Inhaltsverzeichnis
Und nun riß mich Gott, der muthig mich
weckte zur Freude,
Frisch in das Leben hinein, Hoffnung und
Glaube ging mit,
Und ich beschaute die Städte und Länder und
Sitten der Menschen.
Hatt' ich ja lange genug einsam mich
selbst nur geschaut!E. M. Arndt.
Wieder war es Sommer geworden, die Sonne strahlte am Himmel, die Erde duftete aus tausend holdseligen Blüthenkelchen, und die Herzen der Menschen öffneten sich weit, um Liebe, Licht und Glückseligkeit, Gott dankend, in sich aufzunehmen.
Zwischen lieblichen Bergen gelegen, überschüttet von paradiesischer Schönheit, und gerühmt wegen seiner heilsamen Quellen, liegt die Perle der europäischen Bäder. Alle Nationen geben sich hier ein Rendezvous, alle Eleganz, alle Schönheit, Verkommenheit und Leichtlebigkeit des neunzehnten Jahrhunderts hält hier seinen pikanten Jahrmarkt, Musikklänge schmeicheln dazwischen, purpurdekorirte Säle laden die Jugend zu Spiel und Tanz und die alte Ruine schaute ernsthaft von ihrem Berggipfel hernieder und summt aus melancholischen Aeolsharfen den ewigen Refrain der Vergänglichkeit.
Folgt man den lauschigen Promenadenwegen, zu deren Seite ein silberhelles Flüßchen sprudelt, so sieht man auf mäßiger Anhöhe, versteckt fast unter schattenden Baumwipfeln und umgeben von terrassenartigen Parkanlagen, eine schimmernd weiße Villa leuchten, über deren gewölbtem Thorbogen in goldenen Buchstaben der Name prangt: »Villa Monbonheur.« Neben dem übermüthigen Springbrunnen ragen zwei köstliche Marmorgruppen, deren weibliche Köpfe eine wunderbare Aehnlichkeit mit der jungen Herrin dieser Besitzung haben, welche jüngst am Arm ihres Mannes über die blumengeschmückte Schwelle geschritten ist.
»Ein schönes, interessantes Paar!« sagt man von ihnen, und wenn der junge Gatte mit glückstrahlendem Lächeln durch die wogende Menschenmenge schreitet, dann folgt mancher Blick seiner eleganten Gestalt, und die junge Frau an seinem Arm würde eifersüchtig werden, könnte sie das Urtheil manches schönen Mundes über die »köstlichen Augen« hören. Aber Dagmar hörte eben nicht auf die Menschen. Sie ist vollkommen glücklich, sie tauscht mit keiner Kaiserin, sie ist ein lächelndes, sinniges, minnigliches Weib geworden.
Desider hatte sie sofort am andern Morgen jener unglücklichen Katastrophe in Casgamala nach der Residenz zurückgebracht, er folgte auch der Braut nach dem Quellbad, wohin ein hartnäckiges Knieleiden des Onkel Major die ganze Familie von der Ropp geführt hatte. Und entzückt von der himmlischen Lage hatte das junge Paar beschlossen, sich Hierselbst anzukaufen, um den ersten Sommeraufenthalt ihrer jungen Ehe in »Deutschlands Paradies« zu nehmen. Desider dachte ungern an Casgamala zurück. Der Tod Lothars hatte furchtbar in sämmtliche Verhältnisse eingegriffen, und hatte man Casgamala früher schon ein unheimliches Schloß genannt, jetzt konnte man es mit vollem Fug und Recht, denn seine Mauern beherbergten eine Wahnsinnige. Als man Lothars kaum mehr kenntliche Leiche zur Gräfin Mutter in den Neubau trug, als Graf Desider mit ernstem, furchtbarem Vorwurf in ihr Auge sah, lebend und glücklicher denn je, als Dolores voll kalter Härte auf die Todtenbahre wies und in das Ohr der Excellenz raunte: »Mein ist die Rache, ich will vergelten! spricht der Herr.« Da war die alte Dame mit gellendem Lachen zurückgetaumelt. »Helios, mein Sonnengott!« und sie schüttelte seine erkalteten Arme und rief voll Ungeduld: »Was liegst Du und schläfst? Was bedeckst Du Dein Gesicht? Spute Dich! An die Arbeit, ehe das Wetter vorüberzieht!« Und als der Todte sich nicht regte, ließ sie schaudernd die starren Hände fahren. »Er ist es ja gar nicht, mein Lothar! Er wartet ja drüben in meinem Zimmer und will mir erzählen, wie alles geglückt ist!« flüsterte sie mit irrem Blick zu Dagmar auf, und lautlos floh sie durch die lange Zimmerreihe, hin in ihr Boudoir, da hing das lebensgroße Oelbild ihres Abgottes. Gräfin Mutter schmiegte sich an ihn, streichelte seine Hände und Wangen und nickte ihm zärtlich zu: »Mein Helios, mein Sonnengott!«
So brach der Wahnsinn aus, und so blieb er bis auf den heutigen Tag. Unverändert sitzt die alte Dame vor dem Bild ihres Lieblings, sie spricht mit ihm, leise, heimlich flüsternd, schreibt Briefe an Berliner Wucherer und liest sie ihm vor, ob er's so zufrieden ist. Sie zehrt dahin wie ein Schatten, kaum hat sie noch Kraft sich zu erheben, und so sinkt sie oft ohnmächtig in die Polster zurück mit einem lächelnden: »Helios! mein Sonnengott!« Dieser Wahnsinn ist nicht gefährlich, darum läßt man die Kranke den kurzen Rest ihrer Tage ungetrübt in dem einsamen Felsenschloß verleben. Die getreue Sybille und zwei Wärterinnen hat Graf Desider mit ihrer Pflege betraut, denn Kinder hat Ihre Excellenz nicht mehr und verlangt auch nicht nach ihnen.
