Ich bin die kleine Gutenacht-Fee aus dem Zauberwald.
Oh, kleiner Schatz, was bin ich froh, dass du da bist, denn ich muss dir so viel erzählen. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Am besten am Anfang, oder? Aber findest du nicht auch, dass man Geschichten am besten genießen kann, wenn man es sich dabei gemütlich macht? Warte, was könntest du dazu brauchen … eine Kuscheldecke und ein Kuscheltier. Ach ja, und eine Kuschelmama, einen Kuschelpapa, eine Kuschelomi, einen Kuschelopa und so weiter. Hauptsache, jemand Liebes, der dir meine Abenteuer vorliest.
Und dann träumt ihr euch gemeinsam in den fernen Zauberwald, der so weit weg und fern ist, dass er weiter weg und fern gar nicht mehr sein könnte. Ehrlich. Und trotzdem warte ich dort ganz aufgeregt auf dich. Guck mal, vor lauter Ungeduld hüpfe ich schon von einem Bein aufs andere, tips, taps, tips, taps.
Du musst dir nur wünschen, bei mir zu sein.
Tust du das?
Dann geht es nämlich JETZT los!
Oh, stopp, halt, bevor du dich auf die Reise machst: Ich habe ja noch gar nicht erzählt, um was es heute bei uns geht.
Ich erzähle dir dieses Mal alles über unsere Zauberwaldfeste.
Und, kleines Menschenkind, ahnst du, wie viele verschiedene Feste es bei uns gibt?
Ich verrate es dir: sehr viele.
Jedenfalls mehr, als in der Menschenwelt gefeiert werden. Das hat mir jedenfalls diese komische Stimme versichert, die mir auch sonst immer dazwischenplappert und andauernd dreisiebzehnhundert nebelflotschunnötige Fragen stellt.
Bei euch gibt’s anscheinend bloß Geburtstag und Weihnachten und Ostern und … ach, jetzt habe ich den Rest vergessen. Wieso habt ihr Menschen bloß so wenig zu feiern? Na, dafür feiern wir im Zauberwald umso mehr.
Und wenn wir gerade mal nichts zu feiern haben, denken wir uns einfach etwas aus. So wie meine Freundin, die kleine Hexe Ranunkel Krakelei. Als sie sich beim Zubereiten ihres süßen Hirsebreis verhext hat und das Töpfchen nicht wieder aufhören wollte zu kochen, hat sie die Bewohner des Zauberwaldes mithilfe einer Signalrakete zu einem fröhlichen Gartenschmaus-Fest eingeladen. Und obwohl es in Strömen geregnet hat, sind alle zum Nachtisch-Essen gekommen.
Wir haben aber auch sehr feierliche Feste, wie zum Beispiel das Kleinbirnbrückenwinkel-Fest, am Tag nachdem die Birnbaumleuchtflaschenlampenlaternen am einhundertsiebenundsiebzigsten Tag erlöschen.
Natürlich feiern wir aber auch ganz wichtige Sachen, zum Beispiel Kindergeburtstag. Den vom kleinen Zauberer hast du ja vielleicht schon mitgemacht. Und meinen, als der Feenwedel plötzlich blühte und ich die Einladungskarten zu meiner Mondscheinparty verlegt hatte und ich noch Pepita Polkapunkt aus dem Finsterwald retten musste …
Manchmal werden aus normalen Geburtstagen aber auch sehr spezielle. Von einem werde ich dir gleich erzählen.
Kann es losgehen?
Bist du da?
Dann auf geht’s zum ersten Zauberwaldfest.
Pst, soll ich dir was verraten? Es ist wirklich eines meiner fünfundelfzehn Lieblingsfeste …
Für das große Schokoladenfest ist im Zauberwald schon immer die Familie Drache verantwortlich. Und zwar nicht deshalb, weil sie bei dieser Feier die meiste Schokolade von allen isst (obwohl sie das natürlich tut! Stell dir nur mal vor, welche MENGE an Schokolade in Mama und Papa Drache passt!), sondern weil man für das große Schokoladenfest Feuer braucht. Ein riesiges Feuer. Ein Feuer, wie es einfach nur Drachen entfachen können.
Nun fragst du dich bestimmt, warum zum Schokoladeessen ein Feuer benötigt wird? Ist es nicht einfach so, dass man die Tafel aus dem Papier wickelt, hineinbeißt und fertig?
Ha! Von wegen!!
Wir sind doch hier schließlich im Zauberwald.
