Grundausbildung für Reiter und Pferd

Richtlinien für Reiten und Fahren Band 1

Impressum

Bibliografische information der Deutschen Nationalbibliothek

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33. Auflage 2021

Herausgeber

Deutsche Reiterliche Vereinigung eV — Bereich Sport, Abteilung Ausbildung — Bundesverband für Pferdesport und Pferdezucht Fédération Equestre Nationale (FN), Warendorf

Gesamtredaktion

Thies Kaspareit, Leiter der FN-Abteilung Ausbildung

Texte

Christoph Hess, Thies Kaspareit, Susanne Miesner, Martin Plewa, Michael Putz

Lektorat

Angelika Frömming, Sassenberg

Dr. Carla Mattis, FNverlag, Warendorf

Korrektorat

Korrekturbüro G. und W. Kirchhoff, Büren-Brenken

Umschlagmotiv und Sämtliche Illustrationen

Cornelia Koller/www.corneliakoller.de, Schneverdingen

Gesamtgestaltung

mf-graphics, Marianne Fietzeck, Gütersloh

Grafische Gestaltungen

Seiten 12, 68, 185, 204, 226, 231, 232, 261: Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. (FN), Bereich Sport, Abteilung Ausbildung

ISBN 978-3-88542-721-6

Danksagung

Ein ganz besonderer Dank für umfangreiche gedankliche Anregungen gilt:

Georg-Christoph Bödicker Waltraud Böhmke

Susanne von Dietze

Heinrich Hermann Engemann

Angelika Frömming

Cornelia Koller

Prof. Dr. Heinz Meyer

Eckart Meyners

Hannes Müller

Isabelle von Neumann-Cosel

Monika Schnepper

Prof. Dr. Ulrich Schnitzer Dr. Britta Schöffmann

Prof. Dr. Peter Stadler Paul Stecken (t)

Waltraut Weingarten (t)

FN Bereich Sport, Warendorf

Alle in den Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1: Grundausbildung für Reiter und Pferd erwähnten Personenbezeichnungen gelten für Frauen und Männer, auch wenn sie lediglich in der männlichen Sprachform ausgedrückt sind.
Alle erwähnten Bestimmungen gelten für Pferde und Ponys, sofern für Ponys nicht ausdrücklich eine andere Regelung aufgeführt ist.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Gedanken zur klassischen Reitlehre

Kapitel 1

Allgemeine Grundlagen. Pferd — Reiter — Ausbilder — Ausbildungsort

1.1Das Pferd

1.1.1Die natürlichen Eigenschaften des Pferdes

1.1.2Die Beziehung zwischen Reiter und Pferd

1.2Der Reiter

1.3Das Lehrpferd

1.4Der Ausbilder

1.5ort der Ausbildung

1.6Bahnordnung

1.6.1Bahnbezeichnungen

1.6.2Hufschlagfiguren

1.7Regeln für das Reiten im Gelände/im straßenverkehr

Kapitel 2

Die Ausrüstung von Reiter und Pferd

2.1Die Ausrüstung des Reiters

2.2Die Ausrüstung des Pferdes

2.2.1Die Grundausrüstung für den Umgang mit dem Pferd

2.2.2Die Grundausrüstung zum Reiten des Pferdes

2.2.3Hilfszügel, Anbringung und Anwendung

2.2.4Zubehör

2.3Die Pflege der Ausrüstung

Kapitel 3

Vorbereitung zum Reiten

3.1Annähern, Aufhalftern, Führen, Anbinden

3.2Pferdepflege

3.3satteln

3.4Auftrensen/Abtrensen

3.5Führen des aufgetrensten und gesattelten Pferdes

3.6Auf- und Absitzen

3.7Pflege des Pferdes nach dem Reiten

Kapitel 4

Sitz und Einwirkung des Reiters

4.1Entwicklung des sitzes

4.1.1Gleichgewicht und Losgelassenheit

4.1.2Die Sitzgrundlage

4.1.3Eingehen in die Bewegung

4.1.4Der Dressursitz

4.1.5Der leichte Sitz

4.1.5.1Der Sitz des Reiters beim Springreiten („Springsitz“)

4.1.5.2Der Sitz des Reiters beim Reiten von Geländeritten („Geländesitz“)

4.2Entwicklung der Einwirkung

4.2.1Hilfengebung

4.2.1.1Gewichtshilfen

4.2.1.2Schenkelhilfen

4.2.1.3Zügelhilfen

4.2.2Einsatz von Hilfsmitteln

4.2.3Zusammenwirken der Hilfen und Entwicklung des Gefühls

4.3Sitz- und Einwirkungsprobleme — Ursachen und Korrekturen

4.3.1Stuhl- und Spaltsitz

4.3.2Sitzschiefe („eingeknickte Hüfte“)

4.3.3Probleme im leichten Sitz

4.3.3.1Sitzprobleme beim Reiten über Hindernisse

4.3.4Weitere Einwirkungsfehler

4.3.5Die Losgelassenheit des Reiters negativ beeinflussende Verhaltensweisen

4.3.6Probleme bei der Handhaltung und Zügelführung

Kapitel 5

Systematischer Aufbau von Übungsstunden

5.1Die Lösungsphase

5.2Die Arbeitsphase

5.3Die Erholungsphase

Kapitel 6

Grundübungen

6.1Reiten der Gangarten

6.1.1Die Grundgangarten des Pferdes

6.1.1.1Schritt

6.1.1.2Trab

6.1.1.3Galopp

6.1.2Reiten in den Grundgangarten

6.1.2.1Reiten im Schritt

6.1.2.2Reiten im Trab

6.1.2.3Reiten im Galopp

6.2Grundübungen zum dressurmäßigen Reiten

6.2.1Abstimmung der Hilfen

6.2.2Anreiten, Antraben, Angaloppieren

6.2.3Halbe Paraden, Übergänge und ganze Paraden

6.2.4Zügel-aus-der-Hand-kauen-Lassen/Zügel-Überstreichen

6.2.5Reiten von Wendungen und gebogenen Linien

6.2.5.1Stellen und Biegen

6.2.5.2Durchreiten einer Ecke

6.2.5.3Reiten auf dem Zirkel

6.2.5.4Schlangenlinien

6.2.5.5Reiten von Volten

6.2.6Vorhandwendung

6.2.7Schenkelweichen/Viereck-Verkleinern und -Vergrößern

6.2.8Rückwärtsrichten

6.2.9Einfacher Galoppwechsel

6.3Weiterführende Übungen im dressurmäßigen Reiten

6.3.1Übergänge zur Verbesserung der Versammlung und der Schwungentfaltung

6.3.2Versammlung im Trab

6.3.3Versammlung im Galopp

6.3.4Außengalopp (auch Kontergalopp)