Comtesse Dolores reiste noch an demselben Tage, an welchem des Kiosk in Rauch und Flammen aufging, nach einem benachbarten Frauenkloster ab, wo sie bereits den Schleier der Himmelsbräute trägt. Jesabell verlebte noch einige Wochen stillen Friedens bei ihrer Schwiegermutter, einer milden, kränklichen Dame, in der benachbarten Kreisstadt, bis Alexander sein Stammgut neu erworben und beide Frauen zu glückseligem Beisammenwohnen in die lieblichen Fluren Thüringens abholte. Das war eine weite, weite Trennung von Casgamala. Jesabell blüht in ihrem jungen Glück empor wie eine Rose, und als Desider und Dagmar auf der Hochzeitsreise das geliebte Paar überraschten, fanden sie den jungen Gutsherrn und sein Weibchen auf der Parkbrücke, eine Angel wohl in der Hand, aber noch keine einzige Forelle im Korb, denn Jesabell betrachtet dieses Vergnügen einzig als eine heitere Erinnerung an vergangene Zeit, und so oft Alexander die schillernde Fliege über die Wellen tanzen läßt, singt sie um die Wette mit den himmelauffliegenden Vöglein:
»Es lebe, was auf Erden
stolzirt in grüner Tracht,
Die Wälder und die Felder,
die Jäger und die Jagd!«
Und Sascha? Er wirft glückselig die Angel zu dem leeren Korb und singt aus vollstem Herzen mit! –
Ueber »die Perle der deutschen Bäder« wogt schimmerndes Abendgold und färbt die weißen Figuren auf dem Dach der Villa Monbonheur mit rosigem Wiederschein. Auf dem Balkon aber steht Arm in Arm Dagmar und Desider, um den weichen Musikklängen zu lauschen, welche von dem Kurhaus wie schwärmerisches Echo emporschallen.
Desider hat seinem jungen Weibe einen Zeitungsbericht vorgelesen, welcher die neueste Ausstellung plastischer Kunstwerke in B. bespricht. Lob und Bewunderung wird einer weiblichen Marmorstatue von außerordentlicher Schönheit zu Theil, deren Meister sich hinter dem bescheidenen Pseudonym » D. E.
« versteckt. Es ist das erste Mal, daß Graf Desider auf Dagmars Wunsch mit seinen Werken in die Oeffentlichkeit tritt. Und wenn auch jene herrlichen Bildwerke längst aus dem dunklen Geheimgang des Kiosks an Gottes helles Sonnenlicht gerettet wurden und meistens als Geschenke, oder eigene liebe Erinnerung, die Freude und Bewunderung der Menschheit sind, so wird doch erst dieser erste Erfolg den jungen Künstler bestimmen, weitere Werke zu schaffen, um sie der Oeffentlichkeit zu übergeben.
Strahlendes Lächeln flog über Dagmars reizendes Gesicht, sie bricht mit weißen Händen die Lorbeerzweige aus dem Blumenschmuck des Balkons, schlingt sie geschickt zum Kranze und drückt ihn auf das blonde Haupt des Geliebten, dann neigt sie das Köpfchen zurück und blickt ihn lange stumm und glückversunken an.
»Häßlich! häßlich über alle Begriffe!« persiflirt Graf Echtersloh neckend, die junge Frau aber schlingt in leidenschaftlicher Zärtlichkeit die Arme um seinen Nacken und flüstert mit feuchtem Blick: »Aber treu bis in den Tod!«
*
Und in diesem Augenblick wurde das junge Paar überrascht – von der Verfasserin!
Ende.
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Die Blüthe fiel, mir blieb der scharfe Dorn,
Noch immer aus der Wunde quillt das Blut;
Es sind das Weh, die Sehnsucht und der Zorn
Mein einzig Gut.Geibel.
Es war im Juni. Blendende Sonnenglut lag auf dem weit gedehnten Häuserkomplex der Kadettenanstalt, flimmernd, wie ein unabsehbares Strahlennetz, welches mit tausend feinen Goldmaschen Himmel und Erde umsponnen hält. Die jungen Gartenanlagen standen matt und welk, einzelne Schmetterlinge hingen an den Blumen, und die Fliegen blitzten wie übermüthige Gedanken durch die Luft, ebenso bunt und schillernd wie der Sonnenstaub, in welchem sie sich tummelten. Hinter dem Hauptgebäude dehnte sich der Reitplatz aus, da war Schatten.
