Inhaltsverzeichnis

Widmung
Rechtlicher Hinweis
Prolog
Einleitung
TEIL I: DAS PRAKTIKUM
1. »Lehrjahre sind keine Herrenjahre«
2. Kleidervorschriften und Körperinspektionen
3. Gleiches Recht für alle?
4. Was darf es denn sein? – Die da!
5. Auf die knie! – Sehr gerne!
6. Von Rang und Namen
7. Von Trinkern und Trinkgeldern
8. Von kleinen Schikanen – oder: Ich sehe was, was du nicht siehst
9. »Herr Doktor, im Festsaal fehlen noch Stühle«
10. Worüber man besser schweigt: sexuelle Belästigung
11. Kein Kuchen für das Volk
TEIL II: DIE AUSBILDUNG
1. Concierge I - Nichts ist unmöglich
2. Concierge II - Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen!
3. Roomservice I - Nackte Tatsachen – Bitte stören!
4. Roomservice II - Drogen inklusive: »Darf es sonst noch etwas sein?«
5. Housekeeping - »Abteilung des schreckens«
6. Küche - Kulinarische kuriositäten
7. Marketing - Nichts zu tun – Von den Privilegien einer Höhergestellten
8. Rezeption - Höflicher Dienst nach Schema F
Der Abschied und was bleibt
Danksagung
Copyright

Danksagung

Meine Zeit als Angestellte in einem der größten und bekanntesten Luxushotels des Landes brachte eines mit sich: Ich hatte immer etwas zu erzählen.

Mein Dank gilt daher all denjenigen, die mich über die Jahre hinweg konstant ermutigt haben, diese Geschichten nicht mehr nur zu erzählen, sondern endlich auch aufzuschreiben:

 

Ich danke meinen zwei langjährigen und wichtigsten Wegbegleiterinnen, Nadine und Fiona, für ihre Treue, Loyalität und Freundschaft.

Ich danke Ute für ihre jahrelange familiäre Unterstützung.

Ich danke Michael, Barbara und Philip für ihren wichtigen Anstoß in ein Leben nach der Schule.

Ich danke Roman für viele lustige Erinnerungen und seine hilfreichen Anregungen zum Buch.

I thank my friends Will and Japheth for encouraging me to finish what I started.

Ich danke Martin für seine Ermutigung, Kritik und Unterstützung.

Ich danke Hanna Leitgeb für ihren Zuspruch, ihre Unterstützung und ihre Bereitschaft, auch verrückten Anruferinnen eine Chance zu geben.

Und mein Dank gilt schließlich Hannah Blut und Thomas Schmitz für ihre kompetente Begleitung im Prozess der Buchwerdung.

Der Abschied und was bleibt

Er stand auf der Rolltreppe eines Kaufhauses für Billigkleidung. Im Arm hatte er eine blonde, attraktive und deutlich jüngere Frau, was mich sofort belustigte. Ralf Landeck war immer noch ein Klischee, aber anscheinend sich selbst wenigstens treu geblieben. Alt sah er aus, als er kurze Zeit später an der Kasse ihre Kleidung mit seiner Kreditkarte bezahlte. Er hatte graue Haarsträhnen und eine leicht veränderte Körperhaltung. Seine Bewegungen waren langsamer, und ich zweifelte daran, dass er noch mit dem gleichen Elan Reden halten konnte wie zu Zeiten meines Praktikums im Hotel. Irgendwie wirkte er so harmlos, wie er da in seinem dunkelgrauen Wintermantel stand und immer noch ein vollkommen unpassendes Brillenmodell auf der Nase trug.

Noch heute spüre ich Ralf Landeck gegenüber keinen Groll, ja, ich weiß sogar, dass, wenn ich ihn bei dieser Begegnung angesprochen hätte, er mir wahrscheinlich sogar immer noch sympathisch erschienen wäre. Meine Zeit im Hotel hatte ironischerweise mit ihm begonnen und sie hatte auch weitgehend mit ihm geendet. Nach einigen Jahren im Ausland war er als Manager ins Hotel zurückgekehrt und suchte eine Assistentin. Meine Abschlussprüfung stand da gerade unmittelbar bevor, und sein Angebot war eindeutig. Als ich jedoch die »Besetzungscouch« fürchtete, bekam eine Mitauszubildende den Job, die anscheinend weniger Sorgen hatte.

