Die Vorspeise …
… ist nicht leicht zu verdauen

Ach, du fette Maus! In unserem Haus gibt es einen Dieb. Oder ein Einbrecher treibt sich in der Gegend herum und schafft es, irgendwie unbemerkt hineinzukommen. Erstaunlich, normalerweise erlausche ich nämlich alles. Auch Geräusche, die Menschen überhaupt nicht wahrnehmen können. Das liegt an meinem Gehör, genauer: an meinen wunderbaren Ohrmuscheln. Sie haben besonders viele Muskeln, die dafür sorgen, dass ich meine Lauscher ziemlich gut drehen kann. Und nicht nur das! Mein Gehirn kann sogar zwischen verschiedenen Geräuschquellen unterscheiden, die ganz dicht nebeneinander liegen. Klingt toll, hat mir allerdings in diesem Fall nichts genützt. Rein gar nichts. Ich kombiniere also: Der Dieb muss verflixt schlau sein. Sonst könnte er sich nicht an mir vorbeischleichen, denn ich schlafe beinahe direkt neben dem Tatort. Jede Nacht.

Eigentlich hätte mir das alles egal sein können, absolut nicht mein Revier. Ich bin schließlich nicht freiwillig am Ort des Verbrechens gelandet. Aber so ist es eben, manchmal schlittert man einfach in einen Fall hinein, ob man will oder nicht. Außerdem wurmt es mich, dass ich als Detektiv bisher so versagt habe. Jetzt muss ich mir sogar einen Verbündeten suchen, um die Sache aufzuklären. Aber es geht schließlich um ein großes Ziel: Wie kann Weihnachten gerettet werden? Miaaaauuu!

Aber damit ihr den verflixten Fall verstehen könnt, fange ich noch mal ganz von vorn an.

Der erste Bissen:
Pappkarton – alt und gammelig

Warum in aller Welt steht da dieser Karton? Mitten in unserem eleganten Flur. Auf den frisch polierten Marmorfliesen. Heiliger Thunfisch! Er ist schmutzig, riecht unangenehm und hat Löcher an den Seiten.

Sofort beginnt meine Schwanzspitze zu zucken. Der Karton stört meine Bewegungsfreiheit. Denn genau hier verläuft die tägliche Spazierstrecke von meinem flauschigen Kaschmir-Kissen zum Fressnapf neben dem Kühlschrank. Hallo? Wie soll ich so entspannt zu meiner hübschen Schale mit frischer, zimmerwarmer Sahne kommen? Miau!

Wenn ich, Mirella von Koschka, blütenweiße Birmakatze mit vornehmstem Stammbaum, zwei Dinge überhaupt nicht leiden kann, dann sind es Kinder und Unordnung. Das Erste kommt bei uns glücklicherweise gar nicht vor. Ich lebe schon seit vielen Jahren allein mit Beatrice. Selbst unser Personal – die Köchin, der Chauffeur und die Reinigungskraft – kommt jeden Morgen und verlässt das Haus am Abend wieder. Und was das Zweite angeht, die Ordnung, so war das bisher kein Problem. Dafür hatten wir Frau Schmidt.

»Frau Schmidt hat leider gekündigt, Mirella«, hatte mir Beatrice vor einiger Zeit erklärt und dabei liebevoll mein Fell gekrault. »Die zwei Stockwerke und das Abstauben der vielen Antiquitäten sind für die alte Dame zu viel. Aber ich habe natürlich längst anderes Personal besorgt. Ich habe wirklich Glück gehabt, dass ich in der Vorweihnachtszeit noch so schnell jemanden gefunden habe. Bitte bleib ganz ruhig und lass dich von der neuen Putzfrau nicht erschrecken.«

Danke für die Vorwarnung. Ich bin schließlich sensibel.

Und dieser Karton nervt! Missmutig sehe ich mich um, ob nicht endlich jemand die Pappschachtel entfernen möchte. Sicher hat Katja den Karton einfach hier abgestellt. Katja ist unsere neue Putzfrau und noch nicht vertraut mit den Gepflogenheiten in diesem Haus. Oje, wenn mein Frauchen Beatrice den Karton sieht, dann gibt es Ärger.