»Durch die Mitte der Bahn changirt!« klang die Summe des unterrichtenden Kavallerieoffiziers. Er ließ die Reitpeitsche sinken, stemmte die Arme in beide Seiten und ließ die erhitzten Pferde an sich vorüber defiliren. Mit glühendem Gesicht führten die jungen Reiter das Manöver aus, mit fast peinlicher Genauigkeit, und dennoch war kein einziger bei der Sache. Zur Seite des Platzes nämlich, dicht an der Barrière, stand ein kleiner Kreis sehr eleganter Zuschauer; die hohe, imposante Gestalt eines Herrn mit dem Band des eisernen Kreuzes im Knopfloch, mit weißem Schnurrbart und hellen Handschuhen, und ihm zur Seite die Frau Majorin, seine Gemahlin, klein, korpulent, mit der Lorgnette vor den Augen.
»Dagmar!« wandte sie sich plötzlich mit strengem Blick zur Seite, »geh' von dem Geländer herunter! Du bist nicht allein hier!«
Dagmar war ein Backfischchen, graziös, kokett, von Kopf bis zu Füßen rosa. Die kleine Nase mit ihrem kecken, aufwärts strebenden Spitzchen wandte sich halb zur Seite. »Da unten sehe ich nichts, Tante!« rief sie mit leicht gefaltetem Mündchen, »und Frieda und Herr von Sangers stehen ja vor mir!« Und ohne nur die mindeste Notiz von dem mißbilligenden Gesicht der Majorin zu nehmen, rückte sie sich noch übermüthiger auf ihrem Sitz zurecht und warf die wilden Kraushaare in den Nacken zurück.
»Sagen Sie mir doch, Herr von Sangers, wer ist jener entsetzlich häßliche Mensch dort auf dem Schimmel!« lachte sie plötzlich laut auf, ihre tiefdunkeln Augen zu dem jungen Kürassieroffizier hebend, welcher lächelnd mit dem Blick der Richtung folgte, die ihm die kleine Hand ungenirt angab, »nein, das ist ja haarsträubend! Wie eine Leiche sieht er aus und hängt auf dem Pferde wie ein Hampelmann! Hahaha! Fritz!« Und sie wandte sich jäh zu einem rothwangigen, zehnjährigen Knaben zurück, welcher dicht hinter ihr stand: »Daß Du mir niemals solch einen Ritter von der traurigen Gestalt abgiebst, sonst verleugne ich Dich bei Gott vor aller Welt!«
»Da kannst Du ruhig sein, Dagmar!« schüttelte Fritz mit wegwerfendem Naserümpfen den Kopf, »ich glaube, wir Beide reiten jetzt schon besser wie all' die Kerls da zusammen!«
»Aber Kinder, bitte, menagirt Euch!« wandte sich die Majorin mit strafendem Blicke um, und auch Frieda schüttelte ganz verlegen ihr achtzehnjähriges Blondköpfchen und sagte in entschuldigendem Flüsterton zu Herrn von Sangers: »Die beiden Kleinen sind gar zu wild, das kommt von dem ewigen Landaufenthalt bei uns; ich bin recht bange, wie Fritz sich hier einleben wird!«
Der schöne Offizier strich lächelnd seinen glänzenden Schnurrbart. »Unbesorgt, mein gnädiges Fräulein, lassen Sie den kleinen Vetter erst ein paar Monate bei uns sein, und Sie werden Ihre Freude erleben, welche Wunder das Kadettenkorps bewirkt. – Wie befahlen Sie, Fräulein Dagmar?«
»Ich befahl, daß Sie mir nun endlich sagen, wer jenes junge Scheusal auf dem Schimmel ist!« klang es mit grausamer Betonung von den frischen Lippen und Dagmar zupfte kokett an der dunkelrothen Rose, welche, weithin leuchtend, in ihrem Knopfloch stak, »jetzt kommt er eben hier angeritten, der dritte – heiliger Laurentius, wenn er doch einmal herunterfiele!« Und mit hellem Gelächter strich sie das schwere Haar aus der Stirn und hämmerte ausgelassen mit dem spitzen Stiefelhacken gegen die hölzerne Barrière.
»Bitte, nicht so laut, Fräulein Dagmar!« raunte ihr Sangers mit leichtgefalteter Stirn zu, »Graf Echtersloh ist unser zukünftiger Moltke, klug, strebsam, sehr brav und tüchtig.«
»Aber häßlich! Häßlich über alle Begriffe!« Laut und scharf klang die Stimme Dagmars über den Platz, ein spöttischer Ausdruck umspielte ihre rothen Lippen, fest und groß hafteten ihre Augen auf dem Gesicht des Kadetten, ein fast herausfordernd trotzig moquanter Blick, welcher jedoch den Zauber des pikanten Gesichts eher erhöhte als vernichtete.
Wie von einem Dolch getroffen schrak Graf Echtersloh empor, momentan ruhte Auge in Auge, jeder Blutstropfen wich aus seinen an und für sich schon sehr bleichen, großgeschnittenen Zügen, starr wie das Antlitz eines Todten schaute er zu ihr herüber.
