief.

Sie verfolgte den kreisenden Reiher mit derselben Aufmerksamkeit, wie die Kinderschar, die bei seinem Verschwinden in das jubelnde Hurra ausbrach.

»Du hast wieder nicht mitgeschrieen, Gabriel,« sagte zornig ein kleiner Knabe zu einem größeren, neben ihm stehenden, dessen einfacher, weißer Leinenanzug inmitten der elegant gekleideten Kinder seltsam auffiel.

Der Angeredete schwieg und seine Augen suchten den Boden; das versetzte den Kleinen in Wut.

»Schämst du dich denn gar nicht vor den anderen, elender Junge? … Auf der Stelle schreist du Hurra! Wir rufen auch mit!« befahl und ermutigte er zugleich.

Der weißgekleidete Knabe wandte angstvoll das Gesicht weg. Er machte Miene, seinen Platz zu verlassen - da hob der Kleine blitzschnell seine Gerte und schlug ihn in das Gesicht.

Die Kinder stoben auseinander – einen Augenblick stand die kleine zornbebende Gestalt allein – ein ideal-schönes Kind in elegantem grünen Samtanzuge, mit prächtigen braunen Locken, ein Bild der Kraft und Vornehmheit; der Erbprinz und sein Bruder samt ihrem kindlichen Gefolge konnten sich mit ihm nicht messen.

Seine Erzieherin kam bleich und erschrocken herbei, aber schon hatte die Herzogin die kleine geballte Hand ergriffen.

»Das war nicht hübsch, Leo,« sagte sie; allein in ihrer Stimme klang kein strafendes Zürnen mit, weit eher eine tiefe Zärtlichkeit.

Der Kleine riß seine Hand ungestüm aus den samtweichen, schmeichelnden Fingern; mit einem scheuen Seitenblicke nach dem Gezüchtigten, der sich eben entfernte, drehte er sich auf dem Absatze herum. »Ach was,« grollte er, »es geschieht ihm ganz recht! Papa kann ihn auch nicht leiden – er sagt immer: ›Diese Memme erschrickt vor ihrer eigenen Stimme.‹«

»Wohl, mein kleiner Trotzkopf; weshalb aber bestehst du dann darauf, daß dieser Gabriel dich stets begleite?« fragte lächelnd die Herzogin.

»Weil – nun, weil ich’s eben so haben will.«

Mit diesem trotzigen Worten warf er seinen Lockenkopf zurück, wandte der Gesellschaft den Rücken, als existiere sie nicht, und verschwand hinter einem der Häuser. Auf weitem Umwege suchte er die dickstämmige Linde zu erreichen, hinter welche sich der Geschlagene zurückgezogen hatte.

Einsam lehnte die weiße Gestalt an dem Baume. Es war ein Knabe von vielleicht dreizehn Jahren, ein tiefmelancholisches Gesicht über feingebauten, geschmeidigen, aber wenig muskelstarken Gliedern. Er hatte sein Taschentuch in das Teichwasser getaucht und drückte es kühlend gegen die linke Wange, während seine zarten Lippen nervös aufzuckten, vielleicht weniger unter dem Schmerze, den ihm der Schlag verursacht, als infolge der inneren Aufregung.

Der kleine Leo umkreiste ihn mehrere Male, wobei er mit seiner Gerte wild in der Luft fuchtelte.

»Thut es s e h r weh?« fragte er plötzlich hart und kurz mit finster gefalteten Brauen und stampfte dem kleinen kräftigen Fuß auf. Gabriel hatte das Tuch weggenommen, um es abermals in das Wasser zu tauchen – ein feurig roter, quer über die Wange laufender Striemen war sichtbar geworden.

»Ach nein,« antwortete der Knabe mit sanfter, unbeschreiblich wohllautender Stimme, »es brennt nur noch ein wenig.«

Im Nu flog die Gerte auf den Boden; mit einem herzzerreißenden Aufschrei schlang der Kleine seine Arme um den Geschlagenen – man hörte seine Zähne aneinanderknirschen.

»Ich bin ein zu schlechter Junge!« stieß er hervor. »Dort liegt meine Gerte, Gabriel; nimm sie und schlage mich auch!«

Die anderen Kinder begafften mit offenem Munde diesen unvorhergesehenen Ausbruch einer tiefen, schmerzlichen Reue. Auch die Herzogin stand in der Nähe; eine seltsame Empfindung mochte sie überwältigen – wie hingerissen zog sie ungestüm das Kind an ihr Herz und bedeckte sein schönes Gesicht mit Küssen.

»Raoul!« flüsterte sie – wie ein Hauch kam der Name von ihren Lippen.

»Ach dummes Zeug!« murrte der Kleine, derb und kräftig sich loswindend. »Raoul heißt ja mein Papa!«

Die marmorweißen Wangen der fürstlichen Frau erröteten in tiefer Glut; sie fuhr empor und blieb einen Moment unbeweglich stehen; dann wandte sie langsam den Kopf und warf einen scheuen, unsichern Blick hinter sich – die Damen, die nahe gestanden, waren unter der Thür des nächsten Häuschens verschwunden.

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»Liane, da sieh her! Raouls Brautgeschenk! – Sechstausend Thaler wert!« rief die Gräfin Trachenberg in das Zimmer herein – dann rauschte die über die Schwelle.

Der Salon, in welchen sie trat, lag parterre in einem Seitenflügel des stolzen Schlosses. Seine ganze Vorderseite sah aus wie eine riesige, hier und da von feinem Bleigeäder und sehr schmalen Thürpfeilern unterbrochene Glasscheibe, welche einzig und allein das Fußgetäfel des Zimmers von der draußen in grandiosem Stil sich hinbreitenden Terrasse schied. Ueber das Terrassengeländer hinaus sah man auf breite Rasenflächen, durchschnitten von Kieswegen, deren Kreuzpunkte weiße Marmorgruppen bezeichneten. Dieses elegante Parterre umschloß ein Gehölz, scheinbar undurchdringlich wie ein Wald und gerade der Mittelthür des Salons gegenüber von einer schnurgeraden, fast endlos tiefen Allee durchlaufen, welche ein hochaufspringender, im Maienlicht funkelnder Wasserstrahl vor dem fernen blauduftigen Höhenzug abschloß.