6.3.5Kurzkehrtwendung, Hinterhandwendung

6.3.6Schultervor, Schulterherein

6.3.7Zusammenstellung von Übungen im dressurmäßigen Reiten

6.4Abteilungsreiten

6.4.1Die Kommandos

6.5Grundübungen im Reiten über Hindernisse (springen)

6.5.1Reiten über Bodenricks/Cavaletti

6.5.2Reiten über einen Einzelsprung

6.5.3Reiten von Springreihen

6.5.4Reiten über eine Folge von Einzelsprüngen

6.5.5Kombinationen

6.5.6Hindernisfolgen/Distanzen

6.5.7Parcoursspringen

6.5.8Zusammenstellung von Übungen im Springreiten

6.6Erste Grundübungen im Geländereiten

6.6.1Reiten bei unterschiedlichen Bodenverhältnissen und Geländeformen

6.6.2Entwicklung des Tempogefühls

6.6.3Springen im Gelände

6.7Weiterführende Ausbildung im Geländereiten

6.7.1Springen auf unebenem Gelände

6.7.2Wasserhindernisse

6.7.3Gräben

6.7.4Rennbahnsprünge

6.7.5Zusammenstellung von Übungen im Geländereiten

Kapitel 7

Die Grundausbildung des Pferdes

7.1Gewöhnung, Bodenarbeit und Longieren des jungen Pferdes

7.1.1Gewöhnung

7.1.2Bodenarbeit

7.1.3Longieren

7.2Anreiten

7.3Freispringen

7.4Grundausbildung des jungen Pferdes unter dem Reiter

7.5Trainingsgrundlagen und Trainingsprinzipien

7.6Ausbildungs- und Trainingssystem des Pferdes

7.6.1Bedeutung des Gleichgewichts

7.6.2Bedeutung des Taktes

7.6.3Bedeutung der Losgelassenheit

7.6.4Entstehung der Anlehnung

7.6.4.1Anlehnungs- und Beizäumungsfehler

7.6.5Entwicklung des Schwunges

7.6.5.1Die systematische Förderung der Schwungentwicklung

7.6.6Geraderichtung

7.6.7Entwicklung der Versammlung

7.6.8Verfeinerung der Durchlässigkeit

7.6.9Grundlagen der Spring- und Geländeausbildung

7.6.10Grundausbildung im Springen

7.6.11Grundausbildung im Gelände

7.6.12Besondere Aspekte für die Ausbildung des Jagdpferdes

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes

Grundregeln des Verhaltens im Pferdesport (Verhaltenskodex)

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Die Richtlinien für Reiten und Fahren erschienen vor mehr als 50 Jahren in bisher 28 Auflagen mit über 400.000 Exemplaren übersetzt in elf Sprachen.
Sie gelten mit den Bänden 1 bis 6 als Standardwerke für das Grundwissen um das Pferd und die Ausbildung von Pferden sowie Reitern, Fahrern und Voltigierern und zudem sind ihre Grundsätze von der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) anerkannt.

Die Grundausbildung für Reiter und Pferd wurde in den Richtlinien für Reiten und Fahren Band 1 sowohl sprachlich als auch inhaltlich komplett neu überarbeitet unter Einbeziehung der bewährten Grundsätze erfahrener Reitmeister. So hat dieses traditionelle Grundlagenwerk eine umfassende Modernisierung erfahren.

Als Grundlage für die Kommunikation und das Verständnis zwischen Pferd und Reiter ist die Natur des Pferdes und das natürliche Verhalten ausführlich dargestellt. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Trainings- und Bewegungslehre sind sowohl in die Systematik der Ausbildung des Reiters als auch in die des Pferdes eingeflossen. Dennoch haben diese Richtlinien den Anspruch, lernenden Pferdefreunden praxisnah Hilfestellungen zu geben. Dabei ist es unerheblich, ob der Leser sich für einen harmonischen Umgang mit dem Pferd, für breitensportliches Reiten interessiert, ob er an Ausritten oder Reitjagden teilnehmen oder die Grundausbildung für den Dressur-, Spring- oder Vielseitigkeitssport vertiefen möchte.

Deutlicher als in der früheren Tradition, wird hier der ganzheitliche Ansatz in der Interaktion von Pferd und Reiter herausgestellt. Auf ein harmonisches Miteinander von Pferd und Reiter kommt es an. Die richtige Form des Reitersitzes und das Erscheinungsbild des Pferdes unter dem Reiter werden als ein Ergebnis richtigen Reitens betrachtet.

Dieses Grundlagenwerk gibt allen Reitern, Ausbildern bzw. Trainern aber auch Turnierrichtern sowie interessierten Pferdesportlern eine sichere Orientierung in der Ausbildung von Reiter und Pferd.

Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. (FN) Bereich Sport

29. Auflage, Warendorf, im November 2012

Gedanken zur klassischen Reitlehre

Die Richtlinien für Reiten und Fahren basieren heute wie früher auf den Grundsätzen klassischer Reitkunst. Man kann die „klassische Reitlehre“ definieren als:

Ein lebendiges und modernes Ausbildungssystem, das auf den Grundprinzipien alter Meister aufbaut, aber auch neue, ergänzende, dem Wohl der Pferde dienende und für das Ausbildungssystem zweckdienliche Erkenntnisse übernimmt. !

Die klassische Reitlehre hat sich über die Jahrhunderte hinweg entwickelt. Viele bedeutende Reitmeister ihrer Zeit haben einen Anteil daran. Das, was sich nicht bewährt hat, wurde verworfen. Bewährte Erkenntnisse wurden anerkannt, weitergegeben und weiterentwickelt. So haben sich unabhängig von Einsatz und Verwendungszweck des Pferdes folgende wesentliche Kriterien der klassischen Reitlehre im Sinne der Richtlinien für Reiten und Fahren der Deutschen Reiterlichen Vereinigung herausgebildet, die bis heute Gültigkeit haben:

Die klassische Reitlehre

orientiert sich an der Natur, d.h. an den Bedürfnissen und den natürlichen, individuellen Anlagen des Pferdes,

berücksichtigt

-die körperlichen Voraussetzungen des Pferdes und

-das natürliche Verhalten des Pferdes,

ist bei richtiger Anwendung artgerecht und führt zum Wohlbefinden des Pferdes,

zielt ab auf eine ausgewogene Gymnastizierung und Kräftigung des Pferdes,

bezieht sich auf die Ausbildung eines jeden Pferdes und ist abwechslungsreich und vielseitig angelegt,

schafft und erhält ein leistungsbereites, willig und vertrauensvoll mitarbeitendes Pferd,

fordert vom Reiter einen elastischen, ausbalancierten Sitz, eine gefühlvolle, feine Hilfengebung sowie das Verständnis für die Natur des Pferdes und die Zusammenhänge dieser Reitlehre und

führt zum inneren und äußeren Gleichgewicht bei Pferd und Reiter.