»In abgekürztem Tempo Galopp – Marsch!« klang das Kommando des Offiziers dicht neben ihm. Der Schimmel zuckt auf, mit jäher Bewegung setzt er sich in das rasche Tempo seiner Vorgänger, und Graf Echtersloh, überrascht, verwirrt, wie aus tiefem Traum erwachend, sucht schwankend die Balance zu halten – umsonst, mit schneller Wendung kündigt der Schimmel den Gehorsam und sein Reiter fliegt vornüber in schwerem Sturz aus dem Sattel.
»Nun haben Sie ja Ihren Willen gehabt, Fräulein Dagmar,« flüsterte Sangers zwischen den Zähnen, und ein fast finsterer Blick streift die Kleine, welche momentan leicht erbleichend auf das herrenlos dahintrabende Pferd starrt. »Das hätte leicht recht schlimm ablaufen können. Aber Gott sei Dank, unser braver Selektaner scheint sich nicht erheblich verletzt zu haben! Sie scheinen sehr viel Gewicht auf das Aeußere zu legen, Fräulein von der Ropp, für Sie existirt nur die Schönheit?«
»Natürlich!« Dagmar warf ihr reizendes Köpfchen in den Nacken: »Es giebt drei Dinge auf der Welt, welche mir verhaßt sind: Kälte, Dunkelheit und häßliche Gesichter, und wenn Ihr Graf Echtersloh auch ein wahrer Ausbund von Klugheit und Geist wäre, er ist für meine Begriffe ein Monstrum von Häßlichkeit, und das genügt, um ihn für mich aus dem Register der Existirenden zu streichen!«
»Du übertreibst, Dagmar,« warf Frieda mild ein, »es ist nur seine auffallend bleiche Gesichtsfarbe, welche ihn auf den ersten Blick unschön erscheinen läßt, seine einzelnen Züge sind nicht häßlich, im Gegentheil, sie sind fast zu regelmäßig ausgeprägt für das hagere Gesicht!«
»Gesicht! Wie kann man einen solchen Todtenkopf nur Gesicht nennen!« zuckte die Kleine geringschätzend die Achseln, »wenn nicht seine zwei großen Räderaugen darin flammten, wäre es eine Wachsmaske, puh, und diese Augen, ich finde sie schrecklich, seht doch, wie er jetzt wieder hierher starrt, als ob er mich verschlingen wollte!«
»Ist Graf Echtersloh leidend?« fragte Frieda teilnehmend.
»Nein, mein gnädiges Fräulein, aber zu übertrieben fleißig,« nickte Sangers mit freundlichem Blick auf den Genannten, »die jungen Leute präpariren sich für das Offiziersexamen, und ich hoffe, daß die unermüdlichen Studien Echterslohs alsdann ihre glänzenden Früchte tragen!« –
Major von der Ropp besichtigte mit viel Interesse die innere Einrichtung der gewaltigen. Gebäude; er schritt an der Seite des Kommandanten, und es drehte sich die Unterhaltung der Herren hauptsächlich um den angemeldeten Kadetten Fritz, welcher heute von seinem Vormund mit dem zukünftigen Aufenthalt bekannt gemacht wurde.
Dagmar und Fritz von der Ropp waren Geschwister, früh verwaist und bei dem Onkel Major auf einsamem Landgut erzogen, beide aufgewachsen in zügelloser Freiheit, welche sich hartnäckig gegen alles sträubte, was nur im mindesten einem Zwange ähnlich sah.
»Nun sieh Dir mal an, Dagmar, Rettige, Brod und Bier giebts hier zum Abendessen!« raunte Fritz ins Ohr der Schwester, mit fast feindseligem Blick den gewaltigen Saal überfliegend, in welchem, eng gedeckt, Tafel an Tafel zusammenstand, »das ist ja scheußlich, das esse ich nicht, und wenn sie sich auf den Kopf stellen!»
Dagmar war neugierig an die langen Eßtische getreten. »Wer sitzt denn hier unten vor, Herr von Sangers?« rief sie über die Schulter.
»Ein Selektaner, um die jüngeren zu überwachen!« war die kurze Antwort.
»Von denen, die vorhin ritten?«
»Ja!«
Ein jäher Gedanke blitzte durch das Köpfchen der kleinen Dame, ebenso übermüthig und keck wie all seine tollen Geschwister. Unbemerkt blieb sie ein paar Schritte zurück, löste schnell die Rose aus ihrem Knopfloch und legte sie heimlich unter die erste beste Selektanerserviette. »Der soll sich mal wundern, der dieses Abendessen findet!« dachte sie, »ich wette, er macht ein sentimentales Gedicht darauf! Wenns nur nicht das Monstrum ist, dessen Verse würden gewiß ebenso häßlich sein, wie sein Gesicht, pfui, wenn ich nur an den Menschen denke!« Und Dagmar drehte sich auf den Hacken um und zog das Näschen kraus; im nächsten Augenblick gab es schon wieder anderes zu sehen und zu denken. Und als nach einer halben Stunde die Equipage mit Majors nach Berlin zurücksauste, da träumte Dagmar bereits von dem Vergnügungsregister der nächsten Tage, und hatte Rose und Kadettenkorps längst vergessen.
