und das silberne Amulett
Kosmos
Umschlagillustration von Silvia Christoph
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
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© 2016, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur.
ISBN 978-3-440-14849-5
Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services, Leipzig
»Wun-der-bar!« Tante Mathilda stemmte die Hände in die Hüften und sah sich glücklich um. »Einfach wun-der-bar! Genau so habe ich mir das vorgestellt.«
Auch die drei Jungen begutachteten noch einmal ihr Werk. Den ganzen Tag hatten sie zusammen mit Onkel Titus die Küche im Hause Jonas neu gestrichen. In Grün. Mintgrün laut Farbeimer. Bob hätte eher Giftgrün dazu gesagt und Peter hatte beim ersten Pinselstrich unwillkürlich an das denken müssen, was er manchmal in seinem Taschentuch fand, wenn er Schnupfen hatte. Aber es musste ja Tante Mathilda gefallen, nicht ihm.
»Ich geh duschen.« Onkel Titus drehte sich zur Tür.
»Jetzt gefällt es dir doch auch, Schatz, nicht wahr?« Tante Mathilda zeigte stolz zur Wand. »War doch eine gute Wahl. Wun-der-bar!«
»Hm.« Onkel Titus machte ein Gesicht, als hätte er Bauchschmerzen. Justus wusste, dass er gerne weiße Wände gehabt hätte, einfach nur weiß. Nicht grün. Und schon gar nicht dieses Grün, das ihm im Augenblick sogar im Bart klebte. Und auf der Nase. An den Ohren. Am Hals. Einfach überall.
»Dann setzt euch mal an den Tisch! Diese Belohnung habt ihr euch redlich verdient. Ich habe ein neues Rezept für Walnusseis ausprobiert und es schmeckt einfach fa-bel-haft!« Tante Mathilda war wirklich in Hochstimmung. Ihre Augen funkelten förmlich vor guter Laune. »Und du beeil dich, mein Guter, das willst du nicht verpassen!«
»Hm.« Onkel Titus zog von dannen.
Das Eis war in der Tat fa-bel-haft. Tante Mathilda hatte nicht zu viel versprochen. Ein Traum aus Süße, Nuss und sanftem Dahinschmelzen. Peter hätte am liebsten pausenlos gehmmt, Bob schloss genießerisch die Augen und Justus fühlte sich, als würde er gleich abheben und losschweben.
»So wie Titus eben hat Justus auch mal ausgesehen.« Tante Mathilda deutete lächelnd mit dem Löffel auf ihren Neffen. »Weißt du noch? Damals warst du drei oder vier. Nein, das weißt du nicht mehr, du warst noch zu klein.«
Justus zog den Hals ein. Was kam denn jetzt?
»Du warst bei uns zu Besuch und hast im Bad meine grüne Moorpaste entdeckt.« Sie strahlte Peter und Bob an. »Und als wir den kleinen Wonneproppen mal drei Minuten aus den Augen ließen, schwupps!, schnappte er sich die Tube und schmierte sich sein ganzes Gesichtchen mit meiner Peelingcreme ein.«
Justus stöhnte leise. »Tante Mathilda, diese alten Geschichten will doch nun wirklich keiner hören.«
»Ich schon.« Peter grinste. »Und dann?«
»Dann kam er zu uns in die Küche, hierherein ist er gekommen, ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, und meinte: ›Hu, bin ein Geist, bin ein Geist!‹ Der kleine Lausejunge!« Tante Mathilda seufzte. »Du warst schon damals so … aufgeweckt.«
Justus starrte auf die Tischdecke, Peter gluckste, Bob machte leise »Huhu!«.
»Und ein anderes Mal –«
»Tante Mathilda! Bitte!«
»Nein, das war auch lustig! Ein anderes Mal hatte er sich –« Tante Mathilda hielt inne. »Nanu?« Sie sah zur Decke.
Die drei Jungen hoben ebenfalls die Köpfe.
