Die ersten, noch den neunziger Jahren entstammenden Galgenlieder entstanden für einen lustigen Kreis, der sich auf einem Ausflug nach Werder bei Potsdam, allwo noch heute ein sogenannter ›Galgenberg‹ gezeigt wird, wie das so die Laune gibt, mit diesem Namen schmücken zu müssen meinte. Aus dem Namen erwuchs alsdann das Weitere, denn man wollte sich doch, war man nun einmal eine sogenannte Vereinigung, auch das Gehörige dazu denken und vorstellen... Was im Lauf der ersten Auflagen dann noch hinzutrat, hatte natürlich mit dem Anfangsthema nicht mehr viel gemein; da aber das ›geistige Band‹ des Humors nicht fehlte, so mußte der alte, mehr private Titel denn nun auch vor größerer Öffentlichkeit all das Neue unter seinen Flügeln aufnehmen und behalten.
Dieser kleine Verein stand unter dem Zeichen des Spiritus asper. Sein Wahlspruch lautete: ›Per aspera ad astra.‹ Auf deutsch soll das heißen: ›Der Hauch über den Dingen ist das Beste.‹
So betrachtet, wird Ihnen das Büchlein verständlicher erscheinen. Sie werden das Lalula nicht mehr ganz so unsinnig finden, wenn Sie bedenken, daß es weniger der Ausdruck irgendeines Un-Sinns, Ohne-Sinns sein sollte, als der eines ganz privatpersönlichen, jugendlichen Übermuts, der sich in Lautverbindungen gefiel, ein Gefallen, das unter Kindern wohl alltäglich ist, das der Erwachsene aber, wie so vieles, vergißt, und wenn es ihm künstlerisch verkappt entgegentritt, nur noch als Bizarrerie anzusprechen weiß.
Warum soll sich ein phantasiereicher Junge zum Beispiel nicht einen Indianerstamm erfinden samt allem Zubehör, also auch Sprache, Nationalhymne? Und warum soll künstlerischer Spieltrieb derlei nicht, zum Scherz, einmal wiederholen?
Ich habe noch als Gymnasiast ›Sprache erfunden‹,war seinerzeit einer der eifrigsten Volapükisten – nun, was weiter, wenn ich da einem für solches besonders begabten Bundesbruder ein Vortragsstück in einem eigenen Volapük schrieb? Denn all dieses Anfängliche war auf Vortrag und Musik gestimmt (und zwar unter fünf bis zehn Privatpersonen), ohne jeden Gedanken an jemalige Öffentlichkeit.
Erblicken Sie also keinerlei Raffinement in diesem Humor, noch umgekehrt, gänzlich unverantwortlich empfindende naive Künstlerjugendlaune. Zunächst sollten die Lieder nichts, als einigen jungen Toren, gleich mir selber, Vergnügen bereiten. Mit der Zeit aber wuchs ihr Leserkreis, ihre Anzahl, ihr künstlerischer Ernst. Sie werden zugeben müssen, daß überall lebendige Anschauung dahinter steckt, daß nirgend ein Witz gemacht, sondern eine Situation vorgestellt oder ein Vorgang entwickelt wird, daß, selbst wo ein sogenannter Wortwitz zugrunde liegt, er sich im lebendigen Leben inkarniert.
Ich habe nur eine Bitte: Sollte (was ja immerhin möglich wäre) in Ihrem Aufsatz das Wort Blödsinn oder Stumpfsinn, wenn auch noch so glänzend epithetiert, vorkommen, so ersetzen Sie es meinethalben durch Wahnwitz oder Tollheit oder dergleichen; da Sie es wahrlich begreifen werden, daß es auf die Dauer nicht angeht, einen Humor, dessen vielleicht einziger Vorzug gerade in einer gewissen Art von Geistigkeit, von Helligkeit und Schnelligkeit besteht, mit diesen zwei üblen deutschen Philister- und Bierbankausdrücken, in denen sich, wie Sie hieraus erraten, die Mehrzahl meiner ›Kritik‹ gefällt, abzustempeln.
›Höherer Blödsinn‹ oder jener so beliebte deutsche ›Stumpfsinn‹, ›literaturfähig‹ geworden, ist so ziemlich das Billigste und Törichteste, was sich sagen läßt. Wer so urteilt, gebraucht ein Schlagwort und eine Formel, ohne sich wirklich Rechenschaft von dem Vorhandenen zu geben.