An diesen Grundsätzen und diesem Grundverständnis orientiert sich der gesamte Aufbau und Inhalt dieser Richtlinien. Die Skala der Ausbildung mit ihren sechs Punkten wird als Herzstück der klassischen Reitlehre bezeichnet, weil sie dem Ausbildungsweg des Pferdes und jeder einzelnen Ausbildungseinheit unabhängig vom Verwendungszweck einen Leitfaden gibt. Die sechs Punkte, die sich alle auch gegenseitig beeinflussen, führen in Verbindung mit der Erziehung und dem Gehorsam des Pferdes zu einer sich immer weiter entwickelnden Durchlässigkeit (Durchlässigkeit beschreibt den Zustand, in dem das Pferd seinem Ausbildungsstand entsprechend alle Punkte der Ausbildungsskala erfüllt und willig auf das Wechselspiel der reiterlichen Hilfen reagiert.) und einem immer sicherer werdenden Gleichgewicht.

Takt
(Gleichmaß aller Schritte, Tritte und Sprünge)

Losgelassenheit
(unverkrampftes An- und Entspannen der Muskulatur, bei innerer Gelassenheit)

Anlehnung
(stete, weich federnde Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul)

Schwung
(Übertragung des energischen Impulses aus der Hinterhand über den schwingenden Rücken auf die Gesamt-Vorwärts-Bewegung des Pferdes)

Geraderichtung
(gleichmäßiges Gymnastizieren beider Körperhälften zum Ausgleichen der natürliche Schiefe des Pferdes)

Versammlung
(leichtfüßiges Ausbalancieren auf kleinerer Grundfläche mit gut herangeschlossenen Hinterbeinen in selbst getragener Haltung)

Ausbildungssystem des Pferdes | „Skala der Ausbildung“

Mit fortschreitender Verbesserung von Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichtung und Versammlung werden Gleichgewicht und Durchlässigkeit immer weiter verfeinert.

Als Ergebnis der Berücksichtigung der Grundsätze der klassischen Reitlehre und physikalischer Gesetzmäßigkeiten ergibt sich die Haltung des richtig gerittenen Pferdes. Jeder Reiter sollte die klassischen Grundsätze nicht nur kennen, sondern auch die praktische Umsetzung selbstkritisch betrachten. Wer sich mit dem Pferd beschäftigt, muss dessen Grundbedürfnisse kennen, diese respektieren und Verantwortung1 übernehmen. Daraus folgt das Bemühen um eine möglichst artgemäße Haltung2, um einen fachgerechten, einfühlsamen Umgang mit dem Pferd sowie um gefühlvolles Reiten.

Zu den individuellen Eigenschaften eines Pferdes gehören, wie beim Menschen auch, Stärken und Schwächen. Die Stärken zu fördern sowie die Schwächen zu erkennen und auszugleichen — das ist ein wesentliches Ziel, welches vom Reiter viel Erfahrung, Können, Verständnis und Geduld erfordert.

Unabhängig von der Disziplin wird das Pferd nach der „Skala der Ausbildung“ — als ganzheitliche Methode — gymnastiziert. Pferd und Reiter finden auf diese Weise zu einem gemeinsamen Gleichgewicht, das sie in die Lage versetzt, sich fein abgestimmt zu verständigen. Im Idealfall kommt es zu einer Verschmelzung der Bewegungen von Pferd und Reiter. Der Beobachter — ob Laie oder Experte — nimmt ein harmonisches Gesamtbild wahr.

Die Ausbildung nach der klassischen Reitlehre schafft bei richtiger Umsetzung ein leistungsbereites, willig mitarbeitendes Pferd, unabhängig von dessen Einsatz. So kann Reiten Freude schaffen und die Gesundheit erhalten. !

Beim Reiter ist ein ausbalancierter, losgelassener Sitz die Basis für diese Arbeit. Das Reiten verschiedener, richtig ausgebildeter (Lehr-)Pferde ist dabei für den Lernprozess des Reiters unerlässlich, denn er muss sich auf jedes Pferd mit seinem unterschiedlichen Körperbau, seinen anderen Bewegungsabläufen und seinen individuellen Eigenschaften einstellen. Dies sensibilisiert den Reiter sowohl körperlich als auch mental und hilft ihm, nicht nur Reittechnik zu erlernen, sondern auch Reitgefühl zu entwickeln. Dabei ist das Pferd immer der „Spiegel“ der reiterlichen Einwirkung.

Ursachen für auftretende Schwierigkeiten, Rückschritte oder Misserfolge muss der Reiter dabei immer zunächst bei sich selbst und nicht beim Pferd suchen. Ist der Reiter auf dem richtigen Weg, wird ihm dieses durch das Verhalten des Pferdes und ein gutes Reitgefühl vermittelt.

Diese Bereitschaft zur Selbstkritik, verbunden mit der Fähigkeit die genannten Grundsätze umzusetzen, machen einen Reiter aus, der in der Lage ist, nach der klassischen Reitlehre richtig zu reiten.

1siehe Tierschutzgesetz §§ 1, 2 und 3

2siehe Deutsche Reiterliche Vereinigung (Hrsg.): „Grundwissen zur Haltung, Fütterung, Gesundheit und Zucht, Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 4“, FNverlag, Warendorf 2019

Kapitel 1

Allgemeine Grundlagen

Pferd — Reiter — Ausbilder — Ausbildungsort

1.1Das Pferd

Kenntnisse über die Bedürfnisse und Eigenschaften derKenntnisse über die Bedürfnisse und Eigenschaften der Pferde sind für den Umgang und für das Reiten eine Grundvoraussetzung. Wer das Wesen der Pferde verstanden hat, wird sich dem Pferd gegenüber richtig verhalten und eine positive Verständigung mit ihm erreichen.

