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© 2005 Werner Hanitzsch

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9-783-8448-6234-8

Inhalt

Vorwort

Prolog

Kapitel I       Die erzwungene Entscheidung

Kapitel II      Das schöne Leben

Kapitel III     Der Ernst des Lebens

Kapitel IV    Schnell ändern sich die Dinge

Kapitel V     Das neue Leben im Orient

Kapitel VI    Das Verhängnis kündigt sich an

Kapitel VII   Das Verhängnis

Vorwort

Ein junger Elektronik-Ingenieur, gebürtig aus Riesa bei Dresden, arbeitet in Kairo und kommt bei einem Ausflug in die Wüste auf sehr mysteriöse Art und Weise zu Tode. Meine Recherchen brachten sehr eigenartige Hintergründe zu Tage.

Die hier geschilderten Ereignisse entsprechen den tatsächlichen, grundlegenden Geschehnissen.

Alle Namen und die Rahmenhandlungen sind frei erfunden. So könnte es abgelaufen sein.

Es ist nicht die spektakuläre Geschichte eines knallharten Agenten, sondern das Schicksal eines sympathischen jungen Mannes, welcher durch Zufall in die Fänge eines menschenverachtenden Systems gerät. In dieser Zeit, wo sich diese Geschichte ereignet hat, hätte es jeden jungen Mann in der DDR genauso treffen können. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

Prolog

H erbst 1968, Fred Rastel, ein Elektromeister aus Dresden, bereitet sich auf seine nächste Dienstreise nach Ägypten vor. Im Auftrag des DDR- Außenhandels hat er des öfteren in Kairo zu tun. Gedankenverloren schaut er aus dem Fenster seiner Wohnung in der Kesselsdorfer Straße in Dresden-Löbtau. Missmutig registriert er den Straßenlärm, das Rattern und Quietschen der Straßenbahn sowie das regnerische Wetter. Es ist kühl und dunkel draußen. Kein einziger Sonnenstrahl durchdringt die geschlossene Wolkendecke. In seinem Inneren freut er sich schon, endlich wieder in wärmere Gebiete reisen zu können. Auch in der Wohnung ist es zu dieser Jahreszeit teilweise schon recht ungemütlich kühl. Der große gelbe Kachelofen steht wie zur Dekoration in der Zimmerecke, als warte er auf seinen Einsatz. Er wird noch nicht geheizt, es lohnt sich einfach noch nicht, denn mit dem Brennmaterial muss sparsam umgegangen werden. Der Winter ist lang und die Brikettzuteilung nicht besonders reichlich. Der zusätzliche Kauf von HO-Briketts zum erhöhten Preis ist nicht immer möglich, denn wenn der Winter streng und lang ist, sind die Kohlenplätze oftmals leer.

»Scheußliches Wetter,« spricht Fred Rastel leise vor sich hin, »das einzige Übel, was man dem realen Sozialismus nicht anlasten kann«.

Es läutet an der Wohnungstür. Seine Frau öffnet und bringt ihm nach wenigen Augenblicken einen Besucher in das Zimmer.

»Verzeihen Sie, dass ich Sie störe, Herr Rastel. Mein Name ist Vertan, Max Vertan, Fotomechanikermeister aus Riesa. Darf ich ein paar Minuten mit Ihnen sprechen?«

»Bitteschön Herr Vertan, nehmen Sie Platz. Um was geht es denn?«

»Von einem Berufskollegen aus Dresden hörte ich, dass Sie des öfteren in Kairo zu tun haben und kurz vor einer erneuten Dienstreise dahin, stehen. Ich habe mehrmals versucht, wegen einer dringenden Angelegenheit eine Reiseerlaubnis zu erhalten. Vergebens. Es wird immer wieder abgelehnt. Vorsprachen sind vollkommen zwecklos. Nun bin ich so verzweifelt, dass ich nur versuchen kann, einen Dienstreisenden zu finden, der liebenswürdigerweise für mich ein paar Fragen in Kairo klärt.«

Fred Rastel schaute seinen Besucher verständnislos an:

»Ja, was haben Sie denn für Probleme in Kairo, dass Sie so verzweifelt sind? Wenn es mir möglich ist, will ich gerne versuchen, Ihnen zu helfen.«

Aus seiner kleinen Aktentasche aus Kunstleder, welcher man schon ihr Alter und den langen Gebrauch ansah, kramte Max Vertan umständlich einen Gegenstand, welcher aussah wie ein abgerissenes Stück Packpapier. Mit zitternden Händen schob er das Stück Papier wortlos über den Tisch. Erstaunt las Fred Rastel:

Mein letzter Wille.

