Erste Woche
Unter diesem bescheidenen Titel will ich hier eine Reihe von Aufzeichnungen über das Gärtnern beginnen. Mitunter werden sie, ähnlich wie man das von Saatgutkatalogen her kennt, wenig Bedeutendes enthalten. Ich bin indes der Meinung, dass niemand das Recht hat, nützliches Wissen für sich zu behalten, und wage daher zu hoffen, dass jene, die nach mir kommen – Steuereintreiber und dergleichen Personen einmal ausgenommen –, von meinen Erfahrungen profitieren werden. Da mein Wissen beständig zunimmt, werde ich mit meinen Aufzeichnungen so schnell wohl nicht an ein Ende gelangen. Mir schwebt allerdings keine systematische Beschreibung des Land- beziehungsweise Gartenbaus vor. Vielmehr will ich mich von Thema zu Thema tragen lassen, je nach Wetterlage und Unkrautstand, der mich bald in dieser, bald in jener Ecke des Gartens zur Pflicht ruft.
Vom Hauptzweck eines eigenen Gartens herrschen völlig irrige Vorstellungen. Der liegt keineswegs darin, den Besitzer mit Obst und Gemüse zu versorgen (das kann der Marktgärtner im Grunde viel besser und billiger), sondern ihn Geduld und Philosophie zu lehren und ihm die höheren Tugenden beizubringen – führen unerfüllte Hoffnungen und enttäuschte Erwartungen doch nur allzu häufig direkt zu Resignation und mitunter völliger Aufgabe. Der Garten wird so zum Werkzeug der Moral, zum Charaktertest – wie schon am Anfang aller Dinge. Diesen zentralen Punkt werde ich bei meinen Aufzeichnungen im Auge behalten. Falls kein ertragreicher, so soll mein Garten wenigstens ein moralischer Garten sein – einer, der euch allen, o meine Brüder und Schwestern, die großen Lektionen des Lebens vermittelt.
Es geht schon damit los, dass man bei einem Garten in unseren Breiten nie genau weiß, wann man mit der Arbeit beginnen soll. Wenn etwas früh zur Reife kommen soll, zieht man es zunächst am besten im Gewächshaus an. Wagt man sich nämlich vorschnell damit ins Freie, ist die Gefahr groß, dass der Frost zuschlägt. Auch wenn das Thermometer heute auf dreißig Grad klettert, kann es morgen Nacht noch Frost geben. Verpasst man indes das rechtzeitige Setzen oder Aussäen, ist man ständig in Unruhe, weil man weiß, dass das eigene Gemüse erst spät kommen wird und der Nachbar schon Früherbsen erntet, während die eigenen partout nicht sprießen wollen. Das schlägt wirklich aufs Gemüt. Hat man aber früh gesetzt, fühlt man sich dauernd hin und her gerissen und weiß nicht, ob man sich die Triebe nun über oder unter der Erde wünschen soll. An einem warmen Tag möchte man die Jungpflanzen bereits sehen; pfeift der Wind aus Nord, Frost mit sich bringend, zittert man und hofft, dass die Keime noch nicht aufgesprungen sind. Das Frühjahr vergeht so unter bangen Zweifeln und Ängsten, die sich in der Regel auch als durchaus begründet erweisen. Dem Gärtner verschafft dies eine hervorragende Übung in Sachen Moral.
Nun, da steht mein Mais, sechs oder sieben Zentimeter hoch an diesem 18. Mai, und hat offenbar keinerlei Angst vor Frost. Ich war an diesem Morgen gerade dabei, ihn zum ersten Mal zu hacken (Mais hackt man in der Regel besser nicht früher, sondern erst um den 18. Mai herum), als Polly herauskam, um nach den Limabohnen zu sehen. Es schien ihr zu gefallen, wie gut die Stangen standen. Ich fand auch, dass sie gut aussahen – ein hübsches Grüppchen, groß, gut gewachsen und schön gerade. Und kostengünstig waren sie obendrein. Was daran liegt, dass ich sie auf fremdem Grund unbemerkt abschnitt und mitgehen ließ. Zwar habe ich mir über diese Transaktion aus der spezifisch moralischen Perspektive des Gärtnerns noch keine besonderen Gedanken gemacht; doch wie ich weiß, nehmen sich die Leute hierzulande in unserem politischen Garten, bei Wahlen, ja allerlei Freiheiten heraus. Polly meinte, die Bohnen seien eigentlich gar nicht selbst hervorgekommen; vielmehr sei die Erde von ihnen abgefallen, so dass sie nun freilagen. Sie hielt es für richtig, wieder etwas Erde über sie zu streuen; nachsichtig ließ ich sie gewähren. Als sie gegangen war, fiel mir ein, dass Bohnen immer auf diese Weise kommen – krumm, mit dem falschen Ende voran. Eigentlich, dachte ich, wollen sie ja Licht, keine Erde.
BEOBACHTUNG: Frauen haben in Gärten seit jeher nichts als Unordnung gestiftet.
Ich erbte mit meinem Garten einen großen Fleck Himbeeren. Wunderbare Frucht, die Himbeere, wenn die Erdbeerzeit vorbei ist! Diese Himbeerhecke entwickelte jedoch eine Widerspenstigkeit, dass man kaum noch an sie herankam. Die Schösslinge waren enorm groß und trieben ihre langen, stacheligen Arme in alle Richtungen, aber die Sträucher waren alle schon ziemlich abgestorben. Ich rückte ihnen mit meinem Gartenmesser kräftig zu Leibe, doch man kommt sich dabei vor wie im Kampf gegen die Erbsünde. Die Sorte kann ich empfehlen. Brinckley’s Orange heißt sie, glaube ich. Sie wächst ausgesprochen gut und hat enorme Stängel. Auch soll die Frucht sehr gut schmecken, aber das ist eher Nebensache, weil die Pflanze in dieser Region sowieso nicht sehr häufig trägt. Die Stiele scheinen eine zweijährige Einrichtung zu sein – im einen Jahr wachsen sie, im zweiten Jahr tragen sie und sterben dann ab. Den Winter überstehen diese Sträucher aber meist ohnehin nicht, und nimmt man sie nicht ins Haus (was freilich nicht unbedingt zu empfehlen ist, wenn man kleine Kinder hat), bekommt man sie nur sehr schwer zum Blühen und Tragen. Dies ist der stärkste Einwand gegen diese Himbeerenart. Ich denke aber, dass ich sie aus ideell-erzieherischen Gründen behalte. Was die Früchte angeht, werde ich mir einige andere, widerstandsfähigere Sorten zulegen.