Ich höre schon ihren Lieblingssatz: »Der Eingangsbereich ist die Visitenkarte des Hauses. Der erste Eindruck ist immer der wichtigste. Das Einzige, was hier herumliegen darf, ist meine Katze.«

So ist es. Ich liege ja auch nicht wirklich, sondern schmücke die Umgebung mit meiner Anwesenheit. Miau-mau!

Gerade will ich Beatrice suchen, um mich zu beschweren, da schwingt die Küchentür auf. Beatrice schreitet gemessenen Schrittes heraus. Langsam und elegant wie immer. Gefolgt von Katja. Ha! Habe ich es mir doch gedacht, jetzt gibt es eine Rüge. Das will ich mir nicht entgehen lassen. Ich setze mich auf den Boden, sehe Beatrice in die Augen, maunze ein bisschen beleidigt und peitsche mit dem Schwanz. Das wirkt immer. Mein Frauchen soll ruhig sehen, dass ich ebenfalls unzufrieden mit der Putzfrau bin. Aber ich kann ja wohl schlecht selbst den Staubwedel in die Pfoten nehmen oder den Staubsauger schwingen. Wir Katzen sind sehr reinliche Wesen, wir haben einen natürlichen Drang zur Sauberkeit. Und wenn ich damit unzufrieden bin, dann schlägt mir das sofort auf meinen empfindlichen Magen. Maunz! Zum Beweis rolle ich mich auf den Rücken und wimmere. Spätestens jetzt sollte Beatrice vor Mitleid überlaufen. Bestimmt bestellt sie mir zur Beruhigung ein feines Kalbsragout bei der Köchin. Oder lässt mir frisch gekochte Hähnchenleber servieren.

Meine Beatrice! Ich liebe ihre feine, anmutige Art zu reden und ihr entschlossenes Auftreten. Das muss sie wohl auch haben, als Leittier von vielen Menschen. Abends berichtet sie mir manchmal davon, wenn ich beim Fernsehen in ihrem Schoß liege.

»Ich bin so froh, wenn ich hier einfach mit dir sitzen kann«, flüstert sie dann und massiert mir den Nacken. Und dabei riecht sie immer so gut. »Kein Stress, keine Entscheidungen, die ich treffen muss. Nur du und ich, Mirella.«

Dann schnurre ich extralaut, damit sie auf keinen Fall mit dem Streicheln aufhört. Prrrr!

Jetzt muss ich mich aber wieder auf das Gespräch von Beatrice und der Putzfrau konzentrieren. Ich bin ziemlich neugierig, deshalb schleiche ich möglichst lässig und unauffällig näher. Sonst verpasse ich noch etwas.

»Ich bringe es einfach nicht übers Herz«, erklärt Beatrice gerade der Putzfrau. Ich spitze die Ohren. »Natürlich will ich die Weltreise unbedingt machen, alles ist gebucht. Aber so hatte ich mir unseren Abschied nicht vorgestellt. Und das auch noch kurz vor Weihnachten. Nein, nein, nein, ich kann es nicht tun.«

Abschied? Wird die neue Reinigungskraft etwa schon wieder gefeuert? Donnerwetter, das ging flott. Wahrscheinlich hat es mit der Reise zu tun, die Beatrice seit vielen Monaten plant. Sie spricht von nichts anderem mehr, immer die gleichen Sätze:

»Ich will endlich die ganze Welt sehen. Ich arbeite viel zu viel, so kann das nicht weitergehen. Geld genug habe ich längst, jetzt will ich endlich leben!«

Äh … ja. Maunz! So ganz habe ich zwar nicht verstanden, was sie damit sagen will. Also, ich meine … sie lebt doch. Oder macht sich Beatrice Sorgen, dass sie bald bei der Arbeit stirbt? Vielleicht vor Langeweile?

