Eine Woche später bemerkte er, daß seine Frau den Ring mit dem falschen Saphir nicht mehr trug. Er sagte seiner Frau gar nichts.
Eine Woche lang schwieg er, gegen seine Frau und gegen den Josef Nowak. Dann aber sagte er unvermittelt zu diesem: »Haben Sie den Ring eingelöst?«
»Ja«, antwortete der Schreiber – er heuchelte frohe Genugtuung.
»Sie brauchten sich nicht zu schämen«, sagte Eibenschütz. »Ich täte Ihnen gern das Geld vorstrecken!«
»Offen gestanden«, murmelte der Schreiber – und er spielte jetzt Verwirrung wie vorher Freudigkeit.
»Aber mit Vergnügen, mit Wonne!« sagte der Eichmeister. Er gab dem jungen Mann ein hartes Fünf-Kronen-Stück, nachlässig, wie etwa einen Bleistift oder eine Zigarette. Dann hub er leutselig an: »Unter uns Männern, Herr Nowak, sagen Sie, wo treffen Sie denn in solch einem kleinen Städtchen die Dame? Das muß man doch sehen?«
Erheitert und aufgefrischt durch so viel Freundlichkeit seines Vorgesetzten, erhob sich der Vertragsbeamte vom Stuhl. Vor ihm saß Eibenschütz nicht unähnlich einem Schüler. Es war Spätherbst und später Nachmittag. Zwei ärarische Petroleumlampen, gestellt von der Bezirkshauptmannschaft, brannten milde unter ihren grünen, gütigen Schirmen.
»Sehen Sie, Herr Eichmeister«, begann der Schreiber, »im Frühling und im Sommer ist es sehr leicht. Man trifft sich da im Grenzwald. Ach, wenn ich Ihnen erzählen wollte, Herr Eichmeister, mit welchen Frauen ich da zusammengekommen bin! Aber Sie wissen, daß nirgends so sehr Schweigen geboten ist wie in diesen Affären. Im Herbst und im Winter ist es schwieriger, aus dienstlichen Gründen. Im ganzen Bezirk ist nur die Grenzschenke des ›wilden Leibusch‹: als Aufenthaltsstätte für Liebende geeignet. Und Sie wissen selbst, Herr Eichmeister, daß er ein sehr gefährlicher Mann ist und daß ich Sie oft dort vertreten muß. Das Amtsgewissen vor allem, das Amtsgewissen geht voran!«
»Das ist sehr brav«, sagte der Eichmeister Eibenschütz. Und er vergrub sich in seinen dienstlichen Papieren. Am Abend um sechs Uhr, als der Dienst zu Ende war, sagte der Eichmeister zu seinem Schreiber: »Sie können gehen! Und viel Glück bei den Damen!«
Der Schreiber machte eine Verbeugung, die beinahe wie der Knicks eines kleinen Schulmädchens aussah, und verschwand.
Der Eichmeister aber blieb noch länger sitzen, allein mit den zwei grünbeschirmten Lampen. Es schien ihm, als könnte er mit ihnen sprechen. Wie Menschen waren sie, eine Art lebendiger, milder, leuchtender Menschen. Er hielt eine stille Zwiesprache mit ihnen. »Halte deinen Plan ein«, sagten sie ihm, grün und gütig, wie sie waren. »Glaubt ihr wirklich?« fragte er wieder. »Ja, wir glauben es!« sagten die Lampen.
Der Eichmeister Eibenschütz pustete sie aus und ging nach Hause. Er ging durch einen spätherbstlichen, kalten Regen, der ihn noch einsamer machte, als er war, in ein Haus, in dem ihn eine Lüge erwartete, die noch düsterer war als dieser Abend, als dieser Regen.
Als er ankam, war zum erstenmal sein Haus finster. Er schloß die Tür auf. Er setzte sich auf das giftgrüne Plüschsofa im sogenannten »Salon« und wartete im Dunkeln. In diese Gegend kamen keine Zeitungen von gestern und vorgestern, sondern Zeitungen, die mindestens eine Woche alt waren. Eibenschütz kaufte sie niemals. Die Vorgänge in der Welt gingen ihn gar nichts an.
