Geschichte und Gegenwart
Verlag C.H.Beck
Mehr als 1,5 Milliarden Menschen – fast ein Viertel der Erdbevölkerung – bekennen sich zum Islam; mehr als vier Millionen Muslime leben in Deutschland. Der Islam ist allerdings kein uniformes Gebilde. Im Laufe seiner langen Geschichte hat er eine große Vielfalt von religiösen Richtungen, kultischen Praktiken und regionalen Sonderformen entwickelt. Der vorliegende Band schildert in knapper Zusammenfassung die grundlegenden historischen Entwicklungen des Islam, erklärt die zentralen Begriffe seiner Lehre und zeigt, wie der Islam der Gegenwart im Alltag funktioniert.
Heinz Halm war bis 2007 Professor für islamische Geschichte an der Universität Tübingen. Bei C.H.Beck erschienen von ihm außerdem «Kalifen und Assassinen. Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten Kreuzzüge» (2014) sowie in der Reihe C.H.Beck Wissen «Die Araber» (3. Auflage 2010) und «Die Schiiten» (2005).
Erster Teil:
Die historischen Grundlagen des Islam
Islam und Muslime
Monotheismus (tauhîd)
Prophetie (nubûwa)
Der Koran (al-Qur’ân)
Die Biographie (sîra) des Propheten
Die Aussiedlung (hidschra)
Die Gemeinde (umma)
Das Kalifat (chilâfa)
Die Eroberungen (futûh)
Die Abbasiden-Kalifen von Bagdad
Die Anfänge der Theologie (kalâm)
Die Prophetentradition (hadîth)
Die Rechtsgelehrsamkeit (fiqh)
Die Schiiten
Weltliche Herrschaft: Das Sultanat
Die Mystik (tasauwuf)
Die islamische Welt in der Neuzeit
Zweiter Teil:
Der Islam im Alltag
Das Fehlen des islamischen Staates und einer islamischen «Kirche»
Die fünf Säulen (arkân) des Islam
1. Das Glaubensbekenntnis
2. Das Ritualgebet und die Moschee
3. Das Ramadân-Fasten
4. Die Armensteuer
5. Die Pilgerfahrt
Das Gesetz (scharî‛a)
Die Gelehrten (al-‛ulamâ)
Das Gutachten (fatwâ)
Die rechtliche Stellung der Frau
Islam und Islamismus
Dschihâd und Märtyrertum
Der Islam in der Diaspora – «Globale Muftis» und internationale Netzwerke
Der Islam in Deutschland
Anhang
Zeittafel
Literaturhinweise
Hinweise zur Aussprache
Register
Islamische Strömungen
Etwa 1,5 Milliarden Muslime leben zu Beginn des dritten Jahrtausends auf der Erde; das ist fast ein Viertel der Menschheit.
Von seinem Ursprungsgebiet auf der Arabischen Halbinsel hat der Islam sich über ganz Vorder- und Zentralasien, den Indischen Subkontinent und Südostasien bis zu den Philippinen ausgebreitet. Die Ostküste Afrikas und der ganze Norden des Kontinents nördlich und südlich der Sahara sind islamisch. In Europa hat die Herrschaft der türkischen Osmanen auf dem Balkan islamische Bevölkerungsinseln (Europäische Türkei, Bosnien, Albanien und Kosovo) hinterlassen. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich durch Auswanderer und Arbeitsmigranten eine islamische Diaspora in der ganzen Welt, vor allem in Westeuropa und Nordamerika, gebildet.
Die Staaten mit der größten muslimischen Bevölkerung sind Indonesien (rund 200 Mio.), Pakistan (174 Mio.), Indien (160 Mio.) und Bangladesch (145 Mio.). Dann folgen nahöstliche Staaten: Ägypten mit 78 Millionen sowie die Türkei und Iran mit jeweils 73 Millionen muslimischen Einwohnern. Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion weisen auch die mittelasiatischen und Kaukasus-Republiken einen hohen muslimischen Bevölkerungsanteil auf; zusammengenommen leben hier mehr als 70 Millionen Muslime.
