Beste Freundin,
blöde Kuh
Verknallt, verkracht, versöhnt
Vignetten von Iris Blanck
1. Auflage 2013
©Arena Verlag GmbH, Würzburg 2013
Alle Rechte vorbehalten
Einbandillustration :Iris Blanck
Gesamtherstellung: Westermann Druck Zwickau GmbH
ISBN 978-3-401-80285-5
www.arena-verlag.de
1
Puh! So eine Hitze!«, stöhnt Joey und linst mich gequält von der Seite an. »Das hält ja kein Mensch aus.«
Ich liege neben ihr in der prallen Sonne auf meiner Luftmatratze und rühre träge mit den Fingern im Baggersee herum.
»Die Brühe hier ist auch schon pisswarm«, murmele ich, lasse meine Hand volllaufen und spritze Joey eine Fuhre Wasser über den Bauch.
»Uaaah!«, kreischt sie und fährt erschrocken auf. »Pisswarm? Das wüsste ich a…«
Der Rest des Wortes vergluckert im Baggersee. Joeys Luftmatratze ist nämlich umgekippt und Joey mit einem lauten Platsch im zugegebenermaßen ziemlich kühlen Nass gelandet.
Eine Fontäne flirrender Wassertropfen rieselt auf mich herab.
»Uaaah!«, kreische ich, im nächsten Moment durchstoßen zwei Arme die Oberfläche des Sees. Sie umklammern meine Matratze und eine Sekunde später plumpse ich ebenfalls in den See.
»Und du willst meine Freundin sein!«, schnaufe ich, als ich wieder aufgetaucht bin.
»Klar, Miri.« Joey grinst mich übermütig an. »Die beste weit und breit.«
Ich spritze ihr eine weitere Portion Baggersee ins Gesicht und schon ist die schönste Wasserschlacht aller Zeiten im Gange.
Die Leute, die ein paar Meter von uns entfernt auf der Wiese sitzen, beobachten uns kopfschüttelnd.
Es ist Ende Mai und der erste richtig heiße Tag des Jahres. Logisch, dass es die halbe Stadt in die umliegenden Freibäder und zum See hinausgezogen hat. Strandmatten und Badetücher reihen sich so dicht aneinander, dass sie wie ein bunter Flickenteppich aussehen. Die meisten Leute lesen, spielen Beach- oder Federball oder dösen einfach in der Sonne. Die einzigen Verrückten, die sich mit ihren Luftmatratzen in den See gewagt haben, sind Joana und ich.
Das Wasser ist mörderisch kalt.
»Ungefähr minus neunundzwanzig Grad«, japst Joey, als sie sich zwei Minuten später neben Junia und Doreen auf die Decke fallen lässt.
»Bleibt mir bloß vom Leib!«, ruft Doreen und rutscht hastig ein Stück zur Seite.
»Wenn es wirklich so wäre, wärt ihr darin eingefroren«, meint Junia, »und wir hätten euch mit einem Eispickel herausschlagen müssen.«
Sie greift in ihren Rucksack, holt eine Tüte Weingummis heraus und wirft sie Doreen in den Schoß. »Hier, mach die mal auf.«
Joey und ich werfen uns einen Blick zu.
Inzwischen ist es ein gutes halbes Jahr her, dass sie und ich uns nach einem monatelangen Dauerstreit wieder versöhnt haben. Seitdem sind Junia, Doreen, Joey und ich eine eingeschworene Vierer-Clique. Nur selten gibt es Streit, und wenn doch, dann eigentlich nur wegen irgendwelcher dusseliger Kinkerlitzchen. Im Grunde verstehen wir uns supergut… Wenn es nicht dieses gewisse Thema gäbe, das beständig unter der Oberfläche schwelt, über das wir aber dummerweise nicht miteinander sprechen können: Junia, die Verständnisvollste und zugleich Vernünftigste von uns, ist nämlich eifersüchtig auf Joey. Davon zumindest sind wir übrigen drei felsenfest überzeugt.
