Die Anleihe.

Inhaltsverzeichnis

Ein Bauer war mit seinem Weibe und sechs Kindern so verarmt und durch mancherlei Unglücksfälle herunter gekommen, daß er oft nicht wußte, wo er Brot für die Seinigen hernehmen sollte.

Eines Tages sagte er zu seiner Frau: „Du hast ja im Gebirge reiche Vettern; ich will hin, vielleicht lenkt Gott einem unter ihnen das Herz, daß er mir hundert Taler auf Zinsen leiht; mit diesem Gelde könnten wir uns aus unserer großen Not wieder aufhelfen.“

„Das gebe Gott!“ sagte diese mit schwacher Hoffnung, denn sie kannte ihre Vettern, die nach ihr und den ihrigen niemals gefragt hatten. Am andern Morgen sehr früh machte sich der Bauer auf den Weg, und schritt rüstig den ganzen Tag zu, bis er am Abend müde und matt zu den Vettern kam, und ihnen mit Tränen seine Not klagte, und um ihre Hilfe flehte. Aber überall wurde er mit harten, bittern Worten abgewiesen, und mußte viel spitzige Reden hören, von leichtsinnigen Wirten, und wie der in Not habe, der in der Zeit spare, und was dergleichen Dinge mehr.

Traurig und niedergeschlagenen Herzens machte er sich auf den Rückweg, und als er wieder ins Gebirge kam, überfiel ihn Gram und Angst mit großer Gewalt. Er hatte den Arbeitslohn von zwei Tagen verloren, und fühlte sich so entkräftet, daß er wohl auch am dritten Tage nicht würde arbeiten können. Zu Hause aber erwarteten ihn das abgehärmte Weib und die hungrigen Kinder, und er brachte ihnen nur leere Hände! — kein Geld, kein Brot, o wie sollte sein Herz den Jammer ertragen!

Der arme Mann sann hin und her, wie er Wohl Hilfe schaffen könne. Da fielen ihm die Geschichten vom Berggeiste ein. „Ich will mich an ihn wenden,“ sagte er, „vielleicht daß meine Bitten Gehör finden.“ Darauf rief er „Rübezahl! Rübezahl!“ und alsbald stand ein rußiger Köhler mit einem mächtigen Schürbaum in der Hand vor ihm, der einen wilden, struppigen Bart und glühende Augen hatte. Der Bauer zweifelte keinen Augenblick, daß dies der Berggeist sei, und faßte all seinen Mut zusammen, um sein Anliegen vorzubringen.

„Ich habe euch nicht aus Mutwillen gerufen,“ begann er, „sondern aus Not und Verzweiflung. Zu euch, lieber Herr vom Berge, habe ich das Zutrauen, daß ihr mir aus meiner Angst helfen werdet.“ Und nun erzählte er ihm von seinem Weibe und seinen Kindern, sowie von den unbarmherzigen Vettern, und bat nun ganz treuherzig, Rübezahl solle ihm die hundert Taler leihen, die er in drei Jahren mit Zinsen zurückzahlen wolle; dann sei ihm aus aller Not geholfen. —

„Wie? treibe ich Wucher?“ fragte der Berggeist zornig, „gehe zu den Menschen, deinen Brüdern, und borge bei denen, so viel du bekommen kannst; mich aber lasse in Ruhe, und rufe mich nicht wieder, wenn dir dein Leben lieb ist.“

Der Bauer ließ sich aber durch diese harte Rede nicht abschrecken, und schilderte den Jammer und die Not seiner Familie auf das rührendste. „Wollt ihr mir nicht helfen,“ setzte er traurig hinzu, „so erzeigt mir wenigstens die Wohltat, mich mit eurer Schürstange tot zu schlagen, damit ich nur nicht länger die Not der Meinigen sehe, der ich nicht abhelfen kann.“

