Heinz Siebenbrock

Führen Sie schon oder
herrschen Sie noch?

Heinz Siebenbrock

Führen Sie schon oder herrschen Sie noch?

Eine Anleitung zum fairen Management

Heinz Siebenbrock

Führen Sie schon oder herrschen Sie noch?

Eine Anleitung zum fairen Management

Umschlagabbildungen: Bürostuhl: © Igor Kovalchuk | shutterstock, Thron: © Oleksandr Moroz | fotolia, Autorenportrait: Roman Mensing, Münster im Auftrag des Poko-Institus

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns im Internet

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Geleitwort

„Ist das Unternehmen für Sie da oder sind Sie für das Unternehmen da?

Sind die Mitarbeiter für Sie da oder das Unternehmen für die Mitarbeiter?

Sind die Kunden für das Unternehmen da oder das Unternehmen für die Kunden?“

Als ich noch ein junger Unternehmer war, stellte mir ein Berater diese drei Fragen und ergänzte: „Je nachdem, welche bewusste Haltung Sie einnehmen, schauen Sie nämlich anders in die Welt und können die Fragen so oder so beantworten.“

Jede Führungskraft hat eine bestimmte Haltung und agiert entsprechend. Die Frage ist nur, ob sie sich das bewusst macht oder nicht. Gegenwärtig leben immer noch zu viele Manager mit Unklarheit darüber, wie sie sich zu ihren Mitarbeitern, ihren Kunden und zum Unternehmen stellen. Wenn man den Wirtschaftsteil einer Zeitung aufschlägt, hat man meist den Eindruck, die Menschen seien für die Wirtschaft da.

Wer sich aber fragt, warum und wozu er all das macht, erkennt, dass alles, was er tut, stets den Menschen zum Ziel hat. Ohne Menschen gäbe es keine Wirtschaft. Also kann der Mensch nicht das Mittel sein. Der Mensch ist der Zweck all unseres Handelns.

Wer ist für wen da? Das Unternehmen für die Menschen! Ein Unternehmen stellt für jeden Beteiligten einen Lebensschauplatz dar, der ihm helfen sollte, sich seiner selbst bewusst zu werden und seine Biografie zu gestalten.

Das vorliegende Buch kann ich jeder Führungskraft ans Herz legen. Die Lektüre dieses Buches ermöglicht, sich die eigene Haltung und den eigenen Umgang mit Mitarbeitern bewusst zu machen. Das ist heute wesentlicher denn je. Eine Führungskraft kann langfristig nicht erfolgreich sein, wenn sie bei der Frage „Wer ist für wen da?“ bildlich gesprochen daneben greift.

Die wichtigste Aufgabe von Menschen mit Führungsverantwortung ist es, das Unternehmen so zu gestalten, dass es Innovationen anzieht – das bedeutet, Initiative weckende Rahmenbedingungen zu gestalten. Alle Beteiligten müssen den Freiraum haben, selbst Ideen entwickeln und einbringen zu können.

Ein Unternehmen ist umso unternehmerischer, je mehr Menschen im Unternehmen selbst erkennen, was zu tun ist und eigeninitiativ tätig werden. Wer sich diese Erkenntnis zu eigen machen möchte, hat mit diesem Buch einen wichtigen Schritt getan.

Juni 2013

Prof. Götz W. Werner

Inhalt

Geleitwort

Abbildungen

Vorwort

1 – Engagierte Mitarbeiter?

1.1 – Führung: Eine Frage der Einstellung

1.2 – Aufbau des Buches

2 – Fragwürdige Werte der Betriebswirtschaftslehre

2.1 – Sparsamkeit

2.2 – Gewinnmaximierung

2.3 – Wettbewerbsorientierung

2.4 – Wachstum

2.5 – Auswirkung fragwürdiger Werte auf die Einstellung von Führungskräften

3 – Ein Modell für gute Führung entsteht

3.1 – Führungstheorien in der Literatur

3.2 – Einstellung des Managements als Voraussetzung für gute Führung

3.2.1 – Wertschätzung

3.2.2 – Nachhaltigkeit

3.2.3 – Erfüllung

3.2.4 – Vertrauen

3.3 – Leitlinien guter Führung

3.4 – Aufgaben guter Führung

4 – Gute Führung: Auch eine Frage des Anstands

4.1 – Anständige Unternehmensführung im betriebswirtschaftlicher Kontext

4.2 – Anständige Unternehmensführung im gesellschaftlichen Kontext

4.3 – Controlling einer anständigen Unternehmensführung

5 – Moderne Managementkonzepte vor dem Hintergrund einer guten Führung

5.1 – Universell einsetzbare Managementkonzepte

5.2 – Alternative Managementkonzepte

5.3 – Einengung oder Erweiterung der Möglichkeiten durch Managementkonzepte?

6 – Fallbeispiele guter Führung

6.1 – Miteinander: Der Betriebsrat als Controller

6.2 – Diversity: Offen für Neues und für Neue

6.3 – Die neue Schulleitung

6.4 – Do it yourself: Theater!

6.5 – Filiale geschlossen, der Chef geht auch!

6.6 – Ein Leben auf dem Skateboard: Mal rauf, mal runter, und wieder rauf!

6.7 – Ausgezeichnet: Unterstützung durch unternehmensübergreifende Initiativen

7 – Hoffnung: Politische Unterstützung für ein faires Management

Danksagung

Literatur

Anmerkungen

Abbildungen

Abb. 1:Die impliziten Werte der Betriebswirtschaftslehre

Abb. 2:Grafische Ermittlung des Gewinnmaximums

Abb. 3:Werte eines fairen Managements

Abb. 4:Orientierungsrahmen eines dunklen Managements

Abb. 5:Dimensionen der guten Mitarbeiterführung

Abb. 6:Hierarchischer Zusammenhang zwischen ökonomischen Zielen

Abb. 7:Beispiel für die Gestaltung eines Protokolls

Abb. 8:Beispiel für die Aufgabenanalyse eines Teamleiters (Auszug)

Abb. 9:Beispiel für die Detailbeschreibung einer Aufgabe im Rahmen der Aufgabenanalyse