Das Dienstmädchen hatte ihn kommen hören. Jadwiga hieß sie. Sie kam herein, breit, selbstgefällig und mütterlich, in das Dunkel des Zimmers. Sie berichtete ihm, während sie die Tischlampe entzündete – gegen seinen Willen, aber er war zu müde, um es ihr zu verbieten –, daß die Frau einkaufen gegangen war – und bald zurückkommen würde. Und sie hätte auch hinterlassen, er möchte geduldig warten.
Er drehte den Docht der Lampe ab, so klein, daß es beinahe im Zimmer aussah wie Finsternis. Er dachte an seinen Plan.
Als seine Frau zurückkam, erhob er sich, küßte sie und sagte ihr, er wäre sehr unruhig gewesen, weil er sie so lange erwartet hatte. Sie hatte Pakete in beiden Armen. Sie legte sie ab. Sie setzten sich beide an den Tisch.
Sie aßen in einer scheinbar freundlichen und friedlichen Gemeinschaft. Der Frau Regina erschien es wenigstens also. Sie benahm sich gefällig, diensteifrig sogar. Von Zeit zu Zeit lächelte sie ihrem Mann zu. Er bemerkte, daß sie wieder ihren Ring mit dem falschen Saphir am Finger hatte.
»Du hast deinen Ring wieder!« sagte der Eichmeister. »Das freut mich!«
»Ich glaube«, sagte die Frau Regina und beugte sich über den Teller, »ich kriege endlich ein Kind!«
»Endlich?« fragte der Eichmeister Eibenschütz. »Du wolltest es ja nie! Weshalb jetzt?«
»Gerade jetzt!« sagte sie und schälte dabei sehr vorsichtig eine Orange. »Ich habe heute«, begann er – während sie noch den Kopf über Messer und Frucht gesenkt hielt –, »mit meinem Schreiber, dem Josef Nowak, gesprochen. Er ist ein Schürzenjäger, bekannt im ganzen Bezirk. Er behauptet, er hätte im Frühling und im Sommer viele Frauen hier gehabt, im Grenzwald, natürlich sagt er nicht, welche. Im Herbst und im Winter – sagt er – sei es gefährlich für ihn, das Gasthaus Jadlowkers aufzusuchen, weil er mich amtlich dort oft vertritt.«
Die Frau aß gerade ihr letztes Viertel Orange. Sie erhob ihren Blick nicht. Sie sagte: »Schrecklich, die Frauen in dieser Gegend!«
»Er schenkt allen Ringe!« erwiderte der Eichmeister.
Sie ließ das letzte Stück Orange fallen und sah auf ihren Ring am linken Zeigefinger. Es entstand ein langes Schweigen.
»Dieser Ring stammt von Josef Nowak«, sagte plötzlich der Eichmeister. »Ich kenne ihn, ich habe ihn an seiner Hand gesehen.«
Auf einmal begann die Frau Regina heftig zu weinen. Sie streifte dabei, mitten im Schluchzen, den Ring vom Finger ab und legte ihn vor sich auf den Tisch und sagte: »Du weißt also alles?« – »Ja«, sagte er. »Du bist von ihm schwanger. Ich werde meine Maßregeln treffen.«
Er stand sofort auf, zog den Mantel an und ging hinaus. Er spannte das Wägelchen ein und fuhr los, nach Szwaby, zu Jadlowker.
Auf die Grenzschenke hatte Jadlowker mehrere Hypotheken aufgenommen. Das stellte sich jetzt heraus. Sofort, nachdem er verurteilt worden war, erhob sich im Städtchen Zlotogrod und überhaupt im ganzen Bezirk die Frage, wer die Grenzschenke in Szwaby übernehmen sollte – vorübergehend, versteht sich, offiziell vorübergehend – in Wirklichkeit aber für immer. Denn die Grenzschenke war ein gutes Geschäft, und seit langem schon beneidete man den Leibusch Jadlowker um ihren Besitz. Heute abend versammelten sich die fünf Hypothekengläubiger, ohne daß sie sich verabredet hätten, in der Grenzschenke in Szwaby. Alle fünf kamen sie beinahe zu gleicher Zeit, alle fünf waren sie erschrocken, einander hier zu treffen. Der Reichste unter ihnen war Kapturak.