Immer wenn Joana und ich uns mal alleine treffen, ist Junia hinterher komisch. Entweder ignoriert sie mich, ist brummig und einsilbig oder sie dreht total auf und versucht mit aller Gewalt, noch quirliger und verrückter als Joey zu sein.
Anfangs habe ich noch versucht, mit Junia darüber zu reden. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie genauso mag, wie sie ist, und dass sie sich auf keinen Fall anstrengen muss, so wie Joey zu werden. Doch daraufhin hat sie nur gelacht, mir einen Vogel gezeigt und mich gefragt, was ich denn für ein Problem hätte.
»Gar keins«, habe ich gesagt und mir jeden weiteren Kommentar verbissen.
Tja, und seither bemühe ich mich redlich, möglichst viel Zeit mit Junia zu verbringen, damit sie sich Joey gegenüber nicht zurückgesetzt fühlt. Einerseits ist das recht einfach, schließlich wohnen wir zusammen und gehen außerdem in dieselbe Schule. Andererseits scheint aber genau das für Junia nicht dieselbe Bedeutung zu haben wie die Zeit, die wir vier Mädels darüber hinaus miteinander verbringen beziehungsweise verbringen können.
Ich habe echt keine Ahnung, was mit ihr los ist. Im letzten Herbst ist sie jedenfalls noch vollkommen anders drauf gewesen.
»Du solltest es vielleicht auch mal ausprobieren«, sagt Joey jetzt zu ihr. »Dann wirst du schon sehen, wie kalt es sich anfühlt.«
»Wie soll das denn gehen?«, erwidert Junia. »Oder kannst du etwa mit den Augen fühlen?«
Wahrscheinlich soll es witzig klingen, aber leider hört es sich ziemlich korinthenkackerig an.
»Na ja, dann lass es eben«, brummt Joey. Sie wickelt sich in ihr dickes grünes Handtuch ein und lässt sich zähneklappernd neben Doreen auf der Decke nieder.
Die hat die Tüte mit den Weingummis bereits aufgerissen und stopft sich nun ein Teil nach dem anderen in den Mund, während sie zwischen uns hin- und herschaut.
»Jetzt streitet doch nicht«, schmatzt sie. »Der Tag ist viel zu schön, um unnötig dicke Luft anzurühren.«
»Das tut doch niemand«, sagt Junia. Ihre Miene ändert sich schlagartig und plötzlich ist sie wie umgewandelt. »Wie wär’s mit ’ner Runde Frisbee?«, fragt sie, springt auf die Füße und boxt mich übermütig gegen die Schulter.
»Jetzt lass mich doch erst mal ein bisschen aufwärmen«, erwidere ich, schlüpfe in meinen Bademantel und will mich gerade auf Doreens andere Seite setzen, da packt Junia mich am Ärmel und zerrt mich wieder hoch.
»Ach, komm schon. Was meinst du, wie schnell du warm wirst, wenn du dich bewegst.«
»Recht hat sie, Miriam«, bestätigt Joey und zwinkert mir vielsagend zu. »Tu mir den Gefallen und schenk mir ein bisschen Zeit allein mit unserer süßen Doreen«, sagt sie, mopst sich einen roten Weingummi-Teufel aus der Tüte und drückt Doreen einen Kuss auf die Wange.
Seufzend ziehe ich den Bademantel wieder aus und lasse ihn zu Boden fallen. Allmählich habe ich keine Lust mehr auf dieses Theater. Aber was tut man nicht alles um des lieben Friedens willen!
»Und jetzt habe ich Lust auf ein schönes kühles Eis«, verkündet Junia, nachdem wir uns eine gute Viertelstunde mit der orangeroten Flugscheibe vergnügt haben.
»Ach, lass uns doch noch ein bisschen weiterspielen«, bettele ich. »Ich bin gerade so gut in Fahrt. Außerdem ist mein Badeanzug noch nicht ganz trocken.«
»Na gut.« Junia lacht und schleudert das Frisbee so schwungvoll in meine Richtung, dass es über meinen Kopf hinwegsaust und ich nicht die geringste Chance habe, es aufzufangen.
»Vielen Dank auch!«, rufe ich und wirbele herum, um dem Ding hinterherzueilen.