Abb. 10:Johari-Fenster

Abb. 11:Johari-Fenster nach erfolgtem Feedback

Abb. 12:Drei-Schritte-Modell der Organisationsänderung nach Kurt Lewin

Abb. 13:Wandelbegriffe im Vergleich in enger Anlehnung an Georg Schreyögg

Vorwort

Die Wirtschaftswissenschaften stehen seit geraumer Zeit in der Kritik. Dabei beschränkt sich diese Kritik überwiegend auf die volkswirtschaftliche Theorie. Walter Otto Ötsch („Mythos Markt“), Wolfgang Berger („Fließendes Geld“), die Gebrüder Peter und Andrew Schiff („How an economy grows and why it crashes“), Joseph Stiglitz („The Price of Inequality: How Today’s Divided Society Endangers Our Future“) und andere führen volks- und weltwirtschaftliche Probleme auf ein unzureichendes Theoriegebäude zurück. Mit Blick auf die Finanzkrise im Jahre 2008 kommt David Orrell sogar zu dem Schluss: „Ich kritisiere die mathematischen Modelle, die von den Ökonomen benutzt werden, nicht deshalb, weil sie die Krise nicht vorhergesagt haben. (…) Ich kritisiere sie dafür, dass sie den Ausbruch der Krise überhaupt erst ermöglicht haben. Sie haben ein falsches Sicherheitsgefühl geschaffen. So als würde man einen Sicherheitsgurt anlegen, der gar nicht richtig verankert ist.“1

In diesem Buch geht es nicht in erster Linie darum, an den Grundfesten der volkswirtschaftlichen und der damit in enger Verbindung stehenden betriebswirtschaftlichen Theorie zu rütteln. Vielmehr soll das Augenmerk auf die gefährlichen, jedoch weitgehend unbeachteten Nebenwirkungen der betriebswirtschaftlichen Theorie gelenkt werden. Dabei sollen die der betriebswirtschaftlichen Theorie zu Grunde liegenden bzw. impliziten, durchaus fragwürdigen Wertevorstellungen den Ausgangspunkt der Betrachtungen bilden.

Denn die Betriebswirtschaftslehre vermittelt nach meiner Auffassung neben der Theorie in gehörigem Maße durchaus auch Werte, die angehende und aktuelle Manager vermutlich erheblich beeinflussen, auch wenn (oder gerade weil) dies eher unterschwellig geschieht. Die Vermittlung dieser fragwürdigen und doch selten hinterfragten Werte schüren demnach viele der in der Öffentlichkeit zu Recht beklagten Zustände in der Wirtschaft. Das Ergebnis: ausgebeutete Ressourcen, gierige Manager, geizige Konsumenten, demotivierte Mitarbeiter, Burnout und sogar Tod!

Die fragwürdigen Werte der Betriebswirtschaftslehre tragen dazu bei, den Menschen im Unternehmen auf einen Produktionsfaktor zu reduzieren, den es wie eine Maschine zu beherrschen gilt. Daraus leitet sich ein weit verbreitetes Paradigma ab: Der Vorgesetzte muss alles unter Kontrolle, alles im Griff haben und behalten. Diesem Herrschaftsansatz soll mit diesem Buch ein Führungsmodell entgegengestellt werden, das die Initiative des Mitarbeiters in den Mittelpunkt stellt. Führen bedeutet vor diesem Hintergrund, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Mitarbeiter von sich aus erfolgreich sein wollen und alles dafür tun, erfolgreich zu bleiben. Ein Fundament dafür bilden die ‚Grundzüge des fairen Managements‘, die ich Ihnen, liebe Leser, als einen alternativen Führungsrahmen vorstellen möchte.

Warum Sie dieses Buch lesen sollten?

1.Dieses Buch greift gravierende Schwächen der klassischen Betriebswirtschaftslehre auf: Speziell werden die impliziten Grundannahmen erstmalig systematisch offengelegt. Die daraus resultierende, „völlig andere Art, ein Unternehmen zum Erfolg zu führen“ (D. Lohmann), ist brandaktuell und wird auch in den derzeitigen Bestsellern von Martin Wehrle (‚Ich arbeite in einem Irrenhaus‘) und Detlef Lohmann (‚… und mittags geh ich heim‘) aufgegriffen.

2.Dieses Buch ist im Gegensatz zu den beiden genannten Werken als strukturierter Ratgeber für aktuelle und zukünftige Führungskräfte konzipiert. In diesem Buch finden Sie mit der ‚Anleitung zum fairen Management‘ ein Theoriegebäude, mit dem Sie Ihren eigenen, ethisch fundierten Führungsstil entwickeln und ausbauen können.

3.Das Buch zeigt Ihnen mit vielen Ratschlägen (‚Eckpfeilern‘) und Fallbeispielen, wie sich Ihre ethisch fundierte Führung ausbauen lässt.

4.Das Buch hilft Ihnen, gängige Managementkonzepte wie Qualitätsmanagement und Wissensmanagement vor dem Hintergrund eines ethischen Fundaments einzuordnen.

Liebe Leserinnen!

Der Leser wird in der männlichen Form angesprochen. Dies ist der leichteren Lesbarkeit geschuldet, zeigt aber auch, dass der Verfasser mit Blick auf die Inhalte dieses Buches keinen Unterschied zwischen Frau und Mann zu erkennen vermag.

Drensteinfurt, im Juli 2013
Heinz Siebenbrock

1 – Engagierte Mitarbeiter?

„Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“

Franz Kafka2

Die Welt ist voll von Menschen, die anderen nicht gut tun, die unterdrücken, quälen, Angst schüren und Schrecken verbreiten. Das gilt besonders auch für das Geschäftsleben und ganz besonders für das Verhältnis von Vorgesetzten zu ihren Mitarbeitern. Nach einer Gallup-Umfrage weisen mehr als 80 % aller Mitarbeiter in Deutschland ein erschreckend niedriges Engagement in ihrer beruflichen Tätigkeit auf. Als die Hauptursache wird die Unzufriedenheit mit dem oder den Vorgesetzten benannt.3 Dieser Befund hat sich in den letzten Jahren immer wieder bestätigt, zuletzt in einer beachtlichen Studie, die Diana E. Krause und Juliane Simon von der Universität Klagenfurt vorlegten.4

Ein Teufelskreis

Der Teufelskreis ist einfach zu beschreiben: Unterdrückung führt zu niedrigem Engagement bei den Mitarbeitern, während niedriges Engagement weitere Unterdrückung durch die Vorgesetzten nach sich zieht. Warum schafft es bestenfalls einer von zehn Managern, aus diesem Teufelskreis auszubrechen? Offensichtlich gibt der wirtschaftliche Erfolg diesem im Grunde menschenverachtenden System (noch) Recht.

Tatsächlich fordert die herrschende Betriebswirtschaftslehre, an der sich die meisten Vorgesetzten orientieren dürften, implizit zur Unterdrückung, zur Ausbeutung und zur Abzocke, ja sogar zu Geiz und Gier auf! Es ist an der Zeit, die negativen Werte, die diesem Fach traditionell zu Grunde liegen, aufzudecken.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass ein Großteil aller Mitarbeiter in Deutschland allenfalls ‚Dienst nach Vorschrift schiebt‘, während jeder vierte Mitarbeiter bereits innerlich gekündigt hat. „Nur etwa jeder Siebte (14 Prozent) ist Feuer und Flamme für seinen Betrieb“5, lautet das desaströse Fazit der Internetausgabe der Wochenzeitschrift ‚Die Zeit‘ zur Gallup-Studie.

