Lexy Hell mit Christiane Hagn
Für meine Schwester
»Vielen Dank, dass Sie heute mit uns geflogen sind. Wir hoffen, Sie bald wieder als Gast an Bord begrüßen zu dürfen«, haucht die Stewardess ins Mikrofon. Natürlich hört ihr längst niemand mehr zu. Stattdessen springen alle auf und reißen ihr Gepäck aus den Ablagefächern, als ginge es um Leben und Tod.
Auch ich habe es eilig. Aber solange die Flugzeugtüren noch geschlossen sind, macht es keinen Sinn, Hektik zu verbreiten. Genau eine Stunde habe ich noch Zeit, um pünktlich um Mitternacht an meinem Arbeitsplatz zu erscheinen. Das ist knapp, aber mit dem Taxi zu schaffen. Nach zwei Tagen auf dem Laufsteg würde ich jetzt eigentlich nichts lieber tun, als nach Hause zu meiner Katze zu fahren, mir dann ein heißes Bad einlaufen zu lassen und anschließend zehn Stunden am Stück durchzuschlafen. Stattdessen muss ich die nächsten acht Stunden damit zubringen, fremden Menschen beim Geschlechtsverkehr und/oder onanieren zuzusehen. Währenddessen werde ich Gläser polieren, das ständig klingelnde Telefon beantworten und Drinks ausschenken. An vorrangig nackte Menschen. Ich trage dabei aber Kleidung. Immerhin.
Als die Türen sich öffnen, werde ich vom Menschenstrom automatisch mitgeschoben und schaffe es gerade noch so, mir zwei Schokoladenherzen aus dem Körbchen der Stewardess zu schnappen. Eigentlich wollte ich drei.
Eine halbe Stunde später sitze ich endlich im Taxi und nenne dem Fahrer die Adresse meines Arbeitsplatzes. Sein Blick verrät sofort, was er denkt: »Das passt. So eine treibt sich in genau solchen Läden rum.«
»Det is aber ein janz schönes Stück«, erklärt er mir kurz angebunden, wobei er etwas verstört auf das Totenkopf-Tattoo an meinem Kehlkopf starrt.
»Und?«, frage ich verwundert nach.
»Det werden bestimmt dreißig Euro!«
»Keine Sorge. Die werde ich schon noch zusammenkratzen «, sage ich so freundlich wie möglich und schenke ihm ein Lächeln, das nicht erwidert wird. Natürlich nicht. Ich bin ja tätowiert und damit asozial.
Tatsächlich und leider gibt es auch heute – und ja, auch in Berlin – immer noch Menschen, die bei Tätowierungen seltsame Assoziationen haben. Sie denken: asozial, Schmarotzer, Schlampe, kriminell oder etwas einfallsloser einfach nur: Junkie. Inzwischen versuche ich, mit Vorurteilen dieser Art humorvoll umzugehen oder sie zumindest zu ignorieren. Die Tatsache, dass ich seit einigen Jahren gerade wegen meiner Tätowierungen zu einer »Person der Öffentlichkeit« wurde, ändert an diesen Vorurteilen nichts.
Also versuche ich meinem Taxifahrer seine voreingenommene Haltung heute nicht allzu übel zu nehmen. Die Kombination aus Tätowierungen und meinem heutigen Fahrtziel zu so später Stunde kann schließlich durchaus irritierend sein. Daher wissen auch nur die wenigsten meiner Bekannten von meinem etwas ungewöhnlichen Arbeitsplatz. Doch professionelles Modeln mit einem normalen Brotberuf in Einklang zu bringen, ist nun mal gar nicht so einfach. Aber leider notwendig. Denn Modeln ist immer noch ein sehr, sagen wir, saisonal bedingtes Geschäft. Eine Arbeit, die von Modemessen und Trends abhängig ist. Und davon, ob man als Model und auch als Person gerade IN oder OU T ist. In meinem Fall ist das noch extremer. Tätowierungen schwanken in der Modebranche vom absoluten In-Trend zum totalen No-Go. Die Anzahl meiner Bookings und die Bezahlung variieren genauso wie der Geschmack. Daher bin ich schon aus finanziellen Gründen auf einen Nebenjob angewiesen. Und der muss für mich vor allem zwei Kriterien erfüllen: mir ein gewisses monatliches Grundeinkommen sichern, damit ich garantiert meine Miete bezahlen kann, und gleichzeitig flexible Arbeitszeiten mit sich bringen. Das ist extrem wichtig, um Bookings, die gern sehr spontan eintrudeln, auch ebenso spontan zusagen zu können. Genau deshalb arbeite ich in einem Swingerclub.
Als wir an einer roten Ampel zum Stehen kommen, starrt der Taxifahrer völlig entgeistert auf das haushohe Plakat an dem Baugerüst gegenüber. Dann sieht er mich fragend an. Von seinem Blick aufgeweckt, betrachte auch ich die tätowierte, halbnackte Frau mit dem Totenkopf auf dem Hals, deren Brüste durch eine Bierflasche versteckt sind. Der Slogan lautet: »Endlich mal Werbung ohne nackte Haut«. Ich gefalle mir auf diesem Foto wirklich ganz gut.