Ich, Eberhart Vertan, geboren am 23.04.1936 in Riesa, z.Zt. wohnhaft in Kairo-Zamalek, Sharia Aziz Osman Nr. 6, verfüge hiermit für den Fall, dass mir etwas zustößt, dass mein gesamtes Eigentum, einschließlich meines gesamten Geldes, meine Freundin Jasmina erhalten soll.

Meine Ehefrau Elvira erhält nichts.

Kairo, am 2.6.1967           Eberhart Vertan

Fragend blickte Fred Rastel seinem Besucher ins Gesicht.

»Was ist das denn?«

»Dieses eigenartige Testament hat mir ein ehemaliger Arbeitskollege meines Sohnes Eberhart geschickt. In Kairo muss etwas geschehen sein, was ich mir überhaupt nicht erklären kann. Alles, was ich weiß ist, dass mein Sohn Eberhart, der schon mehrere Jahre in Kairo lebte, im vergangenen Jahr mit einem Freund einen Pfingstausflug in die Wüste gemacht hat. Dort ist er, angeblich durch eigenes Verschulden, verunglückt. Er und sein Freund sind dabei ums Leben gekommen. Allerdings erhalte ich keinerlei Informationen darüber. Ich weiß nicht, wo er beerdigt wurde und wie es meiner Schwiegertochter geht. Sein Freund Frank Tußmann, welcher auch dabei umkam, stammt aus unserer Gegend. Seine Mutter kenne ich sehr gut. Sie ist völlig verzweifelt. Auch ihr zuliebe möchte ich gerne etwas Licht in diese Angelegenheit bringen. Leider erhalte ich keine weiteren Informationen. Zu allem Überfluss hatte ich vor einiger Zeit einen seltsamen Traum. Ich sah eine Wüstenlandschaft in gleisender Sonne. Über einem bestimmten Punkt kreisten Geier. Ich bin zwar sonst nicht so abergläubisch, aber in diesem Fall macht mir der Traum schon Angst. Eberhart war ein alter Fuchs und alles andere als leichtsinnig. Auch dieses Testament ist mir völlig unverständlich. Diese Eile, mit der es wahrscheinlich geschrieben wurde und die Tatsache, dass er seine Frau enterbt hat.«

Max Vertan machte einen sehr besorgten und zerknirschten Eindruck. Frau Rastel brachte Kaffee. Während sie einschenkte, zündeten sich beide Männer eine Zigarette an.

»Erzählen Sie mir etwas von Ihrem Sohn,« forderte Fred Rastel seinen Besucher auf. »Wie kam er nach Kairo und was tat er dort?«

Während eine starke Windböe den Regen gegen das Fenster peitschte und der Kaffee in den Tassen dampfte, begann Max Vertan nach einigen Augenblicken der Sammlung, in denen beide gedankenverloren den Rauchschwaden der Zigaretten nachschauten, zunächst stockend und immer wieder nachdenkend, zu erzählen.

Kapitel I

Die erzwungene Entscheidung

Vorgeschichte

E berhart wurde 1936 geboren. Seine Kindheit und Jugendzeit wurde vom Krieg und der Nachkriegszeit überschattet. Als der Krieg zu Ende ging, war er gerade neun Jahre alt geworden. Das Ende der Schulzeit und die Lehrausbildung als Feinmechaniker wurden geprägt von dem sich entwickelnden Sozialismus in der DDR. Die Jugendzeit war reich an Entbehrungen und an Verzicht. Die Jugendlichen langweilten sich entsetzlich. Fernsehen hatten wir noch nicht. Der Jugendtanz im FDJ-Club war sozialistisch eingefärbt, es durfte nur ein geringer Prozentsatz westliche Musik gespielt werden. Das wurde streng kontrolliert und ödete die Jugendlichen an. Mit einem Auge schielten die doch immer nach dem Westen. Man konnte es ihnen auch nicht verdenken.«

