Impressum

Dietrich Biewald

Pioniere in der 8. Motorisierten Schützendivision der Nationalen Volksarmee der DDR

ISBN 978-3-95655-587-9

 

Titelbild: Ernst Franta

Stand: Juni 2006

 

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Geleitwort

Am 2. Oktober 1990 um 24.00 Uhr endete die Existenz der Nationalen Volksarmee.

Eine gut ausgebildete und hochgerüstete Armee fügte sich dem Beschluss der letzten Volkskammer der DDR über den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des Artikels 23a des Grundgesetzes. Trotz aller Unwägbarkeiten und Benachteiligungen haben sich die Angehörigen der NVA im Verlaufe der Wende und danach loyal verhalten.

Aus der Tatsache, dass die Soldaten der Nationalen Volksarmee keinen Krieg führten, keine Aggression gegen andere Völker begingen und zumindest einen Beitrag leisteten, dass der Kalte Krieg nicht in einen „heißen“ umschlug, leiten sie keine Sonderstellung ab. Sie wollen jedoch, dass diese militärische Pflichterfüllung durch die Regierungen richtig gewertet und nach gerechten Maßstäben beurteilt wird.

Im November 1995 haben sich einige Pioniere in Schwerin zu einer Pionierkameradschaft zusammengeschlossen, um einmal unsere Vergangenheit aufzuarbeiten und zum anderen mit Stolz auf die Zeit zurückzublicken, die viele von uns entscheidend geprägt hat.

Viele verblasste Erinnerungen werden in Gesprächen, Zusammenkünften und Feierlichkeiten wieder aufgefrischt und gewinnen an Bedeutung für das eigene Handeln. Wenn es dann noch Kameraden gibt, die diese Erinnerungen aufschreiben, mit Bildern untermauern und mit Sachverstand umfangreich darstellen, dann hat man es mit einem Glücksumstand zu tun. Und so einer ist Kamerad Dieter Biewald.

Kamerad Biewald hat mit seinem vorliegenden Buch über die Pioniere in der 8. MSD allen Pionieren dieser Division ein Denkmal gesetzt.

Das ist nicht übertrieben. Oder hat es noch jemand getan? Er hat das Zeichen der Zeit erkannt. Wenn es jetzt niemand aufschreibt, dann schreibt es keiner mehr auf. Und das war’s dann. Hochachtung vor dieser Leistung, zumal wir alle wissen, dass unter den Bedingungen der Geheimhaltung in der Nationalen Volksarmee nur wenig Material zur Verfügung stand.

Dieses Buch soll Überblick bieten, Stütze sein für Erinnerungen und Quelle für Informationen über Struktur, Umfang, Gliederung, Aufgaben der Pioniere und über die Menschen, ohne die das alles nichts gewesen wäre und ist.

Mein Dank gilt den Angehörigen der Pionierkameradschaft, die zum Gelingen dieses Buches so tatkräftig beigetragen haben, insbesondere aber unserem Kameraden Dieter Biewald, ohne dessen unermüdlichen Einsatz dieses Buch nicht zustande gekommen wäre.

 

Denkt immer daran: Pionier kann man nicht werden, Pionier ist man.

Den Pionieren - ein dreifaches kräftiges „Ponton kant um“

 

Jochen Schmidt

Vorsitzender Pionierkameradschaft Schwerin

Schwerin, im März 2004

Pioniere in der 8. Motorisierten Schützendivision der NVA

Die nachfolgenden Erinnerungen sollen etwas über die Pioniereinheiten in der 8. Motorisierten Schützendivision (8. MSD) der Nationalen Volksarmee berichten, einer Division und einer Armee, die nicht mehr existieren, der im Laufe ihres Bestehens jedoch viele Pioniere angehörten.

Keine Pioniereinheit dieser Division hatte je die Lasten eines Krieges zu tragen. Das kann man als Glücksfall werten, ist aber genauso in hohem Maße den Anstrengungen der Soldaten der Nationalen Volksarmee zu verdanken. Sie dienten ihrem Land im Frieden sowie im Bewusstsein, diesen jederzeit schützen zu wollen. Sie dienten dem Eid entsprechend, vollbrachten manche Leistungen und hatten viele nicht immer leichte Aufgaben zu bewältigen. Daran sollen die nachfolgenden Betrachtungen erinnern. Es soll dazu beitragen, diesen Abschnitt nicht der Vergessenheit zu überlassen.

Persönliche, den militärischen Alltag betreffende Aufzeichnungen aus der damaligen Dienstzeit waren infolge dienstlicher Verbote leider nicht möglich. Doch noch sind vielfältigste Erinnerungen wach. Das zeigen immer wieder die Gespräche bei Zusammenkünften ehemaliger Pioniere. Oft genügte nur ein in die Runde geworfener Begriff und schon kam das Gewesene und scheinbar Vergessene fast bildhaft vor aller Augen. Das Bestreben ehemaliger Pioniere der Nationalen Volksarmee, sich zu treffen, über diese Zeit Erinnerungen auszutauschen und damit die einst begründete Kameradschaft fortzusetzen, fördert das Bedürfnis, scheinbar verschüttetes Wissen freizulegen und es für andere zu erschließen.

Das ist auch der Anlass, die gegenwärtig noch vorhandenen Kenntnisse auf diese Weise aufzufrischen, zusammenzutragen und für bestimmte Ereignisse vielleicht auch das unfertige Puzzle zu vervollkommnen. Umfassende Darstellungen oder gar generelle Wertungen können dabei nicht das Ziel sein. In einer Welt aber, in der so viele sich anmaßen, über andere und anderes zu urteilen ohne selbst genug darüber zu wissen, es oftmals gar nicht wissen zu wollen, sollten jene eine Aussage darüber treffen, die es persönlich erlebten.

Die Fotos aus dieser Zeit, insbesondere die aus den früheren Jahren, sind vielfach leider schon etwas vergilbt und gaben beim Scannen nicht immer das, was erwünscht wäre. Dafür wird um Verständnis gebeten. Möglicherweise zeigt sich gerade deshalb in einzelnen dieser Bilder trotz allem mehr Authentisches als bei manchen der für die Profis gestellten Hochglanzfotos.

Gerade beim Betrachten dieser Fotos kamen viele Erinnerungen erst wieder in das Bewusstsein zurück und erzeugten den Gedanken, etwas davon zu Papier zu bringen. Worte allein können schnell zu leeren Hüllen werden. Diese Fotos, meist als Schnappschüsse von Amateuren entstanden, sind ehrliche Abbilder aus ihrer Zeit und keine Fotomontagen.