»Keine Ursache«, sagt ein Typ, der nur wenige Schritte von mir entfernt steht und den ich in meinem Eifer fast über den Haufen renne.
Er trägt Boxershorts und ein schwarzes Nike-T-Shirt, hat total verwuschelte braune Haare und Augen wie Schokokugeln. Grinsend hält er mir die Frisbeescheibe entgegen.
»Ähm… oh…«, stammele ich und komme in letzter Sekunde zum Stehen. »Hast du sie gefangen?«
Eine dämlichere Frage hätte ich nun wirklich nicht stellen können. Doch zum Glück geht der Typ ganz lässig darüber hinweg.
»Was dagegen, wenn ich mitspiele? Oder sind die Damen schon müde?«
»Geht so«, sage ich, während ich hastig einen Schritt rückwärts mache, um ihm nicht womöglich doch noch auf die Füße zu latschen. »Eigentlich wollten wir uns gerade ein Eis holen, oder, Junia?«, rufe ich zu meiner Schwesterfreundin hinüber.
Die steht da, als hätte der Blitz in sie eingeschlagen. Völlig reglos bis auf ein kaum merkliches Schulterzucken.
»Auch gut«, erwidert der Typ. »Ich geb euch eins aus. In Ordnung?«
»Ja, wieso nicht?«, sage ich, nachdem ich eine winzige Anstandssekunde habe verstreichen lassen. »Mit wem haben wir denn überhaupt die Ehre?«
»Harper«, antwortet er und deutet einen Diener an.
»Hä?«, wundere ich mich, denn diesen Namen habe ich noch nie gehört.
»Harper Stenton, vierzehn Jahre alt, Mutter Deutsche, Vater Engländer.«
»Oh«, sage ich. »… Aaah!«
»Und du?«, erkundigt er sich.
»Mein Vater ist kein Engländer«, sage ich hastig.
»Nicht weiter schlimm.« Harper zwinkert mir zu. »Eigentlich wollte ich auch bloß wissen, wie du heißt.« Er nickt in Richtung Junia. »Den Namen deiner Freundin kenne ich ja bereits.«
»Ähm, Miriam«, sage ich und hole einmal tief Luft. »Miriam Schleher. Am sechsten September werde ich dreizehn.«
»Vielen Dank für die Einladung«, erwidert Harper. »Wo soll die Party denn stattfinden?«
»Äh… was?«, stoße ich aus, dann fange ich an zu lachen.
In den vergangenen Monaten habe ich ja eine Menge ulkiger Jungs kennengelernt, aber ein Typ wie Harper ist mir bisher noch nicht untergekommen.
»Du willst mich also gar nicht dabeihaben«, sagt er jetzt und verzieht seine Lippen zu einem Schmollmund – was ihm genauso gut steht wie seine Schokoaugen.
»Doch. Schon«, entgegne ich zögernd, denn mit einem Mal kommt mir in den Sinn, dass Harper mich womöglich die ganze Zeit über schon auf den Arm nimmt.
Immerhin ist er bereits vierzehn. Warum soll er sich da ausgerechnet mit zwei Zwölfjährigen abgeben, deren Busen noch nicht mal ansatzweise ausgewachsen sind?
»Mal sehen«, füge ich also hastig hinzu. »Wir kennen uns ja noch gar nicht richtig.«
»Deswegen ja auch mein Vorschlag, zunächst ein bisschen Frisbee zu spielen und anschließend noch ein paar Worte beim Eisessen miteinander zu wechseln.«
Erwartungsvoll sieht Harper zu Junia rüber, die noch immer so fest verwurzelt wie ein Baum auf der Stelle steht und kaum ein Zweiglein rührt. Sie guckt ihn nicht mal richtig an. Weiß der Himmel, vielleicht ist sie schon wieder sauer, weil ich so lange mit ihm quatsche.
»Ich weiß nicht…«, druckse ich. »Eigentlich wollten meine Freundin und ich ein bisschen unter uns blei…«
»Ja, warum eigentlich nicht«, fällt Junia mir da ins Wort und nickt Harper finster zu. »Miri und ich gegen dich.«
»Ganz, wie du willst«, gibt er schulterzuckend zurück.