Nachdenklich nahm Max Vertan einen Schluck Kaffee und fuhr dann fort:

»Eines Tages, es war im Sommer 1956, saß Eberhart wie so oft am Fenster und schaute verträumt über die Elbe, die hier in einem großen Bogen gemächlich dahinfloss. Das Wasser war braun und schmutzig, spiegelte aber trotzdem den herrlich blauen Himmel und die Sonne, welche es an diesem Tag besonders gut meinte. Ja früher, als er noch Kind war, ging er an solchen Tagen mit seinen Freunden in die Elbe baden. Daran war natürlich überhaupt nicht mehr zu denken. Er hatte vor kurzem seine Ingenieurprüfung im Fernstudium abgelegt und genoss seine neugewonnene Freizeit. Die großen Getreidemühlen aus der Nachbarschaft sandten ihr monotones Klappern und Brummen zu Eberhart‘s Fensterplatz, sodass er richtig schläfrig wurde. Plötzlich sagte er unvermittelt:

»Weißt Du was, Papa, ich muss hier unbedingt mal raus, sonst werd ich verrückt.«

»Was willst Du denn machen, Eberhart?«

»Hast Du schon mal was von Camping gehört?«

»Ja natürlich, nur wir haben einfach Zelten dazu gesagt.«

»Siehst Du, und nun heißt es Camping. Es kommt ganz groß in Mode. Auch in der DDR werden so nach und nach Campingplätze eingerichtet. Nächste Woche hab ich Urlaub. Ich werde nicht, wie geplant, zu Tante Martha fahren, sondern ich nehme mein kleines Zelt und fahr an einen See in der Nähe Berlins. Ich hab auch schon bei Frank Tußmann nachgefragt, ob er nicht mitkommen möchte, aber er bekommt zur Zeit keinen Urlaub. So fahr ich eben allein.«

»Weshalb gerade nach Berlin?« fragte ich ihn.

»Da kann ich doch mal mit der S-Bahn nach Westberlin fahren. Ich möchte mir gerne einmal ansehen, wie es dort aussieht.«

»Ja, diese Möglichkeit nutzten damals viele Leute,« meinte Fred Rastel zu seinem Besucher, »bis es durch den Bau der Mauer nicht mehr ging. Ich selbst war damals auch oft in Westberlin.«

»Ja, Ja, es gibt wohl nur ganz wenige Leute, die damals nicht ab und zu nach Westberlin gefahren sind, um einmal durch dieses Fenster in die westliche Welt zu schauen,« erwiderte Max Vertan.

Inzwischen war es schon merklich dunkel geworden. Die Dämmerung breitete sich im Zimmer aus und verstärkte die Mystik der Situation. Die Glut der Zigaretten verbreitete einen schwachen Lichtschein, welcher sich bei jedem Zug leicht verstärkte. Nach kurzer Pause, in welcher Max Vertan angestrengt nachzudenken schien, fuhr er fort:

»Also, Eberhart packte seine sieben Sachen und fuhr mit dem Zug nach Berlin-Erkner, wo er irgendwo am Müggelsee sein Zelt aufschlug. Es war zwar noch kein richtiger, organisierter Campingplatz, aber es waren doch schon einige Camper dort. Gleich in den ersten Tagen lernte er dort einen Mann namens Werner Holstein kennen. Herr Holstein war zwar mehrere Jahre älter als Eberhart, aber sie verstanden sich prächtig und freundeten sich an. Werner Holstein interessierte sich sehr für Eberhart‘s Beruf. Von nun an unternahmen sie alles gemeinsam.«

Der fatale Ausflug

Während Fred Rastel seinem Gast Kaffee nachschenkte, fuhr Max Vertan fort:

»Eines Tages fassten sie gemeinsam den Entschluss, einen Ausflug nach Westberlin zu unternehmen. Schon am nächsten Tag fuhren sie mit der S-Bahn von Erkner, über die Friedrichstraße, bis zum Bahnhof Zoo. Dort gingen sie als erstes in eine Wechselstube und tauschten DM Ost gegen DM West 4 : 1. «

»Dieser Schwindelkurs!« Schimpfte Werner Holstein. Was zwar Eberhart sehr verwunderte, er sich aber nichts weiter dabei dachte. Staunend stand Eberhart vor dem Bahnhof. Es war das erste mal, dass Eberhart im Westen war.