Rübezahl sah den Bauer mit großen Augen an, hob dann die schwere Stange hoch in die Luft und schien ihn mit einem gewaltigen Streiche zerschmettern zu wollen. Da er aber dem Schlage nicht auswich, hielt er inne und hieß den Bauer ihm folgen. Nun ging es waldeinwärts durch dichtes Gesträuch, bis sie in ein enges Felsental kamen, an dessen Ende sich eine finstere Höhle befand, in die kein Strahl des Tageslichts drang. Nur kleine blaue Flämmchen sprangen jetzt aus dem Boden auf und beleuchteten schauerlich die schwarzen Steinwände. Die Höhle enthielt außer einem eisernen Kasten nur eine offene Braupfanne voll blanker, neugeprägter Taler; „da nimm dir das Geld, was du brauchst, und wenn du schreiben kannst, magst du mir einen Schuldschein darüber ausstellen,“ sagte Rübezahl, und holte aus dem Kasten Papier und Schreibzeug hervor, wobei er sich um, den Bauer gar nicht zu bekümmern schien, der indessen mit großer Gewissenhaftigkeit hundert Taler abzählte und auch nicht einen darüber nahm. Dann schrieb er den Schuldschein, so gut er vermochte, und Rübezahl schloß diesen in den eisernen Kasten.

„Geh nun.“ sagte der Berggeist, „und nütze das Geld gut; merke dir auch den Eingang in dies Felstal und vergiß den Zahlungstag nicht; ich bin ein gar strenger Schuldherr! Da hast du auch noch etwas für deine Kinder, was nicht auf dem Schuldschein steht,“ — und mit diesen Worten tat er einen tiefen Griff in die Braupfanne; der erfreute Vater konnte das reiche Geschenk kaum mit beiden Händen fassen.

Dankbar verließ er nun den Berggeist und fand auch glücklich aus dem engen Felsentale heraus, suchte sich den Eingang genau zu merken und ging, von der Freude gestärkt und beflügelt, seiner Heimat rüstig zu.

Sein Weib saß traurig am Ofen, als er in die Stube trat; sie wußte, wie wenig die Armut auf reiche Anverwandte rechnen dürfe und hatte kaum den Mut, ihren Mann anzusehen, aus Furcht, die vereitelte Hoffnung auf seinem Gesicht zu lesen. Wie schlug ihr aber das Herz vor frohem Schreck, als der Bauer den Quersack öffnete und daraus Fleisch und Wurst, Weißbrot und Brezeln für die Kinder nahm, was er in der Stadt für sie gekauft hatte. „Deine Vettern,“ sagte er zu der erstaunten Frau, „haben mich nicht nur sehr freundlich aufgenommen, sondern mir auch bereitwillig das Geld geliehen, um was ich sie gebeten.“ Da staunte das Weib noch mehr und pries in ihrem Herzen den guten Gott im Himmel, der die Herzen der Menschen lenkt wie Wasserbäche.

Nun kam ein neues Leben in die gesunkene Hauswirtschaft des Bauern. Es ward guter Same gekauft, der Acker ordentlich bestellt und noch zwei Kühe angeschafft; es lag ein sichtliches Gedeihen auf dem Gelde des Berggeistes, und bald vermehrte sich das Gut um eine schöne Wiese, ein Weizenfeld um das andere. Man fand nun weit und breit keinen fleißiger bearbeiteten Acker, nirgends schöneres und nutzentragenderes Vieh, und der tätige Wirt konnte schon bares Geld zurücklegen.

So war indes der Zahlungstag herangekommen. Da sagte eines Tages der Bauer zu Frau und Kindern: „Zieht nur eure besten Kleider an, der Hans mag die Pferde anspannen, wir wollen den Vettern das Geld selbst wieder heimbringen, was sie mir vor drei Jahren geborgt haben.“ Das war keine geringe Freude für die Kinder, und auch der Mutter war es lieb, daß sie nun ihren Wohlstand den guten Vettern würde zeigen können. Als sie nun ins Riesengebirge kamen, ließ der Bauer an einem schönen Punkte den Wagen halten und stieg mit den Seinen aus, teils um es den Pferden leichter zu machen, wie er sagte, teils auch um den Kindern einen schattigen Weg zu zeigen. Es fiel aber allen auf, daß der Vater sich immer sorgfältiger umschaute, je tiefer sie in den Wald kamen, und die Frau fragte daher besorgt: „Wir sind wohl vom rechten Wege abgekommen?“

Da erzählte er ihr und den Kindern erst, wie schnöde die Vettern ihn abgewiesen hatten, dagegen aber der Berggeist sich seiner erbarmt und ihm geholfen halbe. Anfänglich erschraken sie, als sie hörten, daß Rübezahl dem Vater das Geld geliehen, aber da dieser ihnen vorstellte, wie glücklich, der gefürchtete Berggeist sie alle gemacht habe, verlor sich allmählich jede Bangigkeit.