»Und wer verliert, spendiert der Gegenpartei ein Eis«, erwidert Junia und es klingt eher wie ein Befehl als wie ein Vorschlag.
»Aye, aye, Sir.« Harper reckt die Brust heraus und schlägt sich mit der Handkante gegen die Stirn. »Es wird mir ein Vergnügen sein.«
Ich laufe rasch zu Junia hinüber und stelle mich ungefähr zehn Schritte von ihr entfernt auf.
»Den machen wir fertig, klar?«, zischt sie.
Im nächsten Augenblick saust das Frisbee bereits auf mich zu. Reflexartig lasse ich meine Hand vorschnellen, doch ehe ich die Scheibe packen kann, schlägt sie vor mir einen Bogen, kratzt mich beinahe an der Nasenspitze und fliegt weiter zu Junia, die sie souverän aus der Luft fischt.
»Das hast du dir wohl so gedacht«, höre ich sie murmeln, dann schickt sie das Frisbee mit einem lockeren Schwung aus dem Handgelenk zu Harper zurück, der es ziemlich lässig auffängt.
Und so geht es dann eine ganze Weile hin und her.
Natürlich versuchen wir, Harper auszutricksen, indem wir möglichst hoch über seinen Kopf zielen beziehungsweise ein ganzes Stück rechts oder links von ihm anpeilen, doch es scheint so, als ob seine Beine mit Sprungfedern ausgestattet wären.
Wie ein Flummi titscht er hin und her und hoch in die Luft und schnappt sich selbst die unmöglichsten Dinger. Die meisten davon hätten Junia und ich jedenfalls nicht gekriegt und so kann ich nicht umhin, ihn insgeheim ein wenig zu bewundern.
Zu guter Letzt macht Harper sogar noch einen Handstand und fängt das Frisbee zwischen seinen Füßen auf. Anschließend lässt er sich hintenüberfallen, schlägt eine Brücke und kommt dann superelegant wieder auf die Beine.
»Wow!«, rufe ich. »Bist du etwa Turner?«
»So ähnlich«, sagt er und ein Schatten zieht über sein Gesicht. Doch eine Sekunde später lacht er schon wieder. »Sieht so aus, als ob keiner von uns zu schlagen wäre, oder?«
»Blödmann«, presst Junia leise zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »So ein dämlicher Angeber kann mir echt gestohlen bleiben.«
Stirnrunzelnd sehe ich sie an. Okay, Harper ist ein seltsamer Typ, ein bisschen von sich eingenommen, aber irgendwie auch nett. Ich zumindest hätte keine Probleme damit, mich noch ein Weilchen mit ihm abzugeben. Doch Junia hat offensichtlich andere Pläne.
»Tja«, sagt sie jetzt laut und deutlich. »Kein Verlierer, kein Gewinner, kein Eis.«
»Ich würde euch trotzdem gern eins ausgeben«, erwidert Harper.
»Vielen Dank«, knurrt Junia, »aber mir ist der Appetit inzwischen vergangen.«
Sie klemmt sich das Frisbee unter den Arm, hakt sich bei mir ein und zieht mich, ohne Harper auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, hinter sich her zu unserer Decke zurück.
»Der Typ vorhin sah ja absolut göttlich aus«, schwärmt Doreen mir abends am Telefon vor. »Also, wenn ich Rasmus nicht so wahnsinnig lieben würde… Ich hätte mich glatt vergessen können.«
»Na ja«, sage ich, während ich mich auf meinem Bett zwischen Kopfende und Wand in ein großes Kissen kuschele, »irgendwie war er aber auch komisch.«
»Inwiefern?«, will Doreen natürlich gleich wissen.
»Na ja, so ’n bisschen angeberisch«, erwidere ich.
»Jaaa, also seine Bewegungen und wie er jeden Wurf gekriegt hat, das war schon total göttlich!«
Doreen seufzt und ich bilde mir ein, zwischen dem Seufzer auch einen Schmatzer vernommen zu haben. Kein Kuss-Schmatzer, sondern so einer, der entsteht, wenn man auf einer Praline herumlutscht.