Das Ganze – Schloß und Garten – war ein Meisterstück in altfranzösischem Geschmack; aber ach – aus dem Steingefüge der Terrasse stiegen keck und verwegen ganze Schwärme gelber Mauerblümchen, und die unvergleichlich schön modellierten Rasenflächen sträubten sich in despektierlich wuchernden Unkrautbüschen und fingen an, in die Wege auszulaufen; die breite Kiesbahn der Allee aber deckte bereits das intensivste Smaragdgrün … Und auf was alles mußten erst die prachtvollen Stuckfiguren des Plafonds im Gartensalon niedersehen! … Sie waren abscheulich blind und wackelig, diese Rokokomöbel an den Wänden; sie waren vor langen Zeiten als unmodern aus den brillanten Schloßräumen verstoßen worden und hatten alle Stadien der Demütigung durchlaufen müssen bis in die Stallknechtstuben hinab, wo sie dem Sand und Strohwisch verfielen und abgescheuert wurden … Nun standen sie wieder da auf dem Parkett, hohnlächelnde Zeugen der unerbittlichen Konsequenzen eines herausgeforderten Schicksals. Alle die Prachtmöbel, die sie einst verdrängt, die kostbaren Spitzengardinen, die Bilder, Uhren, Spiegel, die nach ihnen gekommen, waren dem Hammer verfallen – sie wanderten hinaus nach allen vier Winden, und nur das alte verachtete Gerümpel durfte bleiben und wurde ängstlich reklamiert; denn es gehörte zum Fideikommiß und durfte nicht verkauft werden, als – die Sequestration über sämtliche Güter des Grafen Trachenberg verhängt wurde. Das war vor vier Jahren geschehen – »ein schmachvolles Zeichen der ruchlosesten Zeit, ein empörender Sieg des Kapitals über das Ideale, den ein gerechter Himmel nie hätte zugeben sollen,« sagte die Gräfin Trachenberg immer.

Inmitten des Gartensalons stand eine lange eichene Tafel, an deren einem Ende eine Dame von auffallender Häßlichkeit saß. Fast schreckerregend wirkte der große Kopf mit dem starren, entschieden roten Haar und der vollkommensten Negerphysiognomie unter der zwar zarten, weißen, aber mit Sommersprossen bedeckten Haut. Nur die Hände, die so emsig arbeiteten, waren von leuchtender Schönheit, wie Marmorgebilde. Sie drehte einen blauen Syringenzweig zwischen den Fingerspitzen – man meinte, der Duft müsse von der Blütendolde fliegen und das Zimmer erfüllen, so frisch gebrochen schwankte sie am Stengel; aber dieser Stengel wurde eben mit einem feinen, grünen Papierstreifen umwickelt – es war eine künstliche Blume.

Beim Eintritt der Gräfin Trachenberg fuhr die Dame erschrocken zusammen; die Blume flog auf die Werkzeuge, und mit eiligen Händen wurde ein weißes Tuch über die Zeugen der Arbeit geworfen.

»Ach – die Mama!« stieß ein junges Mädchen halb murmelnd heraus. Es stand am anderen Ende der Tafel, mit dem Rücken zur Thür. Ueber diesen Rücken hinab fiel es im flammenden Schein wie ein Mantel – die junge Dame hatte das Haar bis an den Scheitel aufgelöst; gleichmäßig, ohne sich in einzelne Strähnen zu teilen, hing das unglaublich reiche, stark rötliche Blond seine glänzenden Spitzen bis auf den Saum des hellen Musselinkleides.

Bei diesem Anblick hemmte die Gräfin einen Moment ihre Schritte.

»Weshalb so derangiert?« fragte sie kurz, nach dem aufgeflochtenen Haar deutend.

»Ich habe heftige Kopfschmerzen mit heimgebracht, liebe Mama, und da hat mir Ulrike die Flechten gelöst,« antwortete die junge Dame mit einem Anflug von Aengstlichkeit in der Stimme. »Ach, es ist eine entsetzliche Last!« seufzte sie auf und hing den Kopf in den Nacken, als gebe sie der Wucht nach.

»Du warst wieder einmal draußen im Sonnenbrand und hast zum Gaudium der Bauern Unkraut heimgeschleppt?« fragte die Gräfin streng und hohnvoll zugleich. »Wann endlich wird die Kinderei aufhören?« Sie zuckte die Achseln und ließ einen verachtungsvollen Blick über die Tafel gleiten. Da lagen ganze Stöße neben einer Pflanzenpresse – die junge Dame hatte eben mit vorsichtigen Fingern einige Orchideen aus der Botanisiertrommel genommen, um sie zwischen Papier zu legen.

Ihro Erlaucht, die Gräfin Trachenberg, geborene Prinzessin Lutowiska, wußte sehr genau, saß ihre älteste Tochter, Gräfin Ulrike, künstliche Blumen fertigte, die als Modelle nach Berlin wanderten und gut bezahlt wurden; das Geschäft ging durch die Hand der alten verschwiegenen Amme, und niemand ahnte die Grafenkrone über der Stirn der gesuchten Künstlerin … Der Frau Gräfin war es auch nicht verschwiegen geblieben, daß ihr einziger Sohn, der Erbherr von Trachenberg, das verachtete Unkraut, im Verein mit seiner Schwester Juliane, vortrefflich präparierte und als Sammlung einheimischer Pflanzen – unter angenommenen Namen – nach Rußland verkaufte. Aber eine geborene Prinzessin Lutowiska durfte das nicht wisse – wehe der Hand, die sich beim Blumenmachen ertappen ließ, wehe der Zunge, die ein Wort über den Ursprung des erhöhten Einkommens fallen ließ – es war ja alles eitel Spielerei, zu der man ein Auge zudrücken mußte, und damit basta!

Die Dame griff im Nähertreten nach dem Haar des jungen Mädchens und wog »die entsetzliche Last« auf der Hand – etwas wie eine Regung mütterlichen Stolzes flog über das schöne, scharf gezeichnete Gesicht.

»Raoul müßte das sehen,« warf sie hin. »Thörin, deinen schönen Schmuck hast du vor ihm versteckt! … die dicken Samtschleifen, mit welchen du die Albernheit hattest, dich ihm zu präsentieren, werde ich dir nie vergessen … Mit solchem Haar –«

»Es ist ja rot, Mama.«

»Geschwätz! – Das ist rot,« sagte sie und deutete auf ihre Tochter Ulrike. »Gott soll mich bewahren – Zwei Rotköpfe! Wofür so viel Strafe?«

Gräfin Ulrike, die unterdes eine Wollstickerei aus der Tasche gezogen hatte, saß bei diesen unbarmherzigen Worten da wie eine Statue. Sie zuckte mit keiner Wimper – die schöne Mutter hatte ja recht. Ihre Schwester aber flog zu ihr hin, legte den geschmähten Kopf sanft an ihre Brust und küßte unter leisen Wehelauten wiederholt und zärtlich den roten Scheitel.