Er war es, der die Deserteure heranführte, er handelte ja mit ihnen. Er allein wußte, was die Geschäfte der Schenke genau eintrugen, er war es auch, der jenseits der Grenze, auf dem russischen Gebiet, eine ebensolche Schenke besaß. Die anderen Hypothekengläubiger aber waren Laien: ein Korallenhändler namens Piczenik; ein Fischhändler namens Balaban; ein Droschkenkutscher namens Manes; und ein Milchhändler namens Ostersetzer.
Alle vier waren weit weniger klug als der kleine Kapturak. Fräulein Euphemia Nikitsch saß am Tisch, sie gehörte zum Gasthof, auch auf sie bezogen sich die Hypotheken. Alle fünf Gläubiger sahen sie zwar nicht an, während sie unterhandelten, aber alle fünf wußten, daß sie da sei, vorhanden sei und daß sie zuhöre. Alle fünf gefielen ihr nicht, nicht der allzu dürre Piczenik, nicht der allzu dicke Balaban; nicht der Grobian, der Kutscher Manes; und nicht der Ostersetzer, weil er pockennarbig war und sein Bart spärlich und kärglich wie der Bart eines Ziegenbocks. Am besten gefiel ihr noch, der Euphemia, der winzige Kapturak. War er auch klein und häßlich, so war er doch schlauer und reicher als die anderen. Neben ihn setzte sie sich. Man trank auf das Wohl des verurteilten Jadlowkers. Alle stießen mit den Gläsern an.
In diesem Augenblick vernahm man das Klingeln eines Wagens, und Euphemia wußte sofort, daß es der Wagen des Eichmeisters war. Sie erhob sich. In Wahrheit liebte sie ihn. Sie liebte auch das Geld, die Sicherheit, die Schenke, den Laden, der an sie angeschlossen war, und auch den armen Jadlowker, der jetzt im Zuchthaus saß, aber diesen nur in Erinnerung an die guten Stunden, die sie mit ihm genossen hatte. Denn ein dankbares Gemüt hatte sie, wie so viele leichtfertige Menschen. Erinnerungen machten sie überhaupt wehmütig und zärtlich. Sie sprang auf, als sie den Wagen des Eichmeisters hörte.
Schon trat er ein, groß und stattlich wie er war, fast war es, als würden alle anderen ausgelöscht. Sein buschiger, blonder, geradezu wuchtiger Schnurrbart glänzte stärker als die drei Petroleumlampen in der Mitte des Zimmers. Auch alle fünf Gläubiger sprangen auf. Er begrüßte sie kaum. Er setzte sich einfach hin, bewußt seiner Macht und so, als stünde hinter ihm, unsichtbar, aber immer gegenwärtig, der Wachtmeister der Gendarmerie Slama, mit aufgepflanztem Bajonett und mit der schimmernden Pickelhaube.
Das Gespräch erlosch. Bald erhoben sich die Hypothekengläubiger und gingen. Sie sahen verprügelt aus, und sie erinnerten an Hunde.
Es wurde immer schlimmer. Nun war man schon im Anfang des Februars. Und immer noch hörte die Seuche nicht auf. Drei Leichenbestatter starben. Die Gemeindediener weigerten sich, in die Totenhäuser zu gehen. Es kam Anweisung von der Statthalterei, die Sträflinge als Leichenbestatter zu verwenden.
Es wurden aus dem großen Kerker in Zloczow die Sträflinge in den Bezirk Zlotogrod gebracht. Man band sie, je sechs, mit Ketten zusammen, mit langen Ketten, und klirrend und rasselnd stiegen sie in den Zug, von Gendarmen mit aufgepflanzten Bajonetten begleitet. Man verteilte sie überall im Bezirk Zlotogrod, je sechs in jedem Flecken und im Städtchen zwölf. Man zog ihnen eine besondere Art von Mänteln mit Kapuzen an, alles mit Chloroform behandelt. In diesen sandgelben und sehr schrecklichen Kitteln, mit Geklirr und Gerassel, von den Gendarmen bewacht, traten sie in die Häuser und Hütten, und mit Geklirr und Gerassel trugen sie die Särge hinaus und luden sie auf die großen Leiterwagen der Gemeinde. Sie schliefen auf dem Boden in den Gendarmeriewachstuben.