»Was ist?«, fragte Peter.
»Ich habe einen Tropfen gespü… Da! Schon wieder einer!« Tante Mathilda tippte sich auf den Scheitel.
»Einen Tropfen? Wasser?« Justus suchte die Decke ab.
Pling! Ein Tropfen, der auf Bobs Teller landete. Plong! Ein weiterer auf der Tischdecke.
»Es tropft tatsächlich von der Decke!«, stellte Bob fest. »Das hatten wir zu Hause auch mal und es entpuppte sich …« Pling, plong, plung! Die Tropfen fielen immer schneller. »… als handfester …« Die Decke verfärbte sich. Eine feine, dunkle Linie war zu sehen, die schnell größer wurde. »… Wasserrohrbruch.«
»Wasserrohrbruch?« Tante Mathilda sprang auf. »Du glaubst, wir haben einen Wasserrohrbruch?«
»Donner und Doria!« Onkel Titus stolperte zur Tür herein. Tropfnass und nur mit einem Handtuch um die Hüften. »Wir haben einen Wasserrohrbruch! Oben sprudelt es förmlich aus der Wand! Justus! Renn in den Keller und dreh den Haupthahn zu und die Sicherungen raus! Die anderen bringen alles in Sicherheit, was nass werden könnte! Schnell!«
»Oh Gott! Meine schöne Küche!« Tante Mathilda schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
Hektik brach aus. Justus spurtete in den Keller, wo er aber nicht gleich an den Haupthahn für das Wasser kam. Weil ein Regal davorstand. Er rief nach Bob und in Windeseile räumten sie das Regal leer und zur Seite, während im Obergeschoss das Wasser aus dem Bad bereits in den Flur schwappte und im Erdgeschoss nun auch das Wohnzimmer von oben betropft wurde. Tante Mathilda jammerte, rannte und trug davon, was sie in die Finger bekam, Onkel Titus schleppte Möbel und kämpfte mit seinem Handtuch, und Peter stellte alles, was er an Eimern, Töpfen und Schüsseln finden konnte, unter die tropfenden Stellen.
Dann klemmte der Hahn. Seit Jahren war er nicht zugedreht worden, Jahre, in denen der Kalk ganze Arbeit geleistet hatte. Sosehr sich Justus und Bob auch anstrengten, der Hahn bewegte sich keinen Millimeter.
»Der Hahn! Da tut sich nichts!«, schrie Justus nach oben.
»Das muss aber!«, schrie Onkel Titus zurück.
»Oh Gott!«, wehklagte Tante Mathilda.
»Ich brauche mehr Töpfe!«, rief Peter.
Das Chaos nahm immer größere Ausmaße an. Bis Onkel Titus den Hahn endlich mithilfe einer Rohrzange zugedreht hatte, plätscherte das Wasser bereits über die ersten Treppenstufen. Kleinere Möbel und Geräte hatten die Jungen und Tante Mathilda zwar in Sicherheit bringen können, aber die Teppiche im Obergeschoss und auch der im Wohnzimmer waren zum Teil klatschnass und an zwei Küchenwänden hatten sich zahlreiche Rinnsale gebildet.
»Meine schöne Küche!« Tante Mathilda war am Boden zerstört. Wie ein Häufchen Elend saß sie auf dem Stuhl und betrachtete die Bescherung.
»Halb so schlimm, Liebste, das wird schon wieder.« Onkel Titus, mittlerweile im Bademantel, tätschelte die Hand seiner Frau. »Es gibt Schlimmeres.«
»Die schönen Wände.« Tante Mathilda schluchzte. Im Moment konnte sie gar nichts trösten.
Es dämmerte schon, als alles so weit versorgt war, dass das Haus wieder einigermaßen bewohnbar war und das, was nass geworden war, trocknen konnte. Die drei Jungen nahmen sich das restliche Walnusseis aus dem Gefrierschrank und zogen sich damit in die überdachte Freiluftwerkstatt am Rande des Schrottplatzes zurück.