Ralf Landecks Verhalten kann unter moralischen Gesichtspunkten bewertet und abgelehnt werden, sollte jedoch immer auch im Kontext des Systems des Hotels gesehen werden. Fehler machen alle Menschen, aber im Arbeitsleben machen sie im Umgang mit Kollegen und Untergebenen in erster Linie solche, die ihnen auch ermöglicht werden. Ihr Verhalten gliedert sich immer in eine Unternehmenskultur ein, und diesbezüglich gab es im Hotel keine einheitliche und auf Nachhaltigkeit angelegte Führungspolitik.

Wie bei politisch-ideologischen oder religiösen Systemen wurden wir Mitarbeiter im Hotel in eine Gemeinschaft integriert, deren Grundsätze wir uns einverleiben und schließlich selbst weitertragen sollten. »Wir sind die Champions League«, hatte Ralf Landeck als Bankettleiter so schön gesagt und damit dem Gefühl Ausdruck verliehen, Außenstehenden gegenüber überlegen und einem exklusiven Kreis zugehörig zu sein.

Durch die Identifikation mit der Gruppe und einer gleichzeitigen Angst davor, aus ihr ausgestoßen zu werden, gewann das System Hotel an Stärke und Beständigkeit. Veränderungen und Innovationen der bestehenden Strukturen hätten von den Mitarbeitern vorangetragen werden können, aber wenn mit Druckmitteln wie beispielsweise einer Mitarbeiterrangliste Bedrohungsszenarien in Bezug auf den eigenen Arbeitsplatz erschaffen werden, kann es zu keiner offenen Kritik an den Verhältnissen kommen. So entsteht eine Situation, in der die Entscheider nicht mehr kontrolliert oder zur Verantwortung gezogen werden. Diese Macht konnte im Hotel von Einzelpersonen für ihre Interessen genutzt werden. Eine strenge Hierarchie gepaart mit fragwürdigen Leitsätzen wie »Lehrjahre sind keine Herrenjahre« führte zwangsläufig zu Machtmissbrauch und Ausbeutung, dem wir Betroffenen wenig bis gar nichts entgegenzusetzen hatten. Zu drangsalieren, weil man selbst drangsaliert wurde, ist Ausdruck einer unsozialen Herrscher- und Rachementalität, die ich in den Jahren des Praktikums und meiner Ausbildung viel zu oft erfuhr.

Dass diese spezielle Ausbildung zur Hotelfachfrau kein Spaziergang sein würde, hatte ich von Anfang an gewusst. Wie sehr sie mich für mein Leben prägen und verändern würde, überraschte mich dann aber doch. Die körperlichen Schäden, unter denen ich bis heute leide, meine ich damit nicht einmal. Mit gerade einmal neunzehn Jahren war ich mit vielen Träumen und Hoffnungen in dieses Arbeitsverhältnis gegangen. Die spezielle Aura, der Ruf und die glamouröse Historie des Hotels waren wie ein Versprechen auf ein ebenfalls großartiges, spannendes Arbeitsleben gewesen. Während der ersten Jahre hatte ich mich deshalb an die Vorstellung geklammert, dass nur der Anfang schwer sein würde. Wenn ich jedoch die harten Jobs wie das Putzen, Kellnern oder Kofferschleppen erst einmal hinter mich gebracht hätte, würden die spannenderen, prestigeträchtigeren, die »guten« Jobs folgen. Dieses Denken stellte sich als vollkommen naiv heraus, denn ich hatte ja gar keine Kriterien, anhand derer sich festmachen ließ, was ein »guter« und was ein vermeintlich »schlechter« Job war. Bis dahin hatte ich auch überhaupt nicht darüber nachgedacht, wer die Menschen waren, die in diesen Positionen des Hotels dauerhaft tätig waren. Ich war immer davon ausgegangen, dass in Deutschland jeder als junger Mensch auf der untersten Sprosse einer Karriereleiter anfing und dann durch Leistung mit der Zeit aufstieg.

