Hans Giffhorn

WURDE AMERIKA IN
DER ANTIKE ENTDECKT?

Karthager, Kelten
und das Rätsel
der Chachapoya

 

 

 

 

 

C.H.Beck

 


 

Zum Buch

In den peruanischen Anden, in der kaum erforschten Region der rätselhaften, vor Jahrhunderten untergegangenen Chachapoya, stießen Abenteurer auf uralte steinerne Rundbauten und gewaltige Festungen, die nirgendwo in Amerika ihresgleichen finden – die aber bis ins Detail den zweitausend Jahre alten Ruinen von Bauwerken spanischer Kelten entsprechen. Zufall, könnte man meinen. Aber Hans Giffhorn entdeckte weitere Indizien, die für eine Herkunft der Chachapoya aus dem antiken keltisch-kathargischen Kulturraum sprechen: ähnliche Götterdarstellungen, fast identische Steinschleudern, die gleiche Technik der Schädelöffnung. Mehr noch: In uralten Mumien der Chachapoya konnte die aus der Alten Welt stammende Tuberkulose nachgewiesen werden, und neue genetische Untersuchungen ergaben Indizien für eine Verwandtschaft von Nachkommen der Chachapoya mit spanischen Kelten. Hans Giffhorn weist nach, dass es keltischen Kriegern durchaus möglich war, nach Peru zu gelangen, und er berichtet fesselnd von seiner akribischen Spurensuche am Amazonas und in den Anden, aber auch in Labors, Museen und Archiven. Sein bahnbrechendes Buch präsentiert erstmals das Ergebnis von vierzehn Jahren interdisziplinärer Forschung von Archäologen, Paläopathologen und Humangenetikern.

Über den Autor

Hans Giffhorn ist Professor i. R. für Kulturwissenschaften an den Universitäten Göttingen und Hildesheim. Er verbindet seine Forschung mit der Produktion von Dokumentarfilmen, meist für ARD, ZDF und Arte, und unternahm dafür bisher rund fünfzig Reisen in alle Welt, darunter achtundzwanzig nach Südamerika.

INHALT

Zur Entstehung dieses Buches

Zur zweiten Auflage

1.
DIE RÄTSEL DER CHACHAPOYA

Rundbauten und rote Haare

Ein einzigartiges Kriegervolk

Von den Anfängen bis zum Angriff der Inka

Inka-Kriege, spanische Eroberer und das Ende der Chachapoya

Kunst, Handwerk und Religion

Kopftrophäen und durchbohrte Schädel

Die Entdeckung der Chachapoya-Kultur

Zum Ursprung der Chachapoya

«Wir wissen es nicht»

Rätselhafte Parallelen zu Kelten und Karthagern

Wurzeln in der Alten Welt? Archäologische Gegenargumente

Noch ein Rätsel: Die Tuberkulose bei den Chachapoya

Die Spuren führen in die Antike und über den Atlantik

2.
VÖLKER DER ANTIKE:
EIN MÖGLICHER SCHLÜSSEL

Fahrten über den Atlantik?

Seefahrernationen im Mittelmeerraum

Entdeckten die Karthager Südamerika?

Madeira, Teneriffa: Was beschreiben die antiken Historiker?

Die «Inseln der Seligen» und andere Fantasieprodukte

Verlässliche Augenzeugenberichte

Denkbare Routen und nautische Bedingungen

An welcher Küste landeten die Karthager?

Eine antike Kultaxt im Amazonasgebiet

Ist die Axt eine Fälschung?

Seit wann ist die Axt in Amerika?

Woher stammt die Axt?

Transatlantische Kontakte: Ein Tabu in der Forschung

Aufbruch in die Neue Welt: Die Suche nach dem Motiv

Die Nadel im Heuhaufen? Eine erste Eingrenzung

Indizien im antiken Spanien

3.
VON DER ALTEN WELT IN DIE ANDEN:
REKONSTRUKTION EINER AUSWANDERUNG

Szenario 1: Die erste Etappe – von Spanien über den Atlantik

Der Beginn der Reise und die Überquerung des Atlantiks

Merkmale der Auswanderer: Indizien für die Spurensuche in der Neuen Welt?

An der Atlantikküste Nordostbrasiliens

Szenario 2: Ankunft in der Neuen Welt

Die Felsgravuren am Pedra do Inga

Szenario 3: Vorstoß am Río Paraiba

Spuren in der Amazonasmündung

Zwischenstation im Delta

Marajó: Auffallende Parallelen

Szenario 4: Vom Atlantik in die Anden

Spuren im Amazonasbecken

Szenario 5: Eine neue Heimat im Nordosten Perus

Tuberkulose bei den Chachapoya: Ein Rätsel ist gelöst

4.
DIE URSPRÜNGE DER CHACHAPOYA-KULTUR

Das Ermittlungsverfahren

Zur Beweiskraft von Kulturparallelen

Kulturmerkmale der Chachapoya auf dem Prüfstand

Schädeleröffhung

Trophäenkopfkult und Kopfskulpturen

Die wichtigste Waffe: Steinschleudern

Rundbauten und Siedlungsformen

Festungsbau

Das Ergebnis: eine neue Arbeitshypothese

5.
DAS LETZTE VERBLEIBENDE RÄTSEL:
HINWEISE AUF «HELLHAARIGE CHACHAPOYA»

Die Anfänge einer Völkergemeinschaft

Mumien, Zeugnisse der Inka, Spuren von Kelten?

Chachapoya-Mumien, DNA-Analysen und ein Wissenschaftskrimi

Inka und Chachapoya: Berichte und ein Gemälde

Hinweise auf eine keltische Kriegerkaste

Keltische Erbanlagen und die Tuberkulosebefunde aus Leymebamba

«Weiße Indianer»: Die Berichte der Konquistadoren

Nachfahren von Kelten – bis heute?

Sind die Chachapoya wirklich ausgestorben?

Die Suche nach hellhaarigen Nachfahren der Chachapoya

Das letzte Puzzlestück? Weitere DNA-Analysen

ANHANG

Anmerkungen

Dokumentarfilme und Literatur

Bildnachweis

ZUR ENTSTEHUNG DIESES BUCHES

Dass vor etwa tausend Jahren Wikinger die Atlantik-Küste Nordamerikas erreichten, wird heute nicht mehr bestritten. Aber waren die antiken Karthager in Südamerika, und siedelten Kelten in den Anden? Immer wieder tauchen solche Vermutungen auf. Überzeugende Beweise oder plausibel belegte Theorien konnte jedoch bisher noch niemand präsentieren. Denn Verbindungen zwischen den antiken Kulturen des Mittelmeerraums und den Kulturen der Neuen Welt hat es nie gegeben, und alle frühen Hochkulturen Südamerikas entstanden ohne irgendwelche Einflüsse aus der Alten Welt: Da sind sich die Kulturpolitiker der lateinamerikanischen Staaten und die internationale Fachwelt einig. Dieser Überzeugung war auch ich – bis ich in Südamerika auf Indizien stieß, die mir zu denken gaben und zu einem langjährigen, interdisziplinären Forschungsprojekt führten, dessen Ergebnisse in diesem Buch erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Ich bin Kulturwissenschaftler und Dokumentarfilmer. Auf den meisten Drehreisen begleitete mich mein 2006 verstorbener Kameramann und stets zuverlässiger Freund Jochen Philipp. Seine Begeisterung für alles Unerforschte steckte mich immer wieder an und führte zu oft recht abenteuerlichen Recherchen.