Und da ist so ein Schokoladenfest genau das, wonach es sich anhört.
Also pass auf, die Geschichte geht so:
Damit im Zauberwald das große Schokoladenfest gefeiert werden kann, müssen ein paar wichtige Sachen gleichzeitig passieren. Manchmal dauert es Jahre, bis es so weit ist.
Die Bewohner des Zauberwaldes benötigen dazu nämlich verschiedene Zutaten. Und diese alle auf einmal zusammenzukriegen, ist ganz schön knifflig und viel schwieriger, als es sich anhört.
Zunächst einmal wäre da natürlich die Schokolade. Und weil Schokolade ja leider nicht an Bäumen wächst und man sie im Zauberwald auch nirgends einfach so kaufen kann, muss sie erst mühsam hergestellt werden. Dafür braucht man Familie Drache, einen Kakaobohnenbaum und das Zwei-Teil-Wetter.
Moment mal, du hast keine Ahnung, was das Zwei-Teil-Wetter ist? Vielleicht hast du schon mal vom Tag des Wilden Wetters gehört? Den gibt es nämlich auch im Zauberwald, aber das Zwei-Teil-Wetter kommt sehr viel seltener vor. Höchstens alle paar Jahre – und es funktioniert so: Im Zauberwald gibt es eine magische Lichtung, auf der so allerlei magische Dinge geschehen. Über diese Lichtung verläuft eine kaum sichtbare Grenze aus struppigem, hartem Borstengras.
Am Tag des Zwei-Teil-Wetters passiert Folgendes: Auf dem einen Teil der Lichtung herrscht das herrlichste Sommerwetter der Welt. Es ist furchtbar heiß, und man hat sofort das dringende Bedürfnis, in der Badehose herumzulaufen und alle paar Minuten schwimmen zu gehen.
Auf der anderen Seite der Grenze ist es jedoch bitterkalt, und es schneit so viel, dass die Zauberwaldkinder die schönsten Tunnel und Höhlen in den riesigen Schneehaufen graben können. Sie fangen mit dem Spielen zuerst auf der Schneeseite an, und wenn sie dann durchgefroren sind, tauen sie sich auf der Sommerseite wieder auf, sozusagen. Seltsamerweise kann man aber weder Schneebälle auf die Sommerseite noch Sonnenbälle auf die Schneeseite werfen. Sonnenbälle? Egal, jedenfalls kann man nicht einfach von einer Seite auf die andere wechseln. Die Grasbüschelgrenze ist wie eine durchsichtige, undurchdringliche Wand. Natürlich hat der kleine Drache versucht, obendrüber zu fliegen, aber er musste so hoch steigen, dass Mama Drache die Krise bekommen hat und ihren Sohn schimpfend aus den Wolken pflücken musste. Immer wenn jemand von der einen Seite des Wetters auf die andere Seite will, muss er um die ganze Lichtung rumlaufen. Und dabei schmilzt meistens auch der ganze schöne Schnee, den man auf die Sonnenseite mitnehmen möchte. Nervig.
Zeitgleich mit dem Zwei-Teil-Wetter muss der Kakaobaum reif sein, der glücklich unten im Sonnental vor sich hin wächst. Heute hat der Sonnental-Gärtner Herr Bobono Familie Drache in aller Frühe schon Bescheid gegeben, dass es mal wieder Zeit für das große Schokoladenfest wäre.
Jetzt klettert Herr Bobono geschickt in den höchsten Ästen des Kakaobohnenbaums herum und erntet die mächtigen Bohnenfrüchte. Diese wirft er dem aufgeregt um ihn herumflappenden kleinen Drachen zu, der sie nach unten zu seinen Eltern trägt.
Während Mama Drache die Früchte aufschlägt, indem sie diese, kra-zlisch!, mit einem riesigen Schwert zerteilt, popelt Papa Drache die Kerne aus ihrer glibbrigen weißen Fruchthülle und füllt sie in große Jutesäcke. Maulend wie immer, weil er viel lieber auch der Fruchtschalenschwertkämpfer wäre als der Kernepopler und Sackwegbringer. Dann fliegt er die Säcke zur Lichtung hinüber, auf der tatsächlich der Zwei-Teile-Wetter-Tag in vollem Gange ist.
Auf der Sommerseite entzündet Papa Drache, faauuuch!!!, ein gewaltiges Feuer, über das er einen Riesengrillrost stellt, auf dem er die Kakaobohnen dann verteilt.
