»Seien Sie mir nicht böse, aber ich möchte mich noch ein wenig auf morgen vorbereiten«, sagt Brücker beim Apéro in der Hotelbar und erzielt damit die gewünschte Wirkung: Frau Schuler findet das Vorhaben nachahmenswert, Grüter und Schilling protestieren verzweifelt.
Seit bekannt wurde, dass Frau Schuler sie nach London begleiten würde, waren Grüter und Schilling aufgekratzt wie Schulbuben vor der zweitägigen Schulreise. Und seit sie sich am Flughafen trafen, scharwenzeln sie um sie herum.
Brücker hat sich die ganze Zeit herausgehalten und das Bild des besonnenen Gentlemans abgegeben. Das Feld mitten in der Planung des weiteren Abends zu räumen gehört zu seiner Taktik. Die Zeit arbeitet für ihn.
Er nimmt die Drinks auf seine Rechnung und verabschiedet sich in der Gewissheit, Grüter und Schilling den Abend verdorben zu haben. Als er hinausgeht, spürt er Frau Schulers sehnsüchtigen Blick im Rücken. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie an seine Tür klopfte.
Brücker macht es sich vor dem Fernseher bequem, holt ein Bier aus der Minibar und stellt sich die Gesichter der beiden vor, wenn sie sich eingestehen müssen, dass sie ihm auch auf diesem Gebiet das Wasser nicht reichen können. Was heißt »auch auf diesem Gebiet«? Gibt es denn ein anderes? Sind nicht alle anderen Gebiete Nebenschauplätze im großen, nie endenden Kampf um das eine?
Brücker holt noch ein Bier aus der Minibar und zappt sich durch die Sender. Die Adult-Stationen überspringt er. Der Gentleman bevorzugt the real thing.
Obwohl die Wahrscheinlichkeit klein ist, dass Frau Schuler gleich am ersten Abend klopft, beschließt er, ihr noch ein Bierchen lang Zeit zu geben.
Es werden noch zwei. Dann duscht er und legt sich schlafen. Er trägt nichts als sein Aftershave und eine klassische, knappe Herrenunterhose.
Mitten in der Nacht erwacht er. Die Gutenachtbierchen. Er sucht nach dem Lichtschalter, findet ihn nicht und entscheidet sich dafür, die Toilette im Dunkeln zu finden. Er tastet sich an der Wand entlang, bis er die Klinke der Badezimmertür spürt, und öffnet sie. Im Bad brennt Licht. Er wartet mit zusammengekniffenen Lidern, bis sich die Augen an die Helligkeit gewöhnt haben. Hinter ihm fällt die Tür ins Schloss.
Als er die Augen öffnet, steht er im Gang. Der Zimmerschlüssel steckt an der Minibar.
Mit nichts als Aftershave und einer knappen Unterhose bekleidet im Gang eines Londoner Mittelklassehotels aus dem Zimmer ausgeschlossen zu sein gehört nicht zu den Krisenszenarien, die Brücker durchgespielt hat. Aber er behält die Nerven, schleicht über die Personaltreppe ins Parterre und sprintet durch die menschenleere Halle.
Der Empfangstresen steht verlassen da. Kein Nachtportier weit und breit.
Während er noch überlegt, wie er auf sich aufmerksam machen soll, hört er es in den Räumen hinter dem Empfangstresen klingeln. Kurz darauf schlurft der Nachtportier herbei und drückt auf den Türöffner für drei Nachtvögel: Grüter, Schilling und Frau Schuler.
Brücker wünschte, er hätte vor vier Jahren nicht die Diät abgebrochen.
»Sagen wir, sieben Uhr dreißig beim Frühstück, dann können wir uns taktisch noch etwas koordinieren«, hatte Wepf gesagt, bevor er seinen G & T, please halbausgetrunken stehenließ und vom Barhocker rutschte. »Gute Nacht dann, meine Herren« und »können Sie meins auf Ihr Zimmer signen, Mäder« waren seine letzten Worte, bevor er dieses Exempel von Corporate Discipline statuierte und sie an der Hotelbar hängenließ wie fleischgewordene Karriereknicks.