Das Gros derjenigen, die sich in Forschung und Lehre mit der Betriebswirtschaftslehre auseinandersetzen, behauptet zu Unrecht, dass diesem Fach kein Wertegerüst zu Grunde liegt; es handele sich angeblich um eine wertfreie Wissenschaft. Ohne die Fundamentalkritik Alfred Nobels an der Wissenschaftlichkeit dieses Fachs aufgreifen zu wollen, sei zumindest die angebliche Wertfreiheit in Frage gestellt. Der auch politisch einflussreiche tschechische Ökonom Tomáš Sedláček bemerkt dazu: „Es ist paradox, dass ein Gebiet, das sich vorwiegend mit Werten beschäftigt, wertfrei sein will.“6

Die der Betriebswirtschaftslehre impliziten Aufforderungen zur Gewinnmaximierung, zur Wettbewerbsorientierung und zum Wachstum sind alles andere als wertfrei! Wie nachfolgend zu zeigen sein wird, wirken sich gerade diese Leitbilder äußerst ungünstig auf das Mitarbeiter-Vorgesetzten-Verhältnis aus.

Das bisherige Leitbild: Unterdrückung

Wenn schon die Fachvertreter der betriebswirtschaftlichen Theorie dies nicht zur Kenntnis nehmen (wollen) und stattdessen weiterhin unbeirrt ihre ‚Lobgesänge‘ auf die Gewinnmaximierung, auf die Wettbewerbsorientierung und auf das Wachstum vortragen, dann folgt daraus nur allzu folgerichtig, dass die betriebswirtschaftliche Praxis diesen falschen Leitbildern folgt und auf Unterdrückung setzt.

Den meisten angehenden und aktuellen Managern kommt es auf Grund ihrer betriebswirtschaftlichen Ausbildung zwangsläufig überhaupt nicht in den Sinn, ein gutes Verhältnis zu ihren Mitarbeitern anzustreben. Ein Leser des zitierten ‚Zeit‘-Beitrags bringt die scheinbar typische Grundhaltung von Vorgesetzten in seinem Kommentar auf den Punkt: „Warum sollte ein Vorgesetzter Wert auf Mitarbeiterbindung legen, wenn die Mitarbeiter selbst keinen Wert genießen und als ersetzbar und austauschbar gelten? (…) [Die] Identifikation mit dem Arbeitgeber wird doch gar nicht mehr verlangt, geschweige denn geschätzt (…). In vielen Betrieben zählt der Mitarbeiter gar nicht mehr, da zählt nur noch, welchen Nutzen er erzielt, sprich welchen Profit er einbringt (…). Also warum bitte sollten sich die Arbeitnehmer da noch groß engagieren, wenn sie Angst haben müssen, unter Umständen einfach wegrationalisiert zu werden – nicht etwa, weil sie schlechte Arbeit leisten, sondern weil auf ihrem Rücken gespart werden muss (…). Wertschätzung sieht anders aus.“7

1.1 – Führung: Eine Frage der Einstellung

Über erfolgreiche Führung ist bereits in Büchern und auf Veranstaltungen so viel geschrieben und gesagt worden, dass der Leser mit Recht eine Begründung für dieses Buch erwartet. In den Wirtschaftswissenschaften, in der Soziologie, in der Psychologie, in der Anthropologie und in der Philosophie ist Führung schon lange Gegenstand der Untersuchung, ohne dass dieses Thema erschöpfend behandelt wird. Jedes Jahr wartet mit neuen Erkenntnissen und neuer Literatur in den unterschiedlichsten Disziplinen auf. Wozu dient nunmehr dieser weitere Beitrag?

Zunächst einmal richte ich mich nicht an ein Fachpublikum oder an Spezialisten. Dies ist eher ein populärwissenschaftlicher Beitrag, der sich um einfache Sprache bemüht und kein Vorwissen voraussetzt. Andererseits verspreche ich keine Rezepte, denen nur noch die Anwendung folgen muss.

Darum dieses Buch!

Dieses Buch inspiriert zum Nachdenken. Es fordert zur eigenen Arbeit, zur eigenen Überprüfung, Veränderung und Entwicklung des Führungsverhaltens auf und zeigt, welche Aspekte dabei zu beachten sind.

Ich bin der grundlegenden Auffassung, dass Führung eine Frage der persönlichen Einstellung ist. Selbstreflexion und Selbstpositionierung sind notwendig, um ein individuelles, wirksames Führungsverhalten zu entwickeln.

Mein zentrales Anliegen besteht darin, den aktuellen und zukünftigen Vorgesetzten in seiner positiven Grundeinstellung zu seinen Mitarbeitern zu unterstützen und zu bestärken. Hierauf aufbauend wird es ihm gelingen, seine Mitarbeiter situationsgerecht, erfolgreich und mit Freude zu führen.

Gut oder Böse? Etwas dazwischen!

Die Führungspraxis sieht, wie gezeigt wurde, eher düster aus. Gerade einmal einer von zehn Führungskräften wird ‚gute Führung‘ im Sinne eines ethisch einwandfreien, humanen Führungshandelns attestiert. Folgt man dem Grundgedanken des Führungskontinuums8, kommt man zu dem Schluss, dass es auf der anderen Seite auch nur eine von zehn Führungskräften verdient, als wirklich ‚schlecht‘ oder gar ‚böse‘ bezeichnet zu werden. Zwischen diesen beiden Polen finden wir vielfältige Schattierungen, die sich allerdings, so bestätigt es die Gallup-Studie, tendenziell an dem inhumanen Pol zu orientieren scheinen. Spricht man solche Führungskräfte ‚aus der Mitte‘ auf inhumane Praktiken an, werden diese gern als selbstverständliche Notwendigkeiten attribuiert. Als Beispiele dienen einige der oft gehörten Ausflüchte:

Wo gehobelt wird, da fallen Späne!

Ein bisschen Druck hat noch niemandem geschadet! Oder:

Nur unter großem Druck entstehen Diamanten!

Man kann nicht immer Rücksicht nehmen!

Wenn du nicht frisst, wirst du gefressen!

Der Ehrliche ist der Dumme!

Die anderen sind auch nicht besser!

Der Erfolg heiligt die Mittel!

Mir ist klar, dass ich mit diesem Buch den Überzeugungstäter unter den ‚bösen‘ Managern kaum erreichen kann. Schlimmer noch: Mit einem ‚Bodensatz‘ böser Menschen im Management werden wir auch in Zukunft leben müssen, wenngleich es durchaus gelingen sollte, durch ein geeignetes Einstellungsprozedere, das auch die ‚ethische Qualifikation‘ einbezieht, einen wichtigen Beitrag zum fairen Management zu leisten.