»Sentimentalitäten und kein Ende!« murmelte die Gräfin Trachenberg verdrießlich und legte das Paket, das sie mitgebracht hatte, auf die Tafel. Sie griff nach einer Schere und löste mit einigen raschen Schnitten die Emballage – sie enthielt ein Schmucketui und einen weißen Seidenstoff mit eingewirkten großen Silberarabesken.

Mit einer wahren Gier öffnete die Dame das Etui – sie bog den Kopf mit prüfendem Blick zurück und konnte ein Gemisch von unangenehmer Überraschung und hervorbrechendem Neid kaum bemeistern.

»Sie, sieh! Mein einfaches Gänschen wird fürstlicher an den Altar treten, als einst die hochgefeierte Prinzeß Lutowiska,« sagte sie langsam und betonend und ließ ein Halsband von Brillanten und großen Smaragden in der Sonne glänzen. »Ja, ja, die Mainaus können das! … Euer Vater war doch ein armer Schlucker – ich hätte das schon damals merken können.«

Ulrike fuhr empor, als sei sie von der Mutter ins Gesicht geschlagen worden; aus den unschön durch wuchtige Lider gedrückten, aber scharfen blauen Augen brach ein Strahl der tieffsten Empörung, gleichwohl zog sie sofort wieder scheinbar ruhig den grünen Wollfaden durch das Gewebe und sagte mit ernster, fast monotoner Stimme: »Die Trachenbergs besaßen damals ein unbelastetes Vermögen von einer halben Million. Sie waren von jeher ein sparsames haushälterisches Geschlecht, und mein lieber Papa ist diesen Tugenden treu geblieben bis zu seinem vierzigsten Jahre, wo er sich verheiratete … Ich habe beim Konkurs mit den Herren vom Amte gearbeitet, um Licht in das Chaos zu bringen – ich weiß, daß Papa nur durch grenzenlose Nachgiebigkeit verarmt ist.«

»Unverschämte!« brauste die Gräfin auf und holte unwillkürlich aus zum Schlag; aber mit einer verächtlichen Gebärde ließ sie die Hand wieder sinken. »Immerhin vertritt du deine Trachenbergs – ich habe keinen Teil an dir, als daß ich dir das Leben geben mußte. Du wirst das am besten finden, wenn du drüben die Galerie deiner Ahnen musterst – rothaarige Affengesichter vom Anfang bis zum Ende! Ich habe nicht umsonst geweint und – geflucht, als mir vor dreißig Jahren das neugeborene kleine Scheusal, eine echte Trachenberg, in die Arme gelegt wurde.«

»Mama!« schrie Liane auf.

»Ruhig, ruhig, Kind!« beschwichtigte sie sanft lächelnd, aber doch mit bebenden Lippen die Schwester. Sie rollte ihre Stickerei zusammen und erhob sich. Beide Schwestern waren von gleicher Größe – es waren weit die Mittelgröße überragende, sylphenhafte Gestalten mit edel schönen Händen und Füßen, feiner, schmiegsamer Taille und zart mädchenhaften Konturen und Büste.

Ulrike entfaltete, während ihre Mutter das Kästchen mit dem Schmuck grollend auf die Tafel warf, hastig den Seidenstoff. Steif und schwer, wie nur je ein Brokat aus den Zeiten unserer Urgroßmütter, entglitt er ihren Händen und fiel förmlich klirrend und zischend auf das Parkett. Mit einem erschrockenen Blick auf die wogende Silberpracht wandte sich Liane ab und sah so angelegentlich hinaus in den Garten, als gelte es, die niedersprühenden Goldfunken der fernen Fontäne zu zählen.

»Du wirst eine majestätische Braut sein, Liane … Wenn Papa das sehen könnte!« rief Ulrike.

»Raoul verhöhnt uns,« murmelte tief verletzt das junge Mädchen.

»Er verhöhnt uns?« fuhr Gräfin Trachenberg auf, deren scharfes Ohr die halbgeflüsterten Laute erfangen hatte. »Bist du von Sinnen? Und willst du wohl die Freundlichkeit haben, mich zu belehren, inwiefern er sich unterfängt, die Trachenbergs zu verhöhnen?«

Liane deutete auf die zerschlissenen, mißfarbenen Bezüge der alten Lehnstühle, neben denen das pompöse Brautkleid lag. »Läßt sich ein schärferer Kontrast denken, Mama? Ist das nicht taktlos herablassend, der – Armut gegenüber?« versetzte sie, indem sie sich bemühte, ihrer Furcht vor der leidenschaftlichen Mutter Herr zu werden.

Die Gräfin Trachenberg schlug die Hände zusammen. »Gott sei’s geklagt – wie komme ich, gerade ich zu solchen spießbürgerlichen Hohlköpfen, die an die Hoheit ihrer Stellung die Elle des Krämers anlegen? … Herablassend! Und das sagt eine Trachenberg! … Du steigst herab zu den Mainaus – das merke dir! … Muß ich dir wirklich erzählen, daß deine Mutter direkt von den alten polnischen Königen abstammt, und daß deine väterlichen Vorfahren schon lange vor den Kreuzzügen gebietende Herren waren? … Und wenn Raoul alle Schätze der Welt dir vor die Füße schüttete, er kann dir den Vorrang der hohen makellosen Geburt nicht abkaufen … Er hat keine zehn Ahnen – ja, es ist halb und halb eine Mesalliance, die du eingehst, und wäre es mit nicht ein zu widerwärtiger Gedanke, zwei sitzengebliebene Töchter im Hause zu haben, dann hätte ich sicher seine Werbung zurückgewiesen. Er weiß das auch recht gut, sonst nähme er dich nicht so – so unbesehen.«

Die junge Dame blieb mit gefaltet niedergesunkenen Händen regungslos stehen. Das rotgoldene Haargewoge fiel jetzt auch über die Brust und verhüllte das Profil. Ihre Schwester aber durchmaß schweigend mit raschen Schritten einigemale den Salon.