So verschlug uns im Februar 1998 die Suche nach einem als ausgestorben geltenden Kolibri (wir fanden und filmten ihn) in eine abgelegene, unwegsame Region in den Anden Nordostperus.

Dort lernten wir den Ethnologen und Archäologen Dr. Peter Lerche kennen, der schon seit den 1980ern in der Region lebt – damals der einzige Wissenschaftler, der sich ganz der Erforschung der zu der Zeit fast völlig unbekannten (und bis heute nur ansatzweise erforschten) Chachapoya-Kultur widmete. Er machte mich mit den beeindruckenden Zeugnissen dieser Kultur und auch mit einigen ihrer Geheimnisse und Widersprüche bekannt. Das weckte meine Neugier und löste Gedankenspiele aus: Könnte diese merkwürdige Kultur Wurzeln in der Alten Welt haben, etwa irgendwo im Mittelmeerraum?

Lange Zeit fand ich meine Vermutungen selbst zu waghalsig, und ich suchte systematisch nach Argumenten, die solche Ideen widerlegen. Mir war (und ist) es nicht wichtig, ob die Chachapoya-Kultur tatsächlich etwas mit der Alten Welt zu tun hat. Doch ihrem rätselhaften Ursprung wollte ich auf die Spur kommen. So folgten weitere Recherchen und zahlreiche Reisen nach Südamerika, in den Mittelmeerraum und auf Atlantikinseln. Manche der ersten spontanen Ideen hielten der Überprüfung nicht stand und wurden verworfen. Aber zu meiner eigenen Überraschung stieß ich auch immer wieder auf neue starke Argumente für antike transatlantische Kontakte.

Die Quellen, auf die ich mich dabei stützte, waren vielfältig: Forschungsberichte aus der wissenschaftlichen Literatur, eigene Beobachtungen und Entdeckungen vor Ort und vor allem viele intensive Gespräche mit Spezialisten verschiedener Fachgebiete. Sie lenkten mich oft auf neue Spuren und bewahrten mich vor Fehldeutungen.

Doch was ich immer noch vermisste, waren sachliche und intensive Diskussionen mit kompetenten Archäologen, die sich nicht nur mit einer bestimmten Region auskannten, sondern auch mit den Beziehungen antiker Kulturen zueinander und vor allem mit antiker Seefahrt. Im Jahr 2007 traf ich auf die Archäologin Dr. Karin Hornig aus Freiburg – Expertin für genau diese Fragen: ein Glücksfall.

Aber nicht nur Zeugnisse der Kultur der Chachapoya und Entsprechungen bei antiken Kulturen der Alten Welt warfen Fragen auf, sondern auch die Körper der Chachapoya (Mumien, Skelette, Schädel). Und auch jahrhundertealte Berichte über das Aussehen der Chachapoya irritierten mich. Hier stießen die Methoden der Kulturwissenschaft und der Archäologie an ihre Grenzen. Jetzt ging es um Fragen aus den Bereichen der Anthropologie und Genetik.

Auch da war das Glück auf meiner Seite. Prof. Dr. Dr. Michael Schultz von der Universität Göttingen ist Archäologe und Anthropologe, Weltruhm erlangte er außerdem als Paläopathologe; er ist Präsident der Paleopathology Association, der Gesellschaft für Paläopathologie der USA, und Mitherausgeber mehrerer internationaler Fachzeitschriften. Er hatte mich schon bei unseren ersten Kontakten vor vielen Jahren ermutigt, weiterzumachen. Vielleicht hätte ich sonst schon längst aufgegeben.

Hilfe bekam ich auch von dem Molekulargenetiker Prof. Dr. Manfred Kayser, der in seiner Abteilung Forensische Molekularbiologie am Erasmus University Medical Centre in Rotterdam international führende Forschung zu den Zusammenhängen zwischen Aussehen von Menschen (wie Haarfarbe), DNA und Herkunft betreibt.

Die erst vor wenigen Monaten abgeschlossenen Untersuchungen von Michael Schultz und Manfred Kayser zu Mumien, Schädeln und Nachfahren der Chachapoya lieferten Ergebnisse, die die Theorie besonders eindrucksvoll bestätigen. Und jetzt, nach vierzehn Jahren intensiver Recherchen, wagen wir es, die Indizien und Überlegungen vorzustellen – in der Hoffnung, dass dadurch sachliche Diskussionen und weitere Forschungen angeregt werden.

Goslar, im Oktober 2012

Hans Giffhorn

ZUR ZWEITEN AUFLAGE

Die erste Auflage dieses Buches hatte eine erfreulich positive Resonanz. Mich haben unzähligen Rückfragen, Ermutigungen und Anregungen von interessierten Lesern und Fachleuten der verschiedensten Gebiete erreicht. Einige davon habe ich für die vorliegende zweite, überarbeitete Auflage dankbar aufgegriffen.

Bei meinen Forschungen bin ich häufig auf Detailinformationen einer Vielzahl von Fachleuten, insbesondere von Archäologen angewiesen. Außer den im Vorwort zur ersten Auflage vorgestellten Experten möchte ich die brasilianischen Archäologen Eduardo Neves, Universität Sao Paulo, Anne-Marie Pessis, Universität Recife, und Denise Schaan, Göldi-Forschungsinstitut Belém nennen. Eine besondere Rolle für die Überarbeitung des Buchs spielten Gespräche und Briefwechsel mit Fachleuten aus Barcelona, Mallorca, Menorca und Galicien. Ich danke dem Paläopathologen Doménec Campillo, Spezialist für Schädeltrepanationen der Iberischen Halbinsel, den Professoren für Archäologie und Alte Geschichte Victor Guerrero, Balearen-Universität Mallorca, Lluis Plantalamor, Museu de Menorca, Mahón, Xavier Caamano Gesto, Universität Santiago de Compostela, sowie den Archäologen Toni Puig und Jordi Hernandez Gasch aus Mallorca. Ihre Informationen widerlegten einige meiner Arbeitshypothesen, eröffneten aber zugleich neue und weitaus plausiblere Perspektiven.

Zu einer wesentlichen Bereicherung entwickelte sich der offene und konstruktive Gedankenaustausch mit einem international führenden Chachapoya-Experten, dem US-amerikanischen Archäologen Warren B. Church. Seine Anregungen und Informationen wirkten sich auf manche neue Passagen dieser Ausgabe aus. Churchs Forschungen zu den Ursprüngen der Chachapoya-Kultur bilden die Grundlage für viele meiner Schlussfolgerungen. Er kennt meine Theorie und hat mich ermutigt, sie und die ihr zugrundeliegenden Indizien der internationalen Fachwelt bekannt zu machen.