Orientierung?

Zu fragen bleibt aber vor allem, warum sich Manager ‚aus der Mitte‘, die sich weder als gut noch als böse bezeichnen würden, tendenziell stärker an Beispielen inhumaner Führung orientieren. Eine Schlüsselantwort darauf gibt die Enthüllung der fragwürdigen impliziten Werte der Betriebswirtschaftslehre. Damit verbinde ich die Hoffnung, dass sich die fast 80 % der Manager ‚aus der Mitte‘ an den durchaus vorhandenen guten Beispielen orientieren und mit Hilfe der nun vorliegenden ‚Anleitung zum fairen Management‘ ein Führungshandeln entwickeln, das auf der Grundlage einer humanen Einstellung aufbaut und ethischen Ansprüchen genügt.

1.2 – Aufbau des Buches

Ein Führungsmodell der Anständigkeit

Mit diesem Buch wird der Leser eingeladen, die impliziten Werte der Betriebswirtschaftslehre zu erkennen und zu überdenken. Ich setze dieser Orientierung ein Leitbild entgegen, das auf einem menschenorientierten Wertegerüst gründet. Dabei stehen die Begriffe Wertschätzung, Nachhaltigkeit, Erfüllung und Vertrauen im Mittelpunkt. Dieses Wertegerüst wird nicht jeder Leser exakt für sich übernehmen wollen, vielmehr stellt es eine Anregung dar, eine individuelle, positive und vor allem humane Einstellung zum unternehmerischen Handeln und den dort tätigen Personen (Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten) zu entwickeln.

Wertegerüst

Auf der Grundlage dieses Wertegerüstes wird sodann ein Führungsmodell entworfen, mit dem die praktische Umsetzung dessen, was Hans Küng in seinem gleichnamigen Buch mit „Anständig Wirtschaften“ bezeichnet, gelingen kann. In diesem Führungsmodell werden in Anlehnung an Fredmund Maliks Werk „Führen, Leisten, Leben“ allgemein gültige Leitlinien, Aufgaben und Instrumente der Führung vorgestellt und vor dem Hintergrund des alternativen Wertegerüstes diskutiert.

Die vorzustellenden Leitlinien sollen im Sinne von Leitplanken dafür sorgen, die eigene humane Einstellung abzusichern. Immer wieder gerät man in Situationen, in denen der ‚innere Schweinehund‘ zu einem Verhalten rät, das mit einer humanen Führung nicht vereinbar ist. Die Leitlinien der Führung leisten einen wichtigen Beitrag, nicht in konventionelle, auf Unterdrückung setzende Einstellungen zurückzufallen.

Mit den Aufgaben der Führung wird die eigentliche Zuständigkeit eines Vorgesetzten beschrieben. Dabei kommt es nicht darauf an, möglichst viele Aufgaben an sich zu reißen, sondern die wenigen Aufgaben zu erkennen, die mindestens von einem Vorgesetzten wahrzunehmen sind. Schließlich wird mit einer detaillierten Beschreibung von geeigneten Führungsinstrumenten praxisnah gezeigt, wie die Führungsaufgaben im Sinne eines humanen Managements umgesetzt werden können.

Der Darstellung des Führungsmodells folgt ein Kapitel über die ‚Eckpfeiler‘ einer guten Führung: Die Beachtung der dort formulierten ‚Anstandsregeln‘ runden das Bild fairer Führung nicht nur ab, sondern sie geben auch Hinweise darauf, wie faires Führungshandeln gemessen werden kann.

Gegen den ‚Mainstream‘?

Ein Einwand drängt sich vorab geradezu auf: Wenn sich doch die meisten aktuellen Manager (wohl mehrheitlich unbewusst) an einem eher inhumanen, dunklen Leitbild orientieren, ist es dann besonders klug und erfolgversprechend, gegen den ‚Mainstream‘ einen alternativen Ansatz zu wählen und ‚anständig‘ zu wirtschaften und zu führen? Dieser in vielen Gesprächen immer wieder gestellten Frage soll in den letzten beiden Kapiteln begegnet werden.

Gängige Managementkonzepte und Humane Führung

Mit einer Einordnung gängiger Managementkonzepte wird verdeutlicht, dass es in der Praxis durchaus bereits Muster gibt, die wichtige Bestandteile einer humanen Führung aufgreifen. Dazu gehören zum Beispiel die Konzepte ‚Wissensmanagement‘ und ‚Change-Management‘. Andererseits ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass überaus bekannte und in der Praxis weit verbreitete Konzepte wie ‚Lean Management‘ und in Teilen auch ‚Qualitätsmanagement‘ einer humanen Führung eher im Wege stehen.

Anhand von Fallbeispielen wird abschließend gezeigt, dass dieser alternative Ansatz der konventionellen, auf Unterdrückung ausgelegten Führungspraxis mindestens ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen ist, auch mit Blick auf den wirtschaftlichen Erfolg. In jedem Fall bringt dieser Ansatz mehr Freude in das Leben aller Beteiligten.

2 – Fragwürdige Werte der Betriebswirtschaftslehre

Welche Werte prägen die Betriebswirtschaftslehre? Die bis auf Max Weber9 zurückgehende Meinung, die Wirtschaft und ihre Wissenschaften seien wertneutral, bewirkt offenbar, dass derart grundlegende Fragen nur selten gestellt werden. Immerhin weist Günter Wöhe in seinem weit verbreiteten Grundlagenwerk „Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ darauf hin, dass es „besonders in der Betriebswirtschaftslehre, wo Wert- und Bewertungsprobleme eine bedeutende Rolle spielen, (…) einer besonders kritischen Betrachtung“10 bedarf. Er belässt es aber bei einer kurzen Gegenüberstellung ‚wertfreier‘ Fachvertreter und solcher mit einem ‚wertenden Gewissen‘, ohne auf die der Betriebswirtschaftslehre zu Grunde liegenden Werte und Leitlinien inhaltlich näher einzugehen.

Die betriebliche Praxis

Spätestens seitdem die Betriebswirtschaftslehre aus einer deskriptiven Betrachtung der Realität herausgetreten ist und sich mit der Zuwendung zur Systemtheorie und der Entwicklung der Entscheidungstheorie auf normatives Terrain begeben hat, kann von einer Wertfreiheit dieser wissenschaftlichen Disziplin keine Rede mehr sein. Umso wichtiger erscheint es heute, die impliziten Werte der Betriebswirtschaftslehre aufzudecken und deren Wirkung zu diskutieren. Dazu werden nachfolgend solche Wertvorstellungen untersucht, die die betriebswirtschaftliche Lehre und den unternehmerischen Alltag wie selbstverständlich begleiten oder gar bestimmen und kaum reflektiert oder gar hinterfragt werden. So erscheinen die betriebswirtschaftlichen ‚Selbstverständlichkeiten‘ Sparsamkeit, Gewinnmaximierung, Wachstum und Wettbewerb bei näherem Hinsehen als Konstrukte, die die Praxis nachhaltig prägen, obwohl sie einen fragwürdig-destruktiven Einfluss auf Manager und ihre Mitarbeiter ausüben.