»Bist du das?«
»Hier bitte links«, erinnere ich meinen aufmerksamen Fahrer an der Kreuzung, die er vor lauter Schreck fast überfahren hätte. Kaum um die Ecke gebogen, sind wir auch schon am Ziel angekommen. Ich bezahle bar und gebe auch ein paar Euro Trinkgeld. Nur, um ihn noch mehr zu irritieren, ich asoziales Ding.
»Kann ich vielleicht ein Autogramm bekommen?«, fragt er schüchtern, als ich gerade die Tür zuschlagen will.
»Bin leider schon zu spät dran. Aber du kannst ja jederzeit vorbeikommen. Weißt ja jetzt, wo ich arbeite. Kostet allerdings sechzig Euro Eintritt.« Den letzten Satz konnte ich mir nicht verkneifen.
Als ich zehn Minuten später hinter dem Tresen stehe und mich im Spiegel zwischen all den nackten Menschen sehe, muss ich grinsen. Irgendwie schon komisch, wie ich, ein schüchternes Mädchen aus der Steiermark, hier im Swingerclub gelandet bin. Und was ich hier schon alles erlebt habe, glaubt mir vermutlich kein Mensch. Ich finde, es ist höchste Zeit, genau das zu erzählen.
»Hey Sandra, bekomm ich noch eine Apfelsaftschorle?«
Ich nicke freundlich, nehme sein Glas entgegen und fülle es wieder auf. Darf ich vorstellen: Thorsten, der Wichser. So nennen wir ihn hier unter uns Kollegen. Er ist Stammgast, kommt mindestens dreimal die Woche und immer allein hierher. Montags zu »Sexy im String«, donnerstags zu »Gangbang « und jeden Samstag zu »Swingernight«. Wie jeder Mann zahlt er sechzig Euro Eintritt. Gern auch mit EC-Karte. Und nein, keine Sorge, auf dem Kontoauszug steht nicht »Swingerclub «, sondern unauffällige Zahlen- und Buchstabenkombinationen. Nichts Verdächtiges, das die unwissende Ehefrau irritieren könnte. Für diese sechzig Euro darf Thorsten dann zwölf Stunden bleiben und so viel trinken und essen, wie er möchte. Alkohol wie auch nicht alkoholische Kalt- und Warmgetränke sind inklusive. Eigentlich alles außer Champagner. Der kostet extra. Unsere Speisenauswahl ist ebenso reichlich, wenn auch keine Gourmetküche. Donnerstags gibt es immer Frühstück mit B rötchen und M üsli, gegen Mittag gekochte E ier, Nudeln mit Fleisch, kalte Schnitzel, Buletten, K artoffelsalat, ein bisschen O bst und was Süßes wie Donuts, Muffins oder Milchreis zum Dessert. Am Wochenende gibt es Salate, kalte Wurst- und Käseplatten, Gemüsetarte, Spaghetti Bolognese und immer eine Suppe. Bevorzugt Kartoffelsuppe. Eben typisch deutsche Hausmannskost. Alles viel zu fettig und zu schwer, um danach Sex zu haben. Aber Sex gibt es hier natürlich auch, insofern willige Partner oder Partnerinnen vor Ort sind. Falls nicht, kann man sich auch anders betätigen. Zum Beispiel allein sexuell aktiv werden. Und genau das tut Thorsten, der Wichser, dann auch. Er trinkt literweise Apfelsaftschorle, setzt sich in eine Ecke und tut das, was er am besten kann: wichsen.
Nun könnte man annehmen, dass Thorsten dabei zumindest andere Gäste beobachten würde, denn warum sollte er sonst sechzig Euro Eintritt bezahlen, um in einem Swingerclub zu masturbieren? Doch Thorsten, der Wichser, wartet nicht auf andere Gäste. Er wichst immer und ausschließlich allein vor dem Computer, der zur freien Benutzung in einer dunklen Ecke steht. Während er Pornos schaut oder mit Webcam-Girls chattet, holt er sich permanent einen runter.
Lange Zeit habe ich das nicht verstanden. Schließlich hat fast jeder mittlerweile zu Hause einen Internetanschluss und müsste daher keine sechzig Euro bezahlen, um unter Beobachtung zu masturbieren – Beobachtung, auf die Thorsten noch dazu keinen besonderen Wert zu legen scheint.
Meine Kolleginnen vermuten, dass Thorsten, der Wichser, zu Hause einfach nicht im Netz surfen kann oder darf. Vielleicht hat er eine Gattin, die ihren Mann nicht in Ruhe Pornos schauen lässt. Denn, soweit wir herausfinden konnten, kommt Thorsten aus einem mehr als gutbürgerlichen Milieu. Er ist ein angesehener Arzt und zugegeben, bis auf die verstörende Tatsache, dass er die ganze Zeit masturbiert, ein richtig netter Kerl. Er ist superfreundlich, zurückhaltend, gepflegt und trinkt niemals Alkohol, trotz Flatrate.