»Sie müssen jetzt ganz stark sein«, sagt die Putzfrau gerade zu Beatrice. Mit ihrem Finger deutet sie mehrmals auf mich, als wollte sie mich erstechen. »Es ist doch nur eine Katze.«

Wie bitte? Ach, du schimmelige Maus! Nur eine Katze? Gleich kratze ich dir die Augen aus, du Staubwedelschwingerin. Du Besendompteurin, du … pah! Ich wende mich kurz um, strecke ihr beleidigt meinen Hintern entgegen, pupse einmal kräftig und drehe mich wieder zurück. Kann mir doch ganz egal sein, was diese Katja über mich denkt. Hier geht es nur um mich und Beatrice. Hoppla! Warum laufen auf einmal Tränen über das Gesicht von Beatrice?

»Ich schaffe es nicht, Katja.« Auch ihre Stimme klingt anders als sonst. Hoch und zerbrechlich. »Ich kann meinem Liebling noch nicht einmal in die Augen sehen.« Beatrice schüttelt den Kopf und seufzt dramatisch. An ihrem Gesicht kann ich ablesen, dass sie sich nicht wohlfühlt. Kein bisschen. »Bitte nehmen Sie mein Schätzchen und … setzen Sie Mirella in den Karton.« Mit verschleiertem Blick sieht sie zu mir. »Ich – ich … kann dich nicht mitnehmen, Mirella, das geht nicht auf einem Kreuzfahrtschiff. Aber ich komme wieder. Ganz bestimmt, und dann hole ich dich … eventuell. Versteh doch, es ist nur für eine gewisse Zeit … vielleicht … je nachdem, wie sich die Reise entwickelt. Und … ach, das ist jetzt alles so würdelos! Kein Komfort, kein Stil. Aber so hat es sich die Familie ausdrücklich gewünscht. Keine Transportbox aus Plastik, sondern ein einfacher Karton. Ohne jeden Schnickschnack.«

Wie bitte? Habe ich das gerade richtig verstanden? Mein Name im Zusammenhang mit diesem Karton? Und von welcher Familie spricht sie? Das kann doch alles nicht sein. Mein Frauchen will mich weggeben? Aber warum denn? Drei Jahre lang waren wir ein Herz und eine Seele, wir waren Freunde, Verbündete. Mir wird auf einmal ganz schwindelig. Katastrophe! Beatrice, was soll das?

»Katja, bitte bringen Sie die Sache zu Ende«, keucht mein Frauchen. »Adieu, meine Schöne. Vergiss mich nicht in deinem neuen wunderbaren Leben. Dich erwartet die beste Familie, die ich finden konnte. Mit wohlerzogenen, höflichen Kindern und … ach!« Beatrice schluchzt laut, dreht sich abrupt auf ihren hohen Schuhen um und verschwindet in der Küche.

Bevor ich mich aufrichten kann, steht Katja neben mir. So viel Schnelligkeit hätte ich dieser Person gar nicht zugetraut! Mir bleibt weder Zeit, um meine Krallen auszufahren, noch, um sie in die Finger zu beißen. Mit einer ihrer breiten Hände packt sie mich am Kragen, die andere schiebt sie unter meinen Bauch. Autsch! Das tut doch weh. Sie hebt mich hoch, presst mich in den Karton und …

Dunkelheit.

Gestank.

Enge.

Katzenjammer.

Was in aller Welt passiert hier gerade?

Der zweite Bissen …
… schmeckt nach Familie

Das Erste, was mir auffällt, ist der Geruch. Selbst durch die stinkende Pappe merke ich: Es riecht nach Kindern. Eindeutig, da bin ich mausetotsicher! Einmal im Jahr, zu jedem Geburtstag von Beatrice, ist immer ihre Schwester gekommen. Sie hat ein kleines Geschenk gebracht und viel Kuchen gegessen. Mit ihren zwei Kindern, einem Jungen und einem Mädchen. Und diese zwei Minimenschen haben genauso gerochen, wie ich es jetzt erschnüffle. Der Junge war ganz in Ordnung, er hat mich wenigstens nicht am Schwanz gezogen. Aber das Mädchen wollte mich frisieren. Mit einer Puppenhaarbürste. Unerhört! Krrrrr!

Das Zweite, was mir auffällt, ist diese Stimme direkt neben mir. Nicht sehr kräftig, aber weich. So spricht nur ein Kind. Ein Junge, da bin ich fast sicher.