Darauf ging der Bauer ganz allein weiter, um den Eingang in das Felsental aufzusuchen; aber obgleich er genau wußte, daß er an der rechten Stelle war, konnte er ihn doch nicht mehr finden. Er schüttelte das Geld im Beutel, damit Rübezahl erscheinen möchte und er ihm das geliehene Geld zurückstellen könne, aber es erschien niemand. Er irrte hin und her, von dem Gefühle getrieben, Wort halten und seinen Dank aussprechen zu müssen. Es war, als ob eine unsichtbare Macht ihm die Augen trübe mache und seine Sinne verwirre, sobald er glaubte, den rechten Ort gefunden zu haben. Und dabei packte ihn dann eine Angst, daß der Geist, der ihm so aus der Not geholfen, auch erzürnt werden könne, wenn er nicht nach seinen Befehlen handelte. Ganz niedergeschlagen kam er endlich zu seiner Frau und den Kindern zurück, setzte sich zu ihnen und wartete viele Stunden lang. Er rief den Berggeist in seiner Ungeduld selbst mit dem Namen, mit dem er sich selten ungestraft nennen ließ, und da Rübezahl auch darauf nicht erschien, beschloß er, daß Geld unter ein Felsstück zu legen, dort werde es der Herr der Berge schon finden, dachte er. Eben als er diesen Entschluß ausführen wollte, erhob sich ein heftiger Wirbelwind, Staubwolken und dürres Laub flog von dem Wege auf, und die Kinder haschten aus Langerweile nach einem Blatte Papier, was vom Winde immer an ihren Füßen hin und her gejagt wurde.

Einer der Knaben warf endlich seine Mütze darauf, und da es ein so schönes weißes Papier war, brachte er es dem Vater. Wie sehr erstaunte dieser aber, als er seinen eigenen Schuldschein erkannte, unter welchem mit großen Buchstaben geschrieben stand: „Zu Dank bezahlt.“

„Nun weiß doch mein Wohltäter, daß ich ehrlich Wort gehalten habe und meine Schuld dankbar abstatten wollte,“ rief der Bauer voll Freude, „und das ist mir weit lieber, als das geschenkte Geld. Auf den Rübezahl aber soll mir nur einer ein Wort reden, der hat’s mit mir zu tun; ohne ihn wäre ich vergangen in Not und Trübsal. Er wird sich wohl seine Leute ansehen und wen er wirklich für gut und strebsam hält, dem hilft er auch, und hat er jemand einmal einen bösen Schabernack gespielt, so wird das auch wohl seinen guten Grund jedesmal gehabt und schon manchen mag er durch Neckereien auf den rechten Weg geführt haben.“

Jetzt wollte er den Wagen aufsuchen und wieder heimfahren, aber die Frau bat so lange, bis er mit ihr zu den geizigen Vettern fuhr, um diese für ihre Hartherzigkeit recht zu beschämen. Aber als sie in das Dorf kamen, waren diese nicht mehr zu finden; der eine war durch einen bösen Fall in jahrelanges Siechtum verfallen, nach und nach auch in Armut und Not geraten, der andere aber einer niedrigen Betrügerei wegen mit Schimpf und Schande von seinem Gehöft vertrieben worden. Niemand im Dorf sprach gern von ihnen, ihr Andenken war fast ganz vergessen.

Hochmut und Unbarmherzigkeit kamen bei ihnen vor dem Fall; unser Bauer aber blieb arbeitsam und einfach, führte ein stilles, friedliches Leben und half überall seinem Nächsten gern. Dafür wurde er täglich mehr geliebt und verehrt in der ganzen Gegend, und sein Wohlstand mehrte sich täglich. Seine Nachkommen leben noch im Gebirge.

Glücks-Männlein.

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Eines Tages kam in Seidorf die Rede darauf, daß, wer in Rübezahls Lustgarten Glücks-Männlein pflücken könne, reich und glücklich in der Welt werde; es müsse aber in der Johannisnacht geschehen, denn außer dieser Zeit breche Rübezahl einem jeden, der komme, den Hals. „Es muß aber eine Waise sein und kein böser Mensch,“ setzte der Erzähler hinzu.