Anfangs, als ich vor zweieinhalb Jahren angefangen habe hier zu arbeiten, ekelte ich mich ziemlich vor Thorsten. So wie auch vor allen anderen Gästen. Aber inzwischen weiß ich, dass Thorsten noch einer der Harmlosesten ist. Mein Ekel wich mit der Zeit Befremdlichkeit und inzwischen freue ich mich sogar ein bisschen, wenn ich zu meiner Schicht antrete und Thorsten wichsen sehe. Dieser Mann gehört fast schon zur Einrichtung mit dazu – ein Mann, der entweder einfach nicht allein masturbieren will oder kann. Ob das nun an der Frau Gemahlin oder an einer schlechten Breitbandverbindung liegt, konnte ich noch nicht herausfinden. Und will ich auch nicht. Denn hier herrscht Anonymität. Das gilt für Gäste wie auch für Angestellte. Und das ist auch gut so.
Das Beste an Thorsten, dem Wichser, ist, dass er im Gegensatz zu fast allen anderen sein Sperma selbst wegwischt. Dazu hat er immer einen kleinen Lappen bei sich, in einer Bauchtasche, die er sich um beziehungsweise unter den Bauch geschnallt hat, der wiederum über das knappe Lederhöschen hängt. Das ist Thorstens Outfit. Lederunterhose mit Eingriff, Bauchtasche mit Wichslappen und Schlappen. Funktionell und dennoch gemütlich. Genau richtig für den Aufenthalt in einem Swingerclub.
»Sandra! Machst du mir noch eine?«
Ich muss schmunzeln, denn dieser Laden ist vermutlich der einzige Ort, an dem ich noch auf den Namen Sandra reagiere – hier und bei meinen Eltern zu Hause in Österreich. Der Gedanke, dass meine Eltern und Thorsten, der Wichser, eine Gemeinsamkeit haben, sorgt für ein Grinsen in meinem Gesicht. Wenn die wüssten! Aber natürlich wissen sie das nicht. Denn, dass ich im Swingerclub arbeite, habe ich meinen Eltern nie erzählt. Schließlich habe ich diesen Job damals auch nur vorübergehend angenommen, bis ich etwas Richtiges finden würde. Aber als ich das entschieden habe, kannte ich Berlin noch nicht gut genug. Damals wusste ich noch nicht, dass »vorübergehend« in dieser Stadt der Träume und Selbstverwirklichung sehr lange sein kann und »etwas Richtiges« einfach reine Ansichtssache ist.
Was ich allerdings schon immer wusste, war, dass sich der Name Sandra Müller für mich irgendwie falsch anfühlte.
Der 15. November 1986 war ein herrlicher Herbsttag in der Südsteiermark. Meine Familie spazierte gerade durch unsere beschauliche, knapp fünftausend Seelen zählende Gemeinde Wagna, bis es ganz plötzlich geschah: Die Fruchtblase meiner Mutter platzte und zwei Stunden später war ich auch schon da. Eine Woche zu früh. Ich hatte es wohl eilig. Abgesehen von meinem schlechten Timing war ich, soweit ich weiß, eine relativ normale Geburt. Die Komplikationen gingen da erst etwas später los. Die Enttäuschungen kamen allerdings sofort. Denn alle gingen davon aus, dass ich ein Junge werden würde. Warum, weiß ich nicht. Vermutlich hatte ich auf dem Ultraschallbild meinen Finger zwischen den Beinen. Meine 25 Monate ältere Schwester erzählte mir später, dass sie so enttäuscht war, keinen kleinen Bruder bekommen zu haben, dass sie mich als Baby am liebsten in die Mülltonne werfen wollte. Das soll in Österreich ja häufiger vorkommen.
Mein Vater nahm die Enttäuschung wie ein Vater auf: »Hauptsache, das Kind ist gesund.« Und meine Mutter behauptete später, sie hätte eh die ganze Zeit gespürt, dass ich ein Mädchen würde. Klar, deswegen trage ich auch auf allen Babyfotos blau. Wie dem auch sei, Elternliebe ist ja bekanntlich oder eher angeblich bedingungslos. Vor allem Mutterliebe, die quasi durch den Geburtsvorgang garantiert wird. Doch bei meiner Mutter und mir kam das mit der Liebe erst im Laufe der Jahre. Viele Jahre.
Nun war ich also da, wenn auch nur ein Mädchen, und wurde am 01. Februar 1987 auf den unspektakulären wie auch unproblematischen Namen Sandra Müller getauft. Die Taufe gehört in Österreich dazu wie die Beschneidung im Islam. Mich hat also niemand gefragt. Und selbst wenn, hätte ich vermutlich nichts gesagt, denn ich fing erst spät an zu sprechen und liebte es, stattdessen lange zu schreien. Sehr lange. Und sehr laut. Meinem Unwohlsein über meinen Namen habe ich schon am Tag der Taufe mit Dauerplärren kräftig Ausdruck verliehen. Wie meine Taufpatin Tante Gisela nie müde wurde zu erzählen, schrie ich mir bei der Taufzeremonie die Seele aus dem Leib. Aber mir wurde anscheinend kein Gehör geschenkt.