Es kann von Unsinn nirgends die Rede sein; dazu war ich immerhin vor fünfzehn Jahren nicht mehr unreif genug. Jedes Gedicht hat Hand und Fuß, man muß sich nur die Mühe nehmen, sich in die Grundsituation zu versetzen. Bei den ersten Sachen tritt, wie gesagt, noch als Gesamtgrundlage jener Klub mit seiner auf die ›Idee des Galgenberges‹ gegründeten Organisation hinzu. Danach ist über 1, 2, 3 nichts weiter zu sagen. Das ›Gebet‹ wird doppelt verständlich, wenn Sie sich die erste und letzte Zeile von einem der ›Galgenbrüder‹ gemurmelt denken und das halb neun, halb zehn usw. von einem zweiten, dritten usw. – alles naturgemäß in einer Art Dämmerzustand, wie es solchen Gesellen ja wohl eigen sein darf.
Das Lalula dürfte im wesentlichen eine, sagen wir, phonetische Rhapsodie sein, ursprünglich besagtem (siehe Einleitung) Faherügh ›auf den Leib‹ geschrieben, der es denn auch mit ganz derselben Leidenschaft und Überzeugung vorzutragen pflegte, die man im Leben draußen nur zu oft an ungleich geringere ›Wortkunst‹ verwendet.
Das Mondschaf wird wohl, unter anderm, eine Personifikation des Mondes sein, der zuerst am nächtlichen Firmament steht, dann hinter Wolken oder Bergen verschwindet, in einem ihm unterlegten ›Traume‹ seine winzige Weltkörperlichkeit als das ›All‹ empfindet und tags darauf als weiße Scheibe den Himmel ziert.
Der arme Rabe Ralf nährt sich von Galgenspeise und geht daran zugrunde.
Fische sind ›stumm‹, man kann also auch ihren ›Gesang‹ nicht anders als durch stumme Zeichen ausdrücken. Usw. usw. Damit sind natürlich nur Andeutungen gegeben. Im übrigen ist Humor eben Humor und hat jederzeit seinen eigenen Sinn und – Ernst für sich. Ja, es ist seine Mission, zumindest heutzutage, im Menschen den dumpfen trübseligen Ernst, in den ihn eine materialistische Gegenwart verstrickt hält, ein wenig aufzulockern, anzubröckeln. ...
Christian Morgenstern
Brief Christian Morgensterns an einen Redakteur. Obermais, 1910
Galgenlieder
Palmström
Palma Kunkel
Gingganz
Dem Kinde im Manne
Im echten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen.
Nietzsche
zur 15. Auflage (1913)
Dem Kinde im Menschen
In jedem Menschen ist ein Kind verborgen, das heißt Bildnertrieb und will als liebstes Spiel- und Ernst-Zeug nicht das bis auf den letzten Rest nachgearbeitete Miniatur-Schiff, sondern die Walnußschale mit der Vogelfeder als Segelmast und dem Kieselstein als Kapitän. Das will auch in der Kunst mit-spielen, mit- schaffen dürfen und nicht so sehr bloß bewundernder Zuschauer sein. Denn dieses ›Kind im Menschen‹ ist der unsterbliche Schöpfer in ihm...
Christian Morgenstern
Es waren einmal acht lustige Könige; die lebten. Sie hießen aber so und so. Wer heißt überhaupt? Man nennt ihn. Eines Tages aber sprachen die lustigen Könige zueinander, wie Könige zueinander sprechen. »Die Welt ist ohne Salz; laßt uns nach Salz gehen!« sagte der zweite. »Und wenn es Pfeffer wäre«, meinte der sechste. »Wer weiß das Neue?« fragte der fünfte. »Ich!« rief der siebente. »Wie nennst du's?« fragte der erste. »Das Unterirdische,« erwiderte der siebente, »das Links, das Rechts, das Dazwischen, das Nächtliche, die Quadrate des Unsinnlichen über den drei Seiten des Sinnlichen.« »Und der Weg dazu?« fragte der achte. »Das einarmige Kreuz ohne Kopf mit der Basis über dem Winkel«, sagte der siebente. »Also der Galgen!« sagte der vierte. »Esto«, sprach der dritte. Und alle wiederholten: »Esto«, das heißt »Jawohl«. Und die acht lustigen Könige rafften ihre Gewänder und ließen sich von ihrem Narren hängen. Den Narren aber verschlang alsogleich der Geist der Vergessenheit. –
Betrachten wir den ›Galgenberg‹ als ein Lugaus der Phantasie ins Rings. Im Rings befindet sich noch viel Stummes.