Goslar, im Januar 2014

Hans Giffhorn

1.
DIE RÄTSEL DER CHACHAPOYA

1 Die gewaltige Mauer der Festung Kuelap

RUNDBAUTEN UND ROTE HAARE

Wenn man vom Flughafen von Lima, der Hauptstadt Perus, eine Stunde nach Nordosten in das Städtchen Tarapoto fliegt, sich dort ein Taxi nimmt und immer nach Westen fährt, gelangt man an den Ostrand der Anden, durchkreuzt dann – auf einer erst vor wenigen Jahren fertiggestellten Straße – steile, zerklüftete und von undurchdringlichem Dschungel bedeckte Berge, passiert tiefe Schluchten und Steilhänge am Rand 1000 Meter tiefer Abgründe und muss nach rund zweiundzwanzig Stunden Fahrt (wenn man Glück hatte und nicht wieder ein Erdrutsch oder eine Überschwemmung die Straße blockierte) anhalten: Ein Schlagbaum versperrt den Weg. Aus einer winzigen Station kommt ein Polizist, notiert die Daten des Reisepasses in ein Buch (damit die Behörden im Notfall wissen, welche Botschaft sie benachrichtigen müssen) und öffnet den Schlagbaum. Wenn man dann auf der schmalen, vor einiger Zeit in den Steilhang gefrästen, Angst einflößenden Piste weiterfährt und schließlich, in gut 3000 Metern Höhe über dem Meeresspiegel, das Ende des Wegs erreicht hat (nach jetzt über fünfundzwanzig Stunden Fahrt, ja, das ist tatsächlich der schnellste und bequemste Weg), muss man nur noch einen Pfad zu einer Bergkuppe ersteigen und steht nach einer weiteren Stunde (keuchend, wegen der dünnen Luft) plötzlich vor einem riesigen Bauwerk: Kuelap, die gewaltigste Festung Amerikas.

Kuelap entstand fernab von allen anderen peruanischen Hochkulturen, nach neusten Schätzungen peruanischer Archäologen irgendwann zwischen 100 vor und 400 nach Christus. Das war lange, bevor es die Inka gab.

Eine wuchtige, über 1200 Meter lange, oft 8 Meter dicke und bis zu 20 Meter hohe Mauer aus teils tonnenschweren, sorgfältig bearbeiteten Steinblöcken umschließt 415 kreisrunde Wohnhäuser und viele andere Bauten wie innere Verteidigungstürme und Lagerräume. Die Baumasse der Anlage, so berechnete ihr Entdecker, übertrifft die der Cheopspyramide um das Dreifache.[1]

Das Innere der Festung erreicht man durch drei raffiniert konstruierte Eingänge: Je tiefer man in die Festung eindringt, desto mehr verengen sich die Eingänge. Schließlich bleibt nur noch Raum für eine einzelne Person – keine Chance für Eroberer (siehe dazu Abb. 10, S. 26).

2 Eingang in die Festung Kuelap

Die Wohnhäuser im Innern der Festung zeugen von hohen Ansprüchen an Hygiene und Komfort, sie besitzen zum Beispiel ein intelligent angelegtes Abwassersystem.

Nirgendwo sonst in der Neuen Welt findet man etwas Ähnliches. Die Festung ist viel gewaltiger und viel älter als die berühmte Inka-Stadt Machu Picchu. Wie es möglich war, in dieser Umgebung ein solches Bauwerk zu errichten, gegen wen die Festung schützen sollte und wer die Festung gebaut hat – all das weiß man nicht.

Das bekannteste und auffälligste Merkmal der Chachapoya-Kultur sind die Wohnhäuser dieses Volks. In den Wäldern und auf Bergkuppen der Region stießen Abenteurer und Forscher auf Tausende von Ruinen kreisrunder Steinhäuser. Andere Arten von Wohnhäusern fand man dort nie. Offenbar errichteten die Chachapoya alle ihre Wohnhäuser von den ersten Anfängen bis zum Ende ihrer Kultur nur in dieser Bauweise.

3 Wohnhäuser in Kuelap

Verblüfft erkannten die Archäologen, dass dies einzigartig ist: Von keiner anderen antiken Kultur der Region ist diese Bauweise bekannt.[2] Die Amazonasindianer zum Beispiel verwendeten nie Steine, nur Holz, Schilf, Palmenblätter und Lehm, und rechteckige und ovale Bauformen herrschten dort vor. Andenkulturen wie die Inka bauten ihre Wohnhäuser gewöhnlich rechteckig.

Und noch überraschender: Man kennt keinerlei Vorläuferkulturen, aus denen sich die Bauweise der Chachapoya entwickelt haben könnte, und auch im Chachapoya-Gebiet selber entdeckte man nirgendwo so etwas wie einfachere Vorformen der Bauweise der Rundbauten und der Festungen. Schon die ältesten Funde zeigten die hochentwickelte Baukunst, wie sie zum Beispiel in der Festung Kuelap zum Ausdruck kommt. Plötzlich war diese Kultur da – scheinbar wie aus dem Nichts! Bis heute sind die wenigen Archäologen, die sich mit den Rundbauten Nordostperus befassen, ratlos.

Auch bei keiner anderen antiken Hochkultur auf der Erde ist diese Bauweise üblich. Römer, Griechen, Karthager und Phönizier, aber auch die Germanen konstruierten ihre Wohnhäuser rechteckig. Lediglich im keltischen Kulturraum – zum Beispiel in Irland und Wales – stieß man häufiger auf Ruinen von Wohnhäusern, die eine gewisse Ähnlichkeit zu den Chachapoya-Rundbauten aufweisen.

Im Archäologischen Museum St. Fagan in Wales hatten die Archäologen keltische Wohnhäuser rekonstruiert. Und für die Verzierung eines der Häuser wählten sie Zickzacklinien. Seltsam: Auch die Chachapoya schmückten manche ihrer Häuser mit Zickzack-Ornamenten.

Offenbar schätzten die Kelten dieselben Muster wie die Chachapoya. So finden sich auf vielen keltischen Artefakten aus der Zeit vor rund zweitausend Jahren Ornamente, die zum Teil exakt den für die Chachapoya typischen Zickzack- und Rautenmustern entsprechen.

Aber wie hätten Chachapoya und Kelten vor über zweitausend Jahren miteinander in Kontakt kommen können? Das gesamte Amazonasgebiet und der Atlantik liegen zwischen den beiden Kulturen, fast 9000 Kilometer Luftlinie. Und selbst wenn Kelten in der Lage gewesen wären, das Chachapoya-Gebiet zu erreichen – aus welchem Grund hätten sie eine solche wahnwitzige Reise auf sich nehmen sollen?

4 Rund gebautes keltisches Haus aus Wales, der Eingang ist mit Zickzack-Ornamenten verziert.

5 Zickzack-Ornamente an Chachapoya-Bauten

Als die Inka im 15. Jahrhundert in die Berge Nordostperus vordrangen, trafen sie – so ihre Berichte[3] – auf ein ungewöhnliches Volk: wilde Krieger, größer und hellhäutiger als sie selber und ihre bis dahin härtesten Gegner. Die Inka nannten das geheimnisvolle Volk «Chachapoya», die «Nebelwaldkrieger» oder «Wolkenmenschen».[4] Wie sie wirklich hießen, weiß niemand.