Was die Muslime verbindet, ist der Glaube an einen Gott und an dessen Offenbarung durch einen Propheten, Mohammed (Muhammad). Diese Offenbarung ist in einem Buch niedergelegt, dem Koran (Qur’ân). Somit lässt sich definieren: Muslim ist, wer den Koran als Offenbarung des einen, einzigen Gottes anerkennt.
Die Begriffe Islam und Muslim leiten sich beide von dem arabischen Verbum aslama, «übergeben, sich ergeben, sich hingeben», ab; Islâm ist das Verbalnomen (oder der substantivierte Infinitiv) dazu: das Sich-Ergeben; Muslim ist das Partizip: der sich Ergebende. Im Koran heißt es:
Wer sich Gott ergibt (aslama) und dabei rechtschaffen ist, dem steht bei seinem Herrn ein Lohn zu. (2, 112)
Euer Gott ist ein einziger Gott. Ihm müßt ihr euch ergeben. (22, 34)
Gott bezeugt, daß es keinen Gott gibt außer ihm … Als Religion gilt bei Gott die Ergebung (al-islâm). (3, 18f.)
Muslime (muslimûn) und Musliminnen (muslimât) werden an zahlreichen Stellen des Koran angesprochen. Im Deutschen hat sich die ursprüngliche arabische Form Muslim (mit dem Plural Muslime und dem Femininum Muslimin/nen) inzwischen eingebürgert und die persische Aussprache Moslem verdrängt. Ganz obsolet ist die ebenfalls auf das Persische (mosalmânî) zurückgehende Bezeichnung Muselmanen. Auf die Fremdbezeichnung Mohammedaner reagieren Muslime mit Recht ablehnend: Muslime beten zu Gott, nicht zu Mohammed.
In dem oben angeführten Koranvers 22, 34 – «Euer Gott ist ein einziger Gott. Ihm müßt ihr euch ergeben» – ist das Hauptdogma des Islam formuliert: der Glaube, dass es nur einen Gott gibt, der der Schöpfer des Universums ist. Die drittletzte Sure des Korans (112) fasst die Botschaft des Islam in vier Versen zusammen; dort spricht Gott seinen Propheten an:
Sag: Er ist Gott, ein Einziger, Gott durch und durch. Er hat weder gezeugt, noch ist er gezeugt worden. Und keiner ist ihm ebenbürtig.
Auch das islamische Glaubensbekenntnis beginnt mit der Erklärung: «Ich bezeuge, dass es keine Gottheit (ilâh) außer Gott (Allâh) gibt.» Diese grundlegende Glaubensgewissheit wird arabisch tauhîd genannt; es ist das Verbalnomen (oder der substantivierte Infinitiv) des Verbums wahhada, «für eins erklären», abgeleitet von dem Nomen wâhid, «einer, ein einziger». Das zugehörige Partizip muwahhid, «für einzig erklärend», kann daher für jeden verwendet werden, der nur an einen Gott glaubt, für den Monotheisten. Im Laufe der Geschichte des Islam traten häufig Erneuerungsbewegungen auf, die ihren strengen Monotheismus dadurch zu betonen suchten, dass sie sich «Für-Einzig-Erklärer» (Plural: muwahhidûn) nannten, z.B. die im 12. Jahrhundert über Marokko und Andalusien herrschenden Almohaden (das spanische almohades ist eine Verballhornung von al-muwahhidûn).
Der Ein-Gott-Glaube des Islam stand in unvereinbarem Gegensatz zum altarabischen Polytheismus, in dem Mohammed selbst aufgewachsen war. Die Namen von Göttern wie Hubal, Manâf, Wadd, Suwâ‛, Ya‛ûq, oder von Göttinnen wie Allât, Manât und al-‛Uzzâ werden uns von frühen arabischen Autoren überliefert und kommen zum Teil auch im Koran vor (53, 19; 71, 23). Der Stadtgott von Mekka, Hubal, dessen Idol in einem würfelförmigen Gebäude (Ka‛ba) verehrt wurde, hieß in vorislamischer Zeit auch einfach Allâh (kontrahiert aus al-ilâh, «der Gott»). Die altarabischen Götter und Göttinnen wurden in Form von Statuen, aber auch als einfache Steinsäulen oder Bäume in heiligen Hainen verehrt. Ihr Kult war oft mit blutigen Opfern und periodischen Wallfahrten verbunden.