Manchen von ihnen gelang es, an der Cholera zu erkranken. Sie kamen ins Krankenhaus, und es war dann so, als ob sie krank wären. Denn in Wirklichkeit waren sie gar nicht krank. Manchen gelang es sogar, scheinbar zu sterben. Das heißt, Kapturak veranlaßte die Gemeindeschreiber, falsche Tote einzutragen. Von allen Sträflingen starb in Wirklichkeit nur ein einziger, und der war alt und immer schon krank gewesen. Die Klügsten entkamen. Alle anderen blieben am Leben. Es war, als beschützten sie die Ketten und die Sehnsucht nach der Freiheit vor der Epidemie sicherer als die Vorsichtsmaßregeln des Bezirksarztes Doktor Kiniower. Auch die Deserteure, die aus Rußland kamen, steckten sich nicht an. Was können schon so winzige Bazillen gegen eine so große Sehnsucht des Menschen nach der Freiheit?
Unter den Sträflingen, die damals aus dem Zloczower Kerker nach Zlotogrod gekommen waren, befand sich auch Leibusch Jadlowker. Auch er sank eines Tages nieder, just, während er den Leichenwagen begleitete. Er wurde von der Kette losgebunden. Er schleppte sich ganz langsam, vom Gendarmen begleitet, zum Zlotogroder Krankenhaus. Der kleine Kapturak kam, wie zufällig, des Weges daher. Jadlowker machte sich den Spaß, noch einmal niederzufallen. Kapturak legte den Regenschirm weg, und er und der Gendarm stellten Jadlowker wieder auf. Kapturak nahm den Regenschirm in eine Hand, und den andern Arm steckte er unter den Arm Jadlowkers. Der Gendarm ging hinterdrein. Kapturak brauchte nichts zu sagen. Er verständigte sich mit dem Kranken durch schnelle Blicke und durch sehr deutlich nuancierte Druckarten des Armes. Wohin mit dir? fragte ein Druck. – Sehr gefährlich, antwortete der Armmuskel Jadlowkers. – Wir werden sehen, es kann sich alles glätten, sagte wieder der Arm Kapturaks, ein tröstlicher Arm.
So schleppten sie sich langsam zum Spital. Vor dem Eingang bekam Jadlowker noch eine Flasche Neunziggrädigen. Er verbarg sie hurtig und sicher.
So also starb der Eichmeister Anselm Eibenschütz, und, wie man zu sagen pflegt: Kein Hahn krähte nach ihm.
Dem Wachtmeister Piotrak gelang es zu erforschen, daß Jadlowker den Eichmeister getötet hatte. Kapturak sprach, nachdem man ihn verhaftet hatte und nach einem strengen Verhör, von einer Ranküne Jadlowkers gegen Eibenschütz.
Durch Zufall fing man noch zwei andere sogenannte Choleratote, nämlich den Taschendieb Kaniuk und den Pferdedieb Kiewen.
Kapturak und Jadlowker saßen schon seit acht Tagen im Zloczower Untersuchungsgefängnis, als plötzlich das große alljährliche Ereignis des Bezirkes Zlotogrod ausbrach. Es krachte nämlich das Eis über der Struminka, und der Frühling begann.
Der Maronibrater Sameschkin packte seine Sachen, die Säcke zuerst, dann den Ofen, hierauf die Reste seiner Ware, die Kastanien, in einen besonderen, ledernen Sack.
Vor seiner Abfahrt sagte er noch zu Euphemia: »Es ist eine wüste Sache, diese Grenze. Willst du mit mir fort für immer?«
Euphemia aber dachte an allerhand Möglichkeiten, in der Schenke und sonst. »Auf nächstes Jahr«, sagte sie. Aber Sameschkin glaubte es ihr nicht mehr. So töricht, wie er den Leuten erscheinen mochte, war er nicht. Er ahnte alles, und er beschloß bei sich, nie mehr in diese giftige Gegend zu kommen.