1.1.1Die natürlichen Eigenschaften des Pferdes

Das Pferd ist ein Lebewesen mit Instinkten und Vorerfahrungen, einem besonders ausgeprägten Erinnerungsvermögen und vielen anderen besonderen Eigenschaften, die sich im Laufe seiner Evolutionsgeschichte entwickelt haben. Auch wenn das Pferd seit sehr langer Zeit vom Menschen als Militärpferd, als Nutztier und als Sportpartner gehalten und genutzt wird, bleiben die natürlichen Eigenschaften prägend für sein Verhalten.

Pferde sind Herdentiere. Der Herdenverband bietet ihnen Schutz und Sicherheit. Deshalb sind Pferde natürlicherweise nicht gern allein. Die Herde wird durch ein erfahrenes Leittier geführt, das in der Regel ohne Auseinandersetzungen anerkannt wird.

Pferde haben innerhalb der Gruppe eine feste Rangordnung. Regeln im Umgang miteinander sichern die Überlebensfähigkeit in der Herde. Rangordnungskämpfe, besonders gut bei heranwachsenden Pferden, aber auch bei neuen Weidepartnern zu beobachten, gehören zum natürlichen Verhalten. Die Position der Überlegenheit wird entweder von dem unterlegenen Tier aufgrund des Verhaltens des dominanteren Pferdes akzeptiert oder jeweils „ausgefochten“. Häufig genügt dazu eine einzige Konfrontation.

Pferde sind Fluchttiere. Die sofortige Flucht gibt dem Pflanzenfresser Pferd seit Urzeiten den sichersten Schutz vor jeder Gefahr. Eines der elementarsten Bedürfnisse des Pferdes ist das nach Sicherheit. Aus diesem Grund sind sie natürlicherweise ständig auf der Hut vor möglicher Gefahr. Nur wenn eine Flucht bei drohender Gefahr nicht möglich ist, wehren sich Pferde durch Schlagen mit den Hinterhufen, durch Angreifen mit den Vorderhufen und durch Beißen.

Pferde sind ebenso Steppen- und Lauftiere. In ihrem Lebensraum, der Steppe, waren sie ab einer bestimmten Entwicklungsstufe viele Stunden am Tag in ruhiger Bewegung auf Nahrungssuche. Dabei legten sie 30 bis 40 km täglich zurück. Sie waren ständig an der frischen Luft in einem möglichst weitläufigen Umfeld mit guter Sicht. Sie suchten nicht den Schutz in Höhlen oder geschützten Verstecken, weil dort die Fluchtwege eingeschränkt waren.

Sehr gut ausgeprägt ist der Geruchssinn des Pferdes und ebenfalls hoch entwickelt ist das Gehör. Die Sehkraft und besonders das Sichtfeld des Pferdes sind deutlich anders als beim Menschen. Die seitlich am Kopf befindlichen Augen ermöglichen ein sehr weites Blickfeld, fast einen Rund-um-Blick. Das Pferd ist ein ausgesprochener „Bewegungsseher“. Es nimmt besonders gut sich bewegende Dinge wahr, auch wenn sie weit in der Ferne, seitlich neben ihm und sogar schräg hinter ihm sind. Der Tast- sinn und die Reizempfindlichkeit der Haut sind sehr sensibel und gut entwickelt.

Die Kommunikation zwischen Pferden erfolgt außer durch hörbare Lautäußerungen insbesondere über die Körpersprache. Eine bestimmte Körperhaltung, ein Gesichtsausdruck oder die Haltung der Ohren sind für andere Pferde unmissverständliche Zeichen.

Pferde sind von Natur aus im Umgang eher gutmütig, auch wenn sie häufig robust miteinander umgehen. !

Sie haben ein besonders gutes Erinnerungsvermögen und einen ausgeprägten Ortssinn. Pferde orientieren sich gerne an gewohnten Gegebenheiten und Abläufen, sie halten nach Möglichkeit an Gewohnheiten fest.

In der Regel ist ein Pferd — was die Körpergröße betrifft — im Alter von ca. fünf Jahren I weitgehend ausgewachsen. Die körperliche Gesamtentwicklung ist jedoch erst mit ca. sieben Jahren abgeschlossen. !

Bewegung, Licht, Luft und Kontakt zu Artgenossen sind für das Wohlbefinden der Pferde bis heute von besonderer Bedeutung. Bei der Stallhaltung und im täglichen Umgang müssen diese Kriterien besonders beachtet werden. Pferde benötigen ausreichende und abwechslungsreiche Bewegung. Hierzu gehören auch Auslauf im Paddock oder Weidegang.

1.1.2Die Beziehung zwischen Reiter und Pferd

Der Umgang mit dem Pferd und das Reiten selbst verlangen vom Reiter, sich ständig in die Empfindungen und Reaktionen des Pferdes hineinzuversetzen. So kann er versuchen, aus der Perspektive des Pferdes zu beurteilen, ob sein Verhalten angemessen oder die Hilfengebung für das Pferd „verständlich“ ist.

In der Ausbildung — gerade bei jüngeren Pferden — kann der Herdentrieb aber auch positiv genutzt werden, indem ältere, erfahrene Pferde als Führpferde z.B. beim Ritt ins Gelände oder bei den ersten Sprüngen eingesetzt werden. Weil das Reiten in einer Gruppe nicht immer möglich und auch nicht immer gewollt ist, muss ein Pferd an Situationen, in denen es ohne andere Artgenossen ist, gewöhnt werden. Das gilt besonders für den Transport, für das Einzelreiten und für den Turniereinsatz.

Weil Pferde grundsätzlich gutmütig, zutraulich und auch neugierig sind, ist die Kontaktaufnahme durch einen Menschen in der Regel unproblematisch und kann unbefangen erfolgen. Er muss sich jedoch bei allem was er tut, stets ruhig bewegen. Schnelle Bewegungen können zum Erschrecken und auch zu Abwehrreaktionen führen.

Wie ist die Beziehung zwischen Pferd und Reiter aus der Sicht des Pferdes einzuordnen? Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein Pferd einen Menschen wirklich als „Leittier“ akzeptiert. Das Bedürfnis nach Sicherheit und der Vertrauensaufbau durch positive Erfahrungen können jedoch den entsprechenden Menschen dem Pferd gegenüber in eine ähnliche Position bringen.

Dem Pferd Sicherheit und Vertrauen zu vermitteln, gehört deshalb zu den wichtigsten Aufgaben eines Reiters! !