In diesem Moment wurde die nach dem Korridor führende Thür behutsam geöffnet; die alte ehemalige Amme und jetzige Köchin steckte den Kopf herein. »Erlaucht halten zu Gnaden,« sagte sie mit demütig leiser Stimme, »der Postbote ist noch drüben; er will nicht länger warten.«

»Ach ja – ich hatte den Menschen total vergessen. Nun, er wird ja wohl warten, bis ich komme. Reiche ihm eine Tasse Kaffee in der Küche, Lene!«

Die Magd verschwand, und die Gräfin Trachenberg zog einen Zettel aus der Tasche.

»Der Postbote bekommt ein Trinkgeld, und hier ist eine Postanweisung auf vierzig Thaler, die wir einzulösen haben. Die Krämer in Rheims sind frech genug, mir den bestellten Hochzeits-Champagner per Nachnahme zu schicken … Zahle aus!« sagte sie kurz zu Ulrike und reichte ihr den Zettel hin.

Ein jähes Rot des Erschreckens überflog das häßliche Gesicht der Tochter. »Du hast Champagner bestellt, Mama?« rief sie bestürzt. »O Gott – und für eine solche Riesensumme!«

Die Gräfin Trachenberg zeigte höhnisch auflachend ihr perlengleiches falsches Gebiß. »Hast du gemeint, du könntest die Herren beim Hochzeitsdejeuner mit deinem selbstfabrizierten Johannisbeersaft regalieren? … Uebrigens habe ich, wie bereits erklärt, nicht im entferntesten an die Gemeinheit gedacht, mit welcher uns die Bezahlung per Post sofort erpreßt werden soll.« Sie zuckte die Achseln – »Da heißt’s eben gute Miene zum bösen Spiel zu machen und zu zahlen.«

Schweigend schloß Ulrike einen Sekretär auf und nahm zwei Geldrollen heraus. »Hier ist die ganze Haushaltungskasse,« sagte sie kurz und bestimmt. »Es sind fünfunddreißig Thaler. Davon müssen wir aber leben; denn nicht allein in Rheims verweigert man uns den Kredit, wir bekommen auch in der ganzen Umgegend kein Lot Fleisch ohne sofortige Bezahlung. – Darüber kannst du unmöglich im unklaren sein.«

»Gewiß nicht – meine weise Tochter Ulrike predigt häufig genug über dieses beliebte Thema.«

»Ich muß, Mama,« versetzte Ulrike ruhig. »Weil du so oft vergißt – was ja wohl begreiflich ist – daß die Gläubiger unser Jahreseinkommen von fünfundzwanzigtausend Thalern auf sechshundert zusammengeschnitten haben.«

Die Gräfin Trachenberg hielt sich die Ohren zu und rannte nach einer der Glasthüren – die große, majestätische Gestalt nahm Gebärden an wie ein verzogenes Kind. Sie riß die Thür auf und wollte hinausstürmen, besann sich aber doch eines anderen.

»Gut,« sagte sie, die Thür zuwerfend, anscheinend ruhig, aber auch mit sichtlicher Bosheit. »Nur sechshundert Thaler. Aber nun frage ich doch auch endlich einmal: Wozu werden sie gebraucht? … Wir essen erbärmlich, förmliche Bettelsuppe – Lene füttert uns mit Reis und Eierspeisen bis zum Ekel, und die Prisen Pecco, die du in den Theekessel wirfst, werden immer homöopathischer. Dazu schleppe ich diese Fahne« – sie deutete auf ihr schwarzseidenes Kleid – »die ihr die Gnade hattet, mir zu Weihnachten zu schenken, Tag für Tag. Alles, was mein todeseinsames Leben einigermaßen erträglich machen könnte – neue französische Lektüre, Konfitüren, Parfüms – ist für mich ein längst überwundener Standpunkt … ich schließe also mit Recht: Du mußt mehr Gelder zur Verfügung haben, als du mir weismachen willst.«

»Ulrike lügt niemals, Mama!« rief Liane empört.

»Ich kann die Anweisung unmöglich an die Post zurückschicken« – fuhr die Gräfin unbeirrt fort – »du wirst der Komödie sofort ein Ende machen und den Betrag herausgeben!«

»Soll ich Geld aus der Erde stampfen? … Der Wein muß zurückgehen!« versetzte Ulrike gelassen.

Ihre Mutter stieß einen gellenden Laut aus, dann warf sie sich rücklings auf ein Sofa und verfiel in Lachkrämpfe.

Ruhig, mit untergeschlagenen Armen, stand Ulrike zu Häupten der wie toll um sich schlagenden Frau und sah mit einem bitter-ironischen Lächeln auf die nieder.

»Der arme Magnus!« flüsterte Liane, nach der Thür des Nebenzimmers deutend. »Er ist drüben – wie wird er erschrecken über diesen Lärm! … Bitte, Mama, fasse dich! Magnus darf dich nicht so sehen – was soll er denken?« wandte sie sich halb bittend, halb mit ernstem Nachdruck an ihre Mutter.

Die widerwärtige Szene, welcher die Töchter stets durch Nachgiebigkeit und möglichsten Gehorsam vorzubeugen suchten, spielte sich ja nun doch ab; nun machte sich der tiefe, gerechte Unwille geltend, den das charaktervolle Weib gegenüber den Ausschreitungen einer entarteten Frauennatur empfindet. Die junge Mädchengestalt zitterte nicht mehr vor Furcht – es sprach etwas unbewußt Ueberlegenes aus der Bewegung, mit welcher sie ernst mahnend die Hand hob. Sie predigte tauben Ohren – das Geschrei dauerte fort.

Da wurde in der That die Thür des anstoßenden Zimmers geöffnet. Liane flog durch den Salon.

»Geh, Magnus, bleibe drüben!« bat sie mit kindlich rührender Stimme und versuchte, den Eintretenden sanft zurückzudrängen. Es hätte wohl keiner besonderen Kraft bedurft, ihn ernstlich zurückzuhalten, diesen knabenhaft schmächtigen jungen Mann.

»Lasse mich nur, kleiner Famulus,« sagte er freundliche – ein Schimmer verklärender Freude lag auf seinem geistreichen Gesicht. »Ich habe alles mit angehört und bringe Hilfe.«

Einen Moment aber wurzelte sein Fuß doch auf der Schwelle, als er die Frau mit zuckenden Gliedern und verzerrtem Gesicht auf dem Sofa liegen sah.