Nun waren ein Paar Geschwister in der Wirtsstube, die beide verwaist waren, und der Brauer hatte sie aus Barmherzigkeit zu sich genommen; wie nun der Knabe diese Reden hört, denkt er: „Das will ich versuchen, und wenn es glückt, so soll mein Schwesterchen und der gute Brauer, der sich der armen Waisen angenommen hat, auch reich und glücklich werden.“

Ohne jemand ein Wort zu sagen, schleicht sich Joseph aus der Stube, steckt sich ein Stück Brot ein und schreitet wohlgemut aus dem Dorfe, den Bergen zu, denn es war eben die Johannisnacht. Wie er bis zur Hampelbaude kommt, fragt ihn der Baudenwirt, wohin er noch so spät wolle und der Knabe erzählt treuherzig sein Vorhaben.

Ein Mann der behaglich hinter einer Flasche Ungarwein sitzt, hört das mit an, und als Joseph, weitergeht, kommt er ihm rasch nach. „Wir wollen Gesellschaft machen,“ spricht er zu dem Knaben, „ich gehe auch noch diese Nacht in Rübezahls Lustgärtlein.“

Joseph sieht den stattlichen Mann an, der so rund und wohlgenährt aussieht und denkt: „ei, was mag denn dem noch zu seinem Glücke fehlen? — Das ist ja der reiche Kretschmer aus Breslau, der gestern bei uns in Seidorf übernachtete und bis spät nach drei Uhr Karten spielte und zechte.“ —

So gehen sie nebeneinander; die Nacht ist lieblich und still, und von den Dörfern im Tale klingen die Abendglocken herauf. Da faltet der Knabe in frommer Gewohnheit seine Hände und betet; der fremde Mann denkt aber nur an all den Reichtum, den er mit Hilfe der Glücks-Männlein erwerben wird. Als sie nun am Lustgarten Rübezahls ankommen, leuchten ihnen schon die Blüten des Glücks-Männlein entgegen und der Kretschmer fällt gierig darüber her, ganze Hände voll davon ausrupfend.

Da tritt plötzlich ein Greis mit langem, silberweißem Barte hinter einem Felsen hervor und ruft ihm ein donnerndes „Halt“ zu. Der Mann zittert am ganzen Leibe und bleibt wie angewurzelt stehen; der Knabe aber geht ruhig an den Greis heran und bittet: er möge ihm doch erlauben, zwei Glücks-Männlein mitzunehmen.

Da schaute der Greis freundlich auf den Bittenden und fragte: „wozu er denn gerade zwei Glücks-Männlein pflücken wolle?“

Joseph sagt nun, wie er und seine Schwester Waisen seien und gern glücklich werden möchten, damit sie nicht mehr guten Leuten zur Last fielen, und nur deshalb bitte er um zwei Blümlein.

Nun wurde der Greis immer freundlicher, pflückte selbst einen großen Strauß der begehrten Blumen, gab sie dem Knaben in die Hand und steckte ihm noch alle Taschen voll davon, indem er ihn ermahnte, nichts davon zu verlieren. — Nachdem dies geschehen und Joseph tausend Dank gesagt, fragt der Greis den Kretschmer: „Wer bist du?“ — Der Mann sagt, er sei arm und in Not und käme auch, um sein Glück zu machen.

„Elender!“ fuhr der Greis ihn an, „glaubst du, ich würde einen so schlechten Patron, wie du bist, glücklich machen? Hebe dich hinweg, nur für unschuldige Waisen ist das Glück beschert, das sie hier suchen.“ — Unter diesen Worten stand der Kretschmer zitternd vor dem Greise, wollte aber doch nicht vergebens heraufgestiegen sein und sagte, er sei auch eine Waise, sein Vater wäre von den Moskowitern fortgeschleppt worden, als er kaum zwölf Jahre alt gewesen sei. Er hatte diese Worte kaum gesprochen, da ergrimmte der Greis, faßte ihn bei der Gurgel und warf ihn hinab in den tiefen Grund. „Nichtswürdiger Lügner!“ sagte er dabei, und seine Stimme klang wie ferner Donner; — das Winseln des Mannes verstummte bald. — Der Knabe aber war erschrocken auf die Knie gesunken und betete; da nahm ihn der Greis an die Hand, sprach ihm sanft zu und führte ihn wieder aus dem Gehege heraus.