»Meine Güte, was für ein Nachmittag!« Peter schob sich einen besonders großen Löffel Eis in den Mund. Jetzt war Stärkung angesagt.
»Kannst du laut sagen.« Bob deutete zum Haus. »Aber ich glaube, dass sich der Schaden in Grenzen hält.«
Justus machte eine zweifelnde Geste. »Warten wir’s ab. Wasser kann eine heimtückische Kraft sein. Was Wände und Decken abbekommen haben, muss sich erst zeigen.«
»Du meinst, wir müssen nicht gleich morgen noch mal streichen?«, fragte Peter.
»Ich würde erst einmal abwarten.« Der Erste Detektiv grinste. »Und solange die Küche im Streifenlook belassen.«
Bob schmunzelte. »Hat auch was.«
Wie an einem unsichtbaren Faden gezogen drehten die drei Jungen in diesem Moment ihre Köpfe. Auf der anderen Seite des Bretterzauns, der die Freiluftwerkstatt von der Straße trennte, waren Schritte zu hören. Schnelle Schritte. Jemand rannte. Die Sohlen seiner Schuhe patschten auf den Bürgersteig und das Geräusch wurde immer lauter.
Doch urplötzlich hörte es auf. Die Person war stehen geblieben. Die drei Detektive hörten sie heftig atmen. Und noch etwas hörten sie. Rascheln. Leises Klappern. Papier, das zerrissen wurde. Dann landete auf einmal etwas mit lautem Scheppern auf dem Dach der Freiluftwerkstatt, rollte über das Wellblech und eine Sekunde später fiel den Jungen eine Dose genau vor die Füße. Draußen rannte die Person weiter, entfernte sich schnell.
Die Verwunderung der Jungen dauerte nur kurz.
»Zweiter!«, rief Justus. »Zum Roten Tor! Bob zum Grünen Tor, falls Peter ihn verpasst!«
Die beiden Detektive zögerten keinen Augenblick. Auch sie waren alarmiert. Hier hatte niemand seinen Müll über den Zaun geworfen.
Peter sprintete über den Schrottplatz. Aber bis er den geheimen Durchgang im Zaun erreichte, verging einige Zeit, weil der Weg dorthin im Augenblick mit feuchten Möbeln und dahinter mit einer Wagenladung alter Fahrräder vollgestellt war. Als er endlich die beiden Bretter zur Seite gedrückt hatte und durch die Lücke geschlüpft war, konnte er weit und breit niemanden sehen.
Als Bob zum Grünen Tor kam, hörte er dahinter wieder die Schritte. Die Person war bereits vorbeigerannt, aber vielleicht konnte er sie noch sehen und verfolgen. Der dritte Detektiv betätigte den Geheimmechanismus und zwängte sich durch den Zaun. Plötzlich vernahm er erneut Schritte. Andere Schritte. Härtere. Die sich näherten. Bob trat vollends auf den Gehweg und wollte sich eben aufrichten, als ihn jemand mit voller Wucht umrannte.
Als Peter einige Minuten später die Zentrale betrat, saß Justus vornübergebeugt am Schreibtisch und löffelte Eis. Die Zentrale der drei Detektive war ein alter Wohnanhänger, der auf dem Schrottplatz der Familie Jonas unter einem riesigen Haufen Altmetall verborgen lag und nur über versteckte Eingänge zu erreichen war. In diesem Anhänger fand sich alles, was die Jungen für ihr kleines Unternehmen benötigten: Telefon und Computer, ein Kriminallabor, und sogar eine Dunkelkammer besaß der betagte Campingtrailer.
»Und?« Der Erste Detektiv betrachtete die Gegenstände, die ausgebreitet vor ihm auf dem Tisch lagen, und schob sich ein großes, eisumhülltes Stück Walnuss in den Mund.