Gegen diesen Polytheismus richtet sich die Verkündigung des Islam in erster Linie. Der Polytheismus, arabisch schirk,«Beigesellung», ist die schlimmste Form von Unglaube (kufr); der «Beigeseller» (muschrik) ist der Ungläubige (kâfir) schlechthin, während der «Für-Einen-Erklärer» (muwahhid) der wahre Gläubige (mu’min) ist. Mit den im Koran erwähnten Ungläubigen sind denn auch durchweg die altarabischen Heiden, vor allem Mohammeds polytheistische Landsleute in Mekka, gemeint. Die Zeit vor der Verkündigung des Islam wird allgemein als Zeit der «Unwissenheit» (dschâhiliyya) bezeichnet; der Begriff entspricht etwa unserem «Heidentum».
Das arabische Wort für Gott, Allâh (Betonung auf der zweiten Silbe), ist kein Eigenname (wie Zeus oder Jupiter), sondern die kontrahierte Form des Appellativs al-ilâh, «der Gott». Allâh sollte daher auch im Deutschen korrekt mit «Gott» übersetzt werden, so wie ja auch Dieu oder God nicht als Eigennamen benutzt werden. Die islamische Tradition schreibt Gott außerdem eine ganze Reihe von «schönen Namen» zu, traditionell neunundneunzig davon, während sein hundertster Name den Menschen unbekannt ist. Aus diesen arabischen Namen, wie al-Qâdir (der Allmächtige), al-Wahhâb (der reichlich Schenkende) oder al-‛Azîz (der Majestätische), können durch Zusammensetzung mit dem Wort ‛abd (Sklave, Diener, Knecht) männliche Vornamen gebildet werden: ‛Abdallâh (Knecht Gottes), ‛Abdalqâdir (Knecht des Allmächtigen) usw.
Ein wesentliches Kennzeichen des Islam ist seine Stiftung durch einen Propheten. Das arabische Wort nabî ist das gleiche wie das hebräische Wort für Prophet, nebî, und tatsächlich sah sich Mohammed in einer ähnlichen Mission von Gott gesandt wie die Propheten des Alten Testaments, die er wohl nicht aus dem Text, sondern nur aus den Erzählungen von Juden kannte. Als Propheten erscheinen im Koran aber nicht die kanonischen «großen» und «kleinen» Propheten des Alten Testaments (Jesaja, Jeremia usw.), sondern Adam (Âdam) und Noah (Nûh), die Erzväter Abraham (Ibrâhîm), Isaak (Ishâq) und Jakob (Ya‛qûb), Josef (Yûsuf) und seine Brüder, Moses (Mûsâ) und Aaron (Hârûn), Elias (Ilyâs) und die Könige David (Dâwûd) und Salomon (Sulaimân), Esra (‛Uzair) und Jesus (‛Îsâ); ferner zwei in grauer Vorzeit an die Araber gesandte Propheten namens Hûd und Sâlih; von den «kleinen» Propheten spielt nur Jonas (Yûnus) im Koran eine Rolle.
Die Sendung dieser Propheten hat stets denselben Zweck: Sie sollen den Menschen, die immer wieder dem Götzendienst verfallen, den wahren, einen Gott und dessen Gesetz verkünden. Sie treten als Warner vor dem Jüngsten Gericht auf, doch ernten sie von den meisten nur Unglauben und Spott (Koran 7, 59ff.).