Wie könnten die Vorfahren der Chachapoya ausgesehen haben? Einige ihrer Skelette und Mumien wurden vermessen, dabei stießen die Archäologen auf ein weiteres Rätsel: Unter diesen Menschen gab es manche, die zu Lebzeiten 1,80 Meter groß waren! Die Indianer sowohl der Anden als auch des Amazonasgebiets sind meist kleiner als 1,60 Meter.[5]

6 «Gringuitos»: Ungewöhnliche Menschen in abgelegenen Indianerdörfern

7 «Gringuitos»: Ungewöhnliche Menschen in abgelegenen Indianerdörfern

8 «Gringuitos»: Ungewöhnliche Menschen in abgelegenen Indianerdörfern

9 «Gringuitos»: Ungewöhnliche Menschen in abgelegenen Indianerdörfern

Vieles, was man bisher zu den Chachapoya entdeckt hat, passt nicht so recht zu Indianern. In Berichten und Artikeln zu diesem Volk wird immer wieder erwähnt, dass die Menschen weiß und manchmal blond seien – das sei den spanischen Konquistadoren aufgefallen.[6] Zwar ignorieren die meisten Fachleute solche Hinweise oder bestreiten ihre Relevanz, doch für die Tatsache, dass sich solche Berichte ausgerechnet in Bezug auf die Chachapoya häufen, findet sich nirgendwo in der wissenschaftlichen Literatur eine Erklärung.

In manchen abgelegenen, nur über haarsträubende Pisten erreichbaren, uralten Indianerdörfern dieser Region begegnet man seltsamen Menschen: mit roten und blonden Haaren, Sommersprossen und tiefbraunen Augen. Man nennt sie hier «Gringuitos», kleine Gringos, der Spitzname für Ausländer mit mittel- und nordeuropäischem Aussehen. Die Einheimischen betrachten die Gringuitos als Kuriosität, als eine seltsame Besonderheit des Chachapoya-Gebiets. Und niemand weiß, wie sie hierher gelangt sind.[7]

Der Anthropologe und Paläopathologe Michael Schultz von der Universität Göttingen – zuständig auch für Altamerikanistik – beschäftigte sich mit Fotos dieser Menschen. Sein erster Eindruck: «Die sehen aus, als wenn sie vor zweihundert Jahren aus Irland eingewandert wären.» Doch ihre Familien, so hört man in den Dörfern, hätten schon immer hier gelebt, schon vor der Ankunft der Konquistadoren.

Der Genetiker Manfred Kayser von der Erasmus-Universität in Rotterdam, Fachmann für die Zusammenhänge zwischen Aussehen, Herkunft und Vererbung, stellte zu Fotos der Gringuitos fest: «Das Aussehen dieser Menschen passt nicht gerade zu dem typischen Bild, das wir von den südamerikanischen Ureinwohnern oder den Nachfahren der spanischen Besiedlung haben. Natürlich würde man Menschen mit schwarzem Haar erwarten, aber diese Leute sind teilweise blond, teilweise rothaarig. Auch treten in Europa gewöhnlich rote Haare und Sommersprossen zusammen mit blauen oder grünen Augen auf, hier jedoch mit braunen Augen. Wenn man bedenkt, dass das Menschen sind, die in Peru leben und als amerikanische Ureinwohner angesehen werden, möchte man meinen, das kann nicht wahr sein.»

Mit Hilfe von DNA-Analysen – so Kayser – könnte man vielleicht manches herausfinden. Doch von Analysen, die Aufschluss über die Herkunft dieser Menschen liefern könnten, weiß man im Chachapoya-Gebiet nichts.

Offiziell zuständig für alle archäologischen Forschungen in Peru ist das staatliche «Instituto Nacional de Cultura» (INC). In den einzelnen Provinzen wird die Forschung von regionalen Büros des INC verwaltet. Ein großer Teil des Chachapoya-Gebiets liegt in der Provinz Amazonas, und deren Hauptstadt wurde von ihren spanischen Gründern «Chachapoyas» getauft (die Konquistadoren hatten von den Inka den Namen des hier ansässigen Volkes erfahren). Im Büro des INC in Chachapoyas arbeitet die Archäologin Rocío Paz Sotero. Sie ist hier zuständig für die Forschungen zu den Chachapoya, aber: «Über die Chachapoya gibt es bisher noch keine gründlichen Forschungen.» Auf meine Frage: «Und welchen Ursprung hat die Chachapoya-Kultur?» winkt Frau Paz Sotero ab: «Darüber weiß ich nichts.»[8]

Je mehr ich über die Chachapoya-Kultur erfuhr, desto mehr Rätsel tauchten auf. Was weiß man überhaupt? Zwar kursieren eine ganze Reihe von Vermutungen, doch gesicherte Fakten sind rar. So wird zu weiten Phasen der Geschichte der Chachapoya nur spekuliert oder festgestellt: «Wir wissen es nicht.» Das gilt insbesondere für die Anfänge der Chachapoya-Kultur.

EIN EINZIGARTIGES KRIEGERVOLK

Von den Anfängen bis zum Angriff der Inka

Schon seit Urzeiten, vielleicht schon seit über 8000 Jahren, lebten im Gebiet der Chachapoya-Kultur verschiedene Indianervölker. Vermutlich waren sie vorwiegend Jäger und Sammler, die in Höhlen oder Blätterhütten lebten und irgendwann auch begannen, Keramik herzustellen.[9] Dann müssen sich Menschen eines anderen Kulturkreises in dieser Region niedergelassen haben.

Sie bauten Festungen wie Kuelap und ihre kreisrunden Steinhäuser, überzogen – viele Jahrhunderte vor dem Erscheinen der Inka in Peru – die Region mit befestigten Siedlungen und errichteten «kunstvolle Steinterrassen» und «in den Flussauen ausgefeilte Bewässerungssysteme»[10] für die Landwirtschaft. Sie legten ein ausgedehntes Netz von Straßen an, die mit bearbeiteten Steinen gepflastert waren.

Die Einwanderer müssen diese Techniken wohl schon vom Beginn ihrer Kultur an beherrscht haben, sonst wäre in dem kargen, steilen Gelände zum Beispiel die Versorgung der für den frühen Bau von Kuelap eingespannten Menschenmassen kaum möglich gewesen. Vermutlich haben sie diese hoch entwickelte Kultur mitgebracht. Woher?

Doris Kurella, Spezialistin für das alte Peru, stellte fest: «Da im Bereich der Chachapoya-Kultur bisher sehr wenige Ausgrabungen stattgefunden haben, kennt man … hier weder die materielle Kultur noch die Sozialstruktur wirklich.»[11] Den Historikern bleibt nur, anhand der wenigen archäologischen Funde Rückschlüsse zu versuchen.

Das beeindruckendste bekannte Bauwerk der Chachapoya, die gewaltige Festung Kuelap, erlaubt zumindest Spekulationen über die Gesellschaftsform ihrer Urheber. Die anderen antiken Monumentalbauten Lateinamerikas wurden von zentral regierten Staaten mit einem quasi allmächtigen Gottkönig an der Spitze und gehorsamen Untertanen geschaffen. Es läge also nahe, eine ähnliche Gesellschaftsform auch bei den Chachapoya anzunehmen.