Es war ein großartiger Frühlingstag, an dem er wegzog. Auf seinem Karren stand der Ofen. Um seine Schultern waren die schlaffen Säcke geschnallt. Die Lerchen trillerten hoch im Himmel, und die Frösche quakten ebenso fröhlich unten in den Sümpfen. Und er ging, der gute Sameschkin, so für sich hin, so des Weges dahin. Was ging ihn eigentlich all dies an?
Nie mehr komme ich hierher, sagte er sich. Und es schien ihm, daß ihm die Lerchen und die Frösche recht gaben.
Es war einmal im Bezirk Zlotogrod ein Eichmeister, der hieß Anselm Eibenschütz. Seine Aufgabe bestand darin, die Maße und die Gewichte der Kaufleute im ganzen Bezirk zu prüfen. In bestimmten Zeiträumen geht Eibenschütz also von einem Laden zum andern und untersucht die Ellen und die Waagen und die Gewichte. Es begleitet ihn ein Wachtmeister der Gendarmerie in voller Rüstung. Dadurch gibt der Staat zu erkennen, daß er mit Waffen, wenn es nötig werden sollte, die Fälscher zu strafen bedacht ist, jenem Gebot getreu, das in der Heiligen Schrift verkündet wird und dem zufolge ein Fälscher gleich ist einem Räuber …
Was nun Zlotogrod betrifft, so war dieser Bezirk ziemlich ausgedehnt. Er umfaßte vier größere Dörfer, zwei bedeutende Marktweiler und schließlich das Städtchen Zlotogrod selbst.
Der Eichmeister benützte für seine Dienstwege ein ärarisches, einspänniges, zweiräderiges Wägelchen, samt einem Schimmel, für dessen Erhaltung Eibenschütz selbst aufzukommen hatte.
Der Schimmel besaß noch ein ansehnliches Temperament. Er hatte drei Jahre beim Train gedient und war nur infolge einer plötzlichen Erblindung am linken Auge, deren Ursache auch der Veterinär nicht erklären konnte, dem Zivildienst überstellt worden. Es war immerhin ein stattlicher Schimmel, vorgespannt einem hurtigen goldgelben Wägelchen. Darin saß an manchen Tagen neben dem Eichmeister Eibenschütz der Wachtmeister der Gendarmerie Wenzel Slama. Auf seinem sandgelben Helm glänzten die goldene Pickel und der kaiserliche Doppeladler. Zwischen seinen Knien ragte das Gewehr mit dem aufgepflanzten Bajonett empor. Zügel und Peitsche hielt der Eichmeister in der Hand. Sein blonder und weicher, mit Sorgfalt emporgewichster Schnurrbart schimmerte ebenso golden wie Doppeladler und Pickelhaube. Aus dem gleichen Material schien er gemacht. Von Zeit zu Zeit knallte fröhlich die Peitsche, und es war, als lachte sie geradezu. Der Schimmel galoppierte dahin, mit ehrgeiziger Eleganz und mit dem Elan eines aktiven Kavalleriepferdes. Und an heißen Sommertagen, wenn die Straßen und Wege des Bezirkes Zlotogrod ganz trocken und beinahe durstig waren, erhob sich ein gewaltiger, graugoldener Staubwirbel und hüllte den Schimmel, das Wägelchen, den Wachtmeister und den Eichmeister ein. Im Winter aber stand dem Anselm Eibenschütz ein kleiner, zweisitziger Schlitten zur Verfügung. Der Schimmel hatte den gleichen eleganten Galopp, Sommer wie Winter. Kein graugoldener mehr, sondern ein silberner, ein Schneewirbel hüllte den Wachtmeister, den Eichmeister, den Schlitten in Unsichtbarkeit, und den Schimmel erst recht, da er fast so weiß war wie der Schnee.
Anselm Eibenschütz, unser Eichmeister, war ein sehr stattlicher Mann. Er war ein alter Soldat. Er hatte seine zwölf Jahre als längerdienender Unteroffizier beim Elften Artillerieregiment verbracht. Er hatte, wie man zu sagen pflegt, von der Pike auf gedient. Er war ein redlicher Soldat gewesen. Und er hätte niemals das Militär verlassen, wenn ihn nicht seine Frau in ihrer strengen, ja unerbittlichen Weise dazu gezwungen hätte.
