So schildert uns (sagt Tlantlaquakapatli) die Geschichte den Zustand unsrer ältesten Vorfahren. Wie ungleich jener liebenswürdigen Unschuld, welche den guten Koxkox in den Armen seiner zärtlichen Kikequetzel beseligte, als sie noch die einzigen Bewohner der fruchtbaren Thäler waren, die sich am Fuße des Gebirges Kulhuakan verbreiten! als Kikequetzel sich noch nicht träumen ließ, daß ein andrer Mann mehr Mann seyn könne als Koxkox, und dieser noch nicht gelernt hatte, sich für unangenehme Augenblicke in seinem Hause in den Armen einer andern zu entschädigen; als jedes dem andern noch die ganze Welt war; als Kikequetzel, wenn sie mit Emsigkeit an einem Bette von den weichsten Federn arbeitete, sich mit dem Gedanken aufmunterte, »er wird desto süßer ruhen!« – und Koxkox, wenn er die Bäume wachsen sah, die er gepflanzt hatte, sich an der Vorstellung ergetzte, daß seine Kinder unter ihrem Schatten spielen würden! – Und o! wie wenig, (setzt der Filosof mit einem Seufzer hinzu) wie wenig brauchte es, diese Unschuld zu vernichten! Der verwünschte Tlaquatzin! Warum mußte er sich in diese Gegenden verirren!
Doch, Tlantlaquakapatli ist Filosof genug, um sich bald wieder zu fassen, und zu gestehen, daß, wenn auch Tlaquatzin mit der Tante und ihren zwey Nichten nicht gewesen wäre, hundert andere zufällige Begebenheiten, früher oder später, vermuthlich die nehmliche Wirkung hervorgebracht haben würden; und er beschließt seine Erzählung mit einer Betrachtung, welche wir aus voller Überzeugung unterschreiben.
»Die Unschuld des goldenen Alters, (sagt er) wovon die Dichter aller Völker so reitzende Gemählde machen, ist unstreitig eine schöne Sache; aber sie ist im Grunde weder mehr noch weniger als – die Unschuld der ersten Kindheit. Wer erinnert sich nicht mit Vergnügen der schuldlosen Freuden seines kindischen Alters? Aber wer wollte darum ewig Kind seyn? Die Menschen sind nicht dazu gemacht Kinder zu bleiben; und wenn es nun einmahl in ihrer Natur ist, daß sie nicht anders als durch einen langen Mittelstand von Irrthum, Selbsttäuschung, Leidenschaften und daher entspringendem Elend zur Entwicklung und Anwendung ihrer höhern Fähigkeiten gelangen können, – wer will mit der Natur darüber hadern?«
1. Plin. Hist. Natural. L. VII. in prooemio.
2. Um dem Hrn. Campe die Verantwortung dieser Verdeutschung des Worts Sofa nicht allein aufzubürden, gestehe ich, daß es mir hier an seinem rechten Orte zu stehen scheint.
3. Das Wort Kunst wird in diesem und dem folgenden Kapitel in der weitläufigsten Bedeutung, in so fern es gewöhnlich der Natur entgegen gestellt wird, genommen.
4. Orlando Furioso, VII. 6-12
5. Auch dieses ungewohnten Ohren possierlich genug klingende Wort, wiewohl von zwey verdienstvollen Männern der eine es erfunden, und der andere empfohlen hat, ist vielleicht nur bey solchen Gelegenheiten wie hier brauchbar, und dürfte wohl schwerlich die Stelle des fremden aber bisher unentbehrlichen Wortes räsonieren im ernsthaften Styl schicklich einnehmen können.
6. Ein von Herrn Campe vorgeschlagenes Wort, dem wir es nicht mißgönnen wollen, wenn es, gegen unser Vermuthen, sein Glück machen sollte.
7. Die großen pantomimischen Tragödien des berühmten Noverre fielen gerade in die Zeit, da dieses geschrieben wurde.
Eben dieselbe Politik, meine Brüder, welche euch zurück hält, dem Aberglauben und den vorbesagten Mitteldingen, seinen eifrigen Verfechtern, öffentlich den Krieg anzukündigen, – hielt auch mich zurück. Ich glaubte weislich daran zu thun; aber seitdem ich die Handlungen meines Lebens in einem reinern Lichte sehe, zweifle ich sehr ob ich recht daran gethan habe.
Wer soll sich der Wahrheit annehmen, wer soll ihre unverjährlichen Rechte wieder herstellen, wenn wirs nicht wagen dürfen? wir, denen der Staat die Sorge für das, was ihm das angelegenste ist, die Bewahrung der Gesetzt und der Religion, von welcher jene ihr Ansehen und ihre Verbindlichkeit empfangen, anvertraut hat!
Welche Betrachtung, welches Interesse ist wichtig genug diese große Pflicht zu überwiegen?
Ich ermahne euch, meine sehr werthen Brüder, diese Sache nach ihrer Wichtigkeit in Überlegung zu nehmen, und euch die nagenden Vorwürfe zu ersparen, welche die letzten Stunden meines Lebens vergiften.
Doch, ich besorge sehr, das, was ich mir über diesen Artikel vorzuwerfen habe, werde in Vergleichung mit einer andern Schuld, deren ich mich selbst vor euch anklagen muß, nur eine Kleinigkeit scheinen. – Ich gestehe es, mein Stolz leidet unaussprechlich unter dem Bekenntnisse, welches ich im Begriff bin abzulegen! – Möchte dieß, große Isis, für eine Genugthuung vor dem strengen Gericht angesehen werden, vor welchem meine Seele bald erscheinen wird!
Ihr erschreckt, ehrwürdige Priester der Königin der Götter? – Ihr begreift nicht, was dieser Abulfauaris, dessen untadeliges Leben andern zum Beyspiel vorgehalten wurde, dieser Abulfauaris, der sich durch die Ausbreitung unsers Gottesdienstes und unsrer Herrschaft über eine Afrikanische Völkerschaft, welche unserm großen Sesostris selbst unbekannt geblieben war, ein beneidenswürdiges Verdienst um das Ägyptische Reich erworben hatte, – begangen haben könne, das den Glanz seines ruhmvollen Lebens verdunkeln sollte?