»Das kann doch nicht war sein«, meinte er, »es ist wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht.«

»Ja,« erwiderte Werner Holstein, »es ist zwar beeindruckend, aber nur eine Glitzerwelt. Der Schein trügt.« Mehr sagte er nicht.

Sie bummelten zum Kurfürstendamm. Besuchten ein Kino, um mal einen richtigen »Westfilm« zu sehen. Schauten sich alle Auslagen und Schaufenster an. Eberhart kam aus dem Staunen nicht heraus. Gegen Abend sagte Werner:

»Weist Du was, Eberhart, ich möchte gern diese Gelegenheit nutzen und noch eine alte Freundin besuchen. 22 Uhr 20 fährt eine S-Bahn ab Bahnhof Zoo. Mit dieser Bahn komme ich. Wir treffen uns im Zug und fahren gemeinsam nach Hause. Bitte sei mir nicht böse.«

»Geht schon in Ordnung. Ich nutz die Zeit und schau mir noch was an.«

Damit verabschiedeten sie sich.

Werner Holstein ging in der entgegengesetzten Richtung davon. Nachdem er sich gründlich vergewissert hatte, dass ihm niemand gefolgt war, verschwand er in einer Nebenstraße in einem Torbogen. Im Hinterhaus klingelte er zweimal kurz und einmal lang an einer Tür im ersten Obergeschoss. Er hörte wie innen der Türspion leise bewegt wurde, dann öffnete sich ihm die Tür.

»Hallo Cousin, schön Dich mal zu sehen, wie geht es denn der Tante Maria?« Nach diesen, für eventuelle Mithörer gedachten Begrüßungsworten, verschwanden sie im Inneren der Wohnung.

»Ich muss dringend mit der Zentrale sprechen,« sagte Werner und ging zum Telefon. Über eine geheime Kenn-Nummer hatte er eine direkte Leitung zu einem Büro im Ministerium für Staatssicherheit. Der angewählte Teilnehmer meldete sich mit:

»Ja bitte?«

»Hier Falke in Sachen Anwer an Veterinär.«

»Moment.«

»Hier Veterinär, was gibt‘s?«

»Kanditat Adlerflug unterwegs, Eberhart Vertan, S-Bahn 22/30 Friedrichstraße Richtung Erkner, Ende.«

»Verstanden, Ende.«

Nachdem Werner Holstein noch eine Tasse Kaffee getrunken hatte, begab er sich auf direktem Weg zur Friedrichstraße um noch einige Vorbereitungen zu treffen.

Das traumatische Erlebnis

Nachdem Eberhart Vertan noch einige Einkäufe, wie Bier, Zigaretten, Schokolade und ein paar Zeitungen, getätigt hatte, besuchte er noch eine Bar. Er trank noch ein Bier und wunderte sich über diese Preisunterschiede gegenüber dem Handel. Dann wurde es langsam Zeit, zu der vereinbarten S-Bahn zu gehen. Die Nacht war mild und klar. Ein herrlicher Sternenhimmel begleitete Eberhart auf seinem letzten unbeschwerten Weg in Freiheit.

Pünktlich 22 Uhr 20 war er am Bahnhof Zoo und hielt an der S-Bahn Ausschau nach Werner Holstein. Da er ihn nicht entdeckte, stieg er ein, um ihn evtl. unterwegs zu treffen. Er sah aus dem Fenster und genoss die Fahrt. Tiergarten, Bellevue, Lehrter Stadtbahnhof. Dann wurde es draußen dunkel und trostlos. Die Lichter der Werbung verschwanden und man wusste sofort, wo man war. Die Bahn näherte sich dem Bahnhof Friedrichstraße. Eine tiefe Traurigkeit und innere Leere machte sich plötzlich in ihm breit und ergriff sein ganzes Ich. Die düstere, unfreundliche Beleuchtung des Bahnhofes verstärkte noch dieses Gefühl. Er sah zum Fenster hinaus und sah einige Polizisten in dunkelblauer Uniform, welche die Fahrgäste sowohl auf dem Bahnsteig, als auch in den Wagen kontrollierten.

Na, das fehlt mir noch, dachte Eberhart bei sich. Da kamen auch schon zwei Beamte auf ihn zu.