Doch eine Überraschung: Im Gegensatz zu den meisten alten Reichen in Lateinamerika sind keinerlei Zeugnisse bekannt, die von irgendwelchen Chachapoya-Herrschern berichten – keine Bildnisse, noch nicht einmal Legenden. Und auch die archäologischen Funde scheinen die Annahme eines «Reichs» der Chachapoya umfassend zu widerlegen. Der Wissenschaftsjournalist Michael Zick stellt 2011 fest: «Es gibt bislang nicht einen einzigen archäologischen Hinweis für einen über allen thronenden König.»[12]

Die Festung Kuelap ist ausschließlich zweckmäßig gebaut. Anders als bei den großen Bauten anderer alter Hochkulturen finden wir keinen Schmuck und keine Symbole für die Macht eines Herrschers oder einer Religion. Im gesamten Chachapoya-Gebiet gibt es nichts, was zum Beispiel den berühmten Prachtbauten und Herrscher-Palästen der Inka, Maya und Azteken gleicht. Solche Bauten wurden von Heeren hoch spezialisierter Künstler und Handwerker gestaltet. Sie hatten die Aufgabe, Ruhm und Macht des Herrschers und der durch ihn vertretenen Götter zu dokumentieren.

«Die Chachapoya-Kultur prägte Zweckmäßigkeit, nicht Prunk», sagt Peter Lerche.[13] Zweckmäßig waren die überall angelegten Terrassen und die Bewässerungssysteme für eine produktive Landwirtschaft.[14] Die spanischen Eroberer der Neuzeit haben dann alles untergepflügt oder verfallen lassen. Die Terrassen verschwanden – mit dem Ergebnis, dass heute die Landwirtschaft der Region nur noch weit weniger Menschen ernähren kann als vor fünfhundert oder tausend Jahren.

Zweckmäßig waren auch die Rundbautensiedlungen, meist auf Hügeln und durch Mauern geschützt. Die Chachapoya-Wohnhäuser wurden alle als schlichte, etwa gleichgroße Rundbauten errichtet. Lediglich einige Schmuckfriese zieren einen Teil der Häuser – vielleicht Ehrenzeichen für besonders tapfere Krieger. Selbstverständlich bauten die Chachapoya auch rechteckige Häuser – doch nur als Ställe oder Lagerräume.

Die Baumeister, Steinmetze und Künstler der Chachapoya hätten gewiss Prachtgebäude errichten können: Das beweisen ihre anspruchsvollen Bauten, Skulpturen und Textilien. Und der Bau von Kuelap zeigt, dass sie auch zu jahrzehntelanger disziplinierter Gemeinschaftsarbeit und straffer, effektiver Organisation fähig waren. Aber offenbar fehlte der gemeinsame Wille, Pracht- und Repräsentativbauten zu errichten, und es gab auch niemanden, der sie dazu zwingen konnte. So kann man einen von Anfang an ausgeprägten Freiheitsdrang annehmen. All das weist auf eine Kombination von Fähigkeiten und Eigenschaften, die für präkolumbische Indianergesellschaften äußerst ungewöhnlich ist.

Die Befunde der Archäologen lassen eine Gesellschaftsform vermuten, die etwa der der Kelten im vorrömischen Gallien und Spanien entspricht: eine in Clans oder Häuptlingstümer untergliederte, vielfältige Völkergemeinschaft, die sich im Kriegsfall zusammenschloss und vor allem durch gemeinsame Kulturmerkmale verbunden war.[15]

Diese neue Kultur hat sich vermutlich bald ausgebreitet. Die archäologischen Funde der letzten Jahre zeigten, dass viele der Rundbauten-Siedlungen mehrere tausend Menschen beherbergt haben müssen und dass die Chachapoya-Kultur zeitweilig ein weit größeres Gebiet umfasste, als bisher angenommen wurde: wohl mehr als 230 Kilometer in Ost-West-Richtung und rund 300 Kilometer in Nord-Süd-Richtung, das heißt von Moyobamba im Osten bis (wie man seit kurzem weiß) über den Río Marañon hinaus nach Cajamarca im Westen (siehe Karte hinten im Buch). Zeitweilig haben vermutlich zwischen 500.000 und eventuell sogar einer Million Menschen im Kulturbereich der Chachapoya gelebt.[16]

Die archäologischen Funde erlauben noch einige weitere Vermutungen: Die Geschichte der Region muss recht wechselhaft verlaufen sein. Die Vorfahren der Chachapoya durchlebten vergleichsweise friedliche Phasen, doch häufiger waren sicher kriegerische Epochen. Überall stießen die Archäologen auf Spuren von Kriegen. Der Krieg bestimmte offenbar das Leben. Sicher fanden nicht nur Grenzstreitigkeiten, sondern auch blutige innere Konflikte regelmäßig statt.[17]

Wie Krieg und Frieden, so wechselten bei den Chachapoya auch relativ isolierte Phasen mit Zeiten intensiverer Handelsbeziehungen und vielleicht auch Vermischungen mit benachbarten Indianervölkern. Die Chachapoya «unterhielten Handelsbeziehungen in das östliche Tiefland sowie zum Pazifischen Ozean.»[18]

10 Die Gestaltung der Portale antiker Festungen weist gewöhnlich auf die Macht des Herrschers hin und will den Besucher einschüchtern. Nicht so in Kuelap: Zwar beeindrucken die tonnenschweren Steinblöcke und die 20 Meter hoch aufragenden Mauern, doch die Konstruktion orientiert sich ausschließlich an der Zweckmäßigkeit. Es gibt keine Verzierungen, und vor dem Eintritt in die Festung muss man sich durch einen immer schmaler werdenden Gang zwängen. Feindliche Eindringlinge hatten keine Chance.

11 Präparierte Chachapoya-Mumie

Es liegen deutliche Belege für Einflüsse aus anderen Regionen vor: Im 13. Jahrhundert zum Beispiel begannen die Menschen des Chachapoya-Gebiets, für ihre Toten Skulpturen und Häuser aus Lehm zu errichten. Zu den archaischen Steinskulpturen und -reliefs kamen Darstellungen von Tieren der Hochanden, wie Lamas oder Kondore, oder des nahen Amazonasgebiets, große Schlangen, Jaguare, Affen. Einflüsse aus dem Amazonasgebiet wirkten sich auch auf die Ornamente und die Form der Keramik aus.

Ein aufwändiger Totenkult wurde wohl von Anfang an betrieben. Doch irgendwann – vermutlich etwa im 15. Jahrhundert und eventuell angeregt durch die Inka – begannen die Nachfahren der Gründer der Kultur, ihre Toten zu mumifizieren: Sie entnahmen die inneren Organe, präparierten die Haut mit Pflanzenextrakten und stopften die Wangen mit Baumwolle aus, um das Gesicht lebendiger erscheinen zu lassen.[19]

Bei einem offenbar talentierten und lernfähigen Volk mit einer so langen Geschichte sollte man auch eine «Höherentwicklung» erwarten. Doch dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Auch das gehört zu den Rätseln dieser Kultur. Peter Lerche ist der Meinung: «Eine tatsächliche Entwicklung der Chacha-Kultur kann man bislang nicht nachvollziehen.»[20]

Inka-Kriege, spanische Eroberer und das Ende der Chachapoya

Unser Wissen über die Vergangenheit der Chachapoya ist vor allem deshalb so begrenzt, weil man weder schriftliche noch mündliche Berichte der Chachapoya zu ihrer Geschichte fand. Alles, was man weiß, verdankt man der sehr begrenzten Zahl archäologischer Funde und den vereinzelten, oft ungesicherten und knappen Erwähnungen der Inka und der spanischen Chronisten des 16. und 17. Jahrhunderts. Und auch diese liefern über die Zeit vor dem Jahr 1470 keinerlei Informationen.