In Seidorf war man indes um Joseph sehr besorgt gewesen, und besonders die Schwester freute sich, als er gesund und frisch wiederkam und ganze Hände voll Glücks-Männlein mitbrachte. Er teilte dem Brauer redlich davon mit, und am andern Morgen hatte sich jedes Blättlein in pures Gold verwandelt. Nun gab es auf der Welt keine glücklicheren Geschwister; Joseph ward der reichste Bauer im Dorfe, hat aber nie die Hilfe Rübezahls und das schreckliche Ende des schlechten Kretschmers vergessen.

Rübezahl und der Schneider.

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Einmal kam der Berggeist nach Landeshut und trug ein Päcklein Tuch unter dem Arme. Nach einem Schneider fragt er ein kleines Mägdlein, das am Brunnen Wasser holt, und dieses weist ihn in ein nahes Haus, wo es gar stattlich aussieht. Als er nun in die Stube tritt und den Meister höflich anspricht, ihm einen Rock zu machen, auch den großen Ballen Tuch vor ihm ausbreitet, denkt der pfiffige Schneider, der ist auch nicht aus Landeshut, solch’ vornehme Leute kommen mir nicht alle Tage unter die Schere. Er legt also das Tuch doppelt und macht dann ein bedenkliches Gesicht, als werde er damit wohl schwerlich, auskommen zu einem ganzen Rocke. Rübezahl schwatzt indes mit den Gesellen und tut, als sehe er nicht, was vorgeht.

Darauf versprach der Meister, der Rock solle in acht Tagen fertig sein, und Rübezahl ging weiter. Als die Zeit um ist, schickt er einen Diener, läßt die Sachen abholen und sagen, er werde nächstens selbst kommen und mehr Arbeit bestellen, auch alsdann das Macherlohn bezahlen.

„Ei, recht gern,“ sagte der höfliche Schneider und denkt, an diesem Kunden läßt sich ein guter Schnitt machen. Als aber acht Tage verstreichen und sich der Fremde nicht sehen läßt, wird’s dem Meister doch bedenklich und er beschließt, das Tuch zu verkaufen, um das er jenen gebracht hat, so daß er doch nicht um sein Arbeitslohn komme. „Ein Mal einem vornehmen Herrn getraut und nie wieder,“ denkt er, schlägt, sich endlich die Geschichte aus dem Sinne und holt das Tuch herbei. Aber da war es eine Decke, aus Schilf geflochten. — Das kam ihm doch auch gar zu wunderbar und bedenklich vor.

Nun geschah es lange Zeit darauf, daß er mit seinen Gesellen die Koppe bestieg, und da begegnete ihnen Rübezahl, ganz lustig auf einem Bocke reitend. „Du willst wohl das Arbeitslohn für das Kleid holen, so du mir gemacht hast?“ ruft er dem erschrockenen Meister zu.

Da geht diesem ein Licht auf; aber ein rechter Schneider ist pfiffig und weiß sich immer zu helfen. „Gnädiger Herr,“ spricht er, „deshalb stieg ich nicht auf das Gebirge, denn ihr habt Kredit, so lange es euch beliebt; ich mache nur eine Reise nach Böhmen und hoffe, ihr werdet nichts dawider haben. Ich will euch auch mein Lebtag gern redlich dienen.“

„Nun, da du so nachsichtig bist, will ich mich auch dankbar bezeigen,“ spricht Rübezahl, „ich will dir mein Reitpferd schenken, aber wehe dir, so du dich dessen, nicht überall bedienst.“

Nun hatte der Schneider keine Courage, obgleich das recht unglaublich klingen mag, und wollte sich durchaus nicht auf den Ziegenbock setzen, der kerzengrade auf seinen Hinterfüßen stand. Aber Rübezahl hob die Hand, um dem zaghaften Meister in den Sattel zu helfen.