»Ach, du findest also, dass er sich darauf ruhig was einbilden kann?«, frage ich erbost. »Junia konnte ihn jedenfalls überhaupt nicht leiden«, setze ich geharnischt hinzu.
»Und was ist mit dir?«
»Wieso? Was soll mit mir sein?«
Doreen stöhnt. »Konntest du ihn auch nicht leiden?«
»Na hör mal!«, rufe ich empört. »Ich bin mit Cobi zusammen.«
»Also ja«, schlussfolgert Doreen und schmatzt zufrieden.
»Sag mal, futterst du etwa die ganze Zeit Schokolade?«, knurre ich.
»Mhmmm«, macht Doreen nur.
»Dann hast du wohl vergessen, dass du diesbezüglich kürzertreten wolltest.«
»Nee«, sagt sie, »hab ich nicht. Nur drei Riegel Vollmilch-Nuss in der Woche. Daran halte ich mich.«
»Aber du hast vorhin am Baggersee doch schon die ganze Tüte Weingummis allein aufgefuttert«, werfe ich ihr vor.
»Das war ein Versehen«, meint Doreen leichthin. »Aber Weingummis enthalten ja zum Glück kein Fett.«
»Dafür allerdings jede Menge Zucker«, entgegne ich. »Und der macht ebenfalls dick.«
Doreen schweigt.
Tatsache ist: Seit den letzten Herbstferien hat sie fast fünf Kilo abgenommen. Tatsache ist allerdings auch: So richtig schlank sieht sie immer noch nicht aus.
»Du willst ja bloß ablenken«, grummelt sie.
»So ein Quatsch! Wovon denn?«
»Davon, dass dir der Frisbee-Typ gefallen hat«, behauptet sie. »Wie heißt er eigentlich?«
»Harper«, sage ich wütend.
»Cooler Name.«
»Und er hat mir genauso wenig gefallen wie Junia«, fauche ich.
»Prima«, schmatzt Doreen. »Dann können wir uns ja überlegen, wie wir ihn mit Joey zusammenbringen. Die ist vor Verzückung nämlich fast mit ihrem Badetuch verschmolzen.«
Den Rest des Abends versuche ich, nicht mehr an Harper und vor allem nicht an Doreens letzten Satz zu denken.
Vor Schreck war mir nämlich glatt der Hörer aus der Hand gefallen. Gleichzeitig rief Mama zum Abendessen, sodass ich mich von Doreen verabschieden konnte und segensreicherweise keinen Kommentar mehr dazu abgeben musste.
Wenn Joey sich tatsächlich in Harper verguckt hat und Doreen ihren Plan realisieren will, die beiden miteinander zu verkuppeln, gibt es nämlich ein Problem, und das heißt Junia. Solange die ihn nämlich blöd findet, würde sie sich garantiert weigern, dabei mitzumachen. Ein offener Streit wäre vorprogrammiert und den gälte es zu verhindern. Diese Aufgabe würde ganz zweifellos mir zufallen, allerdings habe ich keinen blassen Schimmer, wie ich das anstellen soll. Heute will ich mir darüber aber nicht mehr den Kopf zergrübeln. Das kann ich auch immer noch morgen nach dem Ausschlafen am langen freien Sonntag tun.
»Und?«, reißt Mama mich aus meinen Gedanken. »War es schön am Baggersee?«
»Total«, kommt Junia mir zuvor. »Miri und Joey sind sogar schwimmen gewesen.«
»Na, hoffentlich erkältest du dich nicht«, sagt meine Mutter. »Das Wasser war doch sicher noch eiskalt.«
»Sie waren ja nicht lange drin«, meint Junia abwinkend. »Außerdem hatte Miri ihren Bademantel dabei. Sie hat sich nach dem Schwimmen sofort hineingekuschelt und war ruck, zuck wieder warm und trocken.«
Dass auch ihr Joeys und mein Bad im Baggersee nicht sonderlich gefallen hat, erwähnt sie mit keiner Silbe, ebenso wenig wie Harper und unser schweißtreibendes Frisbee-Spiel. Stattdessen beißt sie genüsslich in ihr mit Käse überbackenes Schinken-Tomaten-Baguette und tut so, als könne sie kein Wässerchen trüben.