Die früheren Propheten haben also alle dieselbe Botschaft gebracht; die von ihnen gegründeten Gemeinden waren (und sind) daher Gläubige (mu’minûn). Das gilt insbesondere für Juden und Christen, die allerdings manches an dem ihnen geoffenbarten Gesetz geändert haben. So heißt es in Sure 57, 26f. des Koran:
Und wir haben doch Noah und Abraham gesandt und in ihrer Nachkommenschaft die Prophetie und die Schrift (heimisch) gemacht. Etliche von ihnen waren rechtgeleitet. Aber viele von ihnen waren Frevler. Hierauf ließen wir hinter ihnen her unsere (weiteren) Gesandten folgen. Und wir ließen Jesus, den Sohn der Maria, folgen, und gaben ihm das Evangelium, und wir ließen im Herzen derer, die sich ihm anschlossen, Milde Platz greifen, Barmherzigkeit und Mönchtum; (letzteres) brachten sie (von sich aus) auf. Wir haben es ihnen nicht vorgeschrieben. (Sie haben es) vielmehr im Streben nach Gottes Wohlgefallen (auf sich genommen); doch hielten sie es nicht richtig ein. Und wir gaben denjenigen von ihnen, die glaubten, ihren Lohn. Aber viele von ihnen waren Frevler!
Unter den Verfälschungen der früheren Botschaften wird besonders die Vergöttlichung von Propheten gerügt:
Die Juden sagen: «Esra ist der Sohn Gottes». Und die Christen sagen: «Der Messias (al-Masîh) ist der Sohn Gottes». Das sagen sie nur so obenhin. Sie tun es denen gleich, die früher ungläubig waren. Gott bekämpfe sie! Wie können sie nur so verschroben sein! Sie haben sich ihre Gelehrten und Mönche sowie den Messias, den Sohn der Maria, an Gottes Statt zu Herzen genommen. Dabei ist ihnen nichts anderes befohlen worden, als einem einzigen Gott zu dienen, außer dem es keinen Gott gibt. Gepriesen sei er! (Er ist erhaben) über das, was sie ihm beigesellen. (9, 30f.)
Ungeachtet der Verfälschungen ihrer ursprünglichen Botschaft durch manche ihrer Anhänger werden die früheren Propheten von den Muslimen geachtet und verehrt. Der fromme Muslim fügt ihrem Namen stets die Formel «Heil ihm!» (ʿalaihi s-salâm) hinzu. Die von ihnen gegründeten Gemeinden mit ihren Gesetzen und Institutionen sind zu respektieren. Aus diesem Grundsatz entwickelte sich später, zur Zeit der arabischen Eroberungen, das Rechtsinstitut der Schutzbürgerschaft (dhimma; s.u. S. 28). Mohammed selbst gab nach der Inbesitznahme Mekkas das Beispiel dafür, indem er den Kult bei der Ka‛ba und dem Schwarzen Stein und die übrigen mit der Pilgerfahrt verbundenen Rituale in den Islam integrierte, da der Prophet Abraham, zusammen mit seinem Sohn Ismael, die Ka‛ba erbaut und die Riten gestiftet habe (Koran 2, 126f.).
Die Berufung Mohammeds zum Propheten wird nicht im Koran berichtet, sondern in einer Überlieferung, die auf seine Witwe ‛Â’ischa zurückgeführt wird und sich erst in späteren Texten – in der Prophetenbiographie des Ibn Ishâq und in der Traditionssammlung des Buchârî – findet. Danach seien Mohammed zunächst Traumgesichte, dann, bei seinen Meditationen in der Einsamkeit des Berges Hirâ, Erscheinungen des Engels Gabriel (Dschibrîl) zuteilgeworden, der ihm die Worte Gottes (in der Ich-Form) übermittelt habe. Über einen Zeitraum von gut zwanzig Jahren – von etwa 610 bis zu seinem Tod im Jahre 632 – gab Mohammed die ihm zuteilgewordenen Eingebungen durch mündlichen Vortrag an seine Zeitgenossen weiter; erst nach seinem Tod wurden sie in Buchform gesammelt.