Der Schneider aber war so leicht, daß Rübezahls Arm mit ihm eines Kirchturms Länge in die Luft hinauffuhr, denn der Berggeist hatte gedacht, er werde doch mindestens über hundert Pfund zu heben haben, und wog der Schneider nicht viel über fünfzig. Dabei flog der Handschuh Rübezahls ihm von den Fingern und liegt noch heutzutage nicht weit von Rübezahls Kanzel, wovon sich jeder überzeugen kann.

Der Schneider aber saß kaum auf dem Reitpferde, als dies mit ihm dahintrabte; die Gesellen hielten sich pfiffig an den Schwanz desselben und kamen nun auch so geschwind, wie der Meister, von der Stelle. Aber wo sie hinkamen, traf sie das Gespött der Leute, und doch wagte der ehrsame Meister keinen Schritt zu Fuße zu gehen, sondern bediente sich immer aus Furcht vor dem Berggeiste des verhaßten Bockes.

Weil er nun aber in jedem neuen Kunden immer wieder den Rübezahl vermutete, so hütete er sich wohl, das frühere Kunststück zu wiederholen und ward von da ab der ehrlichste Schneider der Welt.

Es hüte sich jeder nicht vor dem Berggeist — sondern vor der Sünde im allgemeinen, denn sie ist es, die den Menschen in der Gestalt des bösen Gewissens oft mehr quält, als alle Gnomen und Erdgeister.

Lieber bleibe arm auf Erden,
Als durch Untreu reich zu werden.

Wie Rübezahl sich eines armen Studenten annimmt.

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In der Zeit, wo Rübezahl noch sein Wesen auf den Bergen trieb, da war’s freilich anders, als jetzt, da half’s einem ungelehrten Burschen nicht zu einem guten Amte, wenn einer seiner Vettern auch ein vornehmer Rat beim Konsistorium oder im Reichstag war, da gab’s auch noch nicht so viele Hofräte wie jetzt, und doch war der gute Rat nicht so teuer. Es mußte jeder etwas tüchtiges lernen, wenn er in der Welt fortkommen wollte und auch damit hatte es noch Not genug.

Da gab es denn eine Menge arme Studenten, die fleißig hinter den Büchern sitzen mußten, um endlich ein mageres Ämtchen zu bekommen und solchen half der Rübezahl gern, wenn sie nicht etwa Raufbolde waren, die mit Sporen und Peitsche Straß’ auf Straß’ ab lärmten, sondern still daheim saßen und arbeiteten.

Ein solcher Student reiste einmal in den Sommerferien über das Gebirge und ist in tiefen Gedanken. Ein Mann, der wie ein reisender Handelsherr aussieht, gesellt sich dort zu ihm und fängt ein Gespräch mit ihm an. Da zeigt sich denn der Student als wohl unterrichtet, und wie ihn der Fremde teilnehmend über sein Schicksal befragt, setzt er sich nicht aufs hohe Pferd, sondern erzählt treuherzig und unbefangen, daß er arm sei und nur durch Unterricht und Abschreiben sich forthelfe, daß er noch eine arme Mutter habe, die für andere Studenten wasche und koche, und wie er eben jetzt recht sehr bekümmert sei, daß er sich ein gewisses Buch nicht anschaffen könne, dessen er eben zu seinen Studien bedürfe.

Der Handelsmann hört ihm mit Teilnahme zu, sucht ihm Mut zuzusprechen und freut sich, daß er gerade das nötige Buch besitze und mit sich führe. Dabei ruft er seinen Diener, der ein großes Felleisen trägt, zieht das Buch heraus und schenkt es dem Studenten. Wer ist nun glücklicher als dieser; er hätte am liebsten gleich angefangen zu lesen, wenn er die Gesellschaft des Reisenden nicht so lange als möglich hätte genießen wollen.

Als dieser sich aber endlich von ihm trennt, setzt sich der erfreute Student unter einen überhangenden Stein und studiert fleißig in dem Buche. Und so jeden folgenden Tag; es gab keinen emsigeren Arbeiter auf der ganzen Hochschule.