Ich beschließe, sie deswegen gleich nach dem Abendbrot zur Rede zu stellen, verwerfe diese Idee jedoch sofort wieder. Wahrscheinlich hat es sowieso keinen Zweck, weil Junia garantiert alles abstreiten und mir nur wieder Halluzinationen ins Gehirn dichten würde. Ich mache also gute Miene zum bösen Spiel und zwinkere ihr sogar zu.
Junia zwinkert zurück, dann seufzt sie selig und beißt gleich noch einmal herzhaft in ihr Brot.
Na wunderbar, denke ich, so einfach ist es also, ihre Welt in Ordnung zu halten. Wie es in meiner aussieht, scheint eh niemanden zu interessieren. Vielleicht sollte ich doch noch einmal eine kleine Beratungsrunde mit Joey und Doreen starten, überlege ich weiter, während ich das unangerührte Baguette auf meinem Teller anstarre.
»Was ist los mit dir, Miriam?«, fragt Junias Mutter Sabine. Sie streicht sich ihre dunkelblonden Haare hinters Ohr und stellt mir eines der vier Schälchen hin, die sie gerade mit grünem Salat gefüllt hat. »Nach einem solchen Tag müsstest du doch eigentlich einen Bärenhunger haben.«
»Hab ich ja auch«, entgegne ich, ziehe das Schälchen zu mir heran und spieße lustlos ein Salatblatt auf meine Gabel. »Vor allem aber bin ich müde.«
»Das wundert mich nicht«, sagt Mama und kneift mich liebevoll in den Arm. »Und deshalb schlage ich vor, dass du heute mal richtig früh ins Bett gehst.«
2
Normalerweise hätte mich Mamas Vorschlag zu wilden Proteststürmen angestachelt, doch an diesem Abend nehme ich ihn dankbar an. Denn auf diese Weise kann ich auch Junia gegenüber so tun, als ob ich die verordnete frühe Nachtruhe tatsächlich dringend brauche. Sie hat es sich nämlich zur Angewohnheit gemacht, vor dem Schlafen noch mal bei mir vorbeizuschauen. Darauf habe ich heute jedoch überhaupt keine Lust und so packe ich die Gelegenheit beim Schopf, helfe noch rasch beim Tischabräumen und flitze dann in den ersten Stock hinauf, den Mama und ich bewohnen.
Mein Zimmer ist das größte hier oben und hat genau wie das von meiner Mutter sogar einen kleinen Balkon, den man über ein hohes doppelflügeliges Fenster betreten kann. Als wir einzogen, war er noch über und über mit Efeu und Rosen bewachsen, doch inzwischen habe ich alles zurückgeschnitten, sodass ich an lauen Abenden ganz wunderbar hier draußen sitzen kann.
Sicherheitshalber – nämlich wegen Junia – verriegele ich die Tür und ziehe den Schlüssel ab. Das habe ich mit Mama so verabredet, damit sie notfalls mit dem Ersatzschlüssel öffnen kann. Dann reiße ich die beiden Fensterflügel auf und trage das dicke Bodenkissen, das Papa mir geschenkt hat, hinaus. Anschließend schnappe ich mir meinen Laptop und mache es mir auf dem Kissen bequem.
Eine ganze Weile sitze ich nur so da, gegen den Mauervorsprung gelehnt, und schaue den Vögeln zu, die sich munter im Ahornbaum tummeln und ihre immer gleichen fröhlichen Lieder zwitschern.
»Ihr habt wohl nie Probleme, was?«, murmele ich. »Oder ihr nehmt sie einfach hin. Das kann ich aber nicht«, erkläre ich einer Kohlmeise, die sich an einem Ast den Schnabel wetzt. »Schließlich bin ich ein Mensch und deren Gehirne sind dazu gemacht, Probleme zu lösen.«
Die Meise stößt einen Pfiff aus und flattert davon.