Droben an einem Fenster des Korpsgebäudes aber lehnte ein bleiches, schmerzbewegtes Antlitz und murmelte mit zuckenden Lippen: »Häßlich! Häßlich über alle Begriffe!« Und an den dunkeln Wimpern zitterte es feucht und rollte langsam, fast unbewußt über die eingefallene Wange. Eine rothe Rose lag in seiner Hand und stets von neuem kehrte sein Blick zu ihr zurück, dann wars wie ein seliges Aufflammen in dem ernsten Gesicht und er nickte leise und träumend vor sich hin, »und dennoch ist es ihre Rose, ich kenne sie ja aus Tausenden heraus! Warum hat sie mir gerade diese Blüthe auf den Teller gelegt? Aus Mitleid! Es thut ihr leid, daß ich weiß, wie bitter häßlich sie mich findet!« – Und der Mondschein huschte durch die Scheibe und küßte die rothe Blume in seiner Hand, da sah sie so mild und lieblich aus, und that dem Auge nicht mehr so weh wie im hellen Sonnenbrand auf dem Reitplatz draußen.
»Wie kann ich Dich ewig so frisch und schön erhalten, kleine Rose?!« flüsterte der Jüngling, »daß Du nicht stirbst und vergehst wie Deine Schwestern?« – –
»Bist Du schon fertig mit Deinen Arbeiten, Echtersloh?« fragte jemand hinter ihm.
Er schaute wirr auf. »Arbeiten? Ich arbeite nicht!«
»Du wolltest ja Deine Mathematik heute Abend noch vornehmen!« fuhr der Andere erstaunt fort. Wie geistesabwesend starrte ihn Echtersloh an.
»Das hat ja Zeit! Mathematik? Was ist Mathematik? Zähle zusammen wie viel Wunder ein Rosenkelch birgt, wie viel grausame Worte zwei rothe Lippen sagen können, wie viel Elend schon ein häßlich Gesicht in der Welt gestiftet hat, dann hast Du die Mathematik, und wenn Du sie nicht hast, dann vielleicht etwas Anderes, den Wahnsinn!« Und Echtersloh lachte gell auf, und schritt hastig aus der Thür.
*
Monate vergingen.
»Echtersloh ist verrückt geworden!« flüsterten sich die Kadetten in die Ohren, wichen ihm scheu aus und nickten sich nur verständnißvoll zu, wenn der junge Mann, schwankend wie in tiefem Traum, einsam einherschritt, leise vor sich hinlächelnd, oder die Stirn in schwere Falten gelegt, als grüble er über Unergründliches. – Echtersloh arbeitete nicht mehr, er sah seine Bücher nicht mehr an, er lachte geheimnißvoll, wenn seine Kameraden fragten, was er oft so heimlich an dem Fenster treibe. »Ich finde mich selber!« antwortete er kurz.
Die Lehrer schüttelten die Köpfe und redeten ihm ernst in das Gewissen: »Arbeiten Sie, Echtersloh, es sind nur noch wenige Wochen bis zu dem Examen!« Aber der Graf hörte nicht. Sangers nahm ihn bei Seite und beschwor ihn, Aufschluß über sein seltsam verändertes Wesen zu geben. Er meinte es gut mit ihm, er hatte ihn aufrichtig lieb. Der junge Mensch ward roth und verlegen, redete wirres Zeug, und stotterte mit angstvollem Blick: »Ich kann nicht Offizier werden, ich weiß es jetzt!«
»Sollte ihm der Sturz von dem Pferde geschadet haben, ist es möglich, daß der Unglückliche eine Gehirnerschütterung erlitten hat?« fragte man den Arzt. Dieser untersuchte den vermeintlich Kranken, beobachtete ihn scharf und entgegnete kopfschüttelnd: »Er ist ebenso gesund wie früher, aber dennoch scheint er an der fixen Idee zu leiden, kein Offizier werden zu wollen!«
Das Examen kam; Echtersloh, der Stolz des ganzen Korps – fiel durch. Er lächelte und athmete auf: »Ich muß heim!« rief er mit ausgebreiteten Armen. Wohin? Zu seiner Stiefmutter in die Residenz? Nimmermehr! »Nach Casgamala, in das liebe Ruinenschloß! Da ist's still und ruhig, da giebt es weite wunderliche Gärten voll blühender Rosen, zerfallene Säulen und modernde Pracht, da bin ich ganz allein, nur das Mondlicht huscht durch die bunten Scheiben und leuchtet mir, da will ich arbeiten!«
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Und Nebelbilder steigen, wohl aus der Erd' hervor.
Und tanzen lust'gen Reigen in wunderlichem Chor,
Und blaue Funken brennen, an jedem Blatt und Reis,
Und rothe Lichter rennen, in irrem, wirrem Kreis.Aus dem Lied: »Aus alten Märchen winkt es.«
Zum Teufel, Laubmann, man sieht nicht die Hand vor Augen in dieser Dunkelheit! Das ist ja ein Geholpere und Gestoße, als führen wir auf einer Wüste von Felsblöcken, anstatt auf königlicher Chaussee! Wo sind wir eigentlich? Ich glaube, Alter, überall anders, nur nicht auf dem richtigen Wege!«
»Auf dem Wege sind wir schon, Ew. Gnaden, aber 's geht hier halt ein bissel übers Geröll, eh' wir in die Haide kommen, und da ist's halt schon besser, ein bissel vorsichtig zu fahren, denn wenn man in solch' stockdunkler Nacht lustig drauf los kutschirt, dann könnt's halt ein bissel umkippen, Ew. Gnaden!«
Ein leiser Fluch war die Antwort, dann herrschte abermals Stille.