Eines Tages kam einer seiner Bekannten und bot dem Studenten zehn Taler für das Buch, damit könne er ja eine lange Zeit ohne Sorgen leben; aber dieser behielt sein Buch und sagte, er wolle lieber ferner sich dürftig behelfen, wenn er nur recht viel lernen könne und dazu sei ihm das Buch am meisten behilflich. — Ehe ein Monat verstrich, hatte der Student das Buch ganz inne. Als er aber zu den letzten Seiten desselben kam, da lag ein Schein, ein großer Geldschein zwischen den Blättern in ein sauberes Papier eingeschlagen und darauf standen die Worte:

„Ein kleines Andenken an den Herrn vom Berge!“ — Nun konnte er ohne Not seine Studien vollenden und ward ein sehr gelehrter Mann.

Personen:

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Rübezahl.

Elisabeth.

Vater Thomas.

Gustav.

Die Mutter.

Neunte Szene.

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Die Vorigen. Rübezahl (als wandernder Chirurgus).

Rübezahl.

O sagt mir doch, ihr guten Leute,
Kann ich hier nicht den Weg verlieren?

Mutter.

Wo kommt er her? Wo will er hin?

Rübezahl.

Aus fremden Ländern ward ich verschrieben,
Weil ich ein berühmter Wundarzt bin,
Meine Kunst in Hirschberg auszuüben;
Dort, sagt man, lebt ein reicher Mann,
Dem ist einmal vor vielen Jahren,
Als er im Kriege sich hervorgetan,
Eine Kugel in das Knie gefahren;
Ein Ignorant hat es schlecht kuriert,
Davon ist der Fuß ihm steif geblieben;
Weil er nun nicht gern auf Krücken marschiert,
So hat er mich aus Paris verschrieben.
Über Hals und Kopf komm’ ich von dort,
Bin auf der Reise schon viele Wochen;
Soeben ist mir der Wagen zerbrochen,
Da wollt’ ich denn zu Fuße fort. —

Mutter.

I nun, die Beschwerde ist noch erträglich;
Hirschberg ist eben nicht mehr weit.

Thomas.

Ach, sag er mir, Herr! ist das wohl möglich,
Daß er den Fuß von der Lähmung befreit,
Wenn schon eine geraume Zeit verstrichen
Und alles schon verwachsen ist?

Rübezahl.

Freund, das ist mir eine Kleinigkeit;

Mutter.

Ach Gott, welch’ neuer Hoffnungsstrahl! —

Rübezahl.

Doch freilich ist mein Balsam teuer.

Elisabeth.

Befreit den Vater von seiner Qual,
Und was wir besitzen, sei flugs euer.

Rübezahl (lachend).

Blutwenig ist wohl, was ihr besitzt?

Mutter (rasch).

Hier, dieser Korb —

Thomas.

O nicht doch, Kind!
Ein gesunder Fuß euch ja weit minder,
Als dieser Schatz im Korbe nützt.

Mutter.

Mit Freuden wollen wir alles missen.

Rübezahl.

Was habt ihr denn im Korbe dort?

Mutter.

Gold! lauter Gold!

Rübezahl.

Das schenkt ihr fort,
Als wären’s Schalen von Haselnüssen?

Mutter.

Ach, Herr! für ein Weib, das redlich liebt,
Auf Erden kein größer Glück es gibt,
Als wenn sie für einen wackern Mann
Das Beste und Liebste opfern kann.

Elisabeth.

Hilft er, so spring’ ich deckenhoch.

Gustav.

Und Gustel ihm ein Liedchen singt. —

Thomas.

Nicht wahr, Herr, wenn’s auch nicht gelingt,
Ein glücklicher Vater bleib’ ich doch? —

Rübezahl (beiseite).

Bin, ich doch sonderbar bewegt,
Fast scheint’s — trotz meinem geistigen Wesen — —
Daß Neid sich gegen die Menschen regt.
(laut) Wohlann, mein Freund, ihr sollt genesen!

Mutter.

Ist’s möglich, Herr!

Rübezahl.

Ja, eure Krücken
Werft nur in Gottes Namen weit,
Es tut in wenig Augenblicken
Mein Balsam seine Schuldigkeit.

(Er setzt sich zu Thomas, zieht ein Büchschen hervor und reibt ihm das Knie).

Mutter.

O Rübezahl! jetzt fühlen wir erst
Den ganzen Wert von deinem Geschenke.

Thomas.

Ha! diese zerschmetterten Gelenke —
Wie ist mir — neues Leben zuckt
Durch jede Muskel, jede Nerve —
Die Last, die mich zu Boden gedrückt,
Wie leicht ich sie von der Schulter werfe! —

Gustav (faltet die Hände).