2.1 – Sparsamkeit

„Sparsamkeit ist die Lieblingsregel aller halblebendigen Menschen.“

Henry Ford11 (1863–1947), amerikanischer Unternehmer

Wie ihre Schwesterdisziplin, die Volkswirtschaftslehre, geht auch die Betriebswirtschaftslehre davon aus, dass Güter grundsätzlich knapp sind und deshalb einen ‚ökonomischen‘, also sparsamen Umgang erfordern. Diese Grundannahme erscheint zunächst einmal sinnvoll: Gegen den anklingenden ethischen Anspruch, Verschwendung vermeiden zu wollen, ist zunächst einmal nichts einzuwenden. Denn Sparsamkeit lässt Spielraum für alternative Verwendungen. Aber nur, wenn diese Verwendungen tatsächlich auch realisiert oder mindestens beabsichtigt werden, ist der ethische Anspruch tatsächlich gegeben. Sparsamkeit um der Sparsamkeit willen kann mit Knauserigkeit oder Geiz übersetzt werden und ist alles andere als tugendhaft. Im Mittelalter zählte Geiz zu Recht zu den Todsünden.

Während die klassische Betriebswirtschaftslehre nach wie vor auf Sparsamkeit setzt, etwa in Form immer ausgefeilterer Methoden der Kostenkontrolle oder des japanischen Konzeptes ‚muda‘12, das sich gegen Verschwendung richtet, gelingt Wolf Lotter mit seinem Buch „Verschwendung – Wirtschaft braucht Überfluss“ ein Gegenentwurf, der gleichermaßen plausibel erscheint und nachdenklich macht: „Verschwendung ist gut – sie ist produktiv, sie ist erfinderisch und sie ist natürlich. Seit Milliarden von Jahren handelt die Evolution verschwenderisch. Wir sind das Produkt dieser natürlichen Vielfalt. Märkte funktionieren von jeher auf der Basis eines verschwenderischen Angebots und einer vielfältigen Nachfrage.“13

Übertriebene Sparsamkeit steht schließlich einer äußerst erfolgreichen Tugend im Wege: der Großzügigkeit. Großzügigkeit besteht darin, ohne Verpflichtung und Zwang Dritten etwas zukommen zu lassen, also ebenso Spielraum für alternative Verwendungen zu erschaffen. Selbstverständlich sei auch der Großzügige gewarnt, es zu übertreiben und über seine Verhältnisse zu leben.

Sparsamkeit richtig angewendet

Sparsamkeit als Grundwert der Betriebswirtschaftslehre benötigt also mindestens zwei Ergänzungen: Sie darf zum einen keine extreme Ausprägung erfahren, der Sparsamste ist keinesfalls der Beste. Zum Anderen bedarf sie, um ethischen Ansprüchen zu genügen, einer Entsprechung bzw. eines Bezugs. Großzügigkeit erscheint trotz des vermeintlichen Widerspruchs als Entsprechung der Sparsamkeit durchaus geeignet, wenn beispielsweise mit dem Engagement gegenüber Bedürftigen oder der Umwelt dieser Bezug hergestellt wird. Auch auf den betrieblichen Alltag lässt sich dieser Gedanke leicht übertragen: Ein sparsamer Umgang mit Ressourcen eröffnet alternative Verwendungen, etwa eine großzügigere Beschäftigung mit der eigenen Zukunft durch Ausweitung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten oder eine großzügigere Gewährung von Freizeit für die Mitarbeiter oder eine großzügigere Bezahlung von Lieferanten, Mitarbeitern und/oder Eigentümern. Kurz: Wenn Sparsamkeit angestrebt wird, muss es auf die Frage „Wozu?“ eine für alle Beteiligten nachvollziehbare und angemessene Antwort geben.

Neben der Sparsamkeit fallen drei weitere Konstrukte auf, die die Betriebswirtschaftslehre in fragwürdig-destruktiver Weise massiv bestimmen: Gewinnmaximierung, Wettbewerbsorientierung und Wachstum sind Kategorien, die zur kaum hinterfragten Selbstverständlichkeit in Wissenschaft und Praxis geworden sind.

Abb. 1: Die impliziten Werte der Betriebswirtschaftslehre

Auch diese Konstrukte erscheinen auf den ersten Blick durchaus vernünftig. Unternehmen müssen Gewinne machen, um zu überleben. Die Beachtung dieses Ziels ist notwendig, um Produkte und/oder Dienstleistungen anzubieten. Dabei den realen und sogar den potenziellen Wettbewerber im Auge zu behalten, fordert dazu auf, sich nicht zu überschätzen, innovativ zu bleiben und sich ständig weiterzuentwickeln. Wachstum kann vor diesem Hintergrund schon fast als eine Folge von Gewinn und Wettbewerbsorientierung interpretiert werden.

Und dennoch steckt in diesen drei Konstrukten eine erhebliche Gefahr! Sie werden, von vielen Menschen unbemerkt – zum Beispiel durch Erziehung und Ausbildung – Teil der eigenen Identität. Bereits bei Kleinkindern werden diese Werte in Form von Spardosen und Weltspartagen unterschwellig verankert; die Schule erscheint zunehmend als ein Ort, an dem im Wettbewerb mit den Mitschülern Gewinne in Form guter Zensuren einzufahren sind, während das Ziel ‚Lerne fürs Leben!‘ nur noch müde belächelt wird; und spätestens nach der Einführungswoche ist dem Studierenden der Betriebswirtschaftslehre klar: Gewinnmaximierung ist das höchste Ziel auf Erden.

Auswirkungen dieser Konstrukte

Die Konstrukte Gewinnmaximierung, Wettbewerbsorientierung und Wachstum haben eben auch erhebliche Schattenseiten, indem sie ein Miteinander behindern und gleichzeitig ein Gegeneinander fördern. Gerade weil diese Werte unreflektiert übernommen werden, tragen sie subtil zu einem inhumanen Umgang bei. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass diese Konstrukte insofern sogar eine Rechtfertigungsgrundlage für unanständiges Managerverhalten bilden.