Die Galgenpoesie ist ein Stück Weltanschauung. Es ist die skrupellose Freiheit des Ausgeschalteten, Entmaterialisierten, die sich in ihr ausspricht. Man weiß, was ein mulus ist: die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Schulbank und Universität. Nun wohl: ein Galgenbruder ist die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Mensch und Universum. Nichts weiter. Man sieht vom Galgenberg die Welt anders an, und man sieht andre Dinge als Andre.
Laß die Moleküle rasen,
was sie auch zusammenknobeln!
Laß das Tüfteln, laß das Hobeln,
heilig halte die Ekstasen!
Ein Purzelbaum trat vor mich hin
und sagte: »Du nur siehst mich
und weißt, was für ein Baum ich bin:
Ich schieße nicht, man schießt mich.Und trag ich Frucht? Ich glaube kaum;
auch bin ich nicht verwurzelt.
Ich bin nur noch ein Purzeltraum,
sobald ich hingepurzelt.«»Je nun,« so sprach ich, »bester Schatz,
du bist doch klug und siehst uns: –
nun, auch für uns besteht der Satz:
Wir schießen nicht, es schießt uns.Auch Wurzeln treibt man nicht so bald
und Früchte nun erst recht nicht.
Geh heim in deinen Purzelwald,
und lästre dein Geschlecht nicht.«
Korf und Palmström geben je ein Fest.
Dieser lädt die ganze Welt zu Gaste:
doch allein zum Zwecke, daß sie – faste!
einen Tag lang sich mit nichts belaste!
Und ein – Antihungersnotfonds ist der Rest.Korf hingegen wandert zu den Armen,
zu den Krüppeln und den leider Schlimmen
und versucht sie alle so zu stimmen,
daß sie einen Tag lang nicht ergrimmen,
daß in ihnen anhebt aufzuglimmen
ein jedweden ›Feind‹ umfassendes – Erbarmen.Beide lassen so die Menschen schenken
statt genießen, und sie meinen: freuen
könnten Wesen (die nun einmal – denken)
sich allein an solchen gänzlich neuen
Festen.
Setze mir ein Denkmal, cher,
ganz aus Zucker, tief im Meer.Ein Süßwassersee, zwar kurz,
werd ich dann nach meinem Sturz;doch so lang, daß Fische, hundert,
nehmen einen Schluck verwundert. –Diese ißt in Hamburg und
Bremen dann des Menschen Mund. –Wiederum in eure Kreise
komm ich so auf gute Weise,während, werd ich Stein und Erz,
nur ein Vogel seinen Sterzoder gar ein Mensch von Wert
seinen Witz auf mich entleert.
I. Der Schüler
Ein Schüler in Paris,
gestorben und zur Hölle verdammt,
sich eines Abends wies
vor seinem Lehrer, der noch im Amt.Ein Hemd war sein Gewand,
das war mit lauter Sophismen bestickt.
Und nachdem er den Unglücksmann angeblickt ...
verneigte er sich und verschwand.II. Der Maler
Ein Maler kühlte sein Gelüst –
und malte in der Apsis Grund
den Teufel wüst wie einen Hund.
Da stieß ihn dieser vom Gerüst.Doch tiefer unten Maria stand.
Die reichte ihm ganz schnell die Hand
und, daß er stehn kunnt, seinem Fuß
den Schnabel ihres winzigen Schuhs –und sprach zu dem Erschrocknen: »Sieh,
so lohnt die junge Frau Marie
dem Schelm, der heute schier geprahlt,
doch vordem sie so schön gemalt!«III. Der Rabbiner
Ein Prager Rabbiner, namens Brod,
gelangte durch teuflische Magie
zu solcher Macht, daß selbst der Tod
vergebens wider ihn Flammen spie.Doch endlich geriet es dem Tode doch:
Er verbarg sich in einer Rose Grund.
Der Teufel dachte der Rose nicht, und
der Rabbiner starb, als er an ihr roch.IV. Der Hahn
Zu Basel warf einst einen Hahn
der hohe Magistrat ins Loch,
dieweil er eine Tat getan,
die nach des Teufels Küche roch.Er hatte, wider die Natur,
ein Ei gelegt, – dem Herrn zum Trotz!
Doch nicht genug des Frevels nur, er
schien auch reulos wie ein Klotz.So ward er vor Gericht gestellt,
verhört, gefoltert und verdammt,
und Rechtens dann, vor aller Welt,
ein Holzstoß unter ihm entflammt.Der Hahn schrie kläglich Kikriki,
der Basler Volk sang laut im Kreis.