»Darf ich die Katze aus dem Karton holen?«, vernehme ich die Stimme etwas dumpf. Ich presse meinen Kopf an die Kartonwand, um noch besser hören zu können. »Das gefällt dem armen Kätzchen doch bestimmt nicht.«

Bingo! Da kennt sich aber einer aus. Wenigstens ein Mensch, der Rücksicht auf mein Befinden nimmt. Am liebsten würde ich dem Jungen sagen, dass er recht hat. Dass er mich gern und bitte schön sehr vorsichtig befreien kann. Und dass es mir natürlich absolut und überhaupt nicht in dieser blöden Kiste gefällt. Es gibt nur ein Problem: Ich kann nicht sprechen. Also zumindest nicht Menschensprache. Miauuuuu!

»Hör mal, Papa, wie sie maunzt. Vielleicht tut ihr was weh?«, sagt der Junge. »Ich hole sie jetzt aus dem Karton, ja?«

»Auf keinen Fall!«, donnert eine zweite Stimme.

Eine dunkle, männliche Stimme. Nicht unsympathisch, aber sehr bestimmt. Zu bestimmt, das riecht nach Ärger. Ich weiß nämlich auch ziemlich genau, was ich will, und kann es gar nicht leiden, wenn das nicht gemacht wird.

»Die Katze darf erst raus, wenn wir zu Hause sind«, erklärt die tiefe Stimme.

»Aber im Karton ist es ganz dunkel«, erklärt der Junge. »Bestimmt hat sie Angst da drin. Hätte ich auch.«

»Und ich habe Angst um meine Polster. Wer weiß, wie die Katze reagiert, wenn du sie hier rauslässt. Vielleicht zerkratzt sie alles.« Die dunkle Stimme ist noch dunkler geworden. »Der Karton wird erst geöffnet, wenn wir da sind.«

Oha. Klare Ansage. Da werde ich wohl noch eine Weile in der Kiste ausharren müssen. Und von welchem Zuhause spricht der Kerl? Von meinem auf jeden Fall nicht. Ich wohne bei Beatrice in der vornehmen Kastanienallee, vierter und fünfter Stock. Oder besser … dort habe ich mal gewohnt. Bis Beatrice mich entsorgt hat. Jawohl! In einem billigen Pappkarton aus dem Supermarkt. Was für eine Schmach. Mauuuunz!

»Aber sie jammert so, Papa«, drängt der Junge noch einmal.

»Kann ich nicht wenigstens die Klappe aufmachen? Dann kriegt sie mehr Luft.«

»Vergiss es«, gibt die Männerstimme zurück. »Wir müssen uns erst mal ansehen, wie das Tier auf uns reagiert. So ein Umzug ist eine heikle Angelegenheit. Dazu brauchen wir Ruhe. Wer weiß, vielleicht hat Beatrice die arme Katze völlig verzogen. Das würde ich ihr glatt zutrauen.«

Verzogen? Ich? Das ist ja zum Mäusemelken. Dir gebe ich es gleich – verzogen. Ich bin nicht verzogen, sondern habe lediglich einen guten Geschmack, was meine Unterkunft und mein Fressen angeht. Adel verpflichtet! Da fällt mir ein – wo ist eigentlich mein Kaschmir-Schlafkissen? Na, wenigstens das hätte mir Beatrice in den Karton packen können. Besser als das einfache Geschirrtuch, auf dem ich liege. Und was das Fressen angeht, so habe ich eben ganz klare Vorstellungen. Mindere Futterqualität ist Sparsamkeit am falschen Ende, hat Beatrice unserer Köchin immer wieder erklärt. Ich bevorzuge Fisch, leicht gedünstete Hähnchenbrust, Putenschnitzel oder Gans. Die am liebsten in Form von Pasteten. Mmmmiauhau!

»Wahrscheinlich frisst sie kein Dosen- oder Trockenfutter«, sagt der Mann jetzt, »sondern nur ganz feine Sachen. Gänseleberpastete, Hähnchenbrust und so. Das ist sicher eine Diva.«

Diva – pah! Soll er doch denken, was er will, dieser Kerl. Aber … ranzige Ölsardine … beim Thema Futter merke ich gerade, dass es meinem Magen gar nicht gut geht. Es schwankt bedenklich. Also … mein Magen undMaunz!