2.2 – Gewinnmaximierung

„Gewinne zu machen ist so wichtig wie die Luft zum Atmen. Es wäre traurig, wenn wir nur auf der Welt wären, um Luft zu atmen, genauso wie es schlimm wäre, würden wir nur Unternehmen führen, um Gewinne zu machen.“14

Hermann Josef Abs (1901–1994), Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank

Bereits in den 1970er Jahren haben Hochschullehrer in St. Gallen darauf aufmerksam gemacht, dass die Forderung nach Gewinnmaximierung zu konkretisieren ist. Man hatte beobachtet, dass einige Manager zu Lasten der Zukunft kurzfristig hohe Gewinne einfuhren. Wer nämlich kurzfristig und zu Lasten der Zukunft Gewinne maximiert, riskiert die Existenz des Unternehmens. Typische Maßnahmen sind: Verlängerung der Instandhaltungszyklen, Reduktion des Budgets für Forschung und Entwicklung, Aussetzen von Weiterbildungsmaßnahmen. Um diesem Treiben entgegenzuwirken, empfahlen die Hochschullehrer, das Gewinnziel mit einer langfristigen und damit nachhaltigen Perspektive auszustatten. Auch wenn dieser Sichtweise sicher zuzustimmen ist, bedarf es einer grundsätzlicheren Betrachtung. Auf die Frage, welches Hauptziel Unternehmen verfolgen, gibt es für Studierende der Betriebswirtschaftslehre (BWL) nur eine Antwort: Gewinnmaximierung. Vom Studienanfänger bis zum Examenskandidaten, von der wissenschaftlichen Hilfskraft bis zum Doktoranden, die angehenden Manager und Wirtschaftswissenschaftler kennen frühmorgens, nachmittags und auch nachts, selbst wenn sie angetrunken aus dem tiefsten Schlaf gerissen werden, nur diese eine Antwort: Gewinnmaximierung. Das Ziel bzw. die Aufgabe ‚Gewinnmaximierung‘ brennt sich von Anfang an derart ins Hirn eines BWL-Studenten ein, dass es Teil seines Selbst wird und nicht hinterfragt wird. So wird Gewinnmaximierung zu einer impliziten Leitlinie, die beinahe die gesamte Managerwelt prägt.

Was Studenten beigebracht wird

Dieses Hauptziel Gewinnmaximierung, das für immer im Kopf bleibt und die Psyche nachhaltig formt, wird bereits im ersten Semester anschaulich an einem Modell erläutert: Gewinn ist die Differenz zwischen Umsatz und Kosten und es gilt, den Punkt zu finden, an dem Umsatz und Kosten möglichst weit auseinander liegen. Dieser gewinnmaximale Punkt lässt sich als Mengenangabe in einem Koordinatensystem ausmachen.

Beim Umsatz unterstellt man, dass er mit Steigerung der Ausbringungsmenge zunächst steil ansteigt, sich dann abschwächt, um ein sogenanntes Umsatzmaximum zu erreichen. Von da aus fällt der Umsatz mit steigender Ausbringungsmenge. Die Kurve ähnelt einer Glocke, wenn man auf der y-Achse den Umsatz und auf der x-Achse die Menge abträgt. Eigentlicher Hintergrund dieser Glocke ist die fallende Preis-Absatz-Funktion, mit der unterstellt wird, dass mehr Produkte abgesetzt werden, wenn der Preis gesenkt wird. Die Multiplikation der dort ausgewiesenen Preise mit den zugehörigen Mengenangaben führt unausweichlich zur angesprochen Umsatzglocke.

Bei den Kosten unterstellt man einen Kostenblock, der auch dann anfällt, wenn überhaupt nicht produziert wird. Diese sogenannten Fixkosten beginnen also auf der y-Achse und steigen dann mit der Ausbringungsmenge, in manchen Modellen linear, in komplizierteren Modellen in aller Regel degressiv, um sogenannte Skalen- oder Lerneffekte darstellen zu können.

Nun sucht man eben jene Ausbringungsmenge, bei der die beiden Kurven weitestmöglich auseinanderliegen; oder man zeichnet eine neue Kurve, die die Differenz der beiden Kurven darstellt, und sucht dort das Maximum. Das lässt sich geometrisch bewerkstelligen, oder mit Hilfe von Rechenalgorithmen aus der Kurvendiskussion.

Abb. 2: Grafische Ermittlung des Gewinnmaximums

Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang der absolut fehlende Praxisbezug: Es gibt keinen Manager, der sich am Schreitisch diese beiden Kurven zurechtlegt, um daraus Handlungen abzuleiten. Es kommt noch erstaunlicher: Gewinnmaximierung ist nicht einmal messbar, obwohl Messbarkeit eine Hauptanforderung an operationale Ziele darstellt! Denn im Nachhinein lässt sich keineswegs sagen, ob die ergriffenen Handlungen tatsächlich zu einem maximalen Gewinn geführt haben, vielleicht hätte es doch noch ein bisschen mehr sein können.

Die mathematische Untermauerung der Grundthese, Gewinnmaximierung sei das Hauptziel eines Unternehmens, trägt in entscheidendem Maße dazu bei, dass sie sich praktisch unauslöschbar im Kopf festsetzt und zum Teil der eigenen Identität wird. Was in mathematischen Modellen ausgedrückt werden kann und sich (angeblich!) berechnen lässt, wird wohl auch richtig sein! Das wäre nicht weiter schlimm, wenn Gewinnmaximierung auch aus ethischer Sicht ein erstrebenswertes Ziel wäre.

Um die Gefährlichkeit der Gewinnmaximierung zu verdeutlichen, ist dieses Prinzip zunächst einmal analytisch aufzuspalten: Gewinnmaximierung ist nichts anderes als Umsatzmaximierung bei gleichzeitiger Kostenminimierung.

Umsatzmaximierung ist Abzocke

Umsatzmaximierung fordert dazu auf, so viel Umsatz wie eben möglich zu machen. Dahinter steckt die folgende Aufforderung: ‚Nimm so viel Geld von deinen Kunden wie du eben bekommen kannst!’ ‚Setze den Preis so hoch wie es eben geht!’ Um es ganz klar und deutlich zu sagen: Im Prinzip Gewinnmaximierung steckt eine mehr als deutliche Aufforderung zur Abzocke, einem ethisch unzweifelhaft fragwürdigen Verhalten.

Abzocke ist es, einen ungerechtfertigt hohen Preis zu verlangen. Auch wenn im strafrechtlichen Sinne nicht immer ein Vermögensdelikt in Form einer rechtswidrigen Bereicherungsabsicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder sogar Wucher vorliegt, erscheinen die Angebote vieler Unternehmen vor diesem Hintergrund zweifelhaft. Klingeltöne und Abo-Fallen sind nur die Spitze der hässlichen Seite der wirtschaftlichen Realität. Selbst seriöse Anbieter scheuen sich nicht, ihre Kunden mit überteuren Service-Hotlines oder kaum bezahlbaren Serviceangeboten (z.B. Gepäckaufschlag bei Überschreitung der Freigrenze im Flugverkehr) abzuzocken.