Sie hatten daraufhin noch etwas bestellt, mehr aus Haltung als aus Haltlosigkeit, und eher mechanisch als engagiert noch ein wenig auf Wepf herumgehackt. »Die Holding hat ihn im Fadenkreuz.« – »Sennhäuser nennt ihn den Schönheitsschläfer.« – »Er hat einen Erni im Esszimmer.« Dann verabschiedeten sie sich einer nach dem andern. »Sieben Uhr dreißig beim Frühstück.«
Jetzt ist es sieben Uhr fünfundvierzig, und Mäder ist immer noch der Einzige im Frühstückssaal. Er hat bereits ausgecheckt und dabei vergeblich versucht, das Videotape (£ 18) von der Zimmerrechnung entfernen zu lassen. Wenigstens ist der Filmtitel nicht aufgeführt. Beim Gedanken, der Filmtitel hätte aufgeführt sein können, schüttelt es Mäder, und er führt einen Löffel seines aufgeweichten Fruchtsalats zum trockenen Mund. Kirsche? Apfel? Banane? Pfirsich?
Fruchtsalat macht einen guten Eindruck, hatte er gedacht. Lässt auf keinen Salzbedarf schließen, spricht für gemäßigten Lebenswandel. Fruchtsalat pflegen Menschen zu frühstücken, die am Morgen eines neuen Tages nicht mit den Restanzen des alten beschäftigt sind. Menschen, die ihren Körper leicht und reagibel halten wollen für die lustvoll angenommenen Herausforderungen der nächsten 24 Stunden. Menschen, deren 4 Whiskys und 3 Biere auf der Minibarrechnung ein Versehen sein müssen.
Jetzt kommt Tobler, schaut nervös im Saal herum, sieht Mäder allein, geht ans Büfett und kommt an den Tisch. Feuchte Haare, Fruchtsalat.
»Kein Wake-up Call«, behauptet Tobler.
»Bei mir stimmten die Extras nicht«, platziert Mäder vorsorglich. Dann stochern sie schweigend im Fruchtsalat.
Langsam füllt sich der Saal mit Schicksalsgenossen. Menschen, die sich normalerweise bis in den späten Nachmittag aus dem Weg gehen, beim gemeinsamen Frühstück. Bußfertig erduldete germanische Kater, geschäftsmäßig weggesteckte amerikanische Hangovers und unbefangen ausgelebte skandinavische Morgenräusche. Hierarchien, die im Dunst des letzten Abends verschwommen sind, werden frisch konturiert. Und es riecht nach Kaffee, erkaltendem Bacon, sauren Mägen und Aftershaves. Von Wepf keine Spur.
Sennhäuser kommt mit einem Tablett: Egg, scrambled, poached, fried, schrumpelige Sausages, Ham, Fruchtsalat.
»Sorry, Reisewecker«, murmelt er und greift zum Salzstreuer. Unter der Nase haben ein paar Stoppeln die Rasur heil überstanden. Dafür zählt Mäder nicht weniger als vier noch leicht blutende Gilette-G2-Doppelschnitte.
»Um sieben Uhr dreißig wollte er sich noch ein wenig taktisch koordinieren«, bemerkt Tobler kurz vor acht Uhr dreißig schadenfroh. Sennhäuser lacht auf, verschluckt sich und spuckt eine Mischung aus Tee, Ei und Speck über den Tisch.
»Skål, Hånsuli!« tönt es verräterisch vom Skandinaviertisch herüber.
In diesem Moment kommt Wepf. Federnd, gefönt, Müesli mit Orangensaft. »Das Schönste am Business in London«, strahlt er, »ist die Zeitverschiebung. Die geschenkte Stunde am Morgen.«
Auf dem Tisch stehen zwei leere Espressotässchen und zwei Schwenker, auf deren Grund das letzte Pfützchen Cognac glitzert. Der Manzo Brasato hat ein paar sämige Saucenspritzer auf dem weißen Tischtuch hinterlassen, der Barolo ein paar purpurfarbene Flecken. Fäsch hat die Krawatte zwischen dem vierten und dem fünften Knopf in die Knopfleiste seines blauweiß gestreiften Hemdes gestopft, Räber diskret den Gürtel gelockert. Beide haben einen zufriedenen Glanz in den Augen. Man hat zwar nicht viel übers Geschäft geredet, aber man hat sich die Basis dafür geschaffen, es das nächste Mal befreiter tun zu können. Jetzt sitzen sie da, beide mit der uneingestandenen Lust auf einen zweiten Cognac, und lauern darauf, dass der andere die Rechnung bestellt.
Die Ausgangslage ist nicht eindeutig. Fäsch hatte zwar die Idee zum Mittagessen gehabt, aber Räber ist es, der am ehesten davon profitiert, dass man sich nähergekommen ist. Keiner hat den andern im eigentlichen Sinn des Wortes eingeladen, das heißt, das Wort »einladen« ist nicht gefallen, die Sache hatte sich mehr auf der Basis »wissen Sie was, warum gehen wir nicht zusammen essen, essen muss der Mensch ja, da verliert man keine Zeit«, abgespielt.