Daher soll auch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass der Inhalt neben den Erinnerungen des Autors nur das reflektiert, was an Bildmaterial gesammelt und mit den Gedanken anderer ergänzt werden konnte. Dafür ist bereits an dieser Stelle an alle ein Dankeschön angebracht, die sich daran beteiligten.

Pioniertruppenteile und -einheiten (Pi-TT/E)

Im „territorialen Einzugsbereich" der 8. MSD der Nationalen Volksarmee gab es seit langem mal mehr, mal weniger Pioniere, je nach der politischer Zielsetzung und/oder den Einsichten der Regierenden, den militärischen Erfordernissen und nicht zuletzt auf Grund der personellen, finanziellen, materiellen sowie anderer Gegebenheiten und Möglichkeiten, welche nicht selten miteinander rivalisierten oder sich gar im Wege standen.

Pioniere bildeten schon immer die Arbeitspferde einer jeden Armee. Ihre Ausstattung und Ausbildung prädestinierte sie deshalb auch ganz besonders für nichtmilitärische Sondereinsätze. Die Hilfe bei der Abwehr von Katastrophen und der Bekämpfung ihrer Folgen oder kleinere wie größere Einsätze in Bereichen der Wirtschaft gehörten stets dazu. Bei vielen ehemaligen Pionieren weckt es in diesem Zusammenhang gewiss manche Erinnerungen und der Stolz auf dabei erbrachte persönliche wie kollektive Leistungen ist auch lange Zeit danach ungebrochen. Als Denkanstoß nenne ich nur solche Einsätze wie die in der Landwirtschaft in den 50-er und 60-er Jahren (etwas großkotzig sagten wir dann: „Wir gründen eine LPG, die Arbeit macht die Volksarmee"), bei Hochwassergefahren vor allem an der Elbe, die über Monate gehenden Einsätze im Erdölverarbeitungswerk Schwedt (EVW), dem späteren Petrolchemischen Kombinat (PCK) und gewiss nicht zuletzt im Gasleitungsbau im Norden der DDR. Bei Einsätzen dieser Art konnte auch ein Teil der Öffentlichkeit erleben, wie Pioniere der Nationalen Volksarmee arbeiten und was sie zu leisten vermögen. Das wäre mit Sicherheit nicht der Fall gewesen, hätte man sie nicht auch im militärischen Dienst dazu befähigt und bei den manchmal recht komplizierten Arbeiten zu diesen Leistungen geführt.

An die vielen, vielen weiteren Tätigkeiten dieser Art denken sicherlich vorrangig die unmittelbar daran Beteiligten zurück. Bemerkenswert ist es dann schon, wenn in der heutigen Zeit auch einmal andere Menschen korrekt an die Leistungen der NVA-Pioniere zurückdenken, was leider nicht immer der Fall ist. Selbst manche der wenigen Berichte, in denen auf Leistungen dieser Art eingegangen wird, erhalten nur zu oft einen diskreditierenden „Schlenker" in der Art, eine positive Leistung abzuwerten, sie gar einzuklammern und all dem ein Minuszeichen voranzusetzen, selbstredend dem eigenen Geltungsbedürfnis folgend, politisch oder moralisierend koloriert. Wohltuend empfinden es ehemalige Teilnehmer solcher Einsätze daher schon, wenn sich heute ab und an einige sachlich daran erinnern, damals von den Soldaten der Nationalen Volksarmee der DDR Hilfe und Unterstützung erhalten zu haben. So erschien beispielsweise ein Artikel im MECKLENBURG-MAGAZIN der Schweriner Volkszeitung vom 05. Juli 2002, in dem man über technische Denkmale in Mecklenburg berichtete. Im Zusammenhang mit einem erforderlichen Transport eines 30 Tonnen schweren Transformators im Jahr 1960, der eine Insel in der Elde zum Wasserkraftwerk Bobzin zum Ziel hatte, schreibt der Autor auch darüber, wie diesem Vorhaben die vorhandene Brücke infolge zu geringer Tragfähigkeit Grenzen setzte. Man bat die Pioniere des MSR-27 um Hilfe. In ihrer Freizeit, an einem Sonntag, demontierten die Angehörigen der Pionierkompanie die alte und errichteten eine neue Brücke, die heute noch steht!

(Siehe später dazu Näheres unter dem Abschnitt „Sondereinsätze“, mit einem Ausschnitt aus dem dazugehörigen Artikel).

Unter diesem Aspekt ist gegenwärtig folgendes recht bemerkenswert:

Es gibt dank dem Internet eine Vielzahl von Städten, ja selbst von Dörfern, welche die Entwicklung ihres Ortes in einer eigenen Homepage darstellen. Manch eine darunter hatte als Garnisonsstadt früher auch NVA-Truppenteile, darunter einige Pioniereinheiten der Nationalen Volksarmee in ihren Mauern. In diesen Internetseiten findet sich dann und wann ein Hinweis darauf, teils sogar mit Würdigung von Hilfeleistungen und selbstlosen Einsätzen der Pioniere.

Zum Beispiel zeigte die Seite der Stadt Dessau solch einen Hinweis und nannte den Kommandeur Oberst Harder, einen Mann, den viele Pioniere als einen der ihren kennen! Die Homepage der Stadt Zeithain verweist gar mit einem Link extra auf die Internetseite des Pionierbataillons 11, obendrein mit Angabe der Gliederungspunkte und sie bekennt sich so zu einem Teil ihrer Geschichte.

Leider haben andere Orte solche Abschnitte ihrer Stadtgeschichte schlichtweg „vergessen" und gehen nicht einmal mit einer Bemerkung darauf ein. Als korrekt oder ehrlich, geschweige denn historisch anspruchsvoll, kann man das wohl kaum bewerten. Das erscheint zu Beginn des neuen Jahrtausends umso merkwürdiger, da ja diejenigen, die darüber zu befinden haben, keine Gelegenheit auslassen zu betonen, dass nur sie heute die Öffentlichkeit objektiv und umfassend informieren.

Man sollte anderen Geschichtslosigkeit nur dann vorwerfen, wenn man sie nicht selbst praktiziert. Bekanntlich wird ja die Geschichte alle vier Jahre neu geschrieben, niedergeschrieben jeweils durch diejenigen, welche dafür die Möglichkeiten, man kann auch sagen die Macht besitzen.

Es scheint daher nicht unbegründet zu sein zu glauben, man könnte das Vergessen über diesen Teil der Geschichte durch eine „biologischen Lösung" herbeiführen. Es gilt nur, lange genug den Mantel des Schweigens darüber zu decken und flugs entsteht subjektiv eine neue „Objektivität“ in der Geschichtsdarstellung!