Im Lauf der Zeit stellte ich jedoch fest, dass an der Spüle überwiegend Afrikaner standen, die Zimmer überwiegend von Russinnen und Südostasiatinnen geputzt und die Koffer überwiegend von Arabern auf die Zimmer geschleppt wurden. Ich stellte fest, dass bestimmte Jobs für Frauen und bestimmte Positionen für Männer vorgesehen waren und dass sich daran auch nicht viel rütteln ließ. Ich stellte fest, dass ein Luxushotel ohne diejenigen, die am wenigsten (zu wenig!) verdienten und deren Leistung trotzdem enorm war, gar nicht bestehen könnte, und dass wiederum Menschen, deren Privatleben nicht zu hundert Prozent in die engen Vorgaben eines alles vereinnahmenden Dienstplans passten, hier ebenso wenig Chancen hatten wie jene, die den geforderten Äußerlichkeiten nicht entsprachen.

Im Hotel trafen jeden Tag beide Extreme, Arm und Reich, aufeinander. Als Servicemitarbeiter in der Fünf-Sterne-Gastronomie lebten wir dafür, den Reichen und Superreichen dieser Welt ein Sorglosleben zu ermöglichen, während viele von uns gleichzeitig so wenig verdienten, dass sie für sich staatliche Unterstützung beantragen konnten.

Natürlich gab es auch im Hotel eine kleine Elite, die privilegiert war und etwas mehr verdiente. Man erkannte sie an der privaten Businesskleidung einerseits und der Tatsache, dass sie im Sitzen arbeiteten, andererseits. Die körperliche und seelische Leistung eines Zimmermädchens, eines Ümit, eines Tellerwäschers, eines Kochs oder einer Wäschereifrau standen in keiner Weise jenen Leistungen nach, die von den Damen und Herren in den prestigeträchtigeren Abteilungen wie der Reservierung, dem Marketing oder dem Rechnungswesen erbracht wurden. Dennoch wurde deren vermeintliche Leistung wesentlich mehr geschätzt und auch deutlich besser bezahlt. Bequemlichkeiten wie Stressfreiheit, geregelte Arbeitszeiten mit freien Wochenenden und Feiertagen, angenehme und regelmäßige Pausenzeiten sowie körperliche Unversehrtheit gehörten zu ihrem Arbeitsalltag. Wenn wir als Auszubildende in unserem letzten Lehrjahr in die Büroabteilungen versetzt wurden, kam es vielen fast so vor, als hätten sie einen sozialen Aufstieg vollzogen, was aber selbstverständlich nicht der Realität entsprach. Denn selbst die vermeintliche Elite des Hotels stand ja lediglich im Dienste des eigentlichen Machthabers im Haus: dem Geld unserer Gäste.

Täglich standen wir als Mitarbeiter des Hotels ihrem immensen Reichtum gegenüber. Die Gefühle, die durch die Konfrontation mit dieser so gravierend anderen Lebensrealität bei uns Angestellten ausgelöst wurden, jedoch lediglich als Sozialneid abzutun, greift zu kurz. Neid würde ja bedeuten, dem anderen seinen Reichtum, seine Besitztümer, sein finanziell sorgloses Leben zu missgönnen. Wir hingegen lebten ja gerade dafür. Das Hotel war unser Lebensmittelpunkt. Sein Credo, die hundertprozentige Erfüllung sämtlicher Gästewünsche, war unsere Religion. Wir verbrachten zehn, zwölf, vierzehn Stunden jeden Tag an diesem nach außen hin abgeschirmten Ort, und alles, was hier drin geschah, wirkte nach einiger Zeit für uns wie Normalität, obwohl es das natürlich in keiner Weise war. Von der Speisekarte über die Gestaltung der Räume hin zu den angebotenen offiziellen und inoffiziellen Serviceleistungen bis zu den täglich ein- und ausgehenden Berühmtheiten war hier gar nichts »normal«. Viele Menschen trauten sich ja nicht einmal an die Tür des Hotels heran, geschweige denn hinein, was ich immer verwundert in privaten Gesprächen außerhalb des Hotels erfuhr.