Sobald die Bohnen anfangen, braun zu werden, entsteigt ihnen ein ähnlich köstlicher Duft, wie du ihn von den Esskastanienbuden im Winter kennst. In kleinen Wölkchen pafft der Duft über den Zauberwald und gibt den Startschuss zum großen Schokoladenfest.
Nachdem Papa Drache die Bohnen geröstet hat, schüttet er sie in ein großes Sieb. Mama Drache trägt es auf die Winterseite, damit die heißen Schalen auskühlen. Dann tapst sie wieder herüber, stellt das Sieb auf dem Boden ab und beginnt, darauf ihren beliebten Schokoladenfest-Tanz aufzuführen.
Ruuumpel, traaampel, donnerwummpel!!!, macht es, als sie auf den Bohnen herumtrampelt, dass die Schalen nur so von den Kernen platzen. Außerdem bringt sie damit den ganzen Zauberwald zum Vibrieren, und das ist praktisch, denn so erfährt auch Nike vom nahenden Fest, da sich die Wasseroberfläche ihres Sees im Rhythmus von Mama Draches Gestampfe, Verzeihung, Getanze zu kräuseln beginnt. Auch die kleine Gutenacht-Fee wird übrigens ebenso alarmiert, weil sie in ihrem Feenbettchen unsanft auf und ab gehopst wird.
Endlich kommt der Moment, der dem kleinen Drachen und seinem Hund Frigo fast noch mehr Spaß macht als die Kakaobohnentransportfliegerei.
Mama Drache hält das Sieb hoch in die Luft, während Frigo und der kleine Drache darunter mit den Flügeln wedeln, was das Zeug hält, damit die Schalen von den Kakaobohnen getrennt werden.
»Ich bin ein Kakaobohnenpropellerdrache!«, brüllt der kleine Drache.
»Und ich ein Kakaobohnenpropellerdrachenhund!«, brüllt Frigo, während die losen Schalen in großen wirbelnden Schwaden zu Boden rascheln.
»Nun macht schon«, drängelt Mama Drache ungeduldig, während die beiden schon Muskelkater in den Flügeln haben. »Ich bin in Tanzstimmung.«
Dann füllt sie die Kerne in eine riesige flache Schale, ruft »Heppa, los geht’s«, rafft ihr Kleid zusammen und steigt hinein.
Aber diesmal gibt Mama Drache nicht den Kakaobohnenschalen-Knacktanz zum Besten, sondern zeigt ihren berühmten Kakaokernezermalm-Quetschie. Und weil sich schon reichlich Publikum in Badekleidung auf der Lichtung versammelt hat, gibt sich Mama Drache richtig Mühe.
»Ja, zeig uns den Quetschie«, ruft Mama Bär. Auch die anderen Bewohner feuern Mama Drache an, die ihren Drachenpopo jetzt immer wilder kreisen lässt. Mit schwankendem Drachenschwanz und wabbelndem Drachenbauch zerdrückt und matscht sie die Kakaokerne zu einem wunderbaren braunen Brei.
Mama Draches Tanz ist für den kleinen Drachen übrigens der schrecklichste Moment des großen Schokoladenfestes.
»Bleib cool«, beruhigt ihn Frigo. »Eltern sind manchmal einfach peinlich.«
»Und sie merken es nicht mal«, stöhnt der kleine Drache und kneift die Augen zusammen.
»Doch«, erwidert Frigo, »aber es macht ihnen nichts aus. Und das ist dann doppelt peinlich.«
Der kleine Drache nickt und stellt erleichtert fest, dass seine Mutter mittlerweile bis zu den Knien in einem braunen Matsch aus Kakaomasse steht.
»Puh, überstanden«, murmelt er und beobachtet, wie Papa Drache die Schale auf den Grillrost über das Feuer stellt.
Der kleine Drache hat jetzt die lustigste Aufgabe des Tages. Er tunkt einen langen Kochlöffel in die Kakaomasse und beginnt, wie ein lebender Küchenmixhubschrauber im Kreis herumzuknattern. Immer und immer rund um den Topf herum, während Mama Drache kiloweise Zucker, eimerweise Butter, händeweise Vanille und flaschenweise Sahne dazugibt.
»Wie sieht’s aus?«, ruft der kleine Bär seinem Freund zu, denn der Topf auf dem Feuer ist so hoch, dass niemand außer dem Drachen hineinsehen kann.
»Braun«, antwortet der kleine Drache.