Kostenminimierung ist häufig Ausbeutung

Und auch die Aufforderung zur Kostenminimierung hat es in sich: Kostenminimierung fordert dazu auf, möglichst wenig eigene Ressourcen abzugeben, den denkbar niedrigsten Preis zu zahlen, Lieferanten (zumindest für einige Zeit) unter die eigenen Kosten zu drücken, ökonomische über soziale Standards zu setzen. Auch hier ein deutliches Wort: Im Prinzip Gewinnmaximierung steckt eine unmissverständliche Aufforderung zur Ausbeutung, nicht minder ethisch fragwürdig.

Die wertfreie Definition für Ausbeutung bezeichnet zunächst einmal Ausnutzung oder Aufbrauchung jeglicher Art. Der Begriff wird jedoch spätestens seit Karl Marx insbesondere auf den unterdrückenden Einsatz von Menschen in Produktionsprozessen bezogen. Heute wird unter Ausbeutung ein besonders abscheulicher Arbeitseinsatz wie Versklavung und Kinderarbeit verstanden. Bezeichnenderweise wird dieser deutlich negativ besetzte Begriff in einigen Standardwerken der Betriebswirtschaftslehre im Zusammenhang mit der Nutzung von Produktionsfaktoren völlig bedenkenlos verwendet. Zu Gute halten muss man den Autoren allerdings, dass sie sich nicht auf den Produktionsfaktor Arbeit, sondern eher auf Materialien oder Investitionsgüter beziehen.

Abzocke und Ausbeutung und mithin Gewinnmaximierung fordern also dazu auf, sich die Notlage Dritter zu Nutze zu machen.

Wie bereits erwähnt, ist es gleichwohl die Aufgabe von Unternehmen, Gewinne zu erwirtschaften. Deshalb sei vorgeschlagen, diese wichtige unternehmerische Zielsetzung eben nicht mit der wenig operationalen, radikalen Ergänzung ‚Maximierung‘ zu belegen. Als Ersatz für die Zielsetzung ‚Gewinnmaximierung‘ könnten die Begriffe ‚Gewinnerzielungsabsicht‘ oder ‚Erzielung eines angemessenen Gewinns‘ verwendet werden.

2.3 – Wettbewerbsorientierung

„Um zu gewinnen, muss man aber nicht andere besiegen. Nur einfache Gemüter definieren sich einzig über den direkten Kampf, den Wunsch, zu besiegen.“15

‚Albatros‘ Michael Groß, Schwimmweltmeister und Olympiasieger

Grundannahme der VWL

Die Volkswirtschaftslehre geht von der Grundannahme aus, dass Wettbewerb das beste Leistungsangebot hervorbringt. Fehlender Wettbewerb führt zu höheren Preisen, schlechteren Angeboten und schlimmstenfalls zu einer Unterversorgung der Bevölkerung.

Aus dieser Grundannahme leitet sich für die Betriebswirtschaftslehre die Forderung ab, dass Unternehmen wettbewerbsfähig sein müssen, um zu überleben. Um im ökonomischen ‚Survival of the fittest‘ bestehen zu können, muss das Unternehmen langfristig besser sein als die Konkurrenz, ansonsten muss es vom Markt verschwinden.

Im Wettbewerb bestehen bedeutet, zu Ende gedacht, den Wettbewerber zu besiegen. ‚The winner takes it all!‘

Auch dieser Gedanke ist neben der Gewinnmaximierung zu einem wesentlichen Leitmotiv des Managements herangereift: „Die Wettbewerbsfähigkeit ist zu einem Glaubensbekenntnis geworden, zum neuen Evangelium jener Bevölkerungsgruppen, die heute über die Welt herrschen.“16 In Sonntagsreden, Geschäftsberichten und angesichts notwendig gewordener Reorganisationsmaßnahmen beten viele Führungskräfte und Politiker das immer gleiche Mantra der Wettbewerbsorientierung. Dazu bemerkt der italienische Soziologe Riccardo Petrella, der sich als Gegner der Privatisierung von Trinkwasser einen Namen gemacht hat, dass der Wettbewerbskult längst aus dem Unternehmenskontext herausgelöst wurde und bereits weite Teile der Gesellschaft erreicht hat: „Das Gebot des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen und den Nationen hat das Denken, die Strategien und die Entscheidungen der Bildungsminister, der Universitätsleiter, der Gewerkschaftsführer, Parlamentarier und Bürgermeister, der TV-Produzenten und Journalisten stark geprägt und bestimmt sie auch weiterhin.“17

Dem Leitmotiv Wettbewerbsorientierung ist es wohl auch zuzuschreiben, dass die Wortwahl von Managern und sogar Wirtschaftswissenschaftlern sehr oft an eine Sprache erinnert, die ursprünglich für die Beschreibung besonders brutaler Ereignisse wie Kriege und Verbrechen geprägt wurde. Der Kampf um Marktanteile klingt in der deutschen Sprache noch vergleichsweise harmlos, während im Englischen der Spruch ‚Business is War‘ als geflügeltes Wort zur Zustandsbeschreibung der Wirtschaft gilt.18 Und bei der Suche nach begabten Berufsanfängern befinden sich die Unternehmen in einem ‚War for Talents‘. Auch in das deutsche Wirtschafts-Vokabular haben sich völlig unverdächtig klingende Begriffe wie ‚Strategie‘, ‚Taktik‘ und ‚Logistik‘ eingeschlichen, die Carl von Clausewitz (1780–1831), ein preußischer General, ursprünglich zur Beschreibung kriegerischer Auseinandersetzungen benutzt hatte. Bruno Wagner zeigt sogar an vielen Beispielen, dass nicht nur die Wortwahl, sondern auch die Handlungen von Managern an Kriegsführung erinnern.19 Schließlich trägt das Buch von Matthias Weik und Marc Friedrich, in dem das aktuelle Verhalten von Politik und Finanzwelt angeprangert wird, den bezeichnenden Titel: „Der größte Raubzug der Geschichte.

Wettbewerb ist Kampf

Jedenfalls ist Wettbewerb Kampf, Wettbewerb ist ein Gegeneinander. Die Aufgabe von Unternehmen ist es jedoch, miteinander und mit Konsumenten Geschäfte zu machen. Unternehmen haben Kunden, sie arbeiten also primär nicht gegen, sondern für jemanden oder für etwas. Nur sekundär arbeitet man gegen den Wettbewerber. Insofern erstaunt es, dass die Wettbewerbsorientierung einen derart hohen Stellenwert genießt, während die Kundenorientierung selbst von seriösen Unternehmen sehr häufig stiefmütterlich behandelt wird. Die ‚Servicewüste Deutschland‘ wird in regelmäßigen Abständen beklagt und ihre Existenz mit Hilfe diverser Studien belegt, ohne dass nachhaltige Verbesserungen erkennbar wären.