Dass ich selbst, als ich beispielsweise zum Assessmentcenter hier vorgesprochen hatte, einmal so beeindruckt von der Andersartigkeit dieses Ortes gewesen war, hatte ich spätestens mit Ende des Praktikums vergessen. Während ich als Auszubildende im Drei-Monats-Rhythmus durch die verschiedenen Abteilungen des Hauses wanderte, wurde es wirklich »mein« Hotel. Ich kannte jede Schublade, jede Abkürzung, jedes Zimmer, wusste, wie die Wünsche der Gäste am zügigsten erfüllt werden konnten, und so weiter. So wie es für jeden Bankangestellten vollkommen normal sein muss, täglich Unsummen von Geldern zu verwalten, die nicht seine sind, so war es für mich bald nicht mehr schockierend, wenn ich beispielsweise vom Concierge mehrfach am Tag losgeschickt wurde, um 10.000 Euro in einem Umschlag zur Bank zu bringen. Diese Summe, die in meinem eigenen Besitz und gemessen an meinem Lohn unglaublich viel darstellte, wirkte angesichts des Hotelalltags eher wie Peanuts. 10.000 Euro in meiner Handtasche – das war nichts, worüber ich länger nachdachte oder was mich nervös machte. Ebenso eine Fahrt mit einem Bentley, einem Porsche oder Lamborghini beeindruckte mich bald nicht mehr. Das waren einfach nur noch große beziehungsweise schnelle Karren. Die Konzentration all dieser enorm teuren »Requisiten« auf einem doch recht überschaubaren Ort wie dem Hotel hatte eine inflationäre Wirkung. Sie nahm dem Geld an sich die Bedeutung und mir die Ehrfurcht vor dem Wert, der den Dingen im Allgemeinen beigemessen wurde. Ein Hummer oder ein Teller Austern war irgendwann nichts Besonderes mehr, wenn er zum hundertsten Mal in meiner Hand auf dem Weg zum Gast die Küche verließ. Wenn jeder dritte Gast mindestens eine Louis-Vuitton-Tasche im Gepäck hatte, sah man sich an dem Muster bald satt. Und das unethische, oftmals extreme Verhalten unserer Gäste ließ darauf schließen, dass es ihnen nicht sehr viel anders ging. Schöne, teure Dinge befriedigten die innere Leere nicht mehr, wenn sie im Überfluss vorhanden waren. Überfluss führt zu einem Mangel an Wertschätzung, was man am Beispiel des Wegwerfens von Unmengen an Essen sehen kann.

 

Viele meiner Kollegen zeigten sich dennoch fasziniert vom Leben der wohlhabenden Gäste, wobei Geld zu haben an sich nicht das vorrangige Ziel zu sein schien. Es ging eher um den Status und das Prestige, die über die jeweiligen Luxusartikel repräsentiert wurden. Es ging um die Macht, die unsere Gäste offensichtlich dank ihres Reichtums hatten. Die Macht, ein Zimmer vor der eigenen Anreise so gestalten zu lassen, wie es einem selbst gerade beliebte. Unsere Gäste konnten tun und lassen, was sie wollten, kommen und gehen, wohin sie wollten. Ihre Zufriedenheit war unsere Top-Priorität. Das glamouröse und luxuriöse Ambiente, die immer wieder erzählte Historie des Hauses sowie die Tatsache, dass Das Hotel zum Ideal der gesamten Gastronomieszene Deutschlands erhoben und gefeiert wurde, suggerierten, diese kleine Welt hier sei das wahre Leben.