Dazu ein konkretes Beispiel aus Hagenow.

Die Stadt Hagenow, einst eine Garnisonsstadt der Nationalen Volksarmee, in den Jahren 1981 bis 1990 u. a. das Pionierbataillon 8 beherbergend, entwickelte sich gerade in dieser Zeit enorm und profitierte auch von den Soldaten.

Die heutige geschichtliche Übersicht im Internet für genau diese Zeit, bot dazu jedoch nur gähnende Leere, stattdessen: "1980: Hagenow zählt ca. 15.000 Einwohner; 1991 1. Hagenower Altstadtfest"

Nach der Wertigkeit dieser Eintragungen müsste das erste Altstadtfest 1991 also ein Ereignis von geschichtlicher Bedeutung gewesen sein!!!

In der Seite des Stadtmuseums fand man dann auch nur den einzigen „prägenden" Satz: „Eine inszenierte Soldatenstube sowie Bild- und Textdokumente zur Soldatenkultur bei der NVA vermitteln eine Facette des DDR-Alltags.“

Wie gewaltig!

Das jedoch kann höchstens einer der unzähligen Punkte einer Facette sein, niemals aber die Facette selbst und schon gar nicht der Stein, der sie trägt!

Entstehung und erste Entwicklung der Pioniereinheiten

Die Pioniereinheiten der 8. Motorisierten Schützen-Division und ihre Standorte entwickelten sich aus den Anfang der 50-er Jahre neuformierten Pionierkräften der Deutschen Volkspolizei mit ihrer Hauptverwaltung Ausbildung (DVP/HVA) und später der Kasernierten Volkspolizei (KVP).

Die Pioniertruppenteile (ab Pionierbataillon aufwärts) erhielten nach Beginn ihrer Aufstellung in den 50-er bis zu Beginn der 60-er Jahre zwar vorrangig, jedoch erst nach und nach ihre Ausstattung mit Pioniertechnik und -ausrüstung.

Die Truppenpioniereinheiten (Pioniergruppen, -züge, -kompanien in den Truppenteilen der Waffengattungen) hingegen besaßen zu der Zeit kaum Großtechnik, allenfalls Kraftfahrzeuge und vielfach mangelte es auch an anderer Ausrüstung.

Die nachfolgend vorgenommenen Untergliederungen zum PiB-8, den Truppenpioniereinheiten der 8. MSD und anderer Pionierbereichen, dienen daher nur der Übersichtlichkeit und stellen keinerlei Wertung dar. Beabsichtigt ist das Gegenteil, denn es sollte keiner vergessen werden.

 

Garnisonen der 8. MSD, in denen sich Pioniere befanden, kurz im Überblick:

Pionierbataillon 8 (und seine Vorläufer):

von 1952 bis 1964 im Standort Prora

von 1964 bis 1981 im Standort Goldberg (Jellen)

von 1981 bis 1990 im Standort Hagenow

 

Pionierkompanien und -züge (das wechselte zwischenzeitlich):

Motorisiertes Schützen-Regiment 27: durchgehend im Standort Schwerin-Stern Buchholz

Motorisiertes Schützen-Regiment 28: durchgehend Standort Rostock

Motorisiertes Schützen-Regiment 29: bis 1980 im Standort Prora, von 1980 bis 1990 im Standort Hagenow

 

Panzerregiment 8: bis 1964 im Standort Prora, von 1964 bis 1990 im Standort Goldberg (Jellen)

 

andere Pionierkräfte:

Die Unterabteilung Pionierwesen der 8. Motorisierten Schützendivision: durchgehend im Standort Schwerin

Das Divisionspionierlager (Bestandteil des Divisionslagers 8, später als Einheit zum Bataillon Materielle Sicherstellung 8 gehörend): 1967 bis 1990 im Standort Karow

Der Pionierinstandsetzungszug im Instandsetzungsbataillon 8: 1981 bis 1990 im Standort Schwerin- Stern Buchholz

 

Einzelne Pioniere befanden sich im Artillerieregiment 8, im Fla-Raketenregiment 8 und im Aufklärungsbataillon 8.

Die Garnison Prora

Prora in den 50-er Jahren

Prora gehörte bereits damals als Ortsteil zum Ostseebad Binz.

Mitte der 50-er Jahre und unmittelbar nach Gründung der NVA war die Masse der 8. MSD und ihrer Vorläuferin, also auch ihrer Pioniere, in der Garnison Prora, diesem Großstandort auf der Insel Rügen stationiert.

Prora beeindruckte zunächst erst einmal jeden Neuankömmling durch die Größe seiner Anlage. Insbesondere die großen Bauten regten fast alle zu mancherlei Gedanken an. Bei den Blöcken von Prora, die sich einige Kilometer an den Strand vor der Prorer Wiek - der Ostseebucht zwischen Sassnitz und Binz - anlehnen, handelt es sich um Stahlbetonskelettbauten in sechs Etagen mit Ziegelausmauerung, was man unschwer an der Farbe in einem nachfolgenden Bild sowie mit absoluter Sicherheit vor Ort erkennen kann und nicht wie oft behauptet wird, um massive Stahlbetonbauten.

Diese Ziegelaußenwände von Proras jeweils fast 500 Meter langen Blöcken hat man, wie das bei gemauerten Bauwerken solcher Art in Deutschland seit langem üblich ist, auch (allerdings erst nach und nach und letztlich nicht vollständig) mit entsprechendem Kalkmörtel verputzt. Das lässt sich leicht nachprüfen. Daraus jedoch zwangsläufig abzuleiten, dass die Blöcke nun massive Betonbauten sein sollen, kann ab und an einem Laien unbewusst passieren. Nicht zu verstehen ist, dass wider besseres Wissen und Sehen bestimmte Kreise jahrelang das ständig wiederholen.

Mit Gewissheit ist die Anlage Prora in seiner Form und Größe eine Ansammlung kolossaler und uniformer Bauwerke. Doch das ist ein Attribut, was sich manch anderer Bau von gestern und heute bzw. die eine oder andere städtische „Skyline" schon lange verdient haben. Dass folglich Proras gewaltige Anlage immer einmal Gegenstand mehr oder weniger tief schürfender Gedanken von Menschen, vor allem aber der Medien ist, kann man daher verstehen.