Der Kellner schlendert schon wieder vorbei. Er hätte eigentlich bereits Zimmerstunde, er wartet nur noch auf die beiden Säcke an Tisch fünf.
Wenn es einem der beiden auf natürliche Weise zufallen würde, die Rechnung zu übernehmen, dann wäre das Räber. Aber der verfügt über den strategischen Vorteil, dass er mit dem Rücken zum Büfett sitzt. Fäsch ist es, der jedes Mal den Blick abwenden muss, wenn der Kellner zu ihnen herüberschaut. Aber Fäsch ist es gewohnt, aus einem strategischen Nachteil einen taktischen Vorteil zu machen. Er wartet ab, bis der Kellner das nächste Mal mit einer Serviette das makellose Tischtuch eines Nachbartischs gewischt, den Hals gereckt und auf die Uhr geschaut und sich wieder hinter das Büfett verzogen hat. Sobald Fäsch sicher sein kann, dass der Kellner ihn nicht mehr sehen kann, hebt er die Hand und winkt beiläufig Richtung Büfett.
»Kommt nicht in Frage«, protestiert Räber ohne Nachdruck, »das geht auf mich.«
Fäsch widerspricht ihm nicht. Als der Kellner das nächste Mal auf sich aufmerksam macht, winkt er ihn heran. Sofort steht dieser mit der fixfertigen Rechnung am Tisch und schaut die beiden fragend an.
»Für mich«, sagt Räber und wartet, bis Fäsch sagt: »Kommt nicht in Frage, geben Sie her.« Damit gibt er sich geschlagen und überlässt Fäsch die Rechnung, der mit etwas mehr Widerstand gerechnet hatte. Er wirft einen Blick aufs Total, 375.80, und bekommt gerade noch die Kurve: »Wenigstens beteiligen will ich mich daran.«
»Bitte, wenn Sie darauf bestehen«, seufzt Räber und muss erleben, wie Fäsch mit der Kreditkarte 400 Franken bezahlt und sagt: »Ich schlage vor, wir machen fifty-fifty, wir haben ja praktisch das Gleiche gegessen.«
Gegessen schon, aber gesoffen hast du das Doppelte, denkt Räber, als er seine zwei Hunderterscheine hinblättert. Fäsch steckt sie ein, zusammen mit der Kreditkartenquittung. Die Rechnung lässt er gleichgültig auf dem Tellerchen liegen.
Die beiden stehen vom Tisch auf. Räber legt Fäsch die Hand auf den Rücken. Fäsch legt Räber die Hand auf den Rücken. Einen Moment stehen beide unschlüssig neben dem Tisch und versuchen, sich gegenseitig den Vortritt zu gewähren. Fäsch gewinnt. Mit der Linken schiebt er Räber vor sich her, mit der Rechten angelt er sich das Tellerchen.
Aber die Rechnung ist schon weg.
Unrasiert, zerzaust und verquollen blickt der neue geschäftsführende Direktor Peter K. Schwarz Peter K. Schwarz im Badezimmerspiegel entgegen. Beide scheinen seltsam berührt von dieser Begegnung mit einer so hochrangigen Persönlichkeit in einem so intimen Rahmen. Peter K. Schwarz entfernt die Klinge, mit der er gestern noch den Verkaufsdirektor Schwarz rasiert hat, und schiebt eine neue ein für den geschäftsführenden Direktor Peter K. Schwarz.
Zwanzig Minuten später steht er geduscht, frottiert, gefönt und desodoriert vor dem Kleiderschrank und hat nichts anzuziehen. Der Schrank hängt zwar voller Anzüge, Hosen und Jacketts, die Hemdenregale sind gefüllt, und die Innenseite der Schranktür ist krawattengestreift, aber es handelt sich ausnahmslos um die Garderobe eines Verkaufsdirektors. Eines tüchtigen, gutgekleideten und einnehmenden zwar, aber eines Verkaufsdirektors nichtsdestotrotz.
Nicht, dass Schwarz gesteigerten Wert auf Äußerlichkeiten legen würde. Er tut nicht mehr für seine Erscheinung, als es die konsequente Pflege der Personal Identity eines halbwegs heutigen Managers zwingend vorschreibt. Das bedeutet zwar nicht funktionsadäquates Styling. Aber persönlichkeitsadäquates schon. Nicht, weil der Inhalt seines Kleiderschrankes nicht zu seiner neuen Funktion als geschäftsführender Direktor passt, hat er nichts anzuziehen, sondern weil dieser seiner durch die Beförderung zum geschäftsführenden Direktor veränderten Persönlichkeit nicht mehr gerecht wird. Weil er nicht mehr Ausdruck derselben ist.