Doch plötzlich rief wer: »Auf die Knie!
Gottlob! jetzt schrie er – Kyrieleis!«
Der Glockenwurm
der Glockenwurm
Geht um im Turm
Beim Neumondsturm
Es klopft
und tropft –
Und rotbezopft
Sophie dem Wurm
Die Strümpfe stopft.Der Glockenwurm
Der Glockenwurm
geht um im Turm
Beim Neumondsturm
O Laie geh
Mit schneller Zeh!
Wann spaßte je
Der Glockenwurm?. . . . . . .
Und das thut weh.
5. August!! (Künstliches Schneegestöber in Thale (Harz), veranstaltet vom Hotel Alpenrose: mit der großen Papierschnitzelschneezentrifuge der amerikanischen Naturschauspielimitationskompagnie Brotherson & Sann.
Amerikanischer Agent sucht ausgestopfte Fürsten zu höchsten Preisen. Red. 43 W. P. St.
Von morgen ab wieder täglich:
Verwandlung von Wasser in Wein.
Austern, Kaviar, Champagner, Tafelobst
für jedermann
auf einfachstem Wege.
Egon Schwarzfuß, Hypnotiseur.
Gegenüber dem Ackerbauministerium.
Die Vereinigung für Ameisenspiele wird ersucht, sich morgen, den 17. hjs., auf dem Tempelhofer Felde einzufinden, um den großen Haufen zu vollenden.
Darunter in riesigen Lettern:
Für Ameisenkostüme, braun, schwarz, in jeder Größe, genau nach den Vorschriften des V. f. A. empfiehlt sich Phantasus Liptauer, Warenhaus für Tierspiele aller Art.
Desgleichen Blattlauskostüme samt allem Zubehör.
Vortragsankündigung
Morgen, Sonntag, in der Aula maxima der Charlottenburger Volksbildungsaustauschhochschule Grammophonvortrag nach Prof. Houston Shaw von der Universität New Heidelberg, Mass.: Authentischer Nachweis der Identität des Verfassers der Henrik Ibsen zugeschriebenen Dramenwerke mit Peer Hansen, weiland Privatdozent an der Universität Christiania.
Telegraphenbüro Fuchs
Demnächst Eröffnung der ersten deutschen Luftzeitung!
Der von sechs Fesselballons festgehaltene Projektionsdrache mißt 800 m im Quadrat und wird oberhalb des Kreuzberges allabendlich nach Einbruch der Dunkelheit die neusten Berichte in weithin sichtbaren Buchstaben zeigen. Eigens konstruierte Abonnements -Ferngläser sowie Dachstuhl- und Kaminsitzkarten in der Redaktion und allen Filialen. Es wird darauf aufmerksam gemacht, daß nur feste Abonnenten an den großen Veranstaltungen teilhaben, welche die Luftzeitung plant und deren erste sein wird: die Projektion jedes an einem Sonntag geborenen Abonnenten in voller Bildgröße (800 qm).
Behördlich ausgesetzte Belohnung von 3000 Mark auf Ergreifung des Ballonpiraten, der in der Nacht vom Montag zum Dienstag das Köpenicker Rathaus abgedeckt hat. i. A. Bilz, Luftpolizeiwachtmeister.
Zur erneuten Besprechung des Problems der Wasserschienen ladet auf den 12. September ein der Vorstand des Klubs für technische Fragen, Verkehrsabteilung.
Nutridentol!! ist das beste Zahnwasser! Dasselbe besitzt außer seinen reinigenden Eigenschaften hohen Nährwert! Der Gebrauch ersetzt jedes Abendbrot oder Frühstück!
Referenz zu Nutridentol:
Sehr geehrter Herr! Seit zwei Monaten gebrauche ich regelmäßig Ihr Nutridentol und habe in dieser Zeit 4 Kilo Teebutter erspart. Auch mein Kopfweh ist völlig verschwunden. Mit größter Dankbarkeit Eleonora Hecht, Privatiere.
Violinspieler, vorzüglicher – zum Vorspielen für meine Eidechse gesucht. – Adele Süßkind, Hauptpost.
Für Einsame
Erinnerungsarome – fertigt genau nach Angabe das ›Warenhaus für kleines Glück aller Art‹. Telegrammadresse: Glückshaus. Zerstreuungs-Orgeln, Automaten oder das Kaufhaus im Hause, enthaltend: Musikstücke, Bilder, Liköre, Feuerwerk, Broschüren, Lotterielose usw.