Erde und Himmel verschwammen im schwarzen Dunkel, kein Stern, kein Mondstrahl beleuchtete den Weg, nur die letzte, halb erloschene Laterne, welche Laubmann an die Deichselspitze des leichten Cabriolets gebunden hatte, warf hie und da einen unsichern Flackerschein über den tief ausgewaschenen Feldweg, dessen steinbesäete Furchen das Gefährt wie auf Meereswogen schwanken ließ. Zu beiden Seiten dehnte sich flache Ebene aus, sehr selten unterbrochen durch eine verwilderte Brombeerhecke, welche, wie ein schwarzer Klumpen, mit abenteuerlichsten Formen im Nebelmeer auftauchte.
Im Wagen blitzt ein Streichholz auf, eine weiße, ringgeschmückte Hand hebt es empor, um eine neue Cigarre in Brand zu stecken.
Es ist ein schönes Männergesicht, welches die rothe Flamme momentan beleuchtet. Ein schwarzes Bärtchen kräuselt sich keck auf der Oberlippe, zwei große stolze Augen leuchten unter regelmäßig gewölbten Brauen, Wangen und Kinn sind halb verdeckt durch den emporgeschlagenen Kragen eines Offizierpaletots.
»Jetzt sind wir halt auf der Haide, Herr Graf,« wandte sich Laubmann von seinem hohen Kutschersitz zurück, »nun braucht's noch ein bissel Geduld, und wir sind wieder auf der Chaussee, dann ist's halt noch ein' Pfeif Tabak lang und wir sehen Casgamala vor uns!«
Der junge Offizier strich ein zweites Streichholz an und sah nach der Uhr.
»Dreiviertel auf elf schon! Wir kommen nicht vor Mitternacht an, Alter!« antwortete er ungeduldig, »hol' der Satan Eure verdammten Steppen hier, die kaum einen Fahrweg, geschweige eine Eisenbahn aufzuweisen haben!«
»Bscht! – wenn der Herr Graf so gnädig sein wollten und lieber nicht so laut hier fluchen!« wandte sich der Kutscher mit scheuem Flüsterton zurück, »wir sind halt auf der Haide jetzt, Ew. Gnaden, und da muß man ein bissel vorsichtig sein, möchte auch Ew. Gnaden gar nicht rathen, sich hier so scharf umzuschauen; man sieht oft mehr, als man halt wünscht und ei'm lieb ist!«
Graf Echtersloh lachte laut auf. »Ich glaube bei Gott, alter Maulwurf, Er will mich ein »bissel« graulich machen!« rief er, übermüthig die Arme auf die Barrière des Kutscherbockes legend, »es spukt wohl hier, Laubmann, he?« Der Alte nickte geheimnißvoll.
»Und was für ein gespenstiges Wesen hat sein Reich auf dieser Haide aufgeschlagen, wenn man fragen darf? Wenn es eine ideale Fee voll Zauber und Schönheit ist, soll sie mir jederzeit auf meinem Boden willkommen sein, der Frau Venus erlasse ich sogar Steuer und Miethzins!« Sein helles Lachen hallte laut über die Haide und weckte fern über dem Moor ein paar melancholische Unkenstimmen, der Wind pfiff durch das struppige Ginsterkraut und raschelte in den langen Schlehdornzweigen, welche am Straßenhang in dichten Büschen wucherten.
Laubmann zog den Mantel hoch über die Ohren und schaute nicht rechts noch links.
»Was es für ein Spuk ist, der hier umgeht, weiß halt kein Mensch zu sagen, Herr Graf,« murmelte er fast grimmig in den Bart, »aber sie nennen ihn den Irrgeist von Casgamala!«
»Alle Wetter! Irrgeist von Casgamala! Wenn der Träger dem Namen entspricht, so ist es wenigstens ein poetisches Ungeheuer, das etwas auf wohllautende Visitenkarten gießt! Hm – und in welcher Weise macht sich besagtes Wesen ohne Fleisch und Blut bemerklich?«
Der Alte schauderte unter dem Klang der leichtfertigen Männerstimme neben ihm.
»Der Irrgeist von Casgamala ist halt nur ein Licht, Ew. Gnaden!« flüsterte er.