»Mama, beruhige dich,« sagte er nähertretend mit etwas vibrierender Stimme; »du kannst den Wein bezahlen. Sieh, hier ist Geld – fünfhundert Thaler, liebe Mama!« Er zeigte ihr mit hochgehobener Hand eine Anzahl Banknoten.

Ulrike sah ihm mit ängstlicher Spannung in das Gesicht; sie war sehr rot geworden – aber er bemerkte es nicht. Er warf das Papiergeld achtlos auf das Sofa neben seine Mutter und schlug ein Buch auf, das er mitgebracht hatte. »Sieh, Herzchen, da ist es nun,« sagte er sichtlich bewegt zu Liane. – Die Leidende auf dem Sofa fing an, sich zu beruhigen; sie legte aufstöhnend die Hand über die Augen – durch die gespreizten Finger fuhr ein unglaublich rasch bewußt und scharf gewordener Blick, der das Buch in den Händen des Sohnes fixierte.

»Werde mir nur nicht zu stolz, kleiner, lieber Famulus!« fuhr er fort. »Unser Manuskript kommt als Prachtwerk zurück. Es ist lebensberechtigt vor dem hohen Stuhl der Wissenschaft; es geht siegreich durch das Kreuzfeuer der Kritik – ach, Liane, lies den Brief des Verlegers –«

»Schweige, Magnus!« unterbrach ihn Ulrike rauh und gebieterisch.

Die Gräfin Trachenberg saß bereits aufrecht. »Was ist das für ein Buch?« fragte sie; weder in den impertinent verschärften Zügen, noch in der befehlenden Stimme war eine Spur des soeben beendeten Krampfanfalles zu bemerken.

Ulrike nahm mit einer raschen Bewegung das Buch aus der Hand des Bruders und drückte es mit beiden Armen fest an ihre Brust. »Es ist ein Werk über die fossile Pflanzenwelt – Magnus hat es geschrieben, und Liane die Zeichnungen dazu geliefert,« sagte sie kurz erklärend.

»Gib her – ich will es sehen!«

Zögernd, mit einem vorwurfsvollen Blick auf ihren Bruder, reichte Ulrike den Band hin; Liane aber, bis in die Lippen erblaßt, verschränkte krampfhaft die feinen Finger und vergrub das Gesicht hinein – diesen Ausdruck im Gesicht der Mutter hatte sie von Kindesbeinen an so fürchten gelernt, wie kaum die Höllenstrafen, mit denen die Kinderfrau drohte.

»Fossile Pflanzen – von Magnus, Grafen von Trachenberg,« las die Gräfin mit lauter Stimme. Ueber das Buch hinweg, mit grimmig einwärts gezogenen Lippen, sah sie einen Moment starr und vernichtend in das Gesicht des Sohnes. »Und wo steht der Name der Zeichnerin?« fragte sie, das Titelblatt umwendend.

»Liane wollte nicht genannt sein,« versetzte der junge Mann mit vollkommener Gelassenheit.

»Ah – also doch wenigstens in einem dieser Köpfe ein Funken von Vernunft, ein schwaches Aufdämmern von Standesbewußtsein!« Sie stieß ein häßliches Gelächter aus und schleuderte den schweren Band mit einer solchen Gewalt weit von sich, daß er klirrend durch die Glaswand hinaus auf die Steinfliesen der Terrasse flog.

»Dahin gehört die Sudelei!« sagte sie und zeigte auf das Buch, das breit aufgeschlagen liegen blieb und die reizend ausgeführte Zeichnung einer vorweltlichen Farnenform sehen ließ. – »O dreifach glückliche Mutter, welch einem Sohn gabst du das Leben! Zu feig, um Soldat zu werden, zum Diplomaten zu geistlos, geht der Nachkomme der Fürsten Lutowiski, der letzte Graf Trachenberg, unter – die Buchmacher und läßt sich Honorar zahlen!«

Liane umschlang in leidenschaftlichem Schmerze die schmalen Schultern ihres Bruders, der sichtlich mit sich kämpfte, um angesichts dieser Schmähungen die äußere Ruhe zu bewahren.

»Mama, wie kannst du es über das Herz bringen, Magnus so zu beleidigen?« zürnte das junge Mädchen. »Feig nennst du ihn? – Er hat mich vor sieben Jahren unter eigener Lebensgefahr drüben aus dem See gezogen. Ja, er hat sich entschieden geweigert, Soldat zu werden, aber nur, weil sein mildes, weiches Herz das Blutvergießen verabscheut … Zum Diplomaten fehlt ihm der Geist, ihm, dem unermüdlichen, tiefen Denker? O Mama, wie grausam und ungerecht bist du! Er haßt nur das Doppelzüngige und will seinen edlen, wahrhaftigen Geist nicht durch die Schachzüge der Diplomatenkünste entweihen … Ich bin auch stolz, sehr stolz auf unser altberühmtes Geschlecht; aber ich werde nie begreifen, weshalb der Edelmann nur mit dem Schwert oder der glatten Diplomatenzunge ein Edelmann sein soll –«

»Und dann frage ich,« fiel Ulrike mit ernsthaftem Nachdruck ein – sie war hinausgetreten und hatte das mißhandelte aufgenommen – »was ist ehrenvoller für den Namen Trachenberg: daß er einer wohlgelungenen Geistesthat voransteht, oder – daß er in der Reihe der Ueberschuldeten zu finden ist?«

»O du, du –« zischte die Gräfin fast wortlos vor innerem Grimm, »du Geisel meines Lebens!« Sie fuhr einigemal wie rasend im Salon auf und ab. »Uebrigens sehe ich nicht ein, was mich zwingt, ferner mit dir zu leben,« sagte sie, plötzlich stehenbleibend, unheimlich ruhig. »Du bist längst über die Zeit hinaus, wo das Küchlein von Anstands wegen unter die Flügel der Mutter gehört. Ich habe dich lange genug ertragen und gebe dir Urlaub, unbeschränkten Urlaub. Mache meinetwegen eine langjährige Besuchsreise durch die ganze Sippe – gehe wohin du willst, nur spute dich, daß mein Haus rein wird von deiner Gegenwart!«

Graf Magnus ergriff die Hand der verstoßenen Schwester. Die drei Geschwister standen innig vereint der herzlosen Frau gegenüber.