Im Vergleich waren wir Hotel-Angestellten durch unsere Mittellosigkeit, aber auch durch unser Eingebundensein in strenge Hierarchien und feste Dienstpläne ganz besonders unfrei. Mir erschien es oft, als wären wir an dieses Haus gefesselt, fast schon eingesperrt. Während unsere Gäste die große weite Welt, das Reisen in ferne Länder sowie die individuelle Freiheit repräsentierten, musste ich sogar darum bitten, während des Dienstes auf die Toilette gehen zu dürfen. Manche von uns übten sich in Geduld und träumten vielleicht von einem solch selbstbestimmten Leben in der Zukunft. Manch anderer wiederum war nicht so geduldig und suchte noch während seiner Zeit im Hotel nach anderen Wegen. Nicht wenige Mitarbeiter etwa trugen eine für ihren Verdienst viel zu teure Uhr am Arm und viel zu teure Anzüge. Andere fuhren ein für ihre Verhältnisse viel zu großes, teures Auto und parkten es in der Tiefgarage, wo ein Stellplatz im Monat fast so viel kostete wie meine Wohnung. Kleinere Angestellte kamen mit Designertaschen über dem Arm zur Arbeit, trugen Schmuck, der ihre Einkommen weit überstieg, oder zeigten auf sonst jede erdenkliche Art und Weise, dass sie ebenfalls vermeintlich Stil und Klasse hatten.

In meinen Augen wollten sie sich über das Kaufen von teurem Krempel gleichstellen mit denjenigen, die wir täglich bedienten, vielleicht auch, um der Demütigung, die mit einem Beruf verbunden ist, der wie kaum ein zweiter die Existenz eines Mehrklassensystems repräsentiert, etwas entgegenzusetzen. Und diese Methode funktionierte natürlich in einem gewissen Rahmen. Äußerlichkeiten beeinflussten im Hotel sehr stark, wie Gäste uns Angestellte behandelten – und vor allem, wie wir Frauen im Alltag behandelt wurden. Wenn mich ein Gast mit dem Wohlwollen meiner Vorgesetzten aussuchte wie ein Stück Vieh, dann war ich nichts als ein Mensch zweiter Klasse ohne das Recht auf Selbstbestimmung. Gleichzeitig war die Anwesenheit in dieser exklusiven Welt der Reichen und Berühmten wie ein Kompliment an die eigene Person. Man gewährte uns Zugang zu einem Ort, den nur wenige Menschen überhaupt je kennenlernten, und konnten uns so an dem Glauben festhalten, Teil der Geschichte zu sein, die ja so oft im Zusammenhang mit dem Hotel beschworen und angeblich sogar hier geschrieben wurde.

 

Es war nicht sonderlich schwer, den Superreichen ihr maßloses Gebaren, ihre Arroganz oder ihre absurden Extrawünsche zu verzeihen, wenn man außerdem daran glaubte, dass ihnen dies in irgendeiner Form auch zustand. Zum einen bezahlten sie ja dafür, und zum anderen hatte doch auch ein millionenschwerer Rockstar, ein Sportchampion oder eine Oscar-Gewinnerin idealerweise ein Leben lang geschuftet, um nun die Verdienste der eigenen Anstrengung ausleben zu können, oder etwa nicht?

Diejenigen, deren Reichtum auf unlauterem und moralisch fragwürdigem Weg entstanden war, blendeten wir in diesem Denken natürlich aus. Selbstverständlich übernahmen wir also »sehr gerne« die gesamte Organisation des Aufenthalts, wenn eine weltbekannte Sängerin eingebucht war und uns mit ihrem unumstößlichen Gesetz bekannt machte, sie schlafe niemals in einem Bett, in dem bereits andere Menschen vor ihr geschlafen hätten, und ihr Zimmer müsse bitte durchgehend in Weiß gehalten sein mit vielen, vielen weißen Lilien und Rosen als Dekoration. Solche teilweise doch sehr extravaganten und abgehobenen Wünsche zu erfüllen, machte uns zumeist nichts aus, im Gegenteil: Oft hatten wir sogar Freude daran, die Erwartungen der Gäste zu erfüllen oder sogar zu übertreffen, denn wir identifizierten uns ja mit der Arbeit. Und wenn die Absurdität doch mal wieder zu große Ausmaße annahm, lachten wir lediglich darüber.