Dass sich seine Persönlichkeit über Nacht verändert hat, steht für ihn außer Zweifel, seit er sich am Morgen im Badezimmerspiegel begegnet ist. Das Verwegene, das ihm die morgendlichen Bartstoppeln noch bis gestern verliehen hatten, ist gewichen, und an seine Stelle ist so etwas wie ein Anflug von Verletzlichkeit getreten. Der Ausdruck eines Mannes, der das Opfer der Verantwortung gebracht hat. Nicht weil er sie gesucht, sondern weil sie sich nach langem Kreisen über ihnen allen schließlich vertrauensvoll auf ihm niedergelassen hat. Die Unbeschwertheit des Verkaufsdirektors Schwarz ist der Abgeklärtheit des geschäftsführenden Direktors Peter K. Schwarz gewichen. Und die drückt sich nicht in Nadelstreifen und mutigen Krawatten aus.
Seine früheren Kollegen und heutigen Untergebenen in der Geschäftsleitung würden sagen, dass die Veränderung, die Schwarz an sich feststellt, der Ausdruck der Erschöpfungsdepression des Killers nach dem Kill ist. Aber damit täten sie ihm unrecht. Wenn er seinen Vorgänger Seeholzer abgeschossen hat, dann nicht aus den niedrigen Motiven des Killers, sondern aus den edlen des Befreiers.
Die weichen Linien des beladenen Wirtschaftsführers dürfen nicht durch das harte Weiß eines gestärkten Kragens kontrastiert werden. Der verletzliche Blick des Weitblickenden nicht durch das Blitzen eines Brillenglases neutralisiert. Und die Offenheit des Wirtschaftspioniers nicht durch die Zugeknöpftheit eines Zweireihers kontrapunktiert. Seine Persönlichkeit braucht getönte Buttondowns, halbierte Lesebrillen und gutsitzende Einreiher.
Und wie er da so in der Unterhose vor seinem Kleiderschrank steht, wird dem geschäftsführenden Direktor Peter K. Schwarz zum ersten Mal bewusst, wie viel er sich mit der neuen Aufgabe aufgeladen hat.
Rutishauser hat kein gutes Gefühl, als er zu Wegmann zitiert wird. Die Auftragslage der Firma ist nicht besonders, es muss mit Personalmaßnahmen gerechnet werden. Und die treffen ja bekanntlich immer die Falschen. Er ist also nicht überrascht, als er Wegmann nervös antrifft. Er schnieft, ein sicheres Zeichen.
»Ach, Herr Rutishauser, (schnief), schön, dass Sie einen Moment Zeit haben. Aber setzen Sie sich doch.«
Rutishauser setzt sich auf den Besucherstuhl vor Wegmanns Schreibtisch. Wegmann sucht nach Worten. »(Schnief.) Ach was, setzen wir uns da rüber.« Er steht auf und führt Rutishauser zur kleinen Besprechungssitzgruppe. »Hier ist es doch viel ungezwungener.«
Rutishauser fühlt sich dort nicht besser. Er will mir schonend etwas beibringen, denkt er. Und richtig, Wegmann beginnt mit dem gefürchteten Satz: »Wie Sie wissen, ist unsere (schnief) Auftragslage auch schon besser gewesen.«
Warum ich?, denkt Rutishauser, der durchaus ein paar Namen parat hätte, wenn man ihn nach den dringendsten Personalmaßnahmen gefragt hätte. Nicht zuletzt den von Wegmann selber. »Sie ist auch schon schlechter gewesen«, gibt Rutishauser tapfer zu bedenken. »Und wenn Bremen kommt, ist sie sogar gut.« Bremen ist ein potentieller Großauftrag, der seit einigen Monaten die Hoffnungen von Kader und Belegschaft nährt. Auch die der Konkurrenz.
»Ich bin froh, dass Sie auf Bremen zu sprechen kommen. Darum handelt es sich nämlich. Um (schnief) Bremen.«
Aus für Bremen, denkt Rutishauser. Doch zu seiner Überraschung sagt Wegmann: »Steht kurz vor der (schnief) Entscheidung. Klett hat sich für Freitag angemeldet.«
»Klett persönlich?« Klett ist der Evaluationsleiter Bremen. Der entscheidende Mann.