Meine frühesten Kindheitserinnerungen setzen erst etwas später ein und sind wohl auch meine schönsten. Ich erinnere mich an unsere Familienurlaube. Morgens um drei oder vier geweckt zu werden, schlaftrunken ins kalte Auto zu steigen, in eine warme Decke eingewickelt auf dem Rücksitz neben meiner Schwester wieder einzudösen, während Papa mit uns durch die schwarze, kalte Nacht Richtung Italien düste. Dann aufwachen, von Mama Knoppers bekommen, Meer und Sonne sehen, Spaghettieis essen und von Italienern verhätschelt werden, die meine Schwester und mich, die beiden weißblonden Bambini immer ganz entzückend fanden. Ich erinnere mich, wie meine Schwester auf der Terrasse eines vornehmen Restaurants ihre Spaghetti durch die Nase auskotzte und ich mir vor lauter Lachen dabei in die Hose pinkelte. Wie wir zusammen gegen meinen Vater Tennis spielen durften und er immer versuchte, jeden, also wirklich jeden Ball zu bekommen, auch wenn er weit im Aus landete. Und ich erinnere mich an unsere Skiausflüge. Immer zu viert und jeder durfte abwechselnd mit jedem Lift fahren. Da waren wir ganz streng. Anschließend düsten wir durch den Tiefschnee und mein Vater rief laut »Rückenlage!«, um uns vor dem Sturz zu bewahren. Meist vergebens. Denn Stürzen im Tiefschnee war das Lustigste überhaupt. Noch schöner war nur, über die Hügel zu brettern und bei jedem Sprung ganz hoch zu schreien, damit alle immer wussten, wo ich gerade war.
Fast genauso aufregend waren unsere Wanderurlaube in den Bergen Südtirols. Ich weiß noch, wie wir im Wald am Fluss Pilze suchten und auf wilden Pferden ausreiten durften, so lange, bis mich eines in den Graben warf und das andere mit meiner Schwester panisch durchbrannte. Als wir sie wiederfanden, sah sie verstörter aus als das Pferd. Als wäre sie in einen Mähdrescher geraten. Seit diesem Tag war Schluss mit Reiten und meine Angst vor Pferden geboren.
Mit zunehmendem Alter nehmen dann auch die idyllischen Kindheitserinnerungen ab und die Ängste zu. Als ich fünf Jahre alt wurde, zogen wir von Wagna nach Leibnitz um. Endlich durfte auch ich in den Kindergarten gehen. Wenn auch nicht in denselben wie meine Schwester. Sie fehlte mir. Noch dazu fand im Kindergarten niemand mein weißblondes Haar entzückend, im Gegenteil, ich wurde von den Jungen nur gehänselt und »Oma« genannt, weil sie fanden, meine Haare wären grau. Anfangs habe ich mich daher gern stundenlang allein im angrenzenden Waldstück des Kindergartens versteckt, bis mir meine Mutter verbot, mich zu weit von den anderen Kindern zu entfernen. Ich könnte ja entführt werden! Das scheint so eine Art österreichische Urangst zu sein. Bloß keine Süßigkeiten annehmen, bei niemandem ins Auto einsteigen, immer in der Gruppe bleiben, niemals allein in den Wald gehen! So viele Regeln.
So litt ich eine ganze Zeit lang unter der Wahl des geringeren Übels: Mobbing oder Entführung? Eine schwierige Entscheidung, gerade für ein Kindergartenkind.
Als ich mit sieben Jahren endlich eingeschult wurde, hoffte ich auf eine Besserung meiner Alltagsverzweiflung. Schließlich wusste ich nun wieder meine Schwester in meiner Nähe, die mich vor Entführungen und Mobbing jeglicher Art bestimmt beschützen könnte. Leider weit gefehlt. Denn aufgrund meines S-Fehlers musste ich begleitend zum eh schon schrecklichen Schulalltag eine Sprachtherapeutin besuchen. Und das blieb meinen Klassenkameraden natürlich nicht verborgen. Mein zärtlicher Spitzname wechselte schnell von »Oma« zu »Sssandra« mit gelispeltem S, was nicht gerade zu meiner Popularität beitrug. So wurde ich auch in der Schule schnell zur Außenseiterin und tat das, was Außenseiter für gewöhnlich tun: sich mit anderen Außenseitern zusammenschließen.
Meine Schwester fiel damit weg, denn die gehörte zu den beliebten Mädchen. Ich tat mich also mit Ulla und Michael zusammen, auch genannt: Ulla Langstrumpf und Michael, der Stinker. Ulla hatte Sommersprossen, einen roten Schopf auf dem Kopf und eine Zahnlücke, durch die zwei ganze Finger passten. Sie wurde meine beste und einzige Freundin, die ganz á la Frau Langstrumpf nicht davor zurückschreckte, auch mal ihre Kräfte unter Beweis zu stellen. Zu Pausenhofschlägereien gegen Ulla kam es meistens dann, wenn mich jemand Sssandra oder Manuel einen Stinker nannte. Also ständig.