Niemals hätte zum Beispiel das Management die Sängerin darauf hingewiesen, dass ja nun mal der Clou an einem jedem Hotel war, dass Menschen abwechselnd in den bereitgestellten Betten des Hauses schliefen.

 

Hinter dieser »Dienstleistungsorientierung« stand natürlich auch eine gewisse eigennützige Geisteshaltung: der Glaube, dass für jeden von uns die Zukunft einen Aufstieg bereithielt. Als überwiegend junge Belegschaft stand jedem von uns das (Berufs-) Leben ja noch bevor, und junge Menschen glauben stets daran, dass sie es früher oder später an die Spitze schaffen, sodass sie zwar vielleicht nicht gerade in extravagantem Reichtum schwelgen, aber doch in sicherem Wohlstand leben können.

Außerdem war der Service am Gast im Hotel nun mal bedingungslos. Seine Zufriedenheit stand über allem anderen. Oftmals überschritten Gäste und Angestellte im Namen des Service gleichermaßen nicht mehr nur die Grenzen des guten Geschmacks und des Anstands, sondern kratzten an jenen der Legalität. Der Gedanke an sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Frauen, an Drogenhandel, an Förderung der Prostitution, Wucher sowie an die Ausbeutung von Schutzbefohlenen und an das bewusste Brechen des Arbeitsrechts waren im Hotel nicht völlig fernliegend. Es war jedoch nicht so, dass wir als Mitarbeiter hier ein Auge zudrückten oder gar unsere Augen davor verschlossen. Vielmehr nahmen wir diese Tatsachen überhaupt nicht als Unrecht wahr. Wir akzeptierten die Verhältnisse so, wie sie waren, weil man sie uns vom ersten Tag an als richtig präsentiert hatte.

»Wir sind Das Hotel« war unser Leitspruch, und so mancher Mitarbeiter schien das schon auch mal etwas zu wörtlich zu nehmen, wie ich bei der Geburtstagsfeier eines Kollegen feststellte. Es war verrückt: Als ich seine Wohnung betrat, war ich im Hotel. Er hatte die Komplettausstattung: Bademäntel, Besteck, Teller, Tassen, Handtücher, Bilder, Aschenbecher, Kerzenständer, Töpfe, Bettwäsche, Tischdecken, Lampen, ja, ganze Möbelstücke wie Tische, Beistelltische und einen Fernseher. Wie er das alles aus dem Hotel abtransportiert hatte, war mir an sich schon ein Rätsel, aber noch mehr erstaunte mich sein offensichtlich nicht vorhandenes Gefühl der Unrechtmäßigkeit. Er lebte das Hotel, er war mit voller Seele Mitarbeiter dort, es gab für ihn keine andere Realität. Dass er in einer Wohnung lebte, die genauso aussah wie sein Arbeitsplatz, war eher ein Zeichen seiner Wertschätzung des Konzepts Hotel, der Symbolik, für die das Haus stand, als reiner Diebstahl. Was dieser Mitarbeiter verkörperte, war die vollkommene Verschmelzung mit seinem Arbeitgeber und dem (scheinbaren) Ideal, das Das Hotel verkörperte. Luxus wurde hier in erster Linie mit materiellen Gütern gleichgesetzt. Goldene Wasserhähne wurden stärker wertgeschätzt als das eigentliche Wasser, das daraus floss. Der zahlende Gast durfte hier deshalb auch ausnahmslos alles. Er war der Nutznießer, der Dreh- und Angelpunkt unserer Welt. Den Gast zufriedenzustellen, das durfte alles kosten; selbst wir Bediensteten waren im Preis inbegriffen.