Die Großbauten von Prora befinden sich dafür jedoch an einem der schönsten Strände der Insel Rügen, obendrein eingebettet in eine einmalig wunderbare Umgebung. So kann man beispielsweise die Feuersteinfelder in der Steinheide nördlich von Prora wahrhaftig als einzigartig bezeichnen. Was darüber hinaus davor, dahinter oder daneben liegt, gehört ebenfalls und mit Sicherheit nicht zu dem, was als unschön zu erkennen ist. Proras immer unansehnlicher werdende Bauten ansehnlicher zu gestalten, das verhindert ja kein Naturgesetz! Professor Colani könnte dies sicher schon mit einigen Zeichenstrichen andeuten.

Hinzu kommt, dass der die Bauten von Prora see- und landwärts einschließende Küstenwald bereits eine solche Wuchshöhe erreicht hat, die die Sicht zu den Großblöcken behindert, somit sich auch das kolossale Bild früherer Jahre mehr und mehr den Blicken entzieht. Mit gezielten Baumpflanzungen zwischen den einzelnen Bauten könnten weitere „Insellösungen“ entstehen und dieses Bild noch verstärken.

Prora im Kartenausschnitt

 

Erläuterungen zum Kartenausschnitt von Prora:

A: Block I:

Nach 1945, wahrscheinlich 1948/49 von der sowjetischen Armee gesprengt, aber nicht beräumt. Es ist nicht bekannt, auf welche Art und Weise die Sprengung erfolgte. Möglicherweise verwendete man nicht nur den Sprengstoff in der üblichen Form und seinen Einsatz nicht auf der Basis gültiger Ladungsberechnungen, sondern nutzte gleichzeitig andere, zur Vernichtung bestimmte, sprengstoffgefüllte Munition wie Minen, Granaten usw., frei nach der Formel: „Pi x Daumen“, um diese mit zu vernichten.

 

B: Block II:

Er stand lange als Rohbau, wurde nach und nach zur Materialquelle und dann zur Ruine (siehe den Kommentar zum nachfolgenden Bild);

 

C: zeitweilige Standorte des Pionierbataillons 8 (und seiner Vorläufer): Die Flachbauten in der Mittelstraße und der Block III;

 

D: Block IV: bis 1964 Standort des Panzerregimentes 8, danach des Mot.-Schützenregimentes 29 (siehe nachfolgendes Bild);

 

E: Die „Kaimauer" im Zentrum von Prora (siehe nachfolgendes Bild);

 

F: Die „Festhalle"; eine Riesenhalle, die man in eine Sport- sowie in eine noch immer sehr große Veranstaltungshalle teilte;

 

G: Block V: bis 1967 Standort des Artillerieregimentes 16;

 

H: Block VI: bis 1980 Standort des Mot.-Schützenregimentes 29;

 

I: Block VII: Das Erholungsheim „Walter Ulbricht". Zeitweilig befand sich im linken Aufgang der Divisions-Med-Punkt / das Sanitätsbataillon 8 (siehe nachfolgendes Bild);

 

K: Erster Standort des Parkes für die Technik des Pionierbataillons 8. Etwas westlich davon unterhielt das Pionierbataillon auch ein kleines Sprengstofflager sowie südwestlich vom Park am nördlichen Fuß der Halbinsel Buhlitz einen Wasserübungsplatz.

 

Der Block VIII fehlt vollkommen. Man sprengte ihn 1948/49 und beseitigte den Bruch. Überreste von den angefangenen Fundamenten fanden sich zu damaliger Zeit jedoch im Wald, in Verlängerung des Blockes VII.

Nach dem Verlassen von Prora’s Anlagen durch die Truppenteile der 8. MSD bezogen sie andere Kräfte der NVA, beispielsweise die Militärtechnische Schule „Erich Habersath“ und die Offiziershochschule „Otto Winzer“.

 

Heute beziffert man oft nur die noch stehenden Bauten als Block I bis V, dann und wann auch in umgekehrter Richtung beginnend.

 

Über die Bauweise, die Reste und zerstörten Teile von Prora äußern sich jedoch sehr oft selbst ernannte Fachleute. Permanent werden dabei auch Legenden gestrickt bzw. kritiklos nachgebetet. Auf den Block II im Bild trifft der Text aus der Ostseezeitung jedenfalls mit Sicherheit nicht zu.

Ausschnitt aus der Ostseezeitung vom 28.08.1998

 

Ein Teil vom Block II mit einem der gesprengten Querblöcke

 

Die Seitenflügel dieses Rohbaus fielen einzig und allein Ende der 50-er Jahre nur deshalb und gerade auf diese Art und Weise der Sprengung zum Opfer, damit man die Ziegelsteine gewinnen konnte. Man brauchte sie als Material für das Packlager bei der Befestigung von Marschwegen im weichen Untergrund des Ausbildungsgeländes auf der Halbinsel Thiessow am Kleinen Jasmunder Bodden. Eine totale Zerstörung solch eines Gebäudes durch Sprengen dürfte außerdem schon damals für einen im Sprengdienst versierten Pionier kein besonderes Problem darstellt haben. So etwas ist immer nur eine Frage der Ladungsberechnung an den tragenden Teilen. Auf das Kommando: „Zünden!" wäre dann alles zusammengefallen, genau wie es schon im Bild oben für den genannten Zweck ersichtlich ist: 51-er Mauerwerk; Reihenladung 4 kg TNT pro Meter, frei angebracht, verdämmt.

Wer Gelegenheit erhielt, Prora einmal bei Sonnenaufgang weit von See aus zu Gesicht zu bekommen, behielt diesen Anblick durchaus als wunderschön in seiner Erinnerung. Dass es stattdessen immer mehr verkommt und seine volle Nutzung behindert wird, hat sicherlich seine Gründe bei denen, die dies bisher so wollten. Berichterstattungen in Medien nach der Methode: „steter Tropfen höhlt den Stein", tragen sicherlich auch einiges dazu bei. So entsteht dabei manchmal schon der Eindruck ideologisch geprägter Borniertheit bzw. billiger Sensationshascherei.

Wie ersichtlich, umfasste die Garnison von Prora damals ein sehr weitläufiges Terrain. Es besaß zwei Bahnstationen. An der Strecke von Binz bis nach Lietzow, dem Umsteigepunkt in Richtung Bergen oder Sassnitz, lagen der Haltepunkt Prora Ost und der Bahnhof Prora, selbstverständlich mit Verladerampe für Militärtransporte und Gleisanschluss, zum Beispiel für das ZVM, das Zentrale Versorgungsmagazin des Standortes. So wie im Bild unten sahen prinzipiell alle bezogenen Blöcke in Prora aus, wobei jedoch der Block IV des PR-8 erst Ende der 50-er Jahre einen Außenputz erhielt und der sich nördlich anschließende Block III zunächst überhaupt nicht. Bis dahin drang der Wind, oft zusammen mit Regenwasser und im Winter mit Schnee vermischt, noch durch Fugen und zentimeterbreite Ritzen um die Fensterrahmen. Die Fenster hatte man lediglich befestigt, jedoch nicht zum Mauerwerk hin abgedichtet.