Zugegeben, mein S-Fehler war mir selbst ein wenig unangenehm und Manuel roch nicht gerade nach roten Rosen, noch dazu war er etwas tollpatschig und unsterblich in mich verliebt, was wiederum nicht zu seiner Popularität beitrug. Doch Manuel stand schon früh »seinen Mann« und machte mir in der dritten Klasse todesmutig vor versammelter Mannschaft einen Heiratsantrag, samt Ring aus dem Kaugummiautomaten. Das brachte ihm viel Gelächter und Spott ein, während ich anfing zu heulen. Ob aus Scham oder Rührung, weiß ich nicht mehr. Eigentlich habe ich die meiste Zeit in der Schule eh nur geheult. Dann bin ich zu meiner Schwester gerannt, die mich mit Verstecken spielen wieder aufheitern sollte. Leider hat sie mich nur selten gefunden. Anders ausgedrückt: Sie hat auch nicht wirklich lange gesucht, um ja nicht zu spät zum Unterricht zu kommen. Früher oder später hat mich dann Manuel aus meinem Versteck geholt. Und auch wenn ich seine Liebe nie erwidern konnte, war ich heilfroh, dass es ihn gab.
Zum Glück gab es auch ein Leben außerhalb der Schulhölle. Meine freie Zeit und einen großen Teil meiner Ferien verbrachte ich bei meinen Großeltern mütterlicherseits. Sie hatten einen Bauernhof am Stadtrand, voller Schweine, Kühe und unzählig vieler Hühner und umgeben von Apfelund Zwetschgenbäumen, Mais- und Kürbisfeldern. Es war das Paradies. Meine Oma war eine großartige Frau. Sie legte überhaupt keinen Wert auf Mode, aber ihr silbergraues, welliges Haar war immer perfekt gestylt. Selbst beim Marmelade einkochen oder Kürbiskernöl herstellen sah sie aus wie eine sehr feine Dame – im Kittel.
Meine Oma mochte ich sehr gern, aber meinen Opa, den habe ich vergöttert. Meistens trug er dunkelgrüne Cordhosen, ein Hemd dazu, ab und an einen Hut. Er hatte ein rundes Gesicht, schmale Augen und sah immer ein bisschen danach aus, als hätte er gerade etwas ausgefressen. Wie ein in die Jahre gekommener Lausbub. Er war der lustigste Mensch, den ich je kannte. Wenn ich ihn besuchen kam, saß er meist mit einer Bierflasche in der Hand vor dem Haus und wartete bereits auf mich.
»Sandra«, rief er mir entgegen, sobald ich durch das Gartentor geschlendert kam. »Wo hast du dich nur wieder rumgetrieben?«
»Na, in der Schule.«
»Wissen deine Eltern davon? Keine Sorge, ich sag nichts«, dann grinste er und deutete auf den freien Platz neben sich. »Jetzt setz dich neben deinen alten Großvater und hör ihm gut zu. Was ich dir gleich erzähle, kann dir in der Schule nämlich niemand beibringen!« So fing mein Opa fast jede Geschichte an. Ich saß da, lauschte, lachte und staunte. Die Zeit verging wie im Flug. Wir saßen nur da und redeten, aber ich liebte es, dass mein Opa mich nicht wie ein Kind behandelte. Er nahm meine Fragen und mich ernst, ein ungewohntes und sehr glückliches Gefühl.
Wenn wir nicht gerade über die Welt philosophierten, durfte ich ihm helfen, Zwetschgenschnaps zu brennen oder das Feld zu bestellen. Dann drehten wir Runde um Runde auf dem Traktor, wobei wir meist Hühner jagten, anstatt zu eggen, pflügen, säen oder jäten.
Doch eines Tages saß mein Opa nicht mehr vor dem Haus und ich wusste sofort, dass etwas Schreckliches passiert sein musste.
»Opa ist tot«, sagte meine Mutter und heulte Rotz und Wasser. In diesem Moment fühlte ich gar nichts. Ich konnte nicht weinen. Es ging nicht. Es ging deshalb nicht, weil ich spürte, dass alle nun erwarteten, dass ich weinen müsste. Bis heute kann ich meine Gefühle nicht nach außen zeigen. Und schon damals wollte ich meine Trauer um meinen geliebten Opa mit niemandem teilen. Wir hatten immer unsere Geheimnisse, er und ich, vor dem Rest der Welt. Und so sollte es auch bleiben.
Angeblich, so hieß es damals, sei mein Opa an einem Herzinfarkt gestorben. Erst als ich schon sehr viel älter war, erzählte mir meine Schwester, dass er wegen seines Magens im Krankenhaus war und sich dort im Badezimmer nach der Diagnose erhängt hatte. Das passte zu ihm. Er wollte immer selbst entscheiden. Ich konnte ihn verstehen und ihm somit auch verzeihen.