»Mama, du zwingst mich, zum erstenmal mein Recht als Erbherr von Rudisdorf zu betonen,« sagte der stille, sanfte Gelehrte mit vor Aufregung tiefgerötetem Gesicht. »Den Gläubigern gegenüber habe nur i c h Anspruch auf eine Wohnung im Schlosse und auf das Einkommen, das sie verwilligt … Die Heimat kannst du Ulrike nicht nehmen – sie bleibt bei mir.«

Die Gräfin wandte ihm dem Rücken und schritt nach der Thür, durch die sie gekommen. Der Sohn war so vollkommen in seinem Rechte, daß sich auch nicht ein Wort gegen seine ernste Erklärung finden ließ. Sie legte die Hand auf den kreischenden Drücker, drehte sich aber noch einmal um.

»Daß du dich nicht unterstehst, auch nur einen Groschen von dem Judasgelde unter die Haushaltskasse zu mischen!« befahl sie Ulrike und zeigte nach dem auf dem Sofa liegenden fünfhundert Thalern. »Ich verhungere lieber, ehe ich einen Bissen anrühre, der mit dem Gelde bezahlt ist … Den Wein löse ich aus. Gott sei Dank, ich habe noch Silberzeug genug aus dem Schiffbruch gerettet! Mag man das Gerät, von welchem meine Vorfahren speisten, einschmelzen – den Schmerz darüber wiegt das Bewußtsein auf, daß ich meine Gäste auf echt fürstliche Weise, und nicht mittels eines Arbeiterhonorars bewirte … Dich aber wird die Strafe schon ereilen,« wandte sie sich an Liane, »und zwar dafür, daß auch du Front gegen deine Mutter machst! Komme du nur nach Schönwerth! Raoul, noch mehr aber der alte Onkel Mainau werden dir deinen Sentimentalitäts-und Gelehrtenkram schon austreiben.«

Sie rauschte hinaus und warf die Thür so hart ins Schloß, daß der Schall noch an der Steinwölbung der fernsten Korridore schütternd hinlief.

2.

Inhaltsverzeichnis

Von der Residenz her rollte eine Hofequipage; ein Herr saß im Fond, und neben ihm auf dem blauen Seidenpolster lagen die Utensilien zum Krocketspiel. Eben bog der Wagen in die Fahrstraße ein, die am Teiche hinlief, als ein Fußgänger aus dem Dämmerdunkel eines Gehölzes trat. Der Herr im Wagen ließ sofort halten.

»Grüß Gott, Mainau!« rief er herüber. »Na, das nimm mir nicht übel; man hofft mit Schmerzen auf dich, und da kommst du flanieren auf dem größtmöglichen Umwege! … Die Linde steht längst – hast dem Hause Mainau die stolze Tradition verwirkt, daß deine Hand es war, die den Stamm umspannte, während Friedrich der Einundzwanzigste Erde auf die Wurzeln schaufelte.«

»Man wird dereinst einen Trauerflor über mein Bild hängen müssen.«

Der Herr im Wagen lachte; er öffnete behende mit einer einladenden Handbewegung den Schlag.

»Plagt dich der Teufel, Rüdiger – im Fond?« wehrte der andere in komischer Entrüstung, »Gott sei Dank, noch weicht mir das Zipperlein aus! … Fahre weiter im stolzen Bewußtsein deiner Mission – hast das vergessene Krocketspiel holen müssen? Beneidenswerter!«

Der Herr sprang auf den Boden, warf den Schlag zu, und während der Wagen weiterfuhr, schlugen die beiden den Fußpfad ein, der durch Buschwerk nach dem Fischerdörfchen lief … Sie sahen seltsam nebeneinander aus – der im Wagen gekommene klein, beweglich und sehr wohlbeleibt, und sein Begleiter so hoch von Gestalt, daß sein Haupt häufig dem unteren Baumgeäst ausweichen mußte. Der Mann hatte etwas überraschend Blendendes in seiner Erscheinung, in dem ausdrucksvollen Kopf und in allen Gebärden jenes dämonenhaft wirkende Feuer, das eben als sanfte Glut fast elegisch dem Auge entströmt und im nächsten Augenblicke die schlanke, scheinbar weiche Hand zur Faust ballt, um einen verhaßten Gegner zu Boden zu schlagen. Der kleine jähzornige Knabe drüben beim Fischerdörfchen glich ihm Zug um Zug, fast bis zur Lächerlichkeit.

»Gehen wir denn!« sagte Herr von Rüdiger. »Zum Diner kommen wir leider heute nie spät genug … Brr – Kinderbrei und Puddings in allen erdenklichen Auflagen! … Eine Strafpredigt brauche ich auch nicht zu fürchten, ich bringe ja dich mit… Apropos, du warst für zwei Tage verreist, wie den Leo der Herzogin sagte?«

»Ich war verreist, Verehrtester.«

Diese lakonische Bestätigung klang zu ironisch und abfertigend für den kleinen Beweglichen – das »Wohin« blieb ihm hinter den Lippen sitzen … Sie kamen eben an einer Stelle vorüber, wo das Dickicht auseinanderriß und einen Ausblick über den Teich hin gewährte. Man übersah das ganze Dörfchen. Unter den Linden standen weißgedeckte Tafeln; zwischen diesen und einem der Häuser, durch dessen Thür man den fürstlichen Koch in weißer Mütze am Herd beschäftigt sah, liefen Lakaien hin und her – das Diner war in Vorbereitung. Die aufregende Szene, die der kleine Leo veranlaßt, war längst vergessen, man spielte; alles was laufen konnte, spielte mit – graziöse Hofdamen und schlanke Kammerjunker, aber auch alle Kavaliere mit steifen Beinen, ja selbst die dicke, asthmatische Oberhofmeisterexzellenz watschelte händeklatschend durch den Kindertumult.

Die Herzogin war so nahe an das seichte Teichufer getreten, daß man meinte, das Wasser spiele an ihre Füße heran. Wie ein Schwanengefieder schwamm ihr weißes Spiegelbild in der klaren Flut. Einige junge Damen hatten ihr einen Kranz von Waldreben und Blumenglocken gebracht; er lag über ihrer Stirn und ließ lange, grüngefiederte Ranken über die schöne Büste und den Nacken hinab hängen.

»Ophelia!« rief Baron Mainau halblaut mit einer pathetischen Gebärde – ein unbeschreiblicher Sarkasmus lag in seiner Stimme.