»Was hat er gesagt?«
»Wir sollen uns den (schnief) Freitag freihalten. Und ihm für Donnerstagabend ein Zimmer im (schnief) ›Grand‹ reservieren.«
»Er kommt schon am Donnerstag? Da sollte man doch etwas arrangieren oder so.«
»Genau deswegen wollte ich (schnief) Sie kurz sprechen (schnief).«
»Mich?«
»(Schnief.) Herr Rutishauser, wir sind doch (schnief) Männer von (schnief) Welt.«
Als Männer von Welt hätte Rutishauser weder sich noch Wegmann bezeichnet. Seine hervorstechendste Eigenschaft ist in seinen Augen seine Grundsolidität, seine trotz seiner erst gut Fünfundvierzig ins Auge springende Gestandenheit, seine Verlässlichkeit und seine hohe fachliche Kompetenz. Und bei Wegmann fällt ihm angesichts dessen zu engem Salz-und-Pfeffer-Dreiteiler und dessen aktiver Rolle im Vorstand des Schützenvereins seiner Wohngemeinde auch nicht eben Weltläufigkeit als erste Eigenschaft ein. Dennoch nickt Rutishauser.
»Herr Klett hat (schnief) durchblicken lassen, dass er es schätzen würde, wenn wir (schnief) ihm im (schnief) ›Naughty Girl‹ etwas (schnief) arrangieren würden. Etwas, das nicht auf seiner (schnief) Spesenrechnung aufscheint. (Schnief.) (Schnief.)«
»Aber das ›Naughty Girl‹ ist doch ein …?«
»(Schnief.) Ich weiß, es entspricht nicht unseren ethischen Grundsätzen, aber wenn es ums (schnief) nackte Überleben … Herr Rutishauser, (schnief) ich frage Sie hiermit, und Sie können mir glauben (schnief), es fällt mir nicht leicht: Wären Sie bereit, für die Firma bereit, diese (schnief) heikle Sache zu (schnief) übernehmen?«
»Ich?«
In die knapp vierzig Jahre des bisherigen Lebens von Rutishauser fallen zwei Nachtclubbesuche. Der eine in Locarno vor knapp zwanzig Jahren während der Unteroffiziersschule, zu dem ihn Hanspeter Mattli überredet hatte und an den er als deutlichste Erinnerung den Preis für ein kleines Fläschchen Bier behalten hatte: Fr. 12.80! Der andere vor vier Jahren in Mannheim, zu dem ihn ein deutscher Kunde genötigt und den er trotzig abgerechnet hatte. Letzterem verdankt er wohl den Ruf bei Wegmann, in Fragen der Kundenbetreuung zuweilen ein Mann von Welt zu sein. Und den Auftrag, »die heikle Sache zu übernehmen«.
Rutishauser hatte nicht lange gezögert. Das Vertrauen schmeichelte ihm, und sein Aufstieg zum Mann fürs Delikate festigte seine Position im Kader. Wegmann hatte ihm bewegt die Hand geschüttelt und ihm im Namen von Geschäftsleitung und Mitarbeiterschaft gedankt. Über technische Details hatte er sich nicht geäußert. »Tun Sie, was Sie für (schnief) nötig halten. Sie haben plein pouvoir«, hatte er geäußert. Das war das erste Mal, dass Rutishauser Wegmann französische Fremdwörter benutzen hörte. Wahrscheinlich in Anbetracht der Frivolität des Gegenstands.
Rutishausers Plan ist einfach: Er wird am nächsten Abend im ›Naughty Girl‹ etwas trinken und nach dem Geschäftsführer fragen. Er wird ihm den Fall erklären und ihm seine Visitenkarte dalassen. Die Rechnung geht an die Geschäftsadresse, zu Händen Herrn G. Rutishauser. »Persönlich vertraulich« und in einem neutralen Kuvert, bitte.
Das ›Naughty Girl‹ ist ein Striplokal der etwas gehobeneren Klasse. Was noch nicht heißt, dass es Rutishauser in aller Ungezwungenheit aufsuchen könnte. Er ist zwar nicht prüde (immerhin ist er Vater von drei gesunden Kindern), aber Nachtclubbesuche ohne Lydia würden gegen die Spielregeln ihrer Ehe verstoßen. Und welche mit Lydia erst recht. Die erste Schwierigkeit, die es bei der Erfüllung seiner Mission zu überwinden gilt, ist also seine Frau Lydia. Er muss sie einweihen, daran führt kein Weg vorbei. Er nimmt sich vor, nach dem Nachtessen, sobald die Kinder in ihren Zimmern sind, mit ihr zu reden.
»Wegmann hat mir für Bremen einen Sonderauftrag gegeben. Heikle Sache.«
»Hmmm.«
»Allerdings, wenn es ums Überleben der Firma geht, gelten andere Spielregeln.«
»Hmmm.«
So bestärkt von seiner Frau, bereitet sich Rutishauser auf die Operation »Naughty Girl« vor.