»Grenzkontrolle der DDR, bitte Ihren Personalausweis.«

Nachdem die Beamten einige Augenblicke in dem Ausweis geblättert hatten, fragte einer der Beamten:

»Sie waren in Westberlin?«

»Ja.«

»Was haben Sie gekauft?«

»Etwas Bier und ein paar Zigaretten.«

»Haben Sie Zeitungen bei sich?«

»Nein.«

»Zeigen Sie uns bitte Ihren Campingbeutel, legen Sie alles hier auf den Sitz.«

Mit zitternden Händen räumte Eberhart seinen Campingbeutel aus.

»Sagten Sie nicht, Sie hätten keine Zeitungen bei sich?«

»Ja, das stimmt, an diese Illustrierte habe ich gar nicht mehr gedacht.«

»Packen Sie alles wieder ein, und kommen Sie mit uns zur Wache.«

Eberhart war fix und fertig. Damit hatte er nicht gerechnet. Er dachte noch: Bloß gut, dass Werner nicht gekommen ist, sonst wäre er jetzt auch mit dran.

Eberhart wurde in ein Büro der Bahnhofspolizei gebracht. Der Raum war sehr karg eingerichtet. Ein Tisch mit Telefon und drei Stühlen, das war alles. Von der Decke baumelte ein einfaches Lampenpendel mit einem grünen Schirm und tauchte den Raum in ein diffuses, kaltes Licht.

Schrecklich, dachte Eberhart und ließ sich auf einem der Stühle nieder.

»Moment,« sagte der Beamte und verschloss hinter ihm die Tür.

Mein Gott, was hab ich denn verbrochen, dass ich so behandelt werde? Eberhart war verzweifelt. Mit jeder Minute, die er warten musste, stieg seine Angst und Verzweiflung. Ihm schien es, als seien Stunden vergangen, als sich endlich die Tür öffnete und zwei Männer in Zivil den Raum betraten. Sie nahmen wortlos Platz und kontrollierten den Ausweis von Eberhart, welchen sie mitgebracht hatten.

»Sie sind Eberhart Vertan aus Riesa?«

»Ja.«

»Was machen Sie in Berlin?«

»Ich verbringe meinen Urlaub am Müggelsee.«

»Und was wollten Sie in Westberlin?«

»Na einfach mal die Stadt kennenlernen und einen Bummel machen.«

»Das hätten Sie viel besser bei uns im Osten der Stadt machen können.«

»Na ja, Sie haben natürlich recht, es war blöd. Einfach weil ich es noch nicht kannte, bin ich dahin gefahren. Aber es hat sich nicht gelohnt. Es wäre wirklich besser gewesen, ich wäre am Alexanderplatz bummeln gegangen.«

Mit diesen Worten hoffte Eberhart, die Beamten etwas milder zu stimmen. Er wusste ja nicht, was hier eigentlich in Wirklichkeit gespielt wurde.

»Sie haben im Westen einiges gekauft,« setzten die Beamten das Verhör fort. »Wo haben Sie denn das Westgeld her?«

»Na, das hatte ich noch von meinen Eltern.«

Das war natürlich sehr dumm, aber in diesem Moment fiel ihm einfach nichts anderes ein. Er wusste natürlich, dass es verboten war, Ostgeld gegen Westgeld zu dem sogenannten »Schwindelkurs« einzutauschen.

»Lügen Sie doch nicht,« kam prompt die Antwort. »Ich will Ihnen sagen wo Sie es her haben. Sie waren in einer dieser verbrecherischen Wechselstuben und haben sich Ihr gutes Geld der DDR zu einem Schwindelkurs abnehmen lassen. Damit haben Sie Geld illegal ins Ausland verschoben und in grober Weise gegen das Devisengesetz der DDR verstoßen. Außerdem haben Sie damit dem kapitalistischen Klassenfeind Vorschub geleistet. Die versuchen doch nur, die DDR wirtschaftlich auszusaugen.«

Die Mienen der Männer hatten sich verfinstert und der Ton wurde zunehmend aggressiver.