Ach, meine Brüder! (wenn ich anders noch würdig bin euch so zu nennen) eben dieß, was mir von der Welt, von unserm Hofe, von unserm geheiligten Orden selbst, so viel Lobsprüche und Belohnungen zuzog, eben dieß, was der Stolz meines Lebens seyn sollte, – ist das, was meine alten Wangen mit Schamröthe überzieht, und wovon ich das Andenken aus meiner Seele vertilgen zu können wünschte, – wenn das innerliche Gefühl, daß diese Strafe das wenigste ist was ich verdiene, einen solchen Wunsch nicht zu einem neuen Verbrechen machte!
Höret denn meine reuevollen Bekenntnisse; – und möge mein Beyspiel den Besten unter euch erzittern, und einen jeden behutsam machen, die geheimen Triebfedern seiner Handlungen als Feinde zu beobachten, die in seinem Busen auf seine Unschuld lauern! Ein weises Mißtrauen in uns selbst ist die sicherste Brustwehr der Tugend, sagt Hermes. Warum mußt' ich in der Sicherheit einer vierzigjährigen Tugend diesen goldenen Spruch aus den Augen verlieren!
Ich will euch von der Geschichte meiner Reise zu den Negern dasjenige nicht wiederholen, was aller Welt bekannt geworden ist. Die geheimen Umstände dieser Hauptepoche meines Lebens sind es, was meinem ganzen Betragen sein wahres Licht giebt; und nur von diesen wird hier die Rede seyn.
Ihr wisset, denke ich, meine Brüder, daß diese Negern, zu jener Zeit da ihr Unstern mich zu ihnen führte, ein freyes, unschuldiges, und in seiner Unwissenheit künstlicher Bedürfnisse glückliches Volk war.
Ihr wisset nicht minder, daß sie gegenwärtig auf Ägyptische Weise policiert, mit unsern Sitten und Lastern angesteckt, und der willkührlichen Gewalt unsrer Könige, oder vielmehr der Raubsucht und dem Übermuthe ihrer Höflinge unterworfen, und unter diesem Joche vielleicht das unglücklichste Volk unter der Sonne sind.
Und wenn nun der Geitz, der Stolz und die Üppigkeit des Priesters Abulfauaris die wahren Ursachen dieser für die armen Negern so unglücklichen Veränderung gewesen wären, – würde er nicht Ursache haben, das vermeinte Verdienst, welches ihm die ehrenvollen Nahmen eines Lehrers und Gesetzgebers dieses Volkes erworben hat, für die schwärzeste That seines Lebens zu halten?
Und gerade so, meine Freunde, verhält sich die Sache!
Der Umstand, der mich in den Stand setzte der Blöße der ehrlichen Negern zu Hülfe zu kommen, war nicht so sehr zufällig, als ich es dem Könige vorgab. Ich hatte gute Nachrichten von den Reichthümern, welche bey diesen Wilden zu hohlen wären; und, ohne den Gewinn so genau auszurechnen wie der Oberaufseher der Finanzen, wußte ich doch sehr wohl, daß ich bey der Vertauschung meiner Leinewand gegen ihren Goldstaub nichts verlieren würde.
Ich gestehe, daß ich noch an keinen förmlichen Plan dieses Volk zu policieren gedacht hatte, da ich zu ihnen kam. Die ungemeine Leutseligkeit ihrer Sitten, ihre Gutherzigkeit, und eine gewisse Lenksamkeit, die ich an ihnen wahrnahm, – kurz alle die Eigenschaften, welche dieses Volk liebenswürdig machten, und mir hätten beweisen sollen daß es unsrer Sitten nicht vonnöthen habe, – waren es, was mir den ersten Gedanken gab, wie leicht es seyn würde, die Krone von Ägypten mit diesem Kleinod zu bereichern.
Dieser Gedanke arbeitete einige Zeit in meinem Kopfe, ohne daß ich mit mir selber einig werden konnte, was ich aus ihm machen sollte.
Die Gewohnheit, ein Volk ohne Kleider, ohne Künste, ohne Polizey, für elend zu halten; das Vergnügen, welches sie über die Röcke und Mäntelchen bezeigten, womit ich sie für ihren Goldstaub beschenkte, ohne daß ich ihn für einen Ersatz meiner gemahlten Leinewand zu halten schien; die Vorstellung, wie glücklich ich sie erst durch Mittheilung der übrigen Produkte unsrer Künste machen könnte: – alles dieß wirkte auf einer Seite ziemlich stark auf meine Einbildung:
Auf der andern Seite stellte mir der gute Genius der armen Negern alles vor, was mich von dem Gedanken, ihnen ein so fatales Geschenk zu machen, abschrecken konnte: – ihre Unschuld, ihre Zufriedenheit mit ihrem Zustande, die Gefahr, oder vielmehr die unvermeidliche Nothwendigkeit, ihnen mit unsern Bedürfnissen auch unsre Leidenschaften und mit beiden unsre Laster mitzutheilen, endlich die nur allzu gerechte Besorgniß, wie unglücklich sie durch den Mißbrauch der Gewalt werden könnten, deren die Ägypter, unter dem Scheine der Freundschaft, sich ohne Zweifel über sie anmaßen würden. Die Natur hat mir ein empfindsames Herz gegeben, meine Brüder; ich erschrak vor den Folgen meines ersten flüchtigen Entwurfs; und so sehr mich auf der andern Seite der Ruhm eines neuen Hermes reitzte, den ich mir an diesem Volke verdienen konnte, so glaube ich doch, daß ihr guter Genius endlich die Oberhand gewonnen haben möchte, wenn nicht eine Leidenschaft – welche gewohnt ist den Sieg davon zu tragen, wie schwer er ihr auch gemacht wird – den Ausschlag wider ihn gegeben hätte.