Die alten „Rüganer“ meinten schon immer, Rügens eigener Wettergott beschert der Insel im Jahr 300 Tage Wind und 65 Tage Sturm! Im Winter tat der Frost jeweils ein Übriges, so auch 1956. Da gefror der Boden mehr als einen Meter tief und die Straße nach Bergen, von meterhohen Wehen versperrt, ließ keine Fahrzeuge mehr durch. Bei dieser Kälte gaben die Heizkörper in den Unterkünften nur ein lauwarmes Lüftchen ab. Auf den Fensterbrettern stehende Flüssigkeiten froren zu Eis. Statt Mauerwerksputz bildete Knüllpapier eine notdürftige Dichtung um die Fensterrahmen herum, allerdings nur, solange es trocken blieb. Es war jedenfalls in allen diesen Unterkünften bis in die zweite Hälfte der 50-er Jahre mehr als ungemütlich, ganz besonders in den oberen Etagen. Da half weder die schöne Aussicht auf die Ostsee von Sassnitz bis Binz noch auf den schönsten Strand der Insel direkt vor dem Fenster.

Teile des Blockes IV (C-Kommando / Panzerregiment-8) Ende der 50-er Jahre, fast einen halben Kilometer lang und kammartig mit zehn Querblöcken verbunden.

 

An der Prorer Wiek lag kilometerlang ein breiter Sandstrand, von Mukran bis nach Binz (hier zwischen Prora und Mukran), damals im Hochsommer noch menschenleer!

 

Der Blick entlang von Proras Seeseite bis nach Binz. Im Hintergrund die Anhöhe der „Granitz“ mit ihren alten Buchenwäldern. Vom Turm des Jagdschlosses Granitz konnte man fast die ganze Insel überblicken.

 

Die Halbinsel Jasmund mit Sassnitz, darüber die Kreidebrüche von Klementelvitz sowie rechts die Kreidefelsenküste der Wissower Klinken

 

Ein Blick über die Prorer Wiek im Sommer tat den Augen gut, zeigte sich die See doch meist von der angenehmen, der urlaubsfreundlichen Seite. Doch diesen Gefallen tat sie den „Proranern“, „Rüganern“ und Insulanern auf Zeit nicht die gesamte Zeit des Jahres.

Gab es Sturm statt Sonnenschein, zeigte die Prorer Wiek ihr anders Gesicht.

 

Bei starkem Sturm aus östlicher Richtung wirkte die Prorer Wiek wie ein Trichter und füllte sich entsprechend. Der Wasserstand stieg an und erreichte die Dünen. Die Wellen schlugen oftmals so hart an die steile Kaimauer (oben), dass sie hoch über diese und weit mehr als 50 Meter landeinwärts spritzten. Bildete sich bei lang anhaltendem Frost auch noch Eis, türmte sich dieses am Strand manches Mal meterhoch auf.

Wen man also zu grauer Herbstzeit aus dem Süden der DDR an die unwirtliche See versetzte, der wollte natürlich gerne wieder zurück. Ein Versetzungsgesuch besaß indes von vornherein etwas Anrüchiges, gleichermaßen als ob jemand eine geregelte Dienstzeit beansprucht hätte. Davon konnte zu der Zeit in keiner Weise die Rede sein. Versetzungsgesuche, wenn sie denn der Kommandeur des Truppenteils überhaupt entgegennahm, schlugen in den meisten Fällen fehl.

 

Einen Spruch konnte man damals allerorten und jederzeit hören:

„Drei Worte genügen - runter von Rügen!"

 

Die gängigste Abwechslung in Prora bot der Ausgang, vor allem natürlich nach Binz. Ganz wichtig: Damals gab es viele Gaststätten im Ort. „Goldener Löwe", „Dünenhaus", „Strandcafé", „Strandrestaurant", „Esplanade", „Vineta", „Veritas" und wie sie noch alle hießen, bildeten die vorrangigen Zielpunkte der Ausgänger. Insbesondere an der Strandpromenade befand sich damals Kneipe an Kneipe.

Das Kurhaus von Binz in dieser Zeit. Den Steg vor dem Kurhaus vom Strand in die Ostsee holten sich in der Folgezeit bald Sturm und Eisgang

 

Als man das Kurhaus von Binz zunächst zum „Haus der Offiziere" und etwas später zum „Haus der Armee" umfunktionierte, konnte man seinen Ausgang etwas kulturvoller nutzen. Gaststätte, Café, Kino, Billard u. a. m. standen zur Verfügung. Leider übernahm dieses Haus bald darauf das Reisebüro der DDR und für den öffentlichen Verkehr blieb nur noch das schöne Café zugänglich.

Manch einer blieb auch im Ausgang in Dienststellennähe, denn wenn die Truppenverpflegung auch nicht üppig ausfiel, sie war immer gesichert. Das galt besonders kurz vor dem „19.“, dem Zahltag. Da litten die Geldbörsen oft an Schwindsucht. All das, was die Kneipen im Ausgang an Essen und Trinken anboten, bekam man übrigens auch in der Kasernengaststätte. Alkoholverbot blieb längere Zeit ein noch unbekanntes Wort in den Kasernen.

Außerhalb der Kasernenmauern lag die Gaststätte „Zur Prora". Diesen Namen kannte kaum einer. Allenthalben nannte man sie nur die „Bremse". Warum sie diesen Namen er- und behielt? Keine Ahnung!

In den Läden sowie in den Gaststätten benötigte man in der Regel zusätzlich zum Preis der Ware die Abschnitte von Lebensmittelkarten. Diese erhielten jedoch nur die Urlauber in Form von Reisemarken, verbunden mit der Auszahlung des Verpflegungsgeldes, das jedoch erst am Zahltag. Der Tagessatz in den 50-er Jahren betrug so weit erinnerlich 1,10 Mark. So blieb anfangs nur das markenfreie „Wahlessen": Spiegel- oder Rührei mit Brot bzw. mit Mayonnaisensalat (Kartoffelscheiben mit Mayonnaise). Also begnügte man sich im Ausgang vorrangig mit „flüssigem Brot". Schnaps und Bier kosteten nicht viel und die Gastwirte freute es. Die monatlichen Dienstbezüge füllten den Geldbeutel allerdings nur begrenzt, eher schmal und somit schwankten auch diese Ausgaben. Wenn der Pionier nach der monatlichen Auszahlung seiner Bezüge das Vorhandene schnell mit vollen Händen zum „vollen Körper“ wandelte, hatte er vor dem „19.“ mehr oder weniger mit Brause vorliebzunehmen.