Sein Begleiter fuhr herum. »Nun bitte ich mir’s aber aus – das ist doch wieder einmal die reine Komödie, Mainau!« rief er ganz empört. »Das verfängt wohl bei den Damen, die wie die Lämmer vor dir zittern, bei mir aber nicht.« Er steckte die Hände in die Seitentaschen seines leichten Ueberziehers, zog die Schultern in die Höhe und begann verschmitzt lächelnd: »Es war einmal eine wunderschöne, aber arme Prinzessin und ein glänzender, junger Kavalier. Die beiden liebten sich, und die Prinzessin wollte die Durchlaucht an den Nagel hängen und eine Frau Baronin werden –« einen Moment hielt er inne, und sein schelmischer Seitenblick streifte den Begleiter; er sah aber nicht, wie der schöne Mann erblaßte, wie er mit zusammengebissenen Zähnen so glühend in das Dickicht starrte, als solle das junge Laub versengen. Er fuhr harmlos fort: »Da kam der Vetter der Prinzessin, der Regierende, und begehrte ihre schöne Hand. Die schönen, schwarzen Augen vergossen bittere Thränen, schließlich siegte aber doch das stolze Fürstenblut über die Liebesleidenschaft, und die Prinzessin ließ es geschehen, daß man ihr die Herzogskrone auf die prächtigen, dunklen Locken setzte … Hand aufs Herz, Mainau,« unterbrach er sich lebhaft, »wer mochte ihr das damals verdenken? Höchstens die Sentimentalen!«

Mainau legte die Hand nicht aufs Herz, er erwiderte auch nichts – zornig knickte er einen jungen Zweig ab, der so keck gewesen war, seine Wange zu berühren, und schleuderte ihn von sich.

»Wie mag ihr heute das Herz klopfen!« sagte Rüdiger nach einer kurzen Pause – er wollte sichtlich das interessante Thema um keinen Preis fallen lassen. »Die Witwentrauer ist zu Ende; dem Fürstenstolz ist genügt für alle Zeiten, denn die Herzogin ist und bleibt die Mutter des Regierenden – du bist auch deiner Ehefesseln ledig. Alles fügt sich wundervoll … und jetzt willst du mir weismachen – na wer’s glaubt! … Wir wissen, was sich heute ereignen wird –«

»Schlauköpfe, die ihr seid!« sagte Baron Mainau mit verstellter Bewunderung. Bei diesen Worten traten sie hinaus auf den freien Platz, wo die Wagen standen. Sie gerieten zwischen das Menschengetümmel und hielten sich deshalb mehr auf dem schmalen Uferweg.

»He, Bursche, bist du toll?« rief Mainau plötzlich und nahm einen halbwüchsigen, kräftigen Betteljungen, der in höchst gefährlicher Position auf einem über dem Wasserspiegel schwankenden Ast schaukelte, beim Kragen; er schüttelte ihn einigemal tüchtig wie einen nassen Pudel und stellte ihn auf die Füße. »Eine kleine Wäsche könnte deinem Pelz nicht schaden, mein Junge,« lachte er und klopfte seine sauber behandschuhten Hände gegeneinander, »ich bezweifle aber, daß du schwimmen kannst.«

»Pfui, er war sehr schmutzig, der Bengel!« sagte Rüdiger sich schüttelnd.

»Das war er. Ich kann dich auch versichern, daß ich mich auf dergleichen Berührungen durchaus nicht kapriziere – das sind so rasche, plebejische Sünden der Hand, um welche die Seele nicht weiß. – Ja, da hast du’s nun wieder – wir haben noch manchen Schritt bis zu jenem erhabenen Moment, wo auch unsere Körpermasse so aristokratisch durchdrungen ist, daß ihr ein solcher Mißgriff unmöglich wird – wie? Meinst du nicht?«

Rüdiger wandte sich ärgerlich ab; er beschleunigte aber auch zugleich seine Schritte. »Deine Heldenthat ist drüben auf dem Maienfest gesehen worden,« sagte er hastig. »Vorwärts, Mainau! Die Herzogin verläßt ihren Platz … Und da kommt auch schon dein wilder Junge!«

Der kleine Leo umrannte den Teich und lief stürmisch auf den Papa zu. Baron Mainau bog sich einen Augenblick liebkosend über sein Kind und nahm weiterschreitend die kleine Hand in seine Linke.

Während man auf dem Maienfest weiterspielte, kam die Herzogin, von mehreren Herren und Damen des Hofes begleitet, langsam wandelnd daher … Sie hatte auch den schwebenden Gang, die unnachahmlich graziöse Geschmeidigkeit der Kreolin … Ja, die schwere, düstere Witwentracht war abgestreift, wie die häßliche Puppe von dem hellbeschwingten Schmetterling. Dem Anstand, der Konvenienz war genügt worden bis auf die äußersten Anforderungen – nun endlich durfte auch das Glück kommen, nun durften die Flammen der Leidenschaft rückhaltlos aus den Augen brechen, wie in diesem Moment.

»Ich muß schelten, Baron Mainau,« sagte sie mit etwas unsicherer Stimme. »Sie haben mich eben sehr erschreckt durch Ihre rettende That und dann – kommen Sie doch allzu spät.«

Er hielt den Hut in der Rechten und verbeugte sich tief. Der Sonnenschein spielte über den braungelockten, rätselvollen Kopf hin, vor welchem die Damen »wie die Lämmer« zitterten.

»Ich würde mit Freund Rüdiger versichern, daß ich sehr unglücklich sei,« versetzte er, »allein Eure Hoheit werden mir das sicher nicht mehr glauben, wenn ich sage, wo ich mich verspätet habe.«

Die Herzogin richtete ihre Augen groß und befremdet auf sein Gesicht – es war ein wenig bleich geworden, aber sein Blick, dieser selten zu ergründende Blick funkelte ihr in einer Art von wildem Triumph entgegen. Ihre Hand fuhr unwillkürlich nach dem Herzen – die kleine, blasse Rose im Gürtel knickte ab und fiel unbemerkt zu den Füßen des schönen Mannes.