»Weiterhin versuchten Sie, eine Zeitung in die DDR zu schmuggeln. Wenn man hier durchblättert, kommt einem schon das Kotzen an. Die Zeitung strotzt von Lügen und Verleumdungen gegen unseren Arbeiter- und Bauernstaat. Was hatten Sie denn mit dieser Zeitung vor? Hm? Damit stehen Sie im Verdacht der verleumderischen Staatsverhetzung, denn es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass Sie diese Zeitung weitergereicht hätten. Diese Vergehen sind alle derart schwerwiegend, dass wir Sie zur weiteren Klärung dem Ministerium für Staatssicherheit zuführen müssen. Sie sind vorläufig festgenommen.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, erhoben sich die beiden Männer, nahmen den Personalausweis von Eberhart wieder an sich und verließen den Raum. Ein Beamter in Uniform verschloss ihn wieder sorgfältig.

Als Eberhart wieder allein war, fiel er in sich zusammen. Seine Beherrschung verließ ihn, er weinte hemmungslos.

Gegen 6 Uhr morgens wurde er von zwei Zivilisten abgeholt und in einem geschlossenen Fahrzeug abtransportiert. Er war total übermüdet und mit den Nerven am Ende. Er hatte große Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Da das Fahrzeug vollkommen geschlossen war, konnte Eberhart nicht sehen, wohin sie eigentlich fuhren. Nach geraumer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, hielt das Fahrzeug an. Als er ausstieg, sah er einen großen Innenhof mit mehreren Fahrzeugen. Ringsum hohe Gebäude im stalinistischen Baustil, mit vielen Fenstern.

Die Lüge

Man brachte ihn in einen Raum in einem der oberen Stockwerke, welcher nicht viel anders aussah, als der auf der Bahnhofswache. Wieder wurde die Tür hinter ihm verschlossen und er war mit sich allein. Tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf, aber er war nicht in der Lage, sie zu ordnen.

Was mach ich nur, wenn ich ins Gefängnis muss, dachte er, wie lange wird das dauern. Wie benachrichtige ich meine Eltern und meinen Betrieb. Was wird aus meinem Zelt. Wenn ich nur meinen Freund Werner Holstein informieren könnte, der würde bestimmt alles für mich erledigen.

Die Zeit schlich dahin, Eberhart quälte sich entsetzlich. Die Ungewissheit zermürbte ihn mehr und mehr.

Endlich hörte er Geräusche an der Tür, ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Die Tür öffnete sich. Eberhart starrte auf die eintretende Person und wollte seinen Augen nicht trauen.

»Ich glaube ich träume,« sagte er halblaut.

In der Tür stand Werner Holstein.

»Du träumst nicht, Eberhart, ich bin es tatsächlich. Mein Gott, was hast Du denn getan, dass Du so in der Scheiße steckst?«

»Nun sag mir blos mal um alles in der Welt, wie kommst Du denn hierher?«

»Du, ich muss mich erst mal bei Dir entschuldigen, dass ich Dir noch nicht erzählt habe, dass ich Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit bin.«

»Na, das fehlt mir noch.«

»Ich hätte es Dir schon noch erzählt. Aber bisher war dazu noch keine Gelegenheit. Nun ist es allerdings sehr gut, dass ich hier einige Verbindungen besitze. Ich werde Dir bestimmt helfen können. Kopf hoch, wir kriegen das schon hin.«

»Woher weißt Du denn, dass ich hier bin?«

»Leider habe ich gestern die S-Bahn verpasst, sonst wäre das gar nicht passiert. Als Du heute Morgen nicht in Deinem Zelt warst, rief ich meine Dienststelle an, um mich nach Dir zu erkundigen, da ich schon vermutete, dass Du evtl. in eine Kontrolle gekommen sein könntest. Der Genosse erzählte mir von Dir, und da bin ich sofort hergefahren,« log er ihm das Blaue vom Himmel. »Pass auf, Du erzählst mir jetzt in allen Einzelheiten was eigentlich passiert ist und dann sehen wir weiter.«

Eberhart ließ sich tatsächlich täuschen und erzählte ihm die Einzelheiten, die Werner ohnehin schon alle kannte.

»Na das sieht ja wirklich nicht gut aus für Dich, Eberhart.«

»Bitte Werner, kannst Du mir nicht helfen hier raus zu kommen? Mensch, ich habe doch nichts verbrochen!«

»Lass mich mal überlegen.«