Doch das Wenige, was sich über die Epoche danach erschließen lässt, ist aufregend genug. Offenbar hat sich während der gesamten Geschichte der Chachapoya nichts an ihrem Freiheitswillen und kriegerischen Charakter geändert. Es gab sicher immer wieder mächtige Feinde. Doch die Chachapoya konnten stets ihre Unabhängigkeit gegen alle Angriffe von außen erfolgreich verteidigen – bis zum Jahr 1470.

Etwa um 1200 entstand weit südlich der Chachapoya-Region ein neues Reich: das Inka-Imperium. Die Inka unterwarfen die Nachbarvölker und breiteten sich schnell aus; ihr Heer wurde immer gewaltiger und effektiver.

Um das Jahr 1470 griffen die Inka auch die Chachapoya an. Und sie wurden mit einer Reaktion konfrontiert, die sie in dieser Form bei keinem anderen Volk Südamerikas erlebt hatten. Ein Chronist der Inka, Garcilaso de la Vega, berichtet: «Nach alter Inka-Sitte schickte der große Túpac Inka Yupanqui seinem riesigen Heer einen Boten voraus, ihnen Frieden anzubieten. Die Chachapoya erwiderten entschlossen, dass sie für ihre Freiheit zu sterben bereit wären. Der Inka solle tun, was ihm beliebe, sie wollten nicht seine Vasallen werden.»[21]

Noch etwas wirkte äußerst befremdlich auf die Inka: Chachapoya-Frauen nahmen aktiv an den Verhandlungen über Krieg und Frieden teil[22] – unvorstellbar bei den Nachbarvölkern. Bei den Indianervölkern sowohl im angrenzenden Amazonasgebiet als auch in den Anden definiert sich der Wert der Frauen bis heute durch die Söhne, die sie gebären, und durch ihren Fleiß bei der Feldarbeit. So war das schon zur Zeit der Ankunft der Spanier und sicher auch lange davor. In den Kriegen der Inka wurden Frauen als Lastenträgerinnen und zum Bedienen der Männer eingesetzt, und – falls sie hübsch genug waren – als Geschenke an gefügige Führer unterworfener Völker und an geachtete Verhandlungspartner (wovon auch die Konquistadoren bei ihren Verhandlungen mit Inkaführern profitierten[23]). Von allen anderen Bereichen der Gesellschaft wie zum Beispiel politischen Entscheidungen wurden die Frauen ferngehalten.

Ganz anders bei den Chachapoya. Dort galten die Frauen als stark und stolz und wurden hoch geachtet.[24]

Nach vielen Jahren blutiger Kriege zwangen die Inka die Chachapoya in die Knie, und sie führten – wie in allen Teilen ihres Reiches – ihre Sprache, das Quetchua, als Amts- und Umgangssprache ein. Damit hatten die Chachapoya offenbar keine Probleme.[25] Eine Sprache, die alle, auch die Nachbarn der Chachapoya und die verschiedenen Volksgruppen innerhalb des Chachapoya-Gebiets verstehen, ist einfach zweckmäßig. Das passt zu der pragmatischen Grundeinstellung, die auch in anderen Bereichen der Chachapoya-Kultur zum Ausdruck kommt. Als gut sechzig Jahre nach den Inka die Spanier kamen, nannten sich die Chachapoya schon selber «Chachas» – so ihr Name bei den Inka[26]. Eine eigene Sprache der Chachapoya wird in keinem der Berichte mehr erwähnt.

Die Inka organisierten allerdings in den unterworfenen Gebieten auch Verwaltung, Abgaben und Arbeitsverpflichtungen. Das betraf die Lebensqualität der Chachapoya, und damit fanden sie sich offenbar nicht ab; Untertanen wollten sie nicht sein. Auch nach dem Sieg der Inka gab es immer wieder blutige Aufstände. Der Chronist Cieza de Leon schrieb, dass kein Volk den Inka so viele Probleme bereitet habe wie die Chachapoya.[27] «Las tierras de los rebeldes», das «Land der Rebellen» wurde die Region auch von Chronisten genannt.[28]

Auf die ständigen Rebellionen reagierten die Inka mit Deportationen größerer Bevölkerungsgruppen in entfernte Teile des Inkareichs[29] und mit blutigen Strafexpeditionen. Das kostete die Chachapoya Tausende von Toten. Doch die Inka scheinen auf die Rebellionen nicht mit Hass, sondern eher mit Bewunderung reagiert zu haben: Bei ihnen galten die Chachapoya als außergewöhnliche Menschen. In die Inkahauptstädte Cusco und Quito deportierte Chachapoya-Krieger gewannen dort schnell Einfluss: als stolze, oft arrogante Elitetruppen und Leibgarden der Inkaherrscher.[30]

Im Jahr 1535 kamen neue Menschen nach Nordostperu: spanische Konquistadoren.[31] Äußerst kriegerisch, rebellisch, tapfer – das waren die Eigenschaften, die auch den Konquistadoren auffielen, als sie zum ersten Mal den Chachapoya begegneten. «Diese weißen und hochgewachsenen Menschen waren im ganzen Andenraum berühmt wegen ihrer kriegerischen Einstellung. ‹Ein Volk des Krieges›, schreibt der Chronist Pedro Pizarro.»[32] Und der Chronist Cieza de Leon betont: «Das Volk ist mutig.» Auch die Eigenschaften «stolz», «unbändig», auch «streitsüchtig» und «hochmütig» schrieben die Chronisten den Chachapoya zu.[33] Eine Erklärung dafür, warum gerade bei den Chachapoya diese Eigenschaften so stark ausgeprägt waren, steht noch aus.

Die ersten Begegnungen der Konquistadoren mit den Chachapoya verliefen überraschend friedlich: Die Spanier wurden von den Chachapoya als Befreier begrüßt. Was dann geschah, beschreiben die spanischen Chronisten.

Drei Jahre zuvor hatte der Eroberer von Peru, der Konquistador Francisco Pizarro, den letzten Inkakaiser Atahualpa in Cajamarca gefangen genommen. Dieser für die Inka völlig verblüffende Handstreich öffnete den Spaniern den Weg für die Eroberung Perus. Am 26. Juli 1533 töteten sie Atahualpa. Doch ihnen standen noch viele Schlachten bevor. In den spanischen Kriegsberichten findet sich eine spannende Geschichte: Es ist das Jahr des Herrn 1537. Der Konquistador Francisco Pizarro hat die ehemalige Inkahauptstadt Cusco besetzt. Aber die Inka geben sich nicht geschlagen. Hundertfünfzigtausend todesmutige und kampferfahrene Soldaten unter dem Inka Manco greifen die zweihundert spanischen Soldaten unter Pizarro an. Eine aussichtslose Situation für die Konquistadoren. Aber das Unglaubliche geschieht: Ein Jahr lang halten die Spanier der Übermacht Stand, und zum Schluss siegt Pizarro.