Natürlich sind Gäste, die in ihre Schuhe kacken oder ihre Assistentinnen in der Lobby niederschlagen, immer Extreme. Es gibt auch ganz »normale« Menschen, die in Hotels der Luxusklasse absteigen. Aber gerade die Extreme entwerfen in ihrer Summe ein interessantes Bild hinsichtlich der Frage, welchen Einfluss (zu) viel Geld auf den menschlichen Charakter hat. Es wäre für viele der Superreichen doch ein Leichtes, ihr Kapital nicht nur zur Anhäufung von persönlichem Besitz und einer ausschweifenden Lebensführung zu nutzen, sondern es auch der Gesellschaft, auf deren Rücken letztendlich diese Reichtümer ja erst zustande kommen, zugutekommen zu lassen. Stattdessen hinterlassen sie nicht einmal Trinkgeld für diejenigen, die ihre benutzten Unterhosen waschen und bügeln. Was der durch den Concierge unterstützte weibliche »Begleitservice« oder der im Haus befindliche hauseigene »Apotheker« bezeugt, ist die Tatsache, dass das Vorhandensein von Geld mit der Zeit automatisch Strukturen grotesker Käuflichkeit erschafft. Geld bestimmte im Hotel jede zwischenmenschliche Handlung – und das keineswegs zum Vorteil der Beteiligten. Im Namen des zahlenden Gastes spielten die Angestellten, wie etwa an der Rezeption, einfach nur sehr gut Theater, sodass es im gegenseitigen Umgang zwischen Gast und Angestellten an jeglicher Form von Authentizität mangelte. Es gab kein echtes Interesse der Kellnerin an dem Politiker, der an ihrem Tisch saß, und auch nicht umgekehrt. Soziale Klassen vermischten sich hier durch den täglichen Umgang miteinander keineswegs. Durch das einfache Hinblättern von ein paar Scheinen konnte sich jeder Gast seinen Willen erkaufen. Niemand würde ihn hier in seine Schranken weisen. Aber das war vielleicht auch gerade das Problem vieler Gäste, denn insgeheim waren sie sich doch darüber im Klaren, dass unsere Freundlichkeit nur gespielt war und öffentliche Nacktheit, das Begrabschen von Angestellten oder das Verwüsten der Zimmer mit Fäkalien niemand wirklich lustig fand. Nie einfach als Person, sondern immer aufgrund der eigenen finanziellen Position ge- oder auch nur beachtet zu werden, glichen viele durch jegliche denkbare Form der Exzentrik aus.

Das Hotel räumte durch seine Service-Ideologie dem Geld grenzenlose Macht ein, tat aber letztendlich dadurch niemandem einen Gefallen. Im Alltag verloren wir vielmehr den Menschen vollkommen aus dem Blick.

Für mich steht Das Hotel deshalb für die Dekadenz unserer Zeit, was konkret bedeutetet: nie zu wissen, wann es genug ist, immer von allem zu viel zu wollen, Überfluss, Gier, Abgrenzung von der Realität sowie Verachtung von denen, die nicht so viel haben, weil wir ihnen persönliche Schuld daran unterstellen. Erfolg wird nur noch anhand von Profit gemessen, während die individuelle Leistung eines Menschen am jeweiligen Vermögen festgemacht wird. Akzeptiert wird dies auch außerhalb der gut bewachten Hotelmauern nur durch die Vortäuschung von Teilhabe. Wer bereit ist zu glauben, er könne vom bestehenden System irgendwann einmal selbst profitieren, dem macht es nichts aus, dass derzeit noch andere in den flauschigen Himmelbetten schlafen und aus silbernen Kelchen trinken, weil er darauf wartet, dass seine eigene Zeit kommt. Der Mythos Hotel suggeriert, es sei erstrebenswert, in Saus und Braus zu leben. Doch was ich während meiner Ausbildung im Hotel erlebt habe, hinterließ bei mir den Eindruck, dass es eher einsam, frustriert, abgehoben, arrogant, paranoid, sexistisch, unmoralisch, gierig und überheblich macht. Extremer Reichtum der einen gründet immer auf der Ausbeutung und dauerhaften Armut anderer. Die vermeintliche Eleganz und Schönheit der Welt des Hotels hat sich für mich deshalb als Luftschloss entpuppt. Das Hotel ist nichts weiter als die Illusion der Käuflichkeit der perfekten Welt.