Dass Mohammed sich als Gesandter Gottes (rasûl Allâh) in der Nachfolge der früher gesandten Propheten sah, ist im Koran vielfach belegt. Mehrfach wenden sich Koranverse gegen den Verdacht, er sei ein Dichter oder Wahrsager oder gar von einem Dämon besessen. Dabei scheint er seine Sendung zunächst als eine an die Araber allein gerichtete aufgefasst zu haben; inwieweit er im Laufe der Zeit ein universales Sendungsbewusstsein ausbildete, ist umstritten.
Für die Muslime ist Mohammed aber nicht nur ein Prophet in einer langen Reihe von Propheten, sondern er ist der letzte und damit das «Siegel der Propheten» (châtam an-nabiyyîn), der die Sendungen der früheren Propheten nicht nur bekräftigt, sondern sie auch abschließt. Nach islamischer Auffassung wird es bis zum Jüngsten Tag keine weiteren Offenbarungen Gottes mehr geben. Daher werden aus dem Islam hervorgegangene Glaubensrichtungen, die den Anspruch erheben, auf einer erneuerten oder erweiterten Offenbarung zu beruhen (wie etwa die Ahmadiyya-Sekte oder der Baha’ismus), von den Muslimen als nichtislamisch verworfen.
Dies sind die Zeichen der deutlichen Schrift. Wir haben sie als einen arabischen Koran hinabgesandt. Vielleicht würdet ihr verständig sein. Wir geben dir dadurch, daß wir dir diesen Koran eingegeben haben, den besten Bericht. Du hattest vordem keine Ahnung davon.
Mit diesen Worten spricht Gott seinen Propheten am Anfang der Josefssure (12, 1–3) an. Das Wort qur’ân, abgeleitet vom Verbum qara’a, «laut lesen, vorlesen, rezitieren», kann mit «Rezitation» übersetzt werden. Obwohl von einer «deutlichen Schrift» die Rede ist, die herabgesandt wird, erfolgte die Offenbarung nach islamischer Tradition doch ausschließlich mündlich: vom Engel Gabriel an den Propheten und von diesem an seine Zuhörer. Hinter diesen Worten steht aber offenbar die auch den Juden und Christen geläufige Vorstellung von einer Heiligen Schrift, die sich bei Gott befindet und nun Stück um Stück offenbart wird. Koran 43, 3 erwähnt ausdrücklich diese «Urschrift» (umm al-kitâb, wörtlich: Mutter des Buches). Die Vermutung, dass auch Mohammed vorhatte, die ihm übermittelten Offenbarungen zu einem Buch zusammenzustellen, liegt nahe; sein plötzlicher Tod scheint das verhindert zu haben.
Nach islamischer Tradition war es erst Mohammeds dritter Nachfolger, der Kalif ‛Uthmân (644–656), der die Sammlung der bisher verstreuten Aufzeichnungen der Offenbarungstexte vollendete. Dabei soll ihm Mohammeds Sekretär Zaid ibn Thâbit geholfen haben. Je ein Exemplar des nun für verbindlich erklärten Textes wurde in die Zentren der arabischen Herrschaft geschickt: neben Medina also nach Mekka, Damaskus und in die arabischen Metropolen des Irak, Basra und Kufa. Diese Überlieferung wird auch von der modernen kritischen Wissenschaft durchweg akzeptiert; vereinzelt geäußerte Zweifel an der Authentizität des Korans haben sich nicht durchgesetzt.
Wenn ihre Sammlung und Anordnung auch sekundär sind und bis heute eine ganze Reihe unterschiedlicher Lesarten einzelner Wörter existieren, die auf verschiedene regionale Überlieferungen zurückgehen, dürfen die Texte doch als authentisch gelten. Der Koran ist damit das einzige Dokument, das mit einiger Sicherheit in die Zeit Mohammeds selbst datiert werden kann. Die Biographie des Propheten dagegen wurde erst einhundertfünfzig Jahre nach seinem Tode verfasst, und die Echtheit der zahllosen überlieferten Prophetenaussprüche (hadîth) ist umstritten.