Ach, Mutter! ich bete Sprüch’ und Psalter,
Das wird vielleicht von Nutzen sein.

Thomas.

Geschmeidig wird mein Fuß. —

Rübezahl.

Nun, Alter?
Versucht? einmal und steht allein!

Thomas.

Es ist geschehen! ich bin gesund!
Gott! Gott! ich danke dir; und ihm!

Mutter und Elisabeth (umarmen Rübezahl von beiden Seiten).

O Herr! —

Gustav.

Gott wollt’s ihm segnen alle Stund’.

Rübezahl.

Nun, nun, nur nicht so ungestüm,
Mein Balsam hat den Dienst verrichtet;
Doch schwebt euch auch wohl noch im Sinn,
Zu welchem Geschenk ihr euch verpflichtet?

Elisabeth.

Da steht der Korb!

Mutter.

Nehmt alles hin!

Rübezahl.

Zuweilen die Menschen sich hoch vermessen,
Zu geben und schenken, was es auch sei;
Ist aber die Gefahr vorbei,
So wird das Gelübde gar oft vergessen.

Mutter.

Nein, zieh er nur hin mit der goldnen Bürde.

Elisabeth.

Auch nicht ein Blättchen nehmen wir an! —

Thomas.

Nun fühl ich erst wieder des Hausvaters Würde,
Da ich für die Meinigen arbeiten kann.

(Mutter und Kinder umschlingen den genesenden Thomas; währenddessen verwandelt sich Rübezahl.)

Alle.

Ha! Rübezahl! — der gute Geist!

(Sie heben die Hände zu ihm empor — er verschwindet.)

Einleitung.

Inhaltsverzeichnis

Das Riesengebirge, das euch, meine jungen Freunde, aus der geographischen Lehrstunde wohl bekannt ist, ja welches einzelne von euch schon besucht haben, ist derjenige Teil der Sudeten des preußischen Staates, wo sie am höchsten und engsten verbunden sind und Schlesien von Böhmen und Mähren scheiden. Die hervorragenden Spitzen derselben sind von ansehnlicher Höhe, die Riesen-, auch Schneekoppe genannt, welche 1605 m über dem Meeresspiegel liegt; ferner der Reifträger, das hohe Rad und die Sturmhaube; auch haben starke Flüsse, z. B. die Elbe und der Bober, ihren Ursprung zwischen felsigen Höhen. — Dort nun war ehemals der Aufenthalt eines mächtigen Berggeistes. Sein Gebiet umschrieb auf der Oberfläche des Riesengebirges nur wenige Meilen, breitete sich aber im Innern desselben desto weiter und tiefer aus. Der Gnom herrschte oft jahrhundertelang still in seinem unterirdischen Reiche, und erhob sich nur selten auf die Oberwelt, um dort sein Wesen zu treiben.

Zur Zeit, als noch kein menschlicher Fußtritt das verkümmerte Knieholz und die spärliche Vegetation der Berge betrat, ehe die Gegend bewohnt war, begnügte sich der Herr der Riesenberge damit, wilde Tiere aufeinander zu hetzen, oder sie aus ihrem Lager aufzuschrecken, und sie in wilder Jagd durch das Gehölz zu treiben.

Als er aber nach langer Zeit wieder einmal das Tageslicht der Oberwelt aufsuchte, fand er zu seinem Erstaunen alles so sehr verändert, daß er fast sein eigenes Gebiet nicht wiedererkannte. Grünes Saatenfeld erhob sich, wo früher ein finsterer Wald gestanden hatte, und auf Wiesen weideten Schafe und Rinder, unter der Obhut singender Hirten und schützender Hunde. Da lagen einzelne Hütten in den Tälern, aus deren Schornsteinen der Rauch lustig emporstieg und vor deren Türen muntere Kinder spielten, mit fröhlichem Geschrei. Der Gnom wunderte sich nicht wenig über diese neuen Erscheinungen; seine größte Aufmerksamkeit aber erregten die Gestalten der Menschen, die er nie zuvor gesehen hatte. Seine Neugier ward rege, und er beschloß, diese fremden Wesen näher kennen zu lernen, indem er ihre Gestalt annahm und einige Zeit unter ihnen lebte.