Manager bezeichnen sich mit Blick auf den Sport gern als Mannschaft oder gar als Team. Zwischen einer Sportmannschaft und einem Unternehmen besteht jedoch ein gewaltiger Unterschied: Die meisten Sportmannschaften sind im Gegensatz zu Unternehmen tatsächlich fundamental wettbewerbsorientiert ausgerichtet: Fußball-, Handball- und Hockeymannschaften wollen ihre Gegner bezwingen. Sie brauchen einen Gegner, sonst macht dieser Sport keinen Sinn.

Nur wenige Sportarten kommen völlig ohne Gegner aus, wenn auch gelegentlicher Wettbewerb einen gewissen Kick auslöst. Gemeint sind zum Beispiel Segeln und Bergsteigen. Hier steht, wie übrigens auch bei Individualsportarten wie Laufen und Schwimmen, ein Ziel im Vordergrund, für das man sich anstrengt. An allererster Stelle steht, dass man auf dieses Ziel hinarbeitet. Als Teil einer Segel-Crew oder als Läufer ständig den Gegner im Auge zu behalten, bindet zu viele Kräfte, die anders zweckmäßiger eingesetzt werden. Das Ziel und nur das Ziel steht im Mittelpunkt; dem Gegner widmet man sich bestenfalls, wenn das Ziel erreicht ist.

Das Kernziel eines Unternehmens besteht eben nicht darin, jemanden zu besiegen oder aus dem Rennen zu schlagen. Würde der Läufer jemanden im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Rennen schlagen, würde er wegen grober Unsportlichkeit disqualifiziert. Vor diesem Hintergrund drängt sich der Gedanke geradezu auf, das heute in vielen Unternehmen noch weit verbreitete und als notwendig empfundene Bekämpfen und Attackieren von Wettbewerbern als fragwürdig zu betrachten. Die Erwägung aggressiven Wettbewerbsverhaltens als taktische oder strategische Alternative gehört nach meiner Ansicht in die Mottenkiste der Managementliteratur.

Unternehmerisches Handeln sollte vor allen Dingen von dem Kernziel geprägt sein, einen Kunden zufriedenzustellen.

Eine übertriebene Wettbewerbsorientierung bindet Ressourcen, die zweckmäßiger eingesetzt werden könnten. Außerdem verstellt eine übertriebene Wettbewerbsorientierung den Blick für die Bedürfnisse des Kunden.

Die Entlarvung des Wettbewerbs als unzweckmäßiges Leitmotiv wird schließlich auch durch Erkenntnisse aus der Psychologie gestützt. Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman verweist auf ein interessantes Experiment, „bei dem zwei Gruppen von Probanden ein Spiel spielen. Bei der einen heißt es ‚Gemeinschaftsspiel‘, bei der anderen ‚Wettbewerbsspiel‘. Im ersten Fall werden die Leute hilfsbereit, im anderen egoistisch – und das, obwohl es beide Male dasselbe Spiel ist.“20

2.4 – Wachstum

„Rein monetäres Wachstum ist fragwürdig, dieses Wachstum wird bezahlt mit einem Riss in der Gesellschaft.“

Friedhelm Hengsbach21, deutscher Jesuit und Sozialethiker

Grenzen des Wachstums

„Die Grenzen des Wachstums“ (engl. Originaltitel: The Limits to Growth) ist eine viel beachtete, im Jahre 1972 veröffentlichte Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft. Die Studie wurde im Auftrag des Club of Rome erstellt. Donella und Dennis L. Meadows und deren Mitarbeiter am Jay W. Forrester‘s Institut für Systemdynamik führten dazu Untersuchungen und Computersimulationen mit verschiedenen Szenarien durch.

Die zentrale Schlussfolgerung der Studie ist: Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.

Die Studie ist vor 40 Jahren erschienen. Ihre zentrale Schlussfolgerung ist bis heute weitgehend unumstritten. Das Buch der Meadows ist in über 30 Millionen Exemplaren in 30 Sprachen erschienen. 1973 wurde der Club of Rome für seine Studie mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Da verwundert es schon, dass Wirtschaft und auch Politik heute immer noch auf grenzenloses, sogar auf exponentielles Wachstum setzen.

Im Mittelstandswiki war Mitte 2010 zu lesen: „Die große Mehrheit der deutschen wie auch der weltweiten Unternehmen will wieder auf Wachstum umschalten – sei es von innen heraus oder durch Zukäufe. Das ergab das zweite Capital Confidence Barometer, eine Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young, für die weltweit 800 Entscheider befragt wurden, davon 79 aus Deutschland. Basis des wachsenden Optimismus sind laut Studie eine deutlich gestärkte generelle Zuversicht und ein gewachsener finanzieller Spielraum der Unternehmen.“22 Die Wachstumsambitionen sind so selbstverständlich, dass man in Artikeln wie diesem vergeblich nach Gründen fürs Wachstum sucht. Ein Grund für die ‚Sucht nach Wachstum‘ könnte wiederum in der inhaltlichen Ausgestaltung der Betriebswirtschaftslehre verborgen sein. Die Betriebswirtschaftslehre stellt eine Reihe ‚strategischer Instrumente‘ zur Verfügung, mit der die Richtung des Unternehmens bestimmt und kontrolliert werden kann. Kaum eines dieser Instrumente verzichtet auf den Aspekt Wachstum. Ob SWOT-Analyse oder Portfolio-Matrix, Balanced Scorecard oder Lebenszyklusanalyse, der künftige Erfolg eines Unternehmens wird recht einseitig anhand von quantitativen Wachstumspotenzialen abgelesen. Im Ergebnis wird das Unternehmen zusammen mit den vermeintlichen Experten, die die ‚strategischen Instrumente‘ mit bunten Schaubildern gekonnt visualisieren, auf Mengenwachstum getrimmt.

Alternativen zum Wachstum

Hingegen erhalten die Alternativen, zu konsolidieren oder sogar bewusst zu schrumpfen, in der betriebswirtschaftlichen Fachliteratur allenfalls eine Randnotiz; in der Beratungspraxis kommen die Alternativen oft gar nicht erst vor. Diese Themen sind offensichtlich nicht ‚sexy’ genug, um aufgegriffen zu werden. Dabei sind es gerade diese Themen, mit denen sich künftige Manager zunehmend auseinandersetzen müssen. Grenzen des Wachstums zu erkennen bedeutet insbesondere, Unternehmen steuerbar zu machen und wendig zu halten. Dabei kommt es besonders darauf an, die eigenen Möglichkeiten zusammen mit den Mitarbeitern selbst zu erkennen, statt den immer gleichlautenden, angeblichen Expertenmeinungen zu folgen.