Die gewaltige Garnison Prora benötigte verständlicherweise bereits in ihrer frühen Existenz viel Nachschub, sowohl bei materiellen Dingen als auch an Personal. Das geschah vor allem mittels Werbung oder aber durch Versetzung aus anderen Dienststellen sowie von den Lehranstalten der Kasernierten Volkspolizei (KVP).

Versetzungen nach Prora geschahen damals insbesondere nach Absolvierung einer Offiziersschule ungefragt und ohne die persönliche Zustimmung des „Versetzungskandidaten“. Versetzung, das bedeutete in einer Vielzahl von Fällen nur: „Aufsitzen!" und nach einer Fahrt auf unbekannten Routen irgendwann: „Absitzen!"

So verhielt es sich auch im Oktober 1955, als die Absolventen der Offiziersschulen der Kasernierten Volkspolizei bei der Zwischenübernachtung im Stab der Territorialverwaltung Nord in Pasewalk erstmals erfuhren, in welche Dienststelle ihr Weg am nächsten Tag führen würde. Bis dahin kannten sie als Ziel der Versetzung nur: die TV Nord!

Die Kreisstadt Bergen

Bergen befindet sich ca. 11 bis 13 Straßenkilometer bzw. 18 bis 20 Eisenbahnkilometer von Prora entfernt und bot sich ebenfalls für den Ausgang an, da es zum „Standortbereich“ zählte. Der Weg dahin war allerdings etwas umständlich. Die Stadt besaß eigentlich nur zwei größere Tanzgaststätten, am Wochenende abends die wesentlichen Ziele von Ausgängern. Das jedoch schreckte keinen der Soldaten ab.

Nach Bergen gelangte man am besten mit der Eisenbahn. Busse fuhren selten. Die Bahnfahrt nach Bergen erforderte das Umsteigen in Lietzow.

Als Stadt präsentierte sich Bergen damals nicht besonders reizvoll. Eine der wenigen Sehenswürdigkeiten, der „Ernst-Moritz-Arndt-Turm“, befand und befindet sich auf dem „Rugard", einer Anhöhe am Rande der Stadt.

Vom „Ernst-Moritz-Arndt-Turm“ auf dem Rugard konnte man weit über große Teile der Insel Rügen blicken.

 

Obwohl Bergen und Lietzow nur eine Bahnstation auseinander lagen, bekam bei der Rückfahrt so manch ein Ausgänger seine Probleme, falls er gegen Mitternacht leicht angeschlagen allein im Abteil einnickte, ihn an der Endstation in Saßnitz die Schaffnerin weckte und bei der Fahrkartenkontrolle Nachzahlung verlangte.

Der nächste Zug zurück fuhr erst am Morgen. Zum Laufen war der Weg für einen müden Wanderer mehr als weit. Ein Taxi bekam man entweder gar nicht und falls doch, dann reichte meistens das Geld dafür nicht mehr aus. Ja, für manchen gab es obendrein zusätzlichen Ärger wegen der Überschreitung der Ausgangszeit.

Militärstreifen bekamen zu der Zeit auch eine Menge zu tun, um die Ordnung in diesen Orten nicht allzu sehr durch angetrunkene oder anderweitig übermütige Ausgänger beeinträchtigen zu lassen. Wer es dennoch darauf ankommen ließ, den nahm die Streife ggf. kostenlos auf ihrem Streifenfahrzeug, einem LKW, mit nach Prora zurück, dann allerdings verbunden mit einem Zwischenaufenthalt. Den gab es in der „Kartause von Prora" (benannt in Anlehnung an den Film „Die Kartause von Parma", der damals eine Zeit lang die Leinwand beherrschte). Es handelte sich hierbei um die Standortarrestanstalt von Prora mit dem „Kartausenvater" als Leiter, der damals sogar das Recht besaß, besonders Uneinsichtigen die Zeit in diesem Etablissement durch Aussprechen von Arreststrafen zu verlängern. Er soll auch eine große Fantasie besessen haben, seinen Schützlingen die Zeit in dieser „Kartause“ mit ausreichend Beschäftigung zu „versüßen“ und sie nicht als Müßiggang oder Abenteuerurlaub erscheinen zu lassen. Kohleschleppen zählte wahrscheinlich dazu, denn alle Öfen, Herde und die Zentralheizung konnte man nur damit beheizen und der Bedarf danach bestand immer.

Manch einer, der einmal eine Arreststrafe erhalten hatte und vorher meinte, dass er die paar Tage auf einer A...-Backe absitzen würde, kehrte zurück mit der Bemerkung: „Dorthin gehe ich bestimmt nicht mehr!" Das nennt man wohl unfreiwillige Läuterung!

Ja, so war es nun einmal in dieser seltsamen Zeit bei den Soldaten.

Die höhere, begehrteste Stufe der erlaubten Abwesenheit von der Truppe hieß Urlaub. Den erforderlichen „Schein der Scheine“ bzw. den „schönsten aller Scheine“, den Urlaubschein, erhielt man jedoch nicht allzu oft.

Bei großer Entfernung zum Heimatort lohnte sich zudem für sehr viele „Proraner“ kaum ein Kurzurlaub, da die damals extrem langen Fahrzeiten der Bahn das verhinderten. Eine Fahrt von Prora nach Dresden dauerte z. B. ca. 20 Stunden. Man konnte obendrein bald nicht mehr die kürzeste Bahnstrecke benutzen, sondern hatte den Weg über Schwerin-Magdeburg und Leipzig zu nehmen, nachdem die wesentlich kürzere Verbindung, die Berlin-Durchfahrt, nur mit der sogenannten „Berlin-Genehmigung“ möglich war, die zu erhalten eine absolute Ausnahme blieb. Bahnfahrten bei diesen Entfernungen erwiesen sich alles andere als komfortabel. Die von Dampflokomotiven gezogenen Züge waren meistens übervoll. Es kam vor, dass man auf der gesamten Strecke - hatte man einen Sitzplatz ergattert - so im Abteil durch die Stehenden eingepfercht war, dass auch ein Toilettenbesuch sich zur Unmöglichkeit entwickelte. Jeder Schienenstoß - die Gleise besaßen noch alle paar Meter eine Verschraubung und waren während des Krieges erheblich abgenutzt - ließ ratternd auf unangenehme Weise sein monotones Lied erklingen, begleitet von permanenten Stößen in die Sitzflächen. Die eigenen Rippen mussten dafür als spezielles Empfangsorgan herhalten. Das ständige Rattern empfand gewiss keiner als rhythmisch oder als eine besonders gelungene Form musikalischer Unterhaltung.