12 Die Schuht um Cusco zwischen Spaniern und Indianern. Kupferstich von Theodor de Bry, nach 1597

In der Schule lernen die Peruaner, dass Pizarros Sieg bei Cusco den Weg für die spanische Kolonisierung des westlichen Südamerika freigemacht hat. Aber wem die Konquistadoren diesen unerwarteten und entscheidenden Sieg letztlich verdankten, darüber schweigen die Schulbücher.

Doch in den Berichten der Chronisten finden sich Informationen. Die zweihundert Spanier hatten beim Kampf um Cusco Verbündete, etwa vierzigtausend einheimische Krieger: Cañaris aus Südecuador und die Chachapoya. Besonders rühmten die Chronisten das geheimnisvolle Volk aus dem Nordosten der peruanischen Anden. Sie nannten es das «tapferste Volk Perus».[34]

Aber die «neuen Freunde» brachten den Chachapoya kein Glück. Die Konquistadoren wollten nun auch sie zu ihren Untertanen machen. Und wieder wehrten sich die Chachapoya erbittert.[35] Doch dann kam ein Feind, gegen den sie machtlos waren: von den Spaniern eingeschleppte europäische Krankheiten der Neuzeit, Pocken, Masern, Grippe. In wenigen Jahrzehnten rafften diese Krankheiten – so die einheimischen Historiker – alle Chachapoya dahin.[36]

Ihre Hinterlassenschaften schliefen einen Dornröschenschlaf – bis über vier Jahrhunderte später Abenteurer auf die Ruinen ihrer Bauten und auf Reste ihrer Körper stießen.

Kunst, Handwerk und Religion

Mit Entdeckungen, die weitere Informationen zur Geschichte der Chachapoya liefern, ist kaum zu rechnen. Die archäologischen Funde erlauben allerdings durchaus Rückschlüsse auf die Kultur der Chachapoya. Und auch diese Kultur ist in vielerlei Hinsicht rätselhaft.

Man entdeckte vielfältige und beeindruckende Beispiele künstlerischer Gestaltung. So zieren aufwändig gearbeitete Reliefs mit verschiedenen Motiven viele Felsen und gelegentlich Mauern. Ob aber diese Reliefs mythologische Bedeutung oder kultische Funktion hatten oder nur zur Dekoration dienten, darüber können die Archäologen nur spekulieren.

Im Museum in Leymebamba kann man heute kunstvoll gearbeitete wuchtige Steinschalen bewundern. Sie sind geschmückt mit raffinierten Ornamenten und mit realistisch gestalteten Porträts, deren Gesichtszüge eher europäisch als indianisch anmuten. Solche Schalen und Porträts findet man nirgendwo sonst im präkolumbischen Südamerika.

13 Chachapoya-Steinschale mit einem europäisch wirkenden Porträt

Einen seltsamen Kontrast zu all dem bildet die schlichte, schwarzbraun gefärbte und eindeutig indianisch geprägte Keramik, die man massenhaft in den Chachapoya-Gräbern fand.[37] Es scheint, als hätten hier zwei völlig unterschiedliche Kulturen miteinander gelebt.

Raffiniert wirken wiederum die Textilien der Chachapoya. Ihre Webtechnik war schon lange vor der Ankunft der Spanier im ganzen Andenraum berühmt. Auch die Inka bewunderten diese Stoffe und importierten sie in ihre Hauptstadt Cusco. Sie selber konnten nicht so fein weben, berichtet der Chronist Cieza de Leon.[38] Viele uralte Chachapoya-Stoffe sind erstaunlich gut erhalten und können heute im Centro Mallqui in Leymebamba bestaunt werden.

Für die Religionspraxis der Chachapoya gibt es eine Reihe von Zeugnissen, nicht nur die mündlichen Überlieferungen und magischen Traditionen der Indianer im Chachapoya-Gebiet, sondern auch zahlreiche Funde.

Forscher entdeckten tief im Wald Kultsteine und Stelen mit Darstellungen von Spiralen.[39] Spiralornamente waren bei den Chachapoya verbreitet, während sie bei indianischen Felsgravuren außerhalb des Chachapoya-Gebiets eher selten auftauchen. Dort findet man stattdessen häufig konzentrische Kreise, die wiederum bei den Chachapoya fehlen.

Außerdem verehrten die Chachapoya Naturgötter: nicht nur Tiere des Waldes, sondern auch Bäume, Flüsse, Steine. Ihre religiösen Kulte fanden zu einem Teil in ihren Siedlungen statt, vor allem aber in der freien Natur. Offensichtlich gab es «eine immense Zahl von Kultorten wie Hügel, Felsen, Seen oder Bäume».[40]

Am Ende des 15. Jahrhunderts verordneten die Inka-Eroberer den Chachapoya ihren Sonnenkult, duldeten aber, wie es ihre Gewohnheit war, auch die alten Riten.[41] Dazu gehörte vor allem der extrem aufwändige Totenkult. Offenbar glaubten die Chachapoya an ein Leben nach dem Tod, und sie scheuten keine Mühen und Risiken, um ihren Toten einen würdevollen und vor Grabräubern sicheren Platz zu verschaffen, meist hoch oben in steilen Felswänden.

Die Begräbnisrituale wechselten im Lauf der Zeit. Besonders auffällig sind die vielen großen Lehmfiguren – Sarkophage, in denen ab etwa 1200 n. Chr. die Chachapoya ihre Toten bestatteten.

Kopftrophäen und durchbohrte Schädel

Die Schädel auf einigen der Sarkophage verweisen auf Merkmale der Chachapoya-Kultur, die unseren heutigen Vorstellungen von einer hochentwickelten Zivilisation wenig entsprechen: Bei den Schädeln handelt es sich um abgeschlagene Köpfe von Feinden, mit denen die letzte Ruhestätte von angesehenen Kriegern geschmückt wurde.

Auch Menschenopfer waren häufig. Der Archäologe Klaus Koschmieder entdeckte verschiedene Chachapoya-Skelette mit Verletzungen, die eindeutig auf Menschenopfer hinweisen.[42] Und die Kuratorin des Museums von Leymebamba, Marcelita Hidalgo Pineda, zeigte mir eine Mumie und erläuterte: «Das ist ein Mädchen, dreizehn bis vierzehn Jahre alt. Sie wurde geopfert, sie starb an einem Schlag hier auf den Kopf.»

Besonders entsetzt waren die Zeitgenossen, auch die ansonsten nicht gerade zimperlichen Inka, jedoch über einen anderen Brauch der Chachapoya, der ihre Kriegsführung prägte. Sie schnitten ihren getöteten Gegnern auf dem Schlachtfeld die Köpfe ab, trugen sie stolz nach Haus und bewahrten sie als kostbare Trophäen auf.[43] Erst mit den Siegen der Inka endete diese barbarische Sitte.

Dazu sei angemerkt, dass Kulte um abgetrennte Köpfe im präkolumbischen Amerika weit verbreitet waren – allerdings in anderen Ausprägungen als bei den Chachapoya. Bei den Azteken wie auch bei mehreren Andenkulturen wurden abgeschlagene Köpfe von Kriegsgefangenen aufbewahrt und abgebildet, um die den Göttern gewidmeten Menschenopfer zu dokumentieren, und die Herstellung von Schrumpfköpfen durch Indianer des nahen Amazonasgebiets war verbunden mit magischen Ritualen, die den Geist des Feindes bannen und ihn an einer Rache hindern sollten. Bei den Chachapoya aber fand man weder Hinweise auf einen religiösen Hintergrund ihres Trophäenkopfkults noch auf irgendwelche nachträglichen Bearbeitungen oder magische Rituale. Sie trennten einfach die Köpfe getöteter Feinde ab und schmückten damit ihre Häuser oder die Sarkophage von Kriegern. Offenbar ging es ihnen nur darum, ihre Erfolge als Krieger zu demonstrieren.