Peter zuckte die Achseln. »Nichts. Ich bin sogar ein paar Straßen weitergelaufen, aber ich habe niemanden rennen sehen.« Der Zweite Detektiv kam einen Schritt näher. »Was hast du da?«
Die Tür des Wohnwagens öffnete sich abermals und Bob trat herein. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und er hielt sich die linke Schulter. »Hallo, Kollegen.«
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Peter. Auch Justus drehte sich jetzt auf seinem Bürostuhl um.
»Tja«, stöhnte Bob und ließ sich behutsam in einen der Sessel sinken. »Mächtiger Rums. Ich stieg gerade durch das Grüne Tor, als mich irgendwer umrannte. Aber so richtig. Ich habe erst einmal Sternchen gesehen.«
»Ist was kaputt?« Peter deutete auf die Schulter.
»Nein, ich glaube nicht. Tut nur höllisch weh.«
Justus bedachte seinen Freund mit einem mitfühlenden Blick. »Konntest du dennoch irgendetwas erkennen?«
»Jein.« Bobs Kopf schwankte hin und her. »Aber ich glaube nicht, dass es die gleiche Person war, die wir außerhalb der Freiluftwerkstatt bemerkt haben. Den Laufgeräuschen nach zu urteilen, war die schon am Grünen Tor vorbei, als ich rauskroch, und kurz vor dem Rums habe ich noch andere Schritte gehört. Von Schuhen mit härteren Absätzen.«
»Noch jemand, der rannte?« Justus’ Frage war eher eine Feststellung.
Bob nickte dennoch. »Ja. Und da war noch was. Ich konnte zwar niemanden erkennen, aber kurz bevor ich mich für ein paar Momente ins Land der Träume verabschiedete, habe ich Benzinduft wahrgenommen.«
»Benzinduft?«, echote Peter.
»Der Typ roch eindeutig nach Benzin. Und: Im Fallen suchte ich irgendwie nach Halt und bekam die Hose des Kerls zu fassen.« Der dritte Detektiv öffnete seine linke Hand und streckte sie aus. »Als ich wieder bei Sinnen war, hatte ich das in den Fingern.«
Justus kam näher. »Hm. Sieht nach Samenkapseln aus. Korbblütler, vermute ich.«
»Dieses Klettenzeug.« Peter nahm sich eine der haarigen, etwa erbsengroßen Kapseln von Bobs Handfläche. »Shadow hat diese Dinger ab und zu im Fell. Also nicht genau die, aber so ähnliche.« Shadow war Peters irischer Wolfshund, der aber die meiste Zeit bei seiner Tante auf einer Orangenplantage lebte.
Der Erste Detektiv lehnte sich zurück. »Interessant. Sehr interessant. Zwei Personen, die an unserem Schrottplatz entlangrennen, einer davon sicher ein Mann, wenn ich dich richtig verstanden habe, Dritter.«
Bob nickte. »Ich würde sagen, ja. Hose, Klang der Schritte, der Rums. Müsste ein Mann gewesen sein.«
»Gut.« Justus zog seine Eisschale zu sich und gönnte sich einen weiteren großen Happen. »Eine Person, bekleidet mit eher leichtem und leisem Schuhwerk, befördert eine Bonbondose über den Zaun. Die andere, ein Mann, der nach Benzin riecht und Klettenkapseln an der Hose hat, befindet sich nicht weit hinter dem Dosenwerfer.«
»Hört sich ganz nach Verfolgungsjagd an«, meinte Peter und sah sich um. »Wo ist eigentlich mein Eis?«
Justus deutete auf die Eisschale in seiner Hand. »Ich wusste ja nicht, wann du wiederkommst. Und bevor es schmilzt … Willst du?« Er hielt ihm Eis und Löffel hin.
Peter winkte dankend ab. »Nee, lass mal.«
»Dann nicht. Aber das mit der Verfolgungsjagd sehe ich genauso.« Der Erste Detektiv drehte sich wieder zum Schreibtisch um. »Womit der Inhalt der Dose unsere ganz besondere Aufmerksamkeit verdient.«
»Das war in der Dose?« Peter zeigte auf die Gegenstände, die auf dem Tisch lagen.