»Ein Licht?!«
Laubmann bejahte. »Eine grellrothe Feuerflamme, welche urplötzlich vor einem auftaucht und Augen und Sinne blendet; das Vieh ist tagelang wie im Dusel hinterher, wenn's sie gesehen hat, und die Menschen – ja, die zittern halt an allen Gliedern, weil es stets ein Unglück giebt, wenn sich der Geist blicken läßt!«
Hol ihn der Henker! Na, und Er sagt, Laubmann, hier auf der Haide treibe sich der freche Geselle herum?«
Der Gefragte neigte sich dicht zu dem Ohr seines jungen Herrn. »Nicht allein hier, Herr Graf, überall spukt er herum! Im Schlosse selber, im Park, auf der Haide hier, und vornehmlich bei recht dunkeln stürmischen Nächten in der Nähe der Marmorbrüche. Dort links, wir werden gleich hinkommen! Es war eigentlich lange Jahre Ruhe, man kannte den Irrgeist von Casgamala halt nur wie eine Sage im Dorf, denn seit der alte Herr Graf gestorben waren und deren Frau Mutter sich nie mehr um das Schloß bekümmert hat, von der Residenz aus, da ist alles zerfallen und vermodert bei uns, und wenn nicht der lahme Christoph, der Kastellan, den die Frau Exzellenz-Gräfin ins Schloß gesetzt hat, hie und da in den Spinnstuben die Geschichte von dem gespenstigen Lichte erzählte, dann hätte halt keine Seele mehr an den Spuk gedacht, Ew. Gnaden! Wie aber eines schönen Tages dero gnädigster Herr Bruder aus dem Kadettenkorps zurückkam und sich in den alten zerfallenen Thurm im Park einlogirte, und kein Mensch aus dem sonderbaren Wesen des Herrn Grafen klug wurde, da fing urplötzlich auch wieder der Spuk an, und seit den sieben Jahren ist wohl kaum eine Woche oder höchstens ein Monat vergangen, daß nicht die rothe Flamme überall umhergehuscht wäre!«
»Mein Bruder Desider wohnt also nicht im Schlosse selbst?« fragte Graf Echtersloh nachdenklich.
»Nein, Ew. Gnaden; wie schon gesagt, er kam eines schönen Tages an, suchte sich den alten Lebrecht, seines Vaters ehemaligen Kammerdiener im Dorfe auf, ließ sich das Schloß aufschließen und durchwanderte schweigend alle Zimmer, dann streifte er mit dem Lebrecht kreuz und quer durch den Park, ließ sich den alten Thurm oder Kiosk, wie man's heißt, öffnen und blieb wohl eine halb Stunde lang darin. Dann wurden ein paar Zimmerleute aus dem Dorfe geholt, die haben einen Tag lang darin umher rumort und hierauf ist keine Menschenseele wieder in den Park gekommen. Der Graf hat ein Gitter mitten durch ihn hingezogen, das die Anlagen samt dem Kiosk von dem modernen Schloßgarten trennt und dahinter hat er nun gehaust, Tag für Tag mit dem alten Lebrecht zusammen, ohne daß ein Menschenauge mal bei ihm hätte hinein schauen dürfen.«
»Seltsam! Mein Stiefbruder ist eben verrückt! Er hatte das Unglück im Cadettencorps von dem Pferde zu stürzen und sich das Gehirn zu erschüttern –«
»Halten zu Gnaden, Herr Graf, er redet aber ganz vernünftig und bei Sinnen. Hie und da ist er mal ein paar Arbeitern auf dem Felde begegnet, und die konnten gar nicht genug rühmen, wie gut und freundlich Graf Desider mit ihnen gesprochen hat, ein bissel seltsam ist er wohl schon, das mag sein, aber –«
»Unsinn! Mein Bruder ist unheilbar geisteskrank!« unterbrach Graf Lothar fast barsch, »das beste Zeugniß dafür ist wohl sein ganzes Gebahren, welches mit gesundem Menschenverstand nichts mehr gemein hat. Meine Mutter hat mir bis jetzt nur sehr flüchtige Mittheilungen über ihn gemacht, da der liebenswürdige Sohn in den ganzen drei Monaten ihrer Anwesenheit kaum fünf Minuten Zeit für sie gehabt hat. Er ist verschollen und vergessen in seiner Einsamkeit, und ich halte es darum für meine Pflicht, mich selber von dem ganzen Stand der Dinge zu überzeugen. Desiders Unzurechnungsfähigkeit macht mich zum Majoratsherrn und Haupt der Familie!« Es lag ein scharfer Klang in der Stimme des schönen Offiziers und die Worte: »Mein Bruder ist unheilbar geisteskrank« trugen den Charakter eines Befehles, da gab es kein Widersprechen mehr. »Bewohnt meine Mutter das ganze Schloß?« fuhr er nach kurzer Pause fort, den Rest der glimmenden Cigarre mit nachlässiger Handbewegung über den Wagenschlag auf den Weg schlendernd: »Sie schrieb mir, daß das ganze Gebäude bedeutender Reparaturen bedürfe!«
»Das bedarfs halt schon, Ew. Gnaden, der linke Schloßflügel ist nahezu am Zusammenfallen und wenn ihm nicht bald ein bissel aufgeholfen wird, dann dauerts nicht lange mehr, und er schaut ebenso wackelig drein, wie die alten Gemäuer, die noch rings im Parke stehn! Die Frau Gräfin Mutter bewohnt den ganzen Neubau und auf Wunsch der Comtesse Dolores sind auch die versiegelten Zimmer geöffnet, welche zu der Kapelle führen!«
Graf Lothar lachte leise und ironisch auf: »Natürlich, die Kapelle, die hat meine fromme Schwester zuerst ausgefegt! Es giebt doch recht viele Heiligenbilder und Betschemel darin und grausige Fegefeuer, welche die gläubigen Seelen nach Möglichkeit ängstigen?«
Der alte Mann verstand nicht den frivolen Spott in der Frage des Grafen, er nickte eifrig mit dem Kopf und schien froh zu sein, das Gespräch auf ein weniger gefährliches Thema gelenkt zu sehen.