Ihr werdet erstaunen, – so wenig hättet ihr eine solche Schwachheit von der strengen Weisheit des Abulfauaris vermuthen können – wenn ich euch sage, daß es die Liebe, oder, richtiger zu reden, die Leidenschaft war, welcher man mit diesem schönen Nahmen das Auffallende benehmen will, das sie für jedes ehrliebende Gemüth hätte, wenn man sie mit ihrem rechten Nahmen nennte.
Ich war entweder von Natur wenig zur Zärtlichkeit geneigt, oder die priesterliche Erziehung in den Vorhöfen des Tempels hatte den Samen dieser vermeinten Schwachheit – welche in der That der Tugend günstiger ist als man gemeiniglich glaubt – in meinem Herzen erstickt. Aber den sinnlichen Trieb konnte diese Erziehung nicht ersticken; und so gut ich – Dank sey meinen Anführern in der Sittenlehre! – dieses unheilige Feuer zu verbergen wußte, so brannte es darum nicht weniger in meinem Inwendigen. Gleichwohl hatte ich mir über diesen Punkt noch keinen sonderlichen Vorwurf zu machen; und wo hätte ich wohl weniger vermuthen sollen eine Klippe zu finden, an welcher meine Tugend scheitern würde, als unter diesen Negern?
Ich befand mich damahls noch in dem Alter, worin die Flamme, von der ich eben gesprochen habe, zumahl wenn sie durch Mäßigkeit unterhalten worden ist, bey einem starken Temperament von ihrer Gewalt noch wenig verloren hat.
Der Eindruck, der so viele schöne Gestalten – denn das waren die meisten – ihrer Farbe ungeachtet auf meine Sinne machten, setzte meine Einbildungskraft in die Stimmung, worin sie seyn muß, um von einem besondern Gegenstande lebhaft gerührt zu werden. In einer solchen Stimmung erblickte ich die schöne Mazulipa, die Frau eines Mannes, der in vorzüglichem Ansehen unter diesen Schwarzen stand; und der erste Anblick wirkte stark genug, daß ich in weniger als vier und zwanzig Stunden so gänzlich vergiftet war, als ob die Syrische Göttin beschlossen hätte, mich zu einem Beyspiel der furchtbarsten Ausbrüche ihres Zornes zu machen.
Ich könnte euch keine Schilderung von dieser schuldlosen Verführerin machen, – denn sie hatte wohl gewiß keinen Gedanken mich zu verführen – ohne eure Einbildungskraft in Gefahr zu setzen. Die meinige – ich gestehe euch meine ganze Schwachheit – stellt mir noch in diesem Augenblick ein so warmes Gemählde von diesem reitzenden Weibe vor, daß ich, wider meinen Willen, unfähig bin, an ihren Genuß ohne Entzücken zu denken.
Ich war kein Neuling, der sich selbst über den Zustand seines Herzens hätte betrügen können; ich wußte im ersten Augenblicke so gut wohin diese Leidenschaft zielte, und dachte so wenig daran mich über ihre Absichten zu betrügen, daß ich vielmehr, von besagtem Augenblick an, keine Macht hatte auf etwas andres zu denken, als auf Erfindung eines schicklichen Mittels sie ohne Gefahr meines Karakters befriedigen zu können.
Und in eben diesem Augenblicke war es auf einmahl beschlossen: daß die Negern policiert werden sollten.
In der ersten schlaflosen Nacht war mein Plan fertig. Unsre Polizey ist auf unsre Religion gebaut; und so sollte es auch bey meinen Negern seyn. Nichts war mir jetzt leichter, als auf alle die Einwürfe zu antworten, welche mir der gute Dämon dieser Unglücklichen gegen mein Vorhaben gemacht hatte. – »Es war, zum Beyspiel, keine nothwendige Folge, daß sie mit unsern Sitten auch unsre Laster annehmen mußten. Man konnte dieser Gefahr durch verschiedene Mittel zuvorkommen; und wenn alle andre fehlen sollten, waren nicht die Mysterien der Isis ein unfehlbares Gegengift gegen alle sittliche Verderbniß? das stärkste Beförderungsmittel der Tugend und eines untadelhaften Lebens?«
Die Mysterien! – Diese Vorstellung fiel stark auf mein Gemüth. Werdet ihr glauben können, meine Brüder, daß der Gedanke an diese Geheimnisse – an welche keine Seele, die des Anschauens des geheiligten Sinnbildes der göttlichen Natur gewürdiget worden ist, ohne Schaudern denken soll – meiner durch die Wuth der Leidenschaft begeisterten Fantasie den Stoff und dem schändlichsten Entwurfe darbot, der jemahls den Busen eines Menschen besudelt hat?
Aber denket nicht, daß ich, wie elend auch in diesen Augenblicken der Zustand meines Gehirnes war, fähig gewesen sey, eine so schreckliche Entheiligung des Ehrwürdigsten, was unsre Religion hat, nur einen Augenblick ohne den lebhaftesten Abscheu zu denken! Nein, meine Brüder! Mit Entsetzen vor mir selbst verwarf ich die scheußliche Eingebung des unreinen Dämons, und faßte so heldenmüthige Entschließungen, daß ich Ursache zu haben glaubte, einen vollständigen Sieg über ihn davon getragen zu haben.
Aber, ach! wer kennt, eh' ihn seine eigene Erfahrung belehrt hat, alle die geheimen Winkel des Herzens, in deren sichern Hinterhalte die versteckte Leidenschaft, indessen wir von Triumfen träumen, auf Gelegenheiten lauert, uns ungewarnt und unbewaffnet mit verdoppelter Wuth zu überfallen?
Sicher auf die Stärke meiner Entschlossenheit, glaubte ich nun ohne das mindeste Bedenken an dem großen Entwurfe der Umgestaltung meiner Negern arbeiten zu können. Die Leichtigkeit, womit sie über ihre Nacktheit zu erröthen gelernt hatten, überredete mich, daß ich eben so wenig Schwierigkeiten finden würde, sie auch in den übrigen Stücken nach meinem Plan umzubilden.