Bob erhob sich und kam ebenfalls zum Schreibtisch. »Mein Eis hat vermutlich auch schon das Zeitliche gesegnet, oder?«
»Das war ja schon ganz weich.«
»Natürlich.« Bob lächelte spöttisch, nahm sich die dunkelrote, etwa handtellergroße und eher flache Blechdose und besah sie von allen Seiten. »Coughy’s Hustenbonbons, Waldfrüchte.«
»Vermutlich unwichtig und eher Mittel zum Zweck, um das hier zu transportieren«, sagte Justus und wies nacheinander auf die einzelnen Gegenstände vor ihm. »Zwei Schlüssel, eine Ein-Cent-Münze, ein zusammengeknülltes Parkticket vom Little Dume Beach, auf dem hinten …«, der Erste Detektiv drehte den Parkschein um, »… der Name A. Berret vermerkt wurde, des Weiteren eine Art Anhänger aus Silber, auf dem eine Sonne abgebildet ist, sowie ein Stück weißes Papier.«
Peter ging ganz nah an den Zettel heran und drehte ihn hin und her. »Steht nichts drauf. Ein weißes Stück Papier.«
Justus nickte. »Ein weißes, unbeschriebenes Stück Papier.«
»Nach Müll sieht das alles nicht aus.« Bob griff nach dem silbernen Anhänger.
»Ganz und gar nicht.« Justus verschränkte die Finger. »In Anbetracht dieses bemerkenswert rätselhaften Inhaltes und der Geräusche, die wir vor der Freiluftwerkstatt vernommen haben und die mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Befüllen der Dose herrührten, liegt die Vermutung nahe, dass uns jemand ganz bewusst diese Dose beziehungsweise ihren Inhalt zukommen lassen wollte.«
»Aber warum?«, fragte Peter. »Wir wissen ja überhaupt nicht, was es mit dem ganzen Zeug auf sich hat.«
»Vielleicht sollen wir genau das herausfinden.«
»Der Dosenwerfer könnte tatsächlich auf der Flucht gewesen sein«, überlegte Bob. »Sein Verfolger ist ihm auf den Fersen, er rennt am Schrottplatz vorbei und wirft über den Zaun, was er unbedingt loswerden muss, für den Fall, dass man ihn schnappt.«
»Aber ich sehe keinen Mikrofilm, keine Diamanten, keinen USB-Stick«, erwiderte Peter. »Was soll an dem Kram so wichtig sein? Die Schlüssel? Weil sie zu einem Tresor gehören? Oder ist der Anhänger wertvoll? Und wer wirft eine Dose über den Zaun eines riesigen Schrottplatzes?«
»Jemand, der uns vielleicht kennt«, sagte Justus nachdenklich. »Und seinen Fluchtweg womöglich so geplant hat, dass er hier vorbeiläuft.«
Peter verzog das Gesicht. »Aber wenn wir nicht zufällig in der Freiluftwerkstatt sitzen, liegt die Dose noch in zwei Wochen auf dem Boden oder dein Onkel schmeißt sie weg.«
Justus zuckte die Schultern. »Vielleicht hatte unser Unbekannter keine andere Wahl, als dieses Risiko einzugehen.« Er nahm Gegenstände und Dose in die Hand, besah sie von allen Seiten und dachte kurz nach. »Folgt mir, Kollegen! Wir müssen etwas überprüfen.«
Zwei Minuten später standen die drei Jungen in etwa an der Stelle des Zaunes, von der aus der Fremde die Dose geworfen haben musste. Das Gras in dem schmalen Streifen zwischen Gehweg und Zaun war hier zertreten.
»Etwa von hier flog die Dose über den Zaun.« Er ging in die Hocke, stellte sein Eisschälchen, das er ebenfalls mitgenommen hatte, neben sich und betrachtete konzentriert die nähere Umgebung.