14 Die großen Lehmfiguren in den Felswänden sind Sarkophage

Die Toten der Chachapoya geben noch ein weiteres Rätsel auf. Bei einer meiner ersten Reisen nach Peru hatte ich ein eigenartiges Erlebnis: Eines Tages kam Besuch in mein Basislager, eine alte Hacienda mitten im Chachapoya-Gebiet. Es hatte sich in der Gegend herumgesprochen, dass ich mich für die Chachapoya interessiere. Wohl deshalb besuchte mich ein Bauer aus der Nachbarschaft. Er hatte am selben Tag im Wald eine bisher unbekannte Chachapoya-Grabstätte entdeckt, und nun brachte er einen großen Sack mit seinen Funden mit. Zunächst breitete er Knochen vor mir aus: menschliche Ober- und Unterschenkelknochen. Die Leiche wurde wohl ursprünglich mumifiziert: Am Knie waren noch Fleischreste erhalten. Dann kramte der Bauer einige Keramikscherben hervor. Zum Schluss kam die Überraschung: ein Schädel mit sauber gebohrten Löchern.

Die Chachapoya beherrschten also die medizinische Kunst der Schädeleröffnung, der Trepanation. Der Schädelknochen des Patienten wird bei der Trepanation geöffnet, um zum Beispiel böse Geister oder Überdruck nach Verletzungen aus dem Gehirn entweichen zu lassen.

Trepanationen bilden seit vielen Jahren einen Forschungsschwerpunkt von Michael Schultz an der Universität Göttingen.[44] In seinem Institut lagern weit über hundert Schädel, wohl nirgendwo in Europa gibt es eine größere Sammlung von trepanierten Schädeln. Ich zeigte ihm die Aufnahmen von der Entdeckung des Chachapoya-Schädels, und er erläuterte die verschiedenen Formen der Trepanation, die an dem Schädel durchgeführt wurden: «Eine Öffnung wurde – wie es auch bei den Inka üblich war – in den Knochen geschabt. Der Patient hat das überlebt, die Wunde ist verheilt, das zeigen die Ränder. Das ist Schabetrepanation.» Die vier kreisrunden Löcher daneben stammen, erklärte er, von einer «Bohrtrepanation, mit einem konischen Bohrer. Also zwei ganz unterschiedliche Verfahren.»

Die Schabetrepanation ist nichts Außergewöhnliches, sie wurde weltweit überall in prähistorischen Populationen praktiziert, auch in Südamerika und auch bei den Chachapoya. Außergewöhnlich ist die andere, weit kompliziertere Technik: «Interessant ist nun, dass bei den Chachapoya auch ein Bohrer zur Anwendung kam, der ein konisches Loch produzierte, also das außen breiter war, einen größeren Durchmesser hatte als in der Tiefe.» Und das Irritierende daran ist, dass die Chachapoya-Bohrtrepanationen keiner der sonst üblichen Techniken ähneln. Schultz stellte fest: «Das, was wir hier bei den Chachapoya haben, lässt sich nicht vergleichen.»

15 Ein Schädel aus einer Chachapoya-Grabstätte, der die typischen Bohrlöcher aufweist

Für die Chachapoya aber scheint diese spezielle Technik typisch zu sein, wie Fotos von einigen Schädeln zeigen, die von der Archäologin Inge Schjellerup entdeckt wurden.[45] Eine so spezielle ausgefeilte Technik resultiert nicht aus einem vereinzelten Experiment, sondern muss ein von Generation zu Generation weitergegebener Bestandteil der Kultur der Chachapoya gewesen sein. Von wem könnten sie diese Technik gelernt haben?

Auch die Inka verwendeten konische Bohrer, allerdings setzten sie die in anderer Form ein: Sie bohrten einen Kreis von Löchern und konnten dann die Knochenplatte dazwischen entfernen. Haben die Chachapoya vielleicht von Bohrtrepanationen der Inka gelernt?

Auch Peter Lerche begutachtete den Fund. Die Keramikscherben, die der Bauer zwischen den Knochen gefunden hat, erlauben eine Einschätzung des Alters der Grabstätte. Und Lerche konnte die Scherben auf Anhieb einordnen: «Wenn man daran denkt, dass man diese Scherben, die eindeutig prä-inkaisch sind, nahe bei diesem Schädel gefunden hat, dann wissen wir, was wir bislang nicht wussten: dass die Vor-Inka-Chachapoya schon diese Trepanationstechnik beherrscht haben. Das ist für die Wissenschaft ein ganz schön wertvoller Fund.»

Von den Inka haben die Chachapoya ihre Technik also nicht gelernt. Umgekehrt, vermutete Schultz: «Möglicherweise haben die Inka das bei den Chachapoya abgeguckt.» Aber auch viele andere Völker Amerikas kannten die Schädeltrepanation, und genau wie in der Alten Welt war auch in Südamerika eine Vielzahl unterschiedlicher Trepanationstechniken üblich.[46] So könnte die spezielle Technik der Chachapoya vielleicht ursprünglich von einer anderen amerikanischen Kultur entwickelt worden sein.

Doch Schultz setzt dem entgegen, dass die an dem Chachapoya-Schädel angewandte Technik – eine kleine Gruppe von kreisrunden Löchern, die mit einem konisch geformten Bohrer hergestellt wurden – von keiner anderen Kultur Amerikas bekannt ist: «In der Nordamerikanischen Region gibt es zu dieser Zeit überhaupt keine Trepanationen. Und auf dem amerikanischen Doppelkontinent sind die bisher gefundenen Schädeleröffnungen aus dem Gebiet der Chachapoya offenbar die ältesten – und zwar in Bezug auf die Anwendung der Bohrtechnik.»

So stellt sich Schultz die Frage: «Wer hat den Chachapoya das beigebracht? Mit anderen Worten: Wie sind sie auf diese Art der Bohrung gekommen – in diesem speziellen, man könnte sagen Design, in dieser Anordnung der Bohrlöcher?»

Eine der wenigen Überlieferungen zu den Chachapoya besagt, dass ihnen die besten und mächtigsten Ärzte und Schamanen des Andenraums zur Seite standen.[47] Nun zeigen aber die glatten Ränder der Bohrlöcher auch bei zwei der von Inge Schjellerup entdeckten Schädel, dass die Patienten die Operation nicht überlebt haben. Daraus lässt sich folgern, dass das öfter geschah, dass diese Technik also nicht sehr effektiv war. Da die Chachapoya ja auch andere, erfolgreichere Methoden wie die Schabetechnik kannten, fragt man sich, warum sie trotzdem diese spezielle Bohrtechnik anwendeten. Bleibt als Erklärung eigentlich nur, dass es sich um eine tief verwurzelte, vielleicht mit magischer Bedeutung besetzte Tradition handelte – und die muss einen Ursprung haben. Wo?

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