Ich machte den Anfang mit dem Unterricht in unserer Religion. – Warum that ich das? – Weil ich mir dadurch den Weg bahnte, die Mysterien bey ihnen einzuführen; meine Lieblings-Idee, welche ich, nach meinem Sinne, nicht bald genug ins Werk setzen konnte. – Und woher dieser ungeduldige Eifer, da ich doch so fest entschlossen war, keinen Mißbrauch zum Vortheil meiner Leidenschaft davon zu machen? – Was soll ich euch sagen? Ich hatte das Beyspiel des dreymahl großen Hermes vor mir; und ich glaubte die Unschuld meiner Negern, wofern sie ja von der Ansteckung unsrer Sitten etwas zu besorgen hätte, durch die Iniziazion am besten zu bewahren.
Der geheime Beweggrund, der den übrigen seine ganze Stärke mittheilte, lag tief in meinem Busen; aber ich unterschied ihn nicht – oder wollte ihn nicht sehen.
Ich war inzwischen nach Ägypten zurückgegangen, um dem Könige von meiner Unternehmung Nachricht zu geben, und den Plan, nach welchem ich arbeiten wollte um dem Reiche die Vortheile derselben zuzuwenden, mit ihm abzureden. Das Bild der wollustathmenden Mazulipa hatte mich dahin begleitet; es stand allenthalben vor mir; es beunruhigte – darf ich es sagen? es beglückte zuweilen meine Träume. Meine Leidenschaft stieg auf einen Grad, der alle meine Entschlossenheit wankend machte. Aber der gute Vorsatz, dieses betrügliche Einschläferungsmittel, behielt allezeit den Sieg.
Und doch wünscht' ich mir Flügel, um desto schneller zu den Negern zurückkehren zu können. – Mazulipa war unter ihnen!
Ich Unglücklicher! Ihr glaubtet, daß es ein heiliger Eifer sey, der mich so ungeduldig mache zu meinem erhabenen Geschäft zurückzukehren – und ich ließ euch in euerm Irrthum!
Ich war nun wieder angekommen, und beschloß – denn ich fühlte die Nothwendigkeit davon – der Tugend ein großes Opfer zu bringen, indem ich mir dasjenige, wornach mich so heftig verlangte und was meine Reise bis zum Wunder beschleunigt hatte, den Anblick der reitzenden Mazulipa, versagen wollte. – Desto eifriger ward an dem Tempel der Isis, und den Zubereitungen desselben zu Begehung der Mysterien gearbeitet.
Es war nicht lange möglich die schöne Mazulipa zu meiden, ohne mich der Gefahr, daß man einen geheimen Beweggrund eines so wenig natürlichen Betragens suchen würde, auszusetzen. Ihr Mann war nach der neuen Einrichtung – so wie ers auch vorher schon gewesen war – einer der Obersten des Volkes; und die junge Dame brannte vor Begierde den Unterricht zu empfangen, der sie fähig machen sollte, zu den Geheimnissen der Isis zugelassen zu werden. Wenig träumte ihr davon, daß sie Ursache haben könnte bey einer Feierlichkeit für ihre Unschuld zu zittern, wovon sie sich, nach dem was ihr davon zu sagen erlaubt war, einen Vorgeschmack der Wonne der Unsterblichen versprach.
Die Mysterien waren nun der tägliche Inhalt unsrer Unterredungen. Die Rolle, die ich dabey zu spielen hatte, war keine von den leichten. Ich mußte mich, mit einer äußerst mühsamen Gewalt über mich selbst, in Acht nehmen, ihr meine Leidenschaft zu verrathen, und von den Mysterien durft' ich ihr nicht mehr sagen, als was alle Ungeweihten wissen dürfen.
In der Verlegenheit womit ich sie unterhalten sollte, kam ich einsmahls, aus Veranlassung unsers gewöhnlichen Gegenstandes, auf die Beyspiele, die wir in den ältesten Geschichten von einer besondern Liebe gewisser Götter zu gewissen Sterblichen finden. Ich bemühte mich, ihr geläuterte und erhabene Begriffe davon zu geben: aber das war mehr als die Unvollkommenheit ihrer Sprache zuließ. Ich mußte, wenn ich ihr nur einigen Begriff von der Sache geben wollte, sinnliche Bilder dazu nehmen; und, ohne einen ausdrücklichen Vorsatz, wurde mein Gemählde, so behutsam ich auch die Farben wählte, lebhaft genug um ihre Einbildungskraft zu erhitzen. Ich brach ab so bald ich es gewahr wurde; aber die Eindrücke, mit denen ich sie verließ, arbeiteten so kräftig in der meinigen, daß ich, mit aller möglichen Mühe, gewisse sich aufdringende Bilder nicht abzuhalten vermochte.
Die furchtbare – und gewünschte Nacht der kleinen Mysterien kam nun immer näher, und die Erwartung der schönen und gefühlvollen Mazulipa schien außerordentlich gespannt zu seyn. Schon des Abends zuvor hatte sie mich durch die unerwartete Frage in Erstaunen gesetzt: ob ich glaubte, daß sie unschuldig genug sey, einem Gott liebenswürdig zu scheinen? – Denn sie hatte von mir gehört, daß die Unschuld des Herzens eine von den Eigenschaften sey, wodurch wir den Göttern wohlgefällig würden. Ich hatte den Muth, ihr mit einem ernsthaften Tone zu antworten, daß man sich außerordentliche Dinge nicht wünschen müsse; aber zu gleicher Zeit war ich schwach genug hinzu zu setzen: daß man sie auch nicht fürchten, sondern sich der Willkühr der Götter lediglich überlassen müsse. – Ich würde mir selbst Unrecht thun, meine Brüder, wenn ich sagte, daß ich mir der Absicht, welche mich so reden machte, deutlich bewußt gewesen sey; aber ich mußte doch fühlen, daß ich eine Absicht hatte, und ich getraute mir nicht sie aus meinem Busen hervor zu ziehen.