Zu einem guten Verhältnis gehört auch, dass beide Respekt voreinander haben. Damit verbunden ist auch die Frage der Rangordnung. Die Rolle des Ranghöheren, die der Reiter einnehmen muss, wird nicht durch eine Auseinandersetzung, sondern durch selbstbewusstes sicheres Auftreten und Handeln bestimmt. Manche Pferde, häufig bedingt durch unsicheres, inkonsequentes oder unangemessenes Verhalten des Reiters, versuchen ihre Rangordnung innerhalb der Beziehung Mensch/Pferd abzuklären.

Nur ein ruhig, bestimmt und konsequent wirkender und handelnder Mensch wird vom Pferd als ranghöheres Lebewesen akzeptiert. !

Der Reiter soll sich jedoch bei aller Konsequenz positiv auf das Pferd einlassen und sich bemühen, es für die gewünschte Leistung zu motivieren, indem er es ihm so angenehm wie möglich macht. Härte oder Gewalt machen den Reiter zum „Aggressor“, vor dem das Pferd zu fliehen oder gegen den es sich zu wehren versucht. Unsicheres und halbherziges Verhalten des Reiters führt ebenfalls zu Unsicherheit beim Pferd.

Akzeptiert das Pferd den Reiter vertrauensvoll als den Ranghöheren, dann erhöht diese Konstellation die Aufnahmebereitschaft des Pferdes. Sie wirkt so als positiver Verstärker für die Einwirkungsmöglichkeiten des Reiters auf sein Pferd. !

Lob mit der Stimme, Streicheln, Kraulen oder Klopfen am Hals gibt dem Pferd im richtigen Moment die Bestätigung, dass alles in Ordnung ist. Ständiges Loben ohne Bezug zu einem bestimmten Verhalten des Pferdes verfehlt seine Wirkung. Ebenso ist es bei der Korrektur in Problemsituationen. Jede Reaktion im Sinne einer „Strafe“ nach menschlichem Verständnis ist eindeutig abzulehnen, weil man bei einem Pferd nicht davon ausgehen kann, dass es wie ein Mensch abstrakt denken kann. Es kann beispielsweise eine heftige Reaktion des Reiters nach einem Springparcours sicher nicht in Verbindung mit Springfehlern bringen, die beim nächsten Mal vermieden werden sollen. Es wird vielmehr dieses Erlebnis in noch schlechterer Erinnerung behalten. Nur wenn ein bestimmtes Verhalten eines Pferdes unmittelbare für das Pferd nachvollziehbare Konsequenzen hat, wird es sein Verhalten ändern. Der Reiter muss den Anspruch haben, sein Pferd so positiv zu unterstützen, dass es nicht zu einem „Fehlverhalten“ des Pferdes kommt. Deshalb ist es so wichtig, dass Reiter bei einer Unstimmigkeit mit dem Pferd innerlich ruhig bleiben. Emotionale Ausbrüche des Reiters können ein Pferd nur verunsichern.

Am besten lernt das Pferd durch positive Erlebnisse und positive Verstärkung! !

Gefühlvolles Handeln einerseits und Konsequenz im Umgang andererseits machen den Menschen für das Pferd „berechenbar“. Das gibt dem Pferd Sicherheit und Vertrauen. Pferdegerechtes Handeln erfordert deshalb ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration im Umgang und bei der Arbeit mit Pferden.

Zur Kommunikation mit dem Pferd stehen dem Reiter die verschiedenen Hilfen und unterstützend die Stimme zur Verfügung. Bei der Stimme kommt es besonders auf die Tonlage an, also auf die „Stimmung“, die beruhigend oder auffordernd vermittelt wird. Ein wichtiges Kommunikationsmittel des Menschen im Umgang mit Pferden ist auch die Körpersprache. So wie das Pferd auf feinste Signale im Verhalten von Artgenossen reagiert, so nimmt es auch die Bewegungen und die Körperhaltung des Menschen wahr. Dessen sollte sich ein Reiter beim Umgang mit seinem Pferd bewusst sein. Um die Körpersprache positiv z.B. schon in der Pferdebox, beim Führen oder beim Longieren einsetzen zu können, ist es wichtig, von erfahrenen „Pferdeleuten“ zu lernen.

Die Neigung von Pferden an Gewohnheiten festzuhalten, kann der Reiter sich im täglichen Umgang, aber auch bei der Reitausbildung zunutze machen, indem er bestimmte Abläufe immer in der gleichen Weise durchführt, also gewissermaßen standardisiert. Ist der Reiter in der Erziehung des Pferdes nicht genügend konsequent, verfestigen sich bei Pferden allerdings auch ungewollte, unangenehme Angewohnheiten.

Das natürliche Fluchtverhalten der Pferde muss zunächst akzeptiert werden, es hat sich bis heute nicht grundlegend verändert. Pferde verfügen über unterschiedliche Reizschwellen, die wiederum auch abhängig vom momentanen Gemütszustand sind. Optische Reize beeinflussen das Verhalten des Pferdes in der Regel stärker als akustische Wahrnehmungen.

Geraten Pferde nach einer Schrecksituation in Panik, können sie scheinbar jede Sin- neswahrnehmung ausschalten und zur Gefahrenquelle für sich und ihr Umfeld werden. Dieses gilt auch für den Umgang im Stall und auf der Stallgasse.

Für den Reiter machen sich Meide- und Fluchtverhalten des Pferdes in der Neigung zum Scheuen bemerkbar. Häufig ist für den Reiter schon vor der eigentlichen Reaktion des Pferdes die innerliche Spannung spür- und erkennbar. Dabei ist es zwecklos und unangebracht, das Pferd für das Scheuen zu „strafen“, weil damit die Unsicherheit des Pferdes noch verstärkt wird. Vielmehr geben richtiges Einrahmen mit den reiterlichen Hilfen und ruhiges, geduldiges Bekanntmachen mit möglichst vielen neuen Situationen dem Pferd zunehmend Sicherheit und Vertrauen.

Erfahrenere Reiter sind in der Lage, jede Situation aus der Sicht des Pferdes wahrzunehmen. Sie können eventuell der Reaktion des Pferdes zuvorkommen, indem sie Gefahrensituationen vermeiden oder diese geschickt überspielen und dabei beruhigend auf das Pferd einwirken. !

Überflüssige, laute Geräusche im Stall und während der Ausbildung sollten einerseits vermieden werden, andererseits können Pferde bis zu einem gewissen Maße auch an sich ändernde Umweltbedingungen gewöhnt werden.