»Du hast es gut«, seufze ich und klappe den Deckel des Laptops auf. Innerhalb weniger Sekunden ist er hochgefahren und ich checke sofort bei Kidchat ein, aber leider sind weder Joey noch Doreen online. – Mist!
Vorsichtig lege ich den Rechner auf den Boden und hechte ins Zimmer zurück, um meinen Rucksack nach meinem Smartphone zu durchwühlen. Ich finde es im Hauptfach unter meinem nassen Schwimmanzug und dem feuchten Bademantel.
»Mist! Mist! Mist! Miri, was bist du bloß für ein Torfkopp!«, beschimpfe ich mich selbst und drücke hektisch auf dem Touchscreen herum.
Als das Display aufleuchtet, stoße ich einen Seufzer der
Erleichterung aus. Die Nässe hat dem Handy offenbar nicht geschadet.
Nachdem ich die beiden nassen Teile zum Trocknen über das Balkongeländer gehängt habe, schicke ich Joey und Doreen jeweils die gleiche SMS:
Wann habt ihr zeit für ein dreier-date?
Ich muss dringend mit euch reden.
:-P miri
Danach stiere ich geschlagene zehn Minuten wie gebannt auf das Display, doch keine meiner beiden Freundinnen meldet sich. Na ja, Doreen ist bestimmt mit Rasmus unterwegs und Joey rechnet wahrscheinlich überhaupt nicht damit, eine Nachricht von mir zu bekommen. Sie weiß, dass meine Abende daheim Junia gehören.
Woah! Wenn ich nur darüber nachdenke, kriege ich schon die Krise! Als hätte Junia mich gemietet!
Ich linse auf den Monitor meines Laptops und sehe, dass Cobi mich angeschrieben hat. Augenblicklich wird mein Herz ein Kilo leichter. Cobi ist der helle Stern in meinem Leben, die einzige Person, mit der absolut alles rundläuft.
Na ja, eigentlich gehört Diana Krähenhorst, die alte Dame aus dem Altenheim, ebenfalls dazu. Dummerweise ist die jedoch nun schon seit drei Monaten bei ihrer Tochter und ihrer Enkelin Mary-Ann in Amerika. Bisher hat sie mir zwei Karten und zwei Briefe mit Familienfotos geschickt, aber in keinem stand, wann beziehungsweise ob sie überhaupt jemals wieder nach Deutschland zurückkehrt. Zurzeit scheint sie sich auf dem fernen Kontinent jedenfalls sehr wohlzufühlen. Und es ist ja auch nicht so, dass ich ihr das nicht gönne, sie fehlt mir bloß, die gute alte Krähe.
Ich klaube den Laptop vom Boden auf und schaue nach, was Cobi mir schreibt.
Miri, Miri,
heute war ein toller Tag. Ich muss dir unbedingt davon erzählen. Wie wär’s, wenn wir morgen Nachmittag ins Kino gehen und uns anschließend auf ’nen Döner und einen kleinen Kuschel-Plausch in den Stadtpark setzen?
Du hast mir heute gefehlt.
Ich hab dich ganz doll lieb :-*****
»Und ich dich erst«, hauche ich.
Mein Herz klopft und eine warme Welle schwappt durch meine Brust. Ach, Cobi, wenn ich dich nicht hätte!
Cobi, Cobi,
schreibe ich schnell zurück.
Klar, hab ich Lust auf Kino, Döner und einen gemütlichen Kuschel-Plausch mit dir!
Hdl Miri :-***
Vielleicht könnte ich mir sogar auch von ihm einen Rat wegen Junia holen. Mit Cobi kann ich nämlich so ziemlich über alles reden. Außerdem betrachten Jungs Mädchengeschichten aus einem ganz anderen Blickwinkel. Deshalb ist es nicht einmal unwahrscheinlich, dass er tatsächlich einen Weg aus der Zwickmühle weiß, in der ich gerade stecke.
Blöderweise ist er inzwischen offline gegangen, denn am liebsten hätte ich die Sache jetzt gleich im Chat mit ihm besprochen. Doch wie es aussieht, ist weder er noch sonst jemand heute Abend für mich zum Reden da.