Prora und Rügen sind also für jeden, der damals dort längere Zeit diente, mit den vielgestaltigsten Erinnerungen verbunden. Mit Hilfe der Zeit und damaliger Mobilität lernte man dann aber Rügen näher kennen, sogar langsam lieben, obgleich anfangs die meisten Berufssoldaten nicht einmal ein Fahrrad besaßen.

Prora und Rügen

Die Normalspurbahn führte nach Bergen, Saßnitz und Stralsund. Die Kleinbahn, der „Rasende Roland“, sorgte dafür, nach Puttbus ins Theater zu kommen sowie Sellin, Baabe und Göhren zu erreichen. Zunächst bildeten also fast nur die Eisenbahn und Schusters Rappen die Voraussetzung für entsprechende Ortsveränderungen der Ausgänger. Nach und nach nahm, soweit durch den einzelnen – meistens per Sparvertrag – also „auf Stottern“ erworben, vor allem das Motorrad etwas von diesem Platz ein. Eine AWO, ES, BK oder MZ etc. zu besitzen, das bedeutete damals schon etwas. Einen privaten Pkw besaß damals keiner.

Der „Rasende Roland“

 

„Ausgänger“ beim Erkunden der Insel

 

Zeitweilig bestand sogar die Möglichkeit, mit der „SASSNITZ", der neuen Eisenbahnfähre, vom Fährhafen Saßnitz aus eine Tagestour bis in den Hafen von Trelleborg in Schweden zu unternehmen.

Allerdings konnte man nicht von Bord gehen. Ein Erlebnis blieb es dennoch.

Im Hafen von Trelleborg

Wer hatte so etwas vorher überhaupt erlebt? Selbst echte Seekranke sah man an der Reling, für die meisten nicht so ganz erklärbar bei der in diesem Fall platten See. An Bord der Eisenbahnfähre ging es zollfrei zu. Alles war vergleichsweise spottbillig. Die obige Rechnung umfasste ein ausgiebiges Essen mitsamt den Getränken. Das nutzte jeder, schon der Einmaligkeit wegen. Bestimmte Waren konnte der einzelne Passagier jedoch nur in begrenzten Mengen nach den ausgegebenen Coupons erwerben. So ergab es sich von selbst: Die Raucher und die Nichtraucher tauschten als erste ihre personengebundenen Kontingente an Schokolade und Zigaretten.

Jahrzehnte danach konnte man Ähnliches bei einer Butterfahrt feststellen. Der Unterschied: Art und Mengen der Waren besaßen jetzt einen größeren Umfang und sie verführten einzelne zum speziellen Handel. Die Profibutterfahrer nahmen den an Bord ausgehandelten Warentausch aber erst an Land mit Verlassen des Zollgrenzbezirkes vor.

Fahrer von Reisebussen berichteten von überraschenden Stoppsignalen der Zollkontrollgruppen selbst auf der Autobahn, mit dem Effekt für die „Schnelltauscher“: Waren weg und obendrein Zoll und Strafe zahlen. Wie unschön!

 

Bei der langsam wachsenden Liebe zur Insel und ihren Schönheiten, unter denen sich die eine oder andere recht lebendige befand, begegnete dabei nicht nur einigen Pionieren während ihrer Dienstzeit in Prora die Liebe auf Rügen auch persönlich. Manch einer, der mit seiner Ankunft auf Rügen zunächst nur den einen Herzenswunsch verband: „Bloß schnell und weit weg von hier!“, der ist entweder noch heute ein festverwurzelter „Rüganer" oder aber er entführte mit seiner Versetzung an einen neuen Dienstort der Insel eine ihrer heiratsfähigen Töchter. Als es bei den Inselschönen im Verlaufe der Zeit und infolge des großen Ansturmes der Soldaten auf sie zu „Engpässen“ kam, schafften die Umstände Ersatz. In diesem Fall erfolgte das nicht durch befohlene Versetzungen. Ausreichend Nachschub floss mit dem ständig steigenden Urlauberstrom zur Insel, sowohl unter den Feriengästen als auch bei denen, die es zunächst nur zur Saisonarbeit an die See zog.

Na ja, dabei noch für Nachwuchs an neuen „Fischköppen“ zu sorgen, das brauchte niemand zu beeinflussen. Es folgte selbstverständlich von ganz allein.

So ergab sich für sehr viele ganz individuell die Erkenntnis über Deutschlands größte und schönste Insel, denn an Schönheiten hatte Rügen seit langen Zeiten viel zu bieten. Es war schon immer der besondere Reiz dieser Insel an sich. Es faszinierte ihre besondere Gestalt, die oft merkwürdige Unterschiedlichkeit ihrer Halbinseln und nicht zuletzt, wie variantenreich sich diese in die sie umgebende See einbetteten, welche Ufer und hellen Strände da zwischen ihren Grenzen ausbildeten.

Dazu gesellte sich der Kontrast der vielgestaltigen natürlichen Gegebenheiten, sowohl untereinander aber genauso zu alldem, was Menschenwerk bisher darin an Spuren hinterlassen hatte. Erscheinungen, die man anderswo überhaupt nicht kannte, wirkten auf dieser Insel gar exotisch. Wo anders im Land besaßen Felsen ein schneeweißes Aussehen? Wo existierten noch Feuersteinfelder? Bernstein und „Hühnergötter“ am Strand zu finden, ganz abgesehen von Muscheln und anderem Strandgut, erwies sich bei den damals leeren Stränden als nicht besonders schwer. Außerhalb der militärischen Liegenschaften gab es kaum Behinderungen wie heutzutage, weder durch gesperrte Straßen und Wege, noch durch eventuelle Eintrittspreise. Man konnte überall hin und entdeckte so manche schöne Ecke. Die „Landratten“ sahen erstmals große Schiffe im Hafen und auf See, Bilder, die auf so manchen einen nachhaltigen Eindruck ausübten.

Bis sich die Erkenntnis festigte, Rügen nicht mehr automatisch mit der Garnison von Prora gleichzusetzen, bedurfte es schon einiges an Zeit. Diese besaßen zwangsläufig vor allem diejenigen, die dienstlich länger an Prora gebunden bleiben mussten, die Berufssoldaten und „Längerverpflichteten“.