Die von den Redaktoren vorgenommene Anordnung der 114 Abschnitte oder Suren (sûra) des Koran folgt einem einfachen Prinzip: dem der Länge. Sure 2 ist mit 286 Versen die längste, die Suren 108 und 110 sind mit je drei Versen die kürzesten. Der Sure 2 geht ein kurzes Gebet voran, das von den Muslimen bei vielen Gelegenheiten rezitiert wird und das als erste Sure zählt; es heißt «die Eröffnende» (al-fâtiha). Die Anordnung der Suren folgt also weder der chronologischen Reihenfolge ihrer Offenbarung noch ergibt sie einen fortlaufenden, zusammenhängenden Text. Jede Sure ist für sich zu betrachten, wobei gelegentliche Brüche im Text erkennen lassen, dass auch einzelne Suren wieder aus verschiedenen Texten zusammengesetzt sind. Die islamische Tradition ist sich dessen wohl bewusst. Sie unterscheidet die einzelnen Suren nach dem Ort und der Zeit ihres «Herabstiegs» (nuzûl) und überliefert auch die Umstände und Anlässe, die zur Offenbarung der einzelnen Suren oder auch kleinerer Abschnitte, ja sogar einzelner Verse, geführt haben sollen, als die «Anlässe des Herabstiegs» (asbâb an-nuzûl). Die Grobeinteilung unterscheidet so zwischen mekkanischen Suren, die vor der Hidschra (s.u. S. 18ff.), und medinensischen Suren, die nach diesem Ereignis – also in der Zeit von 622 bis 632 – offenbart worden sein sollen. Die moderne Forschung folgt der islamischen Tradition in wesentlichen Zügen. Es hat verschiedene Versuche gegeben, die zeitliche Reihenfolge der Offenbarung der einzelnen Abschnitte noch präziser zu bestimmen, mit unterschiedlichen Ergebnissen. Deutlich ist der Unterschied von Diktion, Sprachrhythmus und Inhalt zwischen den frühesten, in Mekka erfolgten Offenbarungen und den längeren, prosaischeren medinensischen Abschnitten: Erstere mit ihren kurzen, schwungvollen, durch Reimwörter stark rhythmisierten Suren handeln oft vom drohenden Jüngsten Gericht, während Letztere häufig detaillierte kultische oder rechtliche Vorschriften, etwa über die Erbteilung, ausbreiten und deutlich auf die Erfordernisse des in Medina entstehenden Gemeinwesens antworten, das nach der Kleinarbeit des Gesetzgebers und Organisators verlangte.
Die frühe Redaktion des Korans hat zu einer weitgehend einheitlichen Überlieferung des Textes geführt (von abweichenden Lesarten war schon die Rede). Alle Muslime, gleich welchen Bekenntnisses oder welcher Sekte, haben also einen im Wesentlichen übereinstimmenden Korantext. Fast alle heute erscheinenden Drucke des Korans folgen der Standardversion, die 1923 auf Veranlassung des ägyptischen Königs Fu’âd von Gelehrten der Azhar-Universität in Kairo veröffentlicht wurde, und zwar auf der Grundlage der irakischen Textüberlieferung von Kufa. Nur im Maghreb ist noch die geringfügig abweichende Lesetradition von Medina gebräuchlich. Auch die Zählung der Verse folgt heute der Kairoer Standardversion. In der älteren Literatur wird meist nach der abweichenden Verszählung der Koranausgabe von Gustav Flügel (Leipzig 1834) zitiert, während die moderne, philologisch fundierte deutsche Übersetzung von Rudi Paret (Stuttgart 1962) beide Zählungen angibt.
Für den Muslim enthält der Koran Gottes unmittelbares Wort. Gott spricht stets in der ersten Person Plural, dem Pluralis Majestatis, wobei er sich entweder an den Propheten oder direkt an die Gläubigen wendet:
Wir haben dich gesandt, damit du Zeuge seiest, und als Verkünder froher Botschaft und als Warner, damit ihr an Gott und seinen Gesandten glaubt, ihm helft, ihn hochachtet und ihn morgens und abends preist. Diejenigen, die dir huldigen, huldigen Gott. (48, 8–10)
‛Arabiyyai‛dschâz