Die schwärzeste der Nächte war nun gekommen – meine eiskalte Hand zittert da ich fortfahren will – Vergebens würde ich mich bemühen, euch die Wuth des innerlichen Kampfes zu beschreiben, der sich endlich mit der Niederlage meiner Tugend endigte.
Die unschuldige und fanatische Mazulipa betrag den finstern unterirdischen Gang, durch dessen mystische Krümmungen die Inizianden wandeln müssen. Der Boden erbebte unter ihren Füßen; tausend fremde ungewöhnliche Töne drangen in ihre Ohren; tausend eben so seltsame Gestalten, von plötzlich wieder verschwindenden Blitzen sichtbar gemacht, schlüpften wie Schatten vor ihren Augen vorbey; als in einem solchen Blitze – der Gott Anubis ihr erschien, und die bethörte Unschuld, welche vor Furcht und Erwartung athemlos alles zu leiden bereit war, die Beute des sakrilegischen Betrugs wurde.
Ich würde nicht zu entschuldigen seyn, meine Brüder, wenn ich eure schon genug beleidigten Augen – durch eine umständliche Erzählung aller der Kunstgriffe, welche der betrügerische Anubis anwandte, um seine Rolle öfters und mit mehr Bequemlichkeit spielen zu können – länger verunreinigen wollte.
Es ist sehr unglücklich für mich, aber es ist doch zugleich das einzige, was mir bey der qualvollen Erinnerung an diesen häßlichen Auftritt meines Lebens einigen Trost anbeut, – daß ich mich dazu bestimmt ansehe, euch durch meine Erfahrung zu belehren: »Daß Personen unsers Standes mehr als alle andre Klassen von Menschen Ursache haben ihr Herz zu bewahren; – und daß eben darum die reinste und erhabenste Tugend von uns gefordert werde, weil wir vor allen andern Sterblichen den unseligen Vortheil haben, unsre unlautern Absichten, unsre Laster und Verbrechen selbst, unter dem ehrwürdigen Schleier der Religion den Augen der Welt zu entziehen; oder, um Alles mit Wenigem zu sagen, weil das Heiligste und Beste, was die alles regierende Vorsicht dem menschlichen Geschlecht gegeben hat, in unsern Händen zum Werkzeuge der sittlichen Verderbniß, der Unterdrückung und des allgemeinen Elendes werden kann.«
Unsere Heucheley, es ist wahr, verschont die Welt mit öffentlichem Ärgerniß, und der Bösewicht von innen erbauet öfters von außen den Schein der vollkommensten Tugend. Aber wie theuer muß die menschliche Gesellschaft diesen zufälligen und wenig bedeutenden Vortheil bezahlen! Der Heuchler schadet ihr auf eben dieselbe Weise wie ein still wirkendes Gift, dessen Zerstörungen nicht sogleich in die Sinne fallen. Er arbeitet desto sicherer, weil er im Dunkeln arbeitet; er kann ungestört seinen schändlichen Plan vollführen; und man denkt so wenig daran seinen Absichten zu widerstehen, daß man ihm vielmehr die Mittel sie auszuführen freywillig in die Hände giebt. Ungestraft mißbraucht er die unschuldigste unter allen Schwachheiten der menschlichen Natur, um die leichtgläubige Redlichkeit zum Opfer seiner Leidenschaften zu machen, indem sie sich den höhern Wesen, von denen sie das Glück oder Unglück ihres Daseyns erwarten, aufgeopfert zu haben glaubt.
»Zittert, meine Brüder, vor allem dem Bösen, das ein
»Und o! möchte Abulfauaris unter allen seines Ordens der einzige seyn, der solche Bekenntnisse zu machen hat!«
Sich in eine Zergliederung der Swiftischen Huyhnhnms und Yahoos einzulassen, um dadurch zu beweisen, wie sehr er sich durch beide an der menschlichen Natur versündigt habe, würde eine wahre Beleidigung der letztern seyn.
Es bedarf keines mühsamen Beweises gegen Rousseau, daß die Wilden in Neuholland nur Embryonen von Menschen sind, und daß ein Embryo von der Natur nicht dazu bestimmt ist, ewig Embryo zu bleiben: aber es bedarf noch weniger eines Beweises, daß Homer seine Helden, Plutarch seine großen Männer, Xenofon seinen Sokrates, seinen Cyrus und seine Panthea, – und die Fidias, Alkamenes und Apelles der Griechen, ihren Apollo, ihre Venus, ihre Grazien, von keinen Yahoos abkopiert haben.
Indessen schien uns doch das Unrecht, welches zwey so berühmte Misanthropen – der eine wissentlich und mit der muthwilligsten Absicht zu beleidigen, der andre aus Laune und in der Einfalt seines Herzens – dem gesammte Menschengeschlecht angethan haben, diese Rüge um so mehr zu verdienen, da das Beyspiel solcher Männer, theils durch Ansteckung, theils durch die natürliche Wirkung ihres Ansehens, die ohnehin nur zu große Anzahl der Schriftsteller zu vermehren droht, die sich ohne Bedenken an der menschlichen Natur versündigen, indem sie den Menschen bald übermäßig erhöhen, bald unter sich selbst erniedrigen.
Wenn wir die Natur nicht beschuldigen wollen, daß ihr gerade dasjenige von allen ihren Werken, worauf sie selbst den größten Werth gelegt zu haben scheint, mißlungen sey: so haben wir gewiß keine Ursache, uns verdrießen zu lassen, daß wir weder Pongo's, noch Platonische Ideen, weder Arkadische Schäfer, noch stoische Weisen, weder Feen-Helden, noch Engel, noch Huyhmhms, sondern – Menschen sind. Aber desto größere Ursache haben wir, gegen alle und jede auf unsrer Hut zu seyn, die uns zu etwas schlechterm als Menschen, ja sogar (aus guten Gründen) gegen diejenigen, die uns aus Hinterlist oder mißverstandener guter Meinung, zu etwas besserm machen wollen.