Weitere Voraussetzungen zur langsamen Erkundung der Insel, wie eigene Transportfahrzeuge bzw. die öffentlichen Verkehrsmittel, konnten ebenfalls erst langsam erworben bzw. erst dann benutzt werden, als sie zur Verfügung standen.

Viele der Sehenswürdigkeiten der Insel Rügen, welche die meisten jungen Menschen vor 1945 und noch einige Zeit danach kaum dem Namen nach geschweige denn persönlich kannten, sind heutzutage für viele selbstverständlich und sie bilden die Markenzeichen dieser großen und schönen Insel, allen vorangestellt der Königsstuhl.

Der Königsstuhl an der Kreidefelsenküste auf der Halbinsel Jasmund (im Bild aus dieser Zeit), ist das wohl bekannteste und auch imposanteste Wahrzeichen Rügens.

 

Er lag in den 50-er Jahren meist recht einsam und verlassen. Seine Erreichbarkeit verband sich mit einigen Hindernissen. Der Gaststätte gleich dahinter im Wald erging es nicht viel anders, ebenso dem sagenumwobenen Herthasee, der lange Zeiten nur ruhig vor sich hin träumen durfte, bis die Heerscharen der Urlauber dem ein Ende setzten.

So sah die damalige Seebrücke von Sellin aus, ebenfalls eines der Wahrzeichen Rügens, welche heute eine etwas andere Gestalt aufweist (unten)

 

Das Ostseebad Göhren, als schönes Ausgangsziel am weitesten von Prora entfernt, bildete wie Sellin vor allem im Sommer einen Sonntagszielort für einige Ausgänger.

 

Die Strandpromenade von Göhren zu damaliger Zeit

 

Auch zur Winterszeit konnte die Insel reizvoll sein, sofern Petrus mitspielte. Klarer Himmel färbte die See im Winter oft fast schwarz. Die saubere Luft ließ die UV-Strahlen stark wirken. Ein Bild, fast unwirklich und im Sommer nicht zu erleben.

Prora heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts

ist für viele Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen von Interesse. Für manche ist es insbesondere Militär- aber auch eine ganz eigene persönliche Geschichte.

Das NVA-Museum in Prora bietet sich geradezu an, eigene Erinnerungen aufzufrischen. Für Interessierte ist es in diesem Zusammenhang recht empfehlenswert. Überwiegend findet man sachliche Informationen über diesen Standort und seine Entwicklung. Allerdings kann man den einen oder anderen fachlichen Fehler sowie Lücken in der Darstellung entdecken, was aber die Gesamtwertung nur unwesentlich beeinträchtigt. Den Betreibern gebührt auf alle Fälle der Dank derer, für die Prora mit einem Stück ihres persönlichen Lebenslaufes verbunden ist. Leider ist der Bestand dieser Einrichtung genauso ungewiss, wie das Schicksal der Anlage von Prora insgesamt.

Proras Bauten stehen seit vielen Jahren so gut wie leer. Der Standort könnte jedoch eine Menge Positives ermöglichen. Dass es geht, zeigte z. B. im Sommer 2003 die große und erfolgreiche Jugendveranstaltung „Prora 03". Sogar eine Menge Promis eilten da flugs zur Selbstdarstellung herbei. Bei der täglichen Berichterstattung im Fernsehen (N3) erschien es allerdings jedes Mal Kennern von Prora geradezu absurd, wenn der Reporter, dazu ausgerechnet mit einem Teil von Proras unverputzten Ziegelmauern im Hintergrund, sich fast regelmäßig auch über diese „Betonkolosse" ausließ!

Die „Schweriner Volkszeitung" vom 20. August 2003 schlug in die gleiche Kerbe. So betitelte sie ihren Bericht zu dieser Veranstaltung in großen Lettern mit: „Geschichte in Beton gegossen" und darin heißt es nochmals „... an dem groben Betonklotz ..."! Diese (Unein)-Sicht setzte sich im Juli 2005 in Vorbereitung auf „Prora-06“ fort!

In anderen Regionen haben sicherlich auch weitere dieser Medien Ähnliches berichtet. Bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit geht es auch zwischenzeitlich auf gleichem Niveau weiter!

Wer soll das denn überhaupt noch verstehen?

Wie sieht eventuell der Umkehrschluss aus?

Anderen Ortes gibt es manche Kaserne oder andere bauliche Anlagen, bei denen einige ihrer Bauwerke sogar aus Beton bestehen, die aber zur optischen Tarnung bzw. wegen der farblichen Gestaltung einen grünen Anstrich erhielten. Berechtigterweise erhebt sich da doch die Frage ob nun die grün getünchten Bauwerke als „Ökobauten" einzustufen sind??? Was ist gar mit weiteren Gebäuden, beispielsweise großen Wohnhäusern mit einer roten, grauen bzw. blauen Fassade? Sollen diese künftig weder nach inhaltlichen oder funktionellen Bestimmungen, sondern nach deren Farbgebung klassifiziert werden?

Prora wird daher auch weiterhin eine Menge von Personen beschäftigen, im direkten wie im übertragenen Sinne. Viele Anlässe und Ursachen bleiben, neue kommen hinzu.

Also, was soll's?

Pioniere im Stab der 8. Motorisierten Schützendivision

Schwerin

Der Standort in der Stadt Schwerin, die „Kurt-Bürger-Kaserne“ in der Werderstraße, mit Ausfahrten „Am Güstrower Tor“ sowie in der Walter-Rathenau-Straße (später auch Personen-KDL), beherbergte den Stab der 8. MSD mit der Unterabteilung Pionierwesen

Bei der NVA die „Kurt-Bürger-Kaserne“ in der Werderstraße, jetzt nur noch teilweise zur „Werderkaserne“ gehörend.

Der Block in der Werderstraße gehörte teils zum Stab der 8. MSD (ca. 70 % des obigen Bildausschnittes von rechts nach links). Den anschließenden Teil nutzte das Nachrichtenbataillon 8. Rechts (nur die linke Kante sichtbar) folgte das Gebäude des Wehrbezirkskommandos. Dazwischen lag anfangs die Eingangswache, der KDL (Kontrolldurchlass).

Später verlegte man auch den Personen-KDL zur bereits bestehenden Fahrzeugeinfahrt Walter-Rathenau-Straße. Ihn nutzt heute noch die Bundeswehr.

Front der Werderkaserne in der Walter-Rathenau-Straße