Er hatte geheiratet, wie es fast alle längerdienenden Unteroffiziere zu tun pflegen. Ach, sie sind einsam, die längerdienenden Unteroffiziere! Nur Männer sehen sie, lauter Männer! Die Frauen, denen sie begegnen, huschen an ihnen vorbei wie Schwalben. Sie heiraten, die Unteroffiziere, sozusagen um wenigstens eine einzige Schwalbe zu behalten. Also hatte auch der längerdienende Feuerwerker Eibenschütz geheiratet, eine gleichgültige Frau, wie jeder hätte sehen können. Es tat ihm so leid, seine Uniform zu verlassen. Er hatte Zivilkleider nicht gern, es war ihm zumute wie etwa einer Schnecke, die man zwingt, ihr Haus zu verlassen, das sie aus ihrem eigenen Speichel, also aus ihrem Fleisch und Blut, ein viertel Schnecken-Leben lang gebaut hat. Aber anderen Kameraden ging es beinahe ebenso. Die meisten hatten Frauen: aus Irrtum, aus Einsamkeit, aus Liebe: Was weiß man! Alle gehorchten den Frauen: aus Furcht und aus Ritterlichkeit und aus Gewohnheit und aus Angst vor der Einsamkeit: Was weiß man! Aber kurz und gut, Eibenschütz verließ die Armee. Er zog die Uniform aus, die geliebte Uniform; verließ die Kaserne, die geliebte Kaserne.
Jeder längerdienende Unteroffizier hat ein Recht auf einen Posten. Eibenschütz, der aus dem mährischen Städtchen Nikolsburg stammte, hatte längere Zeit versucht, in seine Heimat als Sequester oder Konzipist zurückzugelangen, wenn er schon, dank seiner Frau, gezwungen war, die Armee, sein zweites und vielleicht sein eigentliches Nikolsburg, zu verlassen. Man brauchte aber um jene Zeit in ganz Mähren weder Sequester noch Konzipisten. Alle Gesuche des Eibenschütz wurden abschlägig beschieden.
Da ergriff ihn zum erstenmal ein echter Zorn gegen seine Frau. Und er, ein Feuerwerker, der so vielen Manövern und Vorgesetzten standgehalten hatte, gelobte sich selbst, daß er von Stunde ab stark gegen seine Frau sein würde; Regina hieß sie. In seine Uniform hatte sie sich dereinst verliebt – fünf Jahre war es im ganzen her. Jetzt, nachdem sie ihn in vielen Nächten nackt und ohne Uniform gesehen und besessen hatte, verlangte sie von ihm Zivil und Stellung und Heim und Kinder und Enkel und was weiß man noch alles!
Aber der Zorn nutzte gar nichts dem Anselm Eibenschütz, nachdem er die Nachricht erhalten hatte, daß der Posten eines Eichmeisters in Zlotogrod frei sei.
Er rüstete ab. Er verließ die Kaserne, die Uniform, die Kameraden und die Freunde.
Er fuhr nach Zlotogrod.
Der Bezirk Zlotogrod lag im fernen Osten der Monarchie. In jener Gegend hatte es vorher einen faulen Eichmeister gegeben. Wie lange war es her – die Älteren erinnerten sich noch daran –, daß es überhaupt Maße und Gewichte gab! Es gab nur Waagen. Nur Waagen gab es. Stoffe maß man mit dem Arm, und alle Welt weiß, daß ein Männerarm, von der geschlossenen Faust bis hinauf zum Ellenbogen, eine Elle mißt, nicht mehr und nicht weniger. Alle Welt wußte ferner, daß ein silberner Leuchter ein Pfund, zwanzig Gramm wog und ein Leuchter aus Messing ungefähr zwei Pfund. Ja, in jener Gegend gab es viele Leute, die sich überhaupt nicht auf das Wägen und auf das Messen verließen. Sie wogen in der Hand, und sie maßen mit dem Aug’. Es war keine günstige Gegend für einen staatlichen Eichmeister.