Er wartete umsonst auf eine Frage der fürstlichen Frau – sie schwieg, wie es schien, in atemloser Erwartung. Mit einem ehrerbietigen Kopfneigen fuhr er nach einer augenblicklichen Pause fort: »Ich war in Rudisdorf bei meiner Tante Trachenberg und erlaube mir, Euer Hoheit anzuzeigen, daß ich mich daselbst mit Juliane Gräfin Trachenberg verlobt habe.«

Die Umgebung stand wie versteinert – wer von ihnen hätte den Mut finden können, dieses momentane furchtbare Schweigen mit einem Laute zu unterbrechen, oder gar einen indiskreten Blick auf das Antlitz der Herzogin zu werfen, die entgeistert die blutlosen Lippen aufeinanderpreßte? … Nur ihre Nichte, die junge Prinzessin Helene, lachte unbefangen und mutwillig auf. »Welche Idee, Baron Mainau, eine Frau zu heiraten, die Juliane heißt! … Juliane! … Puh – eine Urgroßmutter, mit der Brille auf der Nase!«

Er stimmte ein in das heitere Lachen – wie klang das melodisch und harmlos! … Das war die Rettung! Die Herzogin lächelte auch mit todesblassen Lippen. Sie sagte dem Bräutigam einige Worte mit so viel Ruhe und vornehmer Haltung, wie nur je eine Souveränin einen Untergebenen beglückwünscht hat.

»Meine Damen,« wandte sie sich darauf leicht und ungezwungen an eine Gruppe junger Mädchen, »ich bedaure, Ihren reizenden Schmuck ablegen zu müssen – der Kranz drückt mich an den Schläfen. Ich muß mich für einen Augenblick zurückziehen, um die Blumen zu entfernen … Auf Wiedersehen beim Diner!«

Sie wies die Begleitung der Hofdame zurück, welche ihr behilflich sein wollte, und trat in ein Haus, dessen Thür sie hinter sich schloß.

Lilienweiß war ja ihr Gesicht zu allen Zeiten, und die berühmt schönen Augen hatten so oft jenen heißen Glanz, der an das fiebernde Blut des Südländers denken läßt – sie hatte wie immer gütig lächelnd und grüßend gewinkt und war wie eine schwebende Fee hinter der Thür verschwunden … Niemand sah, daß sie drinnen sofort wie eine vom Sturm niedergerissene Tanne auf den teppichbelegten Boden hinschlug, daß sie, wahnwitzig auflachend, den Kranz aus dem Haare riß und in wildem thränenlosen Schmerz die feinen Nägel in die seidene Wanddraperie krallte … Und dazu nur eine kurze, streng zugemessene Spanne Zeit, um die Qual austoben zu lassen – dann mußten diese verzerrten Lippen wieder lächeln und alle die Hofschranzen draußen glauben machen, daß das kochende Blut friedlich und leidenschaftslos in den Adern kreise.

Währenddem stand Baron Mainau, seinen Knaben an der Hand, am Ufer und beobachtete, scheinbar amüsiert, den Tumult bei der Wagenburg. Man hatte ihn beglückwünscht; aber es war wie eine Lähmung über die gesamte Hofgesellschaft gekommen – er sah sich sehr rasch allein. Da stand plötzlich Rüdiger an seiner Seite.

»Eine furchtbare Rache! Eine eklatante Revanche!« murmelte der Kleine – in seiner Stimme bebte noch eine Schwingung des Schreckens. »Brr – ich sage mit Gretchen: ›Heinrich, mir graut vor dir!‹ … Gott steh’ mir bei! Sah man je einen Menschen, der seinem gekränkten Mannesstolze so grausam, so raffiniert, so unversöhnlich ein Opfer hinschlachtete, wie du eben gethan? … Du bist tollkühn, entsetzlich –«

»Weil ich in nicht ganz gewöhnlicher Form, zur geeigneten Zeit erklärt habe: ›Nun will ich nicht?‹ … Glaubt ihr, ich werde mich heiraten lassen?«

Der kleine Bewegliche sah ihn eingeschüchtert von der Seite an – dieser sonst so formvollendete Mainau war doch manchmal zu rauh, um nicht zu sagen grob. »Mein Trost dabei ist, daß du unter den grausamen Maßregeln deines unbändigen Stolzes selbst schwer leidest,« sagte er nach einem kurzen Schweigen, doch fast trotzig.

»Du wirst mir zugeben, daß ich das einzig und allein mit mir auszumachen habe.«

»Mein Gott, ja! … Aber nun – was nun weiter?«

»Was weiter?« lachte Mainau. »Eine Hochzeit, Rüdiger.«

»Wahrhaftig? … Du hast ja nie in diesem Rudisdorf verkehrt – ich weiß es ganz genau … Also eine schleunigst acquirierte Braut aus dem Almanach de Gotha?«

»Erraten, Freund.«

»Hm – von erlauchtem Geschlecht ist sie, aber, aber – Rudisdorf ist, wie man weiß, jetzt – verödet … Wie sieht sie denn aus?«

»Guter Rüdiger, sie ist eine Hopfenstange von zwanzig Jahren mit rotem Haar und niedergeschlagenen Augen – mehr weiß ich auch nicht. Ihr Spiegel wird das besser wissen … Bah, was liegt daran? … Ich brauche weder eine schöne, noch eine reiche Frau; nur tugendhaft muß sie sein – sie darf mich nicht inkommodieren durch Handlungen, für die ich mit einstehen müßte – du kennst ja meine Ansichten über die Ehe.«

Jenes stolz grausame Lächeln, das vorhin die Herzogin erbleichen gemacht, zuckte wieder über sein Gesicht hin – offenbar in der Erinnerung an die »eklatante Revanche«.

»Was bleibt mir übrig?« sagte er nach kurzem Schweigen mit frivoler Leichtigkeit. »Der Onkel hat mir Leos Hofmeister Knall und Fall fortgejagt, weil er nachts im Bette las und konsequent knarrende Stiefel trug, und die Erzieherin hat die üble Gewohnheit, entsetzlich zu schielen und im Vorübergehen Konfekt von den Platten zu naschen – sie ist unmöglich. Ich aber will in der Kürze nach dem Orient gehen, ergo – brauche ich eine Frau daheim … In sechs Wochen vermähle ich mich – willst du mein Trauzeuge sein?«

Der Kleine trippelte von einem Fuß auf den anderen. »Was will ich denn machen? Ich muß wohl,« versetzte er endlich halb zornig, halb lachend; »denn von denen dort« – er deutete nach einer Gruppe flüsternder und herüberschielender Kavaliere – »geht dir keiner mit – darauf kannst du dich verlassen.«