Besonders beachtenswert ist auch der Unterschied zwischen Mensch und Pferd im Sichtfeld. Das, was der Reiter noch gar nicht registriert hat, z.B. ein Tier im Gebüsch schräg hinter ihm, kann beim Pferd schon ein Erschrecken und ein Fluchtverhalten auslösen. Es kommt deshalb für manchen Reiter völlig überraschend.

Wenn ein Pferd in der Ferne etwas sieht, was es nicht einschätzen kann, wird es plötzlich Hals und Kopf weit nach oben nehmen, um einen besseren Überblick zu haben. Bei dieser natürlichen Reaktion muss der Reiter dem Pferd zunächst die Möglichkeit geben, die Situation zu erfassen, bevor er die Arbeit fortsetzt.

Die Sensibilität des Pferdes verlangt einen ruhigen Umgang und gefühlvolles Reiten. Sie ermöglicht aber gleichzeitig die gewünschte feine Einwirkung des Reiters bei der Ausbildung des Pferdes. !

Die Beobachtung von Auge, Ohr, Schweif, Schnauben und Schweißbildung kann dem Reiter wesentliche Erkenntnisse zur Beurteilung des psychischen Zustandes des Pferdes geben.

Das Augeist der Spiegel der inneren Eigenschaften und der Befindlichkeit des Pferdes. Es kann Aufmerksamkeit, Vertrauen, Misstrauen oder Furcht ausdrücken.

Ebenso gibt das Ohrenspiel des Pferdes wichtige Hinweise auf seine Gemütsverfassung. Zurückgelegte, anliegende Ohren drücken immer Missbehagen und Abwehrbereitschaft aus. Ein lebhaftes Ohrenspiel oder aufgestellte, nach vorn gerichtete Ohren sprechen für Aufmerksamkeit und den „Willen zum Mitmachen“.

Das Abschnauben deutet, verbunden mit pendelnder Schweifhaltung, auf gelöste Muskulatur und Entspannung hin. Ein eingeklemmter Schweif lässt demgegenüber eher auf Angst oder Abwehrhaltung schließen. Durch einen hochgestellten Schweif, manchmal verbunden mit kraftvollem Prusten, bringt das Pferd dagegen Spannung und Aufregung zum Ausdruck.

Ebenso kann Schweissbildung außer durch Anstrengung auch durch besondere Aufregung entstehen. In der Regel sind dabei erhöhte Herz-, (Puls-) und Atemfrequenz zu beobachten.

Der Reiter muss genügend Zeit, Geduld, Beobachtungsgabe und Interesse aufbringen, um das Verhalten der Pferde richtig erkennen und deuten zu lernen. Nur so kann er das Vertrauen eines Pferdes erwerben, weiß zwischen Angst und Widersetzlichkeit zu unterscheiden und wird sich in Erziehung und Ausbildung sowohl am Boden als auch vom Sattel aus richtig verhalten.

Die Entwicklung des Pferdes (Evolution) hat natürliche Sinneswahrnehmungen und Verhaltensweisen entstehen lassen, die eine wichtige Grundlage für die (klassischen) Ausbildungsprinzipien des Pferdes darstellen.

Pferde unterscheiden sich jedoch in Interieur und Temperament, in Vorlieben, Abneigungen und Veranlagungen. Die Ausführung und die zeitliche Planung betreffend, muss die Bereitschaft vorhanden sein, die verschiedenen Ausbildungsschritte flexibel zu gestalten, um dem einzelnen Pferd mit seinen Besonderheiten gerecht zu werden.

Wunschvorstellung jeden Reiters ist es, ein zufriedenes und leistungsbereites Pferd auszubilden. Die dafür notwendige stabile, harmonische Partnerschaft zwischen Mensch und Tier wird durch Sachverstand, Geduld und das Eingehen auf die Psyche eines jeden Pferdes unterstützt und gefestigt.

Ist der Reiter in der Lage, sich in das Pferd und sein Verhalten hineinzufühlen, kann er nachvollziehen, wie er vom Pferd wahrgenommen wird und welche Handlungsweise in der jeweiligen Situation angemessen ist.

Der Reiter muss sich mit seinem Verhalten an der Natur des Pferdes orientieren — I nicht an der Natur des Menschen. !

1.2Der Reiter

Der richtige Umgang mit dem Pferd und das Reiten selbst setzen nicht nur bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten, sondern auch charakterliche Eigenschaften des Reiters voraus, die im Verlauf der Ausbildung weiter gefördert werden sollten. Daher kann der Reitsport für die Persönlichkeitsentwicklung, insbesondere für Kinder und Jugendliche, sehr wertvoll sein.

Neben Tierliebe und Einfühlungsvermögen werden für das Reiten Geduld, Selbstbeherrschung, Fairness und Disziplin verlangt und entwickelt. !

Eine sportliche schlanke Gestalt ist zum Reiten von großem Vorteil, sie ist aber keine unabdingbare Voraussetzung für gutes und gefühlvolles Reiten. Es ist für einen Reiter außerdem günstig, wenn er über eine gute allgemeine Grundkondition, d.h. insbesondere eine gewisse Ausdauer- und Kraftfähigkeit sowie Geschmeidigkeit und vor allem Beweglichkeit, verfügt. Reiten erfordert keine außergewöhnliche Muskelkraft, es sind jedoch viele Muskelgruppen an der Stabilisierung der Körperhaltung des Reiters in der Bewegung beteiligt. Neben einem guten Bewegungsgefühl sind auch ein funktionierendes Zusammenspiel von Bewegungsabläufen des Körpers und Konzentrationsvermögen sehr hilfreich. Reiten wird als eine koordinativ besonders anspruchsvolle Sportart eingeordnet. Neben der Fähigkeit, das eigene Gleichgewicht auf dem sich bewegenden Pferd zu finden und elastisch in die Bewegung des Pferdes einzugehen, kommt noch eine aktive Unterstützung mit differenzierter Hilfengebung hinzu. Sofern bestimmte Grundsätze Beachtung finden, kann der Reitsport von früher Jugend bis ins hohe Alter ein ganzes Leben lang betrieben werden und förderlich für Gesundheit und Wohlbefinden sein.

Wer mit Pferden Sport betreiben möchte, ob als Freizeitreiter oder als Leistungssportler, hat die Pflicht, sich selbst und sein Pferd einer Ausbildung zu unterziehen. !