Die Natur, die immer Recht hat, hat gewiß auch Recht daran gethan, daß sie uns gerade so machte wie wir sind; und wahrlich! es ist nicht ihre Schuld, wenn gewisse Leute, aus einem ihnen selbst unbewußten Fehler ihrer Augen, tausend Schönheiten an der menschlichen Natur überschielen oder (was ihnen nur gar zu oft begegnet) wirkliche Schönheiten für Fehler ansehen.
Uns däucht, man sollte die menschliche Natur mit sehr gesunden und sehr scharfen Augen lange beobachten, und sehr fleißig, nicht in Systemen oder verfälschten Urkunden, sondern in der Natur selbst studiert haben, ehe man sich anmaßen darf, ihre Auswüchse und üppigen Schößlinge abschneiden, und zuverlässig bestimmen zu wollen, worin ihre reine Form und Schönheit bestehe.
Verstümmelungen sind keine Verbesserungen, Gothische Zierathen keine Verschönerungen, – und eine moralische Drapperie, unter welcher die eigenthümliche Gestalt und die wahren Proporzionen der menschlichen Natur unsichtbar werden, verstößt eben so gröblich gegen die allgemeinen Gesetze des Schönen, als die Vertügaden, Wülste und Halskragen des sechzehnten Jahrhunderts, die der Gestalt einer Diana das Ansehen eines Ungeheuers gaben, ohne daß sie der Tugend (deren Bollwerke sie vielleicht seyn sollten) zu sonderlichem Schutze dienen konnten.
Die Fehler der menschlichen Natur sind großen Theils mit ihren Schönheiten zu sehr verwebt, als daß man jene beheben könnte, ohne etwas an diesen zu verderben. Sie hat auch liebenswürdige Schwachheiten, die man ihr lassen muß, weil sie dazu dienen können, gewissen Tugenden eine Grazie zu geben, ohne welche die Tugend selbst sich vielleicht Hochachtung erzwingen, aber nicht gefallen kann.
Alle Verderbnisse der Menschen scheinen mir aus zwey Hauptwurzeln zu entspringen, der Unterdrückung, und der Ausgelassenheit; – wovon jene Muthlosigkeit, Feigheit, Trübsinn, Aberglauben, Heucheley, Niederträchtigkeit, Hinterlist, Ränksucht, Neid und Grausamkeit, – diese alle Arten von Üppigkeit und Unmäßigkeit, Muthwillen, fanatische Schwärmerey, Herrschsucht und Gewaltthätigkeit hervorbringt.
Die Verderbnisse von der zweyten Klasse würden von selbst wegfallen, wenn denen von der ersten durch das einzig mögliche Mittel, durch eine weise Staatseinrichtung und Gesetzgebung, vorgebaut würde. Aber ungereimt ist es, einigen dauerhaften Nutzen von den Maßnehmungen zu erwarten, welche man gegen diesen oder jenen einzelnen Zweig der sittlichen Verderbniß besonders nimmt, so lange man das Übel nicht in der Wurzel angreift, oder angreifen darf; das ist, so lange die menschliche Natur unter den Fesseln seufzt, in welche die Tyranney des Aberglaubens und willkührlich ausgeübter Staatsgewalt in gewissen Jahrhunderten und in gewissen Strichen des Erdbodens sie geschmiedet hat.
Bis dahin scheint alles, was die Filosofie – es sey nun auf einem Thron oder auf einem Lehrstuhl, aus dem Kabinet eines Ministers oder eines Schriftstellers, – zum Besten des menschlichen Geschlechtes, oder eines jeden Volkes, welches noch (mehr oder weniger) die Ketten des Aberglaubens und der willkührlichen Gewalt trägt, zuwege bringen kann, entweder in Linderungsmitteln, (welche das Übel meistens nur so lange verbergen, bis es mit verdoppelter Stärke und größerer Gefahr ausbricht) oder in Zubereitungen zu bestehen, wodurch die Sachen einer gründlichen Verbesserung näher gebracht werden.
Diese gründliche Verbesserung scheint bey einem jeden Volke, das in der Ausbildung schon so weit fortgeschritten ist, um ihrer zu bedürfen und fähig zu seyn, demjenigen aufbehalten zu seyn, der zu gleicher Zeit Weisheit und Macht genug haben wird, eine Gesetzgebung und Staatsverfassung zu bewerkstelligen, in welcher die Triebfedern der menschlichen Natur auch die Triebfedern des Staats sind; durch welche die möglichste Freyheit mit der wenigsten Ungelegenheit erzielt, und keine Gewalt geduldet wird, die ein anderes Interesse hat als das Beste des gemeinen Wesens; wo die verschiedenen Stände und Klassen zu ihrer Bestimmung durch die zweckmäßigsten Institute gebildet werden, und die Gesetze nicht als Gesetze sondern als Gewohnheiten ihre Wirkung thun, wo die Religion den großen Zweck der allgemeinen Glückseligkeit immer befördert, niemahls hemmt, und ihre Diener geehrt und wohl gepflegt werden, aber (gleich den Männchen im Bienenstaate) keinen Stachel haben; wo mehr Bedacht darauf genommen wird, die Tugend zu ehren als zu bezahlen, und dem Laster so gut vorgebauet ist, daß die Gerechtigkeit nur selten strafen muß; wo allgemeiner Fleiß allgemeine Fülle hervorbringt; wo der Genuß der Gaben der Natur und Kunst, der Bequemlichkeiten und Freuden des Lebens, den Sitten unnachtheilig, und nicht bloß der Antheil einer kleinen Anzahl privilegierter Glücklichen ist; mit Einem Worte, wo dieser letzte Wunsch eines jeden Menschenfreundes, öffentliche Glückseligkeit, nicht nur auf Gedächtnißmünzen und Ehrenpforten, sondern in den Gesichtern aller Bürger geschrieben steht: – – eine Gesetzgebung und Staatsverfassung, deren Möglichkeit nur solche läugnen können, welche entweder unfähig oder ungeneigt sind, zu ihrer Bewerkstelligung mitzuwirken.