Von da an brachten mich meine Eltern sehr oft zu meiner anderen Großmutter. Sie war als Flüchtling aus Slowenien nach Österreich gekommen. Ihr damaliger Mann ließ sie mit ihren zwei Jungen wegen einer anderen Frau sitzen. Ich habe ihn nie kennengelernt, da er lange vor meiner Geburt starb. Seitdem lebte sie in einer kleinen, karg eingerichteten Wohnung, in der mein Vater und mein Onkel aufwuchsen. Eine Wohnung, in der es immer nach Mottenkugeln stank. Meine Schwester und ich gingen nicht gern dorthin. Wir mussten immer ganz ruhig auf den weiß lackierten Holzstühlen sitzen. Zappeln war verboten. Ich langweilte mich zu Tode, dachte an die Geschichten, die mir mein Opa erzählt hatte, und vermisste ihn schrecklich.
Als ich mit sieben Jahren mutterseelenallein von der Grundschule auf das Gymnasium wechselte, wurde die Schulzeit noch unerträglicher. Zugegeben, mutterseelenallein ist ein wenig übertrieben. Aber ich vermisste Ulla und Michael, die auf das Realgymnasium gewechselt hatten, denn wie immer fand ich nur schwer Anschluss. Anfangs klammerte ich mich daher sehr an meine Schwester, was ihr verständlicherweise auf die Nerven ging. Sie war schon in der dritten Klasse des Gymnasiums und somit erwachsen, zumindest ihrer Ansicht nach. Da war keine Zeit mehr für Verstecken spielen in der Pause mit der doofen kleinen Schwester, stattdessen musste sie mit ihren erwachsenen Freundinnen über Mode und Menstruation philosophieren. Auch außerhalb der Schule verbrachten wir immer weniger Zeit miteinander, denn meine Schwester tat zu Hause lauter seltsame Dinge, wie ihr Zimmer aufzuräumen oder ihre Hausaufgaben zu machen … Ja, unsere Interessen gingen schon früh auseinander.
Ich fühlte mich auf dem Gymnasium noch unwohler als auf der Grundschule. Kinder können grausam sein. Pubertierende Jugendliche grausam und gewalttätig. Denn inzwischen ließ ich mir nicht mehr alles gefallen. Auch ich war älter geworden und nun zu alt, um ständig zu heulen. Allerdings war mir sehr oft nach Heulen zumute. Und in solchen Situationen, in denen die Tränen zu kullern drohten, mich die Wut überkam und mir mal wieder die Worte fehlten, schlug ich eben selbst zu, so wie es Ulla immer für mich getan hatte. Dadurch hatte ich schnell einen schlechten Ruf, was ich besser fand als gar keinen Ruf oder den einer Heulsuse zu haben.
Zum Glück fand ich so auch eine neue beste Außenseiterfreundin: Stefanie, auch bekannt als Stefanie, die Pferdefresse. Wir lernten uns beim Nachsitzen kennen. Unsere größte Gemeinsamkeit war, dass wir beide ungehorsam und unbeliebt waren. Gemeinsame Feinde schufen somit die Basis für unsere Freundschaft. Vier Fäuste können mehr ausrichten als zwei. Unsere zweite Gemeinsamkeit waren unsere schlechten Noten. Ich bekam im ersten Jahr eine fünf in Deutsch, eigentlich nur deshalb, weil ich so große Angst davor hatte, vor anderen Leuten zu sprechen. Vor der Klasse ausgefragt zu werden, einen Aufsatz vorzulesen oder gar Referate zu halten, war mein absoluter Albtraum. Sobald ich mit zitternder Stimme und schwitzenden Händen loslegte beziehungsweise vor mich hin stotterte, wurde mein Kopf knallrot. Es dauerte nicht lang, bis die ersten anfingen zu kichern und dann recht schnell auch mal ein Papierball an meinen Kopf geflogen kam. Aus Trotz habe ich begonnen, Hausaufgaben komplett zu verweigern und nur noch passiv am Unterricht teilzunehmen. Am liebsten verzierte ich mein Hausaufgabenheft oder bemalte die Schulbank. Damit war ich unserem Lehrer Herrn Pieper endgültig ein Dorn im Auge. Da nie jemand auch nur im Traum daran dachte, sich für mich einzusetzen, wurde ich schon früh zur Einzelkämpferin.
