Vervollkommnung
auf dem
Bodhisattva-Weg
Ein Kommentar von
Chan-Meister Sheng-yen
Books on demand
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© Dharma Drum Publications 2002
© Deutsche Übersetzung
Chang She 2010, fourturtles publications, Zürich
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Copyright © fourturtles 2010
fourturtles publications
Badenerstrasse 334, CH-8004 Zürich
Satz: zengarten.com, Meilen
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-8423-8674-7
Die Sechs Paramitas
Grosszügigkeit
Ethisches Handeln
Geduld
Tatkraft
Meditation
Weisheit
Dharma-Lehrer: | Meister Sheng-yen |
Übersetzer ins Englische: | Guo-Gu Rebecca Li |
Übersetzerin ins Deutsche: | Chang She |
Transkription: | Tan Yee Wong Stacey Pollaco |
Editor / Schlussbemerkungen englische Ausgabe: |
Ernest Heau |
Assistenzeditor: | Tan Yee Wong David Berman Alex Wang |
Umschlag- und Buchgestaltung: | Chih-ching Lee |
Publikation englische Ausgabe: | Winston Chen |
Publikation deutsche Ausgabe: | fourturtles publications, Zürich |
Für Eigennamen wird die in der englischen Übersetzung verwendete Umschrift benutzt.
Sanskrit- und Pali-Ausdrücke werden bei der ersten Erwähnung kursiv geschrieben. Bei Wiederholung wird bei im Deutschen eingeführten Bezeichnungen auf die Kursivschrift verzichtet.
Da diese Bezeichnungen in der deutschsprachigen buddhistischen Literatur gebräuchlich sind, wird die dem Deutschen angepasste Schreibweise verwendet.
Anmerkungen in eckigen Klammern [...] sind Ergänzungen der Übersetzerin ins Deutsche.
Das erste Paramita:
Grosszügigkeit
Das zweite Paramita:
Ethisches Handeln
Das dritte Paramita:
Geduld
Das vierte Paramita:
Tatkraft
Das fünfte Paramita:
Meditation
Das sechste Paramita:
Weisheit
Der spirituelle Weg des Buddhismus kann durch das Studium der Schriften und durch das Praktizieren der Lehren angegangen werden. Nicht immer ist es einfach zwischen den beiden zu unterscheiden. Das Bedenken und klare Erkennen der Lehren kann in sich ein Praxisweg sein. Gleichermassen erfordert das Praktizieren um Weisheit (prajna) zu erlangen die Stabilisierung des Geistes (samadhi) durch das Verständnis der Schriften. Wie Weisheit und Geistessammlung sind Studium und Praxis eng verbunden.
Etwa hundert Jahre nach Buddhas Nirvana waren um zwanzig verschiedene buddhistische Schulen entstanden, welche die Lehren auf verschiedene Weise interpretierten.1 Etwa 400 Jahre später erschien der Mahayana-Buddhismus (das Grosse Fahrzeug) und bezeichnete die früheren Schulen als Hinayana (Kleines Fahrzeug) um sich von ihnen zu unterscheiden.
Die Bezeichnung „Hinayana“ bezieht sich auf Buddhisten, welche vorwiegend die Vier Edlen Wahrheiten2 und die 37 Hilfen zur Erleuchtung3 praktizieren, und „Mahayana“ bezieht sich auf diejenigen, welche sich ausserdem auf die Sechs Paramitas und die Vier-Wege-fühlende Wesen-zu-Gewinnen4 ausrichten. Es gibt jedoch keine Grundlage in den Schriften für diese Unterscheidung. Tatsächlich fordern die frühesten Schriften (die nikayas in Pali und die agamas in Sanskrit) die Praxis der Vier Edlen Wahrheiten und die 37 Hilfen ebenso wie die der Sechs Paramitas. Die frühen Schulen bezeichneten sich nicht als Hinayana und die Bezeichnung ist abschätzig, wenn sie von Mahayana-Anhängern gebraucht wird um andere Buddhisten als Praktizierende eines geringeren Weges zu bezeichnen.
Trotzdem kann man bei näherer Prüfung eine Unterscheidung zwischen den beiden Schulen feststellen, indem Mahayana ein grösseres Gewicht darauf legt, im Praktizierenden eine höchste altruistische Absicht, andern zu helfen, hervorzurufen. Diese Ausrichtung, das Leiden anderer zu lindern, ohne an das eigene Nirvana zu denken, ist annuttara, der (unübertreffliche) Bodhigeist5. Wer so sorgfältig den Dharma praktiziert, realisiert, dass Nirvana nicht ein glückseliger, bleibender Zustand ist, in dem man Samsara, das existentielle Reich des Leidens, verwirft. Ohne Samsara zurückzuweisen und ohne sich ans Nirvana anzuklammern, gelobt ein Bodhisattva zur irdischen Existenz zurückzukehren, um den fühlenden Wesen zu helfen. Dies ist die korrekte Denkart auf dem Mahayanaweg. Idealbilder dafür sind Manjusri, der Bodhisattva der Weisheit; Samantabhadra, der Bodhisattva des Handelns und der Übung; Avalokitesvara, der Bodhisattva des Mitgefühls, und Ksitigarbha, der Bodhisattva der Grossen Gelübde. Diese grossen Bodhisattvas gelobten, den fühlenden Wesen zu helfen das Erwachen zu erreichen, bevor sie selber Buddhaschaft erlangen würden. Deshalb sollte die Unterscheidung zwischen Hinayana und Mahayana eher auf dem erweiterten Geistesbereich eines Bodhisattvas als auf der Praxismethode liegen.
Zur Zeit Buddhas und später herrschte unter Buddhisten und Praktizierenden anderer Wege die Idee vor, dass es das letztendliche Ziel der Praxis sei, diese Welt zu transzendieren und Nirvana zu erlangen. Diese Idee, die Welt hinter sich zu lassen und in himmlischen Gefilden zu verweilen, ist auch in vielen spirituellen Wegen des Westens verbreitet. Um ihre eigene Praxis vom Weg der persönlichen Befreiung zu unterscheiden, benutzten Mahayana-Lehrer die Bezeichnung „Hinayana“.
Einige Menschen hängen natürlich so sehr an den materiellen und sinnlichen Genüssen dieser Welt, dass sie diese nicht verlassen möchten. Ihre Haltung ist: „Warum sollte jemand diese wundervolle Welt verlassen wollen?“ Die Bodhisattvas jedoch realisieren, dass die Menschen, gerade wenn sie sich ins sinnliche Vergnügen stürzen, endlosen Kummer für sich selber und andere schaffen. Sie realisieren, dass die Welt durch inhärentes Leiden gekennzeichnet ist, und sie wünschen den Zyklus des Leidens für sich selbst und andere zu beenden. Sie haben das Verlangen erweckt, anderen zu helfen, aus dem endlosen Zyklus auszubrechen. Da sie erkennen, dass sie aus einem falschen Traum erwacht sind, wollen sie auch andern helfen zu erwachen. Dies ist die richtige Haltung eines Bodhisattva. Wenn wir ihre Ernsthaftigkeit und aufrichtigen Absichten bedenken, fühlen wir uns leise berührt und dankbar.
Das Sanskrit-Wort „paramita“ bedeutet wörtlich „das andere Ufer erreicht haben“. Es bedeutet auch „Transzendenz“, oder „Vervollkommnung“. Wenn wir auf dem Ufer des Leidens leben, bedeutet das andere Ufer erreichen, das Leiden hinter sich zu lassen und zu erwachen.