Talia saecla, suis dixerunt, currite, fusis
Concordes stabili fatorum numine Parcae.
Aber, dieses Befehle der Parzen an ihre Spindeln ungeachtet, schmeichle man sich nicht, diese goldnen Zeiten durch einen plötzlichen Fall vom Himmel, oder, wie man in den Schulen spricht, durch einen Sprung ankommen zu sehen. Wahr ists, der Anfang der Zubereitungen dazu ist seit dem funfzehnten Jahrhunderte in Europa gemacht, und in den verflossenen drey hundert Jahren mancher Schritt auf diesem Wege gethan worden: aber wir werden die Füße im Fortschreiten etwas weiter aus einander setzen müssen, wenn wir vor dem nächsten Platonischen Jahre beym Ziel zu seyn wünschen. Jede Pause wirft uns etliche Schritte zurück; – was niemand unbegreiflich finden wird, der jemahls in einem schwer bepackten und schlecht bespannten Wagen einen steilen Berg hinauf gefahren ist.
Alles müßte mich betrügen, oder diese Sätze, welche, meiner Meinung nach, unter die kleine Anzahl der Wahrheiten gehören, an denen dem ganzen menschlichen Geschlechte gelegen ist, und welche (wie ich nicht zu läugnen begehre) entweder der Kern oder der Zweck, oder der Schlüssel von – oder zu allen meinen Werken, Rhapsodien, Geschichten und Mährchen in Prose und Versen sind – dürften wohl noch nicht so allgemein erkannt und angenommen seyn, daß es überflüssig wäre, wenn sich alle, an welchen der fromme Wunsch der Juvenalischen Amme –
Sapere et fari quod sentias,
erfüllt worden ist, mit uns vereinigten, nicht müde zu werden, sie in Prose und Versen, in Scherz und Ernst, in beweisender oder überredender Form, so lange vorzutragen, zu entwickeln und einzuschärfen – bis sie endlich über lang oder kurz ihre wohlthätige Wirkung thun werden.
8. S. 24 und 157.
9. S. 28, 29.
10. S. 29.
11. S. 12.
12. S. 6.
13. S. 37.
14. S. den Timäus des Plato.
15. Diod. Sicul. L. I. c. 10.
16. Plutarch. Symposiac. L. VIII. c. 8.
17. Lucret. L. V.
18. Yorick's Sentimantal Journey, Vol. I. p. 85.
19. Nouv. Heloise, Tom. I. p. 71.
20. Allgemeine Beschreibung der Reisen u. s. w. im III. Theile S. 264, 280, 320, u. folg.
21. Voyage to the Houyhnhnms, Ch. VII.
Ich weiß nicht wie es zuging, – ein Fall worin sich gewöhnlich alle Träumer befinden, – genug ich befand mich plötzlich mitten auf einem hohen Gebirge, welches keine andre Einwohner als Löwen und Drachen zu haben schien, und dessen oberster Theil, mit ewigem Schnee bedeckt, seine Stirn in den Wolken verbarg.
»Das fängt zu poetisch an.« – Sie haben Recht! ich muß ein wenig niedriger stimmen.
Ächzende Töne, durch kleine Pausen unterbrochen, gleich dem Ächzen, welches die Heftigkeit des Schmerzens oder die lange Dauer eines mißbehaglichen Zustandes endlich der Geduld selbst auspreßt, drangen durch die schreckliche Stille in mein Ohr.
Ich folgte dem Tone, wiewohl mir das Herz pochte, und nun sah ich auf einmahl – was Sie schwerlich errathen hätten, aber so bald ich Ihnen sage sehr natürlich finden werden – den alten Menschenbildner Prometheus vor mir, in dem nehmlichen jammervollen Zustande, wie ihn der Tragödiendichter Äschylus an einen Felsen des Kaukasus geschmiedet schildert.
Der lang' entbehrte Anblick eines Menschengesichts schien etwas linderndes für ihn zu haben. Er rief mir näher herbey zu kommen, und wir wurden, wie es in Träumen gebräuchlich ist, in einem Augenblick die besten Freunde.
Er fragte mich, wie es um die Menschen stehe, und wie sie sich das Daseyn zu nutze machten, welches sie seiner plastischen Kunst und seiner Gutherzigkeit zu danken hätten?
Der Gott der Träume trieb hier eines seiner gewöhnlichen Spiele mit mir. Ich erinnerte mich nicht etwa bloß der Fabel vom Ursprung der Menschen, wie ich sie in den alten Dichtern gelesen hatte; sie wurde in dem nehmlichen Augenblicke zur Wahrheit für mich.
Ich glaubte wirklich den Urheber meiner Gattung vor mir zu sehen, diesen Prometheus, der aus Lehm und Wasser Menschen gemacht, und Mittel gefunden hatte, ihnen, ich weiß nicht wie, dieses wundervolle ich weiß nicht was zu geben, das sie die Seele nennen. Kurz, ich fühlte mich gänzlich in die Fabelzeit versetzt, ohne darum weniger nach den Begriffen eines Menschen aus meinem Zeitalter zu sprechen.
Ich befriedigte seine Neugier durch Nachrichten – welche ich (aufrichtig zu reden) Bedenken trage öffentlich bekannt zu machen; und das aus der einfältigsten Ursache der Welt. Es giebt übel gesinnte Leute, welche sie für eine Satire ausrufen würden, – und – gute, wohlmeinende Personen, welche fähig wären, mich wegen dessen, war ich im Traume gesagt hätte, zu Verantwortung zu ziehen; – wiewohl sie sich aus ihrem Montesquieu belehren könnten, daß dieß etwas sehr unbilliges ist. Indessen wirft man sich doch nicht gern mit solchen Leuten ab.