Außerhalb der Schule hatte ich ebenso wenig soziale Kontakte, dafür umso mehr Zeit, aufgrund der Hausaufgabenverweigerung. Und diese Zeit nutzte ich sinnvoll. Ich wurde gestalterisch aktiv und kreativ. Mit einem Pinsel, Bunt- oder Farbstiften, gern auch mal einer Spraydose bewaffnet, malte ich alles voll, was mir zwischen die Finger kam: Hosen, T-Shirts, Tische, Stühle und Wände. Das alles sehr zum Leidwesen meiner Eltern. Die Pinselei wurde mir endgültig untersagt, als ich unsere Katze in einen bunten Papagei verwandelte. Ich hatte ihr sogar die Wimpern getuscht. Aber seit diesem Tag durfte ich meine Kunst nur noch heimlich ausüben. Kunst ist ja auch bekanntlich eine heimliche Liebe. In meinem Zimmer eingesperrt, versuchte ich mich zuerst an den nackten Mädchen auf Seite neun der Kronenzeitung, bis ich schließlich meinen eigenen Körper als Großleinwand entdeckte. Die bunte Farbe auf meinem Körper empfand ich als eindeutige Verschönerung und experimentierte weiter auf diesem Gebiet. So »lieh« ich mir von meiner Schwester regelmäßig die Bravo und verzierte mich von oben bis unten mit Tattoos zum Aufkleben. Doch schon bald reichten mir die wenigen Bildchen nicht mehr aus und ich sparte jeden Cent, um mir am Automaten Kaugummis mit Aufklebe-Tattoos zu kaufen. Zu Hause angekommen, sperrte ich mich im Badezimmer ein, drehte die Musik laut auf und leckte mir Tattoos auf den Körper. Sobald alles schön verteilt war, bewunderte ich mein Gesamtkunstwerk vor dem großen Ganzkörperspiegel und tanzte wild dazu. Das waren glückliche Momente. Die leider immer nur kurz anhielten, denn spätestens beim nächsten Mal Duschen oder Baden floss mein gerade gewonnenes und hart erspartes Glück schon wieder davon. Zwischen Abfluss und Schaum versickerte die Freude meiner Kindheit.
Doch eines Tage schöpfte ich Hoffnung und das ausgerechnet vor dem Fernseher. Ich zappte mich gerade mal wieder heimlich durch das Abendprogramm, als ich bei einem Beitrag über die japanische Yakuza Mafia hängen blieb, deren Mitglieder sich seit Jahrhunderten durch Tätowierungen kennzeichneten. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich eine Frau, deren Körper von oben bis unten komplett mit Tätowierungen übersät war. Ich war völlig überwältigt von diesem Anblick. Zum einen überwältigt von der Schönheit und Erotik dieses Körpers, zum anderen überwältigt von Neid. Damals wusste ich noch nicht, dass Neid eine der größten Antriebsfedern sein kann. Damals wusste ich nur eins, nämlich dass ich eines Tages genau so aussehen wollte wie diese Frau. Bunt. Von oben bis unten.
Es ist Freitag, sechs Uhr morgens, mein Wecker klingelt. Ich quäle mich aus dem Bett, dusche heiß und doch nicht kalt, so wie ich es mir eigentlich morgens immer vornehme. Eine Stunde später teile ich mir die U-Bahn Richtung Mariendorf mit ein paar Partyleichen von gestern Nacht sowie fleißigen Arbeitern und Arbeiterinnen, die zur Schicht antreten. Elektriker, Kassiererinnen, Büroangestellte, Einzelhandelsverkäufer, vielleicht auch Studenten – Menschen, die ich an Tagen wie diesen um ihren Job sehr beneide, die in Büros mit Teppichböden, in Werkstätten mit Kollegen oder einer ehrfürchtigen Aula ihren Tag verbringen dürfen. Mein Fahrtziel dagegen zeichnet sich durch die Abwesenheit von Tageslicht und die Anwesenheit vieler nackter Menschen aus. Ich habe Frühschicht im Swingerclub. Heute muss ich von acht bis sechzehn Uhr wieder hinter dem Tresen stehen. Zwischen Peitschen, Sperma und Pornos, die rund um die Uhr auf dem Fernseher in der Ecke laufen. Wir nennen sie »Heimatfilme«. Vielleicht auch deshalb, weil unsere Pornos in den Zimmern nebenan live stattfinden.
Als ich an meiner Haltestelle ankomme und die U-Bahn verlasse, spüre ich die Blicke auf mir. Ich bin wie meistens, wenn ich zur Arbeit gehe, ganz in Schwarz gekleidet. Meine Tattoos sind an vielen Stellen sichtbar, vor allem mein Markenzeichen, der Totenkopf auf meinem Kehlkopf. Die Büroangestellte hinter mir hat sich ihr Bild von mir bereits gemacht: drogenabhängig, arbeitslos, Schnorrer. Dass ich auch die Frau auf dem Werbeplakat ihrer Tankstelle oder aus dem Boulevardmagazin auf ihrem Wohnzimmertisch bin, würde ihr nie im Leben auffallen. Kurz vorm Aussteigen drehe ich mich noch einmal um, blicke in ihr erschrockenes Gesicht und schenke ihr ein entwaffnendes Lächeln.