Dadurch erst wird es möglich, mit Freude und dem notwendigen Maß an Sicherheit diesem Sport nachzugehen, ohne das Pferd unsachgemäß zu belasten oder ihm sogar zu schaden. Theoretische Kenntnisse unterstützen wesentlich die Fortschritte im Reitenlernen. Wissen über Eigenschaften und Verhalten der Pferde, Umgang und Haltung sowie Reitlehre, Ausbildungs- und Trainingsprinzipien sollten für einen interessierten und verantwortungsbewussten Reiter eine Selbstverständlichkeit sein.

Jeder Reiter benötigt zu Beginn und auch später, zumindest von Zeit zu Zeit, einen erfahrenen Ausbilder, der dafür Sorge trägt, dass der Ausbildungsweg sich positiv entwickelt. !

Auch fortgeschrittene Reiter, sogar Spitzensportler, lassen sich immer wieder von erfahrenen Fachleuten korrigieren, um Fehler abzustellen, die sich bei der Arbeit ohne Anleitung nur zu leicht einstellen.

Regelmäßige Ausbildung unter kompetenter Anleitung ermöglicht dem Reiter einen fachgerechten Umgang mit dem Pferd sowie die Erlangung einer sicheren reiterlichen Grundlage. !

Eine systematisch richtige Ausbildung in kleinen, individuell angemessenen Schritten ist eine wichtige Voraussetzung zur erfolgreichen Entwicklung und zugleich zur Unfallverhütung.

1.3Das Lehrpferd

Ein geeignetes Lehrpferd ist eine entscheidende Voraussetzung für die Grundausbildung des Reiters. Für die meisten Reiter ist es zunächst wichtig, dass ein Schulpferd brav ist, gut, aber nicht zu sensibel auf die reiterlichen Hilfen reagiert, verträglich mit anderen Pferden und nicht zu schreckhaft ist.

Neben guter Gesundheit und einem ausgeglichenen Temperament ist deshalb die fundierte Grundausbildung des Pferdes die wichtigste Voraussetzung. Es soll dem lernenden Reiter das Bewegungsgefühl vermitteln. Das geschulte Pferd ist der beste Lehrmeister. Umgekehrt gehört auf ein junges Pferd ein erfahrener Reiter. !

Ein Lehrpferd sollte seinen Reiter gut zum Sitzen und Treiben kommen lassen. Ein auf beiden Händen gleichmäßig gymnastiziertes Pferd, das auf die Einwirkung des Reiters reagiert, bietet damit die besten Voraussetzungen für erfolgreiches Reitenlernen. Der Ausbilder muss seine Schulpferde sehr gut kennen, um einschätzen zu können, welcher Reiter am besten mit welchem Pferd harmoniert.

Die Größe und der Körperbau des Lehrpferdes sollten zum Reiter passen. Schwerere Reiter sollten auf einem entsprechend kräftigeren Pferd lernen, während für leichtere Reiter, Jugendliche oder Kinder der Einsatz von Kleinpferden und Ponys sinnvoll sein kann. Die Fähigkeit eines Pferdes, ein größeres Gewicht zu tragen, hängt nicht von der Körpergröße, sondern von der Gesamtkonstitution ab.

Der fortgeschrittenere Reiter sollte Gelegenheit haben, unterschiedliche und auch sensiblere Lehrpferde zu reiten, die dann auf richtiges Reiten oder auf eventuelle Reiterfehler entsprechend reagieren. So kann der Lernende eigene Fehler am besten erfühlen, sie mit Unterstützung eines Ausbilders abstellen und seine Hilfengebung verfeinern. Gut ausgebildete Lehrpferde können wahre „Lehrmeister“ zur Unterstützung der reiterlichen Entwicklung sein.

Zur Entwicklung des reiterlichen Gefühls ist es notwendig, möglichst viele unterschiedliche Pferde zu reiten. !

Lehrpferde, die zum Springen eingesetzt werden, müssen genügend Erfahrung im Springen mit unterschiedlichen Reitern haben. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie routiniert und rationell springend das Taxieren von Sprüngen selbst mit übernehmen und stets gelassen bleiben.

Ebenso müssen solide ausgebildete Schulpferde an das Reiten im Gelände gewöhnt sein. Bei Ausritten sollten noch wenig erfahrene Reiter auf besonders sicheren und ruhigen Pferden sitzen, erfahrenere Reiter können auch mit temperamentvolleren Pferden zurechtkommen.

Unterschiedliche Geländeanforderungen wie Klettern am Hügel, Wasserdurchritte, kleinere Auf- und Absprünge oder kleine Baumstämme können von jedem Pferd und jedem Reiter überwunden werden, wenn sie damit systematisch vertraut gemacht wurden. !

Lehrpferde bewältigen oftmals ein großes Pensum an Arbeit. Aufgrund ihrer Leistungen unter ständig wechselnden Reitern sind sie mit Achtung und Respekt zu behandeln und zu pflegen. Dazu gehört auch, dass diese Pferde regelmäßig von einem erfahrenen Reiter Korrektur geritten werden, um Losgelassenheit und Durchlässigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls diese wieder zu verbessern. Durch richtigen Umgang und sinnvollen, möglichst abwechslungsreichen Einsatz können Lehrpferde lange leistungsfähig und gesund bleiben.

Ausgebildete Schul-/Lehrpferde, die sich in einem positiven Allgemeinzustand befinden, sind das Aushängeschild eines Reitbetriebes. !

1.4Der Ausbilder

Reitlehrer bzw. Ausbilder oder Trainer nehmen eine „Schlüsselfunktion“ für Reitvereine und Pferdebetriebe und insbesondere für die Entwicklung des Reitsports ein. Sie haben für die Reitausbildung eine besonders vielfältige und verantwortungsvolle Aufgabe:

Reitschüler und Pferde sollen nach den Grundsätzen der „klassischen Reitlehre“ ihren individuellen Anlagen entsprechend ausgebildet und gefördert werden. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem eine solide und vielseitige Grundausbildung von Pferd und Reiter. !

Diese Grundausbildung ermöglicht vielfältige Entwicklungsalternativen, fördert Wohlbefinden und Gesundheit von Pferd und Reiter und leistet einen sehr wichtigen Beitrag zur Sicherheit.