»Das will ich meinen, Ew. Gnaden, wie ein wahres Schmuckkästchen schaut die kleine Kirche aus. Rings an den Wänden vergoldete Bilder, Märtyrer und edle Herren und Frauen aus dem Geschlecht der Grafen von Echtersloh mit vielerlei Wappen und Waffen darum her, und hohen Denksteinen von Marmor, immer da, wo der Sarg in der Gruft darunter steht. Nur ein einziges Schild ist umgekehrt und mit einem schwarzen Vorhang bedeckt, da soll kein Mensch hinter schauen, Ew. Gnaden, weils der Grabstein der schönen Gräfin Casga ist!« fuhr er mit gedämpftem Flüsterton fort, »der Christian hats aber doch einmal gethan, na – und da sah er eben – der Herr wissen doch –!«
»Gar nichts weiß ich, Alter! – am Ende gar meine schöne Ahnfrau selber?«
Laubmann hob die Hand an den Mund und blickte sich scheu um. »Gott behüte, Ew. Gnaden, aber eine hohe Feuerflamme, welche auf den schwarzen Grund gemalt ist, und über deren Spitze eine rothe Rose schwebt, das ist eben der Irrgeist von Casgamala, und darum sind auch die Rosen und die Flammen zum Schicksal der Grafen von Echtersloh geworden!«
Graf Lothar lachte schallend auf. »Der Irrgeist von Casgamala! Gut, daß Du mich wieder an den interessanten Gesellen erinnerst, Laubmann! Du sagtest vorhin, wir seien nicht mehr weit von den Marmorbrüchen entfernt, he? wie lange dauert es noch, bis wir hinkommen?«
»Still, Herr Lieutenant, bei allem, was Ihnen lieb ist, hier dicht zur Seite sind sie schon, wir fahren halt eben daran vorüber.« Der Alte legte wie beschwörend seine zitternde Hand auf den Arm des jungen Offiziers, »treiben Sie keinen Scherz damit, Graf Lothar, erst wenn man den Schaden hat, wird man klug, sagt's Sprichwort!«
»Hasenfuß Er!« spottete Graf Echtersloh mit lauter Stimme, »eine Schande ist's, daß solch ein alter Kerl noch an blödsinnige Ammenmärchen glaubt, mein Bruder scheint Ihn angesteckt zu haben mit seiner Verrücktheit! Aufgepaßt, Monsieur Graukopf! Ich will Ihm beweisen, daß der Irrgeist von Casgamala nur in den Köpfen dummer Bauern spukt!« Und sich hoch im Wagen emporstellend, rief Graf Lothar mit übermüthiger Stimme durch Wind und Haideland in die schwarze Nacht hinaus: »Irrgeist von Casgamala, Engel oder Teufel, Flamme oder Rose, süßes Weib oder greulicher Unhold, heran zu mir und neige Dich vor Deinem zukünftigen Meister, dem Erben und Majoratsherrn von Casgamala, Grafen Lothar von Echtersloh!«
Schauerlich hallte es durch die Dunkelheit, der Wind sauste um den Wagen und die Gräser am Wege raschelten auf, Laubmann aber saß bleich wie der Tod auf seinem Kutscherbock und umklammerte mit zitternden Händen die Zügel.
»Schläfst Du, Irrgeist von Casgamala?!« donnerte die Stimme Lothars abermals durch den Sturm, »heran. Du frecher Geselle – – ha! – – was ist das?!«
Wie ein Blitz stammte es urplötzlich durch die Dunkelheit, dicht vor dem Wagen glühte ein grelles Licht auf, flackernd in blutigem Roth, und die ganze Gegend in blendende Helle tauchend, als stünde der frivole Geisterbeschwörer auf lohendem Feuerthron. Einen Augenblick – dann schlug die Finsternis wieder über ihm zusammen.
Mit wahnwitzigem Aufschrei war Laubmann auf die Erde herab gesprungen, um das Gesicht auf dem Erdboden zu bergen, Lothar aber stand starr, mit weit aufgerissenen Augen im Wagen, stumm, unfähig sich zu rühren; doch nur eine Sekunde lang, dann stieg der Apfelschimmel mit schnaubenden Nüstern pfeilgrad in die Luft und raste wie von Furien gepeitscht über das weite Feld ... Nach wenig Minuten biegt der Weg scharf in die Chaussee ein. Lothar neigt sich schwankend vor und hascht nach den Zügeln ... umsonst – der Mond bricht jäh durch die Wolken – dort – kaum zwanzig Schritte noch, ragen die Marmorbrüche und senken sich mit schwarzer Untiefe hinab – schnurgerade auf sie zu donnert das Gefährt, Funken sprühen unter den Hufen des dahinstürmenden Thieres.
Schwindel erfaßt den jungen Offizier, er schwingt sich über den Wagenrand und will hernieder springen, da krachen auch schon die Räder an aufgethürmtem Felsgeröll, schnaufend bricht der Schimmel in die Kniee und schleudert das leichte Gefährt schmetternd gegen die scharfen Marmorblöcke. – –