Im Laden angekommen treffe ich auf Dani, meine Kollegin von der vorherigen Nachtschicht. Zuerst machen wir Schichtübergabe. Das heißt gemeinsam alles sauber machen und die Liste abhaken. Auf dieser Liste stehen alle möglichen Handgriffe wie: »Gebrauchte Handtücher aus den K örben entfernt?«, »Bar geputzt?«, »Tresen aufgeräumt?«, »Spülbecken sauber?«, »Putzwasser aufgefüllt?«, »Gläser poliert?«, »Abtropfmatten gereinigt?«, »Toiletten kontrolliert?«, »Duschseife nachgefüllt?«, »Sauna gecheckt?«, »Getränke aufgefüllt? « Dass unser Chef leicht kontrollsüchtig ist, merkt man dem Zettel an. Anschließend machen Dani und ich die Abrechnung, rechnen den Verdienst aus und sie erzählt mir alles über die Vorfälle der letzten Nacht: »Sandra, du glaubst es nicht, aber gestern hat eine Frau auf die Matratze gekackt. Das war vielleicht widerlich.«
»Igitt. Wie ist das denn passiert? Fetisch?«
»Ne, Analsex-Panne, glaube ich. Hab sofort die Putzfrau angerufen, aber es war so viel los, dass ich nicht drum rumkam, die größte Sauerei erst mal selbst wegzumachen. Ekelhaft!«
Ich nehme Dani tröstend in den Arm und kann mir ein Grinsen trotzdem nicht verkneifen.
Auch wenn ich das frühe Aufstehen hasse und mich im Laden morgens oft zu Tode langweile, hat die Frühschicht doch wirklich so einige Vorteile. Immerhin gibt es nicht allzu viele Leute, die ihre Vormittage in einem Swingerclub verbringen. Aber es gibt sie. Sonst hätten wir vermutlich auch nicht 24 Stunden, sieben Tage die Woche geöffnet.
Bevor Dani Feierabend macht, gehe ich noch mal schnell auf Toilette, das kann ich zwar auch während meiner Schicht machen, muss dann aber immer fürchten, dass jemand den Champagner plündert.
Die nächsten acht Stunden stehe ich hinter dem Tresen, fülle Getränkefächer auf, poliere Gläser und beantworte Telefonanrufe wie: »Hey Süße, ist schon was zum Ficken da?«
»Wenn du kommst, bestimmt!«, muss ich dann sagen.
»Was gibt’s denn heute Abend?«
»Heute ist ab zwanzig Uhr 100 % Sexgarantie.«
»Und was soll das sein?«
Ja, unglaublich, aber es gibt immer noch Kundschaft, denen ich dieses mehr als aussagekräftige Motto trotzdem erklären muss.
»Heute Abend kannst du garantiert Sex haben«, erkläre ich kurz und knapp.
»Geil«, sagt er und legt auf.
Dieses Motto hat sich unser geschäftstüchtiger Chef einfallen lassen, um eines der größten Probleme im Swingerclub zu umschiffen, nämlich dass ein Swingerclub von mehr Männern als Frauen aufgesucht wird, obwohl die sogar freien Eintritt haben. Mit »100 % Sexgarantie« garantieren wir jedem Mann, dass er Sex haben kann. Dazu werden zwei Prostituierte engagiert und bezahlt. Sollte jemand genauer nachfragen, haben wir strenge Anweisung zu sagen, dass diese Frauen natürlich freiwillig hier sind und eben gern viel Sex haben. Dass es sich dabei um wirklich schlecht bezahlte Prostituierte handelt, liegt eigentlich auf der Hand, doch das scheint offensichtlich niemanden zu stören, denn Freitagabend platzt der Laden immer aus allen Nähten. Gefüllt mit hässlichen alten Männern und zwei Prostituierten, die meist nach zwei Stunden völlig betrunken sind. Aber bei der schlechten Bezahlung muss man wenigstens die freien Drinks mitnehmen. Logisch. Und niemand hat gesagt, dass wir Sex mit nüchternen Frauen garantieren, oder?
Als ich gegen halb vier bereits anfange, meine Sachen zusammenzupacken, klingelt es an der Tür. Ich öffne den Sichtspalt und entdecke einen jungen Mann, der mir entgegenlächelt.
»Ist schon was los?«, fragt er durch den Spalt an der Tür. »Noch nicht die Hölle. Aber das kann nicht mehr lange dauern. Heute ist 100 % Sexgarantie.«
»Ich weiß. Hatte vorhin angerufen.«
Ich öffne ihm die Tür, zeige ihm die Umkleidekabine und gebe ihm einen Schlüssel für den Spind. Zehn Minuten später steht er splitterfasernackt vor mir an der Bar.
»Ähm, entschuldige«, sage ich verlegen, denn auch nach zweieinhalb Jahren bin ich noch nicht ganz abgebrüht, was komplett nackte Menschen angeht. »Du müsstest dir bitte ein Handtuch um die Hüften legen. Aus hygienischen Gründen.«
»Klar. Kein Problem. Hast du eines da?«
Ich greife in das Fach unter der Bar, reiche ihm ein Handtuch und er tritt einen Schritt zurück, um es sich umzulegen. Ich hatte mir fest vorgenommen, nicht hinzusehen, aber das ist so unmöglich wie nicht an einen Elefanten zu denken. Als mein Blick auf sein bestes Stück trifft, traue ich meinen Augen nicht. Dieser Kerl hat extrem große Hoden, Riesendinger, die nicht gerade vorteilhaft für seinen winzigen Penis sind.