Man wird mir also vergeben, daß ich weiter nichts davon sagen kann, als daß Prometheus den Kopf schüttelte, und ich weiß nicht was in seinen Bart hinein murmelte, welches, denke ich, – keine Lobrede auf seinen Vetter Jupiter war, der ihm, wie er sagte, die Freude nicht gegönnet habe, seine Geschöpfe glücklich zu machen.
Ich sagte ihm, unsre Weisen gäben sich viele Mühe der Sache abzuhelfen, und es wäre noch nicht lange, daß uns einer hätte bereden wollen, es würde nicht besser mit uns werden, bis wir uns entschlössen, in den Stand der Natur zurück zu treten.
Und was nennt dieser weise Meister den Stand der Natur? fragte Prometheus. –
Nackend, oder in eine Bärenhaut eingewickelt, unter einem Baume liegen, (versetzte ich) Eicheln oder Wurzeln fressen, Wasser aus einem Bach oder einer Pfütze trinken, und mit dem ersten besten Weibchen, das einem aufstößt, zusammen laufen, ohne sich anfechten zu lassen, was aus ihr und ihren Jungen werden könne; den größten Theil seines Lebens verschlafen, nichts denken, nichts wünschen, nichts thun, sich nichts um andre, wenig um sich selbst, und am allerwenigsten um die Zukunft bekümmern: – dieß nennt der Weise, von dem ich dir sagte, den Stand der Natur. In diesem seligen Stande, spricht er, hätten wir keine Künste, keine Wissenschaften, kein Eigenthum, keinen Unterschied der Stände, keine Gesetze, keine Obrigkeit, keine Priester, keine Filosofen vonnöthen; – und so lange man diese Dinge von nöthen hat, ist, seiner Meinung nach, an keine Glückseligkeit zu denken.
Prometheus, – ungeachtet sein Zustand so elend war, daß nur ein Gott fähig seyn konnte ihn erträglich zu finden – erhob über die Einfälle des anmaßlichen Weisen ein so herzliches Gelächter, daß ich mich nicht entbrechen konnte, ihm Gesellschaft zu leisten.
Ich sehe, sagte er, eure Filosofen sind noch immer – was ihre Vorgänger waren – Grillenfänger, welche Wolken für Göttinnen, Abstrakzionen für Wahrheit umfangen, und nie sehen was vor ihrer Nase liegt, weil sie sich angewöhnt haben, immer wer weiß wie weit über ihre Nase hinaus zu sehen.
Nicht alle, sagte ich; denn wir haben ihrer manche, welche die ihrigen noch mit einem halben Dutzend Brillen bewaffnen, womit sie zwar im Ganzen nichts, hingegen im Kleinen so scharf sehen, daß ein gewisser Präsident einer gewissen Akademie sich große Hoffnung machte, wenn er nur den Hirnschädel eines Pantagonen von zwanzig bis dreyßig Ellen in seine Gewalt bekommen könnte, die Seele selbst, so klein sie immer seyn möchte, über dem Ausbrüten ihrer Vorstellungen gewahr zu werden.
Eure Filosofen haben seltsame Einfälle, sagte Prometheus.
Zuweilen, erwiederte ich, und nicht alle. Dafür aber haben auch unsere großen Herren, seitdem sie Filosofen um sich haben, ihre Hofnarren abgeschafft; und, unparteyisch zu reden, ich denke, sie haben beym Tausch mehr – verloren als gewonnen.
Aber wieder auf deinen Sofisten zu kommen, fuhr er fort; ich merke er hat vom goldenen Alter reden gehört. Vielleicht kam ihm die Idee zu poetisch vor, und da streifte er, nach Gewohnheit dieser Herren, so lange an ihr ab, bis ihm vom Menschen nichts als das bloße Thier übrig blieb; eine Arbeit, die ihn sehr leicht angekommen seyn mag! – Aber ich denke doch, – ich, der die Menschen gemacht hat, sollte am besten wissen, wie ich sie gemacht habe.
Das denk' ich auch, versetzte ich; und du würdest mir keine geringe Wohlthat erweisen, wenn du mir Nachrichten geben wolltest, welche mich in den Stand setzten, gewisse Filosofen zu demüthigen –
Wenn du keinen andern Beweggrund hast, unterbrach mich der Menschenmacher, so kann ich mir die Mühe ersparen. Deine Filosofen scheinen mir die Leute nicht zu seyn, die sich von Prometheus belehren lassen; und je natürlicher das, was du ihnen aus meinem Munde sagtest, wäre, desto rascher würden sie seyn, auszurufen: Ists nichts als dieß? – Jupiter sagte das nehmliche, da ich mit meinen Menschen fertig war. Das alberne Machwerk! rief er: ich wollte in einem Nektarrausche was bessers gemacht haben! – Doch, ich habe seit langer Zeit mit keinem Menschen geschwatzt; und du kannst dir einbilden, ob einem die Weile zuletzt lang wird, wenn man etliche tausend Jahre so allein an den Kaukasus angeschmiedet ist, ohne eine andre Gesellschaft zu sehen, als einen unsterblichen Geier, der einem die Leber aus dem Leibe pickt, und so bald er sie aufgegessen hat, sich empfiehlt, bis wieder eine neue gewachsen ist. Ich bin froh, daß du dich zu mir verirrt hast, und ich habe gute Lust mich einmahl wieder satt zu schwatzen, weil mir doch der verwünschte Geier eben Zeit dazu läßt.
Ich bezeigte ihm mein Mitleiden und meine Lernbegierde; und Prometheus fing seine Erzählung also an.
Bey allem dem halten wir uns versichert, daß die Geschöpfe des Prometheus nach und nach um ihre ursprüngliche Einfalt und Unschuld gekommen seyn würden, wenn gleich Pandora und ihre Büchse nur gewesen wären; – und in der That, man mußte so sehr in sein eignes Werk verliebt seyn als Er es war, um nicht zu sehen wo der Fehler lag.
Geschöpfe, deren Unschuld und Glückseligkeit von ihrer UnwissenheitDeukalions Überschwemmung