Die Kompetenz des Ausbilders muss deshalb die Pferdehaltung und den Umgang mit dem Pferd, die Ausbildung des Pferdes in den verschiedenen Stufen und Disziplinen sowie die Ausbildung des Reiters in derselben Vielfalt umfassen. Das setzt

einen umfangreichen eigenen reiterlichen Werdegang,

notwendige Fachkenntnisse über die Ausbildung von Pferden und Reitern und

eine pädagogische (soziale) Kompetenz voraus.

Nicht jeder, der selbst gut reiten kann, ist auch in der Lage, dieses lernenden Reitschülern verständlich und situationsangemessen zu vermitteln. Diese Fähigkeiten kann man lernen. Entscheidend sind Freude und Motivation, anderen Menschen beim Reitenlernen helfen zu wollen und sich für das Wohlergehen der Pferde verantwortlich zu fühlen. Aus dieser Motivation resultiert die Bereitschaft, sich das entsprechende Fachwissen anzueignen und sich mit dem Vermittlungsprozess zu beschäftigen.

Zu den Lehrinhalten für Reitanfänger gehört zunächst der artgemäße und sichere Umgang mit dem Pferd, der nicht als nebensächliche Selbstverständlichkeit angesehen werden kann. Die Vermittlung einer Verständigung mit dem Pferd im Umgang ist eine Grundvoraussetzung für eine harmonische Zusammenarbeit beim Reiten. Die Aufgabe des Ausbildens setzt Fähigkeiten und Erfahrungen des Ausbilders im eigenen Reiten voraus, die auf möglichst unterschiedlichen Pferden und in den verschiedenen Disziplinen erworben sein sollten.

Der Reitlehrer muss sich bemühen, sich in jeder Situation so gut wie möglich in die Lage und das Gefühl des Reiters hineinzuversetzen. !

So kann er Fehler angemessen korrigieren und Fortschritte ermöglichen. Obwohl auch die Ausbildung des Pferdes zu den wichtigen Aufgaben des Ausbilders gehört, liegt seine Konzentration auf dem Handeln des Reiters. In der Unterrichtssituation kann er die Ausbildung des Pferdes nur verbessern, indem er über den Reiter auf das Pferd Einfluss nimmt.

Die Ursachen für mögliche Probleme sind in der Regel beim Reiter zu suchen. !

Hilfreich kann allerdings der gelegentliche Beritt des jeweiligen Pferdes oder auch ein Pferdewechsel innerhalb einer Reitgruppe sein. Basis für die Tätigkeit des Ausbilders sind neben der praktischen Erfahrung und der pädagogischen Eignung, Freude am Umgang mit Menschen, Zuverlässigkeit, Einsatzfreude und selbstverständlich Zuneigung zum Pferd.

Für eine optimale Vermittlung des Reitens kann der Ausbilder z.B. auf Rahmenbedingungen Einfluss nehmen:

richtige Auswahl von Schulpferden

angemessene Zusammenstellung einer Lern-/Reitgruppe

angemessene Auswahl von Übungen und Übungsreihen

begleitende theoretische Schulung (möglichst schon im Vorfeld)

Im Reitunterricht kann die Vermittlung z.B. durch folgende Möglichkeiten erfolgen:

verbale Anweisungen, Korrekturen, Erklärungen, verbunden mit der Rückmeldung (dem sogenannten Feedback) der Reitschüler

angemessene Stimmführung, positiv, motivierend, aber bestimmt

den Reiter zuvor eine Übung selbst mit eigenen Worten erklären lassen

Vorreiten bzw. Vorreiten-Lassen

Körpersprache des Ausbilders (Körperhaltung und Gestik)

unmittelbare Korrektur von Sitz und Körperhaltung des Reiters auf dem Pferd, — Das Einverständnis des Reiters/der Reiterin vorausgesetzt!

Analyse und Besprechung von Videoaufnahmen

Es ist die Verantwortung des Ausbilders, eine positive Lernatmosphäre herzustellen. Sie steigert erheblich die Aufnahmebereitschaft und das Einfühlungsvermögen der Reiter. !

Die Vermittlung sollte immer so erfolgen, dass der Reiter das Interesse des Ausbilders an seiner positiven Entwicklung erkennt. Reitlehrer und Reitschüler sind gut beraten, sich auf erreichbare Ausbildungsziele, Wünsche und Erwartungen zu einigen, um gemeinsame Ausbildungserfolge zu erleben. Der Ausbilder sollte dabei auch auf vorhandene Ängste eingehen.

Jeder Reitlehrer und Ausbilder sollte bewusst mit seiner Vorbildfunktion umgehen. Dies gilt nicht nur im Sattel und im Umgang mit dem Pferd, sondern auch für die persönliche Haltung und für seine Ausdrucksweise. !

Voraussetzung für jede Lehrtätigkeit sollte der erfolgreiche Abschluss einer anerkannten Ausbilderprüfung gemäß Ausbildungs- und Prüfungs-Ordnung (APO) der FN sein. Auf dem Gebiet der staatlich anerkannten Berufsaus- und -fortbildung (Pferdewirt und Pferdewirtschaftsmeister mit der Fachrichtung Klassische Reitausbildung) sowie der Amateurtrainerausbildung (Trainer C bis A) können verschiedene Prüfungsstufen für unterschiedliche Aufgabenfelder absolviert werden. Alle Reitausbilder haben die Möglichkeit, mit der jeweils bestandenen Prüfung eine Lizenz des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zu erwerben, die durch die Teilnahme an Fortbildungsangeboten und den entsprechenden Nachweisen fortgeschrieben wird. So ist eine gültige Lizenz auch immer ein Beleg dafür, dass der Ausbilder sich regelmäßig fortbildet und auf dem Laufenden hält.

Für den Reitschüler ist ein guter Reitlehrer als feste Bezugsperson über einen längeren Zeitraum ein echter Gewinn. Ein schneller und zu häufiger Wechsel des Ausbilders ist für den Lernprozess im Regelfall nicht förderlich. Fehlende Kontinuität kann zu Verunsicherungen führen. !

1.5Ort der Ausbildung

Grundsätzlich orientiert sich die Wahl des Ausbildungsortes mit Pferden an den Ausbildungszielen und den individuellen Voraussetzungen von Pferd und Reiter. Wünschenswert sind Gegebenheiten, die die Möglichkeit zu einer vielseitigen abwechslungsreichen Ausbildung bieten. Frische, möglichst staubfreie Luft und ein trittfester, aber nicht zu harter Boden sollten genauso gegeben sein wie Begrenzungen und Materialien, die den Vorschriften des Unfallschutzes entsprechen.