»Da sind die Bonbons!« Bob zeigte auf ein Dutzend roter Lutschpastillen, die ganz in der Nähe im Gras lagen. »Er hat die Dose vorher ausgeleert.«
»Ein Fußabdruck!« Peter kniete sich hin. In einen Flecken Sand hatte sich der vordere Teil eines Schuhprofils eingedrückt. »Da steht … wartet … nners.« Peter dachte kurz nach. »Runners! Der Typ trägt Runners-Turnschuhe!«
»Wenn der Abdruck von unserem Unbekannten stammt.« Justus nahm sein Schälchen und erhob sich wieder. »Kollegen, ich bin mehr und mehr der Ansicht, dass uns hier Hinweise zugespielt wurden, mit denen es eine ganz bestimmte Bewandtnis hat!« Er kratzte das letzte bisschen Eis zusammen und führte den Löffel in den Mund. »Wir dürfen davon ausgehen, dass uns soeben ein neuer Fall übertragen wurde! Der Auftrag wurde zwar anonym erteilt, aber nichtsdestotrotz gibt es –«
Es knackte! Laut und vernehmlich. In Justus’ Mund. Gleichzeitig zuckte der Erste Detektiv zusammen und stöhnte schmerzvoll auf.
»Was hast du, Just?«, fragte Bob besorgt.
»Nussschale! Mein Zahn!« Justus fasste sich an die Backe und verzog das Gesicht. »Ich glaube, ich habe mir ein Stück Zahn ausgebissen.«
Tante Mathilda war aufrichtig entsetzt. Das war ihr noch nie passiert, dass sie ein Stück Nussschale übersehen hatte. »Noch nie!«, wie sie hoch und heilig versicherte. Bei keinem Kuchen, keinem Gebäck, keinem Eis. Niemals! Aber jetzt war es geschehen und Justus konnte deswegen nur noch durch den linken Mundwinkel einatmen, weil rechts der kalte Luftstrom zu sehr schmerzte.
Die Praxis von Dr. Preston hatte jedoch um diese Uhrzeit längst geschlossen, und so musste Justus wohl oder übel bis zum nächsten Morgen warten, um seinen Zahn behandeln zu lassen. Bis dahin verordnete ihm Tante Mathilda Zwiebelpackungen auf der Wange. Die linderten den Schmerz zwar tatsächlich ein wenig, hatten aber auch die unangenehme Nebenwirkung, dass Justus andauernd die Tränen liefen und irgendwann alles an ihm nach Zwiebel stank. Doch Tante Mathilda hatte ein äußerst schlechtes Gewissen und bestand auf der Zwiebelkur.
Als Justus am nächsten Morgen in die Küche kam, hielt sie schon eine frische Packung bereit. »Ach, mein Großer, wie geht es dir? Wie hast du geschlafen?« Sie umrundete den Küchentisch und kam auf ihn zu. »Du Armer! Ich habe schon bei Dr. Preston angerufen. In einer halben Stunde kann er dich dazwischenschieben. Und die Schule weiß auch Bescheid, dass du später kommst.«
»Schön, aber die Zwiebeln können wir jetzt weglassen, glaube ich.« Der Erste Detektiv sah nicht gut aus. Seine Backe war über Nacht angeschwollen, und dass er nicht besonders ruhig geschlafen hatte, war ihm auch deutlich anzumerken. Außerdem hatte er nach wie vor Schmerzen.
»Nein, nein, die nimmst du schön mit! Das tut dir gut!« Tante Mathilda legte ihm den Stoffbeutel mit den klein geschnittenen Zwiebeln auf die Wange und klopfte ihrem Neffen begütigend auf die Schulter. »Und wenn es dir nach dem Zahnarzt nicht gut geht, kommst du nach Hause, ja? Dann fällt die Schule heute eben mal aus.«